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Weißbuch
über das Saargebiet
Inhalt.
I. Nr. 1. Die Entſtehung der Beſtimmungen des Vertrages von Verſailles
i über das Saarbeckengebiet (Teil III, Abſchnitt IV); nach den Berichten
von André Tardilee nen ntenscnhenssnenessene
II. Nr. 2. Hiſtoriſche Beleuchtung der franzöſiſchen Anſprüche auf das
Saarbecken; Artikel von Prof. Hermann Oncken
III. Einige Urkunden aus der erſten Hälfte der Waffenſtillſtandszeit.
Nr. 3. Der Einzug der franzöfifchen Truppen in Saarlouis.
Nr. 4. Kundgebung der Saarbrücker Buͤrgerſchaft vom Dezember 1918s
Anlage: Ein Beſchluß der Bürgerſchaft von Saarbrücken und
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Nr. 5. Rede des Generals Garnier-Dupleſſis in Saarbrücken am 22. Januar 1919.
Nr. 6. Verfuche, die Bevoͤlkerung des Kreiſes Saarlouis von den Wahlen zur deutſchen
et abzuhalten und für den Anſchluß an Frankreich zu beein⸗
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Nr. 7. Eingriffe der franzoͤſiſchen Militärverwallung in die Verwaltung des Kreiſes
Saarlouis und Beeinfluſſung der Bevölkerung
Nr. 8. Werbung für den Anſchluß an Frankreich im Kreiſe Saarlouis
Nr. 9. Kundgebung der Vorſtände ſämtlicher politiſcher Parteien, Arbeiterorganiſationen
und Vereine in Stadt und Kreis Saarlouis vom 7. März 1919 N
Nr. 10. Im Saargebiet im März 1919 verteilte Flugſchrifft a.
Nr. 11. Im Saargebiet im März 1919 verbreitetes Gedicht „ ee
Nr. 12. Beſuch des Majors Delévaque und des Leutnants Fabvier in der nähen
höheren Mädchenſchule in Saarlouis ...u-srsceererseesenennnenhi nen
Nr. 13. Vorbereitungen zu einem Empfang des Marſchalls Joch in RE TER 1
Nr. 14. »Was wird die Stadt Saarlouis tun, wenn fie franzöſiſch wird?.
Nr. 15. Amtsenthebung des Oberbürgermeiſters von Saarbrücken 8
Nr. 16. Kundgebung des Kreistages Saarlouis vom 31. März 19199 5
Nr. 17. Die Geſchenke König Ludwigs XIV. an die Stadt Saarlouis
Nr. 18. Verſuche, die Haltung der Stadt Saarlouis zu beeinfluſſen - fie zur Entſendung
einer Abordnung nach Paris zu veranlaſſe sss...
Nr. 19. Reife einiger Perſonen aus dem Kreiſe Saarlouis nach Paris n 1
Nr. 20. Tätigkeit des Militärverwalters de Job in Saarlouis... ꝶ342422* **⁵
Nr. 21. Verhaftungen, Ausweiſungen und ähnliche Maßnahmen im Saargebiet in den
April, Dei 1919. 6
Nr. 22. Werbung für Anſchluß des Saargebiets an Frankreich in Bergarbeiterkreifen .
Nr. 23. Bürgermeiſterwahl in Saarlouis... ........seneuerensnneenenene —
Nr. 24. Kundgebung der Abgeordneten des Saargebietꝶs s.
IV. Der Notenwechſel über das Saargebiet in der Zeit zwiſchen Bekannt-
gabe und Unterzeichnung der Friedens bedingungen.
Nr. 25.
Nr. 26.
Nr. 27.
Nr. 28.
Nr. 29.
Nr. 30.
„Nr. 31.
Dentſche Note dom 13. Mai 1910o0000ĩ·.e een n
Deutſche Note vom 16. Mai 1919 nebſt Anlagen.. r
Note der alliierten und aſſoziierten Mächte vom 24. Mai 1919 N..
Deutſche Mantelnote vom 29. Mai 191199999
er der deutſchen Friedensdelegation zu den Friedensbedingungen vom
„„ M sae ns nenn once
Mantelnote zur Antwort der alliierten und aſſoziierten Mächte auf die Be
8 der deutſchen Delegation zu den Friedensbedingungen, vom 16. Juni
191 „„ ENT 955524 „„ „
Antwort der alliierten und aſſozitierten Mächte auf die Bemerkungen der deut⸗
ſchen Delegation zu den Friedensbedingungen, vom 16. Juni 1919 ........
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19
22
IV
V.
VI.
Seite
Nr. 32. Verſuche, die Grenzen des Saargebiets zu erweitern............ 60
Ernennung und Dienſtantritt der Regierungskommiſſion des Saar
gebiets. 5
Nr. 33. Bericht über die Sitzung des Völkerbundsrats vom 13. Februar 1920 .. . 65
Nr. 34. Inſtruktion des Völkerbundsrats für die Regierungskommiſſion des Saargebiets 70
Nr. 35. Proklamation der Regierungskommiſſion des Saargebiets anläßlich . Dienſt⸗
51 antritts , ñ ? x x 71
Nr. 36. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Bolkerbundsrat an⸗
a vv: Läßlich ihres Renft us au en 73
Nr. 37. Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Sarge vom 27. Februar
| 1920, betr. Anzeige über feine Ernennung VVV 73
Nr. 38. Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets vom 27. Februar
5 1920, betr. Amneſtie und Vorſchläge über Verwaltungsfragen .... „„ 75
Nr. 39. Note der deutſchen Regierung vom 4. März 1920, betr. die Ernennung eines
N Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets e 75
Nr. 40. Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 10. März 1920 (Ant.
eee ef ,,... en 76
Nr. 41. Note der Regierungskommiſſi on des Saargebiets vom 11. März 1920 (Antwort
f kuf Nr. t ß 77
. Nr. 42. Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets vom 10. März 1920,
betr. Vorſchläge für die Form von Verhandlunge·e nn 78
Nr. 43. Note des we e für die 8 des Saargebiets vom 15. i
vn.
(Antwort auf Ni. . 79
Staatsangehörigteit und 1
Nr. 44. Schreiben des franzöſiſchen Militärverwalters von Homburg an ben Bezirks⸗
15 amtmann von Homburg vom 8. März 19h are 81
Nr. 45. Schreiben des Bezirksamtmanns von Homburg an 50 franzöſiſchen Militär⸗
5 verwalter von Homburg vom 10. März 1920 ᷣ : 81
Nr. 46. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion bes Scargehiet
1 nom N. Mär; 1 - . 82
Nr. 47. Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche Regierung
vom 6. Apr. 1 . „ 82
Nr. 48. Note der ns Botſchaft in Berlin an die deutſche Regie vom
5 9; Autzuſt 1929999 83
Nr. 49. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
vom 23. Auguſt 19000; 83
Nr. 50. Note der franzöſiſchen Botſchaft in Berlin an die deutſche Regierung vom
25 September 19”. ee 84
Nr. 51. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat vom
nn 25. Oktober dd ̃ 86
Nr. 52. Note der deutſchen Re ern an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
vom 31. Dezember 1920 ee 87
Nr. 53. Note der deutſchen Regierung an die franzöſiſche Botſchaft in Berlin vom
31. Dezenber 199....... ᷑ [ 88
Nr. 54. Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung vom
7. März 1911112122 I SI 89
Nr. 55. Verordnung der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 15. Juni 1921
über die »Eigenſchaft als Saareinwoh neren — 90
Nr. 56. Denkſchrift der Regierungskommiſſion des Saargebiets zur Begründung der
Verordnung, betr. die »Eigenſchaft als Saarbewoh ne“... 94
Nr. 57. Beſchluß des Kreistages Saarbrüden-Land über den Entwurf der Verordnung,
betr. die Faſſung des Begriffs »Saarbewohner« (vom 30. April 1921)..... 95
Nr. 58. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
vom 23, Auguſt 193 nn 95
Nr. 59. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 23. Auguft 1921.. 97
Nr. 60. 7 der 1 eee des . an den Völterbunderat
vom 1. Auguſt 190... 98
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Seite
Weltpoſtverein, Welttelegraphenverein, internationales Abkommen
über den Eiſenbahnfrachtverkehr.
Nr. 61. Note der ſchweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche Wein
, / Ne die
Nr. 62. Note der deutſchen Regierung an die ſchweizeriſche e in 3
S r . ern ne 102
Nr. 63. Note der ſchweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche Regierung
RL / 103
Nr. 64. Verbalnote der portugieſiſchen Regierung an die deutſche Geſandtſchaft in
0 een een 104
Nr. 65. Verbalnote der deutſchen Geſandtſchaft in Liſſabon an die portugieſiſche Re-
7 — / ᷣ ⁰ c ˙ -k ̃ ˙à 104
Nr. 66. Verbalnote der deutſchen Geſandtſchaft i in Bern an die ſchweizeriſche n,
/ > Ride keinen nie ann ee aa
Nr. 67. Verbalnote der Nn Regierung an die deutſche Sende en
TR TEN EEE TERN 107
Nr. 68. Note der ſchweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche Regierung
J ß 108
Nr. 69. Note der deutſchen Regierung an die ſchweizeriſche Geſandtſchaft in Berlin
,,,, d SD 111
Nr. 70 Note der 1 ertihen Geſandtſchaft in Berlin an die beutfche Regierung
%% FTT!!! 112
Nr. 71. Note der ae e Geſandtſchaft in Berlin an die asche Regierung
JT d TE 113
Einſetzung und Ausweiſung der »Deutſchen Bergwesiätemmillien
Saarbrüden« und der »Preußiſchen 3 (Abwicklungs⸗
ſtelle) in Saarbrüden«.
Nr. 72. Note der deutſchen Friedensdelegation an die Friedenskonferenz vom 28. No
vg kn a EEE „ 114
Nr. 73. Note der deutſchen Regierung an die Regierungstommiffion des Snargebict
— AIR ee 115
Nr. 74. Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche Megierung
5 De en ĩ . c ĩ˙ UA. 116
Nr. 75 Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Vorſthenden der Ab⸗
wicklungeſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion in Saarbrücken vom 1. Juli 1920 116
Nr. 76. Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Vorſitzenden der
Abwicklungsſtelle der Berzischen Er ver in Sanne vom
... „ 4 117
Nr 77. Schreiben des Vorſitzenden der Abwitklungsſtele der Preußiſchen Sendet
direktion in Saarbrücken an die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom
RT, KERN 47
Nr. 78. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
i d e 118
Nr. 79. Note der deutſchen Regierung an die e e e be des Saargebiets
. 1 ⅛·Ledl.. 2: 130 (wöR 1. GesRne BE SE 120
Nr. 80. Note der r er des Saargebiets an die deutſche Regierung
/ ——U—̃ ͥͤ— aan ae ran ,,) ↄ m ² W 121
Nr. 81. Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Vorſitzenden der
Deutſchen Bergwerksdirektion in Saarbrücken vom 14. Auauft 19.0 122
Nr. 82. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſi ion des Saargebiets
f , 122
Nr. 83. Note der deutſchen Friedensdelegation an die Friedenskonferenz vom
„„ 0ͤauÄ ̃˙²ð.ꝗM .. ñ ] xĩi?v e es an nen one en 123
Nr. 84. Note des Botſchafterrats an die deutſche Friedensdelegation vom 4. Oktober 1920 124
Nr. 85. Bemerkungen über die weitere Entwicklung n 125
Franzöſiſche Truppen, franzöſiſche Kriegsgerichte, franzöſiſche
Gen darmerje.
Nr. 86. Die einſchlägigen Beſtimmungen des Vertrags von Verſaille s 129
Nr. 87. Erklärungen des Präſidenten der Regierungskommiſſi on des Saargebiets an
die Vorſtände der politiſchen Parteien nden Truppen, Kriegsgerichte, Belagerungs—
suftanb uſcd Ende März 10 eee
VI
El.
Pr. 108.
Seite
Nr. 88. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat
vom 25. NM f 0” r TE 130
Nr. 89. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat
en . M e T ̃ ß 130
Nr. 90. Mitteilung eines deutſchen Redakteurs über ſeine kriegsgerichtliche Verfolgung 131
Nr. 91. Angaben der franzöſiſchen Budgets über die franzöſiſchen Truppen im Saargebiet 132
Nr. 92. Bemerkungen in der franzöſiſchen Preſſe über die franzöſiſchen Truppen im
Saargebiet e ũ U — ana 133
Nr. 93. Verordnung der eee des Saargebiets über die franzöſiſche
Gendarmerie vom 7, ui T8 135
Nr. 94. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat
vom 25. Dftober 197) a ne 136
Nr. 95. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
vom 12. Jebraar 1911. ae re 137
Nr. 96. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 12. Februar 1921 .. 139
Nr. 97. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 7. April 1921. 139
Nr. 98. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
r ⁰y a a ee Te 141
Nr 99. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 23. April 1921 nebſt
Anlage u ee 141
Nr. 100. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
vom 23. Apel 111. 143
Nr. 101. Note der Regierungskommiſſion des TREO an die deutſche Regierung
vom 14, April 911 ae 143
Nr. 102. Note der deutſchen Regierung an die Regierungstommilfion des Saargebiets
vom 4 Na f a BE in Een ee 144
Nr. 103. Note der deutſchen Regierung au den Völkerbund vom 4. Mai i 145
Nr. 104. Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche Regierung
vom Il. % . ᷑œ / ß 146
Nr. 105. Note des Generalſekretärs des Völkerbundes an die deutſche Regierung vom
25. Juni 1921 nebſt Anlage (Bericht über die Sitzung des Völferbundsrats
dom 20 J f oe ae er 146
Nr. 106. Verordnung der een des Saargebiets über die Zuſtändig⸗
keiit der Gerichte über Zivil- und Militärperſonen vom 28. Juni 1921. 151
Nr. 107. Sai der eee des Saargebiets an den Völkerbundsrat
„Vom k. , · e ·˙ ···· x A 152
Sante 9 Röffebe ns tun
Verfügung der r e neitiion dat Saargebiets über die Beamten im 5
Ssargebiet ven 18. Win 100 ae 152
Nr. 109. Bericht über Verhandlungen zwiſchen dem Reichskommiſſar für die Übergabe
ö des Saar ebiets und der Regierungskommiſſion des Saargebiets über Beamten⸗
fragen vom 24. April 19 ES ae ee 154
Nr. 110. Erklärung der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die Beamtenfrage
vom A. 1 o RE er 158
Nr. 111. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat vom
1. Mai 19) FRE RR 1 N 158
Nr. 112. Bericht des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiebs über die
Beamteufrage vom . Nai I ũ 160
Nr. 113. Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die Beamtenorgani⸗
ſationen des Saargebiets vom 8. Mai 19211 UU... 161
Nr. 114. Note des Reichskommiſſars fur die Übergabe des Saargebiets an die Re
gierungskommiſſion des Saargebiets vom 11. Mai 1921114. 162
Nr. 115. Note der Regierungskommiſſion des u an den Reichstommi ar für
| die Übergabe des Saargebiets vom 22. Mai 192ᷣᷣ0b0b0 . 163
Nr. 116. Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an die Re⸗
gierungskommiſſion des Saargebiets vom 29. Mai 192000000000 164
Nr. 117. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat
un 1. Juni 00 F e Era 165
Nr. 118. Bericht des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets über den
Vorentwurf des Beamtenſtatu ts 167
Nr. 119.
Nr. 120.
Nr. 121.
Nr. 122.
Nr. 123.
Nr. 124.
Nr. 125.
Nr. 126.
Nr. 127.
Nr. 128.
Nr. 129.
Nr. 130.
Nr. 131.
Nr. 132.
Nr. 133.
Nr. 134.
Nr. 135.
Nr. 136.
Nr. 137.
138.
139.
140.
141.
142.
143.
144.
145.
146.
.
148.
149.
Nr. 150.
Nr. 151.
Nr. 152.
Nr. 153.
Nr. 154.
Nr. 155.
Nr. 156
Nr 157.
Nr. 158.
Nr. 159.
VII
Seite
Vorentwurf der Regierungskommiſſion des Saargebiets zu dem Beamtenſtatut 168
Gegenvorſchläge der Beamten zu dem Beamtenſtat uur... 174
Eingabe der politiſchen Parteien des Saargebiets an den Völkerbund in der
, r̈% mitm N Wkre Drache a a DER
Protokoll über eine Beſprechung der 5 zwiſchen Vertretern der
183
beteiligten Miniſterien in Berlin am 5. Auguſt 1920 ))) . 186
Aufruf der Beamtenſchaft vom 6. Auguſt 19200ꝝ:ʒ . 187
Verhängung des Belagerungszuſtandes im Saargeb ite 190
Verordnung des Generals Brifjaud-Desmaillet über den Belagerungszuſtand. 190
Erklärungen der Gewerkſchaften zu dem Beamtenſtreil kk 191
Erklärung der Hauptſtreikleitung vom 8. Auguſt 190ꝶ 9 194
Zeitungsverbote im Saarge bie e en 195
Sympathieſtreik der Bergbeamten TTT. NIE 196
Erklärung der Führer der Arbeiterorganiſationen aller Richtungen vom
%% ͤ WQ .. en T 197
Proklamation des Generals Briſſaud⸗Desmaillet vom 9. Auguſt 1920 197
Proklamation der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 9. Auguſt 1920 198
Erklärung der Hauptſtreikleitunnn gg ernennen 199
Erklärung des Gewerkſchaftsrings der Arbeiter und Angeſtelltenorganiſationen
%%% ͤ c ĩ˙·»²§i⅛½ẽ; ] ˖˙»-• . 200
Bekanntmachung des Generals Briſſaud⸗Desmaillet vom 11. Auguſt 1920.. 200
Verhandlungen zwecks Beilegung des Streiks. 201
Mitteilung der Regierungskommiſſion des Saargebiets bezüglich des Streiks
!!! we ie re nie ER Sn he sanken ee 202
Vorſchläge der Arbeitervertreter zur Beendigung des Streiks 202
Weiterer Verlauf der Verhandlungen zwecks Beilegung des Streiks; Generalſtreik 203
Bekanntmachungen des Generals Briſſaud⸗Desmaillet vom 13. Auguſt 1920 204
Beendigung des Streiks; Aufhebung des Belagerungszuſtandes (14. Auguſt 1920) 205
Endgültige Faſſung des Beamtenſtatuts . P 205
Bericht über den Verlauf des Beamtenſtreiks und die . 213
Bericht ausgewieſener Bürgermeiſteeenrnrr·tk ee channenenn 216
Wortlaut eines Ausweiſungsbefeh ls 217
Schreiben eines geflüchteten Eiſenbahnbeamte n 217
Note der deutſchen Regierung an die 1 des Saargebiets
vom 14. Auguſt u 218
220
Bericht über die Ausweiſung von Mitgliedern der deutſchen Bergwerks-
fommiffion Saarbrücken und der ee g der preußiſchen Bergwerks
— . ⅛ͤ ͤ˙ôℳn]ͤ n! 3 ͤ — w-
Note der deutſchen Regierung an die Regierungs kommiſſion des Saargebiets
%% ¶ / W
Geſuch ausgewieſener Perſonen an den Reichskommiſſar für die beſetzten
. ꝓ⁵Bi.,,,̃ ½ m ¼ d, ²m = een en ae nn
Schreiben des Reichskommiſſars für die beſehten 0 en Gebiete an die
221
223
224
interalliierte Rheinlandkommiſſion vom 6. September 1920). 225
Schreiben der interalliierten Rheinlandkommiſſion an 2 Reichstommiſſar für
die beſetzten rheiniſchen Gebiete vom 2. November 192) .......- 226
Protokollariſche Ausſagen von Ausgewieſ enen. 227
Eingabe der Beamtenſchaft des Saargebiets an den Völkerbunds ratet 232
Bericht über die Sitzung des Völkerbundsrats vom 20. September 1920 in
7 u re 23
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völterbundsrat
,,, yy INTDIE et essnr en 23
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völterbundsrat
. % Il(l(ß I 222322
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
f // 240
VIII
XII.
XIII.
Seite
Nr. 160. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 31. März 1921. . 242
Nr. 161. Note des Völkerbundes an die Re 1 vom 24. Sum 1921 nebſt
Ange ? “d,, ]èÜũw—l 7 243
Beteiligung ber gemänksen Vertreter der Bevölkerung an der Re⸗
gierung.
Nr. 162. Die einſchlägigen Beſtimmungen des Vertrages von Verſailless .. 245
Nr. 163. Erklärungen des Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saargebiets an
die Vorſtände der politiſchen Parteien über die Verfaſſung des ee
(Eide Marz 19 d ee 36 245
Nr. 164. Bericht der En des Saargebiets an den Völkerbundsrat
vom E , d . NER 246
Nr. 165. Eingabe der politiſchen Parteien an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 246
Nr. 166. Schreiben der, Wesen des Saargebiets an die n
E Parz enn aan aa ee un a ee 247
Nr. 167. Verordnung, betr. Volksvertretung rum. u. 2 248
Nr. 168. Bericht der Regierungskommiſſion des e an den Vöͤlkerbundsrat
vom 25 Oktober 190ĩ̃...... 249
Nr. 169. Statiſtiſche Angaben über die den Kreis und e des e
und der Stadtverordnetenverſammlung Saarbrücken vorgelegten Entwürfe... 252
Wirtſchafts- und Währungsfragen.
Nr. 170. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Voͤlkerbundsrat vom
1. Juni 1900 ne ARE er 254
Nr. 171. Bericht der e des Saargebiets an den Völkerbundsrat
vom „ i ff Rees era 254
Nr. 172. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat vom
einn e Er. 256
Nr. 173. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat
voin d een ee A TE DEERE 259
Nr. 174. Rundſchreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 17. Januar 1921
über die Erweiterung des Frankenumlauft . 265
Nr. 175. Gutachten der wiriſchaftlichen Verbände des Saargebiets über den erweiterten
FJrankenumlauu d mn ⁊ʃĩ i xx; 266
Nr. 176. Abänderung des Handelsgeſetzbuchss U UU KERLE 285
Nr. 177. Einführung der Franken bei Eiſenbahn und Poft........ 3 r 286
Nr. 178. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
vom 18. Apeitk 19111111 eV Te 286
Nr. 179. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 18. April 1921... . 287
Nr. 180. Note des Völkerbundes an die deutſche Regierung vom 25. Juni 1921... . 288
Nr. 181. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbunderat
vom 12, Mai: 1 ÜÄ 289
Nr. 182. Abänderung des Bürgerlichen Geſetzbuchs, des benzelsgekckbuge, der Konturs
ordnung und der Grundbuchordnung 294
Nr. 183. Runderlaß der Regierungstommiffion des Saargebiets vom 19. Juli 1921,
betr. Ausgleichszulagen in Mar; a ae ae 296
Nr. 184. ng der —o. des Saargebiets an den Völker
vom 1. Auguſt 19ĩ111·· 8 296
Nr. 185. Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die Kommunal,
verwaltungen des Saargebiets, betr. Einführung des Franken bei den Kommunal:
verwaltungen, vom 1. September 1921.........s2rs2sasoonnsennnn en 299
Nr. 186. Rundſchreiben des Vereins zur Wahrung der gemeinſamen wirtſchaftlichen
Intereſſen im Saargebiet an die Kommunalverwaltungen, betr. die Einführung
der Frankenbeſoldung in den Kommunalverwaltunge·e nnn 301
Nr. 187. Beſchlüſſe verſchiedener Kommunalverwaltungen zur Frage der Franken⸗
e beſoldung der Kommunalbeam ten.. 302
Nr. 188. Entſchließungen verſchiedener Verbände über die Franken fragen 307
Nr. 189. Stellungnahme der Regierungskommiſſion des Saargebiets zur Frage der 305
Frankenbeſoldung der Kommunalbeamte nnn.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
Seite
Zollfragen.
Nr. 190. Note der deutſchen Botſchaft in Paris vom 22. Auguſt 1921, betr. gobffrel.
heit der aus dem übrigen Deutſchland in das Saargebiet kommenden Waren 309
Nr. 191. Note der deutſchen Botſchaft in Paris vom 24. Auguſt 1921, betr. Zollfrei-
heit von Reparatur⸗ und Rück waren 310
Nr. 192. Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris vom 28. Auguſt 1921, betr. Er⸗
hebung einer Ausfuhrabgabe auf Thomasmehhll .. 311
Nr. 193. Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris vom 12. September 1921, betr.
c REES 311
Schule und Sprache.
Nr. 194. Die einſchlägigen eee des Vertrags von Verſailles. 312
Nr. 195. Verordnungen der Regierungskommiſſion des Saargebiets über den Beſuch
der Schulen der franzoſiſchen Grubenverwaltun 1 313
Nr. 196. Motivenbericht zu den unter Nr. 195 wiedergegebenen Verordnungen nebſt
i . ⁵ /// c ĩð 0 een 313
Nr. 197. Werbeſchreiben der Vereinigung der Elſaß-Lothringer des Saarbeckens für den
Beſuch der franzöſiſchen Bergſchule nnn 315
Nr. 198. Abänderung des Bürgerlichen Geſetzbuchss e 316
Nr. 199. Berichte der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Voͤlkerbundsrat . 316
Beſchwerden der Regierungskommiſſion des Saargebiets über angeb—
liche Einmiſchungen der deutſchen Regierung.
Nr. 210.
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an die Re—
gierungskommiſſion des Saargebiets vom 21. Dezember 1920 U.. 319
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Reichskommiſſar für
die Übergabe des Saargebiets vom 7. Januar 19211. 321
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an die Re—
gierungskommiſſion des Saargebiets vom 24. Januar 19211. 323
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
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Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 22. April 1921 ... . 326
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche EEE
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Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
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Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 17. gar 1921. 329
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbund vom
—. ᷣ O ſAtAG.Affſdſ kennen une & 329
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Reichstommiſſar
für die Übergabe des Saargebiets vom 19. Januar 192111... 331
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an die Ne
gierungskommiſſion des Saargebiets vom 18. April 19221111111... 332
Regierungskommiſſion des Saargebiets und beſetztes Rheinland.
Nr. 211.
Nr. 212.
Nr. 213.
Schreiben des Präfidenten der interalliierten Rheinlandkommiſſſon an den
Reichskommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete vom 7. Januar 1921 334
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets
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Schreiben des Reichskommiſſars für die beſetzten rheiniſchen Gebiete an die
interalliierte Rheinlandkommiſſion vom 21. März 19211. 336
Entſchädigung eines franzöſiſchen Kaufmanns für Tumultſchäden.
Nr. 214.
Nr. 215.
Nr. 216.
Nr. 217.
Schreiben des Generals Andlauer an den Buͤrgermeiſter von Saarbrücken
% -Q—T—B! m 336
Rechtsſtreit zwiſchen der Stadtgemeinde Saarbrücken und dem franzöſiſchen
— ů A...... . „ 338
Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den kommiſſariſchen
Bürgermeiſter von Saarbrücken vom 28. Juni 1920. 339
Schreiben des kommiſſariſchen Bürgermeiſters der Stadt Saarbrücken an die
Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 9. Juli 19200. 340
r
XIX.
XX.
Entſchädigung einer deutſchen Familie wegen Ermordung eines Fa⸗
milienmitgliedes.
Seite
342
346
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350
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354
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356
361
362
Nr. 218. Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung vom
En, SE a /// / ¾ ˙ .;. p
Nr. 219 Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung
em ,, . .. ß ̃]ĩê y.,
Nr. 220. Note der franzöſiſchen Regierung 8 die deutſche Botſchaft in Paris vom
25. September ß FT in
Nr. 221. Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung vom
8. Mat: ß 008
Nr. 222. Note der N Regierung an die deutſche Botſchaft in Paris vom
m m . 8
Nr. 223. Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung vom
22. Mai 1911... u
Verſchiedenes.
Nr. 224. Erlaß des franzöſiſchen Militärverwalters über den Ausdruck »Boche« ufw.
Nr. 225. Ausweiſung des preußiſchen Landrats von Saarbrücke enn.
Nr. 226. Wortlaut eines nach Inkrafttreten des Friedensvertrags erlaſſenen Aus-
1 weiſungsbefehls der Militärbehrdde un. cuenecneeneneneen
Nr. 227. Belagerungszuſtand zwecks Sicherung des Eiſenbahnbetriebe ss
Nr. 228. Grundſätze für die Berichterſtattung der Regierungskommiſſion des Sage en
g an den Völlerbuinbärak .. „une: d
Nr. 229. Schreiben des Generalſekretärs des Völkerbundes an den Präſidenten der
Regierungskommiſſion des Saargebiets über die Behandlung von Eingaben
von Bewohnern des Saargebiets an den Völkerbunꝭ s.
Nr. 230. Auszug aus einem Bericht des franzöſiſchen Abgeordneten Fernand Engerand
über den Erwerb der Kohlengruben des Saargebiets durch Frankreich.
Nr. 231. Werbeſchreiben der »Union Frangaise«............... F
Nr. 232. Exterritorialität und Steuerbefreiunge n
Nr. 1.
Die Entſtehung der Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles
über das Saarbeckengebiet.
Über die Entſtehung der das Saargebiet betreffenden
Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles hat ein an
ihrer Abfaſſung hervorragend Beteiligter, Andre Tardieu,
in ſeinem Buche »La Paix« Mitteilungen gemacht. Dieſe
Mitteilungen bedürfen zwar in vielem der Ergänzung, bieten
aber doch mancherlei Aufſchluß. Im folgenden iſt daher
ein Auszug daraus wiedergegeben
Die urſprünglichen franzöſiſchen Anſprüche ſind den Verbündeten Fraukreichs im
Januar und Februar 1919 mitgeteilt und erläutert worden. Ihre Begründung iſt
aus einer Denkſchrift erſichtlich, die Tardieu veröffentlicht. Sie lautet in Über—
ſetzung: |
Denkſchrift der franzöſiſchen Delegation.
J. Rückgabe des Landes unter rechtlichen Geſichtspunkten !).
Das Gebiet, um das es ſich handelt, hat während vieler Jahrhunderte zu Frankreich gehört und
iſt nur durch Gewalt von ihm getrennt worden.
J. Zugehörigkeit zu Frankreich.
a) Landau iſt im Jahre 1684 an Frankreich abgetreten worden?). Saarlouis iſt von Ludwig XIV.
erbaut worden. Beide Städte find zur Zeit der franzöſiſchen Revolution auf dem Bundesfeſt vertreten
geweſen und baben ihre Zugehörigkeit zu der einen und unteilbaren Republik proklamiert.
Im Jahre 1793 hat Landau heldenhaft eine Belagerung ausgehalten, bei deren Beendigung der
Nationalkonvent erklärte, daß die Stadt »ſich um das Vaterland wohlverdient gemacht habe«
Der ganze Reſt des Saarbeckens iſt von 1792 bis 1795 franzöſiſch geworden, inmitten der von
Goethe beſchriebenen Begeiſterung der Bevölkerung, deren Willenskundgebung, niedergeſchrieben in
1 Petitionen, die im Nationalarchiv aufbewahrt ſind, ihre Vereinigung mit Frankreich »zu
einer einzigen und gleichen Familie« urkundlich feſtgelegt hat.
b) All dieſe Petitionen verdienten wiedergegeben zu werden. Wir begnügen uns indes, nur
einige anzuführen:
Die Petitionen der Bezirke der Queich, der Blies und der Saar ſprechen einmütig »den glühendſten
Wunſch, mit der franzöſiſchen Republik vereinigt zu werden, aus.
Gewiſſe Petitionen, wie die von Impflingen, betonen, daß »dieſer Wunſch nicht der iſt, eine un—
begrenzte Freiheit zu genießen, ſondern daß er nur hervorgeht aus Liebe zum Vater lande
Andere Petitionen, wie die von Zweibrücken, formulieren einen Wunſch, dem die ſpäteren Ereig⸗
niſſe ſeine wahre Bedeutung gegeben haben, nämlich »bewahrt zu werden vor Kriegen, die die
Deſpoten Deutſchlands alle zwanzig Jahre in ihrem Lande entfeſſeln, zumeiſt für Ziele, die ihnen
vollkommen fremd ſind«.
Die Einwohner von Neunkirchen hoffen, daß Frankreich »die Großmut haben wird, ſie ſo glücklich
zu machen als es möglich iſt, indem ſie ihre Wiedervereinigung mit der erſten der Republiken aus
ſprechens, und fie fügen hinzu: »Wir werden beſtrebt ſein, uns dieſer Wohltat würdig zu erweiſen«
) Vgl. hierzu Nr. 2
2) Landau hat keinen Zuſammenhang mit dem Saargebiet; es liegt annähernd 80 km öſtlich der Saar
) 5 1 9 ! U
Der En der aus dem Saargebiet kommt, iſt kennzeichnend. Die Bewohner wünſchen, daß
»Frankreich geruhe, ſie in die Reihe ſeiner geliebten Kinder aufzunehmen, und ſein Werk vollende, in⸗
dem es ihnen den ruhmreichen Titel „Franzoſen“ gebe, den fie fo lange ſchon im Herzen tragen und
den zu verdienen fie nie aufhören werden «.
Die Bevölkerung von Saarbrücken faßt dieſe Gefühle in folgenden Satz zuſammen: »Möge unſere Wieder-
vereinigung, ebenſo rein wie unverletzlich, uns an die Seite Frankreichs, unſeres Vaterlandes,
ſtellen; wir werden hinfort nur denſelben Geiſt, denſelben Willen und ein einziges Intereſſe haben. « 0
c) Dieſer leidenſchaftliche Wunſch der Vereinigung mit Frankreich fand ſeine Rechtfertigung in
der durch uns geführten weiſen Verwaltung des Landes. Große öffentliche Arbeiten knüpften die Bande
des Gefühls feſter. Frankreich war es, das ſich zuerſt damit befaßte, die Kohlengruben in die Höhe zu
bringen. Eine Bergſchule wurde von Napoleon in Geislautern auf dem linken Ufer der Saar, ſüdlich
von Völklingen, gegründet, und die erzielten Ergebniſſe trugen dazu bei, die Begehrlichkeit der preußiſchen
Hütteninduſtri llen zu wecken, von denen ein Agent, Böcking, im Jahre 1814 und 1815 für Rechnung
ſeiner Auftraggeber den Kampf für die Annexion an Preußen führen ſollte.
Frankreich hat das noch heute beſtehende Syſtem des Staatsbetriebs der Kohlengruben eingeführt.
Die Ausbeutung der Gruben iſt übrigens erfolgt auf der Grundlage der Studien unſerer Ingenieure;
unſer Nationa archiv beſitzt eine Empfangsbeſtärigung Preußens über »die Pläne und Verzeichniſſe be⸗
treffend die Konzeſſionen von Kohlenfeldern in den Departements der Saar und der Roer«.
2. Seit der Trennung.
0 Nur durch Gewalt iſt das Gebiet von Frankreich getrennt worden.
Der Vertrag von Paris vom 30. Mai 1814 hatte nicht gewagt, dieſe Trennung zu vollziehen,
Sie wurde erſt im Jahre 1815 auf das Drängen Preußens gewährt, ohne Befragung der Bevölkerung,
nur um Frankreich unter der ſtändigen Drohung mit einem Überfall zu halten.
Anfangs widerſprachen einige Mächte, darunter Großbritannien, der »Abtretung von Gebieten,
die zu Frankreich gehören und deren Verluſt Entrüſtung in allen franzöſiſchen Herzen wachrufen würde«.
Das preußiſche Drängen trug aber ſchließlich den Sieg davon. |
Metternich hat über die Operation ein Urteil gefällt, indem ex ſchrieb: »Preußen hat im feiner
Weiſe auf die Grundſätze der Gerechtigkeit oder auch nur des Anſtands Rückſicht genommen«.
b) Viele Bewohner wanderten aus. Die anderen, bedrückt durch die preußiſche Verwaltung und
die preußiſche Koloniſation, bezeichneten ſich als »Mußpreußen «).
Im Jahre 1859, während des italieniſchen Krieges, war die Stimmung dieſelbe. Lebhafte Kund-
gebungen für Frankreich fanden in Landau ſtatt. Noch im Jahre 1865 wurde Wilhelm I. bei einer
Reiſe durch das Gebiet ſehr kalt aufgenommen. b
Im Jahre 1866 ſchrieb der Fürſt Chlodwig von Hohenlohe in ſeinen . »Die Bayern
der Pfalz (d. h. die Gegend von Landau und weiter nördlich) würden alle den Übergang an Frankreich
gern ertragen.« Die preußiſchen Beamten bezeichnen im Jahre 1870 Saarlouis als »Das Franzoſenneſta.
e) Die deutſchen Geſchichtsforſcher haben das Gefühl der »Mißehe«, das ſich nach der Vereinigung
mit Preußen ein halbes Jahrhundert lang bei der Bevölkerung erhielt, nicht zu leugnen verſucht. Sie
ſehen ſogar einen Beweis für den germanifchen See der Rheinländer in ei Tren; zu
den franzöſiſchen Erinnerungen. N
Die Lektüre von Treitſchke iſt in dieſer Beziehung beluſtigend und bezeichnend. Aus ſeiner Dar⸗
ſtellung ergibt ſich, daß, wenigſtens bis 1848, die Rbeinländer ihren deutſchen Patriotismus dadurch
bewieſen haben, daß fie... mit Hartnäckigkeit ihre franzöſiſchen Einrichtungen gegen Berlin verteidigten und
einen unüberwindlichen Abſcheu zur Schau trugen, den ihnen ihre neuen preußiſchen Landsleute
einflößten.
d) Noch heute gibt es im Saarbecken bein Bürgern und Landleuten einen beträchtlichen Teil, der.
leidenſchaftlich der franzöſiſchen Tradition ergeben iſt. In der Gegend von Saarlouis bildet dieſer Teil
die gewaltige Mehrheits). Dieſe Stadt hat die franzöfifchen Truppen bejubelt!) und ein begeiſtertes
Telegramm an den Präſidenten der Republik gerichtet). Das Gefühl hat alſo die Zeiten überdauert.
»Die Sympathien von Saarlouis für Frankreich «, ſchreibt ein Gewährsmann, venthüllen. ſich viel
lebhafter, als man zu hoffen wagte. Sie würden ſich ohne jedes Zögern kundtun, wenn die Bevölkerung
nicht durch die Furcht vor preußiſchen Vergeltungsmaßnahmen für den Fall, daß die Grenze nicht
geändert wird, zurüd.ehalten würde .. In Saarlouis waren viele willens, an den letzten Wahlen zur
e eee nicht teilſinehmen .
0 Vgl. hier Nr. 4, Anlage.
2) Vgl. hierzu Nr. 6, Anlage.
3) Vgl. hierzu Nr. % 8,9; 18, 14, 16.
) Vgl. hierzu Nr. B:
) Die Stadt Saarlouis Geh kein derartiges e an den Präſidenten der franzöſiſchen
Republik geſandt. Es kann nur vermutet werden, daß das Telegramm von einzelnen, ohne amtlichen
Auftrag handelnden Perſonen abgeſandt worden iſt.
) Vgl. hierzu Nr. 6.
2.
»Der Stadtrat von Saarlouis hat die Abſicht, eine geheime Entſchließung zu faſſen, um die
Angliederung an Frankreich zu verlangen). Er wäre bereit, eine Abordnung nach Paris zu ſenden,
wenn man es wünſcht2). Schon heute kann man die Gewißheit haben, daß Saarlouis einen Abgeord—
neten mit franzöſiſchen Gefühlen in die Kammer entſenden würde.«
a Im ganzen hat alſo dieſes Land, das ſich niemals über die franzoͤſiſche Herrſchaft beklagt hat,
das von Frankreich gewaltſam ohne Berragung der Bewohner losgeriſſen worden iſt, trotz der preußiſchen
Einwanderung die Erinnerung an die Vergangenheit bewahrt und iſt, ungeachtet der aufeinander
folgenden Teilungen, die an die Teilungen Polens erinnern, im Herzen franzöſiſch geblieben, wenigſtens
zum Teil.
3 Moͤgliche Einwendungen.
a) Ohne Zweifel ſind zwei Einwendungen erhoben worden:
Die Trennung, mag ſie auch gewaltſam und ungerecht geweſen ſein, liegt ein Jahrhundert zurück.
Wäre es nicht ein fruchtloſes Unternehmen, hundert Jahre Ge ſchichte auslöſchen zu wollen?
Muß man ferner nicht der breiten deutſchen Einwanderung Rechnung tragen, die während dieſer
hundert Jahre ſyſtematiſch befolgt worden iſt und die Zuſammenſetzung der Bevölkerung von Grund auf
verändert hat?
b) Auf den erſten Einwand kann man antworten, daß nach dem Standpunkt der Konferenz die
vergangene Zeit nicht genügt, um die Rechtsanſprüche verjähren zu laſſen. Polen erlebt ſeine Auferſtehung
- mehr als einem, Böhmen nach mehr als vier Jahrhunderten.
Dem zweiten Einwand kann die franzöſiſche Regierung ebenfalls einige der Entſcheidungen — und
zwar der beſtbegründeten — der Konferenz entgegenhalten.
Die ſyſtematiſche Koloniſation eines mit Gewalt eroberten Landes iſt keine Entſchuldigung, ſondern
eine Erſchwerung des gegen das Land gerichteten Übergriffs.
Die preußiſche Koloniſation in Polen, die deutſche in Böhmen, die magyariſche in Transſylvanien
hat die Mächte nicht gehindert, die Wünſche der bisher Beſiegten en gegenzunehmen und ſie wieder in
ihre Rechte einzuſetzen.
Frankreich glaubt, daß es die gleiche Behandlung beanſpruchen kann
4. Schlußfolgerung aus dem Grundſatz der Rückgabe.
Das Mindeſte, was Frankreich auf Grund dieſes Titels beanſpruchen muß, iſt die Grenze von 1814.
Der Verlauf dieſer Grenze iſt folgender:
Ausgehend vom Rhein ſüdlich Germersheim ſchließt ſie Landau ein und erreicht bei Weißenburg
die Grenze von 1815, der ſie bis zur Höhe von Saargemünd folgt. Von dieſem letzteren Punkt ab
verläßt fie die Grenze von 1815, um zwei vorſpringende Bogen nördlich von Saarbrücken und Saarlouis
zu bilden, die bei Frankreich belaſſen werden, und erreicht die Grenze von 1815 wieder ungefahr 6 km
ſüdöſtlich von Merzig.
Es iſt bekannt, daß dieſer Grenzverlauf im einzelnen beeinflußt worden iſt durch das Beſtehen von
Fürſtentümern aus der Feudalzeit, die inzwiſchen verſchwunden ſind. Er würde alſo bei der Feſtlegung
noch etwaigen Berichtigungen zu unterwerfen ſein; in ſeiner Geſamtheit aber ſtellt er einen Grundſatz
dar, der nicht beſtritten werden kann.
Dies iſt der Grundſatz, auf den ſich zu berufen Frankreich ein Recht hat.
ö II. Wirtſchaftliche Reparation.
Das Gebiet, das nördlich von Elſaß-Lothringen deſſen geographiſche Fortſetzung bildet und ſich
über die Grenze von 1814 hinaus erſtreckt, iſt ein Gebiet des Bergbaus und der Induſtrie, das ſich als
eine tatſächliche Einheit darſtellt; dies Gebiet wird mit dem Namen Saarbecken bezeichnet.
1. Geſamtbeſchreibung des Gebiets.
a) Das Saarbecken, das die Geſtalt eines Dreiecks beſitzt, deſſen Baſis der Saar zwiſchen Saar-
brüden und Saarlouis parallel läuft und deſſen Scheitel ſich bei Frankenholz (9 km nordweſtlich von
Homburg) befindet, beſitzt eine wirtſchaftliche Einheit, die es der Kohle verdankt.
Die Kohlengruben umfaſſen drei Hauptgruppen: die erſte im Saartal von Saarlouis flußaufwärts
bis Saarbrücken, die zweite um Neunkirchen, die dritte in der Gegend von St. Ingbert.
In der unmittelbaren Umgebung der Kohlenvorkommen hat ſich ein Induſtriegebiet gebildet. Drei
Induſtrien haben ſich dort entwickelt, nämlich, in der Reihenfolge ihrer Bedeutung, Hütteninduſtrie, Glas-
induſtrie, Steingut und Tonwareninduſtrie.
b) Das ganze Gebiet, ſowohl das des Bergbaus wie das der Induſtrie, iſt bewohnt von VBerg-
leuten und Arbeitern der induſtriellen Werke. Faſt alle ſtammen aus dem Lande ſelbſt. Viele beſitzen
1) Eine ſolche Abſicht hat nicht beſtanden.
2) Dieſe Frage iſt an den Stadtrat erſt ſpäter herangetreten; über ſeine Stellung zu ihr vgl. Nr. 18.
3
ein kleines Haus und bewirtſchaften ein Stück Land. Im Jahre 1912 waren 39 v. H. der Arbeiter auf
den Staatsgruben Grundeigentümer, 65 v. H. waren verheiratet. Die Unverheirateten waren meiſt Söhne
von Bergleuten und wohnten bei ihren Eltern.
Dieſe Arbeiter, deren Zahl 72 000 beträgt, können dank eines ſehr entwickelten Verkehrsnetzes
(normalſpurige Eiſenbahnen, ſchmalſpurige Linien, elektriſche Bahnen und Automobillinien) ziemlich weit
weg von den Kohleagrahen wohnen, die das Lebenszentrum des Gebiets ſind. Dies trifft auf mehr
als 40 v. H. zu.
Mit anderen Worten, das Saarbecken iſt ein Ganzes, deſſen drei Beſtandteile die folgenden find;
die bergbauliche Zone, noch ſehr unvollkommen entwickelt; ſodann die Induſtriezone, aus der erſteren
hervorgegangen; ſchließlich die Arbeiterzone, die über die beiden anderen hinausgreift und mit ihnen durch
Eiſenbahnlinien verbunden iſt, deren wichtigſten Knotenpunkt Homburg bildet.
e) In dieſem Becken, von dem alle Teile miteinander zuſammenhängen, wäre jede künſtlich errichtete
Trennung vernichtend.
Eine Grenze, die das Becken und die zur Verſorgung des Beckens beſtimmten Bahnlinien von-
einander trennen würde, würde den nichtfranzöſiſchen Abſchnitt in eine nachteilige Lage bringen, denn
er würde deutſcherſeits dem Wettbewerb der weſtfäliſchen Werke ausgeſetzt und franzöſiſcherſeits von dem.
Erz von Briey iſoliert werden, das die notwendige Ergänzung der Saarkohle bildet.
Die Lage im Währungsweſen wäre nicht weniger ſchlecht; denn ſofern nicht die Mark ihre Parität
mit dem Franken wieder erhält, wäre die Entlohnung derſelben Arbeit infolge des Kurſes in beiden
Abſchnitten verſchieden.
Schließlich wäre die Lage für die Arbeiterſchaft ebenfalls widerwärtig. Sie wäre dies unter dem
Geſichtspunkt des Verkehrs, da viele Arbeiter eine Grenze zwiſchen ihrem Wohnort und ihrer Arbeits⸗
ſtätte haben würden. Sie wäre es unter dem Geſichtspunkt der Löhne aus den verſchiedenen, vorſtehend
angeführten Gründen; weiter unter dem Geſichtspunkt der Geſtehungspreiſe, unter dem Geſichtspunkt der
Arbeitsregelung, der ſozialen Geſetzgebung und der Aufrechterhaltung der Ordnung in Fällen von Streik.
d) Neuere Ereigniſſe haben übrigens die tiefbegründete Einheit des Gebiets ins rechte Licht geſetzt.
Einerſeits haben mehrere der preußiſchen Großinduſtriellen, von wirtſchaftlichen Beſorgniſſen geleitet,
bei den franzöſiſchen Behörden bezeichnende Schritte zwecks Aufrechterhaltung dieſer Einheit unternommen 1).
Anderſeits haben die ſeit dem Waffenſtillſtand mit der Kontrolle der örtlichen Verwaltung be-
auftragten franzöſiſchen Offiziere einmütig die Unmöglichkeit einer Trennung der bergbaulichen, induſtriellen
und Arbeiterzone voneinander anerkannt. Alle weiſen auf die Gefahr hin, die, ſelbſt während der
Übergangszeit des Waffenſtillſtands, entſtehen würde, wenn man zwiſchen den verſchiedenen Bezirken, die
das Becken bilden, eine Grenze aufrichten wollte. Die militäriſche Organiſation iſt daher, wenn auch
nur vorübergehend, auf der Grundlage der wirtſchaftlichen Einheit des Gebiets errichtet worden. Die
Ergebniſſe ſind ausgezeichnet geweſen. N
2. Sonderanſpruch Frankreichs auf eine Reparation im Saarbeden.
a) Bekanntlich haben ſich die von Deutſchland in Frankreich begangenen induſtriellen Zerſtörungen
vornehmlich auf die Kohlen- und Induſtriegegend des Norddepartements und des Departements Pas de
Calais erſtreckt. Zwei Drittel dieſer Gegend, ſowohl hinſichtlich der Oberfläche wie hinſichtlich der
Produktion, ſind von dem Eindringling planmäßig zerſtört worden.
) Hiermit find vermutlich Schritte gemeint, die von Wirtſchaftskreiſen im Hinblick auf die damalige
augenblickliche Wirtſchaftslage unternommen wurden. Dieſe Schritte ſind am 8. März 1919 in einer
Sitzung der Induſtriellen des Saargebiets und der drei pfälziſchen Nachbarkreiſe im Rathaus in Saar-
brücken beſprochen worden. In dem Protokoll über dieſe Sitzung heißt es:
r EN Direktor S., der namens der weſtpfälziſchen Eiſeninduſtrie ſprach, wies auf die
Schwierigkeiten hin, in welche die von ihm vertretene Gruppe durch die Beſatzung geraten ſei, ferner
auf die ſehr erſchwerte Unterſtützung, welche ſie bei der zwar zuſtändigen, aber nicht leicht erreichbaren
Handelskammer in Ludwigshafen erfahren habe, und wünſchte eine Unterſtellung unter den von den
franzöſiſchen Beſatzungsbehörden eingerichteten Wirtſchaftsdienſt des Saargebietes. Er verlas dann eine
Erklärung, die einſtimmig angenommen wurde und wörtlich wie folgt lautet:
»Die Handelskammer zu Saarbrücken ſowie die Induſtriellen der bayeriſchen Bezirks-
ämter Zweibrücken, St. Ingbert und Homburg würden es im Hinblick auf die günſtigen
Verbindungsmöglichkeiten mit Saarbrücken ſowie in Würdigung der mannigfachen wirtſchaftlichen
Beziehungen begrüßen, wenn für die Dauer des Waffenſtillſtandes die Zuſtändigkeit der
Saarbrücker Verwaltungsſtellen — ſoweit wirtſchaftliche und induſtrielle Fragen in Betracht
kommen — auch auf die Bezirksämter Zweibrücken, St. Ingbert und Homburg ausgedehnt
würde. Selbſtverſtändlich entſpringt der Wunſch lediglich wirtſchaftlichen Erwägungen. «
Direktor S. faßte ſeine Betrachtungen noch in die Bemerkung zuſammen, daß aus der erſtrebten
Regelung naturgemäß politiſche Folgerungen irgendwelcher Art nicht abgeleitet werden dürften. Der
Großkaufmann B. erklärte, daß auch die Handelskammer Saarbrücken ſich durchaus anf den Boden
dieſer Erklärung ſtelle.
8
1 Die Ereigniſſe haben ſich in folgender Reihenfolge abgeſpielt:
Zuerſt Überflutung des Beckens von Lens, woraus ſich ein Verluſt von 8 Millionen Tonnen
ergibt. |
Hierauf Zerſtörung der Becken von Eourriered und Dourges, was einen Verluſt von 4 Millionen
Tonnen jährlich zur |
Endlich allgemeine Verwüſtung der Kohlengruben im Norddepartement, hier entſteht ein jährlicher
Verluſt von 8 Millionen Tonnen.
b) Dieſe Zerſtörung iſt nicht das Ergebnis des Zufalls oder der kriegeriſchen Operationen. Sie
8 einen weſentlichen Beſtandteil des wirtſchaftlichen Plans des deutſchen Generalſtabs gebildet.
er Plan, auf Befehl des deutſchen Generalquartiermeiſters im Februar 1916 in München gedruckt,
auf den Arbeiten von 200 Sachverſtändigen und erſtreckt ſich auf 4031 Unternehmungen; er
im einzelnen die Vorteile dar, die ſich Deutſchland aus dem Verſchwinden der franzoͤſiſchen Gruben
und Induſtrien errechnet. Die vorbedachte Abſicht ſteht alſo feſt
Dieſe Abſicht erklärt ſich übrigens, was unſere Becken in den Departements du Nord und Pas de
Calais betrifft, durch den lebhaften Wettbewerb, den es dem weſtfäliſchen Becken machte.
e) Wenn man die Ergebniſſe des von Deutſchland methodiſch durchgeführten Werkes zuſammenfaßt,
findet man folgendes:
220 Schächte für mehrere Jahre unbenutzbar gemacht.
Alle Anlagen über Tage vollkommen zerſtoͤrt.
Eine Produktion von 20 Millionen Tonnen, d. h. 50 v. H. der Geſamtproduktion, dem Lande
en.
Eine Produktion von entſprechenden Nebenprodukten ebenfalls bejeitigt, nämlich:
V „ . 2 243 000 t,
) ͤ ᷣ AA ĩ ᷣ nn 1674 000 »
Schwefelſaures Ammoniak.. „„ 23 200
%%% ̃ͤ TTT... rk 13 000
% /// V TE 61000 »
Eine Arbeiterbevölferung von 100 000 Arbeitern zum Feiern verurteilt und ihre Familien dem
Elend überlaſſen. 5
Insgeſamt ein materieller Schaden von mindeſtens 2 Milliarden, dem man noch für 10 Jahre
den Produktionsausfall während des Wiederaufbaus hinzurechnen muß.
Es genügt der Hinweis auf dieſe Tatſachen, um Frankreichs Recht auf eine vollſtändige Reparation
klarzuſtellen.
3. Frankreich und die Nachkriegszeit.
a) Wenn Frankreich beim Friedensſchluß nicht in den Beſitz des Saarbeckens gelangen ſollte, würde
ſeine wirtſchaftliche Lage verhängnisvoll ſein.
Frankreich braucht dieſes Becken, nicht nur für Elſaß-Lothringen, das 7 Millionen Tonnen mehr
verbraucht, als es erzeugt, ſondern auch für ſich ſelbſt.
Vor dem Kriege führte Frankreich 23 Millionen Tonnen jährlich ein. Vergroͤßert durch Elſaß—
Lothringen, müßte es alſo ohne die Saarkohle ſelbſt nach Wiederherſtellung feiner Gruben in Nord-
frankreich 30 Millionen Tonnen und bis zu dieſer Wiederherſtellung 50 Millionen bei einem Geſamt—
von 75 Millionen einführen.
b) Dieſe Lage ergibt ſich genauer aus nachſtehender Überſicht, zu der Erläuterungen entbehrlich ſind.
Millionen Tonnen
Verbrauch von Kohle von Frankreich (191377 7· ꝶ·e· .. 63
» 8 „ Daß ⸗-Sethringen (19133) 12
insgefamt..... 75
Kohlenſörberung in Frankreich (1913)... ..-..c.uenncennneneeneriee 40
Zerſtörung der franzoͤſiſchen Gruben während des Krieges 20
Gegenwärtige Kohlenförderung in Frankreichh . Z Me. 20
» „ „ Elſaß Lothringen A 4
insgefamt.... 24
„e, nennen 51.
e) Mit anderen Worten, Frankreich wäre wirtſchaftlich von Deutſchland abhängig, das vermittels
der Kohle die Preiſe unſerer ganzen Kütteninduftrie im Oſten kontrollieren und fo unſere ganze Politik
würde.
Ubrigens haben die deutſchen Induſtriellen ſelbſt in einer Denkſchrift an den Reichskanzler vom
20. Mai 1915 geſchrieben: »Die Kohle iſt eins der entſcheidendſten Mittel politiſchen Einfluſſes. Die
Br I
neutralen Staaten find genötigt, demjenigen der Kriegführenden zu gehorchen, der ihnen ihren Bedarf
an Kohle verſchaffen kann.« .
Man würde alſo Deutſchland das wirtſchaftliche Übergewicht laſſen, wenn man ihm gegenüber
Frankreich ohne Kohle laſſen würde. 8
Man würde Frankreich nach dem Siege im Kriege die Niederlage im Frieden auferlegen.
4. Die Abtretung des Saarbeckens als Reparation iſt unerläßlich
aus einem allgemeineren Geſichtspunkt.
a) Nicht nur die Reparation mit Rückſicht auf den den franzöſiſchen Gruben zugefügten Sonder⸗
ſchaden ſteht in Frage, ſondern das ganze Problem der Schuld Deutſchlands gegenüber Frankreich.
Die Reparationen, zu denen Deutſchland Frankreich gegenüber verpflichtet iſt wegen der Ver⸗
wüſtungen, die es begangen hat, ſtellen ein ſchwieriges Finanzproblem dar, das ſich durch die berechtigten
Anſprüche anderer alliierter Mächte verwickelt geſtaltet. 4
Es ift zu bezweifeln, daß die Zahlungsmittel, über die Deutſchland gegenwärtig oder über die es
im Lauf der nächſten Jahre verfügen wird, auch nur entfernt die für dieſe Reparationen, die insgeſamt
1000 Milliarden betragen, nötigen Zahlen erreichen können. |
b) Es iſt fo'glich unerläßlich, daß Deutſchland fich ſowohl im Intereſſe feiner Gläubiger wie in
ſeinem eigenen Intereſſe unter den mannigfaltigſten Formen ſeiner Schulden entledigen kann.
Es muß hierbei an folgendes erinnert werden:
Deutſchland iſt einer der größten Kohlenproduzenten der Welt. Seine Förderung überſteigt ſeinen
Verbrauch (es förderte vor dem Kriege 191 Millionen Tonnen und verbrauchte davon 137), ohne die
87 Millionen Tonnen Braunkohle zu rechnen, was für 1914 eine Geſamtförderung von 278 Millionen
Tonnen ergibt. N
Die Kohlengruben ſtellen eine ſichere Einnahmequelle dar und ergeben ein leicht verwertbares
Produkt. |
Die Kohle hat, wie alle Rohſtoffe, ihren Wert in fich jelbit, unabhängig vom Wert der deutfchen
Deviſe, was eins der ſchwierigſten Probleme der finanziellen Regelung ausſcheidet. a
Unter dieſen Umſtänden gelangt man dazu, die Abtretung des deutſchen Teiles des Saarkohlen⸗
beckens als ein notwendiges Mittel für die Reparation zu betrachten, die Deutſchland Frankreich ſchuldet.
e) Im Saarbecken find im Jahre 1912/13 gefördert worden: .
Preußiſche Gruben „„ 12 730 000.
Bayeriſche Grub unn 77FCC0 an Fee 896 000 t
Lothringiſche runden 2.5.2. ru re 3 846 000 t
Insgeſamt ... . 17 472 000 t.
Die Produktion des im Norden der Grenze von Elſaß⸗Lothringen gelegenen Teiles des Beckens
beträgt alſo 13 626 000 t. 55 5
Es ift ſchwer, den Wert dieſer Gruben zu berechnen, ein Wert, der natürlich von dem Geſtehungs⸗
preis der Kohle, von dem Verkaufspreis, der Ausbeutungsdauer der Gruben uſw. abhängt.
Immerhin ſchätzt man den Kohlenreichtum des Beckens für die in weniger als 1000 m Teufe
ausgebauten Schichten auf 3 660 Millionen Tonnen. N
Es handelt ſich alſo um eine beträchtliche Einnahmequelle, die in die allgemeine Reparations⸗
rechnung einzuſtellen klug und gerecht iſt. *
5. Dieſe notwendige Reparation iſt eine leichte Reparation.
a) Die Saargruben gehören faſt in ihrer Geſamtheit dem preußiſchen und bayeriſchen Fiskus.
Geſamt fläche: 116 000 ha
Preußiſche Stantögenben se. 110 000 »
Bayeriſche Staatsgrube n 4000 »
Die Bewerkſtelligung der Abtretung von Staat zu Staat bietet keinerlei Schwierigkeit; die wenigen
Privatgruben können von Deutſchland ihren Beſitzern abgekauft und an den franzöſiſchen Staat abge⸗
treten werden. f
Wie oben angeführt iſt, wird das Saarbecken durch dieſe Abtretung an das Land zurückkommen,
das es entwickelt hat und das, nachdem es das Land entwickelt hatte, gewaltſam feiner beraubt worden iſt.
b) Die Abtretung wird keinerlei wirtſchaftlichen Bruch zur Folge haben. 3
Nach dem Süden iſt nämlich der wirtſchaftliche Abſatz dieſer Gruben gerichtet: denn im Norden
machen ihnen die weſtfäliſchen Kohlen Konkurrenz, denen gegenüber Preußen ſie immer zurückgeſetzt hat.
Es genügt, daran zu erinnern, daß aus dieſer Abſicht heraus Deutſchland ſich ſtändig einer Kanali⸗
ſation der Saar von Saarbrücken abwärts und der Moſel bis zum Rhein widerſetzt hat. Die einzige
Waſſerverkehrsſtraße, die es dem Saarbecken zu gewähren bereit war, war der Kohlenkanal, der gegen-
weärtig Endpunkte nur auf franzoͤſiſchem Gebiet hat, nämlich in Nancy einerſeits und in Straßburg
anderſeits. Man kann alſo ſagen, daß Deutſchland ſelbſt, um die Intereſſen des konkurrierenden weſt—
faliſchen Beckens zu fördern, dem Saarbecken den Abſatz in der Richtung auf Frankreich oder Elſaß—
Lothringen auferlegt und aufrechterhalten hat.
MMNMNoch bevor fie im Jahre 1793 franzöfiiche Bürger wurden, führten die Notabeln des Gebiets in
deiner Denkſchrift an die Vertreter des Volkes an, daß »der Handel, der Austauſch unſeres Eiſens, unſeres
Holzes und unſerer Kohle gegen die Erzeugniſſe der franzöſiſchen Fabrikanten die Anhänglichkeit der
Naſſauer für die Franzoſen gekittet und erhalten hat«.
Gegenwärtig find Elſaß⸗Lothringen, Frankreich, Italien und die Schweiz wichtige Käufer für das
N Die Rückkehr Elſaß⸗Lothringens an Frankreich und die Orientierung, die Deutſchland dem
n freiwillig gegeben hat, können in einer nahen Zukunft dieſe Lage nur weiter entwickeln.
) Schließlich wird auch der Schaden, den Deutſchland erleidet, nicht fo ſtark fein, daß er fein
wWirtſchaftliches Gleichgewicht in Frage ſtellt. Nachſtehende Überſicht läßt dies erkennen:
| Geſamtförderung Deutſchlands an Brennſtoff im Jahre 1913
eee ärssneineness rn eneneen 278 000 000 t,
/ / 2 essen na 13 626 000 »
Reſt . 264374000 ı.
Geſamtverbrauch im Jahre 19122. 197 000 000 »
Überſchuß nach Abtretung des Saarbedend....2...2......... 67 374 000 t.
6. Schlußfolgerung aus dem Grund ſatz der Reparation.
9 Sowohl als beſondere Reparation wegen der Zerſtörung ſeiner Gruben wie als notwendiges Mittel
für die Geſamtreparation iſt Frankreich berechtigt, das Saarbecken zu beanſpruchen.
Unter Saarbecken iſt zu verſtehen:
a) die ausgebeuteten Gruben,
b) die nicht ausgebeuteten Kohlenvorkommen;
e) die Induſtriegegend (Fabriken, Stahlwerke, Hochofen ufw.), die nur von dem Saarbecken
lebt und mit ihm eine Einheit bildet.
Auf die tiefbegründete Einheit dieſes Gebiets iſt vorſtehend hingewieſen worden.
Dias Gebiet in mehrere Stücke zu zerlegen, wäre ſein Untergang und eine Quelle unzähliger
Beelaſtigungen für die Bewohner.
5 Aus dieſen Gründen erſtreckt ſich der Mindeſtanſpruch Frankreichs unter dem Geſichtspunkt der
Reparation auf das durch folgende Linie begrenzte Gebiet:
Ausgehend von der Grenze von 1815 an dem Punkt, wo fie durch die franzöfifche Nied geſchnitten
wird, ſchließt dieſe Linie das Tal und die Dörfer der franzöſiſchen Nied ins Saarbecken ein, läuft über
Beckingen (ausſchließlich), Duppenweiler, Bettingen, Tholey, St. Wendel, Werſchweiler, Kubelberg,
2m öſtlich Homburg, Kirrberg, Einöd (alle genannten Ortſchaften einſchließlich) und erreicht die
Grenze von 1814/1815, indem fie der Kammlinie zwiſchen den Tälern der Blies und des Bickenhall folgt .
— 5 » =
* * *
Ar Am 28. März 1919 wurde die Angelegenheit zwifchen Clemenceau, Lloyd George
und Wilſon erörtert. Tardieu berichtet darüber:
Lloyd George wollte Frankreich zwar das Eigentum an den Kohlengruben zu—
geſtehen, war auch mit einer autonomen Organiſation für das Geſamtkohlenbecken ein—
verſtanden, widerſprach aber der Forderung nach der Grenze von 1815 mit den
Worten: »Laſſen Sie uns den von Deutſchland im Jahre 1871 namens eines angeb—
lichen geſchichtlichen Rechtes begangenen Fehler nicht erneuern. Laſſen Sie uns keine
neuen Elſaß-Lothringer ſchaffen.«
*
2
. ) Dieſe Grenze, die ungefähr nach der Grenze des Kohlenvorkommens gezogen iſt, iſt in der
Brenzfeſtſetzung, wie fie im Artikel 48 des Vertrags von Verſailles enthalten iſt, erheblich — um etwa ein
Achtel des jetzigen Saargebiets — überſchritten worden. Die Mitteilungen Tardieus geben keinen Auf—
ſchluß darüber, wie dieſe Grenzerweiterung zuſtande gekommen iſt. Zeitungsnachrichten zufolge iſt am
” 7. April 1919 eine Kommiſſion, beſtehend aus Aubert und Oberſtleutnant Requin für Frankreich,
Headlam Morley für England und Haskins für die Vereinigten Staaten in Saarbrücken eingetroffen
und hat Erweiterungen der Grenze in der Gegend von Mettlach und Homburg beſchloſſen. Wenn dies
richtig iſt, muß ſchon vorher eine Erweiterung der Grenze beſchloſſen worden ſein, namentlich in der
85 Gegend von Merzig. — Vgl. im übrigen Nr. 32.
4 K! 2
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1 9
BE RER
Wilſon lehnte ſowohl die Grenze von 1814 wie das Eigentum Frankreichs an
den Kohlengruben ab und wollte Frankreich nur das Recht auf eine feinem Förderungs—
ausfall entſprechende Kohlenmenge zugeſtehen. Er gab ſeinem Standpunkt in folgenden
Worten Ausdruck: »Niemals, in keiner einzigen Urkunde, hat Frankreich die Grenze
—
von 1814 verlangt. Die Friedensgrundlagen, die Frankreich angenommen hat,
ſprechen von der Wiedergutmachung des Unrechtes, das Frankreich im Jahre 1877
erlitten hat, nicht aber im Jahre 1815. Die Alliierten ſind durch dieſe Grundlagen
gebunden. Das geſchichtliche Argument, das Deutſchland gegen Frankreich benutzte,
um ihm Elfaß-Lothringen zu ſtehlen, iſt ein gefährliches Argument. Laſſen Sie uns
davon abſehen, uns ſeiner zu bedienen. Übrigens entſpricht die Grenze von 1814
in keiner Weiſe den gegebenen wirtſchaftlichen Verhältniſſen. Sie würde das Becken
vernichten, indem ſie es in zwei Teile zerſchneiden würde, ohne damit Frankreich die
Kohle zu verſchaffen. Eine Gebietsabtretung ohne ſofortige Volksabſtimmung wäre
unter dieſen Umſtänden unzuläſſig. |
Es gibt keine klügere Nation als die franzöſiſche. Wenn ich ihr freimütig
meinen Standpunkt auseinanderſetze, ſo fürchte ich ihr Urteil nicht. Ich habe eine
ſo hohe Vorſtellung von dem Geiſt der franzöſiſchen Nation, daß ich glaube, daß
ſie jederzeit ein auf die Gerechtigkeit gegründetes und mit Unparteilichkeit angewen⸗
detes Prinzip annehmen wird. 5
Ich glaube nicht, daß man dieſes Problem dem von ElſaßLothringen gleich—
ſtellen kann. Während eines halben Jahrhunderts waren die Augen der Welt auf
Elſaß⸗Lothringen gerichtet. Während eines halben Jahrhunderts hat die Welt niemals
an Elſaß⸗Lothringen als an ein deutſches Land gedacht. Die Frage der Grenze von
1814 hat nicht denſelben Charakter. Ich bin bereit, Frankreich die Nutzung der
Kohlengruben für eine begrenzte Zeit zuzuerkennen. Da aber keine Rede davon ſein
kann, den örtlichen Induſtrien die Kohle zu entziehen, ſcheint mir die Frage des a
Eigentums an den Kohlengruben als eine reine Gefühlsfrage.
Ich bedaure, daß ich dieſe Einwendungen mache, und bitte deshalb um Ent- 5
* 1
ſchuldigung. Es iſt mir peinlich, mich Frankreich zu widerſetzen. Aber ich konnte 8
nicht anders handeln, ohne meine Pflicht zu vernachläſſigen.«
Clemenceau antwortete hierauf folgendermaßen: »Ich habe einen gewichtigen a
Vorbehalt zu machen: Sie ſchalten das Gefühl und die Erinnerung aus. Die
Welt wird nicht von bloßen Prinzipien geleitet. Sie erklären ſich bereit, uns be-
züglich des wirtſchaftlichen Geſichtspunktes Gerechtigkeit werden zu laſſen, und ich
danke Ihnen dafür. Aber die wirtſchaftlichen Notwendigkeiten ſind nicht alles. Die
Geſchichte der Vereinigten Staaten iſt eine ruhmreiche Geſchichte, doch iſt ſie kurz.
120 Jahre ſind für Sie eine ſehr lange Periode. Für uns iſt es wenig. Wir
haben unſere eigene Auffaſſung von der Geſchichte, die nicht vollkommen dieſelbe ſein
kann wie die Ihrige. |
Die Prüfungen, die wir durchgemacht haben, haben bei uns das tiefe Gefühl
der Reparationen, die uns geſchuldet werden, hervorgerufen. Es handelt ſich nicht
nur um materielle Reparationen. Das Bedürfnis moraliſcher Reparationen iſt nicht
weniger groß
Ich kenne alles, was Sie für den Sieg getan haben. Aber ich glaube, daß
Sie nichts verlieren würden, wenn Sie in dieſer Frage ein Gefühlsmoment anerkennen
würden, das etwas an eres iſt als Ihre Prinzipien, das aber nicht weniger tief iſt.
Als damals die jungen Leute, La Fayette und Rochambeau, den Amerikanern
zu Hilfe eilten, die um ihre Unabhängigkeit kämpften, waren es nicht die kalte Ver⸗
nunft noch die immerhin etwas Gewöhnliches bedeutenden kriegeriſchen Taten, die
das Gedachtnis geſchaffen haben, das ſich an ihr Eingreifen knüpft. Es iſt ein tiefer
Eindruck, ein tiefes Gefühl, das für immer unfere beiden Nationen verbunden hat.
zu bin a7 in REN Monaten werde ich für immer das politiſche Leben
verlaffen haben. Meine Unintereſſiertheit iſt abſolut. Ich werde vor dem Parlament
die Ergebniſſe vertreten, zu denen wir gemeinſam gelangen werden. Wenn Sie mich
— aber r heute nicht anhören, dann werden Sie eine Gelegenheit verſäumen, ein Glied
mi 1 28 ae gegenfeitiger Zuneigung hinzuzufügen, die Frankreich und Amerika
bt in der Gegend dort wenigſtens 150 000 Menſchen, die Franzoſen ſind ).
ge, die im Jahre 1918 Adreſſen an den Präſidenten Poincaré ge—
42 haben für ſich Anſpruch auf Gerechtigkeit. Sie wollen die Rechte der
Bi achten; ich auch. Berückſichtigen Sie aber das Recht dieſer Franzoſen,
25 njo wie Sie dem geſchichtlichen Recht Böhmens und Polens Rechnung zu tragen
haben werden.
Wir werden die Erörterung bald wieder aufnehmen. Für den Augenblick bitte
1 Sie, wenn Sie allein ſein werden, an das zu denken, was ich ſoeben geſagt
* babe, und Nulenbaft zu prüfen, ob es nicht einen großen Teil Wahrheit
a ©" thält.«
2 Am Nachmittag desſelben Tages traten Clemenceau, Loucheur und Tardieu zu—
25 ce um die Bilanz aus dieſer Beſprechung zu ziehen. Der Anſpruch auf die
Grenze von 1814 ſei, berichtet Tardieu, hoffnungslos geweſen. Bezüglich des Eigen-
* Krane an den Kohlengruben und der Schaffung eines ſelbſtändigen Staates habe
zwar die Unterſtützung Englands vorgelegen, jedoch nicht mit ausreichenden Garantien
e die Ausbeutung der Gruben wie für die »Befreiung der Saarländer franzöſiſcher
ſſes. Bei Wilſon ſei der Widerſtand nur bezüglich des wirtſchaftlichen Geſichts—
punk s geringer geweſen. Deswegen ſei beſchloſſen worden, zunächſt bei dieſem
m unkt anzulegen und zugleich zwei weitere Grundſätze zu betonen, nämlich einmal,
daß die Ausbeutung der Gruben ein politiſches Sonderregime für das Saarbecken
verlange, und ferner, daß, falls die Verbündeten wegen der Deutſchen im Saarbecken
die ſofortige Vereinigung mit Frankreich für unmöglich halten ſollten, Frankreich
rel des Gebiets unter preußischer Herrſchaft nicht zuſtimmen könne, weil
5 zu viele Franzoſen nach Urſprung und Gefühl gebe. Dieſe drei Prinzipien
ſeien 1 zum Gegenſtand dreier Noten vom 29. März, I. und 5. April gemacht worden.
3 A veröffentlicht nur die erſte. Sie lautet in Überſetzung:
Note über die Saarfrage.
.
* verlangt zunächſt, daß die Friedenspräliminarien ihm für die Dauer garantieren:
a) das ſtändige Eigentum an allen Kohlengruben des Saarbeckens,
* ein wirtſchaftliches und politiſches Regime, das auf der Oberfläche die Ausbeutung des Boden—
inhalts geſtattet.
Wenn die Saarkohle ſich unter dem Boden der Ruhr befände, würde Frankreich nichts weiter als
die Keohle verlangen.
1 Wir verlangen mehr, weil der Boden der Saar franzöſiſch geweſen iſt.
Fur einen Teil faſt zwei Jahrhunderte lang.
Fiür einen Teil mehr als zwanzig Jahre lang. Und zwar ift dieſer Boden zur Zeit der Revolution,
% au einer Zeit, in der das Selbſtbeſtimmungsrecht der Volker zum erſtenmal angewendet wurde,
. dig dem einen und unteilbaren Frankreich durch den frei zum Ausdruck gekommenen Wunſch der
Be einverleibt worden.
Er iſt von Frankreich gegen den Willen ſeiner Bewohner losgeriſſen worden. Es war dies die
ſte Be i 3 des militäriſchen und e e r Preußens, ſobald es unſer Nachbar
Ai
W
Be"
2
.
.
"N
ER 5 Die: Bevölkerung des Saargebiets, einſchließlich der Gegend von Saarlouis, 10 rein deutſch.
Die Zahl der nichtdeutſchen Elemente iſt verſchwindend gering. Die Zahl 150 000, d. h. etwa ein
1 Bee! der kanns, iſt unerklärlich.
2*
2
a 5
.
— 10 —
Allerdings iſt auf dieſem ſeit 100 Jahren germaniſierten Boden die Mehrheit der Bevölkerung
germaniſch, weil ſie eingewandert iſt.
Dieſen Sachverhalt erkennen wir an, indem wir nicht die Annexion verlangen. Andererſeits
beſtehen wir auf einer Löſung, die, wenigſtens teilweiſe, die unverjährbaren Rechte Frankreichs auf ein
Land anerkennt, das zu einem franzöſiſchen Lande durch den Willen feiner Bewohner geweiht worden ift.
Dies Land war franzöſiſch. Dieſe Tatſache ſchafft eine Vermutung, daß es gern wieder franzöſiſch
werden wird. Das Beiſpiel Elſaß-Lothringens beweiſt es. Schon heute wiſſen wir, daß die Mehrheit
der Bevölkerung von Saarlouis bereit iſt, ihre Wiedervereinigung mit Frankreich zu verlangen.
Um die Zeit in voller Billigkeit das rückgängig machen zu laſſen, was vor einem Jahrhundert durch N
Gewalt begangen worden iſt, iſt es angezeigt, die Frage der Souveränität über dies Gebiet gegen—
wärtig nicht anzuſchneiden. f
Vorübergehend ſoll das Gebiet weder unter die Souveränität Deutſchlands noch unter die
Souveränität Frankreichs geſtellt werden. Es ſoll unter der Obhut des Völkerbundes ſtehen.
Die Deutſchen des Gebiets ſollen ihre Staatsangehörigkeit behalten. Aber als Deutſche, die im
Ausland leben, ſollen ſie nicht an den Wahlen zu den deutſchen Vertretungen teilnehmen.
Sie ſollen für die örtlichen Vertretungen (Kreistage, Stadtverordnetenkollegien) das Stimmrecht
ausüben dürfen.
Die von der Zentralbehörde ernannten deutſchen Beamten ſollen beſeitigt werden.
Den Deutſchen, die ihr Land verlaſſen wollen, ſollen alle Erleichterungen und Garantien für die
Flüſſigmachung ihres Beſitzes gewährt werden. 5
Frankreich ſoll vom Völkerbund ein zweifaches Mandat erhalten:
1. Militäriſche Beſetzung; I 2
2. Aufficht über oder Vetorecht in der Lokalverwaltung (einfchließlich Unterrichtsweſen). Ernennung
der Bürgermeiſter und Beigeordneten. 5
Die franzöſiſche Staatsangehörigkeit ſoll individuell und nach Prüfung des Falles den Perſonen
verliehen werden, die darum nachſuchen.
An dem Tage, an dem in jedem der hauptſächlichſten Verwaltungsbezirke die Mehrzahl der Wähler
die franzöſiſche Staatsangehörigkeit erworben haben wird, oder einfach an dem Tage, an dem der Kreistag
die Annexion an Frankreich verlangen wird, ſoll dieſe Annexion rechtsgültig werden nach Bewilligung
durch den Völkerbund.
Nach Ablauf von 15 Jahren ſollen alle Bewohner, die nicht bereits ihren Willen kundgegeben
haben, befragt werden. Vor dieſem Datum ſoll kein Antrag auf Vereinigung mit Deutſchland in
Erwägung gezogen werden, da dieſe Friſt von 15 Jahren gerade deshalb vorgeſehen iſt, um die Zeit
handeln zu laſſen und die Bevölkerung in die Lage zu verſetzen, gerecht und frei über die Souveränität
zu entſcheiden. Preußen hat für ſich 100 Jahre gehabt, um ſein Werk der Gewalt zu befeſtigen. |
Die vorſtehend umſchriebene Löſung ermöglicht die Antwort auf die beiden Einwendungen, die dem
Verlangen Frankreichs gegenüber gemacht worden ſind.
Erſte Einwendung: Es iſt dies ein neuer Anſpruch Frankreichs, das bisher nur vom Elſaß
und von Lothringen geſprochen hat.
Es handelt ſich auch hier ſehr wohl um das Elſaß und um Lothringen; denn es handelt ſich um
deren Grenze. Das franzöſiſche Lothringen, im Jahre 1871 amputiert, war ſchon im Jahre 1815
amputiert worden. Ohne Zweifel hat die verfloſſene Zeit die ältere Grenze gegenüber der ſpäteren in den
Hintergrund treten laſſen. Die vorgeſchlagene Löſung trägt aber dieſer Verſchiebung Rechnung,
Das Lothringen von Metz und Thionville wird ſofort desannektiert; dem Saarbrücker Lothringen
wird Zeit gelaſſen, zu entſcheiden, welchem der beiden Länder, die es beſeſſen haben, es endgültig ange⸗
gliedert werden will, in Berückſichtigung des Umſtandes, daß ſeine Angliederung an Preußen das Werk
der Gewalt war.
Zweite Einwendung: Es wird eine Breſche in das Prinzip des Selbſtbeſtimmungsrechtes
der Völker gelegt.
Nein! Nichts Endgültiges, nichts Unverbeſſerliches wird beſchloſſen. Es iſt im Gegenteil eine
Verbeugung vor dieſem Prinzip, vor den möglichen Bedenken, die der doppelte hiſtoriſche Titel
Frankreichs und Deutſchlands hervorruft, wenn man die Bevölkerung in die Lage verſetzt, über etwas
zu entſcheiden, worüber Deutſchland — im Gegenſatz zu Frankreich — ſie niemals befragt hat: über
die Souveränität, unter der ſie endgültig leben wollen. N
Wenn alſo, um es zuſammenzufaſſen, einerſeits die Rechte Frankreichs auf das Saargebiet unſeren
Verbündeten nicht ausreichend erſcheinen, um eine ſofortige Rückannexion zu rechtfertigen, ſo erſcheinen
andererſeits diefe Rechte in den Augen Frankreichs zu bedeutſam, als daß es ſich damit einverſtanden
erklären könnte, daß die Souveränität über das Saargebiet durch den Vertrag endgültig für Deutſchland
bekräftigt wird. Ein Zwiſchenregime muß alſo geprüft werden.
Im Anſchluß an dieſe Darlegungen wurden nach dem Bericht von Tardieu die
Beſtimmungen über die Kohlengruben erörtert. Am 31. März ſtimmte Wilſon dem
Am
1
Br ar N
gang des Eigentums
orſchlag:
»ees beſteht grundſätzliches Einverſtändnis über folgendes:
I. Das volle Eigentum an den Kohlengruben des Saarbeckens ſoll an Frankreich übergehen und
Deutſchland auf Reparationskonto gutgebracht werden.
2. Für die Ausbeutung dieſer Kohlengruben ſollen Frankreich die weiteſtgehenden Erleichterungen
hrt werden, namentlich:
a) Befreiung von Abgaben ſeitens Deutſchlands, einſchließlich Ein» und Ausfuhrabgaben;
u b) abſolute Bewegungsfreiheit für die Arbeiterſchaft, ſowohl fremde als örtliche;
0) Freiheit für die Entwickelung der Verkehrsmittel auf dem Schienen- und dem Waſſerwege,
dd) Prüfung der notwendigen politiſchen und adminiſtrativen Abmachungen, um die vorerwähnten
Etrgebniſſe ſicherzuſtellen.« N
Auf dieſen Vorſchlag hin, zu dem Clemenceau zunächſt keine Stellung nahm,
| wurde, wie Tardieu weiter berichtet, ein Ausſchuß gebildet, worin Frankreich durch
Tardieu mit Unterſtützung von Aubert und Deflinne, die Vereinigten Staaten dur
Er; f 9
Prof. Charles H. Haskins und England durch Headlam Morley vertreten waren.
Nach 10 Sitzungen war Einigkeit über die Ausbeutung der Kohlengruben erzielt;
die franzöſiſchen Vorſchläge hierüber wurden mit gewiſſen Ergänzungen angenommen.
Dies genügte aber Tardieu nicht. Er erreichte ſchließlich von feinen Mitarbeitern die
Unterſchrift unter folgender Erklärung:
»Die Unterzeichneten ſtimmen darin überein, daß, wenn die vorerwähnten Artikel, deren Be—
ſtimmungen aus wirtſchaftlichen und ſozialen Geſichtspunkten notwendig erſcheinen, ohne Errichtung eines
adminiftcativen und politiſchen Sonderregimes ang wandt werden ſollten, ernſte Schwierigkeiten und Kon—
flikte unvermeidlich entſtehen würden.
an den Kohlengruben an Frankreich zu. Er machte folgenden
gew
gez. André Tardieu,
Charles H. Haskins.
Hendlam Morley«.
entweder die Errichtung eines unabhängigen, mit Frankreich durch eine Zollunion
verbundenen Staates oder die Souveränität des Völkerbundes mit Mandat für
Frankreich und Volksabſtimmung nach 15 Jahren vorſchlug, machte Lloyd Georges
zwei ähnliche Vorſchläge. Er gab feiner Meinung folgendermaßen Ausdruck:
ch möchte dem Saargebiet die Unabhängigkeit unter der Autorität des Völker—
bundes geben. Eine Zollunion würde das Becken mit Frankreich verbinden. In
der Tat exiſtiert kein natürliches wirtſchaftliches Band zwiſchen dieſem Gebiet und
Dieutſchland. Es hat nur Beziehungen mit Elſaß Lothringen). Wir dürfen ferner
32 7
) Die wirtſchaftlichen Beziehungen des Saargebiets zu Deutſchland einerſeits und Elſaß Lothringen
andererſeits find erſichtlich aus folgenden, für das Jahr 1913 geltenden ſtatiſtiſchen Angaben, die ſich
auf das ungefähr dem heutigen Saargebiet entſprechende Gebiet, jedoch mit Ausſchluß des pfälziſchen
Teiles, beziehen:
* Ausfuhr: Von dem Abſatz an Steinkohle entfiel
%%% ĩ ͤ— . ne de 44,5 v. H.,
c ĩ i 25,2 „
t aa a a u et 12,7 »
TE RE N RE ER 8,0 „
/ ⁰ũmĩmꝛFm2 6,2 »
// c De 30 »
Von der Kokserzeugung wurden abgeſetzt:
6 , ˙ . aan Se De Free 89,4 v. H.,
671 ̃ in . ²ꝑ̃ n ae wich alte 098 „
% AAA •˙-a ] ·.m ee 8,5 »
ande rr ð ß cn ae aan 122
Teer, Pech, Aſphalt und Harz hatten ihren Abſatz faſt ausſchließlich in Deutſchland.
9 Die (verhältnismäßig geringe) Ausfuhr von Roheiſen (Luppen und rohe Blöcke) ging faſt
3 ganz nach Deutſchland.
5 Bei Stab» und Formeiſen, Eiſenbahnſchienen, Eiſenbahnſchwellen, eiſernen Röhren und Säulen
betrug der Anteil Deutſchlands an der Ausfuhrmenge ¼ bis ¼
Von der Ausfuhr an Thomasmehl entfielen auf Deutſchland 80,0 v. H.
auch nicht vergeſſen, daß dieſes Land zum großen Teil franspſe Ae iſt bis
zum Anfang des 19. Jahrhunderts, und daß es Frankreich mit Gewalt und trotz
des Widerſpruchs der engliſchen Staatsmänner weggenommen iſt. %
Wir find gegen jede Annexion. Aber wir glauben nicht, daß man dieſe
Gegend lebensfähig erhalten kann, wenn man ſie nicht zu einer politiſchen Einheit
geſtaltet. |
Ich bin überzeugt, daß, wenn nach einigen Jahren eine Volksabſtimmung!
. würde, die Bevölkerung nicht verlangen würde, zu Deutſchland zurück
zukehren.«
Wilſon wurde in dieſer Sitzung durch Oberſt Houſe vertreten. Dieſer erklärte,
die vorgeſchlagenen Löſungen ſeien »in jeder Weiſe intereſſant und einer ſorgfältigen
Prüfung werte, Am Nachmittag des gleichen Tages erneuerte aber Wilſon ſeine
Einwendungen, indem er zwar den wirtſchaftlichen Vorſchlägen, nicht aber einer
Anderung oder auch nur einer Suspendierung der Souveränität zuſtimmte und ebenſo
den Gedanken eines Mandats verwarf In einer Note ſchlug er eine ſchiedsgericht⸗
liche Kommiſſion vor, die die Schwierigkeiten zwiſchen den franzöſiſchen Gruben und
der Deutſchen Regierung entſcheiden ſollten. Da Clemenceau dieſen Vorſchlag ab⸗
lehnte und Wilſon dabei verharrte, kam eine Einigung nicht zuſtande. 5
Am Abend des 8. April fand eine neue Beratung zwiſchen Clemenceau, | ouch;
und Tardieu ſtatt, in der beſchloſſen wurde, nicht weiter nachzugeben. Der franzöſiſche a
Standpunkt wurde in folgender, von Tardieu noch in der Nacht N Rz
‚niedergelegt: .
Antwort auf die Note des Herrn Präſidenten Wilſon vom 8. April.
I Vorbemerkungen.
Die von dem Herrn Präſidenten Wilſon Herrn Clemenceau am 31. März überreichte Note lautete
folgendermaßen: Br.
Es beſteht grundſätzliches Einverſtändnis über folgendes: ö
1. Das volle Eigentum an den Kohlengruben des Saarbeckens ſoll auf Frankreich abergehen and
Deutſchland auf Reparationskonto gutgebracht werden.
2. Für die Ausbeutung dieſer Kohlengruben ſollen e die weitgehendſten wirtſchaftlichen er- 8
leichterungen gewährt werden, nämlich: N 5
a) Befreiung von Abgaben ſeitens Deutſchlands, einſchließlich Ein⸗ und Ausfuhrabgabe;
b) abſolute Bewegungsfreiheit für die Arbeiterschaft, ſowohl fremde als örtliche; ee
c) Freiheit für die Entwicklung der Verkehrsmittel auf dem Schienen- und Waſſerwege; 8
d) Prüfung der notwendigen politiſchen und adminiſtrativen Abmachungen, um die vorerwähnten f
Ergebniſſe ſicherzuſtellen. *
Von ber Ausfuhr an Glas und Glaswaren, Tonwaren und Porzellan entfielen auf deu
land 80 bis 90 v. H. N
Die weiterverarbeitenden Induſtrien ſetzten ihre Erzeugniſſe zu 80 bis 100 v. H. auf dem 5 = 5
deutſchen Markte ab, wovon 60 bis 80 v. H. auf die rechte Rheinſeite entfielen. Per
Einfuhr: Von der Einfuhr an Eiſenerz entfielen:
auf Elfaß⸗Loth ringen 83,0 v. H., 1
e Deiiſchlanun rere A 3,0 » e
„ f. re ee 95 f N
„ freinde Nandendd ee 10,4 » e
An der Einfuhr von Roheiſen waren beteiligt: N
Deutſchland md er ee ee 17,0 v. H.,
Elſaß⸗Lothringen mit ....... 222 7
Luxemburg mii Maenner 80 „
andere Länder mit er 58,0 '»
Die Einfuhr an Koks und Braunkohlenbriketts erfolgte faſt ausſchließlich aus Deutſchland.
Bei den ſonſtigen wichtigeren Einfuhrgütern (Weizen, Roggen, Hafer, Kartoffeln, Mehl, 8 8
Müllereierzeugniſſe, Kleie, Teer, Rundholz, Nutzholz, Brennholz, Eiſenbahnſchwellen, 1
Grubenholz, Petroleum und anderen Mineralölen, Naphthalin, Steinkohlen⸗ und Teeröbl,
Schwefelſäure, Chem kalien, gebranntem Kalk, Zement) überwog die Zufuhr aus Deutſch⸗ 5
land erheblich; ungefähr / dieſer Erzeugniſfe ſtammten aus Deutſchland einzelne, wie
3: B. Chemikalien kamen ganz aus Deutſchland, nur wenige, wie z. B. gebrannter Kalk, HER ;
ganz aus Elfaß⸗Lothringen. 182
Vgl. im übrigen Nr. 175.
8 2 3 40
Sach verſtän digen haben f lächelt abi geäußert, daß ihres Erachtens einige von dieſen
gen in der Pragis unvermeidliche Reibungen und Konflikte verurſachen würden, wenn nicht
ſches und adminiſtratives Sonderregime eingeführt würde.
die von dem Herrn Präſidenten Wilſon am 8. April überreichte Note nimmt vorbehaltlich gewiſſer
Abänderungen den Entwurf für die wirtſchaftlichen Beſtimmungen an, enthält aber keinerlei politiſche
un adminiſtrative Beſtimmungen.
Be: 9505 ſieht die Schaffung eines Schiedsgerichts vor, das über Konflikte entſcheiden ſoll, aber ſie
n nichts für die Vermeidung derartiger Konflikte.
anderen Worten, die Note vom 8. April erkennt an, daß Konflikte entſtehen werden und
t ſich darauf, eine Gerichtsbarkeit einzuſetzen, die in jedem Einzelfall zwiſchen Frankreich und
den. wird. So wird das Saarbecken in letzter Linie durch einen Gerichtshof ver
in Letartiges Regime ſtändiger Prozeſſe ſcheint unannehmbar nicht nur für Frankreich und
lan, ſondern ach im Intereſſe der Bevölkerung des Saarbeckens und im Intereſſe des Welt—
2 II. Beiſpiele für ſichere Konflikte.
Saß Konflikte ſicher ſind, beweiſt die Prüfung der Artikel. Beiſpiele:
Artikel 9. Wenn die Souveränität Deutſchlands und die deutſche Verwaltung beſtehenbleiben,
= e ſoll es dann möglich ſein, die franzöſiſche Geſetzgebung über Arbeitsweſen, Ergänzung der Arbeiterſchaft,
Löt ung Nie. auf einen Teil der Arbeiter des Saargebiets anzuwenden?
ö . Ausübung der Polizeigewalt und der Gerichtsbarkeit in Einklang bringen?
% 1 14. Wie ſoll Frankreich ſeine Aufſicht über die Regelung des Bergweſens, der Induſtrie
d der ſozialen Verhältniſſe ausüben können, wenn ihm keinerlei Souveränitäts⸗ oder Verwaltungs
ugniſſe übertragen werden? Angenommen, daß durch die in Weimar beſchloſſenen Geſetze der Arbeitstag
r eine die Kohlengruben verſorgende elektriſche Kraftzentrale auf 6 Stunden herabgeſetzt werden ſollte,
e ſollten die Gruben nach dem dem franzöſiſchen Recht entſprechenden Regime J Stunden arbeiten?
Artikel 16. Wie ſoll das Saargebiet dem franzöſiſchen Zollſyſtem unterworfen werden, wenn
kreich dort keine Verwaltungsbeamten und keine anderen Rechte als das Eigentum an den Kohlengruben
Es gibt keine Zölle ohne Zollbeamte.
Alle dieſe Artikel ſind wirtſchaftlich notwendig und gerecht, erfordern aber eine adminiſtrative und
ſche Ergänzung, wie fie die Sachverſtändigen verlangt haben, wie fie aber die Note vom 8. April
cht n Man könnte die Beiſpiele vermehren.
III. Allgemeine Folgen des vorgeſchlagenen Syſtems.
Nach dem Inhalt der von dem Herrn Präſidenten Wilſon angeregten Löſung ſoll die Sachlage
*
F Die Bewohner ſollen im Reichstag vertreten fein, wo Zwiſchenfälle künſtlich werden hervor—
eruf t werden können.
* Die ganze deutſche und preußiſche Verwaltungsorganiſation, die das Gebiet ſeit hundert Jahren
tet, ſoll aufrechterhalten werden. N
3. Jede von der franzöſiſchen Regierung getroffene wirtſchaftliche Maßnahme wird, auch wenn ſie
ſo unentbehrlich iſt, von den deutſchen Behörden unbegrenzt verſchleppt werden können, da es für
f örden hierfür genügen wird, einen Prozeß vor dem Schiedsgerichtshof anzuſtrengen.
3 Wenn die dem franzöſiſchen Arbeitsrecht unterſtellten 72 000 Arbeiter in den Streik treten,
welch Geſetzgebung ſoll anwendbar ſein?
Man wird ſo dahin gelangen, in dem Gebiet die franzöſiſch⸗deutſchen Reibungen zu vervielfältigen,
ie ie dann ihre Rückwirkung auf die geſamten Beziehungen der beiden Länder ausüben werden; ein drt-
es Sondergericht iſt nicht das Mittel, wodurch das jo geſchehene Übel wieder gut gemacht werden kann.
1 Saarbecken wird unter einem derartigen Regime ein europäiſches Marokko werden mit allen
* dinge der Algeciras⸗Akte, noch dazu in erſchwerter Form. Es wird ein Kampfplatz und ein Nähr-
= on für einen beſtändigen deutſch⸗franzöſiſchen Konflikt werden.
*
IV. Vereitelung der beiden weſentlichen Intereſſen Frankreichs.
Die vorgeſchlagene Kombination befriedigt außerdem keines der beiden weſentlichen Intereſſen, die
sg vertreten muß.
ffs der Bodenſchätze: Das Eigentum an den Kohlengruben für ſtändige Dauer iſt durch
Präſidenten Wilſon an Herrn Clemenceau vom 31. März feſtgeſtellt worden. Frankreich
gt, daß dieſe Kohle, auf die es zwecks Reparation Anſpruch hat, ihm unentbehrlich iſt für
reich ſelbſt und für Elſaß⸗Lothringen. Die Note vom 8. April faßt nun die glatte und einfache
retung dieſes Eigentumsrechtes nach 15 Jahren ins Auge. Dies kann Frankreich nicht unterſchreiben.
2 2 Betreffs des Gebiets in ſeiner Oberfläche: Auf den erſten franzöſiſchen Antrag hat der Prä—
at der Vereinigten Staaten eingewandt, es gäbe in dieſem, zum großen Teil franzöſiſchen Gebiet zu
wanderte Deutſche, als daß eine ſofortige Vereinigung mit Frankreich annehmbar ſei. Die
Regierung hat ſich am 29. März einverſtanden erklärt, eine andere Loͤſung zu prüfen. Sie
e erklärt, daß es in dieſem ſelben Gebiete zu viele ſchon jetzt nach Frankreich gerichtete
EL
franzöſiſche Elemente gäbe, als daß Frankreich darauf verzichten könnte, ihnen für die Zukunft ihr Recht
auf Vereinigung mit Frankreich zu ſichern. Damit nun dieſe Vereinigung in 15 Jahren das Ergebnis
der freien Willensäußerung der Bevölkerung ſein kann, iſt die Mindeſtbedingung, daß man die Bevölkerung
bis dahin der Bedrückung durch die preußiſche Verwaltung entzieht, die ſie ſeit 100 Jahren erduldet.
Dieſe Verwaltung (Wahlen, Beamte uſw), deren Aufrechterhaltung die Note vom 8. April vorſieht,
wird in der Tat den Deutſchen den Vorteil des Terrors ſichern, mit dem ſie immer regiert haben, und
wird den Bewohnern das fair chance der Befreiung entziehen, das Frankreich ihnen verſchaffen will.
Frankreich ſtimmt zu, daß alle Garantien, ſelbſt die der Staatsangehörigkeit, den einzelnen Bewohnern
gegeben werden, aber es kann nicht zugeben, daß das ihm übertragene wirtſchaftliche und ſoziale Mandat
jede Minute belaſtet wird durch die Ausübung der preußiſchen Souveränität und Verwaltung.
V. Schluß.
Um es zuſammenzufaſſen, ſo iſt die franzöſiſche Regierung nach aufmerkſamer Prüfung der Note des
Herrn Präſidenten Wilſon vom 8. April der Anſicht, daß dieſe Note
1. nicht die adminiſtrativen und politiſchen Klauſeln enthält, die der Bericht der Sachverſtändigen
vom 5. April zwecks Vermeidung von Konflikten für unerläßlich hält,
2. daß ſie deswegen eine große Gefahr für örtliche und allgemeine Verwickelungen in ſich birgt;
3. daß ſie Deutſchland ein ſtändiges Mittel der Obſtruktion gegen die franzöſiſche Ausbeutung
der Kohlengruben des Beckens liefert;
4
5
daß ſie nach Ablauf von 15 Jahren das durch die Note des Präſidenten Wilſon vom
31. März gebilligte Eigentumsrecht Frankreichs an den Kohlengruben völlig in Frage jtellt;
daß ſie der Bevölkerung im Hinblick auf die vorgeſchlagene Volksabſtimmung nicht die nach
100 Jahren preußiſcher Bedrückung unerläßlichen Garantien gewährt.
Die franzöſiſche Regierung wünſcht demnach ſich an einen der Vorſchläge von Herrn Lloyd George
zu halten, die den von ihr ſelbſt formulierten entſprechen. 5 a
Sie iſt bereit, ſie entſprechend den Anregungen des Herrn Präſidenten Wilſon zu ergänzen:
a) durch eine Volksabſtimmung nach 15 Jahren,
b) durch einen Schiedsgerichtshof, der den Auftrag hat, die bei der Anwendung der einen oder
anderen dieſer drei Löſungen möglichen Meinungsverſchiedenheiten zu entſcheiden. f
In der Sitzung vom 9. April vormittags ſtimmte Lloyd George dem franzö⸗
ſiſchen Vorſchag vollkommen zu. Wilſon leiſtete noch Widerſtand und machte am
ſelben Nachmittag einen neuen Vorſchlag, wonach ohne Übertragung eines Mandats
an Frankreich die von ihm vorher angeregte ſchiedsgerichtliche Kommiſſion zu einer
Verwaltungskommiſſion umgewandelt werden ſollte. Tardieu ſtellte hierbei dem
Präſidenten Wilſon folgende drei Grundfragen:
1. Wird die deutſche Souveränität in der Schwebe gelaſſen werden?
2. Wird die Kommiſſion alle Befugniſſe haben einſchließlich des Rechts, Be-
amte abzuberufen?
3. Werden die Wahlen zum Reichstag unterbunden werden?
Wilſon bejahte alle drei Fragen. Hierauf wurden Tardieu, Haskins und Morley
mit der Ausarbeitung des Vertragstextes beauftragt. Am 10. April war der Text
fertiggeſtellt.
Tardieu knüpft hieran noch ein Wort der Verteidigung gegen die an den Be⸗
ſtimmungen über das Saarbecken geübte Kritik, ſowohl derer, die dieſe Beſtimmung
unzureichend finden, wie derer, die ſie als mißbräuchlich, gehäſſig, heuchleriſch und
beleidigend für die Freiheit der Völker bezeichnen. »Herr Keynes hat«, ſchreibt
Tardieu, »Wort für Wort die von dem Grafen Brockdorff-Rantzau in ſeiner Note
vom 29. Mai 1919 entwickelten Argumente wiedergegeben, und bei franzöſiſchen
Sozialiſten hat er ein Echo gefunden. Auf dieſe ſchlechten Gründe gibt der Augen-
ſchein ſelbſt die Antwort. Iſt die Löſung des Saarproblems „imperialiſtiſch“?
Vielleicht wäre dies bei einer glatten und einfachen Rückannexion an Frankreich der
Fall geweſen. An Stelle dieſer Rückannexion ſetzt aber der Vertrag die Volt.
abſtimmung, die das Recht der Einwohner achtet. Ohne die Volksabſtimmung hätte
es nur folgende zwei Möglichkeiten gegeben: entweder die Annexion an Frankreich,
wobei der deutſchen Bevölkerung das Recht auf freie Abſtimmung entzogen worden
wäre, oder die Aufrechterhaltung des status quo, wobei annähernd 150 000 Saar⸗
länder — nach Herz und Willen ebenſo Franzoſen wie die Elſäſſer und Lothringer —
auf immer unter dem deutſchen Stiefel geblieben wären. Die Friedenskonferenz hat
weder die erſte noch die zweite dieſer beiden Löſungen gewollt, und indem fie weder
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die eine noch die andere wollte, iſt ſie durch ihre eigenen Bedenken zu der Löſung
gelangt, die der Vertrag enthält. Man ſage nicht, daß es, um die Schwierigkeiten
zu vermeiden, genügt hätte, alsbald eine Volksabſtimmung vorzunehmen, denn unter
der Laſt eines Jahrhunderts preußiſcher Bedrückung hätte eine ſofortige Abſtimmung
ein falſches Bild ergeben, und die Saarfranzoſen wären geopfert worden.«
Tardieu ſchließt ſeinen Bericht mit folgenden Worten:
Br; Er »Dies iſt die Löſung des Vertrags. Gewiß verwickelt, weil das Problem ver-
wickelt war, weil Frankreich es zu tun hatte mit Verbündeten, die durch ehrenhafte
ar Bedenken zurückgehalten wurden und oft unfähig waren, die Dinge von demfelben
Standpunkte aus zu beurteilen wie Frankreich; aber auch eine gerechte Löſung, weil
ſſie, auch in dieſer Komplexität, allen auf dem Spiele ſtehenden Intereſſen Rechnung
trägt... Anfang Juli 1919 iſt der Bürgermeiſter von Saarlouis in Begleitung
einer Delegation erſchienen, um Herrn Clemenceau die Dankbarkeit feiner Mitbürger
zum Ausdruck zu bringen. Am 10. Januar 1920 haben unſere Ingenieure Beſitz
= von den Gruben des Kohlenbeckens ergriffen. Einige Tage ſpäter hat ſich die
En» Regierungskommiſſion unter dem Vorſitz eines Franzoſen in Saarbrücken nieder:
gelaſſen und dort in einigen Monaten für das Wohl der Bewohner gute und nütz—
liche Arbeit verrichtet. Dies muß man feſthalten, mehr als die gleisneriſchen Proteſte
der Deutſchen. Solange dieſe ſich als Sieger gefühlt haben, beabſichtigten ſie, Belgien
und fünf franzöſiſche Departements zu annektieren.«
*
*
= II.
Nr. 2.
25 Hiſtoriſche Beleuchtung der franzöſiſchen Anſprüche auf das Saarbecken.
I Von Profeſſor Hermann Oncken
(Abgekürzte Wiedergabe eines in der »Woche« Nr. 10 vom 8. März 1919
erſchienenen Artikels.)
a Die franzöſiſche Publiziſtik hat den hiſtoriſchen Rechtstitel ins Feld geführt;
dDieſen gilt es, in feinen entſcheidenden Poſitionen nachzuprüfen. Ich laſſe dabei
bpoöllig die hiſtoriſchen Antiquitäten beiſeite, die ſich mit den Sitzen des alten Kelten-
. tums in dieſer Gegend, mit dem Rhein als Grenze Galliens oder mit den karo—
llingiſchen Teilreichen des 9. Jahrhunderts beſchäftigen. Wir haben auch bei uns
patriotiſche Narren gehabt, die mit ähnlichen Reminiſzenzen aus einer toten Ver:
gangenheit einen beliebigen unberechtigten Eroberungsanſpruch zu begründen ver—
meinten. Wir haben ſie zum Schweigen gebracht, aber lehnen es ebenſo ab, die
ihnen wahlverwandten Narren im Feindeslager ernſt zu nehmen. Daher begnügen
wir uns mit der jedem Hiſtoriker hüben und drüben vertrauten Feſtſtellung, daß ſeit
dem Ausgang des 9. bzw. ſeit der Mitte des 10. Jahrhunderts auch die Gebiete,
zu denen das Saarbecken zu rechnen iſt, Teile des Deutſchen Reiches ſind und ſeit—
5 dem mit ihrer Bevölkerung und ihren Einrichtungen, mit ihrer Arbeit und ihrer
Kultur dem deutſchen Staat und dem deutſchen Volkstum zugehört haben.
Mit zwei ganz kurzen Unterbrechungen. Denn innerhalb dieſer Periode von faſt
eeinem Jahrtauſend, die wir überblicken können, gibt es zwei begrenzte und epiſodenhafte
A3 wiſchenſpiele, die die Franzoſen heute in einen hiſtoriſchen Nechtstitel zu verwandeln
9 bemüht find. Nur in den Jahren 1680 bis 1697 und in den Jahren 1801 bis
13815 hat Saarbrücken überhaupt (Saarlouis auch in der dazwiſchenliegenden Periode)
zum franzöſiſchen Staat gehört. Dieſe beiden hiſtoriſchen Intermezzi fallen beide
Male in die Gipfelpunkte einer hegemoniſchen Eroberung, die nach allen Seiten, über
| die franzöſiſchen Sprachgrenzen hinaus, in Europa um ſich griff: unter Ludwig XIV.
und unter Napoleon I. Beide Intermezzi find von der bewaffneten Gegenwehr des
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bedrohten Europa nach kurzer Friſt wieder der völkerrechtlichen Reviſion unter Her⸗ 8
ſtellung des alten Rechtszuſtandes unterworfen worden. Würdigen wir dieſe beiden 8
Epiſoden im einzelnen, ob ſich aus ihnen irgendein Recht herleiten läßt, ſie in der
heutigen Welt gewaltſam zu erneuern.
Der erſte Verſuch der Franzoſen, ſich im Saargebiet feſtzuſetzen, fällt in die
Zeit nach dem Frieden von Nymwegen. In den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts
verſuchte Ludwig XIV. mitten im Frieden das Gebiet an ſich zu reißen, und als die mil
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täriſche Gewalt von deutſchen Reichstruppen wieder hinausgeworfen worden war, verfiel
man in Paris auf den Ausweg des »Rechtes«, wie ihn dieſe grundſätzliche Exoberungs—
politik damals verſtand. Die Metzer Reunionskammer vom 17. Oktober 1680 legte
der Gräfin Eleonore Klara von Naſſau-Saarbrücken die Verpflichtung auf, ihr Land
als ehemaliges Lehen des Metzer Bistums von der Krone Frankreich zu Lehen zu 5
nehmen, und am 9. Januar 1681 mußte die Bedrohte, der Macht ſich beugend, ſich
dem franzöſiſchen Anſinnen fügen. Über die Methoden dieſer Reunionspolitik, deren
Sprüche aus der Macht ein Recht zu machen ſuchten, hören wir zunächſt die all⸗
gemeinen Urteile der Franzoſen von damals und heute. In den Werken einer der
edelſten Erſcheinungen des geiſtigen Frankreichs, des Erzbiſchofs Fenelon, finden ſich
darüber folgende Sätze, die er an König Ludwig XIV., der Wahrheit die Ehre gebend,
geſchrieben haben ſoll: »Mitten im Frieden haben Sie Krieg geführt und wunder
ſame Eroberungen gemacht. Sie haben eine Reunionskammer eingeſetzt, um Richter 2
und Partei zugleich zu ſein; das hieß: Kränkung und Hohn der Rechtsanmaßung
und Gewalttätigkeit hinzufügen . . . . Ein ſolches Benehmen hat ganz Europa gegen
Sie geeinigt und in Erregung verfeßt.« ((Euvres choisies de Fénélon, Bd. 2, 416).
Unabhängige Franzoſen denken heute nicht anders. Noch im Jahre 1906 ſchrieb
einer der angeſehenſten Hiſtoriker Frankreichs, Erneſte Laviſſe, in ſeiner vielgeleſenen
großen »Histoire de France« (Bd. VII, 373) das Urteil nieder: »Niemals hat ſich
Ludwig XIV. durch einen Vertrag gebunden erachtet. Er hat in feinen Memoires
ſeinem Sohn die Meinung ausgeſprochen, daß die Worte der Verträge den Komplimenten
gleichen, die man in der großen Welt macht, und nur eine im Verhältnis zu ihrem
Klange ganz untergeordnete Bedeutung beſitzen. Er hat beinahe jedes Wort gebrochen,
das er gegeben hat. Er hat beim Tode des Königs von Spanien Advokatenkniffe
als Kriegsgründe ausgeſucht und ähnliche Kriegsgründe nach dem Frieden von Nym⸗
wegen gefunden, um die Reunionen zu unternehmen. Niemand konnte ſich auf ihn ver
laſſen.« »Chicanes de procureurs«: Dieſes allgemeine Urteil über die Reunionen gilt auch
im beſonderen über den obenerwähnten Fall des Saargebietes, von dem hier allein die
Rede iſt: es iſt Gewalt unter dem ſchlechten Schein eines Rechtsverfahrens. Daher
erübrigt es ſich auch, die Fiktionen dieſes Gerichtshofes einer Nachprüfung im einzelnen
zu unterziehen und etwa auseinanderzuſetzen, weshalb eine Urkunde Kaiſer Heinrichs IV.
von 1065, die das Schloß Saarbrücken (nur diefes) an das (damals dem Deutſchen
Reich unterſtehende) Bistum Metz verliehen hat, für das Rechtsverfahren des 17. Jahr⸗
hunderts keine Beweiskraft hat. Mit Recht hat der Münchener Völkerrechtslehrer
Reinhard Frank darauf hingewieſen, daß eine vorübergehende lehnsrechtliche Verbindung
im feudalen Staat vor faſt einem Jahrtauſend als Rechtsgrundlage für die Verhält⸗
niſſe im modernen Staatsleben überhaupt nicht angeſprochen werden kann.
Aber ſchon das alte Europa des 17. Jahrhunderts iſt ſich einig darüber ge⸗
weſen, wie dieſe Reunionspolitik völkerrechtlich und ethiſch zu bewerten ſei, und es
verſtand zu handeln. Denn das Syſtem der Übergriffe, denen auch das Saargebiet
zum Opfer fiel, gab den Anlaß, daß in den folgenden Jahren unter der Führung
des deutſchen Kaiſers und des Königs Wilhelm III. von Großbritannien ſich die große
»Allianz« bildete, die das verletzte Völkerrecht mit den Waffen wiederherſtellte. Im Frieden
von Ryswyk von 1697 mußte Ludwig XIV. ſeinen Raub, darunter auch faſt das
ganze Saargebiet, wieder herausgeben; mit dieſer völkerrechtlichen Entſcheidung ſind
übrigens auch alle etwa vorhandenen früheren Rechtstitel hinfällig geworden. Allein
die Feſtung Saarlouis, die der König inzwiſchen in dem geraubten Gebiet an Stelle
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Ausfallstor gegen die Pfalz zu behaupten; wenn die Franzoſen heute auf dieſen
Namen gefliſſentlich hinweiſen, fo ſei ihnen erwidert, daß fie ihn ſelber während der
Revolutionszeit pietätlos in »Sarrelibre« umgetauft haben. Saarbrücken ſelbſt aber
und der Kern des Saargebiets wurden wieder deutſch und blieben das ganze 18. Jahr—
hundert hindurch deutſch. 5 15
Auf die erſte franzöſiſche Epiſode iſt eine zweite Epiſode in dem napoleoniſchen Zeit—
alter olgt. Sie war die Frucht des gleichen Eroberungsdranges und ſie iſt nach kurzer
Dauer dem gleichen Geſchick durch den Willen Europas verfallen. In d m Frieden von
uneville im Jahre 1801 iſt auch das Saargebiet mit den anderen Teilen des linken
Rbeinufers an Frankreich abgetreten worden, und damit begann für anderthalb Jahr—
ze eine engere Verbindung dieſer deutſchen Lande mit dem franzöſiſchen Staat, als ſie
f m 17. Jahrhundert möglich geweſen war. Die Selbſtbeſtimmung der Bewohner des
Saarbeckens iſt dabei ebenſowenig geachtet worden wie in den übrigen deutſchen
Gebieten. Noch im Jahre 1798 — nach mehrjähriger Beſetzung — ſollen es im ganzen
nur 48 Bürger von Saarbrücken und 13 von St. Johann geweſen ſein, die ſich für
die Vereinigung mit Frankreich ausſprachen. Wenn aber die heutige ſranzöſiſche
Eroberungspubliziſtik ſich darauf beruft, die Bewohner des Saargebiets hätten an
den Plebiſziten der Jahre 1802 und 1804 teilgenommen und dadurch ihren politiſchen
Willen als Angehörige des franzöſiſchen Empire manifeſtiert, ſo darf man erſtens
die Franzoſen daran erinnern, wie ſie ſelber heute als gute Republikaner dieſe
napoleoniſchen Plebiſzite und ihre Einſchüchterungsmethoden zu bewerten pflegen,
zweitens die hiſtoriſche Tatſache feſtſtellen, daß in dieſen Plebiſziten allein die Frage
8 we wurde, ob Napoleon Bonaparte auf Lebenszeit Konful und (beim zweitenmal)
Kaiſer fein ſolle. Dieſe Frage allein und nichts anderes iſt in den in üblicher Weiſe
erzwungenen Abſtimmungen in allen damals zu Frankreich gebrachten Gebieten beantwortet
wo den. Wer heute aus jenen Abſtimmungen einen Rechtstitel für eine neue Eroberung
herleiten will, kann ſich ebenſogut auf die piebilzitären Voten von Brüſſel und
Antwerpen, von Köln und Mainz, von Genf und Turin berufen: Belgier, Schweizer
und Italiener werden ihm ſchon die richtige Antwort geben! Denn dieſe ungeheure
Ausdehnung des Kaiſerreichs, die die Traditionen Ludwigs XIV. aufnahm und
überbot, iſt damals die Urſache geworden, daß in immer neuen Anläufen Europa
ſich unter Führung Englands zuſammenfand, um ſchließlich die napoleoniſche Gewalt—
heerrſchaft in Stücke zu ſchlagen und das Recht der Völker wieder herzuſtellen.
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gewilfen Grenzlinien gegen die Niederlande, das Deutſche Reich, die Schweiz und Piemont
einige Gebietserweiterungen über jene Grenzen von 1792 hinaus bei Frankreich be—
2 53 laſſen, darunter auch das Saargebiet. Erſt, als Frankreich ſich dem von Elba zu—
rückgekehrten Napoleon noch einmal angeſchloſſen und wiederum mit Waffengewalt
von den Verbündeten hatte zum Frieden zurückgeführt werden müſſen, entſchloſſen
ſſich die Mächte, auch dieſe Grenzſtreifen wieder an ſich zu ziehen und den Anliegern
in den Niederlanden, Preußen, der Schweiz und Piemont zu überweiſen. Das iſt
die Korrektur, die die Großmächte nach der erneuten Erfahrung mit der franzöſiſchen
Kriegsluſt im Jahre 1815 an den Beſchlüſſen von 1814 vornahmen, das iſt der
kümmerliche Reſt eines Rechtstitels, den die Franzoſen von heute gegen das curo—
päiſche Urteil von damals hervorholen, um auf ein ihnen angeblich zugefügtes »Un—
kxecht« den bequemen Begriff der »réparation« anzuwenden. Erwägen wir deshalb
eernſthaft, was fie zu ſagen haben. Hören wir, um das »Unrecht« von 1815 in
Aunparteiiſcher Beleuchtung vorzuführen, erſtens — wie es ſich gebührt — die Fran⸗
zꝛxͤoſen von damals, zweitens die führende Macht der Verbündeten, die Engländer, die
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ihr damaliges Votum auch heute nicht werden preisgeben können, und ſchließlich noch
die Saarbrücker von 1815 — wenn ihre Stimme im Zeitalter der Kabinettspolitik
zu Worte kam, darf ſie dann heute, im Zeitalter der Selbſtbeſtimmung der Völker,
ungehört verhallen? | :
Zunächſt die Franzoſen ſelbſt. Am 21. Septemper 1815 haben Talleyrand und
die übrigen franzöſiſchen Bevollmächtigten ſich in Beantwortung der Forderungen der
Verbündeten zu gewiſſen Rückgaben über die im Vertrage vom 30. Mai 1814 vor⸗
geſehene Grenze hinaus erboten, und zwar erhoben fie keine grundſätzlichen Einwen⸗
dungen gegen Abtretungen von Gebiet, das nicht zu dem Frankreich von 1792 ge—
hört hatte. Zu dieſen Abtretungen gehörte Saarbrücken. In dieſen »cessions
territoriales sur ce qui n’etait pas Pancienne France“ — die nicht zu dem alten
Frankreich vor der Revolution gehört hatten — erblickten die franzöſiſchen Staats⸗
männer nicht im geringſten ein »Unrecht«. Die unheilvollen Folgen weitergehender
Abtretung malten ſie allerdings beweglich aus. Das ganze Aktenſtück verrät, wie
froh man in Paris war, ſo billigen Kaufes davonzukommen und nicht für den
Krieg von 1815 mit einer ganz anderen Koſtenrechnung von »Desannexionen« und
»Reunionen« beſtraft zu werden.
Daß ſolche Entwürfe damals unter den Gegnern Frankreichs auftauchten, läßt
ſich nach den bitteren Erfahrungen, die man gemacht hatte, wohl begreifen. Auch
die engliſchen Staatsmänner, um die zweite Zeugenbank aufzurufen, haben ſich über die
moraliſche Berechtigung der Verbündeten, ſich ſtärker gegen Frankreich zu ſichern, ſehr
beſtimmt ausgeſprochen. Am 15. Juli 1815 ſchrieb der Premierminiſter Lord
Liverpool an den auswärtigen Miniſter Lord Caſtlereagh: »Die überwiegende Meinung
in England iſt, daß wir vollkommen berechtigt ſind, uns den gegenwärtigen Moment
zunutze zu machen, um von Frankreich die hauptſächlichſten Eroberungen Ludwigs XIV.
zurückzunehmen (to take back from France the principal conquests of Louis XIV.).
Es wird mit vielem Nachdruck geltend gemacht, daß Frankreich niemals die
Demütigung, die es empfangen hat, vergeſſen, ſondern die erſte Gelegenheit wahr⸗
nehmen wird, um ſich zu bemühen, feinen militäriſchen Ruhm zurücdzugewinnen.«
(Letters of Castlereagh X, 431.) Wenn trotzdem die engliſche Politik ſich ſchließ⸗
lich auf ſo geringfügige Gebietsänderungen beſchränkte, ſo geſchah es allein, um die
Rückſicht auf die Sicherheit der Nachbarn Frankreichs möglichſt in Einklang zu ſetzen
mit der Rückſicht auf die Befeſtigung des neuen Regimes der Bourbonen und auf
einen dauernden Friedenszuſtand. Es war die Schonung und nicht die Härte,
die dieſe Bedingungen diktierte. Daß auch die Engländer in dieſem Ausgang
nur den Schlußakt des Prozeſſes ſahen, der unter Ludwig XIV. begonnen hatte, geht
aus dieſer Stelle und mancher anderen in den Papieren Caſtlereaghs und Wellingtons
deutlich hervor.
Und nun zu den Saarbrückern ſelbſt. Trotzdem ſie anderthalb Jahrzehnte ge⸗
zwungen unter Napoleon geſtanden hatten, ſandten ſie in den kritiſchen Wochen
eine Deputation nach Paris, um aus der Zugehörigkeit zu Frankreich herausgelöſt
zu werden. 343 Bürger aus einer Geſamteinwohnerzahl von 5000 hatten die Ein⸗
gabe unterzeichnet, und der Führer der Deputation, Böcking, erklärt, neun Zehntel
der Bevölkerung habe hinter ihnen geſtanden. Eben dieſes Auftreten mag es auch
Talleyrand erleichtert haben, in den Verzicht zu willigen und den Stimmen einer
verſchwindenden Minorität kein Gehör zu ſchenken. Es handelte ſich im Jahre 1815
eben nicht um einen Vertrag zwiſchen Potentaten, die — um mit Wilſon zu reden —
ihre Untertanen wie ihr Eigentum verſchenken, ſondern um den freiwilligen Akt eines
ſich ſelbſt beſtimmenden Volkes. Man darf ſogar ſagen, wie W. Windelband in der
Frankfurter Zeitung vom 7. Februar 1919 bemerkt, daß unter den vielen Erwerbungen,
die Preußen im Laufe ſeiner Geſchichte gemacht hat, die Saarbrücker faſt die einzigen ſind
die — wie ihre Deputation nach Mainz an Juſtus Gruner beweiſt — dieſen Anfall
vorher und freiwillig beantragt haben. Sie wurden eben nicht erobert, ſie kamen von
ſelbſt, als ſie im Jahre 1815 in den Schoß des deutſchen Vaterlandes zurückkehrten.
—
a
Soll dieſe vor hundert Jahren dokumentierte Selbſtbeſtimmung heute, wo fie
im Notfall mit überwältigender Einſtimmigkeit ſich genau fo äußern würde, wieder
25 vernichtet werden? Denn das iſt die ſchwerwiegende hiſtoriſche und ſittliche Ver—
antwortung, die vor allem an den Präſidenten Wilſon herantritt: ob er einen
J weimal, in den Jahren 1697 und 1815, gefällten europäiſchen Rechtsſpruch heute
| in Unrecht verwandeln will. Wir haben heute keine Verbündeten und Fürſprecher,
wir können von unſern nächſten Feinden nicht den Gemeinſinn jenes alten Europa
erwarten, wir haben nur die Gerechtigkeit unſerer Sache für uns und die Hoffnung,
daß Präſident Wilſon, der der Welt ein Zeitalter der Gerechtigkeit zu ſchenken gelobt
hat, nicht hinter der Kabinettspolitik des 17. und 19. Jahrhunderts wird zurück—
ſtehen wollen.
er Zu ihren hiſtoriſchen »Rechtstiteln« haben die Franzoſen noch einen modernen
8 gefügt. Er heißt: »Wiedergutmachung des ihnen in dieſem Kriege zugefügten Un—
rechts« — eben deswegen verlangen fie das Kohlenbecken von Saarbrücken. Aber
it dieſer Grund jo wahr, wie der Hinweis auf zerſtörte eigene Kohlengruben er—
ſcheinen läßt, oder iſt es nur ein Vorwand für ein Verlangen, das auch ohne die
Gruben von Lens immer in der franzöſiſchen Seele geſchlummert hat? Aus den
Antworten, die die Geſchichte des 19. Jahrhunderts auf dieſe Frage gibt, nur eine
einzige Epiſode. Als nach der Schlacht bei Königgrätz Preußen und Oſterreicher ſich
der Möglichkeit des Friedensſchluſſes näherten, erſchien am 18. Auguſt 1866 im
preußiſchen Hauptquartier der franzöſiſche Botſchafter Benedetti, um eine franzöſiſche
Kompenſationsforderung vorzulegen. Sie hieß — wie heute — Landau und Saar—
brücken. Für Saarbrücken hieß das Schlagwort damals noch nicht Reparation,
ſondern Kompenſation. Der Name war anders, aber die Sache war die gleiche:
es handelte ſich um nichts als Eroberung, um reine Machtpolitik. Dieſes Begehren
Napoleons III. enthüllt den Sinn jenes Wortes, das Ranke im Jahre 1870 zu
Ad. Thiers gebrauchte: Wir führen jetzt Krieg gegen Ludwig XIV. — auch wenn
die Welt heute vergeſſen zu haben ſcheint, daß wir Deutſche es ſind, die auf einer
langen hiſtoriſchen Linie in der Defenſive geſtanden haben.
1 Im Jahre 1866 ſchlug der Erpreſſungsverſuch fehl, er half nur Deutſchland
nach dem Bürgerkrieg zu einigen, aber er wurde zu einer der Wurzeln des Krieges
von 1870. Dieſe Erinnerung mag auch für Wilſon eine Mahnung geweſen ſein,
keine Löſung der Friedensfrage zuzulaſſen, die im Moment eine Vergewaltigung
ſchafft. Er würde ſonſt ſeinen eigenen Idealen des Völkerbundes den Todeskeim
eeinpflanzen und fein Wort vom 6. April 1918 widerrufen: »Wir ſind bereit, bei
der Schlußabrechnung gerecht gegen das deutſche Volk zu ſein und mit Deutſchland
ehrlich zu verfahren wie mit anderen Mächten. Irgend etwas anderes vorzuſchlagen
als Gerechtigkeit, unparteiiſche und leidenſchaftsloſe Gerechtigkeit gegenüber Deutſch—
land, wie immer der Krieg ausgehen mag, hieße unſere eigene Sache im Stiche
laſſen und entehren.«
III.
Einige Urkunden aus der erſten Hälfte der Waffenſtillſtandszeit.
. Nr. 3.
RER Der Einzug der franzöſiſchen Truppen in Saarlouis.
(Aus amtlichen Berichten.)
Am Vormittag des 21. November 1918 marſchierten die letzten deutſchen Truppen
durch die Stadt Saarlouis, die ihnen zu Ehren mit Fahnen, Girlanden und Ehren—
pforten geſchmückt war. Unmittelbar nach dem Durchmarſch wurde der Schmuck ab—
Te
genommen. Gegen Mittag rückte der franzöſiſche Vortrupp ein und erklärte die Stadt
für beſetzt. Jede Begrüßung und Kundgebung ſeitens der Bevölkerung unterblieb.
Auf den Straßen hatte ſich nur eine gewiſſe Anzahl Neugieriger eingefunden, 1 7
ſchweigend dem Einzug der franzöſiſchen Dragoner zuſahen. Es wird erzählt, ein >
einzelner habe »Vive la France« gerufen, worauf er verprügelt worden fei.
Die Franzoſen wollten fofort auch den nördlich der Stadt und jenſeits der
Saar gelegenen Bahnhof beſetzen. Da ſich dort noch deutſche Truppen befanden,
proteſtierte der Bürgermeiſter dagegen und erreichte nach langem Verhandeln, daß
den deutſchen Truppen eine Abzugsfriſt bis zum 22. November 3 Uhr mittags eingeräumt
wurde. Der Major Tuffrau, mit dem der Bürgermeiſter dieſerhalb verhandelte,
erwähnte bei dieſer Gelegenheit ſelbſt die kühle Aufnahme der franzöſiſchen Truppen
ſeitens der Bevölkerung.
Am Abend des 22. November verlangte Major Tuffrau von dem Bürgermeiſter,
er ſolle am nächſten Tage, an dem der franzöſiſche General Lecomte ſeinen feierlichen
Einzug in die Stadt halten werde, dieſen an der Stadtgrenze empfangen, ferner ſolle
die Bürgerſchaft die franzöſiſchen Fahnen und Offiziere begrüßen. Der Bürgermeiſter
lehnte das erſte Verlangen ſofort ab und erklärte wegen des zweiten, er müſſe ſich
darüber erſt mit den Stadtverordneten beſprechen.
Bald darauf überſandte Major Tuffrau dem Bürgermeiſter folgendes Schreiben:
(Überſetzung.)
22. November 1918, 19 Uhr (deutſche Zeit).
Major Lazard an den Bataillonschef Tuffrau.
Ich erhalte folgende telephoniſche Mitte lung: Der General Lecomte wünſcht zu
erfahren, ob die Stadtverwaltung von Saarlouis ihn mit den franzöſiſchen Truppen frei⸗
willig und ohne Druck von unferer Seite (volontierement et sans pression de notre part)
am Eingang der Stadt empfangen will.
Ich muß Ihre Antwort ſchleunigſt mit Boten an E. M. in Überherrn ſchicken.
gez. Lazard.
Die in ſpäter Abendſtunde zuſammengerufenen Stadtverordneten lehuten ſowohl
das mündlich wie das ſchriftlich vorgebrachte Erſuchen einſtimmig ab. Um der Ab⸗
ſage jede Spitze zu nehmen, wurde ihr folgende ſchriftliche Begründung gegeben: |
22. November 1918, 9:30 Uhr.
Die Stadtverordnetenverſammlung von Saarlouis bedauert lebhaft, den Herrn General
Lecomte mit ſeinen Truppen nicht amtlich empfangen zu können, weil deutſche Generäle und
deutſche Truppen bisher niemals amtlich empfangen worden ſind.
Nach der Stadtverordnetenverſammlung erſchien Major Tuffrau wieder bei dem
Bürgermeiſter und erklärte, nachdem ihn dieſer von der Antwort der Stadtvexord⸗
neten in Kenntnis geſetzt hatte: »Ich befürchte, das wird Schwierigkeiten geben. «
Dieſe Schwierigkeiten traten aber nicht ein, vielmehr erklärte Major Tuffrau dem
Bürgermeiſter am nächſten Morgen (23. November), der General werde die ſtädtiſchen
Vertreter nachmittags bei ſeinem Einzuge im Rathaus empfangen. Dies wurde auch
dem Bürgermeiſter durch folgendes Schreiben angezeigt: N
(Überſetzung.)
sr Hauptquartier Creutzwald, den 22. November 1918.
Herr Bürgermeiſter!
Ich habe die Ehre, zu Ihrer Kenntnis zu bringen, daß ich am 23. November, 121, uhr
(franzöſiſche Zeit), an der Spitze der Truppen, die in die Stadt gelegt werden ſollen, mein
Einzug in Saarlouis halten werde
Im Anſchluß an die Zeremonie werde ich im Rathaus den Herrn Landrat und ſodann
die Stadtverordneten empfangen, die ich Sie bitte mir vorſtellen zu wollen.
Genehmigen Sie, Herr Bürgermeiſter, die Verſicherung meiner vorzüglichen Hochachtung.
Der Kommandierende General des 33. A. K.
Am 23. November nachmittags 3 Uhr zogen die franzöſiſchen Truppen ein und
nahmen auf dem Großen Markt vor dem Rathaus parademäßige Aufſtellung. Die
Zahl der Zuſchauer war gering. Kundgebungen unterblieben. Nach der Aue
r Truppen erſchien der General im Rathaus und hielt eine kurze Rede; er ſprach
den »Schandtaten der Deutſchen« und kündigte der Stadt »Befreiung vom
eutſchen Joch durch die Franzoſen« an. Der Bürgermeiſter erwiderte kurz in
. eutſcher Sprache, die Bevölkerung werde ſich ruhig und loyal verhalten, und er
boffe, daß das Verhältnis zwiſchen der Bürgerſchaft und den Franzoſen während der
55 Dauer der Beſetzung ungeſtört bleiben werde. b
g Darauf nahm der General die Parade ab.
zu 5
Der Bevölkerung von Saarlouis war der feierliche Einzug der franzöſiſchen
Truppen durch folgende, in den Zeitungen vom 23. November erſchienenen Bekannt—
machung angekündigt worden:
G
Bekanntmachung.
In Anbetracht des höflichen Empfanges, den die Stadt Saarlouis den franzöſiſchen
Truppen bereitet hat, hat ſich das franzöſiſche Kommando entſchloſſen, heute, den 23. November,
nachmittags einen feierlichen Einzug in Saarlouis zu halten. Bei den einziehenden Truppen
befindet ſich die Fahne eines Infanterieregiments.
Alle Fahnen, gleich welcher Nation ſie angehören, müſſen geachtet werden wie alle
diejenigen, die für ſie geſtorben ſind, weil ſie viel vergoſſenes Blut und Opfer verſinnbild—
lichen. Alle Nationen haben jedoch nicht dieſelbe Art, ihre Achtung zu bezeugen In
Frankreich iſt es Sitte, den Hut abzunehmen, wenn die Fahne eines Regiments vorbeizieht.
Der unterzeichnete Platzkommandant hofft, daß die Bevölkerung von Saarlouis dieſe
franzöſiſche Sitte von heute ab mitmacht, indem fie beim Vorbeimarſch auch die Fahne grüßt.
Die franzöſiſchen Soldaten, die die Gewohnheiten in Deutſchland nicht kennen, würden in
der Unterlaſſung dieſer Sitte eine beabſichtigte Feindſeligkeit erblicken, die ſicherlich nicht
gewollt iſt Dies könnte gleich zu Anfang zu unliebſamen Mißverſtändniſſen führen Dieſe
Ehrenbezeugung mag vielen, die ſie nicht kennen, ſeltſam erſcheinen, aber ihre Berechtigung
wird ſicherlich allgemein verſtanden werden.
Saarlouis, den 23. November 1918.
Der Platzkommandant:
Tuffrau,
Major und Bataillonskommandeur.
7 . In dem »Saarlouiſer Tageblatt« (Nr. 273 vom 25. November 1918) findet
5 ſich über den Einzug der franzöſiſchen Truppen folgender Bericht:
.
' Zur Durchführung der Waffenſtillſtandsbedingungen rückten am Samstag nachmittag
8 der Kommandierende General des 33. franzoͤſiſchen Armeekorps und der Kommandierende
D General der 2 franzöſiſchen Infanteried viſion an der Spitze von Truppen verſchiedener
Gattungen (Dragoner, Pionicre, Infanterie, Feldartillerie, Autokanonen und Jägern z Pf.)
in Saarlouis ein. Der Einzug begann 2:30 Uhr auf dem Wege über Lisdorfer Straße,
Kl. Markt, Franzöſiſche Straße, Marktplatz, wo Aufſtellung genommen wird. Darauf wurden
ihm die üblichen militäriſchen Ehren von den Truppen erwieſen ſowie auch dem Diviſions-
kommandeur, den drei Fahnen und den Standarten. Landrat, Bürgermeiſter und die drei
Stadtverordneten waren zum Empfang der franzöſiſchen Befehlshaber im Gobelinſaal des
Rathauſes. Um 3¼ Ubr ließ der Kommandierende General anfragen, ob er mit Gefolge
empfangen werde. Das wurde zugeſagt. Der General begrüßte den Landrat, betonte, ihm
mitteilen zu konnen, daß die Truppen nicht als Feinde hierhergekommen find, ſondern um
gemeinſchaftlich mit den deutſchen Behoͤrden de Ordnung aufrechtzuerhalten; er hoffe auf
Unterſtützung. Bürgermeiſter Dr. Gilles betonte, er ſei ſeit tags vorher Bürgermeiſter der
Stadt Saarlouis und begrüße als ſolcher namens der Stadt den General und fein Gefolge.
Redner könne erklären, daß die Bürgerſchaft loyal und ruhig iſt. Er hoffe, daß zwiichen
Beſatzung, Behörden und Bürgerſchaft für die Dauer der Beſetzung ein gutes Einvernehmen
herrſchen werde. Der Kommand erende General dankte und bemerkte, es ſei ihm bekannt,
daß in Saarlouis einer der größten franzöſiſchen Generale, Marſchall Ney, geboren ift, und
daß es in der franzöfiichen Armee noch viele fran zöſiſche Offiziere q bt, die in Saarlouis und
Umgegend geboren find. Schließlich ſicherte er der Stadtverwaltung beim Vorhandenſein
von Wünſchen Entgegenkommen zu, man möge ſich vertrauensvoll an den Platzkommandanten
wenden. — Zum Einzug der franzöfiıhen Truppen waren die Bewohner der lothringischen
a 3 5 in groß r Zahl eingetroffen. Bemerkt ſei, daß ſich die Stadtbevölkerung würdig und
korrekt benommen hat.«
.
Nr. 4.
Kundgebung der Saarbrücker Bürgerſchaft.
(Dem Präſidenten Wilſon überſandt.)
Unſer Wille zum Deutſchen Reich.
Ein Bekenntnis der Saarbrücker Bürgerſchaft.
Wir Einwohner des Stadt- und Landkreiſes Saarbrücken, eines rein deutſchen
Gebietes, erheben feierlichſt Einſpruch gegen das in verſchiedenen franzöſiſchen Zeitungen
hervorgetretene Verlangen, uns von unſerem deutſchen Vaterlande zu trennen und
uns Frankreich, einem uns innerlich völlig fremden Staate, einzuverleiben. Wir ſind
Deutſche nach Abſtammung, Geſchichte, Sprache und Geſinnung. Wir wollen auch
jetzt in der Zeit des tiefen Unglücks mit unſern deutſchen Brüdern und Schweſtern
weiter vereint bleiben. Neun Jahrhunderte hindurch war das Saarbrücker Land ein
ſelbſtändiges deutſches Fürſtentum, es wurde 1801, zur Zeit der franzöſiſchen
Revolution, Frankreich einverleibt, kam aber durch den Pariſer Kongreß 1815 wieder
an Deutſchland, und zwar an die preußiſche Rheinprovinz, entſprechend dem lebhaft
und einmütig bekundeten Willen der Bürgerſchaft von Saarbrücken und St. Johann,
der in dem anliegenden Beſchluſſe vom 11. Juli 1815 niedergelegt iſt. Eine noch⸗
malige Angliederung des Saarbrücker Gebietes an Frankreich würde unvereinbar fein
mit den Grundſätzen des Präſidenten Wilſon, die nicht nur von Deutſchland, ſondern
auch von unſern Gegnern als Grundlage für die Friedensverhandlungen angenommen
worden ſind. Wir bitten den Herrn Präſidenten und alle, die einen Frieden der
Gerechtigkeit und der Verſöhnung herbeiführen wollen, nicht zu dulden, daß wir von
Deutſchland losgeriſſen werden.
Saarbrücken, im Dezember 1918.
Im Auftrage von Tauſenden wahlfähiger Einwohner des Stadt- und Land⸗
kreiſes Saarbrücken:
(Es folgt eine größere Anzahl von Unterſchriften.)
Anlage.
Ein Beſchluß der Bürgerſchaft von Saarbrücken und St. Johann aus dem Jahre 1815.
Von ſämtlichen Cinwohnern der Städte Saarbrücken und St. Johann geht nur
die eine Stimme aus: Befreiung vom Franzoſenjoche, Wiedervereinigung mit dem
deutſchen Vaterlande.
Damit aber dieſe Stimme nicht ungehört verhalle und unſere tätigen Feinde
außerſtand geſetzt werden, auf dem gewöhnlichen Wege der Schlauheit und Ränke,
ihr verräteriſches Flüſtern zu unſerm Verderben geltend zu machen, und uns zum
zweiten Male das unabſehbare Unglück der Abtretung an eine fremde Nation und
eine ewige Trennung vom deutſchen Vaterlande herbeizuführen, ſo haben ſich ſämt⸗
liche Einwohner dieſer Städte aufs feierlichſte verbunden, auf jedem rechtlichen Wege
ihre Trennung von Frankreich und ihre Wiedervereinigung mit Deutſchland nachzu⸗
ſuchen und jeder Intrigue gegen den allgemeinen Wunſch und das Intereſſe dieſer
Städte aufs kräftigſte entgegenzuwirken. >
Damit aber auch bei dem Umſtande, daß noch heute gegen den allgemeinen,
laut ausgeſprochenen Willen die willkürlich aufgedrungene fremde Verwaltungsbehörde
dieſer Städte, deren beſonderes Intereſſe mit dem allgemeinen der Einwohner in
Widerſpruch ſteht, ihre Amtsverrichtungen fortſetzt, nichts verſäumt werden möge,
was den Zweck der Verbindung ſichern kann — eine jedesmalige Verſammlung
ſämtlicher Einwohner und die Verhandlung der Gegenſtände in öffentlicher Beratung
er zu Zeitverluſt und ſelbſt zu ſchädlichen Offenkundigkeiten führen würde, fo haben
mich Einwohner beſchloſſen:
I. Nachgenannte Einwohner, nämlich die Herren: Lauckhard, Böcking, Heinr.
Eichacker, Chriſtian Köhl, Carl Zimmermann und Ph. Karcher, ſind als Kommiſſarien
2 beſtellt, um das Wohl der Städte, was ihre politiſchen Verhältniſſe, die Wieder—
u vereinigung mit Deutſchland, die Abſtellung der fremden, unnatürlichen Verwaltungs-
behörde, und überhaupt alles dasjenige betrifft, was zu ächt deutſcher Reinheit,
Harmonie, Ordnung und Einheit führen kann, aufs kräftigſte zu beſorgen.
2. Gedachten Herren Lauckhard, Böcking, Heinrich Eichacker, Chriſtian Köhl,
% 7 Luar Zimmermann und Ph. Karcher wird hiermit von ſämtlichen unterzeichneten
Sr 2 Einwohnern volle Macht und Gewalt geden, nicht allein auf jedem rechtlichen Wege,
durch Vorſtellungen, Promemorien, Korrefpondenzen und Deputationen den Zweck
gegenwärtiger Verbindung zu ſichern, ſondern überhaupt durch Anwendung aller
Mittel, die ihnen zu Gebote ſtehen, den Wünſchen der Einwohner Genüge zu leiſten,
und den verderblichen Abſichten unſerer Feinde kraftvoll entgegenzuwirken, indem
. b unterzeichneten Einwohner, jeder insbeſondere, geloben, alles zu tun und zu
u iften, was den Umſtänden nach der guten Sache zum Frommen und Gedeihen von
ihnen gefordert werden wird. — Urkundlich deſſen haben ſich ſämtliche Einwohner
unterſchrieben.
. Saarbrücken, den 11. Juli 1815.
5 (Es folgt eine größere Anzahl von Unterſchriften.)
175 Nr. 5.
5 Rede des Generals Garnier⸗Dupleſſis 0 Saarbrücken
* am 22. Januar 1919.
(Bericht der »Saarbrücker Zeitung).
2 Am 22. Januar 1919 ließ der Kommandierende General des 9. Armeekorps,
General Garnier -Dupleſſis, die Vertreter der Behörden von Saarbrücken zuſammen—
. rufen und hielt bei dieſer Gelegenheit folgende Anſprache:
ae Meine Herren!
er: Sobald es mir möglich wurde, habe ich Sie gebeten, ſich hier zuſammenzufinden,
damit wir Bekanntſchaft machen, da fie berufen find, mit der franzöſiſchen Militär-
* verwaltung zuſammen zu arbeiten, mit mir, dem Kommandeur des 9. Armeekorps,
ſowie mit Herrn General Andlauer, den fie bereits kennen und dem die oberſte Kon—
trolle über die deutſche Verwaltung obliegt, und zwar im ganzen von der Armee
Mangin beſetzten Teil des Bezirks Trier.
an > Dieſes Zuſammenarbeiten kann nur dann aufrichtig, freimütig und infolgedeſſen
fruchtbar ſein, wenn es auf ein vollkommenes Verſtändnis der Lage begründet iſt,
Auund dieſes Verſtändnis ſelbſt muß auf genauer Kenntnis der vergangenen Tatſachen
beruhen, aus welchen ſie hervorgeht.
232 Wie geſtaltete ſich die Vergangenheit?
ER Vor vier und einhalb Jahren wurde über ganz Europa, ja über die ganze
Welt ein verhängnisvoller Sturm durch die deutſche kaiſerliche Regierung, mit der
die geſamte deutſche Nation durch ihren unverkennbaren Eroberungs- und Beherr⸗
ſchungsdrang Hand in Hand ging, erregt. Dieſe unbeſtreitbare Tatſache ſteht feſt.
m Der Krieg wurde durch Verletzung des feierlichften Vertrags, durch die Invafion
8 das neutrale Belgien, eröffnet.
Der Angreifer führte dieſen Krieg unter Verachtung aller göttlichen und menjc
lichen Rechte, mit einem Zerſtörungsdrang, der einen jeden mit Grauen erfüllen
mußte, der nicht weiß, daß der Spruch der Alten »Quos vult perdere« in jedem
Zeitalter der Menſchheit Geltung behält.
a
Alle Härten und Barbareien: Totſchlag, Brandſchatzung, organiſierter und rück⸗ En. 8
ſichtsloſer Diebſtahl, ſyſtematiſche, durch den Krieg nicht gerechtfertigte Verwüſtung
von Städten, Dörfern, Kirchen (denn das Göttliche ſelbſt wurde nicht geſchont), von
Schätzen der Kunſt und der Geſchichte, treten uns entgegen. 5
Und Schande über Schande! Selbſt Frauen wurden gefangengenommen und,
wie in Lille, junge Mädchen der Obhut ihrer Mütter entriſſen! Die Kultur ſchritt
um 15 Jahrhunderte zurück!
Inzwiſchen nahm der Kampf feinen Gang und wogte abwechſelnd hin und ber.
Aber ſchon ſeit dem zweiten Kriegsmonat wußte Frankreich, geſtützt auf ſeine
treuen Verbündeten, daß es ſiegen würde, weil es ſiegen wollte, und weil ſich ſein
Gegner vor Gott und vor den Menſchen des Sieges unwürdig erwieſen hatte.
In erneuter Weiſe iſt, getreu ſeiner Geſchichte, Frankreich der Vorkämpfer der
dauernden Wahrheit: für Recht, Gerechtigkeit und Freiheit geblieben.
Und am 18. Juli 1918, der vom Armeechef feſtgeſetzten Stunde, fielen die ver⸗
bündeten Armeen über den Feind her. | | |
Vier Monate hämmerten fie ihn wie das Eifen auf dem Amboß und fügten
ihm täglich Niederlagen bei, bis zum Tage, wo ihm das Schwert aus den Händen
entfiel und er um einen Waffenſtillſtand flehte, der ihm von den verbündeten Regie⸗
rungen bewilligt wurde und der einer Kapitulation gleichkam.
Ein überwältigender Sieg, wie er bisher noch nie erreicht wurde, indem der
Beſiegte den letzten Kampf für die Ehre auf ſeinem heimatlichen Boden nicht aufnehmen
konnte noch wollte.
So geſtaltete ſich die Vergangenheit in ihrer unverblümten Wahrheit; ſie iſt in
ihrer nackten Wirklichkeit, ohne verſteckte Umwege und ohne zyniſche oder einfach
kindiſche Lügen, hart anzuhören.
Und jetzt, meine Herren, mögen Sie dieſe unermeßliche materielle und moraliſche
Verſchuldung erwägen, die die deutſche Nation auf ſich lud, weil ſie blindlings ihrer
Regierung folgte. |
Fragen Sie ſich, ob Sie bei aller Gerechtigkeit nicht von einem Sieger, dem jo
furchtbare Klagegründe, dem ein fo zu Recht beſtehender Groll zur Seite ftehen;
nicht alles zu fürchten hätten? ;
Sie wiſſen bereits, eine ſolche Furcht war grundlos.
Dem franzöſiſchen Empfinden iſt es zuwider, einen beſiegten und entwaffneten
Feind zu ſchlagen, ſelbſt wenn ſeine Waffen gegen das allgemeine Recht waren.
Sie ſelbſt und Ihr Eigentum ſind in unſerer ſicheren Obhut, und abgeſehen
von den Gefühlen, die man für die hegen kann, die ſie ſich erworben haben, oder
die beſtrebt ſind, ſie zu verdienen, können Sie auf unſere Gerechtigkeit rechnen, feſt,
aber voll auf unſere Humanität, auf unſere Großmut. |
Bedenken Sie jedoch, daß Ihre Haltung unſere Haltung diktieren wird. |
Sollten Sie der Pflichten vergeſſen, die Ihnen die jetzige Lage auferlegt, und
von ihnen abweichen, ſollten Sie die gebotene und höfliche Haltung gegenüber den⸗
jenigen, die das Recht ſowie die Macht haben, zu befehlen und Gehorſam zu ver⸗
langen, nicht beachten, dann würden Sie nicht mehr auf das Wohlwollen des Siegers
rechnen können. Sie hätten dann nur noch einzig und allein mit ſeiner Gerechtig⸗
keit zu tun, und dieſe wäre unmittelbar und unbeugſam.
So iſt die Gegenwart. i
Über die Zukunft zu verfügen, iſt nicht Ihre Sache und auch nicht meine Sache.
Ich wünſche nur, daß ſie ſich mit den wahren Intereſſen des Saargebiets in Ein⸗
klang ſetzt und deſſen Entwickelung fördert.
Sie werden, meine Herren, Ihre Amter weiter verwalten, unter der Führung,
der Aufſicht und dem Schutze der franzöſiſchen Militärverwaltung, mit dem Eifer
der Gewiſſenhaftigkeit, die ſie von Ihnen verlangt, zur Aufrechterhaltung der guten
Ordnung und zum Beſten der Bevölkerung.
Luis.
der. Wera
Nr. 6.
Verſuche, die Bevölkerung des Kreiſes Saarlouis von den Wahlen
zur Deutſchen Nationalverſammlung abzuhalten und für den Anſchluß
RR an Frankreich zu becinfluſſen:
3 | (Aus amtlichen Berichten.)
Die erſten Nachrichten über die Abſicht, das Saargebiet an Frankreich anzu—
gliedern, tauchten im Kreiſe Saarlouis Ende Dezember 1918 und Anfang Januar 1919
auf. Sie gingen auf Mitteilungen von Angehörigen der Familie Fabvier zurück.
R Anfang Januar 1919 erſchien bei verſchiedenen Geſchäftsleuten ein gutgekleideter,
fließend deutſch und franzöſiſch ſprechender Herr, der Unterſchriften gegen die Abhaltung
der Wahlen zur Nationalverſammlung ſammeln wollte und im Anſchluß daran
R Stimmung für einen Anſchluß an Frankreich zu machen fuchte, indem er behauptete,
das Saargebiet würde nach der Abtretung von Elſaß-Lothringen wirtſchaftlich ruiniert
ſein, wenn es ſich nicht an Frankreich anſchlöſſe. Die Liſte gegen die Abhaltung der
Wahlen ſoll Mitte Januar 1919 etwa 50 Namen aufgewieſen haben. Der Unter:
ſchriftenſammler erklärte, die Lifte werde dem franzöſiſchen Deputierten Franklin
überſandt werden.
Dieſe Perſon wurde ſpäter als der aus Metz ſtammende, in Niedaltdorf anſäſſige
Karl Bier feſtgeſtellt, der kurz zuvor als Dolmetſcher bei der franzöſiſchen Militär—
verwaltung angeſtellt worden war.
In denſelben Tagen (Mitte Januar 1919) wurde unter den Bewohnern des
Kreiſes Saarlouis der in der Anlage wiedergegebene Aufruf verbreitet, in dem zur
Wahlenthaltung aufgefordert wurde. Der Aufruf war unterzeichnet »Der Vertrauens
ausſchuß« Namen fehlten. Dieſe Flugblätter wurden am 17. Januar morgens mit \_
dem von dem franzöſiſchen Militärverwalter requirierten Kraftwagen des preußiſchen Land—
rats in mehreren Paketen im Geſamtgewicht von 20 Zentnern vom Bahnhof Dillingen,
wohin ſie vermutlich aus Metz gekommen waren, abgeholt und auf die Kommandantur
Saarlouis gebracht. Nach kurzer Seit erſchien ein Offizier der Kommandantur in
Begleitung des erwähnten Karl Bier; ſie fuhren in verſchiedene Ortſchaften des
Kreiſes weſtlich der Saar, wo die Pakete mit den Flugblättern in gewiſſen Häuſern
abgeladen oder auch aus dem Wagen geworfen wurden. Auf dieſe Weiſe wurden
die Flugblätter in den Bürgermeiſtereien Saarwellingen, Lebach, Bettingen, Nalbach
And Dillingen verteilt. In der Stadt Saarlouis beteiligten ſich an der Verbreitung
der Flugblätter außer Karl Bier noch der Inhaber des Wäſche-, Manufaktur und
Modewarengeſchaͤfts Mayer & Hanau, der Fahrradhändler Felix Hanau, franzöſiſche
Soldaten und einige übelbeleumundete Perſonen.
Lebhafte Anteilnahme an der Agitation für den Anſchluß an Frankreich nahm
auch der dem franzöſiſchen Militärverwalter beigegebene Leutnant Fabvier. Er ſuchte
— ebenfalls Mitte Januar — verſchiedene Geſchäftsleute auf und verſprach ihnen
zZꝛſßhollfreie Lieferung benötigter und in Deutſchland nicht oder nur zu übermäßigen
Preiſen erhältlicher Waren, wenn fie ſich für den Anſchluß an Frankreich ausſprächen.
E In der Gemeinde Lisdorf wurde ungefähr Mitte Januar bei dem Friſeur
Kleinbauer eine Lifte ausgelegt, in die die Perſonen ſich eintragen ſollten, die den
Anſchluß an Frankreich wünſchten. Bis zum 25. Januar hatte ſich nur ein einziger
Bewohner von Lisdorf eingetragen, der auch gegen Bezahlung die Verteilung der
erwähnten Flugblätter in der Bürgermeiſterei Lisdorf übernommen hatte ).
) Die Agitation zwecks Wahlenthaltung hatte keinen Erfolg. Im Kreiſe Saarlouis beteiligten
ſich an den Wahlen zur Nationalverſammlung am 19. Januar 1919 von 60062 Wahlberechtigten
4509860 Perſonen, d. h. 83,0 v. H. Die Wahlbeteiligungsziffer für das ganze Deutſche Reich betrug
ebenfalls 83,0 v. H.
3*
5
Anlage. ss =
Mitbürger und Mitbürgerinnen des Be =
Kreises Saarlouis, a Sr
wahret Eure heiligsten Rechte!
In diesen schw eren, entscheidenden Stunden, von denen die Zukunft unseres ganzen lieben
Saargebietes abhängt, hat sich ein aus allen Volksschichten und Parteien bestehendes Komitee
gebildet, um die gefährdeten Interessen unserer Heimat zu schützen.
Wir wollen nicht mehr den gewissenlosen Machthabern und Männern folgen, deren
unverantwortliche Politik uns und viele Millionen Menschen ins Unglück stürzte. N
Wir wollen uns nicht von preußischen e und Bankerottpolitikern, gleich
welchen Namens, terrorisieren lassen.
Also: Los von Berlin!
Wir wollen nicht länger dem Lande angehören, das uns vor 100 Jahren nee *
annektierte und mit seinen unglücklichen Völkern ins Elend brachte.
Rheinländer! Zu lange waren wir Mußpreußen!
Wir wollen keine Trennung von Lothringen, mit dem uns tiefe kulturelle und wirtschaft-
liche Bande verküpfen.
Wir wollen zu dem Lande zurückkehren, in dessen Schoß unsere Väter or
zufrieden und glücklich gelebt haben. Zu dem Lande, das unsere Kreishauptstadt gegründet. Zu
dem Lande, mit dessen glorreicher Geschichte unsere liebe Heimat aufs engste verbunden ist.
Wir gehören zu ihm wirtschaftlich, rechtlich, geschichtlich!
Das neue, ruhmreich erstandene Frankreich wird uns ebenso liebevoll aufnehmen, wie es
unsere lothringrischen Brüder aufnahm. Bei ihm werden unsere Rechte und religiösen Institutionen
besser geschützt sein als bei den religionsfeindlichen Revolutionären Berlins.
Mitbürger und Mitbürgerinnen! Ver
Der Augenblick unserer Befreiung ist da!
Wir wollen ihn benutzen!
Frankreich muß unseren Willen sehen!
Wenn- wir uns am Sonntag der Abstimmung enthalten, so werden wir der Friedens-
konferenz beweisen, daß wir keine Vertreter nach Berlin entsenden wollen.
Enthalten wir uns also am Sonntag der Wahl, oder geben wir einen weißen Zettel ab,
Nur so wird man unsern klaren Willen erkennen.
Es geht um unsere Zukunft, um unsere heiligsten Güter!
Unsere Parole heißt daher: Wahlenthaltung!
Der Vertrauensausschuß ).
u
9 4 Die ang ee Verteilung dieſes Flugblatts wurde durch folgende > fee
Confidentiel.
Ne pas s’opposer à la distribution ou à l’affichage de cette proclamation faite par a.
frangaise. — Au besoin, empécher la population de la detruire,
17 janvier 1919. |
p. le Ct du Canton: (Unterſchrift in Anfangsbuchitaben).
(Überſetzung).
Vertraulich.
Der Verteilung oder dem Ankleben dieſes von der franzöſiſchen Behörde veranlaßten Flugblatts
darf kein Widerſtand geleiſtet werden. Nötigenfalls iſt die Bevölkerung zu hindern, es zu vernichten.
17. Januar 1919.
Für den Kommandanten der Bürgermeiſterei: (Unterſchrift in Anfangsbuchſtaben).
Ba 5 RL. 7
fe der franzöſiſchen NE in die Verwaltung des
e Saarlouis und Beeinfluſſung der Bevölkerung.
(Aus amtlichen Berichten.)
Mitte ° ar 1919 erließ der franzöſiſche Militärverwalter des Kreiſes Saar⸗
uis folgend machung:
»der Herr Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis ſowie die Herren Offiziere der
Br Militärverwaltung machen der Bevölkerung des Kreiſes Saarlouis hiermit bekannt, daß fie
in jeder Angelegenheit die Bürger zu empfangen bereit ſind.
2 Empfangsſtunden:
Vormittags von 9 bs 11 Uhr,
Nachmittags von 2 bis 6 Uhr.
Der Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis.«
- Auf dieſe Weiſe wurde ein Denunziantentum großgezogen. Leute, die dem
Ane erwünſchtes Material zutrugen, erhielten als Gegenleiſtung von
ſem kleine Gefälligkeiten, die ſich gegen die Verwaltung richteten und deren An—
rdnungen durchkreuzten. Namentlich wurden für ſolche Dienſte den Leuten auf
unſch Lebens⸗ und Futtermittel aus den Beſtänden des deutſchen Proviantamts
3
gegeben. Als der Landrat deswegen beantragte, daß den Geſuchſtellern Furtermittel
nur verabfolgt werden ſollten, wenn ſie einen von ihm gezeichneten Schein vorlegten,
damit ihre Bedürftigkeit nachgeprüft und vermieden werden könnte, daß einzelne
pelt Futtermittel erhielten, während andere leer ausgingen, erhielt er von dem
eso folgende Antwort (Überſetzung): g
»Indem ich Ihnen den Empfang Ihres Schreibens 965 Mb vom heutigen Tage be—
ſtätige, beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß ich Ihnen nicht das Recht zuerkenne, gegen
Entſcheidungen zu proteſtieren, die ich über die Beſtände des Proviantamts, die Ihnen nicht
gehören, treffe, wie dies ein für allemal durch die Schreiben, die ich Ihnen unter Nr. 98 am
13. Dezember und unter Nr. 127 am 16. Dezember geſandt habe, feſtgeſtellt worden iſt.
Wir haben nur als außerordentliche Vergünſtigung die Futtermittel, um die es ſich
handelt, an die Zioilbevölkerung Ihres Kreiſes verabfolgt und haben nur aus Gefälligkeit
Ihnen gegenüber die Verabfolgung bis beute nur an ſolche Landleute vorgenommen, die uns
einen n gezeichneten Schein brachten.
In Zukunft behalten wir uns das Recht vor, Futtermittel zu verabfolgen, ohne uns
Ihrer vollkommen nutzloſen Vermittlung zu bedienen. Dies wird Ihnen lächerliche Proteſte
erſparen, die übrigens jeder genaueren Angabe entbehren.
i Dieſes Verhalten der Militärverwaltung führte dazu, daß wiederholt Landwirte,
. beim Landrat um Ermäßigung oder Befreiung von ihren Ablieferungspflichten
vorſtellig geworden, aber abſchlägig beſchieden worden waren, ſich an den Militär⸗
2 verwalter wandten, der ihnen ihre Wünſche ohne weiteres erfüllte.
Am 27. Januar 1919 wohnte der Mililärverwalter der Sitzung der Stadtver-
| onöneten bei. Das »Saarlouiſer Tageblatt« vom 28. Januar berichtete hierüber:
»Der Vorſitzende, Herr Bürgermeiſter Dr. Gilles, teilte vor Eintritt in die Verhandlung.
der Tagesordnung mit, der Herr Militärverwalter habe den Wunſch, die Stadtverordneten
perſönlich tennenzulernen. Dazu habe er die jetzige Sitzung der Stadtverordnetenverſamm⸗
lung vorgeſehen und den Herrn Militärverwalter dann eingeladen. Darauf erfolgte die
Vorſtellung. Nun führte der Vorſitzende aus, daß die Bevölkerung der Stadt loyal und
ruhig ſich verhalte und daß Stadtverwaltung und Stadtverordneten ihr möglichſtes dazu tun,
damit das bisherige gute Verhältnis zwiſchen den Beſatzungstruppen und der Bevölkerung
erhalten bleibt. Der Herr Oberſt hielt ſodann eine längere Anſprache in franzöfticher
Sprache, die Herr Leutnant Fabvier in Umriſſen in deutſcher Sprache wiedergab. Frankreich
habe den Krieg nicht gewollt. Viele Deutſche wollten dies nicht glauben. Daß Frankreich
den Krieg mit abſcheulichen Mitteln geführt habe, das dürfe man ihm glauben, ſei Deutſchland
ſchuld. Deutſchland habe die Mittel zuerſt erfunden. Deutſchland habe zuerſt Gas gebraucht.
pe Stadtverordnetenverſammlung dürfe ihm auch glauben, daß das franzöſiſche Militär nicht
dier ſei, um alles zu zerſtöͤren. Die franzoͤſiſche Militärverwaltung wolle Ordnung bringen.
Sie wolle die Lebensmittelverſorgung ganz beſonders verbeſſern. Der Herr Militarverwalſer
hoffe e daß zwiſchen Beſatzung und Bevölkerung das beſtehende gute Verhältnis erhalten
— 28 —
bleibt. Weiter überſetzte Herr Leutnant Fabvier, daß die Orders, welche oft als hart emp⸗
funden werden, nicht von dem Herrn Oberſt kommen, ſondern auf Anordnung des Herrn
Generalfel marſchalls erlaſſen werden. Darauf teilte der Dolmetſcher mit, daß von beute ab
das Saargebiet einſchließlich der Kohlengruben bis St Wendel zum Lebensmittelverſorgungs—
gebiet Elſaß⸗Lothringen gehöre. Der Herr Bürgermeiſter könne jetzt Lebensmittel beſtellen,
ſoviel wie er für die Bevölkerung nötig habe.
Darauf wurde in die Tagesordnung einget'eten.
Vom Herrn Stadtverordneten Hauſen iſt ein Schreiben eingelaufen, in dem er für den
großen Ausfall, der dem Erwerbsleben Saarlouis durch das Fehlen der Garniſon erwädft,
Erſatzmaßnahmen fordert. Er regt zur Ausnutzung der leer ſtehenden Kaͤſernen zunächſt die
Gründung einer landwirtſchaftlichen Schule und eines Technikums an und erſucht, für Wieder,
laſſung von induſtriellen Unternehmungen Schritte zu tun. Einerlei wie ſich die politische
Zukunft Saarlouis geſtaltet, würde die Stadt zweifellos feine fo ſtarke Garniſon mehr erh Iten
als bisher. Um für den Bedarfsfall vorbereitet zu ſein, müßten aus den Stadtverordneten
unter Hinzuziehung von Sachverſtändigen aus der Bürgerſchaft einſchlägige Kommiſſionen
gebildet werden.
Herr Oberſt Poulet ließ mitteilen, daß Saarlouis nach dem Frieden entweder eine deutſche 7
oder eine franzeſiſche Garniſon erhalten werde Er hoffe feſt daß es eine franzöͤſiſche ſei,
glaube aber kaum, daß die Garniſon in Zukunft fo ſtark fein werde als die bisberige. Man
hoffe in Zukunft keinen Krieg mehr führen zu müſſen. Die Männer würden jetzt viel not⸗
wendiger in Induſtrie, Handel und Landwirtſchaft gebraucht. Es werde nach dem zu ſchaffenden
Frieden nicht mehr notwendig ſein, ſoviel Menſchen auf beiden Seiten unter den Fahnen zu
halten. Wenn Saarlouis an Frankreich falle, wurde die Stadt für den finanziellen Verluſt
an den Kaſernen entichädiat werden. Frankreich ſei Seger und habe als ſolcher auch die
wirtſchaftlichen Vorteile auf ſeiner Seite. Das möge man bedenken.
Herr Duroy wünſchte im Intereſſe des Handwerks eine Erleichterung des geſchäftlichen
Verkehrs, vor allem im Briefverkehr mit der rechten Rheinſeite. f
Herr Oberſt Poulet ſagte weiteſtgehende Unterſtützung zu beim Herrn General Andlauer
in Saarbrücken, dem Bevollmächtigten des Generalfeldmarſchalls Joch für das ganze Saarrevier.
In derſelben we der Stadtverordnetenverſammlung gab der Militär⸗
verwalter bekannt, daß ſpäteſtens vom 15 Fehruar ab in den Volksſchulen franzö⸗
ſicher Unterr cht einzuführen ſei; wenn hierfür nicht genügend einheimische Lehrkräfte
vorhanden ſeien, werde er Soldaten zur ung ſtellen. Dem Kreisſchulinſpektor
erklärte der Militärverwalter am 28. Januar, da die Beſatzungstruppen im Saar⸗
gebiet noch lange, vielleicht Jahrzehnte lang, und wie er wörtlich hinzufügte »in
Saarlouis für immer« bleiben würden, müſſe de Bevölkerung in die Lage verſetzt
werden, ſich mit ihnen zu verſtändigen. Der Kommandierende General der X. Armee
habe daher angeordnet, daß ſofort in allen Schulen des Kreiſes, auch in den Volks—
ſchulen, franzöſiſcher Unterricht einzurichten ſei, und habe bis zum 15. Februar Be⸗
richt darüber verlangt, daß der franzöſiſche Unterricht begonnen habe.
Am 28. Januar eröffnete der Militärverwalter dem Landrat, daß in nächſter
Zeit für den Kreis Saarlouis mit Ausnahme der Bürgermeiſtereien Saarwellingen,
Nalbach, Lebach und Bettingen die Grenze nach Lothringen geöffnet werden würde.
Auf die Frage des Landrats, weshalb die erwähnten vier Bürgermeiſtereien ausge⸗
ſchloſſen bleiben ſollten, erwiderte der Militärverwalter, daß Frankreich begründete
Hoffnung habe, im Friedensvertrag das ihm 1815 entriſſene Saargebiet zurück⸗
zuerhalten.
Am 28. Januar richtete der Militärverwalter folgendes Schreiben an das Saar⸗
louiſer Tageblatt:
»Le Lieutenant Colonel Poulet, Administrateur Militaire du cerele de Sarrelouis
à Saarlouiser Tageblatt, Sarrelouis.
Bitte folgenden Auszug aus dem ‚Echo de Paris“ in Ihre Zeitung aufzunehmen.
Le Lieuten int Colonel Poulet.
Administrateur Militaire du cerele de Sarrelouis.
Pour Administrateur militaire du cerele des Sarrelouis
Le Capıtain adjoint.
(Unterſchrift).«
Der Auszug aus dem »Echo de Paris« trug die Überſchrift »Vergangenes und
gegenwärtiges Leiden der vom Feinde beſetzten Länder in Frankreich« und war die
Wiedergabe einer Rede des Erzbiſchofs Chollet von Cambrai.
wi
Er Am ſelben Tage wurde der Verleger der Zeitung auf der Militärverwaltung
. erregt ung I
noch mündlich aufgefordert, auch weiterhin Artikel, die ihm zugehen würden, zu ver-
öffentlichen.
Sämtliche Zeitungen von Saarlouis ließen die Aufforderung, den Auszug aus
dem »Echo de Paris« zu veröffentlichen, zunächſt unbeachtet. Am folgenden Tage
erhielten ſie jedoch folgendes Schreiben des Militärverwalters (Überfegung):
»Militärverwaltung 8 0 95
des Kreiſes Saarlouis. en 30. Januar
Oberſtlt. Poulet, Verwalter des Kreiſes Saarlouis,
an den Herrn Direktor des Saarlouiſer Tageblatts.
Am 29. Januar habe ich Ihnen zwecks Veröffentlichung eine Erklärung des Marſchalls
Joch an amerikaniſche Journaliſten überſandt.
Am 28. Januar habe ich Ihnen zum gleichen Zweck eine Rede des Erzbiſchofs von
Cambrai über das Elend der Bevölkerung in den beſetzten Gebieten in Frankreich zugehen
laſſen.
Bisher iſt keiner der beiden Artikel in Ihrer Zeitung erſchienen.
Sie werden gebeten, ſie morgen aufzunehmen, widrigenfalls das Erſcheinen Ihrer
Zeitung bis auf weiteres verboten werden wird.
Der Oberſtlt. Poulet,
Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis.
gez. Poulet. «
Unter dieſer Drohung mußten ſich die Zeitungen dem Befehl fügen. Das
Kreisblatt wollte den Auszug aus dem »Echo de Paris« mit folgender Einleitung
veröffentlichen: »Seitens der franzöſiſchen Militärverwaltung geht uns nachſtehendes
zur Veröffentlichung zu«, doch wurden dieſe Worte von der Zenſur geſtrichen. Die
Zeitungen erhielten im Anſchluß hieran Zenſuranweiſungen, in denen es unter Ziffer C
hieß (Überſetzung):
„Artikel oder Informationen, die der Preſſe von einer amtlichen Stelle zugehen, dürfen
nicht mit der Vorbemerkung ‚amtlich‘, aus ‚amtlicher Quelle“ oder mit Einleitungen wie ‚von
amtlicher Stelle erfahren wir“ uſw. veröffentlicht werden. Dieſes Verbot erſtreckt ſich natürlich
nicht auf die von den Zeitungen bekanntgegebenen Maßnahmen der Behoͤrden oder auf amt
liche Bekanntmachungen; für derartige Veröffentlichungen bleiben die erwähnten Kenntlich
machungen vorbehalten.
Der Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis.
gez. Cdt. Delevaque.«
| Ende Januar 1919 fand bei dem Daftor in Hauſtadt eine Zuſammenkunft
benachbarter Pfarrer ſtatt. Hierzu erſchien auch einer der Adjutanten des Militär-
verwalters, der aus Dillingen gebürtige Capitaine Collong, in Begleitung des Ober—
lehrers Camille David aus Dillingen und des Bürgermeiſters oder Bürgermeiſterei—
verwalters von Hauſtadt. Collong und ſeine Begleiter verſuchten, die anweſenden
4 Geiſtlichen für den Anſchluß des Saarkohlengebiets an Frankreich zu beeinfluſſen,
hatten aber damit keinerlei Erfolg; ſie wieſen hierbei namentlich darauf hin, daß
Frankreich, wenn das Saargebiet franzöſiſch werde, den katholiſchen Geiſtlichen ihre
Bezüge, die bei den in Deutſchland herrſchenden Verhältniſſen keineswegs ſichergeſtellt
ſeien, unbedingt gewährleiſte.
In einem zuſammenfaſſenden Bericht über die Vorgänge im Kreiſe Saarlouis
im Januar 1919 heißt es: »Mit allen Mitteln wird verſucht, die Bevölkerung der
Stadt Saarlouis dem Deutſchtum zu entfremden und einer Vereinigung mit Frankreich
geneigt zu machen. Dieſem Zweck dienen insbeſondere auch die täglichen Audienzen,
in denen der Kommandant oder Militärverwalter Petenten und Beſchwerdeführer
bereitwillig empfängt und je nach ihrer Gefügigkeit die Berückſichtigung ihrer Anliegen
a zuſagt oder verweigert !). Ein Offizier aus der ſchon vor dem Kriege in der Nähe
) Der Militärverwalter gewährte insbeſondere Befreiungen von der Ablieferungspflicht für Getreide,
Milch und Butter und nahm den deutſchen Behörden gegenüber Perſonen in Schutz, die wegen ver—
botener Viehſchlachtungen verfolgt wurden. — Die amtlichen Schreiben des Militärverwalters tragen
den Vordruck »République Francaises und links darunter das Wappen der Stadt Saarlouis.
von Saarlouis begütert geweſenen Familie Fabvier trat, allerdings vergeblich, an
das Saarlouiſer Tageblatt, das amtliche Organ der deutſchen Behörden, mit dem
Anſinnen heran, das Blatt in franzöſiſcher und in deutſcher Sprache erſcheinen zu
laſſen und darin auch Artikel im Sinne der Annexion zu veröffentlichen; für den
Weigerungsfall wurde die Herausgabe einer eigenen franzoſenfreundlichen Zeitung in
Ausſicht geſtellt. Ferner wurde in den letzten Tagen eine Umbenennung der ſtädtiſchen
Straßen verfügt, ſie erhielten alle Namen, die großenteils aus der Geſchichte Frank.
reichs entnommen ſind.«
Nr. 8.
Werbung für den Anſchluß an Frankreich im Kreiſe Saarlouis.
(Aus einem amtlichen Bericht vom 26. Februar 1919.)
Auf den 23. Februar 1919, nachmittags 3 Uhr, hatte der anſcheinend dem
Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis, Oberſtleutnant Poulet, weiter zu Agitations
zwecken zugeteilte Leutnant Collong in den ſtädtiſchen Saalbau Einwohner aus den
verſchiedenſten Teilen des Kreiſes zu einer Beſprechung eingeladen. Neben Leuten
mit franzöſiſch klingenden Namen hatten auch ſolche mit ganz deutſchen Namen und
ferner Perſonen, die franzöſiſche Neigungen beſitzen oder von denen derartiges er-
wartet werden kann, ſowie Leute Einladungen erhalten, die gut deutſcher Geſinnung
ſind und aus dieſer Geſinnung auch in der Offentlichkeit nicht das geringſte Hehl
machen. Zutritt zu der Beſprechung hatten nur diejenigen, die ſich durch eine ſchrift⸗
liche Einladung ausweiſen konnten. Wie im Verlaufe der Sitzung erwähnt wurde,
waren 160 Einladungen ergangen; erſchienen waren davon etwa 60 bis 70.
Zu Beginn der Beſprechung führte der Einberufer der Verſammlung, Leutnant
Collong, etwa folgendes aus: Durch den Raub von 1815 ſei die ganz franzöſiſche
Stadt Saarlouis mit ihrer franzöſiſchen Umgebung und Bevölkerung an Preußen
gekommen. Trotz der inzwiſchen vergangenen 104 Jahre habe ſich indeſſen Preußen
hier ſo wenig Sympathien zu erwerben verſtanden, daß noch jetzt ein großer Teil
der Bewohner des Kreiſes ſich zu Frankreich hingezogen fühle. Dazu komme, daß
Preußen durch den Krieg völlig beſiegt und finanziell und wirtſchaftlich zugrunde
gerichtet ſei, während Frankreich glorreich und geſtärkt aus dem Kriege hervorgehe
und denjenigen Gebieten, die ſich ihm anſchließen, nicht nur eine Gewähr für die
bisherige Blüte, ſondern auch für ein weiteres Erſtarken von Handel, Induſtrie und
Landwirtſchaft biete, da der bevorſtehende unerträgliche Steuerdruck und die bolſche⸗
wiſtiſchen Unruhen Deutſchlands in Frankreich nicht vorhanden ſeien. Aufgabe der
heutigen Beſprechung ſei es, Maßnahmen zu beraten, um die im Kreiſe Saarlouis
vorhandenen Freunde Frankreichs zu ſammeln und ihnen zu dem von ihnen erſtrebten
Ziele der Wiedervereinigung mit Frankreich zu helfen. Vorgeſchlagen wurde zu
dieſem Zwecke, in jeder Gemeinde, und zwar noch in dieſer Woche, einen Ausſchuß
von 2 bis 3 Freunden Frankreichs zu beſtellen, die die individuelle Werbung inner⸗
halb des Ortes von Haus zu Haus für den Anſchluß an Frankreich übernehmen.
Die Ausſchüſſe ſämtlicher Gemeinden einer Bürgermeiſterei ſollen aus ihrer Mitte
einen Vertrauensmann wählen, der die Verbindung mit Leutnant Collong aufrecht⸗
erhalte und von dieſem die erforderlichen Weiſungen zur Weitergabe an die Aus⸗
ſchüſſe empfange. Dadurch wäre ein einheitliches und planmäßiges Vorgehen im
ganzen Kreiſe erzielt. Auch in anderer Beziehung biete der Vorſchlag Vorteile. Bei
den vorgenommenen Ausweiſungen aus Elſaß Lothringen habe ſich nachträglich er⸗
geben, daß nicht immer ganz gerecht verfahren wurde, weil die franzöſiſchen Be⸗
hörden auf ſich ſelbſt angewieſen waren. Derartige Härten und Ungerechtigkeiten
würden durch das Volk ſelbſt verhindert, wenn ſich die franzöſiſchen Behörden bei
ihren Maßnahmen der Mitarbeit der Ausſchüſſe zu bedienen vermögen.
Der erſte Redner, der ſich zum Wort meldete, erklärte u. a., er könne unter den
obwaltenden Verhältniſſen in einer Entſcheidung, die dem Pflichtempfinden und Ger
.
«
fen dis einzelnen überlaffen bleibe) keinen Landesverrat erblicken. Auch beleuchtete
Nationalitätenwechſel vom idealen und realen Standpunkt aus und kam zu
ü Be daß der Idealismus beim abſterbenden Alten, der Realismus bei dem
855 lebenden Jungen geſucht werden müſſe.
Von den weiteren wenigen Rednern iſt nur noch erwähnenswert der Kaufmann
Karl Bier aus Niedaltdorf, der darauf hinwies, daß diejenigen, welche für die Sache
Frankreichs einträten, nichts zu fürchten hätten, da Frankreich Preußen und Deutſch—
land in der Hand habe und diejenigen ſchützen könne, die ſich ſeiner Sache an—
nähmen ). Auch ſchlug er vor, daß man Wanderredner zur Unterſtützung der Auf—
rn gsarbeit im Kreiſe anſtellen möge. Leutnant Collong erwiderte ihm hierauf, daß
man für dieſe Zwecke bereits eine Anzahl Elſaß⸗Lothringer gewonnen habe, die beider
Siyprachen mächtig ſeien und ihre Tätigkeit demnächſt aufnehmen würden.
48 Das Schlußergebnis der Beſprechung war angeblich, daß folgende Perſonen
erſucht werden ſollten, ſofort die Bildung der Ausſchüſſe in den dabei bezeichneten
5 Bürgermeiſtereien in die Wege zu leiten:
Ber; 4 für die Stadt Saarlouis:
„
= Fahrradhändler Felig Hanau, Kaufmann Meyer Hanau, Seifenfabrifant
RN; Kurt Alff, Kaufmann Heinrich Cahn (ſoll nachträglich abgelehnt haben);
8 f für die Bürgermeiſterei Dillingen:
8 Oberlehrer David in Dillingen;
für die Bürgermeiſterei Wallerfangen:
Metzger Mouget in Wallerfangen;
*
für die Bürgermeiſterei Buß:
ga Angeſtellter der Mannesmannröhrenwerke Becker in Buß;
. für die Bürgermeiſterei Saarwellingen:
*
*
F 72
BT 7. , 3
Bauunternehmer Dechmann in Saarwellingen;
für die Bürgermeiſterei Biſten:
Metzger Guldner in Überherrn;
für die Bürgermeiſterei Lebach:
Müller Wieſen in Lebach.
Jedenfalls ergibt ſich, daß die Einwohnerſchaft des Kreises Saarlouis unter
a amtlicher franzöſiſcher Stellen in ganz ſyſtematiſcher Weiſe bearbeitet
und durch die Zuſicherung aller möglichen Vorteile beeinflußt werden ſoll, ihr Vater
land zu verraten und ſich für den Anſchluß an Frankreich zu erklären. Einem der-
artigen Vorgehen ſteht die Bevölkerung ſchutzlos gegenüber. Nicht nur, daß jede
. a deutſcher Geſinnung, geſchweige denn jegliche Gegenkundgebung zwangs—
RS weiſe unterdrückt wird, auch die Preſſe ſteht unter ſchärfſter Zenſur und darf nur
farbloſe Artikel bringen oder wird gezwungen, im Sinne Frankreichs gehaltene Auf—
ſäatze zu veröffentlichen.
”
Nr. 9.
Kundgebung der Vorſtände ſämtlicher politiſcher Parteien, Arbeiter-
nen und Vereine in Stadt und Kreis Saarlouis vom
| 7. März 1919.
(Mit den Unterſchriften der Nationalverſammlung in Weimar vorgelegt.)
5 Wir unterzeichneten Vorſtände in Stadt und Kreis Saarlouis vertretener politiſcher
Parteien, Arbeiterorganiſationen und Vereine bekunden namens der geſamten Ein—
25 nere des Kreiſes einmütig und feierlich den unabänderlichen Willen der
Bevölkerung, am deutſchen Vaterlande feſtzuhalten. Wir fühlen uns unlöslich mit
* dem Deutſchen Reiche verbunden und erheben namens der hinter uns ſtehenden Wähler
dr N ) Leutnant Collong ſicherte den Teilnehmern an der Verſammlung auf Anfrage ausdrücklich zu,
1
2
ir
daß Frankreich den Willen und die Macht habe, fie gegen jedes Einfchreiten der deutſchen Behörden
789 * * Landessenats unter allen Umſtänden zu ſchützen.
„
und Mitglieder nachdrücklichſt Einſpruch gegen das immer mehr hervortretende und
nicht nur von der franzöſiſchen Preſſe, ſondern auch von amtlichen franzöſiſchen
Stellen offen verkündete Verlangen, uns Frankreich, einem uns innerlich fremden
Staate, einzuverleiben. Wenn auch Teile des Kreiſes Saarlouis durch die Politik
Ludwig XIV. von Frankreich ihrem Stammlande vorübergehend entriſſen wurden,
wenn auch die Stadt Saarlouis eine franzöſiſche Gründung iſt und erſt 1815 zum
Mutterlande zurückkehren konnte, fo handelt es ſich dabei doch um geſchichtlich kern⸗
deutſches Gebiet, deſſen Bewohner nach Abſtammung, Sprache, Kultur und Geſinnung,
von wenigen Ausnahmen abgeſehen, Deutſche ſind und auch jetzt in der Zeit tiefen
Unglücks ihres Vaterlandes mit ihren deutſchen Brüdern und Schweſtern vereint
bleiben wollen. Eine nochmalige Angliederung unſeres Kreiſes oder Teilen davon
an Frankreich würde eine Vergewaltigung unſeres Rechts auf Selbſtbeſtimmung be⸗
deuten und von uns und unſeren Nachkommen als das größte Unglück empfunden
werden, von dem ein ſeine Freiheit und ſein Vaterland liebendes Volk betroffen
werden könnte. Ä
Wir erheben weiter ſchärfſten Einſpruch dagegen, daß durch einen Teil der den
Beſatzungstruppen angehörigen franzöſiſchen Offiziere und im Solde Frankreichs
ſtehende Agenten mit allen Mitteln ſyſtematiſch verſucht wird, die Bewohner des
Kreiſes Saarlouis ihrem Stammlande abtrünnig zu machen. Weder die zwangsweiſe
Einführung des franzöſiſchen Unterrichts in allen Schulen, w der die Zuſicherung
finanzieller und wirtſchaftlicher Vorteile, weder die franzöſiſcherſeits veranſtalteten
Propagandaverſammlungen und Werbungen von Haus zu Haus, weder die gewaltſame
Unterdrückung von Außerungen deutſcher Geſinnung, noch die Knebelung unſerer
Preſſe, die nur farbloſe Artikel bringen darf, ja gezwungen wird, Aufſätze im Sinne
Frankreichs zu veröffentlichen, werden uns in unſerer Anhänglichkeit und Treue gegen
das Deutſche Reich wankend machen und zum Anſchluß an Frankreich zu bewegen
vermögen. Dieſe von Frankreich unternommenen Machenſchaften werden nur das
eine erreichen, daß die deutſchen Einwohner des Kreiſes Saarlouis ſich noch enger
zuſammenſchließen und um ſo feſter zu dem Gelöbniſſe ſtehen, das im Jahre 1815
bei der Rückgewinnung des alideutſchen Kreiſes der Magiſtrat der Stadt Saarlouis
einſtimmig ablegte: »Durch Treue, Unterwürfigkeit und Liebe werden wir uns be⸗
ſtreben, des Glückes würdig zu ſein, uns Preußen nennen zu dürfen«, einem Gelöbnis,
das unſere Väter und wir über 100 Jahre getreulich gehalten haben.
Allen aber, die mit uns einen Frieden der Gerechtigkeit und Verſöhnung wünſchen,
rufen wir zu: »Helft uns und duldet nicht, daß wir von unſerem deutſchen Vater⸗
lande losgeriſſen werden!«
Saarlouis, den 7. März 1919.
Nr. 10.
Im Saargebiet im März 1919 verteilte Flugſchrift.
(Motto: Schickt euch in die Zeit.)
Das Saargebiet deutſch, franzöſiſch oder autonom?
Flugſchrift von einem Volksfreund.
Preis 0,50 , Saarbrücken 1919.
Vorwort.
In den letzten Wochen wurde im lieben Saartal häufig die Frage aufgeworfen
»wird Saarbrücken franzöſiſch?«
Nach den Friedensgrundſätzen des Präſidenten Wilſon zu urteilen, wäre dieſe
Frage mit einem glatten »Nein« zu beantworten. 8
Da aber ein tätiges Volk zum Leben Arbeit, Licht und Luft benötigt, bringe ich
in nachſtehenden Zeilen meine Meinung zum Ausdruck, wie die Bewohner des Saartales
Arbeit und damit Leben
erlangen können
„
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8 a Ich habe die ſchwierige Frage vorläufig nur in flüchtigen Zügen behandelt.
Der eigentliche Zweck dieſer Broſchüre ſoll nur der fein, berufenen Führern des
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Saartales ihre wahre Meinung zu entlocken. Auch die Maſſe des Volkes hat ein
Intereſſe daran, bald Näheres zu erfahren.
Der Verfaſſer.
Delahaye in der franzöſiſchen Kammer:
»Was das Saargebiet angelangt, ſo hat ſich dies ſchon lange an Frankreich
angeſchloſſen.«
Dieſe Worte wirkten wie der Blitz aus heiterem Himmel. Mit einer Angſtlichkeit
wird dieſe wichtige Frage behandelt, die einem freien Volke nicht gut anſteht. Das
Thema müßte ſeit Wochen ſchon die Zeitungen des Saartales beſchäftigen; es iſt zu
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2 *
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ernſt und zu wichtig, um ſpäter vor nackte Tatſachen geftellt zu werden.
Das Saargebiet hat ſich in den letzten 50 Jahren gewaltig geändert. Aus
kleinen Dörfern ſind Städte, aus kleinen Fabriken mächtige Hütten geworden. Die
Einwohnerzahl hat ſich faſt verdreifacht.
Wem verdanken wir dies?
Zunächſt der Mutter Natur, die uns in ihrem Schoße die koſtbare Kohle dar—
nr reicht. Dann aber nicht minder dem Nachbarlande Lothringen, das uns mit feinen
.
reichen Erzfeldern das gab, was zur Erzeugung von Werten erforderlich iſt.
Kohle und Erz ſind unzertrennlich.
Tüchtige Kaufleute und Unternehmer haben es verſtanden, aus dieſen Mineralien
ein kräftiges Leben zu geſtalten. Die meiſten Bewohner des Saartales leben — bild—
lich geſprochen — von Kohle und Erz. Lothringen wird franzöſiſch, das
dürfte wohl jeder wiſſen. Saarbrücken als Grenzſtadt — wie vor 1870 — iſt
aber nicht mihr denkbar. Mit dieſen Gedanken muß ſich — wohl oder übel — jeder
vertraut machen. |
Saarbrücken ohne Lothringen, d. h. ohne feine Lebensader, wäre in
wenigen Jahren eine tote Stadt. Tauſende von Arbeitern würden brot—
los! Soll dieſer Zuſtand kommen? Nein und wieder nein. Die Tren—
nung der Staaten nach Sprache und Sitte iſt gewiß recht ſchön, wichtiger aber iſt
unſere Zukunft. Unſere Zukunft liegt im Weſten, das ſei hiermit öffentlich
geſagt; alle Theorien verſagen, wenn dem Bewohner des Saartales die Luft aus—
geht. Wir brauchen Arbeit, nichts als Arbeit. Dieſe bringt Lohn und da—
mit Leben. Nach dem Weſten haben wir gute Schiffahrtsſtraßen, gute Eiſenbahnen
und, was die Hauptſache iſt, ein gutes Abſatzfeld. Aus Liebe zum Vaterlande
können wir nicht darben. Der Staat Preußen oder Deutſchland — auch das
ſei offen geſagt — hat dem Saartal nicht immer die Berückſichtigung zu—
kommen laſſen, die es verdient hatte. Die niederrheiniſche Induſtrie mit
ihrem Bergbau war ſtets das Lieblingskind des Preußiſchen Staates. Die
Perlen der Saar wurden kaum beachtet; gerechte Anſprüche wurden jahrelang.glatt abge—
lehnt. Ich erinnere nur an die Kanaliſation der Saar und Moſel. Nur mit
großer Mühe iſt es der Induſtrie an der Saar möglich geweſen, ſich zu entwickeln.
Der Geiſt der induſtriellen Führer und die gediegene Arbeit der Arbeiter haben es
fertiggebracht, gewaltige Aufträge aus dem Auslande zu holen. Der Kampf war
ſchwer. Bei der neuen Staatenbildung muß die Vernunft, das Natürliche mit—
ſprechen. Jede gewaltſame Trennung bedeutet Tod. Gefühls duſelei bringt
kein Brot. Noch jetzt beſtehen vielfach enge Familienbeziehungen zwiſchen dem
’ 5 Saargebiet und Frankreich. Dies ſei offen geſagt. Leider gehörte es zum guten
Ton, darüber zu ſchweigen. Laßt uns jetzt frei ſein und unſere wahre
Meinung äußern. Das Saartal ohne Lothringen bedeutet den Tod des blühenden
Lebens an der Saar, wir aber wollen leben, leben, leben! Lothringen und das
Saargebiet ſind nicht mehr zu trennen, wohl wären beide als ſelbſtändiger Staat mit
Teilen der Pfalz (bis Landau) und im Anſchluß an Frankreich ſehr lebensfähig.
Der kommende Völkerbund kann und muß dazu beitragen, daß die Landes
grenzen nicht verriegelt, ſondern zu aller Völker Wohl möglichſt offen ſind. Jedes
Volkes Sitte, Sprache und Eigenart muß bewahrt werden. Jeder ſoll ſeine Heimat
behalten. Obige § eibeit darf nicht nur auf das wirtſchaftliche Leben angewandt 8
ſein; auch Kunſt und Literatur können ſich gegenſeitig befruchten, wie es früher ſo
ſchön der Fall war. Paſſeun folgende Worte Goethes an Eckermann vom Jahre 1827
nicht auch für die heutige Zeit? »Es iſt ſehr artig, daß wir jetzt bei dem engen DR
Verkehr zwifchen Franzoſen, Engländern und Deutſchen in den Fall kommen, uns ENT.
einander zu korrigieren. Das iſt der größte Nutzen, der bei einer Weltliteratur heraus ĩ
kommt und der ſich immer mehr zeigen wird.«
Bei dem bevorſtehenden Friedensſchluß müſſen die Lebensintereſſen des =
Saartales gewahrt werden; feine Bewohner verdienen es, denn es iſt ein tüchtiges,
ein ſt ebſames Volk! In den letzten 50 Jahren war das Wort »Haß« die Parole,
die kommende muß »Liebee lauten, denn »nicht mitzuhaſſen, mitzulieben 5
ſind wir da!« Getragen von der Parole Liebe (von ſeinem öſtlichen und weſt⸗
lichen Nachbar) kann das liebe Saartal einer glänzenden Zukunft entgetzsugee 9.
| RT. EL: |
Im Saargebiet im März 1919 verbreitetes Gedicht’).
Ihr Kinder!
Ihr Kinder! Was ſoll denn nur all Euer Schrei'n,
Euer Konſpirieren und Intrigieren?
Beſeht Euch die Sache bei ruhigem Licht!
Ihr alle wollt große Politiker ſein,
Möchtet machtvoll führen und merkt eines nicht:
Daß die Anſichten Stärkrer Euch nur erfüllen,
Mit denen Ihr kurz vorher geſprochen —
Und ich höre Euch weisheitsvoll ſelbſtbewußt brüllen:
»Los von den Preußen! Mit Berlin wird gebrochen!«
Die Andern ſchrei'n: »Wir ſtehn als Deutſche feſte!
Wer zu Frankreich will, iſt das Deutſchſein nicht wert!«
Oder: »Rheinrepublik iſt das Einzigbeſte!
Denn in Preußen geht's nur ſpartakidenverkehrt!«
Ihr glaubt Euch alle ſtark zum Herrſchen
Und tanzt doch nur alle nach Andrer Geige.
Ein jeder tut, was ein Stärkerer ſpricht,
Möchtet alle herrſchen und laßt Euch beherrſchen.
Und jeder, ſtatt daß er weiſe ſchweige,
Redet dumm und beherrſcht ſelbſt ſich noch nicht!
Oh, Ihr Kinder, die ſich herrſchaftſtark ſchon wähnen,
Euch packt noch die Reue, wenn Ihr Euch befreit.
Ihr folliet Euch glaubend an Stärkere lehnen —
Nur ein ſtarker Freund beſchützt Euch vor Leid.
Nun — ſo trefft Eure Wahl — welches Land ſcheint Euch's wert?
Seid gewarnt und gebt nie Eure Hand Spartakiden, |
Nur ein einiges Land ſchützt Euch Heim und Herd
Und — man hat ja auch — fertige Republiken!
0 Eine ähnliche Flugſchrift, betitelt »Ein Mahnruf an die Bevölkerung des Saargebiets« und
unterzeichnet »Ein Freund der Menſchheit«, iſt in der gleichen Zeit im Saargebiet verbreitet worden.
2) Das Gedicht iſt auf den Straßen und in den Schulen verteilt worden.
Nr. 12.
Bieſuch des Majors Delévaque und des Leutnants Fabvier in der
. ſtädtiſchen höheren Mädchenſchule in Saarlouis.
(Aus einem amtlichen Bericht.)
"a Am 13. März 1919 kamen der franzöſiſche Major Delevaque und der franzöſiſche
Leutnant Fabvier in die ſtädtiſche Mädchenſchule in Saarlouis, ließen die Lehrperſonen
ins Konferenzzimmer rufen und ſie ſich vorſtellen. Nachdem der Kommandant Delévaque
ſſich vergewiſſert hatte, daß alle Damen mit einer Ausnahme Franzöſiſch verſtünden,
erklärte er ihnen, er ſei gekommen, um ihnen mitzuteilen, daß die Lage ſich vollkommen
8 e Saarlouis werde ganz beſtimmt franzöfifch werden. Die Bevölkerung
der Stadt und der Umgebung ſei ja auch franzöſiſcher Abſtammung. 80 v. H. der
Bewohner ſeien dem Mutterlande Frankreich treu geblieben, und Treue finde man
in Deutſchland nur auf dem linken Rheinufer unter der Bevölkerung franzöſiſchen
Urſprungs. Daran ſchloß er wörtlich: »Das linke Ufer iſt weiß, das rechte ganz
ſchwarz. Deutſchland iſt ein Nichts, das Chaos, der Bolſchewismus, ein tönerner
Koloß Es hat immer nur Geld verdienen wollen. Jetzt, wo die Magnaten gefallen
ſind, iſt es zermalmt. Deutſchland beſteht nicht mehr. In Frankreich iſt man im
gegenwärtigen Augenblick viel weniger vergnügt; in Deutſchland tanzt man, in
Frankreich tanzt man nicht, abgeſehen von Paris, weil Paris mondän iſt. Aber
Saarlouis iſt franzöſiſch, und der geringſte Widerſtand wird Ausweiſung auf das
rechte Rheinufer zur Folge haben.«
75 Gegen feine weitere Bemerkung: »Sie haben den Haß gegen Frankreich gepredigt,
ei erhoben alle Lehrperſonen mit Ausnahme von Fräulein David lauten Proteſt.
Fräulein David bemerkte: »Was iſt es denn ſchließlich anderes als Haß gegen Frank
reich, wenn die Kinder, die ſich zur Teilnahme an den Empfangsfeierlichkeiten der
Franzoſen bereit erklärt haben, öffentlich vor der Klaſſe verhöhnt und verſpottet
werden?« Dieſe Behauptung wurde von den anderen Lehrperſonen als unwahr
zurückgewieſen. Das wiederholte Verlangen, die Kinder darüber zu befragen, lehnte
der Kommanndant ab mit der Begründung, daß er auf Kinderausſagen nicht viel gebe.
Es folgten weitere Herabſetzungen Deutſchlands durch den Kommandanten.
So ſagte er, von Deutſchland ſeien ſämtliche Revolutionen ausgegangen, von der
0 erſten ab. Dieſe Behauptung rief natürlich großes Erſtaunen hervor, worauf er
bemerkte: »Jawohl, meine Damen, denn die erſte Revolution war die lutheriſche.
Auch alle Revolutionen in den Ententeländern, in Irland und Rußland, auch der
Bolſchewismus in Rußland werden mit deutſchem Gelde bezahlt. «
Als der Kommandant weiterhin nochmals bemerkte, Saarlouis ſei bereits
franzöſiſch, wurde gefragt, ob dies eine amtliche Mitteilung ſei! Darauf antwortete
der 1 »Amtlich oder nicht amtlich, wenn ich es Ihnen ſage, dann iſt
es wahr. «
Fräulein Schäfer fragte nunmehr, ob auch Saarbrücken annektiert werde, worauf
Leutnant Fabvier erwiderte: »Warum glauben Sie denn, daß wir 5 Jahre Krieg
geführt haben? Das ganze linke Rheinufer wird franzöſiſch werden.« Sofort fügte
er aber hinzu, wenn es nicht franzöſiſch werde, ſo werde es doch beſetzt bleiben, was
ungefähr auf dasſelbe hinauskomme. In höhniſchem Tone fragte er dann: »Wiſſen
Sie vielleicht, Fräulein, was im gegenwärtigen Augenblick in Saarbrücken vor ſich
geht e, und der Kommandant Deleévaque fügte hinzu, am nächſten Tage werde eine
Delegation unter Führung des Herrn Klein, des erſten Beigeordneten der Stadt
Saarbrücken, nach Paris fahren, um den Anſchluß Saarbrückens an Frankreich zu
beantragen. Fräulein Schäfer verbeſſerte ihn ſofort dahin, daß der erſte Beigeord—
nete von Saarbrücken Schloſſer heiße und nicht Klein. Auf ihre Frage, ob etwa
Herr Klein im amtlichen Auftrage der Stadt Saarbrücken handele, erfolgte keine Ant—
wort. Sie bemerkte dann über Herrn Klein, ſo viel ſie wiſſe, habe dieſer ſehr wertvolle
Beſitzungen in Lothringen, feine Zuneigung zu Frankreich ſei alſo leicht begreiflich.
1 ER re Du * nu 1
EL. 0 a
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Fräulein Schäfer wurde ſodann nach einem Gedicht gefragt, das ſie verfaßt
haben ſollte. Sie legte zwei Gedichte vor, bekannte ſich als Verfaſſerin des erſten
und erklärte, das zweite ſei ihr von unbekannter Hand zugeſchickt worden. Einer
der franzöſiſchen Offiziere bemerkte dazu: »Ich weiß nicht, welche Fliege Sie da ſticht.«
Fräulein Schäfer ſagte dann zu Herrn Fabvier: »Ich ſtamme aus einer deutſchen
Beamtenfamilie. Reich waren wir nicht, aber wir hielten auf die Ehre, und die
will ich retten.“ Darauf entgegnete Herr Fabvier: »Ihre Meinung iſt ſehr ehren—
wert«. Zum Kommandanten Delevaque ſagte Fräulein Schäfer: »Wenn Sie mich
wegen dieſer Sachen da beſtrafen wollen — man kann mich nicht beſtrafen, aber
wenn Sie mich beſtrafen wollen, dann ziehe ich das Gefängnis vor.« ä
Es kam weiter die Rede auf Wilſon und ſeine 14 Punkte, auf deren Einhaltun
gehofft werde. Hierzu meinten die franzöſiſchen Offiziere, die deutſche Hoffnung auf
Uneinigkeit zwiſchen den Alliierten werde ſich als trügeriſch erweiſen. Über den Ver⸗
lauf der Friedensverhandlungen erklärten ſie, Frankreich hätte nur Anſpruch auf
Elſaß⸗Lothringen erhoben, worauf ein Vertreter Englands erklärt hätte, das Saar⸗
gebiet von Trier bis St. Wendel ſei das mindeſte, was Frankreich verlangen könne.
Zum Schluß erklärte der Kammandant Delevaque nochmals, Saarlouis ſei
franzöſiſch, er äußerte ferne Verwunderung, daß dies den Lehrerinnen nicht längſt be-
kannt ſei. Hierzu bemerkte Fräulein David: »O, ich habe es ihnen recht häufig ge-
ſagt, aber ſie glauben es mir nicht.« |
Der Kommandant machte alsdann abermals auf die Folgen aufmerkſam, die
ſich aus den geringſten Widerſtand ergeben könnten, und ging hierauf weg, nachdem
er Fräulein David die Hand gereicht und ihren Dank empfangen hatte.
Nr. 13.
Vorbereitungen zu einem Empfang des Marſchalls Foch in Saarlouis.
| (Aus amtlichen Berichten vom 9. und 18. März 1919.)
Am 18. März fol Marſchall Foch oder Marſchall Pétain nach Saarlouis
kommen. Sein Empfang ſoll auf Veranlaſſung des Militärverwalters mit gewiſſen
Feierlichkeiten umgeben werden, die den Eindruck hervorrufen, als ob die Einwohner
der Stadt überwiegend zu Frankreich hinneigen. Geplant iſt u. a., daß em Schul⸗
mädchen auf dem Marktplatz die in der Anlage 1 verzeichneten Begrüßungsworte
ſpricht. Nachdem alle in Frage kommenden Schülerinnen ſich geweigert haben,
dieſen Empfangsgruß aufzuſagen, wird er nunmehr von der Tochter des Direktors
des Eiſenwerks Fraulautern, A. G., Meier, deren Mutter eine geborene Franzöſin iſt,
geſprochen werden. Auch ſoll ein Chor das in der Anlage 2 aufgeführte Lied vor⸗
tragen. Verfaſſer des Textes des Liedes und der vorerwähnten Begrüßungsworte
iſt die Lehrerin Aline David ).
Der erſte Adjutant der Militärverwaltung in Saarlouis, Major Delevaque,
iſt mit dem Bürgermeiſter und dem Dirigenten des katholiſchen Kirchenchors in
Verbindung getreten, um fie zur Bildung eines Chors zu veranlaſſen, der bei einer
demnächſt ſtattfindenden feſtlichen »Gelegenheit« mehrere franzöſiſche Lieder, darunter
die Marſeillaiſe, ſingen ſoll. Auf den Hinweis des Bürgermeiſters, es ſei doch eine
eigenartige Zumutung, Leute, die ſelbſt im Felde gegen Frankreich geſtanden, die
ſelbſt geblutet, Söhne, Väter, Brüder im Kriege verloren oder noch beute in Ge
fangenſchaft hätten, die Marſeillaiſe fingen zu laſſen, ſagte Major Delevaque, die
Marſeillaiſe könne fallengelaſſen werden. Bei der »occasion« werde die Muſik die
Marſeillaiſe ſpielen; es ſeien ja dann auch Soldaten zum Singen da, und die alten
Saaxlouiſer könnten fie ja auch noch, und wer fie nicht fingen könnte, könnte fie ja
mitſummen. Der Bürgermeiſter hat dann mit den Vorſtänden der verſchiedenen
) Frl. David hat im Sommer 1921 von der Académie frangaise einen Preis von 5000 Franken
erhalten, weil ſie, wie franzöſiſche Zeitungen berichteten, ihrer Arbeit »trotz der zuweilen ſehr gröblichen
Beläſtigungen ſeitens gewiſſer Deuiſcher« nachgegangen ſei.
5 Br,
GOeeſangvereine verhandelt, die ſich in ablehnendem Sinne ausgeſprochen haben. Man
kam zu dem Schluffe, die Sache den Sängern vorzutragen und ſchließlich durch eine
* tungsanzeige »ſtiimmbegabte Damen und Herren, die bei einer Gelegenheit auf
Wounſch der franzöſiſchen Militärverwaltung deutſche Lieder fingen follen«, ſich melden
* zu laſſen. Bisher hat ſich noch niemand gemeldet.
. v
Bi: N Anlage 1.
.
—
Pe Geplanter Empfangsgruß für den in Saarlouis einziehenden
a franzöſiſchen Marſchall.
Hranzoſiſcher Text:
* Monsieur le Marechal de France, Cdt. en chef des Armees
* francaises.
Nous venons au nom de toutes les petites Sarrelouisiennes pour
x vous presenter nos hommages et l’expression de notre amour pour
la France. Nous desirons devenir de bonnes petites Francaises et
Deutſche Überſetzung:
Herr Marſchall, Höchſtkommandierender der franzöſiſchen Armeen!
Wir kommen im Namen aller kleinen Saarlouiſerinnen, um Ihnen
unſere Ergebenheit und den Ausdruck unſerer Liebe für Frankreich darzu—
bringen. Wir wollen gute kleine Franzöſinnen werden und bitten Sie,
unſere ſüßeſten Küſſe entgegenzunehmen und fie allen unſren kleinen Schweſtern
drüben in Frankreich zu übermitteln.
. ' Es lebe Frankreich und das Land der Saar!
Anlage 2.
Franzöſiſcher Text:
Le beau pays de la Sarre, dest mon pays natal:
Paime bien ma patrie, j'aime bien mon joli val.
C’est mon foyer, que j'aime, qui seule me rend heureux.
C'est lui qui nous ramene en France au pays des aieux.
Oh! Jour heureux! oh! temps, plein d’allegresse,
Que vous voyez, oh! peres du haut des cieux.
Que beni soit, le jour de votre arrivee!
Qui nous rend le passe,
La douce France! La Sarre a la France!
Vive la France!
Deutſcher Text:
Das ſchöne Land an der Saar, das iſt mein Heimatland;
Ich liebe ſehr mein Vaterland, ich liebe ſehr mein hübſches Tal.
8 Meinen häuslichen Herd liebe ich, der allein mich glücklich macht,
5 Denn er führt mich zurück nach Frankreich, in das Land meiner Väter.
O Tag des Glücks, o Tag der Freude,
Den ihr nun ſeht, ihr Väter von den Himmelshöhen.
Geſegnet ſei der Tag deiner Ankunft,
Der uns die Vergangenheit wiedergibt
Und das fühe Frankreich.
Die Saar gehöre Frankreich!
Es lebe Frankreich!
Fr!
„Was wird die Stadt Saarlouis tun, wenn fie franzöfifch wird?“
(Aus amtlichen Berichten.) = R
Am 14. März 1919 erſchien der erſte Adjutant des Militärverwalters, Major
Delevaque, beim Bürgermeiſter und ſagte zu ihm: »Sie wiſſen, daß Saarlouis
franzöſiſch iſt« Darauf der Bürgermeiſter: »Nein, ich weiß nur, daß ſie es franzöſiſch
machen wollen.« Delevaque: »Nun, dann ſage ich Ihnen hiermit, Sie find franzöſiſch.«
Der Bürgermeiſter: »Aus den Zeitungen weiß ich, daß noch immer verhandelt wird,
und daß etwas Endgültiges noch nicht veröffentlicht ift.« Delevaque: »Es iſt Tat⸗
ſache, aber Frankreich iſt zu höflich (trop poli), um es zu veröffentlichen, bis ſeine
Freunde es unterſchrieben haben. Nun zur Sache: Wenn die Tatſache vollzogen iſt,
wird einer der Marſchälle, Foch oder Pétain, hierher kommen, um die Proklamation
vorzunehmen. Der Herr Militärverwalter (Oberſtleutnant Poulet) ruft ſchon den
ganzen Tag: Wo bleiben die Fahnen! (Major Deleévaque hat vorige Woche in Metz
Fahnen uſw. ſelbſt eingekauft). Ich will nun wiſſen: Was wird die Stadt tun,
wenn fie franzöſiſch wird? Es müſſen doch Vorbereitungen getroffen werden.«
Der Bürgermeiſter: »Auf dieſe ſchwerwiegende Frage kann ich Ihnen jetzt keine Antwort
geben, da muß ich mich erſt mit den Herren Stadtverordneten befprechen.« Delévaque:
»Recht ſo, die Herren von der Stadtverordnetenverſammlung ſind zur größeren
Hälfte für uns, aber die Kleinen, die Knaben und Mädchen, und die Bauern ſind
uns zuwider, ſie wollen nicht. Auch die Geiſtlichen, katholiſche und evangeliſche,
ſchaden uns ſehr.« Der Bürgermeiſter: »Ich werde Montag nachmittag eine Stadt⸗
verordnetenſitzung abhalten und ihr die Frage vorlegen.« Delevaque: »Gut, ich
werde erſcheinen.⸗
Die Einladung iſt erfolgt, und Samstag, Sonntag und Montag haben Vor⸗
beſprechungen ſtattgefunden, in denen jedesmal mindeſtens 23, am letzten Tage 25
von 29 Stadtverordneten erſchienen waren. Drei der fehlenden Stadverordneten waren
verreiſt, einer krank. Nach eingehenden Verhandlungen, in denen natürlich ſanfte
und ſcharfe Vorſchläge gemacht wurden, nahmen die verſammelten Stadtverordneten
einſtimmig!) die in der Anlage niedergelegte Entſchließung an, die dem franzöſiſche
Stadtkommandanten als Antwort auf ſeine Frage erteilt werden ſollte. |
Am 17. März, nachmittags ¼5 Uhr, als die Stadtverordneten ſchon nahezu
vollzählig erſchienen waren und ſich in und vor dem Sitzungsſaal ſchon eine Zu⸗
hörermenge von über 300 Menſchen verſammelt hatte, ließ der Kommandant, der
inzwiſchen ſicherlich ſchon Kenntnis von der ablehnenden Haltung der Stadtverord-
neten erlangt hatte, den Bürgermeiſter zu ſich bitten und eröffnete ihm, er habe
nichts von der Einberufung der Verſammlung gewußt. Sein Adjutant, Major Dele-
vaque, habe ohne ſein Wiſſen und Einverſtändnis gehandelt, und er verböte hiermit
die Sitzung. Wie der Bürgermeiſter nach ſeiner Rückkehr der wartenden Menge
den Beſchluß des Kommandanten mitteilte, antworteten die Saarlouiſer mit mehr⸗
ee lautem »Hurra« und ſtimmten das Lied »Deutſchland, Deutſchland über
alles« an.?)
) Die Stadtverordneten Dr. Hector und Henry Cahn hatten ſich anfangs gegen die Faſſung der
Entſchließung ausgeſprochen.
2) Unmittelbar nach den Ereigniſſen des 17. März erſchien der oberſte Militärverwalter des Saar⸗
gebiets, General Andlauer, an mehreren Tagen in Saarlouis und hatte Beſprechungen mit den Offi⸗
zieren der dortigen Militärverwaltung, in deren Verfolg der Major Delévaque und der Leutnant Collong
entfernt wurden. General Andlauer hatte auch Unterredungen mit dem Bürgermeiſter und dem Landrat.
Kurze Zeit darauf wurde auch der Militärverwalter von Saarlouis, Oberſtleutnant Poulet, durch den
Bataillonschef de Job erſetzt. N
Er — ww;
* 5
. eine andere Anſtellung bekommen habe. Von dem Oberbürgermeiſter darauf auf—
merkſam gemacht, daß dieſer Weg ſchon der allgemeinen Rechtslage nach nicht gangbar
0
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Anlage.
Entwurf einer Entſchließung der Stadtverordnetenverſammlung in
Saarlouis. 85
Saarlouis, den 17. März 1920.
Das franzöſiſche Volk hat während der furchtbaren Kriegsjahre ein nationales
Bewußtſein, eine nationale Liebe und nationale Kraft gezeigt, die alle Welt be—
wundern muß. Frankreich hat mit ſeinen Verbündeten ſtets erklärt, für Recht und
Freiheit aller Völker der Welt einzutreten.
Als Deutſche ſind wir einſichtig genug, das klar zu erkennen, und auch gerecht
genug, das offen zu ſagen.
Aber ebenſo klar iſt es uns, und ebenſo frei glauben wir es ausſprechen
zu müſſen:
Die verehrten Vertreter einer ſolchen Nation müßten uns deutſche Bürger der
Stadt Saarlouis geringſchätzen, wenn nicht tief verachten, wenn wir in der Schickſals—
ſtunde unſeres ſchwergeprüften Vaterlandes eine unklare und undankbare Stellung
einnehmen würden.
Erſt wenn das Saarvolk über ſein Schickſal endgültig entſchieden hat, könnte
uns die Frage erneut vorgelegt werden.
Nr. 15.
Amtsenthebung des Oberbürgermeiſters von Saarbrücken.
(Aus einem amtlichen Bericht.)
Am 4. März 1919 eröffnete der franzöſiſche oberſte Militärverwalter des Saar—
gebietes, General Andlauer, dem Oberbürgermeiſter Mangold von Saarbrücken in
einer mündlichen Ausſprache, der Armeeführer, General Mangin, habe mit Befremden
geleſen, daß der Oberbürgermeiſter die Kölner eee in der die Oberbürger-
meiſter und Abgeordneten des linken Rheinufers erklären, die ganze Bevölkerung des
linken Rheinufers ſei deutſch und wolle deutſch bleiben, unterſchrieben habe. Es werde
ihm weniger zur Laſt gelegt, daß er ſich an der Faſſung dieſes Beſchluſſes beteiligt
habe, als daß er, ein leitender deutſcher Beamter des franzöſiſch beſetzten Saar—
gebietes, dieſe Erklärung unterſchrieben habe. Der Oberbürgermeiſter erwiderte darauf,
er habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß er ſelbſt wie die ganze Bevölkerung des
Saargebietes deutſch bleiben wolle. Er glaube, daß er dies genau fo wie alle
anderen Oberbürgermeiſter des linksrheiniſchen Gebietes auch in der Offentlichkeit er—
klären dürfe. Dabei habe er aber ſtets in voller Loyalität bisher mit den franzöſiſchen
Beſatzungsbehörden zuſammen gearbeitet. General Andlauer erkannte das durchaus
harmoniſche Zuſammenwirken mit dem Oberbürgermeiſter ausdrücklich an, betonte
aber, daß es für die franzöſiſchen Behörden nicht maßgebend fein konne, wenn die
engliſchen und amerikaniſchen Beſatzungsbehörden ſolche Erklärungen der ihnen unter—
ſtellten Oberbürgermeiſter zuließen. Er legte darauf dem Oberbürgermeiſter »Re-
vokation« der Erklärung nahe. Der Oberbürgermeiſter erwiderte, es könne ihm nicht
zugemutet werden, eine Erklärung, die er für wahr und recht erkenne, zu widerrufen.
General Andlauer ließ auch gleich den Vorſchlag fallen und riet dem Ober—
bürgermeiſter, Urlaub zu nehmen, bis er von dem Oberpräſidenten oder der Regierung
ſei, da er nicht angeſtellt, ſondern von der Saarbrücker Bürgerſchaft gewählt ſei,
forderte General Andlauer ihn auf, ſeinen Abſchied einzureichen. Darauf erklärte
der Oberbürgermeiſter: »Ich würde es als Fahnenflucht anſehen, wenn ich in dieſer
) Vom 1. Februar 1919.
— 40 —
ernſteſten Zeit die Saarbrücker Bürgerſchaft, durch deren Vertrauen ich zu meiner
Stellung berufen bin, freiwillig verlaſſen würde. Es iſt mir darum unmöglich, auf
dieſen Vorſchlag einzugehen.« Dann, fuhr Andlauer fort, bliebe nichts anderes übrig,
als daß er dem General Mangin vortrüge, er möchte die Abſetzung des Oberbürger⸗
meiſters ausſprechen. General Mangin werde vorausſichtlich die Angelegenheit noch
mit dem Herrn Oberpräſidenten in Coblenz beſprechen; die Abſetzung würde dann
wohl in etwa 14 Tagen ausgeſprochen werden. Das Ganze ſei eine Warnung für
/ alle Oberbürgermeiſter und Landräte. | |
Im Anſchluß an die Beſprechung fragte der Oberbürgermeiſter General Andlauer,
/ ob er ermächtigt ſei, von dieſer Unterredung Gebrauch zu machen, worauf General
Andlauer erwiderte: »Geſprächsweiſe ja, aber nicht in der Preſſe.«
Anlage.
(Überſetzung.)
Oberkommando
der alliierten Armeen. Großes Hauptquartier, den 18. März.
Großer Generalſtab.
D. G. C. R. a.
Verwaltung
der rheiniſchen Gebiete.
Nr. 8186.
Der Marſchall von Frankreich, Oberkommandierender der alliierten Armeen,
an
General Fayolle, Kommandierender der Armeegruppe
in Kaiſerslautern.
Ich habe Kenntnis genommen von Ihrem an mich gerichteten Bericht über den
Bürgermeiſter von Saarbrücken. Im Hinblick auf die Haltung dieſes Beamten und
ſeine politiſchen Kundgebungen, die mir mit ſeinem Amt unvereinbar erſcheinen, habe
ich beſchloſſen, die Abberufung des Herrn Mangold zu genehmigen.
Die Geſchäfte des Bürgermeiſters ſind bis auf weiteres von Herrn Stadtrat
Klein wahrzunehmen.
gez. Foch. 5
(Vorſtehendes Schreiben iſt dem Oberbürgermeiſter Mangold am 28. März 191
zugeſtellt worden.)
| Nr. 16.
Kundgebung des Kreistages Saarlouis vom 31. März 1919.
Am 31. März 1919 faßte der in Saarlouis zuſammengetretene Kreistag des
Kreiſes Saarlouis einſtimmig und unter lautem Beifall der Anweſenden folgenden
Beſchluß:
»Der heute verſammelte Kreistag des Kreiſes Saarlouis als die geſetzlich
berufene Vertretung der Kreiseingeſeſſenen ſieht es als vornehmſte Ehrenpflicht
an, in der jetzigen Schickſalsſtunde das Gelöbnis unwandelbarer Treue zum
deutſchen Vaterlande zu erneuern und das Bekenntnis abzulegen, daß der
Kreis Saarlouis und ſeine Bewohner ſich unlöslich mit dem Deutſchen Reiche
vereint fühlen. In Glück und in Not auf immer feſt zum Deutſchen Reiche
ſtehend, gibt der Kreistag der beſtimmten Erwartung Ausdruck, daß die
Reichsregierung bei den bevorſtehenden Friedensverhandlungen die in Ab-
ſtammung, Geſchichte und Kultur begründeten Rechte der Einwohner des
Kreiſes nachdrücklichſt wahrt.«
7
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ug a NR. DENE? ai, A
. 5 —
Ga E } Nr. 17.
die Geſchente König Ludwigs XIV. von Frankreich
E an die Stadt Saarlouis.
(berſetzung.)
Militärverwaltung
des Kreiſes Saarlouis. Saarlouis, den 14. April 1919.
8/1212/4A.
Der Bataillonschef de Job, Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis,
an
den Herrn Bürgermeiſter von Saarlouis.
Ich erteile Ihnen den Befehl’), die 18 mit Gobelins bezogenen Stühle aus
der Zeit Ludwigs XIV., die von dieſem Herrſcher der Stadt Saarlouis geſchenkt
worden ſind, in mein Amtszimmer bringen zu laſſen.
Ich werde dieſe Möbel am 15. April übernehmen und Ihnen darüber eine
Quittung ausſtellen. Sie werden gebeten, zu prüfen und mir für Sonnabend zu
berichten, über welche Mittel Sie verfügen, um mir auch die Wan aus
derſelben Zeit auszuhändigen, die Ihr Amtszimmer ſchmücken.
Sie haben mir unter denſelben Bedingungen die Medaillen nebſt Schrein,
Archiven und Bücher der franzöſiſchen Kirche auszufolgen, die Sie etwa in Ihrem
1 haben. Ich werde Ihnen darüber ebenfalls eine Empfangsbeſcheinigung aus—
ſtellen.
Der Bataillonschef de Job,
Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis. |
(Stempel.) | 147
gez. de Job.
Der Bürgermeiſter Saarlouis, den 15. April 1919.
der Stadt Saarlouis.
An
den Herrn Militärverwalter,
Saarlouis.
Zu meinem Bedauern bin ich genötigt, Ihrem Befehl, die ſtädtiſchen Gobelin—
ſtühle abzuliefern, nachzukommen, die die Stadt Saarlouis nicht nur in franzöſiſcher
Zeit, ſondern auch unter deutſcher Herrſchaft / Jahrtauſend als ihren wertvollſten
Schatz gehütet und geſchätzt hat.
Ich tue es unter Proteſt, da in der mir amtlich zugegangenen Genie
über Beitreibungen (X. Armee, Generalſtab, 4. Bureau, Nr. 204%) unter Ziffer 11
geſagt iſt:
»Die Beitreibungen (Requiſitionen) müſſen ſtreng auf die für den Bedarf
der Truppen wirklich erforderlichen Gegenſtände oder Waren beſchränkt
werden.
1) Der Text lautete urſprünglich: »ich bitte Sie«. Nach Empfang des Schreibens begab ſich der
Burgermeiſter ſofort zu dem Militärverwalter und lehnte die Erfüllung der Bitte ſchon aus dem Grunde,
weil er gar nicht das Recht habe, eigenmächtig über ſtädtiſches Vermögen zu verfügen, ab. Der Militär—
verwalter berief ſich jedoch auf einen hoheren Befehl, nachdem alles, was von franzöſiſcher Kunſt in
öffentlichem Beſitz ſei, unter franzöfiichen Schutz genommen werden müſſe; die Deutſchen hätten im
Kriege bewieſen, daß fie franzöſiſche Kunſt für nichts achteten. Er ließ ſich darauf das Schreiben noch
mals geben und änderte die Worte »ich bitte Sie« um in »ich erteile Ihnen den Befehl«.
4*
Ferner unter A 3:
»Die Requiſition iſt eine . Art des Erwerbs, fie darf alſo |
nur zur Befriedigung ſofortiger und daher beſchränkter Bedürfniſſe ausgeübt
werden. «
Schließlich erlaube ich mir noch darauf hinzuweiſen, daß nach den Waffen⸗ 2
ſtillſtandsbedingungen die preußiſchen Geſetze weiter gelten, alſo auch die Tpeinüfche
Städteordnung vom 15. Mai 1856, deren $ 45 fagt:
»Die Stadtverordnetenverſammlung ed über die se des
Gemeindevermögens. « |
$ 53 lautet:
»Der Bürgermeiſter hat
(1.—4.)
5. das Eigentum der Stadtgemeinde zu verwalten, die Gemeinde in Progefen
zu vertreten und ihre Rechte zu wahren«.
Die Einhaltung der beiden vorſtehenden e wird durch den borlrgede, |
Befehl unmöglich gemacht.
Was die Wandgobelins angeht, jo kann eine Ablieferung durch die Stadt nicht
erfolgen, da mir keine Leute bekannt And, die die Gobelins Bacher nz |
könnten.
Einen Schrein mit t Medaillen beſitzt die Stadt nicht. Die ie wiederholt franzöſiſ 155
Herren gezeigten Medaillen ſind Eigentum des Herrn Oberſtadtſekretärs Schellenberg.
Auch beſitzt die Stadt kein Archiv; einige intereſſante alte Bilder und Urkunden hat
die Stadt vor einigen Jahren in Paris gekauft. Die alten Standesamtsregiſter
(Kirchenbücher) hat die Stadt täglich nötig, um die jederzeit gewünſchten Auszüge
zu machen. Von den zuletzt genannten Sachen werde ich ein Verzeichnis einreichen.
gez. Dr. Gilles.
Der Bürgermeiſter | % |
der Stadt Eaarlouiß. / Saarlouis, den 28. April 1919.
An
den Herrn Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis.
Heute Mittag wurden, wie mir ein Bote bzw. Dolmetſcher erklärte, auf a
Befehl die Wandbekleidungen aus meinem Arbeitszimmer weggenommen. Ich habe
auch dieſe Fortnahme, ebenſo wie die der Gobelinſtühle am 15. April, unter Proteſt
zugegeben und gebe dazu dieſelben Erklärungen ab wie in meinem Schreiben vom 15. April.
Gleichzeitig erlaube ich mir darauf hinzuweiſen, daß mir bis heute die Requiſitions⸗
bzw. Empfangsſcheine über die 18 Seſſel und 3 Wandbehänge noch nicht zugegangen ſind.
gez. Dr. Gilles.
*
—
2
1
* .
4
*
folgende Antwort ein:
x
+
ur
9
N
*
be
.
N
er
*
% Auf eine Note der Deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion vom 5. Mai 1919, in
r gegen die Wegnahme der Kunſtgegenſtände Einſpruch erhoben worden war, ging
5
— Y 3:
Be
a (Überſetzung.)
Spa, den 20. Mai 1919.
ee; General Nudant,
Präſident der Interalliierten Waffenſtillſtandskommiſſion,
| an General von Hammerſtein,
Er je Vorſitzenden der Deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion.
Antwort auf die Note Nr. 21046 vom 5. Mai 1919:
Der Kommandant de Job, Verwalter von Saarrlouis, hat bei ſeinem Eintreffen
dort erfahren, daß die von Ludwig XIV. der Stadt Saarlouis geſchenkten 18 Gobelin—
ſtühle und 3 Gobelinbehänge vor und im Kriege Gegenſtand von Verkaufsangeboten
ſeitens der ſtark verſchuldeten Stadtverwaltung von Saarlouis geweſen ſind.
Einer franzöſiſchen Familie des Landes und dem Sachverſtändigen Sternheim in
Paris waren feſte Angebote gemacht worden. Nur der zu hohe Preis, der verlangt
wurde, hatte das Zuſtandekommen des Verkaufs verhindert. Der Kommandant
de Job hat außerdem Kenntnis erhalten von der Abſicht der Stadtverwaltung, die
Möbel demnächſt nach Coblenz zu ſchaffen.
Unter dieſen Umſtänden hat er die Möbel an den Sitz der Militärverwaltung
bringen laſſen, um ſie der Stadt Saarlouis zu erhalten und ihren Abtransport über
den Rhein zu verhindern.
Er hat unter dieſen Umſtänden die einzig richtige Haltung eingenommen ).
gez. Nu dant.
Nr. 18.
Verſuche, die Haltung der Stadt Saarlouis zu beeinfluſſen und ſie
zur Entſendung einer Abordnung nach Paris zu veranlaſſen.
| (Aus einem amtlichen Bericht.)
Am 16. April 1919 erſchien der Stadtverordnete Dr. Hector bei dem Bürgermeiſter
von Saarlouis und erklärte ihm, es ſei Zeit, die von der Stadt zu vertretende
Politik endlich anders zu orientieren. Er habe den Eindruck, daß nach den Vorgängen
vom 17. März?) das Verhaltnis zwiſchen Beſatzung und Stadt getrübt ſei. Es ſei ein
großer Fehler geweſen, damals den Regierungspräſidenten und Landrat zu der Stadt—
verord netenverſammlung kommen zu laſſen; die damaligen Fragen gingen dieſe Herren
gar nichts an uſw. Der Bürgermeiſter erwiderte, das perſönliche Verhältnis zwiſchen
ihm und der Militärverwaltung ſei, wie ſtets, formell einwandfrei und freundlich.
Sachlich wiſſe man freilich nie, was man von den Franzoſen zu erwarten habe. Daß
ſeinerzeit Landrat und Regierungspräſident benachrichtigt worden ſeien, halte er für
ſelbſtverſtändlich, denn eine ſo wichtige Frage wie damals werde der Stadt Saarlouis
Ef ) Längere Zeit vor dem Kriege waren in der Tat unverbindliche Preisangebate für die Gobelin-
* möbel eingeholt worden, doch war ein Verkauf, den die Bevölkerung nicht zugelaſſen haben würde, ernſt—
— Fe beabſichtigt geweſen, auch war die Angelegenheit längſt vergeſſen, und niemand dachte mehr an einen
auf.
Ein Abtransport nach Coblenz war nie geplant. — Die Möbel find in der Folgezeit auf einer
Ausſtellung in Saarbrücken gezeigt worden. Ein ſpäteres Erſuchen der Regierungskommiſſion des Saar—
gebiets, ihr die Möbel zur Verfügung zu ſtellen, wurde von der Stadt Saarlouis abgelehnt. Heute
ſtehen die Möbel wieder im Rathaus in Saarlouis. 5
2) Vgl. Nr. 14.
AA
nicht fobald wieder vorgelegt werden. Dr, Hector meinte, Saarlouis gelte noch als
deutſche Stadt, habe aber ſtarke Vorlſebe für Frankreich. Die deutſche Stimmung
werde hauptſächlich von den Zugewanderten gemacht, während die eingeſeſſene Be
völkerung mit der probeutfchen Geſinnung nicht einverſtanden ſei. Wenn die Ent—
ſcheldung zugunſten Frankreichs ausfalle, werde in 10 bis 15 Jahren kein Menſch
merken, daß Saarlouis einmal deutſch geweſen ſei. Zum Schluß erklärte er: »Ich
habe die Überzeugung, daß Sie zum Nachteil von Saarlouis die Stadt regieren, «
Der Bürgermeiſter entgegnete: »Ich habe nicht dieſe Überzeugung wenn ich fie Hätte
würde ich abdanken.« Mit den Worten: „Daun iſt es zu ſpät«, entfernte ſich x
Dr. Hector,
In den nächſten na erſchlen Dr. Hector nochmals bei dem Bürgermeiſter und
verlangte von ihm die Einberufung eines Ausſchuſſe von Stadtverordneten zwecks
Wahl einer Kommiffion, die fofort nach Paris fahren ſolle. Dieſe Kommiffion ſolle
für den Fall, daß Saarlouis franzöſiſch würde, in Paris für möglichſt großes Ent⸗
gegenkommen Don der neuen Regierung wirken, für den Fall, daß Saarlouis
»neutral« werden follte (worüber damals Gerüchte gingen), follte die Kommiſſton in
Paris dahin wirken, daß die Stadt kanal werde, denn während der 10 bis
15 Jahre Neutralität werde das wirtſchaftliche Leben der Stadt abfterben; ſollte etwa
nach dem Friedensvertrag Saarlouis deutſch bleiben, fo brauche die Kommiſſton nicht
in Tätigkeit zu kreten. FR
Der Birgermeifter erklärte den von Dr, Hector vorgeſchlagenen Weg für falſch,
ungehörig, überflüſſig und verfrüht. Er könnte ez verſtehen, wenn die Entfendung
einer Kommiffion an die eigene, d. h. die deutſche bzw. preußifche Regierung borge
ſchlagen würde eine ſolche Kommiſſton habe aber leider keine Ausſicht auf Reiſe⸗
genehmigung. Der Vorſchlag von Dr. Hector fei überfluffig, da die Frledenskonferenz
ſich um eine unlegitimierte Kommiſſion aus Saarlouis nicht kümmern könne, verfrüht
fei er, da ez noch Zeit zum Handeln ſei, wenn über das Schickſal der Stadt end»
gültig entſchieden ſel. Im übrigen würde ein von dem Bürgermeiſter berufener Aus
ſchuß einfeitig zuſammengeſetzt fein, und die Nichtzugezogenen würden ſich mit Recht
beſchweren. Der Bürgermeiſter ſchlug deshalb Dr. Hector vor, er möge feine Anfichten
einmal in der Stadtverordnetenverſammlung vortragen. Dies wollte Dr. Hector
nicht, fo daß ihm der Bürgermeiſter ſchließlich zuſagte, die Angelegenheit am Nach—
mittag mit den Beigeordneten zu beſprechen,
In der Nachmittagsſitzung mit den Beigeordneten vertrat Dr. Hector ſeine Unficht
und erfuhr, wie vorauszuſehen war, von den Herren H. und L vollftändige Ab,
ſehnung. Nur Herr F. war elaſtiſch. Froſtig entfernte ſich Dr, Hector,
In der nächſten Zeit gingen in der Stadt e daß der Bürgermeiſter und
die Beigeordneten Bea würden, weil ſie die Mittel für die Entſendung einer
Kommiſſton nach Paris abgelehnt hätten. Um dieſelbe Zeit war tatſächlich eine
nichtamtliche Kommiffion nach Paris gefahren und von Clemenceau empfangen worden!).
Nr. 19.
Reiſe einiger Perſonen aus dem Kreiſe Saarlouis nach Paris.
| (Aus amtlichen Berichten.)
Auf Einladung der franzöſiſchen Regierung reiſten am 19. April 1919 folgende
Perſonen nach Paris?): Oberlehrer Camille David aus Dillingen, Photograph Stolz
) Dal, Nr. 19, N
) Die Perſonen, die die Entſendung der Aborbnung betrieben, hatten kurz vorher eine Be
ſprechung im „Rheiniſchen Hofe in Sagarloultz gehabt. Hierbei war u, a, erklärt worden, da bie
Stabtverorbnetenverfammlung auf die Frage dez Maſorsz Delévaque ihren bekannten Beſchluß gefaßt
habe (vgl, Nr. 12), könne bie Abordnung niterben Kreiſen der Stabtverordneten entnommen werben,
man milſſe vielmehr andere Honoratioren ausſuchen. Den Teilnehmern an der Relſe wurde auch elne
beſtimmte Summe von ſhranken zu einem Vorzugskurſe ausgehändigt,
Militarbehbrden beſonderes Entgegenkommen anbefohlen war, da die Neifenden „die
Wuünſche des Kreiſes und der Stadt Saarlouis« der franzöfifchen Regierung vor—
Fisutragen beabſichtigen von und bis Metz ſtand ihnen auf der Hin- und Rückreiſe
ein Sonderwagen zur Verfügung.
ann Paris hatten die Genannten mehrfach Zufammenkünfte mit Tardieu, Godin
und Maurice Barretz, die auf das genaueſte über alle Vorgänge, die maßgebenden
bdeutſchen Merſönlichkeiten uſw. im Saargebiet unterrichtet waren und täglich tele—
graphiſche Berichte der franzöſiſchen Beſatzungsbehörden erhielten. Auch von Cle—
menceau, der bei ihrem Kommen Freudentränen vergoſſen haben ſoll, wurden die
RNeſſenden in einer 22 Minuten langen Audienz empfangen. Clemenceau hat feiner
großen Freude über die »Rücktehr der vor 100 Jahren verlorenen Tochter Saarlouis
um Mutterlaude« Ausdruck gegeben und u. a, geäußert: »Meine Herren, Sie find
franzöſiſch und können in 15 Jahren nicht franzöſiſcher fein als heute,« Weiter hat
Cilemenceau bemerkt, daß, ſobald der Friedensvertrag unterzeichnet ſel, alle deutſchen
Beamten (Landräte, Bürgermeiſter uſw.), Lehrer, Gendarmen u, dgl. durch Franzoſen
oder Anhänger der Franzoſen erſetzt würden. Daß für die Stadt Saarlouis beſondere
ö . men zugeſagt wurden, bedarf keiner beſonderen Hervorhebung. Namentlich
wurde in Ausſicht geſtellt, daß Saarlouis Sitz eines Biſchofs und einer Handels
kammer würde, daß es ein Prieſterſeminar und große Garnſſon erhalten ſolle uſw.!)
* Mr, 20,
ALlaütigteit des Militärverwalters de Job in Saarlouis.
1 (Aus einem amtlichen Bericht.)
Der neue Kommandant de Job ſucht die Bevölkerung mit allen Mitteln für
1 zu gewinnen. Er ift vor allem — im Gegenſatz zu feinem Vorgänger -
ht, das Vertrauen der Arbeiterkreiſe zu erwerben. 104 babe für fein Vor,
gehen i „baß er fortgeſetzt die induſtriellen Betriebe beſucht, dabei ſich die Arbeiter.
pertretungen rufen läßt, fie nach ihren Wünſchen in bezug auf das Arbeitsverhältnis
ar nee die Ernährung fragt und ohne weitere Prüfung und ohne Anhörung der
BBetriebsleſtung diefen Wünſchen tatkräftigſte Förderung zuſagt. Auch ſucht er regel—
mäßig bei Streitigkeiten zwiſchen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu vermitteln und
ift ſtets beſtrebt, den Forderungen der Arbeiter, mögen fie auch noch fo weitgehend
und unberechtigt fein, Geltung zu verſchaffen; wenn es gar nicht anders geht, mit
dem Hinweſs, daß ihm durch die Erfüllung der Arbeſterwünſche eine erfönfiche Ge—
flälligkeit erwleſen werde, einem Hinweiſe, dem ſich faſt kein Arbeitgeber unter den
beſtehenden eo ie zu entziehen vermag. Zumeiſt verteilt er außerdem im
Anſchluſſe an 9 Beſprechungen zur 175 der notleidenden Arbeiter
9 Geldbeträge Summen von mehreren Taufend Mark waren mehrfach zu ver—
Bu" Fe Den Vertretern der Bergarbeiter hat de Job verſprochen, mit allem Nach—
E. fi) der Begnadigung ihrer bei dem letzten Streit von General Andlauer be,
ſtraften Kameraden anzunehmen, mit der Begründung, er könne verſtehen, daß die
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Die Aborbnung kehrte am 26, April nach Saarlouis zurlick. Nach ihrer Rückkehr wurden
wieder Unterſchriften für ben Anſchluß an Frankreich geſammelt. Man ſprach von 70 Unterſchriften
Auf Anmeld
geworben.
bei einem der Mitglieder ber Aborbnung erhielten Perſonen, bie ein Schriftſtäck unter,
ahlebensmitte! in berſelben Welfe wie Elſaß Lothringer, In der erſten Hälfte bes Monats
ch abermals eine Abordnung aus Saarlouis nach Paris, näheres hierüber iſt nicht bekannt
e
Leute den Befehlen nicht gefolgt ſeien und halte die verhängten Strafen für viel zu
hart; vielleicht hätten die deutſchen Behörden der franzöſiſchen Verwaltung lediglich
ihnen unliebſame Elemente zur Beſtrafung angezeigt. Auch hat er ihnen zugeſagt,
ſich für die ſofortige Freilaſſung und Rückſendung ihrer kriegsgefangenen Angehörigen
einzuſetzen. Dem Leiter der elektriſchen Kreisbahnen, der mehrere Wagenführer nach
voraufgegangenen ſchweren anderen Pflichtverletzungen mit der geſetzlichen Friſt ge—
kündigt hatte, weil ſie eines Sonntags lieber einem Tanzvergnügen beiwohnen wollten
und deshalb einfach nicht zum Dienſt erſchienen, ſchickte er den ſchriftlichen Befehl,
die Kündigung ſofort zurückzunehmen. Ahnliche Vorfälle ereignen ſich faſt täglich
und de Job benutzt dabei mit befonderer Genugtuung jede ſich bietende Gelegenheit,
die deutſchen Verhältniſſe und namentlich die deutſchen Behörden mit abfälligen Be-
merkungen zu bedenken. Einem Arbeiter, der vor einigen Tagen bei ihm erſchien
und auf eine gegen ihn verhängte Strafe von 1000 / den Betrag von 500 M
bezahlen wollte, mit dem Hinzufügen, daß das fein letztes Geld ſei und nun feine |
Familie hungern müſſe, ſoll de Job erwidert haben: »Da haben Sie Ihre 500 %
zurück; ich erlaſſe Ihnen die Strafe und wenn Sie einmal in Not ſind, kommen
Sie ruhig zu mir, damit ich Ihnen helfe. So handeln wir Franzoſen, trotz der
Greuel, die die Deutſchen in unſerem Lande verübt haben.« 7
In gleicher Weiſe wie auf die Arbeiter ſucht der Militärverwalter auf andere
Bevölkerungskreiſe Einfluß zu gewinnen. Den Landwirten iſt bereits erklärt, daß
ſie zur Schlachtviehabgabe nicht mehr herangezogen werden dürften und für die
Fleiſchverſorgung nur noch diejenigen Tiere abzuliefern brauchten, die ſie freiwillig
abliefern wollen. Auch dürften ſie in der Fettverſorgung nicht ſchlechter geſtellt
werden wie die Verſorgungsberechtigten und könnten daher, nachdem den Verſorgungs⸗
berechtigten 200 g Speck und Schmalz wöchentlich geliefert werden, eine gegen früher
entſprechende größere Menge Milch und Butter für ſich zurückbehalten. Daß unter
ſolchen Verhältniſſen im Kreiſe kein Schlachtvieh aufkommt, daß die Verſorgung der
Kinder mit Milch und Butter direkt kataſtrophal wird und daß die landwirtſchaft⸗
5 Erzeugniſſe ſchlimmer denn je den Weg des Schleichhandels gehen, iſt kein
under.
Die deutſchen Beamten ſtehen dieſen Zuſtänden machtlos gegenüber und werden
mehr und mehr ausgeſchaltet.
Nr. 21.
Verhaftungen, Ausweiſungen und ähnliche Maßnahmen im Saar⸗
gebiet in den Monaten März, April, Mai 1919.
(Aus amtlichen Berichten.)
Im Kreiſe Saarlouis wurden Ende März 1919 einige ſtädtiſche Beamte von
dem franzöſiſchen Militärverwalter ihres Amtes enthoben, weil ſie eine franzoſen⸗
feindliche Geſinnung bekundet hätten.
Zu umfaſſenden Maßnahmen kam es anläßlich eines Bergarbeiterſtreiks, der am
26. März 1919 ausbrach und außer einer Lohnerhöhung namentlich die Einführung
des Achtſtundentages zum Ziele hatte. Da die Inſtandhaltung der Gruben bedroht
war, befahlen die ſranzöſiſchen Militärbehörden die Wiederaufnahme der Arbeit und
ſchritten, als dem Befehl nur zum Teil Folge geleiſtet wurde, zu Verhaftungen
ſtreikender Arbeiter. In Verhandlungen des Generals Andlauer mit den Arbeitern
am 28., 29. und 30. März kam zwar über die Lohnfrage eine Einigung zuſtande,
nicht aber über den Achtſtundentag. Über die Durchführung des Achtſtundentags,
mit dem die deutſchen Bergbehörden ſich ſchon lange einverſtanden erklärt hatten,
hatte am 28. März die aus Vertretern aller Arbeitgeber und Arbeiter der Privatinduſtrie
zuſammengeſetzte ſogenannte »Arbeitsgemeinſchaft« unter Zuziehung der ſtaatlichen
Behörden beraten; die franzöſiſchen Behörden aber wollten erſt die Zuſtimmung
des franzöſiſchen Handelsminiſters einholen. Deshalb brach am Nachmittag des
5
ec März der Streik wieder in vollem Umfange aus; hierbei ftellten die Arbeiter
als neue Forderung die ſofortige Freilaſſung ihrer verhafteten Kameraden. General
Andlauer erließ daraufhin am 5. April eine Proklamation, in der es hieß: da
Frankreich die Aufgabe übernommen habe, für die Ordnung und für die geſamten
Wirtſchaftsintereſſen des Saargebiets zu ſorgen, werde jedes Fernbleiben von der
Arbeit als feindlicher Akt betrachtet; alle Belegſchaften ſeien requiriert und unmittelbar
den Befehlen des Generals Andlauer unterſtellt; die Arbeit müſſe am 7. April
wieder aufgenommen werden, widrigenfalls Verhaftung erfolgen werde. Als am 7.
und 8. April nur etwa ein Fünftel der Belegſchaften anführen, wurden zahlreiche
Ber leute verhaftet und 21 von ihnen durch ein franzöſiſches Kriegsgericht zu
Gefängnisſtrafe von 2 bis 5 Jahren verurteilt. Ungefähr 400 Bergleute (250 aus
*
u Saarbrücken und Umgegend, 700 aus dem Kreiſe Saarlouis und 50 aus dem Kreiſe
Ottweiler) wurden in Eiſenbahnzügen nach der rechten Rheinſeite abgeſchoben. Am
9. April fuhr etwa die Hälfte der Belegſchaften an, und in den folgenden Tagen wurde
allmählich die Arbeit wieder aufgenommen. Über den Achtſtundentag erging zunächſt
keine Entſcheidung der franzöſiſchen Behörden. Sie erklärten ſich indes damit ein—
verſtanden, daß Arbeitsleiſtungen über 8 Stunden als Überſtunden bezahlt würden,
und daß der Achtſtundentag ſo weit beſtehenbleibe, als er durch freiwillige Verein—
barung zwiſchen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ſchon eingeführt ſei; die allgemeine
Einführung des Achtſtundentags wurde aber unterſagt, ebenſo die Einrichtung von
Angeſtelltenausſchüſſen und die Durchführung der Beſtimmungen über Sonntagsruhe.
Erſt am 12. April erklärte ſich die franzöſiſche Militärbehörde mit der Einführung
des Achtſtundentags einverſtanden.
Anläßlich des Bergarbeiterſtreiks wurden auch Maßnahmen gegen andere Kreiſe
der Bevölkerung getroffen. Ende März und Anfang April wurden bei mehreren
führenden Perſönlichkeiten aller politiſchen Parteien Hausſuchungen vorgenommen
und die Betreffenden verhaftet; ſie wurden etwa eine Woche einzeln in kleinen, un—
geheizten Militärarreſtzellen in Haft gehalten, ohne überhaupt vernommen zu werden.
Einige Tage darauf wurden verhaftet: der Syndikus der Handelskammer, weil er
den Achtſtundentag zu einer Zeit, in der die franzöſiſchen Behörden noch darüber
verhandelten, in der Arbeitsgemeinſchaft der Privatinduſtrie zur Annahme gebracht
und ſo die franzöſiſchen Behörden getäuſcht habe, ferner der Generaldirektor der
Dillinger Hütte und der Syndikus der Burbacher Hütte mit der Begründung, ſie
ſeien Elemente, die die öffentliche Ruhe und Ordnung zu ſtören geeignet ſeien, ſowie
15 andere Herren, darunter führende Bergbeamte, Gymnaſialdirektoren, Oberlehrer,
Richter, Rechtsanwälte, Stadtverordnete. Faſt alle wurden in das rechtsrheiniſche
Gebiet ausgewieſen. In Saarlouis wurden in der Nacht vom 8 zum 9. April ein
proteſtantiſcher Pfarrer, der Führer der Zentrumspartei, und der Verleger des
Saarlouiſer Tageblatts verhaftet und ſpäter ausgewieſen. Auch die vorher ihres
Amtes enthobenen ſtädtiſchen Beamten erhielten Ausweiſungsbefehle. Der abgeſetzte
Oberbürgermeiſter von Saarbrücken wurde gleichfalls plötzlich ausgewieſen und erhielt
nicht einmal 24 Stunden Zeit, um ſeine häuslichen Angelegenheiten zu ordnen. Am
12. April wurde der über 60 Jahre alte, von ſchwerer Krankheit eben geneſene
frühere Reichstagsabgeordnete Herwig verhaftet, während der Nacht in einer ver—
ſchmutzten Militärarreſtzelle in Haft gehalten und folgenden Tags ohne Verhör über
den Rhein abgeſchoben; man hatte auch ihm lediglich einen vom General Andlauer
unterzeichneten Befehl vorgelegt, in dem er als ein Element bezeichnet war, das ge—
eignet ſei, die öffentliche Ordnung zu ſtören. (Längere Zeit vorher waren bereits
wei Abgeordnete nach langer Einzelhaft in ſchmutzigen und ungeheizten Zellen ohne
echtsverfahren, ohne Verteidigung und ohne Zuſtellung eines Ausweiſungsbefehls
abgeſchoben worden.)
Im Kreiſe Saarlouis wurden am 12. Mai 17 Perſonen ausgewieſen, darunter
der Landrat und Bürgermeiſter von Saarlouis. (In den nächſten Monaten fanden
weitere Verhaftungen und Ausweiſungen im Saargebiet ſtatt.)
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48 —
Nr. 22.
Werbung für Anſchluß des Saargebiets an Frankreich in
Bergarbeiterkreiſen.
(Aus einem amtlichen Bericht.)
In der Oſterzeit iſt in Bergmannskreiſen mit einem Trick für den Anſchluß
des Saargebiets an Frankreich geworben worden. Unter den Bergleuten ſind
Unterſchriften für eine Petition zur Begnadigung ihrer aus Anlaß des letzten Aus-
ſtandes beſtraften Kameraden geſammelt worden. Während die erſten Sätze der
Petition dieſem Zwecke gewidmet waren, wurde im Anſchluß daran der Freude
darüber, daß die Arbeiterſchaft durch Frankreich von dem preußiſchen Joch befreit
werde, und dem Wunſche Ausdruck gegeben, daß das Saargebiet zu Frankreich
komme. Die Bergarbeiter wurden nach dem Schichtwechſel aufgefordert, dieſe Petition
zu unterſchreiben; die meiſten von ihnen haben ſich durch den Hinweis, daß es ſich
lediglich um ein Gnadengeſuch für die Beſtraften handele, und in dem Drange, nach
Hauſe zu kommen, verleiten laſſen, ihre Unterſchrift zu geben, ohne Wortlaut der
Eingabe ſelbſt näher zu leſen. Nur wenige haben ſich Zeit genommen, den am
Kopf der Unterſchriftsliſte ſtehenden Text durchzuſehen, und ihre Unterſchrift verweigert.
Nr. 23.
Bürgermeiſterwahl in Saarlouis.
(Saarlouiſer Tageblatt vom 14. Mai 1919.)
»Bürgermeiſterwahl. Die Stadtverordnetenverſammlung war geſtern zu
einer Sitzung einberufen, die wegen ihrer Dringlichkeit mit abgekürzter Friſt angeſetzt
worden war. Es handelte ſich um die Wahl eines Bürgermeiſters an Stelle des
ausgewieſenen bisherigen Bürgermeiſters, Herrn Dr. Gilles. Der proviſoriſche Bürger⸗
meiſter, Herr Dr. med. Hector, leitete die Verſammlung, zu der 22 Stadtverordnete
erſchienen waren. Er wies in ſeiner Anſprache darauf hin, daß er vom Herrn
Kommandanten erſucht worden ſei, die Geſchäfte des Bürgermeiſters ſtellvertretend
zu führen, bis ein neuer Bürgermeiſter gewählt iſt, und er habe infolgedeſſen dieſe
Sitzung einberufen mit dem einzigen Punkt der Tagesordnung: Wahl des Bürger⸗
meiſters. Herr Leutnant Fabvier, als Vertreter des Herrn Militärverwalters, teilte
mit, die Verſammlung ſei auf Veranlaſſung des Herrn Generals Andlauer einberufen
worden, um, wie Herr Dr. Hector ſchon geſagt habe, einen neuen Bürgermeiſter zu
wählen an Stelle des Seren Dr. Gilles, der von der Militärbehörde Frankreichs
ausgewieſen worden iſt. Der Herr General wünſche, daß Herr Hector als Bürger⸗
meiſter von Saarlouis gewählt werde. Herr Dr. Hector erklärte, die Wahl anzu-
nehmen, wenn ſie in geheimer Sitzung geſchehe. In dem nun folgenden Wahlakt
lauteten von 22 Stimmzetteln zwanzig auf Herrn Dr. Hector, einer auf Adolf Hetzler
und ein Zettel war weiß. Herr Dr. Hector erklärte, die Wahl anzunehmen, und
gelobte, ſeine ganze Arbeitskraft dafür einzuſetzen, damit die Zukunft Saarlouis' ſich
glücklich geſtalte, zum Beſten der Bürgerſchaft. Herr Leutnant Fabvier beglückwünſchte
im Namen des Herrn Generals Andlauer die Stadtverordneten zu ihrer Wahl.
Redner gab dann der Hoffnung Ausdruck, daß unſere Stadt, der er auch zugehöre,
der er hier geboren ſei, endlich wieder die Ruhe finden werde, die ſie verlangt und
auch braucht. Er hoffe, daß es dem neuen Herrn Bürgermeiſter gelingen werde,
nie wieder eine ſolche Unruhe aufkommen zu laſſen, in der wir hier ſeit Februar
gelebt haben. Herr Dr. Hector betonte, er wolle beſtrebt ſein, die Wünſche des
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1 Herrn Generals Andlauer zur Ausführung zu bringen, wie er und ebenſo die Stadt-
verordnetenverſammlung dafür ſorgen würden, daß die Bevölkerung wieder in ruhige
Bahnen kommt. Im Intereſſe der Bürgerſchaft liege ein gutes Einvernehmen mit
der franzöſiſchen Behörde. Damit war der Gegenſtand der Tagesordnung erſchöpft.«
In einem amtlichen Bericht wird hierzu bemerkt, daß der Zeitungsbericht die
| Vorgänge bei der Wahl annähernd wahrheitsgetreu jchildere und den von franzöſiſcher
Seite ausgeübten Zwang klar erkennen laſſe. Unter den gegebenen Umſtänden ſei
es nicht zu verwundern, daß die Stad tverordnetenverſammlung in Saarlouis auf
3 | den franzoſiſchen Befehl ohne Widerſtand eingegangen ſei.
Nr. 24.
Kundgebung der Abgeordneten des Saargebiets.
Neun Abgeordnete des Saargebiets haben am 20. Mai 1919 folgende Erklärung
an die deutſche Friedensdelegation in Verſailles gerichtet:
»Die Friedensbedingungen der alliierten und aſſoziierten Mächte ſehen eine Ab—
trennung des Saarbeckens von Deutſchland und die Gründung eines unter dem
Schutze des Völkerbundes ſtehenden Staates auf die Dauer von 15 Jahren vor.
Infolge des ſcharfen Verbotes der politiſchen Betätigung iſt die Saarbevölkerung
nicht in der Lage, ſelbſt zu den Friedensvorſchlägen Stellung zu nehmen. Wir, die
gewählten Vertreter des Saarlandes, halten es deshalb für unſere Pflicht, namens
der Saarbevölkerung gegen die beabſichtigte Loslöſung des rein deutſchen Saarbeckens
vom Mutterlande laut und feierlich unſere Stimme zu erheben. Die Bevölkerung
in dem abzutretenden Landſtrich an der Saar iſt nach Abſtammung, Sprache, Er-
ziehung und Geſinnung deutſch. Die geplante Errichtung des Saarſtaates ohne An-
ſchluß an Deutſchland verſtößt gegen den einmütigen Willen der Bewohner. Sie
wird als hartes Unrecht und Verſtoß gegen die 14 Punkte Wilſons empfunden, die
allein von allen beteiligten Mächten die anerkannte Grundlage des bevorſtehenden
Friedens bilden ſollen. Die Bevölkerung des Saargebiets lehnt es ab, als Handels—
ware behandelt zu werden. Wir vermögen auch nicht die in den Friedensbedingungen
angeführte Begründung für zutreffend zu halten: »Die deutſche Regierung hat ſich
bereit erklärt, die zerſtörten franzöſiſchen Kohlengruben wiederherzuſtellen und die
ſeit der en bis zur vollſtändigen Wiederherſtellung der Kohlenminen aus—
fallende Kohlengewinnung Frankreich zu erſetzen, ſowie dafür die nötigen Garantien
zu bieten.« Die Anſprüche der alliierten und aſſoziierten Mächte auf das Saar⸗
ebiet ſelbſt kann die Saarbevölkerung in Übereinſtimmung mit dem Völkerrecht und
em Friedensvertrag Wilſons nicht anerkennen.
Namens der Saarbevölkerung widerſprechen wir daher der beabſichtigten Los,
trennung des Saarbeckens von Deutſchland mit aller Entſchiedenheit, zumal ſie die
Annäherung Frankreichs an Deutſchland verhindern würde. Wir drücken damit den
Willen der ganzen Bevölkerung aus. Wir richten an die Friedenskonferenz die
eindringliche Bitte, dem Saarlande und ſeiner Bevölkerung Gerechtigkeit widerfahren
zu laſſen. Die Saarbevölkerung war deutſch und will deutſch bleiben.«
*
—
Der Notenwechſel über das Saargebiet in der Zeit zwiſchen
Bekanntgabe und Unterzeichnung der Friedensbedingungen.
Nr. 25.
Deutſche Note vom 13. Mai 1919 über die Fragen, betreffend die
weſtlichen Gebiete Deutſchlands.
Deutſche Friedensdelegation. Verſailles, 13. Mai 1919.
Herr Präſident!
Die deutſche Friedensdelegation hat aus dem Schreiben Eurer Exzellenz vom
10. d. M. entnommen, daß ſich die alliierten und aſſoziierten Regierungen bei Ab⸗
faſſung der Bedingungen des Friedensvertrags ſtändig von den Grundſätzen haben
leiten laſſen, nach denen der Waffenſtillſtand und die Friedensverhandlungen vor⸗
geſchlagen worden ſind. Die deutſche Delegation will ſelbſtverſtändlich dieſe Grund⸗
lage nicht in Zweifel ziehen, ſie muß ſich aber das Recht vorbehalten, auf die Be—
dingungen hinzuweiſen, die nach ihrer Auffaſſung mit der Abſicht der alliierten und
aſſoziierten Regierungen in Widerſpruch ſtehen.
Ein ſolcher Widerſpruch ſpringt beſonders in die Augen bei den Bedingungen
des Vertragsentwurfs, die ſich auf die Abtretung verſchiedener von deutſcher Be⸗
völkerung bewohnter Teile des Reichsgebiets beziehen w —æ
Die Bereitſchaft der deutſchen Regierung (d. h. zu einer Verſtändigung über |
eine neue, dem Prinzip der Nationalitäten entſprechende Grenze) erſtreckt ſich aber
nicht auf jene Gebiete des Reichs, die nicht unzweifelhaft von einer Bevölkerung
fremden Stammes bewohnt ſind. Vor allen Dingen hält ſie es für unzuläſſig, daß
durch den Friedensvertrag zu dem Zwecke, finanzielle oder wirtſchaftliche Forderungen
der Gegner Deutſchlands zu ſichern, deutſche Bevölkerungen und Gebiete von der
bisherigen Souveränität zu einer anderen verſchachert werden, als ob fie bloße Gegen-
ſtände oder Steine in einem Spiel wären.
Dies gilt insbeſondere von dem Saarbecken. Daß hier eine rein deutſche Be⸗
völkerung wohnt, benreitet niemand. Trotzdem ſieht der Friedensentwurf einen
Übergang der Herrſchaft über dieſes teils preußiſche, teils bayeriſche Gebiet auf
Frankreich vor, die zu einer völligen Verſchmelzung im Hinblick auf Zollverhältniſſe,
Münzweſen, Verwaltung, Geſetzgebung und Rechtſprechung führen muß, zum mindeſten
aber die Verbindung des Saargebiets mit dem übrigen Reiche in allen dieſen Be⸗
ziehungen völlig aufhebt. Daß die ganze Bevölkerung ſich gegen eine ſolche Los⸗
trennung von der alten Heimat mit aller Entſchiedenheit wehrt, wird den Okkupations⸗
behörden nicht unbekannt ſein. Die wenigen Perſonen, die anders zu denken vor⸗
geben, weil ſie entweder der Macht ſchmeicheln oder ungerechte Gewinne zu ſichern
hoffen, kommen nicht in Betracht.
Vergebens würde man einwenden, daß die Beſetzung für nur 15 Jahre gedacht
iſt und daß nach Ablauf dieſer Friſt eine Abſtimmung des Volkes über die künftige
Zugehörigkeit entſcheiden ſoll, denn der Rückfall des Gebiets an Deutſchland iſt
davon abhängig gemacht, daß die deutſche Regierung dann in der Lage ſein wird,
binnen kurzer Friſt die ſämtlichen Kohlenbergwerke des Gebiets der Frangöfifchen
Regierung gegen Gold abzukaufen, und falls die Zahlung nicht geleiftet werden kann,
ſoll das Land endgültig an Frankreich fallen, ſelbſt wenn die Bevölkerung ſich ein—
ſtimmig für Deutſchland ausgeſprochen hätte. Nach den finanziellen und wirtſchaft⸗
lichen Bedingungen des Vertrags erſcheint es ausgeſchloſſen; daß Deutſchland in
i
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"x 15 Jahren über die entſprechende Menge Gold wird verfügen können. Überdies
würde vorausſichtlich, wenn das Gold in deutſchem Beſitz vorhanden wäre, die Ent—
ſchädigungskommiſſion, die dann Deutſchland noch beherrſchen würde, eine ſolche
Verwendung des Goldes ſchwerlich geſtatten. Es dürfte in der Geſchichte der neueren
Zeit kein Beiſpiel dafür geben, daß eine ziviliſierte Macht die andere veranlaßt hat,
ihre Angehörigen als Gegenwert für eine Summe Goldes unter fremde Herrſchaft
zu bringen.
In der öffentlichen Meinung der feindlichen Länder wird die Abtretung als
Entſchädigung für die Zerſtörung nordfranzöſiſcher Bergwerke hingeſtellt. Die
deutſche Delegation erkennt an, daß Frankreich für dieſe Zerſtörungen entſchädigt
werden muß. Sie gibt auch zu, daß eine Entſchädigung in Geld allein der Ver—
. eng der Wirtſchaftslage Frankreichs nicht entſprechen würde. Wenn alſo
e Forderung einer Naturalentſchädigung als begründet anerkannt werden ſoll, ſo
muß und kann die Naturalentſchädigung auf einem anderen Wege geſucht werden
als dem einer Fremdherrſchaft, die auch bei den menſchlichſten Abſichten der Regierungen
immer gehäſſig bleibt.
Die deutſche Delegation iſt bereit, alsbald mit den alliierten und aſſoziierten
Regierungen in Verhandlungen darüber einzutreten, wie der Ausfall in der Kohlen—
förderung der ehemals von Deutſchland beſetzten Gebiete bis zur Herſtellung der
zerſtörten Gruben, zu der ſie ſich verpflichtet hat, erſetzt werden kann. Dabei würde
ſie vorſchlagen, an Stelle des rohen und unangemeſſenen Erſatzes durch die Über—
weiſung des Saarkohlenbeckens und die Übereignung der dortigen Kohlengruben einen
billigeren Ausgleich zu ſuchen. An Stelle der ausfallenden nordfranzöſiſchen Kohlen
würden deutſche Kohlen, und zwar nicht nur Saarkohlen, ſondern auch Ruhrkohlen
zu liefern ſein. Abgeſehen davon, daß es verkehrspolitiſch unzweckmäßig wäre,
gerade die Saarkohlen, die bisher ein ganz anderes natürliches Abſatzgebiet hatten,
ausſchließlich für jene Erſatzzwecke zu benutzen, erſcheint die Heranziehung des Ruhr-
RN auch deshalb unentbehrlich, weil die geſchädigten Bezirke auf die Erzeugniſſe
es Ruhrgebiets mehr als auf die des Saargebiets angewieſen ſind.
Die deutſche Delegation iſt überzeugt, daß ſich über eine ſolche Kohlenlieferung
unſchwer ein Abkommen treffen ließe, das allen berechtigten Forderungen Frankreichs
Genüge täte. Vorausſetzung wäre nur, daß die Sachverſtändigen beider Parteien
ſich unmittelbar miteinander in Beziehung ſetzten und die Bedingungen der Lieferung
auf geſchäftlicher Baſis in mündlichen Verhandlungen ausarbeitete nnn
Genehmigen Sie, Herr Präſident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung.
gez. Brockdorff-Rantzau.
An Seine Exzellenz
den Präſidenten der Friedenskonferenz uſw.
u Herrn Clemenceau.
Nr. 26.
Deutſche Note vom 16. Mai 1919 über das Saargebiet nebſt Anlage.
Deutſche Friedensdelegation. Verſailles, den 16. Mai 1919.
Herr Präſident!
In meiner Note vom 13. d. M. über die territorialen Beſtimmungen des
Friedensentwurfs, betreffend den Weſten Deutſchlands, habe ich im Namen der
chen Friedensdelegation darauf hingewieſen, daß die Garantien, die insbeſondere
für die Wiedergutmachung der den nordfranzöſiſchen Kohlenbergwerken zugefügten
Schaden gefordert werden, am zweckmäßigſten durch wirtſchaftliche Vereinbarungen
geboten würden, die zwiſchen den beiderſeitigen Sachverſtändigen mündlich zu erörtern
wären. Es erſcheint der deutſchen Friedensdelegation nicht empfehlenswert, mit ſolchen
Vereinbarungen jo lange zu warten, wie es der Paragraph 38 des Annexes der
Artikel 45 bis 50 der Friedensbedingungen vorſieht, nämlich bis zum Ablauf der
15 jährigen Beſetzungsfriſt, die für das Saarbecken in Ausſicht genommen iſt.
In dieſem Zuſammenhange überſende ich Euerer Exzellenz in der Anlage einen
„Vorſchlag, den die Sachverſtändigen der deutſchen Delegation ausgearbeitet haben,
mit dem Erſuchen, ihn den Sachverſtändigen der alliierten und affoziierten Regierungen
zur Prüfung vorzulegen und mich mit einer Anwort darüber zu verſehen, ob eine
mündliche Erörterung des Vorſchlags in Ausſicht genommen werden kann.
Die deutſche Delegation würde nur dann beabſichtigen, den Vorſchlag der Sach—
verſtändigen zu veröffentlichen, wenn die alliierten und aſſoziierten Regierungen ihrer⸗
ſeits darauf Wert legen ſollten.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
gez. Brockdorff-Rantzau.
An Seine Exzellenz
den Präſidenten der Friedenskonferenz uſw.
Herrn Clemenceau.
Anlage.
Die Vorſchläge der deutſchen Sachverſtändigen.
Die in Teil III, Sektion IV, des Friedensvertrags vorgeſchlagenen Maßnahmen,
betreffend das Saargebiet, haben nach Artikel 45 zum weſentlichen Zweck, Erſatz zu
leiſten für die zerſtörten Kohlengruben in Nordfrankreich und die von Deutſchland
verſchuldeten Kriegsſchäden. Nach Artikel 46 ſoll die volle Freiheit der Ausbeutung
durch die im Kapitel 2 des Annex vorgeſehenen Maß nahmen geſichert werden.
Es handelt ſich alſo darum, wirtſchaftliche Intereſſen Frankreichs zu befriedigen
und ſicherzuſtellen. In dieſem Sinne könnte auch der § 38 des Annex aufgefaßt
werden, vorausgeſetzt, daß bei den dort erwähnten Abkommen zwiſchen Frankreich
und Deutſchland an Wirtſchaftsverträge gedacht iſt. Wir ſind der Meinung, daß
dieſer Zweck durch andere als die oben erwähnten Mittel erreicht werden könnte,
und zwar durch Mittel, die geeignet ſind, die beiderſeitigen Intereſſen in Einklang
zu bringen. Wir ſchlagen demnach folgendes vor:
1. Vom Standpunkt der Notwendigkeit, Frankreich mit Kohlen zu beliefern,
erſcheint es nicht zweckmäßig, die Saargebietsfrage ohne Rückſicht auf die im
Teil VIII Annex 5 erwähnten Kohlenlieferungen an Frankreich und einige ſeiner
Bundesgenoſſen zu behandeln. Um den in Frage kommenden Intereſſen möglichſt
vollſtändig Rechnung tragen zu können, iſt es notwendig, daß die folgenden Fragen
beantwortet werden:
a) Welche Mengen der verſchiedenen Sorten kommen für die geſamte Kohlen⸗
lieferung zur Deckung des Inlandsbedarfs Frankreichs und Belgiens in
Betracht?
b) Mit welchen Kohlenmengen follen die einzelnen Gebietsteile, insbeſondere
Frankreichs, beliefert werden?
Wir ſind bereit, ſofort feſtzuſtellen, wieweit wir die verlangten Mengen liefern
können, und zu dieſem Zweck einen Lieferungsplan aufzuſtellen. Dabei wird zu be⸗
rückſichtigen ſein, daß bei der langen Dauer der einzugehenden Lieferungspflicht der
Transport zur See mehr und mehr in Betracht kommen wird. Die Einzelheiten der
Lieferung müßten in mündlichen Verhandlungen zwiſchen den Sachverſtändigen
der intereſſierten Staaten feſtgeſetzt werden. | |
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8 2. Was die Wiedergutmachung von Kriegsſchäden an Kohlengruben betrifft,
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meinſam geregelt.
3. Die im Artikel 49 und im Kapitel 2 des Annex zu Teil III Sektion IV
5 Maßnahmen, betreffend das Saargebiet, ſollen ebenſo wie die in
eil XIV Sektion I erwähnte Beſetzung des linksrheiniſchen Gebiets und der
rückenköpfe die Einhaltung der Leiſtungen ſichern, zu denen ſich Deutſchland ver—
ten wird. N
Dieſe Maßnahmen ſowie die von den alliierten und aſſoziierten Regierungen
bisher ausgeführten und in Ausſicht genommenen Kontrollmaßnahmen, die eine Ein—
ſchränkung oder Aufhebung der Freiheit des deutſchen Wirtſchaftslebens bedeuten,
würden, abgeſehen von der ſchweren politiſchen Gefahr, auch die deutſche Produktions-
fähigkeit lähmen, deren volle Erhaltung auch für ſeine Nachbarn von höchſter
Wichtigkeit iſt. An Stelle dieſer Maßnahmen find wir bereit, ein Syſtem völlig
gleichwertiger Garantien von wirtſchaftlichem Charakter vorzuſchlagen. Soweit es ſich
um Rohlelieferung handelt, laſſen wir uns von folgenden Grundſätzen leiten:
Die gewünſchten Garantien für die Regelmäßigkeit der Produktion und der
Lieferungen können in folgender Weiſe gegeben werden:
a) durch die unter 2 erwähnte Beteiligung franzöſiſcher Unternehmungen, welche
in einer Höhe erfolgen ſoll, die ihnen einen weſentlichen Einfluß auf die
Verwaltung der betreffenden deutſchen Unternehmungen ſichert;
b) durch Gewährung eines Vorzugsrechts auf den Überſchuß der geſamten
deutſchen Kohlenproduktion über den Inlandsbedarf. Genügt dieſer Über-
ſchuß nicht zur Erfüllung der vereinbarten Liefermengen, ſo wird der Ver—
brauch von Kohlen aus Deutſchland, Frankreich und Belgien gleichmäßig
rationiert; zur Überwachung der Ausführung der vorgenannten Maßregel
wird eine Kommiſſion aus Vertretern Deutſchlands, Frankreichs und
Belgiens eingeſetzt.
Die Intereſſen Italiens würden bei dieſer Abmachung zu berückſichtigen ſein.
Nr. 27.
Note der alliierten aſſoziierten Mächte vom 24. Mai 1919
über das Saargebiet.
(Überſetzung.)
Friedenskonferenz.
Der Präſident Paris, den 24. Mai 1919.
Herr Präſident!
Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihrer Schreiben vom 13. und 16. Mai
1919 zu beſtätigen. Da ſie denſelben Gegenſtand betreffen, ſo habe ich es für gut
gehalten, nur eine einzige Antwort darauf zu erteilen.
Mit Beziehung auf die in Ihrem erſten Schreiben enthaltene allgemeine Be:
merkung ſtelle ich im Namen der alliierten und aſſoziierten Regierungen ausdrücklich
in Abrede, daß in dem Friedensvertrag »die deutſchen Gebiete«, wie Sie es zu ver—
ſtehen geben wollen, »der Gegenſtand von Schachergeſchäften von einer Staatsgewalt
55 anderen ſeien, ganz, als ſeien ſie Steine in einem Spiel«. Tatſächlich werden
ie Münſche der Bevölkerung aller der ins Auge gefaßten Gebiete berückſichtigt
werden, und die näheren Ausführungsbeſtimmungen dieſer Volksbefragungen ſind
im Hinblick auf die örtlichen Verhältniſſe ſorgfältig feſtgelegt worden.
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Hinfichtlich. der Bewohner des Saarbeckens, iſt die »Herrſchaft«, die in Ihrem 1
Schreiben als »gehäflig« bezeichnet wird, die Verwaltung des Völkerbundes. Die
Regierungsform, wie fie im Abſchnitt, IV des Vertrags beſchrieben wird, iſt ſorg⸗
fältig ausgearbeitet worden, nicht nur in der Abſicht, eine Entſchädigung für die
Zerſtörung der Kohlenbergwerke in Nordfrankreich zu finden, ſondern auch, um die
Rechte und das Wohlergehen der Bevölkerung ſicherzuſtellen. Der Vertrag ſichert
den Einwohnern die Aufrechterhaltung aller ihrer gegenwärtigen Freiheiten zu und
verbürgt ihnen auf fiskaliſchem und ſozialem Gebiet eine Reihe von Sondervorteilen;
überdies ſieht er nach einer 15 jährigen Friſt eine Volksabſtimmung vor, die dieſer
Bevölkerung von ſo zuſammengeſetzter Art erlauben wird, in voller Freiheit und nicht
notwendigerweiſe zum Vorteil Frankreichs oder Deutſchlands die endgültige Rechts⸗
ordnung für das Gebiet, in dem ſie lebt, zu beſtimmen.
Da der größte Teil Ihrer beiden Noten der Rechtsordnung für das Saarbecken
gewidmet iſt, fo muß ich erklären, daß die alliierten und affoziierten Regierungen
dieſe beſondere Form der Reparation gewählt haben, weil ſie der Meinung geweſen
ſind, die Zerſtörung der Bergwerke in Nordfrankreich ſei eine Handlung von ſolcher
Art geweſen, daß eine beſondere und exemplariſche Reparation gefordert werden
müſſe; die einfache Lieferung einer beſtimmten oder unbeſtimmten Menge Kohlen kann
dieſe nicht erſetzen. Der Entwurf in ſeinen allgemeinen Linien muß alſo aufrecht-
erhalten bleiben; die alliierten und aſſoziierten Mächte find nicht geneigt, einen anderen
ins Auge zu faſſen.
Aus dieſem Grunde kann die Anregung in Ihrem erſten Schreiben üher die
verſchiedenen Mittel, dem Kohlenmangel abzuhelfen, die Sie in der Anlage zu Ihrem
zweiten Briefe mit größerer Genauigkeit auseinanderſetzen, nicht angenommen werden.
Keine Abmachung dieſer Art würde insbeſondere Frankreich dieſelbe Sicherheit und
Gewißheit geben können, die ihm das volle Eigentum und die freie Ausbeutung der
Kohlengruben des Saarbeckens gewähren werden.
Die vorgeſchlagene Abtretung von Beteiligungen an Kohlengruben, die auf
deutſchem Gebiete liegen und deutſcher Ausbeutung unterſtellt ſind, wäre für die fran⸗
zöſiſchen Aktionäre von zweifelhaftem Wert. Sie würde eine Vermiſchung franzöſiſcher
und deutſcher Intereſſen ſchaffen, die gegenwärtig nicht ins Auge gefaßt werden kann.
Die vollſtändige und ſofortige Übertragung der nahe der franzöſiſchen Grenze
belegenen Bergwerke an Frankreich ſtellt eine ſchnellere, wirkſamere und klarere Löſung
des Problems der Entſchädigungen für die zerſtörten franzöſiſchen Kohlengruben dar;
dieſe Löſung hat auch noch den Vorzug, dieſe Gruben voll und ganz als Zahlungs⸗
mittel auf das allgemeine Reparationskonto zu benutzen.
Gewiſſe Stellen Ihres Schreibens vom 13. ſcheinen eine ungenaue Auffaſſung
des Sinnes und der Abſicht mehrerer Artikel zu verraten.
In dem Vertrag beſteht keinerlei Vermengung der Frage der Lieferungsverträge,
deren Gegenſtand die Ruhrkohle bilden fol (Anlage V zu Teil VIIJ), mit der Frage
der Abtretung der Saargruben; beide Fragen ſind weſentlich voneinander verſchieden.
Ihre Auslegung des 8 36 der Anlage unterſtellt als gewiß, daß dieſe Beſtimmung
ein Ergebnis zur Folge haben wird, das die alliierten und aſſoziierten Regierungen
niemals ins Auge gefaßt haben. Um jede Möglichkeit eines Irrtums zu beſeitigen
und um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die Sie für Deutſchland hinſichtlich ſeiner
Fähigkeit, die in dieſer Beſtimmung vorgeſehene Zahlung in Gold zu leiſten, befürchten,
haben die alliierten und aſſoziierten Regierungen entſchieden, dieſe Beſtimmung teil⸗
weiſe abzuändern; ſie ſchlagen vor, den letzten Abſatz dieſer Beſtimmung durch fol⸗
gende Faſſung zu erſetzen:
„Deutſchlands Verpflichtung zu dieſer Zahlung wird von der Reparatious⸗
kommiſſion in Erwägung gezogen werden; zu dieſem Zweck kann Deutſchland
in jeder von der Reparationskommiſſion gebilligten Art eine arne Sypothek
an ſeinem Kapital oder ſeinen Einkünften beſtellen.
— 35 —
5 Sollte indes Deutſchland die Zahlung ein Jahr nach dem dafür feſt—
sgeſetzten Zeitpunkt nicht geleiſtet haben, jo wird die Reparations kommiſſion
2 57
in Übereinſtimmung mit den ihr vom Völkerbund erteilten Weiſungen,
nötigenfalls durch Liquidation des in Frage ſtehenden Teils der Gruben,
die Angelegenheit ordnen.« |
2 Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
7 gez. Clemenceau.
Te;
Seine Exzellenz den Herrn Grafen Brockdorff-Rantzau,
te Präſidenten der deutſchen Delegation,
8 Verſailles.
5 . 1 4
Be Nr. 28.
Deutſche Mantelnote vom 29. Mai 1919.
Verſailles, den 29. Mai 1919.
Herr Präſident!
Ich habe die Ehre, Ihnen in der Anlage!) die Bemerkungen der deutſchen Dele—
gation zu dem Entwurfe des Friedensvertrags zu überreichen. Wir waren nach
Verſailles in der Erwartung gekommen, einen auf der vereinbarten Grundlage auf—
gebauten Friedensvorſchlag zu erhalten. Wir hatten den feſten Willen, alles zu tun,
was in unſeren Kräften ſtand, um den ſchweren von uns übernommenen Verpflich—
tungen nachzukommen. Wir hofften auf den Frieden des Rechts, den man uns
verheißen. Wir waren entſetzt, als wir in jenem Dokument laſen, welche Forde—
rungen die ſiegreiche Gewalt des Gegners an uns ſtellt··· !VU
Das rein deutſche Saargebiet ſoll von unſerem Reiche gelöſt und ſeine ſpätere
eee an Frankreich vorbereitet werden, obgleich wir Frankreich keine Menſchen,
e ũ So 2 . ³ĩ
Dieutſchland weiß, daß es Opfer bringen muß, um zum Frieden zu kommen.
Dieutſchland weiß, daß es ſolche Opfer vertragsgemäß zugeſichert hat, und will darin
an die äußerſte Grenze deſſen gehen, was ihm möglich iſ ü ·ĩUͤ—!
In territorialen Fragen ſtellt ſich Deutſchland rückhaltlos auf den Boden des
s ͤ u —.. df
Deutſchland iſt bereit, die wirtſchaftliche Verſorgung Frankreichs mit Kohlen,
4 aus dem Saargebiet, bis zur Wiederherſtellung der franzöſiſchen Bergwerke
zu fihern. ..... „%% T AP PE E ETTAEER x
Genehmigen Sie, Herr Präſident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. Brockdorff-Rantzau.
An Seine Exzellenz
den Präſidenten der Friedenskonferenz uſw.
Herrn Clemenceau.
Nr. 29.
Bemerkungen der deutſchen Delegation zu den Friedensbedingungen.
Saargebiet.
Über die Frage des Saargebiets hat bereits ein Schriftwechſel ſtattgefunden.
Die deutſche Regierung hat mit ihren Noten vom 13. und 16. Mai die Hand
zu einer Löſung geboten, die auf der einen Seite Frankreich Entſchädigung für ſeine
zerſtörten Kohlengruben mit allen berechtigten Sicherheiten gewährt, auf der andern
1) Vgl. Nr. 29.
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51 1 „
5 Wen 2
56 a 5
Seite es Deutſchland ermöglicht, ſeine Zuſtimmung zu einer Regelung zu geben, die
mit dem abgeſchloſſenen Vorvertrag über die Grundlagen des Friedens in Einklang
ſteht. Die deutſche Regierung präziſiert noch einmal ihren Standpunkt in der Saar⸗
frage wie folgt: 8
Die Grenzen des Gebiets, deſſen Staatszugehörigkeit »en compensation de la
destruction des mines de charbon dans le Nord de la France« in Frage geſtellt
wird, ſind ſo gezogen, daß es weit über das Kohlenvorkommen hinausgreift und
außer dieſem umfangreiche Forſten, zahlreiche Kalkwerke, Glashütten und ſonſtige ſehr
lohnende, zum Teil weltberühmte Induſtrien umfaßt. Dieſe würden durch die neuen
Zollgrenzen in den Wirtſchaftsintereſſenkreis Frankreichs einbezogen, ſo daß andere,
mit der Entſchädigung für die zerſtörten Gruben in keinerlei Zuſammenhang ſtehende
Zwecke erreicht werden. Aber auch wenn nur die Abtretung der Kohlengruben an
den franzöſiſchen Staat gefordert würde, ſo ſtünde auch das in keinerlei Verhältnis
zu dem Zweck der Entſchädigung für die zerſtörten franzöſiſchen Bergwerke. Die
deutſche Regierung iſt, wie fie bereits in ihren Noten vom 13. und 16. Mai erklärt
hat und wie in der vorliegenden Denkſchrift an anderer Stelle nochmals ausgeführt
ift, bereit, durch Lieferungsverträge und Beteiligungen den in Rede ſtehenden Kohlen
bedarf ſicherzuſtellen. |
Auch nach der von den alliierten und aſſoziierten Regierungen in ihrer Note
vom 22. Mai über die Wirtſchaftslage zum Ausdruck gebrachten Überzeugung wäre
es ein grundlegender Irrtum, zu glauben, es ſei notwendig, in einem Lande politiſche
Oberhoheit auszuüben, um ſich dadurch einen angemeſſenen Teil der Erzeugung ſichern
zu können. Eine ſolche Auffaſſung gründet ſich auf kein wirtſchaftliches und
politiſches Geſetz. | a
Die Abtretung wäre eine zwar ſchnelle, aber ungerechte Löſung dieſes Problems.
Der Wiederaufbau der nordfranzöſiſchen Bergwerke wird allerhöchſtens nach 10 Jahren
beendet ſein. Der jährliche Förderausfall, zu deſſen Deckung Deutſchland verpflichtet
iſt, wird nach den Angaben der franzöſiſchen Regierung ſelbſt in den erſten Jahren
äußerſten Falles 20 Millionen Tonnen pro Jahr erreichen. Die Kohlenvorräte der
nordfranzöſiſchen Gruben ſind durch die Zerſtörung überhaupt nicht vermindert worden.
In den Saargruben ſind mit Sicherheit über 11 Milliarden Tonnen Kohlen nach⸗
gewieſen, eine Menge, die ungefähr für 1000 Jahre ausreicht.
Frankreich würde alſo durch die Eigentumsübertragung dieſer Bergwerke das
Hundertfache deſſen erreichen, was es ſelbſt als das Höchſtmaß ſeiner berechtigten
Forderungen bezeichnet. Um dies durchzuführen, ſtellt der Friedensentwurf eine
Forderung, durch die rein deutſches Gebiet vom Deutſchen Reiche losgeriſſen, wirt⸗
ſchaftlich Frankreich überantwortet und der Verſuch gemacht wird, es auch politiſch
Frankreich anzugliedern.
Es gibt keinen Induſtriebezirk in Deutſchland, deſſen Bevölkerung ſo boden⸗
ſtändig, jo einheitlich und jo wenig »komplex« ift wie die des Saarreviers. Unter
den mehr als 850 000 Einwohnern waren 1918 noch nicht 100 Franzoſen. Seit
mehr als 1000 Jahren (ſeit dem Vertrage von Merſen im Jahre 870) iſt das
Saargebiet deutſch. Vorübergehende Beſitznahme durch kriegeriſche Unternehmungen
Frankreichs fanden durch die Rückgabe des Landes im Friedensſchluß nach kurzer Zeit
ſtets ein Ende. In einem Zeitraum von 1 048 Jahren hat Frankreich das Land im
ganzen noch nicht 68 Jahre beſeſſen. Als im erſten Pariſer Frieden 1814 ein kleiner
Teil des jetzt begehrten Gebietes bei der Grenzfeſtſetzung für Frankreich behalten
wurde, erhob die Bevölkerung dagegen ſchärfſten Widerſpruch und verlangte »die
Wiedervereinigung mit ihrem deutſchen Vaterlande«, mit dem »ſie durch Sprache,
Sitten und Religion verwandt« ſei. Nach 1½ jähriger Beſetzung wurde dieſem
Wunſche in dem zweiten Pariſer Frieden 1815 Rechnung getragen. Seitdem iſt
das Land ununterbrochen bei Deutſchland geblieben und verdankt dieſem Anſchluß
ſeine wirtſchaftliche Blüte.
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Bl Auch heute ift die Geſinnung der Bevölkerung ebenſo deutſch wie vor hundert
Jahren. Die Arbeiterorganiſationen, die Bürger und Handwerker, die Induſtrien
und alle politiſchen Parteien find einig in dem Beſtreben, Glieder ſelbſt eines ver-
armten und geſchlagenen Deutſchlands zu bleiben. Sie haben, da ihnen jede freie
Meinungsäußerung ſeitens der beſetzenden Macht unmöglich gemacht wird, durch die
aus dem Gebiet gewäh ten Abgeordneten und berufenen Vertreter dieſen Willen
wiederholt und nachdrücklich öffentlich bekundet. Dieſe ſo geartete Bevölkerung ſoll
wegen ihres Zuſammenhanges mit Steinkohlenbergwerken einer beſonderen Regierungs—
form des Völkerbundes unterſtellt werden, ohne daß ſie irgendwelche Rechte gegenüber
der vom Völkerbund eingeſetzten Fünf-Männer-Kommiſſion erhält. Die Kommiſſion,
die nicht einmal ihren Sitz im Saargebiet haben muß, iſt der Bevölkerung für ihre
Handlungen nicht verantwortlich. Nur eines ihrer Mitglieder ſoll im Saargebiet
geboren und dort wohnhaft ſein, wobei in keiner Weiſe ſichergeſtellt iſt, daß es nicht
einer der wenigen im Lande wohnenden Ausländer iſt. Dieſes Mitglied wird nicht
von der Bevölkerung gewählt, ſondern vom Völkerbundsrat auf Widerruf ernannt.
Mit vier Vertretern anderer Staaten zuſammen herrſcht es über das Schickſal der
Bevölkerung mit praktiſch unumſchränkter Gewalt. Eine Volksvertretung mit legis
lativer Befugnis beſteht nicht. Alle ſtaatsbürgerlichen Freiheiten gehen 25 Bevölke
rung verloren; ſie iſt politiſch rechtlos.
Der Gebrauch der deutſchen Sprache, die Schule, das religiöſe Leben werden
unter Kontrolle geſtellt, dem franzöſiſchen Staat iſt die Einrichtung von Volks- und
techniſchen Schulen mit franzöſiſcher Unterrichtsſprache durch Lehrer ſeiner eigenen
Wahl geſtattet Die Zukunft aller Beamten und Angeſtellten wird völlig unficher.
Es beſteht die Gefahr, daß die Arbeitergeſetzgebung im Saargebiet nach anderen
Grundſätzen entwickelt wird als im übrigen Deutſchland. Der Saarbewohner hat
als Hauptrecht das der Auswanderung, dabei keinen Schutz gegen Ausweiſung—
Dieſe Beſtimmungen treffen eine Bevölkerung, die, zu einem erheblichen Teil durch
Kleinbeſitz an die Scholle gebunden, mit Liebe an ihrem Lande hängt So haben
von 52 000 Bergleuten über 20 000 eigenes Land und Haus. Die Einführung
fremder Arbeiter darf unbegrenzt erfolgen, wodurch die Intereſſen der deutſchen Arbeiter
gefährdet werden. Der Erwerb einer fremden Nationalität wird erleichtert. Dies
alles eröffnet zuſammen mit unbeſtimmten Vorſchriften über Zollverhältniſſe, Münz—
weſen, Verwaltung, Eiſenbahnweſen und dergleichen alle Möglichkeiten, um die
Verbindung des Saargebietes mit dem übrigen Reich vollends aufzuheben. Die
während des Waffenſtillſtandes gemachten Erfahrungen haben gezeigt, was die Be—
völterung des Saargebietes künftig durchzumachen haben wird Vom Tage ihres Er—
ſcheinens an haben die franzöſiſchen Oktupationsbehörden kein Mittel unverſucht ge—
laſſen, um ſie für die Angliederung an Frankreich reif zu machen Es wird verſucht,
die durch die Hungerblockade und durch die Anſtrengungen des Krieges geſchwächte
Bevölkerung mit allen Mitteln fo weit zu bringen, daß ſie ſchon jetzt die franzoͤſiſche
Staatsangehörigkeit erwirbt. Viele, die nicht nur im Herzen zum alten Vater—
lande halten, ſondern ſich zu ihm bekennen, werden ausgewieſen.
Alles dies wird gefordert »en compensation de la destruction des mines
de charbon dans le Nord de la France, et à valoir sur le montant de la
reparation des dommages de guerres düs par l’Allemagne«. Glauben die
alliierten und aſſoziierten Regierungen. daß die deutſche Regierung einem ſolchen
Vorſchlage zuſtimmen kann? Die Entſchädigungsfrage für die nordfranzöſiſchen
Gruben kann auf anderer als auf wirtſchaftlicher Baſis nicht gelöſt werden.
Der Verſuch, zu rein materiellen Zwecken durch vorläufige Unterſtellung unter
den Völkerbund ein national nicht ſtrittiges Gebiet vom Vaterlande loszureißen, zieht
die Idee des Völkerbundes herab.
Die Beſtimmungen über das Saargebiet haben nach der Note vom 24. Mai
den Zweck einer exemplariſchen Wiedergutmachung. Die deutſche Regierung lehnt es
E.
5*
ab, irgendeine Wiedergutmachung als Strafe zu leiſten. Sie muß es noch vielmehr 4
ablehnen, die der Geſamtheit zugedachte Strafe in Geſtalt nationaler Leiden auf
einzelne Bevölkerungsteile abzuwälzen.
Würde ſo das Saargebiet an Frankreich gebracht, ſo beginge man damit das nee
gleiche Unrecht, deſſen Wiedergutmachung man von Deutſchland in bezug auf Elſaß.
Lothringen verlangt: man trennte die Bevölkerung eines Teilgebiets von ihrem |
Vaterlande trotz des feierlichen Proteſtes ihrer Vertreter. Wer Frankreich und Deutſch⸗
land eine ſolche Löſung empfiehlt, trägt einen neuen 8 e in die Beziehungen
zwiſchen dem deutſchen und franzöſiſchen Volk.
Der in der letzten Note vom 24. Mai gemachte Vorſchlag, von einem Zwange
zur Goldzahlung für den Fall des Rückkaufs der Kohlengruben abzuſehen, trifft
nicht den Kern des Problems. Die deutſche Regierung, die nunmehr die Geſamtheit
ihrer ſehr weitgehenden Vorſchläge zur Wiedergutmachung überreicht hat, gibt daher den
alliierten und aſſoziierten Regierungen zur ernſteſten Erwägung anheim, die vorgeſchlagene
Löſung der Saarfrage nochmals einer eingehenden Unterfuchung zu unterziehen....
Nr. 30.
Mantelnote zur Antwort der alliierten und aſſoziierten Mächte auf |
die Bemerkungen der deutſchen Delegation zu den Friedensbe⸗
dingungen. Vom 16. Juni 1919.
| (berſetzung.) Ber.
Friedenskonferenz. 1 3
Der Präſident. Paris, den 16. Juni 19397
Herr Präſident!
Die alliierten und aſſoziierten Mächte haben den von der deutſchen Delegation
über die Friedensbedingungen vorgebrachten Bemerkungen die ernſthafteſte Beachtung
zuteil werden laſſen.
Die deutſche Antwort proteſtiert gegen den Frieden, zunächſt als in Widerſpruch
mit den Bedingungen ſtehend, die als Grundlage für den Waffenſtillſtand vom
11. November gedient haben, ſodann, da es ein Gewalt- und nicht ein Rechtsfrieden
ſei. Der Proteſt der deutſchen Delegation beweiſt, daß dieſe die Lage, in der ſich
Deutſchland heute befindet, gänzlich verkennt. Die deutſche Delegation ſcheint zu
denken, Deutſchland habe nur »Opfer zu bringen, um zum Frieden zu gelangen «, als
ob dieſer Frieden einzig und allein nur der Abſchluß eines Kampfes um Land- oder
Machtgewinn wäre. ee
Das von den alliierten und aſſoziierten Mächten für das Saarbecken vorge⸗
fchlagene Regime ſoll 15 Jahre dauern. Die Mächte haben dieſe Regelung für er-
ſorderlich gehalten, ſowohl als Teil des allgemeinen Plans der Reparationen als
auch, um Frankreich eine ſofortige und ſichere Entſchädigung für die planmäßige Ser-
ſtörung ſeiner im Norden belegenen Kohlengruben zu verſchaffen. Das Gebiet wird
nicht unter die Souveränität Frankreichs geſtellt, ſondern unter die Kontrolle des
Völkerbundes. Dieſe Regelung hat den Vorteil, daß hierdurch keine Annexion voll⸗
zogen wird, während gleichzeitig das Eigentum an den Kohlengruben an Frankreich
übertragen und die wirtſchaftliche Einheit des Gebietes aufrechterhalten wird, die für
die Intereſſen der Einwohner von ſolcher Wichtigkeit iſt. Nach Ablauf der 15 Jahre
wird die gemiſchte Bevölkerung, die in der Zwiſchenzeit die Kontrolle über ihre
eigenen örtlichen Angelegenheiten unter der regierenden Aufſicht des Völkerbundes
beſitzen wird, volle Freiheit haben, um darüber zu entſcheiden, ob ſie die Vereinigung
m bnd oder die ahn mit Frankreich oder die Fortſetzung des im
Bertrag vorgeſehenen Negimes vorziehtt .
2% Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
. gez. Clemenceau.
Bi An
. 5 ne Exzellenz den Herrn Grafen Brockdorff Rantzau,
enten der deutſchen Delegation,
71 Verſailles.
1 Br. Nr. 31.
Antwort der alliierten und aſſoziierten Mächte auf die Bemerkungen
der deutſchen Delegationen zu den Friedensbedingungen. Vom
16. Juni 1919.
(Überſetzung.)
Teil II und III, Abſchnitt IV.
Saarbecken.
Die Frage des Saarbeckengebiets iſt bereits Gegenſtand eines Notenwechſels mit
der deutſchen Delegation geweſen. Die neuen Bemerkungen, die in der deutſchen
Mitteitung enthalten find, ſcheinen Sinn und Abſicht dieſes Abſchnitts des Vertrags
vollſtändig zu verkennen.
Die Abſicht und der Wille der Alliierten ſind an zwei Stellen ausgeſprochen
worden: einmal in dem Vertrag ſelbſt, in dem es (Artikel 45 und 46) heißt, daß
Deutſchland die getroffenen Beſtimmungen annimmt »als Ausgleich für die Zerſtörung
der Kohlenbergwerke in Nordfrankreich unter Anrechnung auf den Betrag der Re—
paration der Kriegsſchäden, für die Deutſchland verantwortlich iſt. . . . . . .. und um
die Rechte und das Wohlbefinden der Bevölkerung zu ſichern«, ferner in der Note
vom 24. Mai, in der es hieß: »Die alliierten und aſſoziierten Regierungen haben
dieſe beſondere Form der Reparation gewählt, weil ſie der Meinung waren, daß die
Zerſtörung der Kohlenbergwerke Nordfrankreichs eine derartige Handlung war, daß
fie eine beſondere und exemplariſche Reparation erforderte. Dieſes Ziel würde durch
bloße Lieferung einer beſtimmten oder unbeſtimmten Menge von Kohlen nicht erreicht
werden. Deshalb muß der aufgeſtellte Entwurf in ſeinen allgemeinen Beſtimmungen
aufrechterhalten werden, und die alliierten und aſſoziierten Mächte find zu keiner Er-
örterung über dieſen Punkt geneigt.«
Die deutſche Delegation erklärt nun, daß »die deutſche Regierung es ablehnt,
irgendeine Wiedergutmachung zu leiſten, die den Charakter einer Strafe haben würde«.
Der deutſche Begriff der Gerechtigkeit ſcheint alſo eine Vorſtellung auszuſchließen, die
für jede gerechte Regelung weſentlich iſt und eine notwendige Grundlage für jede
ſpätere Verſöhnung bildet.
5 Die alliierten und aſſoziierten Regierungen haben, als ſie die Art der aufzu—
erlegenden Reparationen beſtimmten, den Wunſch gehabt, eine Form zu wählen, die
in ihrer außergewöhnlichen Art, übrigens für eine begrenzte Zeit, ein ſichtbares und
klares Symbol darſtellt. Sie haben gleichzeitig beabſichtigt, für die Reparation ein
ſofort greifbares Pfand zu ſichern, das den in der deutſchen Denkſchrift ſelbſt hervor—
gehobenen Unſicherheiten ent ogen iſt.
Sie haben aber auch die größte Sorgfalt darauf verwendet, den Bewohnern
des Gebietes ſelbſt jeden materiellen oder moraliſchen Schaden zu erſparen. Ihre
Intereſſen find in jeder Hinſicht ſorgfältig beachtet worden, und ihre Rechtslage wird
verbeſſert werden.
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Die Grenzen des Gebietes find ausgeſprochenermaßen derart beſtimmt worden,
daß ſie ſo wenig wie möglich die beſtehenden Verwaltungseinheiten und die täglichen
Gewohnheiten dieſer Bevölkerung gemiſchten Charakters berühreu. Mau hat Sorge
getragen, das ganze Syſtem der Verwaltung in Beziehung auf Zivil- und Straf⸗
geſetzgebung und auf das Steuerweſen ausdrücklich aufrechtzuerhalten. Die Ein-
wohner behalten ihre örtlichen Vertretungen, ihre religiöſen Freiheiten, ihre Schulen
und den Gebrauch ihrer Sprache. Alle beſtehenden Bürgſchaften zum Schutze der
Arbeiter werden aufrechterhalten, und die neuen Geſetze werden den vom Völker—
bunde angenommenen Grundſätzen entſprechen. Allerdings ſoll die Regierungs⸗
kommiſſion, der die oberſte Gewalt zuſteht, nicht unmittelbar einer parlamentariſchen
Verſammlung verantwortlich ſein, immerhin aber iſt dieſe Kommiſſion nicht der fran⸗
zöſiſchen Regierung, ſondern dem Völkerbunde verantwortlich, was genügende Bürg⸗
ſchaften gegen jeden Mißbrauch der ihr anvertrauten Macht bietet; außerdem wird
die Kommiſſion gehalten ſein, die Anſicht der gewählten Vertreter des Gebiets zu
hören, bevor ſie zu irgendeiner Geſetzesänderung oder zur Erhebung einer neuen Steuer
ſchreitet. Der Steuerertrag ſoll insgeſamt dem örtlichen Bedarf dienen, und zum
erſten Male ſeit der Annexion dieſes Gebietes durch Preußen und Bayern, die eine
gewaltſame geweſen iſt, werden die Einwohner eine Regierung an Ort und Stelle
haben, die keine andere Aufgabe und keine anderen Intereſſen haben wird als die Sorge
für das Wohlbefinden dieſer Bevölkerung. Die alliierten und aſſoziierten Regierungen
haben volles Vertrauen, daß die Einwohner des Gebietes keinen Grund haben werden,
die neue Verwaltung als eine ihnen fernerſtehende zu betrachten als es die von Berlin
und München war.
Die deutſche Note berückſichtigt an keiner Stelle die Tatſache, daß die ganze
vorgeſehene Regelung nur eine zeitweilige iſt und daß die Einwohner nach Ablauf
von 15 Jahren in voller Freiheit das Recht haben werden, zu wählen, unter welcher
Souveränität ſie zu leben wünſchen. .
V.
Nr. 32.
Verſuche, die Grenzen des Saargebiets zu erweitern.
(Aus amtlichen Berichten.)
Am 21. Mai 1919 ließ der Militärverwalter des Kreiſes St. Wendel die
5 Bürgermeiſter des Kreiſes, deren Bezirke nicht in das projektierte Saargebiet fallen
ſollten, ohne Wiſſen des Landrats kommen, befahl ihnen, die Stimmung der Be-
völkerung nach der Richtung auszukundſchaften, ob ſie nicht auch ſchleunigſt einen
Antrag auf Aufnahme in das Saargebiet ſtellen wollten. Er verlangte bis zum
26. Mai über das Ergebnis Bericht, damit dieſer durch einen beſonderen Kurier ſo⸗
fort nach Paris weitergegeben werden könnte.
Die Bürgermeiſter erteilten darauf dem Militärverwalter am 25. Maj folgend
Antwort:
a) Bürgermeiſterei Oberkirchen: 7
Einer Anordnung des Herrn Militäradminiſtrators folgend, waren heute
Vertreter der Gemeinden Gebweiler, Reitſcheid, Grügelborn, Oberkirchen,
Haupersweiler und Leitersweiler auf dem Bürgermeiſteramt Oberkirchen in
St. Wendel erſchienen, um eine Erklärung über die Stimmung der Bevölfe-
rung für einen Anſchluß an den durch den Friedensvertrag zu gründenden
Saarſtaat abzugeben.
Die zehn Anweſenden betonten zunächſt die Zugehörigkeit der geſamten
Bevölkerung zum Deutſchen Reich. Die deutſche Nationalität wolle die Be-
r
1
völkerung beibehalten. Nur mache ſich eine gewiſſe Beſorgnis in der Ein-
en wohnerſchaft um ihre wirtſchaftliche Zukunft geltend. Da jedoch die Frage
des Saarſtaates noch nicht endgültig gelöſt ſei und namentlich über die
Regelung der wirtſchaftlichen Beziehungen zwiſchen dem Saarſtaat und dem
übrigen Deutſchland noch große Unklarheit herrſche, vertraten die Verſammelten
in ihrer überwiegenden Mehrheit den Standpunkt, daß über die Frage der
Notwendigkeit eines Anſchluſſes aus wirtſchaftlichen Gründen erſt nach Ab—
ſchluß des Friedensvertrages Stellung genommen werden könne, zumal der
Entwurf des Friedensvertrags die Berückſichtigung wirtſchaftlicher Intereſſen
bei der endgültigen Grenzfeſtlegung des Saarſtaates vorſieht.
Re 2, Nur zwei Vertreter ſprachen ſich für einen ſoſortigen Anſchluß an den
Be, Saarſtaat aus.
* b) Bürgermeiſterei Berſchweiler:
| Auf Veranlaſſung des Herrn Militäradminiſtrators in St. Wendel
haben ſich heute 15 Gemeindevorſteher und 12 Bürgermeiſtereivertreter der
Bürgermeiſterei Burglichtenberg verſammelt, um ſich über die zukünftige
politiſche Zugehörigkeit der Bürgermeiſterei Burglichtenberg auszuſprechen.
Nach gegenſeitiger Ausſprache geben die anweſenden 15 Gemeindevorſteher
und 12 Bürgermeiſtereivertreter der 16 Gemeinden der Bürgermeiſterei Burg—
lichtenberg einmütig ihren Willen dahin kund, daß die Bevölkerung der
Bürgermeiſterei Burglichtenberg mit Rückſicht auf ihre deutſche Abſtammung,
ihre deutſche Sprache, ihre deutſche Erziehung und ihre deutſche Geſinnung
den Anſchluß an Deutſchland behält und einer Angliederung an den beab—
ſichtigten Saarſtaat mit aller Entſchiedenheit widerſpricht.
e) Bürgermeiſterei Baumholder:
Die Einwohner unſerer Gemeinden haben nicht den Wunſch, an den
Saarſtaat angeſchloſſen zu werden, da ſie der Anſicht ſind, auch ohne dieſen
Anſchluß wirtſchaftlich leiſtungsfähig zu bleiben. Sie wollen ihre deutſche
Nationalität beibehalten.
d) Bürgermeiſterei Weierbach:
Der Vorſteher von Schmidthachenbach teilt mit, daß die Gemeinde nicht
ans Saarbecken angeſchloſſen werden will.
Der Vorſteher von Nahbollenbach teilt mit, daß man gegen einen
Anſchluß an das Saarbecken iſt. i
Der Vorſteher von Dickesbach teilt mit, daß die Hälfte der Gemeinde
mit dem Saarbecken verbunden bleiben möchte, wenn die neuzugründende
Republik deutſch bleibt. Die andere Hälfte will unter allen Umſtänden beim
Reich bleiben.
Der Vorſteher von Oberreidenbach teilt mit, daß die Gemeinde keinen
Anſchluß an das Saargebiet wünſcht.
Der Vorſteher von Wickenhoff teilt mit, daß kein Anſchluß an das
Saarbecken gewünſcht wird.
Der Gemeindevorſteher von Zaubach teilt mit, daß im Orte die
Stimmung in der Hauptſache gegen einen Anſchluß an das Saarbecken iſt.
Der Gemeindevorſteher von Sienerhöfe teilt mit, daß im Orte über—
wiegend die Stimmung für einen Anſchluß ans Saarbecken ſei.
Der Gemeindevorſteher von Sienhachenbach teilt mit, daß die Orts—
eingeſeſſenen keinen Anſchluß ans Saargebiet wünſchen.
Der Gemeindevorſteher von Kefersheim teilt mit, daß die Ortseinge—
ſeſſenen in der Mehrheit für einen Anſchluß ans Saargebiet ſind.
Der Gemeindevorſteher von Wieſelbach teilt mit, daß die Leute deutſch
bleiben, aber auch wirtſchaftlich vom Saarbecken nicht getrennt ſein wollen.
.
Gemeindevertretung Weierbach hält ſich nicht für Entſcheidung für den
ganzen Ort zuſtaͤndig. Eigene Meinung des Gemeinderats ift: Zugehörigkeit 5
zum Saarbezirk nur, wenn er deutſch bleibt.
Der Gemeindevorſteher von Sien teilt telephoniſch mit, daß Sien blelbeg a
will, wie es jetzt ift, und daß es nicht dem Saarbecken angeſchloſſen werden will.
Der ſtellvertretende Gemeindevorſteher von Mittelreidenbach teilt mit,
daß die Einwohner von Mittelreidenbach nach dem Saarbecken wollen.
Der Gemeindevorſteher von Ehlenbach teilt mit, daß die Gemeinde keinen
Anſchluß ans Saarbecken wünſcht.
Der Vorſteher von Kirchenbollenbach teilt mit, daß die Gemeinde in
der Mehrzahl keinen Anſchluß an das Saarbecken wünſcht.
Der Vorſteher von Mittelbollenbach teilt mit, daß die Gemeinde mit
weit überwiegender Mehrheit keinen Anſchluß ans Saarbecken wünſcht.
e. Bürgermeiſterei Grumbach:
Gemäß der am Donnerstag, den 22. d. M. mir mündlich erteilten
Inſtruktion habe ich bezüglich der Frage des Anſchluſſes von Gebietsteilen
der Bürgermeiſterei Grumbach an das projektierte Saarbecken mit verſchiedenen
Kreiſen der Bevölkerung, insbeſondere mit den Gemeindevorſtehern und den
Mitgliedern der geſetzlichen Bürgermeiſtereivertretung in einer beſonderen
Sitzung des Bürgermeiſtereirates Fühlung genommen. Danach glaube ich
folgendes als den maßgeblichen Willen und die maßgebliche Anſicht der
Bürgermeiſterei feſtgeſtellt zu haben: Infolge der langjährigen Zugehörigkeit
der hieſigen Bürgermeiſterei zum Kreiſe St. Wendel und der durch die
Kriegswirtſchaft geförderten Bezugs- und Abſatzmöglichkeiten von und nach
dem Saargebiet beſtehen wohl wirtſchaftliche Beziehungen nach dem oberen
für das Saargebiet in Anſpruch genommenen Teile des Kreiſes St. Wendel
wie auch nach dem Saargebiet ſelbſt. Dem ſteht aber der Umſtand gegen⸗
über, daß die größere Nähe des Gebiets der unteren Nahe (Kreuznach und
Umgegend) und des anſchließenden Rheingebietes weit ſtärkere wirtſchaftliche
Beziehungen in Richtung Nahe und Rhein geſchaffen hat, die allenfalls durch
die Kriegszwangswirtſchaft und die Beſetzung des linken Rheinufers eine
vorübergehende Abſchwächung erfahren haben. Wie ſtark die Beziehungen
gerade der hieſigen Geſchäftsleute zum Rheine und darüber hinaus gehen,
zeigte beſonders die große Zahl von Anträgen auf Freigabe der Waren⸗
einfubr aus dem unbeſetzten Gebiet an die zuftändige franzöſiſche Behörde.
So ſehr an ſich eine nach Inkrafttreten der politiſchen Abgrenzung des
Saargebietes etwa eintretende Erſchwerung oder auch Unterbindung des
Verkehrs nach und von der Saar bedauert würde, glaubt die hieſige Be⸗
völkerung ihre geſamten Intereſſen im Wirtſchaftsverkehr mit dem unteren
Nahe⸗ und Rheingebiet vollkommen wahren zu können. Den Gedanken,
durch eine Angliederung an das Saargebiet möglicherweiſe in den Vorteil
der Befreiung von Kriegslaſten zu kommen, wies die Verſammlung in dem
Gefühl, deutſch zu ſein und es bleiben zu wollen, zurück.
Nach dieſer Antwort ließ der Militärverwalter die Gemeindevorſteher der ſieben
außerhalb des projektierten Saargebiets liegenden Gemeinden der Bürgermeiſterei
Oberkirchen und die der geſamten Bürgermeiſterei Berſchweiler ohne Wiſſen des
Landrats und der Bürgermeiſter zu ſich kommen und befahl ihnen, in ihren Gemeinden
eine Abſtimmung über den Anſchluß an das Saargebiet vorzunehmen. Die Ab⸗
ſtimmungen fanden am 8. und 9. Juni ſtatt. Ungefähr zwei Drittel der Stimm⸗
berechtigten blieben der Abſtimmung fern. Das Ergebnis war, daß weniger als ein
Fünftel der ſtimmberechtigten Bevölkerung ſich für den Anſchluß an das Saarbecken
ausprach. Der amtliche Bericht bemerkt zu dieſem Ergebnis: »Es iſt ohne weiteres
anzunehmen, daß alle diejenigen, die ſich nicht an der Wahl beteiligt haben, gegen
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den Anſchluß ſind; ſie haben ſich nur ferngehalten, da jederman weiß, daß er den
größten Schikanen ausgeſetzt iſt, wenn er ſich in . den Franzoſen nicht
beliebten Weiſe betätigt. Auch diejenigen, die für den Anſchluß geſtimmt haben,
ſind nicht für die Gründung eines Saarſtaates als ſolchen. Es find zum über—
wiegenden Teile Bergarbeiter, die an einer Saarſtaatgründung ſelbſt keinerlei Intereſſe
haben, die aber für den Fall einer Gründung Trennung von Wohnſitz und
im Saarſtaat liegender Arbeitsſtätte befürchten und wohl lieber außerhalb des Saar—
Er: nn blieben, wenn ihnen in dieſem das Recht auf Arbeit unbedingt ſichergeſtellt
würde. «
In einem amtlichen Bericht vom 31. Mai 1919 heißt es: »Bevor der Plan
flür die Errichtung einer ſelbſtändigen pfälziſchen Republik zum vorläufigen Scheitern
gekommen war, hatten die Franzoſen im nördlichen Teile des Kreiſes St. Wendel
ſchon ihre Fühler ausgeſtreckt, wie die Bevölkerung ſich zum Anſchluß an die Pfalz
ſtellen werde. Für beide Fälle, ſowohl den Anſchluß an die Pfalz als auch den an
den Saarſtaat, arbeiteten fie mit dem Argument, Preußen werde ſelbſtverſtändlich
verarmen und die Hauptlaſt des Krieges zu tragen haben... ... Für das Projekt
des Anſchluſſes an den Saarſtaat iſt ihnen der Umſtand günſtig, daß der aus der
vorläufigen Abgrenzung des Saargebiets herausgelaſſene Teil des Kreiſes St. Wendel,
wenigſtens in ſeinen weſtlichen Dörfern, in denen zur Hauptſache noch Bergleute
der Saarbergwerke wohnen, im wirtſchaftlichen Zuſammenhang mit dem Saargebiet
„„ 22 Ganz ähnlich liegen die Verhältniſſe in Birkenfeld. . . . .. Die ſüd⸗
lichſte Bürgermeiſterei Nohfelden hat ebenſo wie die an das Saargebiet ſich an—
ſchließenden St. Wendeler Dörfer faſt ausſchließlich bergmänniſche Bevölkerung. Der
franzöſiſche Militärbefehlshaber von Birkenfeld, Major Baſtiani, hat ſchon in ver-
ſchiedenen öffentlichen Verſammlungen unter der üblichen Herabſetzung Preußens für
den Anſchluß an die Pfalz oder das Saargebiet geworben und ſoll dabei nicht ge—
ringes Entgegenkommen gefunden haben. Auch im Kreiſe Merzig ſind die Franzoſen
dabei, in den vorläufig noch aus dem Saargebiet herausgelaſſenen Bürgermeiſtereien
Losheim, Wadern und Weiskirchen für den Anſchluß an das Saargebiet zu werben.
ür dieſe früheren Teile des Erzbistums Trier, die wirtſchaftlich in Verbindung mit
em Saargebiet ſtehen, kommt der Anſchluß an die Pfalz nicht in Frage. In dieſem
Gebiet wohnt eine Bergarbeiterbevölkerung von ungefähr 12 000 Köpfen, und die
landwirtſchaftliche Bevölkerung, die etwa 8 000 Köpfe zählt, iſt auf den Abſatz im
Saargebiet angewieſen. In der Bevölkerung iſt der von den Franzoſen lancierte
Gedanke des Anſchluſſes an das Saargebiet ſchon von verſchiedenen Seiten auf—
gegriffen worden. Beſonders die organiſierten Arbeiter haben ſich mit der Frage
beſchäftigt und haben eine Abordnung nach Saarbrücken geſchickt, um durch die
Bergwerksdirektion ihre Wünſche auf Anſchluß anbringen zu laſſen. Die Abſicht
der Franzoſen, im ganzen Kreis Merzig mehr Boden zu gewinnen und ihn womög—
lich ganz an das neue Saargebiet anzuſchließen, erhellt unter anderem auch aus der
Tatſache, daß die allgemeine Verwaltung beim Landratsamt, die bisher ſehr wenig
* wurde, jetzt ſeit einiger Zeit durch alle möglichen Schikanen erſchwert
R 4
Ein Bericht vom 11. Juni 1919 meldet: »Auch in den Gebieten des Kreiſes
Merzig, die noch aus der bisherigen Grenzprojektierung des Saarſtaates herausge—
laſſen ſind, äußert ſich der franzöſiſche Druck. Von dort aus ſoll eine Deputation
nach Paris geſandt werden, die den Wunſch auf Anſchluß an das Saargebiet vor—
bringen fol ..... Die Abſicht der Franzoſen, den Saarſtaat zum mindeſten um
die Wohngebiete der geſamten Bergarbeiterſchaft zu vergrößern, iſt unverkennbar . . . . .«
| Ein weiterer Bericht vom 15. Februar 1920 beſagt: »Infolge der durch den
Friedensvertrag feſtgelegten Grenzverſchiebung befürchtete ein Teil der Bürgermeiſtereien
Weiskirchen, Losheim und Wadern, insbeſondere der unmittelbaren Grenzgemeinden
Britten und Bachem, deren Arbeiterſchaft und Gewerbetreibende auf den Verkehr mit
Merzig angewieſen ſind, eine Abſchnürung von ihrer wirtſchaftlichen Baſis und eine
.
Abſchnürung ihrer Lebensbedingungen. Aus rein wirtſchaftlichen, alſo nicht politiſchen
Beweggründen beantragte im Laufe des vergangenen Sommers ein Bruchteil der
Bewohner der Gemeinden Bergen und Britten den Anſchluß an das Saargebiet
durch eine ſchriftliche Vorſtellung bei dem franzöſiſchen Kreisverwalter in Merzig.
Auch ſcheint eine Eingabe an dieſelbe Stelle aus der Bürgermeiſterei Weiskirchen von
einer kleinen Intereſſentengruppe gerichtet worden zu ſein. Der weit überwiegende
Teil der Bevölkerung der drei Bürgermeiſtereien dagegen, und zwar aller Berufe,
hat einem derartigen Verfahren durchaus ablehnend gegenüber geſtanden und ſich an
den Abſplitterungsbeſtrebungen nicht beteiligt. Es wird vielmehr mit beſonderem
Nachdruck die Aufrechterhaltung des durch den Friedensvertrag geſchaffenen Rechts
zuſtandes betrieben.«
In einem Bericht vom 19. März 1920 heißt es ſchließlich: »Die Stimmung in
der Gemeinde Britten und den Bürgermeiſtereien Losheim, Weiskirchen und Wadern,
die im Sommer 1919 an den Völkerbund ein Geſuch um Aufnahme in das Saar-
becken gerichtet hatten, iſt gegenwärtig überwiegend dem vollſtändig entgegengeſetzt.
Einige franzöſiſche Gutsbeſitzer wünſchen dorthin zu kommen, ſonſt beſtehen einzelne
örtliche, wirtſchaftliche Intereſſen, die ohne Anſchluß an das Saargebiet leicht zu
löſen ſind. Die Franzoſen heben alle dieſe Intereſſen, ſobald ſie dem Saarbecken
günſtig ſind, hervor, verſchweigen aber die entgegengeſetzten. Der Militärverwalter
des Kreiſes Merzig hat am 26. Februar eine Verſammlung abgehalten unter Teil⸗
nahme des Bürgermeiſters von Neuſtadt, der Gemeindevorſteher von Oppen, Reims⸗
bach, Riſſenthal, Rimmlingen, Bachem, Hausbach und Britten, bei der er für
den Anſchluß an das Saarbecken Stimmung zu machen ſuchte. Das war ebenſo
vergeblich wie die Verſuche der franzöſiſchen Offiziere der Grenzkommiſſion, in den
Orten dieſer Gegend die früheren Petitionen erneuern zu laſſen. Aberall iſt die
überwiegende Mehrheit für den Verbleib bei der Rheinprovinz.«
Ahnliche Beſtrebungen der Franzoſen haben ſich auch in der Pfalz gezeigt.
Von dem Bezirk Homburg ſollte nach Artikel 48 des Vertrags von Verſailles
etwa ½ leinſchließlich der Stadt Homburg) ins Saargebiet fallen, während / der
Pfalz verblieben. Hierdurch wurde die Verlegung gewiſſer Behörden aus der Stadt
Homburg erforderlich. Als deshalb der Bürgermeiſter von Landſtuhl im Auguſt 1919
mit den anderen Bürgermeiſtern des Bezirks eine Beſprechung abhalten wollte und
hierfür die vorgeſchriebene Erlaubnis des franzöſiſchen Kontrolloffiziers in Homburg
nachſuchte, verbot dieſer die Beſprechung mit der Begründung, die Beſprechung ſei
unnötig, weil der ganze Bezirk Homburg ins Saargebiet fallen werde. Derſelbe
Offizier begünſtigte die Abhaltung aller Verſammlungen, deren Einberufer die Ein⸗
beziehung weiterer pfälziſcher Gemeinden in das Saargebiet betrieben, verbot dagegen
alle Verſammlungen, in denen ſolchen Beſtrebungen entgegengetreten werden ſollte.
Im Auguſt 1919 ließ der oberſte franzöſiſche Militärverwalter des Saargebiets,
General Andlauer, den Induſtriellen von Zweibrücken eröffnen, an der politiſchen
Lage Zweibrückens und ſeiner Zugehörigkeit zur bayeriſchen Pfalz ſolle nichts ge⸗
ändert werden, jedoch ſei es zweckmäßig, daß die Induſtriellen ihm gegenüber aus⸗
drücklich den Wunſch ausſprächen, Zweibrücken möchte als in wirtſchaftlicher Hinſicht
zum Saargebiet gehörig behandelt werden. Für dieſen Fall würden die Induſtriellen
die Antwort erhalten, daß ſie, in gleichem Maße wie die von Saarbrücken, mit
Kohlen beliefert würden, gegen die Verpflichtung, ihre Erzeugniſſe auf Verlangen nach
Frankreich zu verkaufen.
Am 3. September 1919 verlangte der franzöſiſche Kontrolloffizier Turrel von
allen Staats beamten des Bezirks Homburg eine Erklärung, ob fie bereit ſeien, im
Dienſt des Saargebiets zu bleiben. Die Frage, ob dieſe Erklärung auch von ſolchen
Beamten einzuholen ſei, deren Amtsſitz nicht ins Saargebiet falle, bejahte Turrel
mit der Bemerkung, man könne nicht wiſſen, wie die endgültige Grenze gezogen werde.
Die zum Bezirk der Gemeinde Homburg gehörigen, nach der vorläufigen Grenz—
linie aber nicht wie Homburg ſelbſt in das Saarbecken fallenden Ortſchaften Bruchhof
2 —
und Sanddorf hatten im Februar 1920 faſt einſtimmig den Beſchluß gefaßt, bei der
Grenzkommiſſion ihre Abtrennung von Homburg und Belaſſung bei der bayeriſchen
Pfalz zu beantragen. Von verſchiedenen Seiten wurde verſucht, eine Abänderung
dieſes Beſchluſſes herbeizuführen, jedoch ohne jeden Erfolg. Der Adjunkt Schmidt
aus Homburg, der in Begleitung eines franzöſiſchen Offiziers im März 1920 die
einzelnen Häuſer aufſuchte, um eine Korrektur der Abſtimmung zu erzielen, mußte
angeſichts von Drohungen der erregten Bevöllerung von Bruchhof und Sanddorf
ſein Vorhaben aufgeben.
VI.
Ernennung und Dienſtantritt der Regierungskommiſſion
des Saargebiets.
Nr. 33.
Bericht über die dritte öffentliche Sitzung des Völkerbundsrats,
gehalten im Palais von St. James in London
am Freitag, den 13. Februar 1920, nachmittags.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, Heft 2, März 1920, Seite 45 ff.)
| (berſetzung.)
Die Mitglieder des Rates des Völkerbundes waren wie folgt vertreten:
Britiſches Reich durch Herrn A. J. Balfour (Präſident),
Belgien » » Paul Hymans,
Brafilien...... *» Gaftäo da Cunha,
Spanien » » Quinones de Leon,
Frankreich. » Leon Bourgeois,
Griechenland. » Demetrius Caclamanos,
1 » » Maggiorino Ferraris,
Japan „„ M. K. Matſui.
Generalſekretär: Sir Erie Drummond.
Saarbeckengebiet.
Herr Balfour: Das Wort hat Herr Caclamanos, um ſeinen Bericht über die
Regierung des Saarbeckens zu verleſen.
Bericht über die Regierungskommiſſion des Saarbeckens,
überreicht von Herrn Caclamanos.
Herr Präſident!
Meine Herren Mitglieder des Rates des Völkerbundes!
| Indem ich dem Auftrag, den mir der Nat erteilt hat, entſpreche, habe ich die
Ehre, Ibnen die nachfolgenden Betrachtungen über die Regierung des Saarbeckens,
über die Ernennung der Kommiſſion, der dieſe Regierung anvertraut iſt, und über
die Geſuche gewiſſer deutſcher Bewohner von Gegenden, die an das Saarbecken an—
grenzen, zu unterbreiten.
Gemäß Artikel 49 des Vertrags von Verſailles hat Deutſchland zugunſten des
Völkerbundes, der inſoweit als Treuhänder zu betrachten iſt, auf die Regierung des
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Saarbeckengebietes, deſſen Grenzen durch Artikel 48 desſelben Vertrags beſtimmt find, 4
verzichtet.
Die Regierung dieſes Gebiets iſt nach den Beſtimmungen der §§ 16 bis 19 der |
Anlage zu Abſchnitt IV des III. Teiles des Vertrags einer den Völkerbund ver—
tretenden Kommiſſion anzuvertrauen, die aus fünf Mitgliedern beſteht, nämlich:
einem franzöſiſchen Mitglied;
einem aus dem Saarbeckengebiet ſtammenden und dort wohnenden nicht-
franzöſiſchen Mitglied;
drei Mitgliedern, die drei anderen Ländern als Frankreich und Deutſchland
angehören. ä
Die fünf Mitglieder werden vom Rat des Völkerbundes auf ein Jahr ernannt.
Ihr Mandat kann erneuert werden. Der Rat des Völkerbundes kann ſie abberufen
und für ihren Erſatz ſorg en.
Sie haben Anſpruch auf ein vom Rat des Völkerbundes feſtzuſetzendes und aus
den Einnahmen des Gebietes zu beſtreitendes Gehalt (§ 17). 5
Der Präſident der Regierungskommiſſion iſt vom Rat des Völkerbundes aus
dieſen 5 Mitgliedern für die Dauer eines Jahres zu ernennen; er kann wiederernannt
werden. Er hat die Stellung eines ausführenden Organs der Kommiſſion ($ 18).
Es ſcheint mir, daß der Vorſitz in dieſer Kommiſſion dem franzöſiſchen Mit⸗
glied der Regierungskommiſſion zukommen muß. Die wirtſchaftliche Entwickelung
und überhaupt das Wohlergehen der Bevölkerung des Saarbeckens hängen zum
großen Teil von der Unterſtützung ab, die die franzöſiſche Regierung ihr angedeihen
laſſen wird. Wie nämlich der Friedensvertrag in Artikel 45, Abſchnitt IV, Teil III,
ſelbſt beſtimmt, gehört das volle und unbeſchränkte Eigentum an den im Saarbecken
belegenen Kohlengruben Frankreſch, das darüber ohne irgendwelche Einſchränkung
verfügen kann. Außerdem ſieht die Anlage zu Abſchnitt IV des dritten Teils des
Vertrags in § 31 vor, daß das Saarbeckengebiet dem franzöſiſchen Zollſyſtem ein⸗
geordnet wird. Indem alſo der Friedensvertrag dem franzöſiſchen Staat den Beſitz
und die Ausbeutung der Kohlengruben des Saarbeckens übertragen und ihm ferner
die Zollverwaltung anvertraut hat, hat er Frankreich eine Anzahl von Rechten
gegeben, über die die franzöſiſche Regierung nicht gehalten iſt, ſich mit der Regierungs⸗
kommiſſion ins Benehmen zu ſetzen.
Indes iſt es von Wichtigkeit, daß die Wahrnehmung dieſer Rechte, was die
Art und Weiſe ihrer Anwendung betrifft, im vollkommenen Einvernehmen mit dieſer
Kommiſſion erfolgt. Hierzu gehört beiſpielsweiſe das Recht, Verkehrswege für den
Bedarf der Gruben anzulegen und auszubeuten, das Recht, ſich des franzoöſiſchen
Geldes für jede auf die Gruben bezügliche Zahlung oder Ausgabe zu bedienen uſw.
Dieſes letztere Recht bedeutet keineswegs die Einführung des franzöſiſchen Franken
als Währungsgeld im Saarſtaat zufolge der Zahlungen, die dort im Zuſammenhang
mit der Ausbeutung der Gruben erfolgen. |
Es darf ferner nicht vergeſſen werden, daß die Hütteninduſtrie des Saarbeckens,
die während der Kriegsjahre beträchtlich angewachſen iſt, nicht leben und ſich nicht
entwickeln kann ohne das Erz von Lothringen, und daß das Eiſenbahnnetz des Saar⸗
beckens, deſſen Verwaltung der Vertrag der Regierungskommiſſion anvertraut, nur
durch Unterſtützung mit Material ſeitens des benachbarten Netzes von Elſatz⸗Loth⸗
ringen organiſiert und betrieben werden kann. .
Das Wohlergehen der Bevölkerung des Saarbeckens und die Erforderniſſe der
Ordnung in dieſem Gebiet erfordern ein enges Zuſammenarbeiten zwiſchen der fran⸗
zöſiſchen Regierung, die kraft des Vertrags über einen ſehr wicht gen Teil des
Wirtſchaftslebens des Saarbeckens verfügt, und der Regierungskommiſſion, der der
Völkerbundsrat die Aufgabe der Verwaltung des Gebiets überträgt. Dieſes Zu⸗
ſammenarbeiten kann nicht beſſer gewährleiſtet werden als durch die Beziehungen,
die der Präſident der Kommiſſion mit der franzöſiſchen Regierung unterhalten wird,
durch ſeine Kenntnis der Einzelheiten der franzöſiſchen Verwaltung, die wie jede
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Verwaltung einen feinen und weit verzweigten Mechanismus darſtellt, und durch die
Garantie guter Beziehungen mit Frankreich, die er gleichſam in ſich ſelbſt trägt,
weil er Franzoſe iſt. !
> Ich 8 daß von den Mitgliedern der Kommiſſion allein das franzöſiſche
Mitglied dieſe weſentlichen Bedingungen erfüllen könnte. Deshalb habe ich die Ehre,
dem Völkerbundsrat die Ernennung des franzöſiſchen Mitgliedes zum Präſidenten
der Kommiſſion vorzuſchlagen, die er gemäß § 18 der Anlage zu Abſchnitt IV des
dritten Teils des Vertrags auszuwählen hat.
Die Befugniſſe der Kommiſſion find feſtgelegt in den SS 19 ff. der erwähnten
Anlage. Die Kommiſſion hat im Saarbeckengebiet alle Befugniſſe, die bisher dem
Deutſchen Reich, Preußen und Bayern zuſtanden, einſchließlich des Rechts, Beamte
zu ernennen und abzuberufen und alle ihr erforderlich ſcheinenden Verwaltungsſtellen
und Vertretungen zu ſchaffen, die Eiſenbahnen zu verwalten und auszubeuten, ebenſo
die Kanäle und die verſchiedenen öffentlichen Betriebe. Ihre Beſchlüſſe ſollen mit
Stimmenmehrheit gefaßt werden ($ 19).
Es iſt Sache der Regierungskommiſſion, mit den ihr angemeſſen erſcheinenden
Mitteln und in der ihr angemeſſen erſcheinenden Weiſe für den Auslandsſchutz der
Intereſſen der Bewohner des Gebietes zu ſorgen ($ 21).
Die Kommiſſion hat, mit Ausnahme der Gruben, die volle Nutznießung des
geſamten Eigentums, das bisher der deutſchen Reichsregierung oder der Regierung
irgendeines deutſchen Staates im Saarbeckengebiet als öffentliches oder privates
Staatseigentum gehörte ($ 22). Die Kommiſſion kann die am 11. November 1918
geltenden Geſetze unter den in § 23 vorgeſehenen Bedingungen abändern.
| Die Kommiſſion ſoll gemäß § 25 einen Gerichtshof für Zivil- und Strafſachen
errichten, der die Berufungsinſtanz für die Entſcheidungen der im Gebiet vorhandenen
Gerichte bildet. Die gerichtlichen Entſcheidungen ſollen im Namen der Kommiſſion
ergehen. |
Die Kommiſſion hat allein das Recht, Abgaben und Steuern unter den im
26 — —.— Bedingungen zu erheben, und ſoll ſie ausſchließlich für die Be
ürfniſſe des Gebiets verwenden.
Gemäß $ 30 iſt es Sache der Kommiſſion, in allen eintretenden Fällen für den
Schutz der Perſonen und des Eigentums im Saarbeckengebiet zu ſorgen. Hieraus
ergibt ſich, daß ſie bis zu der in dem erwähnten § 30 vorgeſehenen Errichtung einer
1 Gendarmerie die völlige oder teilweiſe Beibehaltung oder Rückberufung
er zur Aufrechterhaltung der Ordnung berufenen Truppen verlangen kann, falls
ein Bedürfnis hierfür beſteht.
Endlich gibt der $ 33 der Regierungskommiſſion das Recht, die Beſtimmungen
des Vertrags im Falle einer deutſch-franzöſiſchen Meinungsverſchiedenheit auszulegen
und durch Mehrheitsbeſchluß eine ſchiedsrichterliche Entſcheidung zu treffen.
Nachdem ich hiermit dem Rat die hauptſächlichſten Beſtimmungen des Vertrags
über die Zuſammenſetzung und die Befugniſſe der Regierungskommiſſion ins Gedächtnis
zurückgerufen habe, beehre ich mich, Ihnen zur Genehmigung den von unſerem General—
ſekretär ausgearbeiteten Entwurf eines Beſchluſſes über dieſe Kommiſſion zu unter—
breiten, der mir in jeder Hinſicht vorzüglich erſcheint, in dem ich indes eine kleine
Anderung bezüglich einer dem Präfidenten der Kommiſſion für Repräſentationskoſten
zu gewährenden Zulage vorgenommen habe.
Die Rechte und Pflichten der Kommiſſion ſind in Kapitel II der Anlage zu
Abſchnitt IV des Teils III des Vertrags von Verſailles feſtgelegt. Immerhin ſchlage
ich vor, in einer Anlage zu dem erwähnten Beſchluß allgemeine Inſtruktionen und
Anregungen für die Mitglieder der Kommiſſion zu formulieren.
In dieſer Beziehung beehre ich mich, Ihnen folgende kurzen Erläuterungen vor—
zutragen:
In Ziffer V des Anlageentwurfs iſt geſagt, daß es Sache der Kommiſſion iſt,
zu beſtimmen, ob und gegebenenfalls unter welch näheren Vorausſetzungen ihre Be—
— 68 —
ſchlüſſe rechtsgültig ſein ſollen, wenn ſie in Abweſenheit eines oder zweier Mitglieder
gefaßt werden. Das Recht, die Beſtimmungen dieſes Teils des Vertrags auszulegen,
iſt der Kommiſſion durch den § 33 gegeben. Es erſcheint mir angezeigt, den Grund—
ſatz aufzuſtellen, daß kein Mitglied von Der Sitzungen abwesend fein ſoll, ausgenommen
Fälle höherer Gewalt oder bei hinreichenden Gründen. Immerhin wäre es billig, zu⸗
zulaſſen, daß die in Abweſenheit eines oder zweier Mitglieder gefaßten Beſchlüſſe
gültig ſein ſollen, da gemäß § 19 die Beſchlüſſe der Kommiſſion nur mit Stimmen:
mehrheit zu faſſen ſind. Andernfalls würde eine vorübergehende Abweſenheit eines
ſeiner Mitglieder die Arbeiten der Kommiſſion beeinträchtigen.
Soweit es ſich jedoch um Beſchlüſſe von beſonderer Bedeutung handelt, erſcheint es
erforderlich, daß dieſe Beſchlüſſe nur in Gegenwart ſämtlicher Mitglieder gefaßt werden.
Im Vertrag iſt nichts über die etwaige Ernennung von Vertretern der Mitglieder
der Kommiſſion beſtimmt. Demnach liegt die Beſtimmung hierüber dem Rat des
Völkerbundes ob. Eine Ausnahme ergibt ſich jedoch für das franzöſiſche und für
das aus dem Saarbecken ſtammende Mitglied; dieſe müſſen in dringenden Fällen
das Recht haben, einen vorläufigen Vertreter zu ernennen, um nach Möglichkeit zu
vermeiden, daß die Kommiſſion nicht vollzählig iſt. Immerhin erſcheint es ange⸗
zeigt, daß das in Ziffer VI des Anlageentwurfs vorgeſehene Verfahren befolgt wird,
und daß zwecks Erhöhung der Garantien kein Beſchluß gefaßt wird, bei dem es ſich
um eine Anwendung des $ 33 der Anlage des Vertrags handelt, worin der Kommiſſion
das Recht der Auslegung der Beſtimmungen dieſes Teiles des Vertrags und das
Recht, bei Streitfragen zwiſchen Deutſchland und Frankreich als Schiedsrichter zu
wirken, übertragen wird, wofern nicht Fünkliche Titukärmitgeteder der Kommiſſion
anweſend ſind. 0
Nach $ 17 der Anlage zu Abſchnitt IV des Teils III des Vertrags haben die
Mitglieder der Regierungskommiſſion Anſpruch auf ein Gehalt, das vom Nate des
Völkerbundes feſtgeſetzt und aus den Einnahmen des Gebiets bezahlt wird. Ich
beehre mich, in Ziffer VII des Anlageentwurfs vorzuſchlagen, daß dieſes Gehalt für
jedes Mitglied auf 100 000 Fr. jährlich, vom Tage der Ernennung ab, feſtgeſetzt
wird. Es würde mir angezeigt erſcheinen, daß der Präſident der Kommiſſion eine
Dienſtaufwandsentſchädigung erhält, die auf 50 000 Fr. jährlich feſtgeſetzt werden könnte.
Der Friedensvertrag enthält keine Beſtimmungen über die Verpflichtung der
Kommiſſion, dem Rat des Völkerbundes Berichte einzureichen. Trotzdem ſieht der
Anlageentwurf zu Ihrem Beſchluß, den ich Ihrer Genehmigung zu unterbreiten die
Ehre habe, eine Beſtimmung in dieſem Sinne vor (Ziffer VIII). Da nämlich die
Regierungskommiſſion gemäß § 16 der Anlage des Vertrags die Vertreterin des
Völkerbundes iſt, ſcheint es erforderlich, daß der Völkerbund über die Handlungen
der Kommiſſion auf dem laufenden gehalten wird, weil feine eigene Verantwortlich⸗
keit auf dem Spiele ſteht. Es handelt ſich natürlich nicht um eine ſehr weitgehende
Kontrolle, da der Regierungskommiſſion des Saargebiets das größtmöglichſte Maß
an Befugniſſen anvertraut werden muß. Dies ergibt ſich aus folgenden Erwägungen:
1. Die Verfaſſer des Vertrags waren darüber einig, daß die Regierungs⸗
kommiſſion die weiteſtgehenden Befugniſſe in bezug auf Berufungen und Urteile
haben müſſe, und daß ſie in einem in hervorragendem Maße induſtriellen Gebiet
in möglichſt enger Beziehung zu den Geſchäften und Perſonen ſtehen müſſe.
2. Es muß darauf hingewieſen werden, daß der Völkerbund als Sicherheit dafür,
daß er nicht gegen ſeinen Willen irgendeine Verantwortlichkeit übernimmt, jederzeit das
Recht beſitzt, die Mitglieder der Kommiſſion alle Jahre zu ernennen und zu erſetzen.
3. Schließlich darf nicht vergeſſen werden, daß der Völkerbund, dem die Ver⸗
antwortung in ſoviel verſchiedenartigen Dingen obliegt, kein Intereſſe daran hat,
ſich zu ſehr mit Einzelheiten zu befaſſen; er würde ſonſt Gefahr laufen, ſich zu
materialiſieren und dabei die ein wenig von den Dingen ſelbſt abrückende hohe
moraliſche Autorität zu kompromittieren, die er ſich als oberſte Berufungsinſtanz
bewahren muß.
— 69 —
Der Bürgermeiſter und der Stadtrat von Saarlouis haben eine Eingabe an
den Völkerbund gerichtet, worin ſie bitten, daß die Stadt Saarlouis mit Rückſicht
auf ihre Bedeutung und ihre Lage zur Hauptſtadt des Saarbeckengebiets gemacht werde.
Da aus den Beſtimmungen der Anlage über das Saarbeckengebiet hervorgeht,
en daß die Kommiſſion den Ort wählen foll, wo fie ihren Sitz errichten will, beehre ich
Er mich Ihnen vorzufchlagen, dieſe Eingabe der Regierungskommiſſion des Saarbeckens
mit dem Anheimſtellen der weiteren Veranlaſſung zu überſenden.
Ferner haben die Bewohner der Bürgermeiſtereien Wadern, Weißkirchen, Losheim
und Britten, die außerhalb des Saarbeckengebiets gelegen ſind, eine Eingabe an den
Völkerbund gerichtet, worin ſie beantragen, dieſem Gebiet einverleibt zu werden.
Dieſe Eingaben ſind nach meinen . verſehen mit den Unterſchriften
von drei Vierteln der Bewohner von Wadern und vier Fünfteln der Bewohner von
Weißkirchen und Losheim.
Es iſt nicht Sache des Völkerbundrats, die Grenze des Saarbeckens, fo wie fie .
der eng von Verſailles feſtgeſetzt hat, zu ändern, aber ich bin ficher, die Zu—
ſtimmung des Rats zu finden, wenn ich vorſchlage, daß auch dieſe Urkunde der
Regierungskommiſſion überſandt werden möge, um zu prüfen, ob es nicht bei genauer
Beachtung der Beſtimmungen des Vertrags möglich wäre, durch Maßnahmen wirt—
ſchaftlicher Art die Schwierigkeiten zu beheben, die die erwähnten Bezirke wegen ihrer
Trennung vom Saarbecken zu befürchten ſcheinen.
Dies ſind die Schlußfolgerungen meines Berichts.
Die Ernennung der Regierungskommiſſion eines unter Auſpizien des Völker—
bunds geſchaffenen Staates wird die erſte charakteriſtiſche Tat ſein, durch die der
Bund aus ſeinem theoretiſchen Daſein in die lebendige Wirklichkeit heraustreten wird.
Dieſe Kommiſſion bildet gleichſam die Verkörperung der hohen Prinzipien, die die
Gründung des Völkerbundes veranlaßt haben und die ſein Werk der Begründung
des Friedens und methodiſcher Organiſation leiten ſollen. Sie wird daher der
Gegenſtand beſonderer Aufmerkſamkeit ſeitens des Rates des Völkerbundes ſein, der
durch die Auswahl der Mitglieder dieſer Kommiſſion nicht nur ein für dieſe Sonder—
aufgabe geeignetes Organ ſchaffen, ſondern zugleich auch einen poſitiven Beweis für
5 Anwendung der Rechte liefern will, mit denen der Völkerbund durch
die verſchiedenen Verträge ausgeſtattet worden iſt, die von den an der Gründung
des Bundes beteiligten Mächten und denen, die ſchon ihren Beitritt erklärt haben,
unterzeichnet worden ſind.
Ich ſchlage für Annahme folgenden Beſchluß vor:
Beſchluß über die Regierungskommiſſion des Saarbeckens.
In der Erwägung, daß Deutſchland zu Gunſten des Völkerbundes, der
inſoweit als Treuhänder gilt, auf die Regierung des Saarbeckengebietes
verzichtet hat;
in der Erwägung ferner, daß dieſe Regierung einer den Völkerbund ver—
tretenden Kommiſſion übertragen werden ſoll,
erklärt der Rat des Völkerbundes hiermit folgendes:
I. Herr Rault, Staatsrat (Franzoſe), Herr Alfred von Boch, Landrat
von Saarlouis (Saarländer), Herr Major Lambert (Belgier) und Herr
Graf von Moltke-Hvitfeldt (Däne) werden zu Mitgliedern der Regie—
rungskommiſſion des Saarbeckens für die Dauer eines Jahres vom
Tage des vorliegenden Beſchluſſes ab ernannt. (Der Name des
fünften Mitgliedes der Kommiſſion wird ſpäter bekanntgegeben werden,
nach Eingang der Antwort auf eine erfolgte Berufung). Herr Rault
wird zum Präſidenten der Kommiſſion ernannt ).
) Aus den Veröffentlichungen des Voͤlkerbundes iſt nicht erſichtlich, von wem die einzelnen Mit—
glieder vorgeſchlagen worden ſind.
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2. Die anliegenden Inſtruktionen ) für die Kommiſſion werden genehmigt.
3. Abſchriften des vorliegenden Beſchluſſes und der beigefügten Inſtruk—
tionen ſollen durch den Generalſekretär des Völkerbundes an die Mit-
glieder der Regierungskommiſſion des Saarbeckens geſandt werden ).
Nach Verleſung des vorſtehenden Berichts und der in der folgenden Nummer
wiedergegebenen Inſtruktion erklärt der Vorſitzende Balfour: |
»Sie haben die von dem griechiſchen Vertreter fo klar vorgetragenen
Schlußfolgerungen aus dem Bericht und dem Beſchluß gehört. Ich frage,
ob ſie die Zuſtimmung meiner Kollegen finden.« (Einſtimmig angenommen.)
8 Nr. 34.
Inſtruktion des Völkerbundsrats für die Regierungskommiſſion des
Saarbeckengebiets.
(Anlage zu dem Beſchluß des Völkerbundsrats vom 13. Februar 1920
über die Regierungskommiſſion des Saarbeckengebiets.)
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, Heft 2, März 1920, S. 50 ff.)
(berſetzung.)
J. Die Befugniſſe der Regierungskommiſſion des Saarbeckengebiets ſind aus der
Anlage zu Teil III, Abſchnitt IV des zwiſchen den alliierten und aſſoziierten Mächten
und Deutſchland am 28. Juni 1919 in Verſailles unterzeichneten Friedensvertrages
erſichtlich. Die Regierungskommiſſion iſt dem Völkerbunde für die Handhabung ihrer
Befugniſſe gemäß den Beſtimmungen der Anlage verantwortlich. Der Völkerbundsrat
hält es weder für erforderlich noch für zweckmäßig, der Kommiſſion außer den in
der Anlage enthaltenen Vorſchriften ins einzelne gehende Inſtruktionen zu erteilen,
bevor es möglich iſt, ſich auf eine gewiſſe Erfahrung zu ſtützen.
II. Die Regierungskommiſſion entſcheidet ſelbſt darüber, an welchem Ort ſie
ihren Sitz aufſchlagen will; dieſer Ort muß innerhalb der Grenzen des Saargebiets
liegen. Der Ausſchuß hat ſich zu bemühen, einen Ort zu wählen, der im Hinblick
auf eine glatte und beſchleunigte Erledigung der Verwaltungsgeſchäfte die günſtigſten
Bedingungen in ſich vereinigt, wobei auf die beſtehenden Verkehrsmöglichkeiten inner⸗
halb und außerhalb des Gebiets Rückſicht zu nehmen iſt. Die Kommiſſion hat in
dieſer Beziehung nicht außer acht zu laſſen, daß fie gemäß § 22 der Anlage die
volle Nutznießung des Eigentums (mit Ausnahme der Kohlengruben) hat, das bisher
der deutſchen Reichsregierung oder der Regierung irgendeines deutſchen Staates im
Saarbeckengebiet als öffentliches oder privates Staatseigentum gehörte.
III. Die Regierungskommiſſion hat keine anderen Aufgaben und Intereſſen als
das Wohlergehen der Bevölkerung des Saarbeckengebiets.
IV. Die Regierungskommiſſion ſetzt ſelbſt die Grundſätze ihres Verfahrens feſt,
einſchließlich der Grundſätze für die Wahrnehmung gewiſſer Amtsgeſchäfte, mit denen
ſie etwa — unter ihrer eigenen Verantwortlichkeit — eines ihrer Mitglieder betraut,
um eine glatte und beſchleunigte Erledigung der Regierungsaufgaben zu ermöglichen.
Der Vorſitzende iſt das ausführende Organ der Kommiſſion.
V. Die Regierungskommiſſion tagt ſtändig, wenn auch nicht notwendigerweiſe
ununterbrochen. Es iſt Sache der Kommiſſion zu entſcheiden, ob und gegebenenfalls
unter welch näheren Vorausſetzungen ihre Beſchlüſſe rechtsgültig ſind, wenn ſie in
1) Vgl. Nr. 34.
2) Der vorſtehende Beſchluß und die Inſtruktion für die Regierungskommiſſion ſind der deutſchen
Regierung durch eine Note des Generalſekretärs des Völkerbundes vom 14. Februar 1920 mitgeteilt
worden. Die Mitteilung über die Ernennung des fünften Mitgliedes der Regierungskommiſſion, Herrn
R. D. Waugh, bisher Bürgermeiſter von Winnipeg, Kanada, iſt durch eine Note des Generalſekretärs
vom 3. März 1920 erfolgt.
7 — 71 —
Abweſenheit eines oder mehrerer Mitglieder gefaßt werden. Entſcheidet ſich die
Kommiſſion dahin, daß in Abweſenheit eines oder ſelbſt zweier von ihren 5 Mit—
gliedern rechtsgültige Beſchlüſſe gefaßt werden können, ſo iſt doch als Grundſatz zu
beachten, daß kein Mitglied bei den gemeinſamen Sitzungen fehlen darf, es ſei denn
im Falle höherer Gewalt oder aus einem anderen ausreichenden Grunde. Iſt ein
Mitglied abweſend, ſo hat die Kommiſſion zu prüfen, ob es, um endgültige Beſchlüſſe
zu faſſen, erforderlich iſt, die Rückkehr dieſes Mitgliedes abzuwarten. Beſchlüſſe von
befonderer Bedeutung, wie z. B. ſolche, die in Anwendung des § 33 der Anlage zu
faſſen ſind, dürfen nur gefaßt werden, wenn alle Mitglieder der Kommiſſion zugegen ſind.
VI. Die unter Umſtänden nötig werdende Ernennung von Stellvertretern für
die Mitglieder der Regierungskommiſſion erfolgt durch den Völkerbundsrat. Indes
ſind das franzöſiſche Mitglied der Regierungskommiſſion und ebenſo das aus dem
Saargebiet ſtammende und dort anſäſſige Mitglied ermächtigt, in dringenden Fällen
ihre vorläufigen Stellvertreter ſelbſt zu ernennen. Dieſer Vertreter hat nach ſeiner
Ernennung ohne weiteres das Recht, an den Sitzungen und Beſchlußfaſſungen wie
ein Mitglied der Kommiſſion teilzunehmen, abgeſehen von Fällen, wo es ſich um
eeinen in Anwendung des $ 33 der Anlage zu faſſenden Beſchluß handelt. Dieſes
Verfahren darf jedoch nur Platz greifen, wenn die übrigen Mitglieder der Kommiſſion
ausdrücklich erklären, daß die angegebenen Gründe für die Abweſenheit des betreffenden
Mitglieds ausreichend ſind. Der Generalſekretär des Völkerbundes iſt von der
Ernennung eines Stellvertreters jedesmal unverzüglich auf drahtlichem Wege in
Kenntnis zu ſetzen. Der Generalſekretär wird dem Völkerbundsrat Mitteilung machen,
der entſcheiden wird, ob der Stellvertreter feine Funktiunen weiter ausüben ſoll.
Unter denſelben Bedingungen iſt der Vorſitzende der Kommiſſion ermächtigt, zu ſeinem
vorläufigen Stellvertreter ein anderes Mitglied der Kommiſſion zu ernennen; hierbei
iſt den unter V. enthaltenen Beſtimmungen Rechnung zu tragen.
VII. Jedes der fünf Mitglieder der Regierungskommiſſion hat vom Tage ſeiner
Ernennung ab Anſpruch auf ein Gehalt, das berechnet wird zum Satz von
100 000 Franken jährlich. Der Vorſitzende erhält außerdem Repräſentationsgelder
zum Satze von 50 000 Franken jährlich. Dieſe Ausgaben hat die Regierungs-
kommiſſion aus den örtlichen Einnahmen des Saarbeckengebietes zu beſtreiten. Aus
dieſen Einnahmen hat die Kommiſſion auch alle Ausgaben zu decken, die von ihr
oder von einem ihrer Mitglieder in Ausübung amtlicher Tätigkeit (wie Büroauslagen,
Reiſekoſten, Gehalt des Perſonals, Telegrammgebühren uſw.) gemacht werden.
Der Generalſekretär des Völkerbundes wird aus den allgemeinen Fonds des
Völkerbundes vorläufig die zur Beſtreitung der vorſtehend ausgeführten Aufgaben
erforderlichen Summen vorſchießen und mit der Regierungskommiſſion darüber ab—
rechnen, nachdem dieſe die Vermögensmaſſen und Einkünfte des Saargebiets über-
nommen hat.
VIII. Die Regierungskommiſſion hat dem Völkerbunde durch Vermittelung des
Generalſekretärs Bericht zu erſtatten, damit der Völkerbund über alle Fragen unter—
richtet iſt, die für ihn von Bedeutung ſind. Die Kommiſſion hat dem Völkerbunde
Vorſchläge über Form und Umfang der Berichte zu unterbreiten, die ſie dem Bund
zu erſtatten hat. 4
Nr. 35.
Proklamation der Regierungskommiſſion des Saargebiets anläßlich
ihres Dienſtantritts.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſton des Saargebiets, Nr. 1 vom 17. April 1920.)
An die Bewohner des Saargebiets!
Kraft des Friedensvertrags von Verſailles tritt die Regierungskommiſſion am
heutigen Tage ihr hohes Amt an.
Im Namen des Völkerbundes, der fie eingeſetzt hat, wird fie das Gebiet des
Saarbeckens verwalten und daſelbſt die gleiche Regierungsgewalt ausüben, welche
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ehedem dem Deutſchen Reiche, Preußen und Bayern zuſtand. Die Regierungs-
kommiſſion iſt feſt entſchloſſen, die Beſtimmungen des Verſailler Vertrags genaueſtens
auszuführen, aber auch von jedermann befolgen zu laſſen, und zwar ſowohl dem
Buchſtaben wie dem Geiſte nach. Sie erachtet es zunächſt als ihre Pflicht, ſich das
Vertrauen der Bevölkerung, deren Geſchicke in ihre Hände gelegt ſind, zu verdienen.
Ihre feſte Abſicht geht ferner dahin, die Ordnung und die Ruhe im ganzen
Umfange des Saargebiets aufrechtzuerhalten. Unter der hohen Aufſicht der
Regierungskommiſſion werden die Einwohner ihre gewohnten örtlichen Tagungen ab—
halten, ihre religiöſen Freiheiten ausüben, ihre Vereine, ihre Schulen und ihre
Sprache beib halten können. Die Sicherheit der Perſon und des Eigentums werden
ſich des kräftigſten Schutzes erfreuen. |
In der gleichen Weiſe, in der die Regierungskommiſſion von dem Bewußtfein
ihrer Pflichten durchdrungen iſt, iſt fie auch geſonnen, ihrer Autorität Achtung zu
verſchaffen und alle Beſtrebungen, von wo ſie auch nur immer kommen mögen, die
Bevölkerung zu beunruhigen oder ſie zu Fehltritten zu verleiten, unnachſichtig zu
unterdrücken. Der Friedensvertrag hat ſie keineswegs wehrlos dahingeſtellt. Die
Rechte, die er ihr verlieh, ſetzen ſie ſehr wohl in den Stand, ſich ihrer hohen Auf—
gabe zu widmen, ohne auch nur im geringſten ſich durch etwaige eitle oder gar ver—
brecheriſche Auflehnungen beeinträchtigen zu laſſen. Indem ſie ſich von den gleichen
Grnndſätzen leiten laßt, denen auch der Völkerbund entſprang, iſt fie gewillt, der
Bevölkerung mit den Gefühlen bereitwilligen Entgegenkommens näherzutreten.
Andererſeits geht ihr Beſtreben dahin, die reichen Hilfsquellen des Landes wieder
herzuſtellen und Ruhe in die Gemüter der Bevölkerung zu bringen. Es iſt ihr
keineswegs entgangen, daß während einer allzulangen Periode des Übergangs und
unfertiger Verhäliniſſe anſehnliche Intereſſen geſchädigt wurden. Die Regierungs⸗
kommiſſion hat ſich vorgenommen, eine feſte wohlgeordnete Regierung ins Leben zu
rufen und genau darüber zu wachen, daß das Land eine tüchtige Verwaltung erhalte.
Schon iſt ihre Auſmerkſamkeit durch einige beſonders dringliche Angelegenheiten
in Anſpruch genemmen worden. So wird ſie es ſich beſonders angelegen ſein laſſen,
unverzüglich den Beantwortung gewiſſer Finanz-, Zoll- und Handelsfragen näher⸗
zutreten, die mit Recht den Einwohnern des Saargebiets am Herzen liegen. Sie
wird niemals ein Ausbeutung der Bewohner des Saargebiets dulden oder es zu—
laſſen, daß fie bezüglich der Entlohnung ihrer Arbeit irgendwie benachteiligt werden.
Die Regierungskemmiſſion wird des weiteren ganz beſonders ihr Augenmerk
auf die Förderung der Induſtrie und auf die Hebung der Lage der Arbeiter richten.
Mit allen ihr zu G bote ſtehenden Kräften wird fie dahin ſtreben, die Produktion
zu erhöhen und den Angeſtellten und Arbeitern alle jene Vorteile zu verſchaffen, die
mit der Einhaltung wohlgeordneter Betriebe vereinbar find Von dieſem Geſichts—
punkte aus wird ſie die von den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden geäußerten
Wünſche berückſichtigen, und zwar im Einklang mit den Grundſätzen des Völker⸗
bundes. Was dieſen Punkt betrifft, weiß ſie ſich übrigens eines Sinnes mit der
franzöſiſchen Bergbehörde. Frantreich ſichert fie in dieſer Hinſicht eine unbeſchränkte
Betriebsfreiheit zu, und zwar genau in der durch den Friedensvertrag vorgeſchenen
Weiſe. In der Ausübung des hohen, ihr übertragenen Amtes zählt die Regierungs—
kon miſſien auf die rückhaltloſe Mitwirkung der Bevölkerung, deren materielles Wohl-
ergehen vielfach von ihrem ruhigen Verhalten und dem an den Tag gelegten guten
Willen abhängen wird.
Auf dieſe Weiſe wird es den Bewohnern des Saarlandes gegeben fen, zugleich
ihrem Vertrauen zum Völkerbund Ausdruck zu geben und dem Friedensvertrag den
gebührenden Echoriem zu zeigen. Durch die erwieſene Ausdauer Lei der Arbeit,
und zwar in allen Betrieben, den ländlichen wie den induſtriellen, werden ſie am
wirtſchaftlichen Wiederaufbau Europas großen Anteil haben. Sie werden es ſich zur
Ehre amechnen die Erundſätze der internationalen gegen ſeitigen Arbeitsergänzung zu
verwirklichen, welche in der Satzung zum Völkerbund zum Ausdruck kommen.
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Das ſind die Richtlinien, von denen ſich die Regierungskommiſſion allezeit leiten
Taffen wird. Sie iſt entſchloſſen, unter der loyalen Mitwirkung der Bevölkerung im
Saargebiet den Geiſt der Ordnung, der Freiheit und der Gerechtigkeit walten zu
laſſen, andererſeits aber auch das Wohlergehen und die perſönliche Sicherheit der
Einwohner zu gewährleiſten und ihren Rechten Achtung zu verſchaffen.
Geſchehen zu Saarbrücken, den 26. Februar 1920.
Im Namen der Regierungskommiſſion:
gez. V. Rault, Staatsrat.
Nr. 36.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker—
bundsrat vom 25. März 1920.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 3, S. 10 f.)
(berſetzung.)
Übernahme der Regierungsgewalt und offizieller Einzug
in Saarbrücken.
| Nachdem die Kommiſſion dieſe einleitenden Beſchlüſſe (d. h. Verteilung der Ge-
ſchäfte unter die einzelnen Mitglieder und Wahl der Hauptſtadt) gefaßt und eine
ſchleunige Prüfung der Lage vorgenommen hatte, beſchloß ſie, am 26. Februar die
Regierungsgewalt zu übernehmen und am ſelben Tage ihren offiziellen Einzug in Saar-
brücken zu halten. Nach Empfang durch die Behörden der militäriſchen Beſatzung
und den Bürgermeiſter auf dem Bahnhof hat ſie ſich nach dem Landratsamt begeben,
wo der Sitz der Regierung errichtet werden wird. Abordnungen der Beamten und
der in dem Gebiet beſtehenden Körperſchaften haben ihr ihre Aufwartung gemacht
und ihr das Verſprechen loyaler Mitarbeit abgegeben.
In den Antworten, die der Präſident ihnen erteilte, entwickelte er die Grund
fäte, die in einer Proklamation auseinandergeſetzt waren, die die Kommiſſion am
Vorabend hatte anſchlagen und in allen Zeitungen des Gebiets abdrucken laſſen.
(Dieſe Proklamation iſt dem Generalſekretär des Völkerbundes mitgeteilt worden;
eine Abſchrift iſt dem gegenwärtigen Bericht beigefügt.) Die Kommiſſion beſtätigte
hierin ihren Willen, das Land im Namen des Völkerbundes zu regieren und ſich von
den in der Völkerbundsſatzung dargelegten Grundſätzen leiten zu laſſen, allen Beſtimmungen
des Vertrags von Verſailles Achtung zu verſchaffen und keine andere Sorge zu haben
als das Wohlergehen der Bevölkerung, deren Schickſal ihr anvertraut wurde. f
Es war um ſo notwendiger, den Bewohnern des Gebiets dieſe Verſicherungen
zu geben, als ſie ſchon lange die Ankunft der Regierungskommiſſion erwartet hatten
und große Hoffnungen auf fie ſetzten ......
Nr. 37. 5
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets
vom 27. Februar 1920.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz
als Reichskommiſſar für die Über
gabe des Saargebiets.
Nr. S. 74.
Dem Regierungsausſchuß des Saargebiets beehre ich mich unter Beifügung
einer be laubigten Abſchrift meiner Beſtallung als Reichskommiſſar für die Übergabe
des Saargebiets und mit dem ergebenſten Bemerken, daß die Vorlage der Original—
beſtallung in der erſten demnächſt wohl zu erwartenden Verhandlung zur Eröffnung
6 *
Coblenz, den 27. Februar 1920.
.
der Übergabegeſchäfte geſchehen wird, in der Anlage einige Vorſchläge zu unterbreiten,
die, im Hinblick auf den Regierungsantritt des Regierungsausſchuſſes und der damit
nunmehr entſprechend dem Friedensvertrage durchzuführenden Maßnahmen zum Schutze
der Rechte und der Wohlfahrt der Bevölkerung des Saargebiets, wünſchenswert und
nützlich erſcheinen möchten.
Des weiteren beehre ich mich ergebenſt die Bitte vorzutragen, mir die Errichtung
eines Büros in kleinem Umfange in Saarbrücken zu geſtatten, das beſonders und
hauptſächlich mit ſeinen Arbeiten der Ordnung und Regelung derjenigen Fragen
dienen ſoll, die mit der Übergabe des Beamtenkörpers, der Feſtſtellung der Rechte
und Pflichten der Beamten und mit der Auseinanderſetzung zwiſchen dem gemäß dem
Friedensvertrag auf 15 Jahre abgetretenen Saargebiete und dem übrigen Deutſchland
in finanzieller Beziehung zuſammenhängen. Dieſe beiden Aufgaben werden ſicher zu
den umfangreichſten und am eingehendſten zu erörternden Aufgaben des Übergabe-
geſchäfts gehören und es wäre mir eine außerordentliche Erleichterung, ſowohl im
Intereſſe der Bevölkerung als auch einer ſchnellen Abwicklung dieſer Aufgaben, wenn
die Zuſammenſtellung und Klärung der mannigfach aufgetretenen Wünſche einerſeits
und der Verrechnung, Auseinanderrechnung und Trennung der verſchiedenen Kaſſen,
Budgets und Vermögensmaſſen (Reich, Staaten, Provinz, Kreiſe, Kommunen) anderer-
ſeits in den vorbereitenden Stadien in unmittelbarer Nähe der Intereſſenten aus dem
Saargebiet und des Regierungsausſchuſſes bewirkt werden könnten.
In der dem Herrn Präſidenten der Friedenskonferenz in Paris durch Freiherrn
von Lersner überreichten Note der Deutſchen Regierung vom 22. Januar d. J. war
außer der Mitteilung meiner Ernennung zum Reichskommiſſar des weiteren die Bitte
ausgeſprochen worden, mir und meinem Hilfsperſonal für die die Übergabe des
Saargebiets betreffende Tätigkeit die Befreiungen und Vorrechte diplomatiſcher Ver⸗
treter zuzuerkennen und mir insbeſondere die ungehinderte zenſurfreie Benutzung von
Poſt, Telegraph und Telephon ſowie den freien Verkehr durch chiffrierte und nicht—
chiffrierte Dienſttelegramme und durch Kuriere mit den Zentralbehörden in Berlin
und München zu ermöglichen. Im Hinblick auf den letzteren Inhalt der Note teilte
der Herr Präſident der Friedenskonferenz am 31. Januar d. J. der Deutſchen
Friedensdelegation mit, daß der Regierungsausſchuß des Saargebiets ſelbſt nach ſeiner
Ernennung die genannte Note beantworten würde. Die oben inhaltlich vorgetragene
Bitte der Note bezüglich der diplomatiſchen und anderen Vorrechte und Befreiungen
beehre ich mich aus Gründen der Zweckmäßigkeit und des ſchnelleren und reibungs⸗
loſen Verkehrs und Übergabegeſchäftes noch dahin zu erweitern, daß dieſe Rechte uſw.
mir und meinem Hilfsperſonal auch für den Verkehr mit dem Regierungsausſchuß
ſelbſt als auch mit dem oben erbetenen Büro in Saarbrücken, ſofern der Regierungs⸗
ausſchuß deſſen Errichtung genehmigen ſollte, anerkannt werden möchten.
Als Hilfsperſonal kommen in Betracht:
1. Herr Oberregierungsrat Dr. von Gal,
„2. Herr Regierungsrat Dr. Bacmeiſter,
3. Herr Legationsſekretär Dr. Rühl,
4. ein Kurier,
5. ein Dolmetſcher.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung
ganz ergebenſt
gez. von Groote.
An
den Herrn Präſidenten des Regierungsausſchuſſes des Saargebietes,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
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Nr. 38.
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets vom
| 27. Februar 1920.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz
als Reichskommiſſar a 4
für die Übergabe des Saargebiets. Coblenz, den 27. Februar 1920.
Nr. S. 74.
Bei dem nunmehr erfolgten Antritt der Regierung des Saargebiets durch den
Regierungsausſchuß will ich ergebenſt nicht ermangeln, die Aufmerkſamkeit des
Regierungsausſchuſſes auf die Möglichkeit hinzuweiſen, durch eine Amneſtie das
ſchwere Los der Bevölkerung des Saargebiets zu erleichtern und ihr neue Hoff—
nungsfreudigkeit in ihren mancherlei Nöten durch eine Tat zuzuführen, die ſie mit
Vertrauen und neuem Mute erfüllen würde.
Auch die weitergehende Bitte, in dieſe Amneſtie alle diejenigen Perſonen einzu—
beziehen, die im Wege der militäriſchen Ausweiſung Heimat, Amt und Beruf auf—
geben mußten, erlaube ich mir aus dem einzigen Grunde, Sorgen und Nöte der Be—
treffenden zu erleichtern und ihr Schickſal günſtiger zu geſtalten, ergebenſt vorzutragen.
Ebenſo beehre ich mich auch den Regierungsausſchuß auf die Notwendigkeit der Bitte
hinweiſen zu dürfen, die vorläufige Weiterarbeit derjenigen Behörden und Korpora—
tionen des Saargebiets zu genehmigen und zu ermöglichen, die in direkter Fühlung—
nahme mit den entſprechenden Behörden des übrigen Deutſchlands — es kommt
zumeiſt die Regierung in Trier in Frage — die Sicherſtellung und Durchführung
des Lebensmittelbezuges, der Fleiſchbewirtſchaftung, der Kartoffelbelieferung der Be—
ſatzungstruppen und die Weiterzahlung der Beamtengehälter, Penſionsgebührniſſe und
Verſicherungsgelder zur Aufgabe haben. Sollte dieſe Genehmigung nicht erteilt
werden, ſo wäre es nur möglich, die diesbezüglichen Arbeiten über meine Perſon zu
erledigen, wodurch mannigfache Verzögerungen und Erſchwerungen der Bevölkerung
des Saargebiets auch beim beſten Willen kaum erſpart werden könnten.
Genehmigen, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten Hoch—
achtung,
| ganz ergebenſt
gez. von Groote.
An f
den Herrn Präſidenten des Regierungs- Ausſchuſſes
des Saargebiets, Hochwohlgeboren.
Saarbrücken.
Nr. 39.
Note der deutſchen Regierung vom 4. März 1920.
Auswärtiges Amt.
Nr. F. P. 2661. Berlin, den 4. März 1920.
Herr Vorſitzender!
Der Herr Generalſekretär des Völkerbundes hat dem Herrn Reichskanzler mit
Schreiben vom 14. Februar 1920 mitgeteilt, daß der Völkerbundsrat am 13. Februar
4 Mitglieder des Regierungsausſchuſſes für das Saargebiet ernannt und Euere Exzellenz
zum Vorſitzenden dieſes Ausſchuſſes beſtimmt hat.
Mit Beziehung auf dieſes Schreiben beehre ich mich, Euerer Exzellenz mitzuteilen,
daß die Deutſche Regierung im Einvernehmen mit der Preußiſchen und der Bayeriſchen
Regierung den Oberpräſidenten der Rheinprovinz, Herrn von Groote in Coblenz, zum
le] Sage
Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets ernannt und ihn bevollmächtigt
hat, im Namen des Reichs über Fragen, die mit dem Übergang der Regierungs—
befugniſſe auf den vom Völkerbundsrat ernannten Regierungsausſchuß in Zuſammen⸗
hang ſtehen, mit dem Regierungsausſchuß Verhandlungen zu führen und vorbehaltlich
der Genehmigung durch die Deutſche Regierung Abmachungen aller Art zu treffen.
Der Reichskommiſſar von Groote iſt angewieſen worden, ſich zwecks ſofortiger
Eröffnung der Verhandlungen mit dem Regierungsausſchuß für das Saargebiet in
Verbindung zu ſetzen.
| Indem ich vorſtehendes zur Kenntnis Euerer Exzellenz bringe, bitte ich, dem
Reichskommiſſar von Groote und feinem Hilfsperſonal für ihre die Übergabe des
Saargebiets betreffende Tätigkeit innerhalb des Saargebiets dieſelben Befreiungen
und Vorrechte wie diplomatiſchen Vertretern zuzuerkennen und ihnen insbeſondere die
ungehinderte, zenſurfreie Benutzung von Poſt, Telegraph und Telephon ſowie den
freien Verkehr durch offene und chiffrierte Dienſttelegramme und durch Kuriere mit
den Zentralbehörden in Berlin und München zu geſtatten. Auch bitte ich veranlaſſen
zu wollen, daß Herrn von Groote und ſeinem Hilfsperſonal in dem beſetzten Gebiet
von ſeiten der Beſatzungsbehörden dieſelben Vergünſtigungen zugebilligt werden.
gez. Müller.
An
den Regierungsausſchuß für das Saargebiet,
zu Händen des Herrn Vorſitzenden, Staatsrats Rault,
Saarbrücken.
Re USE Nr. 40.
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 10. März 1920.
(Aberſetzung.) ER
Regierungskommiſſion des Saargebiets.
Der Präſident.
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saarbeckengebiets,
an
Herrn von Groote, Oberpräſident der Rheinprovinz,
Coblenz.
Wie ich Eurer Exzellenz unterm 5. März 1920 mitzuteilen die Ehre hatte, hat
die Regierungskommiſſion Ihr Schreiben vom 27. Februar 1920 ſowie ein Schreiben
des Herrn Reichsminiſters des Auswärtigen vom 4. März 1920 erhalten.
Sie nimmt Kenntnis von der ihr durch dieſe Schreiben gemachten Entſcheidung
über die Ernennung Eurer Exzellenz zum Reichskommiſſar für die Übergabe des
Saargebiets. 3
Die Kommiſſion legt Wert darauf, ſchon jetzt feſizuſtellen, daß ſie mit einem
Vertreter des Deutſchen Reichs keine Verhandlungen über die Übergabe der Regierungs⸗
befugniſſe im Saarbeckengebiet zu führen hat. Der Vertrag von Verſailles ſieht in
dieſer Beziehung keine Verhandlungen vor, wohl aber eine gewiſſe Anzahl von Ver⸗
pflichtungen zu Laſten Deutſchlands. Der Reichskommiſſar ſoll insbeſondere der
Regierungskommiſſion alle amtlichen Urkunden und Archive zur Verfügung ſtellen,
Saarbrücken, den 10. März 1920. £
von denen in § 20 der Anlage zu Abſchnitt IV Teil III des Vertrags geſprochen
wird. Die Regierungskommiſſion beehrt ſich demnach Eure Exzellenz zu bitten, dieſe
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ö Urkunden herbeizuziehen und ihr mitzuteilen, an welchem Tage ſie ſie übernehmen
kann. Sie behält ſich das Recht vor, ſpäter alle Urkunden zu verlangen, die ihr
notwendig find.
Die Kommiſſion glaubt ferner Eure Exzellenz darauf hinweiſen zu ſollen, daß
gemäß § 19 der Anlage die Beam ſen und Körperſchaften im Saargebiet lediglich ihr
unterſtehen. Sie allein kann ſie ernennen, abberufen und ihnen neue Dienſt tellungen
verleihen. Die Beamten und Köͤrperſchaften dürfen demnach Beziehungen mit den in
Frage kommenden Behörden Deutſchlands nur durch Vermittlung der Regierungs-
kommiſſion unterhalten.
Unter dieſen Umſtänden erſcheint es der Kommiſſion nutzlos und unzweckmäßig ,
der Errichtung eines Büros in Saarbrücken, um die Eure Exzellenz nachgeſucht haben,
. e Gewiſſe Fragen techniſcher Art werden Aufklärung und Mithilfe ſeitens
r deutſchen Behörden notwendig machen; die Regelung dieſer Fragen wird durch
Vertreter erfolgen können, die die Kommiſſion nach Coblenz zu Eurer Exzellenz ent
ſenden würde.
Ich bitte Eure Exzellenz, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung
zu genehmigen.
2 Namens der Regierungskommiſſion:
Der Präſident, Staatsrat
gez. V. Rault.
Nr. 41.
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 11. März 1920.
(Aberſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets.
| Der Präſident. RE |
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saarbeckengebiets,
95 an | | | |
den Herrn Reichsminiſter des Auswärtigen:
i Saarbrücken, den 11. März 1920.
Berlin.
Herr Miniſter!
Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang des Briefes zu beſtätigen, durch den
Eure Exzellenz mir die Ernennung des Herrn von Groote, Oberpräſidenten der Rhein—
provinz, zum Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets angezeigt haben.
Herr von Groote hat ſchon vorher der Kommiſſion eine beglaubigte Abſchrift
ſeiner Beſtallungsurkunde überſandt und im Begleitſchreiben zu dieſer Urkunde eine
gewiſſe Anzahl von Vorſchlägen formuliert.
Ich übermittle in der Anlage Eurer Exzellenz Abſchrift der Antwort, die die
Regierungskommiſſion an Herrn von Groote zu ſenden beſchloſſen hat.
Ich bitte Eure Exzellenz die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung
zu genehmigen.
Namens der Regierungskommiſſion des Saarbeckengebietes:
Der Staatsrat, Präſident
gez. V. Rault).
) Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 40 wiedergegebenen Note beigefügt.
Nr. 42.
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets vom
10. März 1920.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz
als Reichskommiſſar für die Übergabe des Coblenz, den 10. März 1920.
Saargebiets.
Herr Präſident!
Ich habe die Ehre, den Empfang des Schreibens vom 5. März 1920 zu be⸗
ſtätigen, mit dem in Ihrer Vertretung Herr Graf Moltke die Güte hatte, mir den
Eingang meines Schreibens vom 27. Februar 1920 anzuzeigen und deſſen Vorlage
in der erſten Beratung der Regierungskommiſſion in Ausſicht zu ſtellen.
Ich nehme ergebenſt Bezug auf mein vorerwähntes Schreiben vom 27. Februar
und weiter auf das Schreiben des Auswärtigen Amts, Friedensabteilung, in Berlin
vom 4. d. M. — b di —, betreffend Mitteilung meiner Ernennung zum
Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets, und beehre mich nunmehr, die
Bitte auszuſprechen, mir recht bald mitteilen zu wollen, wann und wo die Ver⸗
handlungen über die Übergabe eröffnet werden können. Eine alsbaldige Einleitung
würde inſofern dringend wünſchenswert ſein, als am kommenden 1. April der Termin
für die Zahlung der Gehälter, Teuerungszulagen und ſonſtigen Bezüge der geſamten
Beamtenſchaft des Saargebiets und für die Überweifung von Staatszuſchuͤſſen an
Kommunalverbände bevorſteht und von einer etwaigen Fortſetzung dieſer pränumerando
erfolgenden Zahlungen eine gewiſſe Klärung ihrer Bedingungen, insbeſondere eine
Regelung der die Beamten betreffenden Fragen im Intereſſe aller Beteiligten geboten
ſein dürfte. |
Wenngleich ich es Ihnen, Herr Präſident, ergebenft überlaffe, den Ort für die
Verhandlungen zu beſtimmen, ſo möchte ich es ſchon mit Rückſicht auf die beſſere
Möglichkeit des Unterkommens und die leichte Erreichbarkeit doch nicht unterlaſſen,
Ihre Aufmerkſamkeit auf die Stadt Trier zu lenken, die zudem als Sitz der früher
für das Saargebiet in Frage kommenden Regierungsgewalt manche günſtige Vor⸗
bedingungen (Kartenmaterial, Akten, Statiſtik uſw.) bietet.
Ich darf zum Schluß darauf hinweiſen, daß es der Beſchleunigung der Zuſtellung
an mich gerichteter Schriftſtücke dienen würde, wenn dieſen nicht meine perſönliche,
ſondern meine amtliche Adreſſe, wie folgt, gegeben würde: .
An den Herrn Oberpräſidenten der Rheinprovinz
als Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets,
Coblenz.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch⸗
achtung.
Ganz ergebenſt
gez. von Groote.
An
den Präſidenten des Regierungsausſchuſſes des Saargebiets,
Herrn Staatsrat Rault, Hochwohlgeboren, in Saarbrücken.
Nr. 43.
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets
| vom 15. März 1920.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 15. März 1920.
des Saargebiets.
Herr Präſident!
Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 10. März 1920
zu beſtätigen, in dem Sie zu gewiſſen Vorſchlägen Stellung nehmen, die ich mir erlaubt
hatte, Ihnen mit meinem Schreiben vom 27. Februar 1920 S. 74 zu unterbreiten.
Wie ich aus der mir erteilten Antwort entnehme, muß ich fürchten, in den Ab—
ſichten, die mich bei jenen Vorſchlägen leiteten, mißverſtanden worden zu ſein. Ich
beeile mich daher, dem Inhalt meines vorerwähnten Schreibens in dieſer Hinſicht eine
Erläuterung zu geben.
Es iſt nicht meine Abſicht geweſen und konnte nicht meine Abſicht ſein, bezüglich
der Übertragung der Regierungsgewalt im Saargebiet mit der Regierungskommiſſion
in Verhandlungen zu treten, da die Übertragung der Regierungsgewalt auf die
Kommiſſion im Friedensvertrage begründet und inzwiſchen eine vollendete Tatſache
mr iſt. Auch hat es mir fern gelegen, über den Umfang oder die Grenzen
er der Regierungskommiſſion übertragenen Befugniſſe Erörterungen herbeizuführen.
* bin ich mir klar darüber, daß die Regierungskommiſſion, wie § 19 der
nlage zu Artikel 50 des Friedensvertrags beſagt, im Saarbeckengebiete alle Regierungs—
gewalt beſitzt, die früher dem Deutſchen Reiche, Preußen und Bayern zuſtand, mit
Einſchluß des Rechtes, Beamte zu ernennen und abzuſetzen. Es kann für mich auch
demnach nicht in Frage kommen, mit Behörden oder Beamten des Saargebiets ohne
Vermittelung der Regierungskommiſſion Beziehungen unterhalten zu wollen. |
Wie Sie, Herr Präſident, in Ihrem Schreiben aber ſelbſt ausführen, wird die
Regierungskommiſſion bei Einrichtung der Verwaltung des Saargebiets immerhin nicht
umhin können, in Fragen techniſchen Charakters Aufklärungen ſeitens der deutſchen
Behörden entgegenzunehmen und ihre Intervention in Anſpruch zu nehmen. Hier—
durch wird, wie mir ſcheint, den deutſchen Behörden eine Aufgabe geſtellt, die über
die Erfüllung der Verpflichtung zur Auslieferung der amtlichen Urkunden und Archive,
wie ſie § 20 der Anlage zu Artikel 50 des Friedensvertrags vorſchreibt, in nicht un—
erheblichem Maße hinausgeht. Ich darf, um nur ein Beiſpiel zu nennen, darauf
hinweiſen, daß ſich im gegenwärtigen Augenblick Fragen vermögensrechtlicher und
finanzieller Art erheben, die verwickelter Natur ſind und ohne Mitwirkung der bis—
herigen deutſchen hear preußiſchen und bayeriſchen Verwaltung nur ſchwer ihrer Löſung
zugeführt werden dürften.
Einer Intervention der beteiligten deutſchen Verwaltungen wird es insbeſondere
bedürfen, um den Übertritt der im Saargebiet noch tätigen deutſchen, preußiſchen
und bayeriſchen Beamten in den Dienſt der Regierungskommiſſion herbeizuführen und
über die von dieſen Beamten für ihren Übertritt aufgeſtellten Bedingungen eine Ver—
einbarung zu erzielen. Denn darüber dürfte kein Zweifel beſtehen, daß die zur Zeit
im Saargebiet dienſttuenden Beamten, die von ihren Heimatregierungen ernannt und
angeſtellt ſind, in ſtaats⸗ und völkerrechtlicher Hinſicht ihre Eigenſchaft als Beamte
des Deutſchen Reiches, Preußens und Bayerns durch die bloße Tatſache des Regierungs—
antritts der Kommiſſion nicht verloren haben, daß es vielmehr eines beſonderen Aktes
ihrer Heimatregierungen bedürfen wird, um fie aus dem heimiſchen Beamtenver—
hältnis zeitweiſe zu entlaſſen oder zu beurlauben, und eines weiteren nachfolgenden
Aktes der Saarregierung, um ſie zu Beamten des Saargebietes zu ernennen. Jeden—
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falls ift dies nicht nur die Auffaſſung der beteiligten deutſchen Regierunger, ſondern
vor allem auch diejenige der in Frage kommenden Beamten und Angeſtellten ſelbſt.
Dieſe haben in Eingaben und Erklärungen ihren vorgeſetzten Behörden gegenüber
keinen Zweifel darüber gelaſſen, daß ſie nur dann gewillt ſind, unter den ver—
änderten politiſchen Verhältniſſen ihren Dienſt im Saargebiet fortzuſetzen, wenn die
neue Regierung ihnen für ihre materielle und ideelle Stellung und für gewiſſe ſoziale
und politiſche Freiheiten volle Sicherheiten bietet. Dieſe Forderungen nach Mög—
lichkeit zu erfüllen, wird im Intereſſe der Saarregierung ſelbſt liegen, der die Siche—
rung der Rechte und die Wohlfahrt der Bevölkerung des Gebietes als Mandatar
des Völkerbundes anvertraut iſt. Um eine entſprechende, allſeits befriedigende Rege—
lung herbeizuführen, wird eine weitgehende techniſche Aufklärung der deutſchen
Beamtenverhältniſſe und die loyale Vermittlung der deutſchen Zentralbehörden nicht
zu entbehren ſein, und ich muß nach den mir erteilten Weiſungen es als eine
meiner weſentlichſten Aufgaben betrachten, hierbei als Bevollmächtigter der deutſchen
Reichs- und preußiſchen Staatsregierung mitzuwirken.
Da die hiernach erforderlichen Erörterungen ebenſo wie die Verſtändigungen
über zahlreiche andere Verwaltungsfragen aller Vorausſicht nach mit nicht unerheb⸗
licher Arbeit verbunden ſein werden, hatte ich in Ausſicht genommen, ein beſonderes
Büro zu errichten, das den Zweck hätte, die Verhandlungen in techniſcher Beziehung
vorzubereiten und zu erleichtern. Meine Abſicht war, dieſes Büro lediglich mit
einem Sekretariatsbeamten zu beſetzen, dem keinerlei Vollmacht zu ſelbſtändigen Ver⸗
handlungen übertragen werden ſollte. Als Ort für die Errichtung dieſes Büros
habe ich die Stadt Saarbrücken nur deshalb genannt, weil ich annahm, daß die
Einrichtung dort im Falle von Verhandlungen in Saarbrücken von Nutzen ſein könnte,
und daß wohl auch die Regierungskommiſſion die Möglichkeit begrüßen möchte,
gewiſſe büromäßige Auskünfte an Ort und Stelle erhalten und ſozuſagen außer⸗
amtlich mit dem deutſchen Kommiſſar in Fühlung ſtehen zu können. Ich nahm
nunmehr davon Kenntnis, daß dieſe Einrichtung den Wünſchen der Regierungs⸗
kommiſſion nicht entſpricht, und behalte mir vor, falls eine Anregung dazu ergehen
ſollte, mir in anderer Weiſe die geſchäftsmäßige Förderung der Beit
angelegen ſein zu laſſen.
Die mir kundgegebene Geneigtheit der Regierungskommiſſion zur Abwicklung
der entſtehenden Fragen Vertreter nach Coblenz zu entſenden, kann ich nur dankbar
begrüßen. Ich verfehle jedoch nicht zu bemerken, daß ich pflichtgemäß auch an jedem
anderen Ort zu Beſprechungen zur Verfügung ſtehe, den vorzuſchlagen die Regierungs-
kommiſſion für gut finden wird. Ich darf in dieſem Zuſammenhang auf mein
Schreiben vom 10. März 1920 S. 88 Bezug nehmen.
Was die Zurverfügungſtellung der amtlichen Schriftſtücke und Archive betrifft,
ſo dürfte deren Übergabe zweckmäßig für jeden Verwaltungszweig geſondert unter
Hinzuziehung der leitenden Beamten der betreffenden Behörde erfolgen. Sobald die
ſeit längerer Zeit begonnenen Vorbereitungen hierzu abgeſchloſſen ſein werden, werde
ich unverzüglich der Regierungskommiſſion betreffs Zeit, Ort und e ee
Übergabe geeignete Vorſchläge unterbreiten.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die daha meiner waagen
Hochachtung.
gez. von Groote.
An
den Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saargebiets,
Herrn Staatsrat Rault, Hochwohlgeboren.
Saarbrütken
2 | |
VII.
Staatsangehörigkeit und Intereſſenvertretung.
Nr. 44.
Schreiben des franzöſiſchen Militärverwalters von Homburg an den
Bezirksamtmann von Homburg.
(Aberſetzung.)
Administration Supérieure de la Sarre.
Cercle de St. Ingbert. Homburg, den 8. März 1920.
Annexe de Homburg.
Leutnant Nagel, beauftragt mit der Militärverwaltung des Annexes Homburg,
an
den Herrn Bezirksamtmann von Homburg.
Ich bitte Sie, den Bürgermeiſtern und Polizeidirektoren der zum Saargebiet
gehörigen Gemeinden des Bezirks Homburg folgende Vorſchriften, die fortab anzu—
wenden ſind, mitzuteilen
1. Auf den Perſonalausweiſen iſt die Bezeichnung »Preuße« oder »Deutfcher«
oder »Bayer« oder »Pfälzer« uſw. durch die Bezeichnung »Saarländer« (Sarrois)
zu erſetzen, ſoweit es ſich um Bewohner des Saargebiets handelt.
In bezug auf den Verkehr ſind unter Saarländern alle Perſonen zu verſtehen,
50 im Saargebiet vor dem 2. Auguſt 1914 wohnten und kein Regierungsamt inne—
atten. | ;
2. Das Lichtbild auf dem Perſonalausweis ift immer mit dem Stempel der
Polizei oder des Bürgermeiſteramts zu verſehen, bei dem der Perſonalausweis aus—
geſtellt worden iſt.
(Unterſchrift und Stempel.)
Nr. 45.
Schreiben des Bezirksamtmanns von Homburg an den franzöſiſchen
Militärverwalter von Homburg vom 10. März 1920.
Homburg, den 10. März 1920.
An
Herrn Leutnant Nagel, Militärverwalter des Annexes
Homburg.
Zum Schreiben vom 8. März 1920.
Nach $ 27 der Anlage zu Art. 50 des Friedensvertrags wird die gegenwärtige
Staatsangehörigkeit der Einwohner des Saarbeckens von den Beſtimmungen des
Friedensvertrags nicht berührt. Daraus geht hervor, daß jeder ſeine bisherige Staats—
angehörigkeit beibehält und es eine ſaarländiſche Staatsangehörigkeit nicht gibt.
Wenn nun in den Reiſeausweiſen an Stelle der bisherigen Bezeichnung der
Staaatsangehörigkeit der Ausdruck »Saarländer« aufgenommen werden ſoll, fo muß
dies in der Bevölkerung ohne weiteres den Verdacht erwecken, als ob der Betreffende
ſeine bisherige Staatsangehörigkeit verloren hätte. In der heutigen ſehr aufgeregten
Zeit müßte eine derartige Anordnung ſehr große Unruhe hervorrufen. Ich möchte
nicht verfehlen, auf dieſe ſchweren Folgen aufmerkſam zu machen, und möchte bitten,
e eee
TR 2
dahin zu wirken, daß in den Reiſeausweiſen wenigſtens die bisherige Staatsan-
gehörigkeit wie bisher eingetragen wird und dahinter in Klammer zu ſetzen iſt »Saar⸗
gebiet«. Es wäre dies rechtlich einwandfrei. Der Ausdruck Saarländer iſt nicht
korrekt; denn da es keinen Saarſtaat gibt, gibt es auch keine Saarländer, ſondern
nur Bewohner des Saargebiets. Im Intereſſe der Vermeidung von Unruhen und
im Intereſſe der Aufrechterhaltung der Ruhe in der Bevölkerung erſuche ich nochmals
dringend, eine Anderung der erlaſſenen Anordnung zu erwirken. ge
(Unterſchrift.)
Nr. 46.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion
des Saargebiets vom 27. März 1920.
Auswärtiges Amt. “ag
ee: Berlin, den 27. März 1920,
Herr Staatsrat!
Wie mir von vertrauenswürdiger Seite mitgeteilt wird, weigern ſich die
franzöſiſchen Behörden, Bewohner des Saargebiets in Perſonalausweiſen, die ſie
ihnen ausſtellen, als preußiſche oder bayeriſche Staatsangehörige zu bezeichnen, ſondern
tragen fie als »Sarrois« ein. u
Da es nach $ 27 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Friedensvertrags ine
ſaarländiſche Staatsangehörigkeit nicht gibt, die Bewohner des Gebiets vielmehr ihre l
bisherige Staatsangehörigkeit behalten, nehme ich an, daß dem von den franzöſiſchen
Behörden befolgten Verfahren ein Mißverſtändnis zugrunde liegt. !
Ich wäre Ihnen, Herr Staatsrat, zu Dank verpflichtet, wenn Sie für die
baldige Beſeitigung dieſes Mißverſtändniſſes Sorge tragen wollten.
Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. von Haniel.
An
den Regierungsausſchuß für das Saargebiet,
zu Händen des Vorſitzenden, Herrn Staatsrats Rault,
Saarbrücken.
Nr. 47. |
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche
| Regierung vom 6. April 1920. ö
(berſetzung.) f
Regierungskommiſſion des Saargebiets. 1
Der Präſident. Saarbrücken, den 6. a 1920.
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets,
an f
den Herrn Reichsminiſter des Auswärtigen,
Berlin.
Indem ich Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 27. März 1920 (Nr. II
S. G. 3, S. G. 8) beſtätige — und ohne auf feinen fachlichen Inhalt einzugehen —,
beehre ich mich, Sie darauf hinzuweiſen, daß die Aufgabe, für den Schutz der
Intereſſen der Bewohner des Gebiets zu ſorgen, durch den Vertrag von Verſailles
ET —
( 21 der Anlage zu Abſchnitt IV von Teil III) der Regierungskommiſſion und ihr allein
übertragen worden iſt, weshalb dieſe keine Einmiſchung des deutſchen Auswärtigen
Amts in die Frage, auf die Sie ihre Aufmerkſamkeit gerichtet haben, zulaſſen kann.
r Ich benutze dieſe Gelegenheit, um zu Ihrer Kenntnis zu bringen, daß die
Regierungskommiſſion als amtliche Überſetzung ihres Namens und des Titels ihres
Präſidenten die Worte »Regierungskommiſſion« und »Präſident« unter
Ausſchluß der Bezeichnungen »Regierungsausſchuß« und »Vorſitzende« angenommen
hat. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Zukunft die von der Kommiſſion ge—
wählten Bezeichnungen gebrauchen wollten, da die Kommiſſion durch die amtliche
deutſche Überſetzung eines Friedensvertrags, von dem gemäß Artikel 440 nur der
franzöſiſche und der engliſche Text maßgebend ſind, nicht gebunden werden kann.
Genehmigen Sie, Herr Minifter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. V. Rault.
Nr. 48.
Note der franzöſiſchen Botſchaft in Berlin an die deutſche Regierung
vom 9. Auguſt 1920.
(berſetzung.)
Franzöſiſche Botſchaft in Berlin.
Nr. 258.
Herr Miniſter!
Da die Vertretung der ſaarländiſchen Auslandsintereſſen durch einſtimmigen,
auf Grund von § 21 der Anlage zu Artikel 50 des Verſailler Vertrags gefaßten
Beſchluß der Regierungskommiſſion des Saargebiets Frankreich übertragen iſt, beehre
ich mich Eurer Exzellenz im Auftrage meiner Regierung namens der Regierungs-
kommiſſion des Saargebiets von der Errichtung einer ſelbſtändigen Verwaltung der
jaarländifchen Eiſenbahnen in Kenntnis zu ſetzen.
In der Anlage finden Sie eine die neue Organiſation des Eiſenbahnnetzes des
Saargebiets im einzelnen darlegende Note.
Genehmigen Sie, Herr Minifter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. H. de Marcilly.
Berlin, den 9. Auguſt 1920.
An
Seine Exzellenz Herrn Dr. Simons,
Miniſter des Auswärtigen,
Berlin.
Nr. 49.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 23. Auguſt 1920.
Auswärtiges Amt. Berlin, den 23. Auguſt 1920.
Nr. II. S. G. 1107.
Herr Staatsrat!
Der Herr Geſchäftsträger der Franzöſiſchen Republik in Berlin hat mir in einem
Schreiben vom 9. Auguſt d. J. mitgeteilt, daß die Regierungskommiſſion für das
Saargebiet die Vertretung der ſaarländiſchen Intereſſen im Auslande auf Grund
von § 21 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Friedens vertrages Frankreich über—
tragen habe. Demgemäß hat mir der Herr Geſchäftsträger im Namen der Regierungs-
kommiſſion von der Errichtung einer ſelbſtändigen Direktion der Saareiſenbahnen
er
Kenntnis gegeben und mir eine Note mit Einzelheiten über die Organifation des
Eiſenbahnnetzes des Saargebiets zugehen laſſen.
Ich beehre mich, darauf aufmerkſam zu machen, daß nach den Beſtimmungen
des Friedensvertrags das Saargebiet zwar der Regierung des Völkerbundes unterſtellt,
damit aber dem übrigen Deutſchland gegenüber nicht Ausland geworden iſt. Die
Grenzen des Saargebiets find nicht in dem Abſchnitt beſchrieben, der die Überfchrift
»Deutſchlands Grenzen« trägt; die Bewohner des Saargebiets behalten ihre bisherige
Staatsangehörigkeit, das Reich und die Einzelſtaaten bleiben Eigentümer ihres im
Saargebiet befindlichen Vermögens; über die Frage, ob das Saargebiet aufhört,
Reichsgebiet zu ſein, ſoll erſt nach 14 Jahren auf Grund einer Volksabſtimmung
entſchieden werden. Es kann auch unmöglich im Geiſt des Friedensvertrags liegen,
daß die deutſchen Staatsangehörigen, die im Saargebiet anſäſſig ſind, in Deutſchlan
gegenüber deutſchen Behörden von Frankreich vertreten werden.
Die Deutſche Regierung iſt hiernach nicht in der Lage, die Vertretung der ſaar⸗
ländiſchen Intereſſen in Deutſchland durch Frankreich anzuerkennen.“
Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichnete
Hochachtung.
An
gez. von Roſenberg.
die Regierungskommiſion für das Saargebiet,
—
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
(Die Note iſt nicht beantwortet worden.)
Nr. 50.
Note der franzöſiſchen Botſchaft in Berlin an die deutſche Regierung
vom 25. September 1920. |
(Überfegung.)
Franzöſiſche Botſchaft in Berlin. Berlin, den 25. September 1920.
Nr. 305.
Herr Miniſter! 5
Indem ich auf die Note der franzöſiſchen Botſchaft Nr. 258 vom 9. Auguſt d. J.
Bezug nehme, habe ich die Ehre, Eurer Exzellenz im Auftrage der Regierung der
Republik mitzuteilen, daß die Vertretung der ſaarländiſchen Intereſſen im Ausland
auf Grund eines gemäß § 21 der Anlage zu Artikel 50 des Vertrags von Verſailles
gefaßten einſtimmigen Beſchluſſes der Regierungskommiſſion des Saargebiets Frankreich
übertragen worden iſt. f
In der Anlage finden Eure Exzellenz eine zweite Ausfertigung der zu dieſem
Zweck von der Regierungskommiſſion des Saargebiets ergangenen Verordnung, ſowie
Abſchrift eines Schreibens vom 23. Auguſt d. J., mit dem die Regierung der Republik
/
/
der Kommiſſion mitgeteilt hat, daß fie damit einverſtanden fei, den im Ausland anſäſſigen
Angehörigen des Saargebiets (aux ressortissants sarrois residant a l’etranger)
den Schutz ihrer diplomatiſchen und konſulariſchen Agenten angedeihen zu laſſen.
Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten
Hochachtung.
An
Seine Exzellenz Herrn Dr. Simons,
Miniſter des Auswärtigen,
Berlin.
gez. Charles Laurent.
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5 — 85 —
4 Anlage 1.
0 (Aberſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 7. Juli 1920.
2. Ausfertigung.
Verordnung.
Auf Grund des § 21 der Anlage zu Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensver—
trags von Verſailles und gemäß dem Beſchluß der Regierungskommiſſion vom heutigen
Tage verordnet die Regierungskommiſſion wie folgt:
Artikel 1.
Der Schutz der Intereſſen der Bewohner des Saarbeckengebiets im Ausland
wird der Regierung der Franzöſiſchen Republik anvertraut.
5 Artikel 2.
Der mit den auswärtigen Angelegenheiten beauftragte Präſident der Regierungs—
kommiſſion wird mit der Ausführung der vorliegenden Verordnung betraut. Geſchehen
in der Sitzung der Regierungskommiſſion in Saarbrücken am 7. Juli 1920.
Im Namen der Regierungskommiſſion
gez. Rault.
Anlage 2.
(berſetzung.)
en en Paris, den 23. Auguſt 1920.
Nr. 20.
Herr Präſident!
Mit Schreiben vom 9. v. M. haben Sie mir eine zweite Ausfertigung der Ver—
ordnung vom 7. Juli 1920 mitgeteilt, durch die die Regierungskommiſſion des
Saarbeckengebiets beſchloſſen hat, der Regierung der franzöſiſchen Republik den Schutz
der ſaarländiſchen Intereſſen im Ausland zu übertragen.
Ich beehre mich Ihnen den Empfang dieſer Mitteilung zu beſtätigen und wäre
Ihnen dankbar, wenn Sie der Regierungskommiſſion mitteilen wollten, daß die
Regierung der Republik den im Ausland anſäſſigen Angehörigen des Saargebiets
den Schutz ihrer diplomatiſchen und konſulariſchen Agenten gern angedeihen laſſen wird.
Das der vorſtehenden Note als Anlage 2 beigefügte Schreiben der franzöſiſchen Re—
gierung iſt in dem Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets Nr. 10 vom 4. Sep
tember 1920 in folgender Überſetzung veröffentlicht worden:
Nr. 137. Schreiben der franzöſiſchen Regierung, betr. die Vertretung der
ſaarländiſchen Intereſſen im Ausland.
Paris, den 23. Auguſt 1920.
Herr Präſident!
Laut Schreiben vom 9. letzten Monats brachten Sie die Verordnung
vom 7. Juli 1920 zu meiner Kenntnis, gemäß welcher die Regierungs-
kommiſſion für das Saargebiet die Wahrung ſaarländiſcher Intereſſen im
Auslande der franzöſiſchen Republik übertrug.
Ich beſtätige Ihnen hiermit dieſe Mitteilung und bitte Sie ergebenſt,
zur Kenntnis der Regierungskommiſſion bringen zu wollen, daß die franzöſiſche
3
Regierung gerne bereit iſt, den Saarländern außerhalb des Saargebiets den
Schutz der franzöſiſchen diplomatiſchen und konſulariſchen Vertreter zu gewähren.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner vorzüglichen
Hochachtung.
Der Miniſterpräſident, Miniſter der Auswärtigen Angelegenheiten.
I: Bis
gez. Daleologue,
Herrn Rault,
Präſident der Regierungskommiſſion für das Saargebiet.
M
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗
bundsrat vom 25. Oktober 1920.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, Jahrgang 1, Heft 8, Seite 67.)
(berſetzung.)
Die Regierungskommiſſion hat ſich damit befaßt, der ihr nach den Vorſchriften
des Friedensvertrags obliegenden Verpflichtung, »mit den ihr angemeſſen ſcheinenden
Mitteln und in der ihr angemeſſen ſcheinenden Weiſe für den Schutz der Auslands⸗
intereſſen der Bewohner des Saarbeckens zu ſorgen«, zu entſprechen.
Mit Rückſicht auf die beſcheidene Ziffer der Bevölkerung des Saarbeckens und
die geringe Höhe ſeiner Einnahmequellen erſchien es ihr unmöglich, ein ſaarländiſches
diplomatiſches und konſulariſches Korps zu ſchaffen. Andererſeits müſſen die Intereſſen
der Bewohner dieſes Landes bezüglich Handel und Induſtrie, die beide hochentwickelt
ſind, in allen Teilen des Erdballs wahrgenommen werden.
Es lag alſo nahe, den Schutz der Auslandsintereſſen des Gebiets einer innerhalb
der Regierungskommiſſion vertretenen Großmacht, deren Vertreter bei allen Mächten
beglaubigt ſind, anzuvertrauen.
Indem die Regierungskommiſſion ſich von den Gründen leiten ließ, die am
13. Februar d. J. Herrn Caclamanos veranlaßt haben, dem Rat des Völkerbundes
die Übertragung des Vorſitzes in der Regierungskommiſſion an das franzöſiſche Mit⸗
glied anzuempfehlen, hat ſie in ihrer Sitzung vom 10. Juli unter Einſtimmigkeit ihrer
5 Mitglieder beſchloſſen, die Regierung der franzöſiſchen Republik zu erſuchen, den
Schutz der Auslandsintereſſen der Bewohner des Saargebiets zu übernehmen.
Dieſer Beſchluß iſt durch ein Schreiben vom 13. Juli 1920 dem Herrn General⸗
ſekretär des Völkerbundes mitgeteilt worden.
Am 23. Auguſt teilte die Regierung der franzöſiſchen Republik dem Präſidenten
der Kommiſſion mit, daß ſie das Mandat, um deſſen Übernahme die Kommiſſion ſie
gebeten habe, übernehme. Seitdem ſind die Intereſſen der Bewohner des Gebiets zu
wiederholten Malen wirkſam von den franzöſiſchen diplomatiſchen Vertretern wahr⸗
genommen worden.
Es muß immerhin bemerkt werden, daß die deutſche Regierung ſich geweigert
hat, den Schutz der ſaarländiſchen Intereſſen in Deutſchland durch Frankreich anzu-
erkennen, unter dem Vorgeben, daß Deutſchland mit Bezug auf die Bewohner des
Saargebiets nicht als Ausland angeſehen werden könne.
Free e TB SO EEE
Re. en
Nr. 52.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 31. Dezember 1920.
Auswärtiges Amt. f
5. Berlin, den 31. Dezember 1920.
Herr Staatsrat!
Der Herr Botſchafter der Franzöſiſchen Republick in Berlin hatte mir mit einer
Note vom 25. September d. J. mitgeteilt, daß die Regierungskommiſſion für das
Saargebiet die Wahrnehmung der ſaarländiſchen Intereſſen im Ausland der Fran—
Necker Regierung übertragen habe. Er hatte mir zugleich Abſchriften der auf dieſe
bertragung bezüglichen Verordnung der Regierungskommiſſion vom 7. Juli d. J.
ſowie eines an die Regierungskommiſſion gerichteten Schreibens der Franzöſiſchen
Regierung vom 25. Auguſt d. J. über ihre Bereitwilligkeit zur Übernahme dieſer
Intereſſenvertretung zugehen laſſen. ee Diez
Obwohl die Verordnung der Regierungskommiſſion und das Schreiben der
Franzöſiſchen Regierung miteinander nicht übereinſtimmten, habe ich doch bisher da—
von abgeſehen, dies hervorzuheben. Nachdem ich aber aus dem mir erſt vor kurzem
zugegangenen Amtsblatt Nr. 10 der Regierungskommiſſion erſehen habe, daß das
Schreiben der Franzöſiſchen Regierung darin abgedruckt worden iſt, ſehe ich mich
genötigt, auf dieſen Punkt hinzuweiſen. |
Während die Verordnung der Regierungskommiſſion in Übereinſtimmung mit
3 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags von Verſailles von dem Schutz
er Auslandsintereſſen der Bewohner des Saargebiets ſpricht, heißt es in dem
Schreiben der Franzöſiſchen Regierung, daß dieſe gern bereit ſei, den im Ausland
anſäſſigen Angehörigen des Saargebiets (aux ressortissants sarrois résidant à
l’etranger) den Schutz der franzöſiſchen diplomatiſchen und konſulariſchen Vertreter
zu gewähren. Dieſer Ausdrucksweiſe liegt offenbar ein Mißverſtändnis zugrunde.
Nach dem Vertrage von Verſailles gibt es nur Bewohner, nicht aber Angehörige
des Saargebiets oder Saarländer. Die Staatsangehörigkeit der Bewohner bleibt
nach § 27 der erwähnten Anlage unberührt, und nach § 21 derſelben Anlage hat
die Regierungskommiſſion nicht für den Schutz der Intereſſen der im Ausland an-
ſäſſigen Angehörigen des Saargebiets zu ſorgen, ſondern für den Schutz der Aus—
landsintereſſen der Bewohner des Saargebiets. Die Schutzbefugnis der Regierungs—
kommiſſion erſtreckt ſich daher nicht auf Perſonen, die ihren Wohnſitz außerhalb des
Saargebiets haben, auch wenn ſie aus dieſem Gebiet ſtammen. Die Frage, von
welcher Macht ſolche Perſonen zu ſchützen ſind, muß alſo nach ihrer Staats—
angehörigkeit entſchieden werden. Dieſem Grundſatze entſprechend nimmt die Deutſche
Regierung den Schutz der aus dem Saargebiet ſtammenden und im Ausland an—
teen Perſonen inſoweit für ſich in Anſpruch, als ſie die deutſche Reichsangehörigkeit
eſitzen.
Dieſer Standpunkt der Deutſchen Regierung entſpricht übrigens völlig dem der
Regierungskommiſſion, wie er in der erwähnten 8 vom 7. Juli d. J. und
außerdem in einem an den Herrn Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets
erichteten Schreiben der Regierungskommiſſion vom 15. November d. J. zum Aus—
ruck gekommen iſt. In dieſem Schreiben hat die Regierungskommiſſion ſelbſt erklärt,
daß es ihr nicht zuſtehe, bei einer fremden Regierung Reklamationen von ſolchen
deutſchen Staatsangehörigen zu vertreten, die nicht oder nicht mehr im Saargebiet
anſäſſig ſind.
7
.
Hiernach ſteht das erwähnte Schreiben der Franzöſiſchen Regierung weder mit
den Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles noch mit dem Standpunkte der
Regierungskommiſſion in Einklang. Mit Rückſicht hierauf bitte ich die Regierungs⸗
kommiſſion, die erforderliche Berichtigung dieſes Schreibens herbeiführen zu wollen.
Im übrigen nehme ich Bezug auf mein Schreiben vom 23. Auguſt d. J., worin
ich der Regierungskommiſſion mitgeteilt habe, daß die Deutſche Regierung eine Ver
tretung der Intereſſen der Bewohner des Saargebiets in Deutſchland durch Frank—
reich nicht anerkennen kann, weil das Saargebiet dem übrigen Deutſchland gegenüber
nicht Ausland iſt.
Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
gez. von Haniel.
An
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
| Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
(Die Note iſt nicht beantwortet worden.)
Nr. 53.
Note der deutſchen Regierung an die franzöſiſche Botſchaft in Berlin
vom 31. Dezember 1920.
Auswärtiges Amt. Berlin, den 31. Dezember 1920.
Nr. II S. G. 1554.
Herr Botſchafter!
Mit Note vom 25. September d. J. — Nr. 305 — haben Euer Exzellenz
mitgeteilt, daß gemäß einem Beſchluß der Regierungskommiſſion für das Saargebiet
die Wahrnehmung der ſaarländiſchen Intereſſen im Ausland der Franzöſiſchen
Regierung übertragen worden ſei.
Ich beehre mich, Ihnen daraufhin anbei die Abſchrift eines an die Regierungs—
kommiſſion für das Saargebiet gerichteten Schreibens zugehen zu laſſen, zu dem mir
die Note Eurer Exzellenz Veranlaſſung gegeben hat. Eine Abſchrift des am Schluſſe
dieſes Schreibens erwähnten früheren Schreibens vom 23. Auguſt d. J., das durch
die Note des Herrn Geſchäftsträgers der Franzöſiſchen Republik vom 9. Auguſt,
Nr. 258, veranlaßt worden war, liegt gleichfalls bei!).
Genehmigen Sie, Herr Botſchafter, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten
Hochachtung.
gez. von Haniel.
Seiner Exzellenz
dem franzöſiſchen Botſchafter
Herrn Laurent.
) Der Note find Abſchriften der unter Nr. 52 und 49 wiedergegebenen Noten beigefügt worden.
Br
Be 4 Nr. 54.
Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung
vom 7. März 1921.
8 zn un . Paris, den 7. März 1921.
Herr Miniſterpräſident!
. In der chineſiſchen Preſſe findet ſich eine Nachricht“), wonach der Herr Geſandte
der Franzöſiſchen Republik die Chineſiſche Regierung in einer amtlichen Note aufge—
fordert habe, anzuerkennen, daß die aus dem Saargebiet ſtammenden Perſonen, die
in China wohnen, unter den Schutz des Geſandten und der Konſuln Frankreichs ge—
ſtellt worden ſeien, da die Einwohner des Saargebiets die franzöſiſche Staatsange—
hörigkeit erworben hätten.
Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich, Euere Exzellenz zu bitten, mir
eine Mitteilung darüber zukommen laſſen zu wollen, ob dieſe Nachricht zutrifft. Die
Deutſche Regierung glaubt annehmen zu ſollen, daß dies nicht der Fall iſt, da die
Nachricht mit den Beſtimmungen der SS 21 und 27 der Anlage zu Artikel 45 bis 50
des Vertrages von Verſailles in Widerſpruch ſtehen würde. i
In § 27 der erwähnten Anlage iſt beſtimmt, daß die gegenwärtige Staats—
angehörigkeit der Bewohner des Saargebiets nicht berührt wird, und in $ 21 der:
ſelben Anlage iſt nur von Bewohnern des Saargebiets, nicht aber von Perſonen die
Rede, die aus dem Saargebiet ſtammen und im Ausland wohnen. Allerdings hat
die Franzöſiſche Regierung der Regierungskommiſſion des Saargebiets in einem
Schreiben vom 23. Auguſt 1920 mitgeteilt, daß ſie gern bereit ſei, den im Ausland
anſäſſigen Saarländern (aux ressortissants sarrois residant a l'étranger) den
Schutz ihrer diplomatiſchen und konſulariſchen Agenten angedeihen zu laſſen. Jedoch
beruht dieſe Mitteilung offenbar auf einem Mißverſtändnis, da ſie ſowohl mit dem
Wortlaut des erwähnten § 21 wie mit der Verordnung der Regierungskommiſſion
des Saargebiets vom 7. Juli 1920 in Widerſpruch ſteht. Die Deutſche Regierung
hat dies in einem Schreiben an die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom
31. Dezember 19202), von dem auch der Herr Botſchafter der Franzöſiſchen Republik
in Berlin Kenntnis erhalten hat, näher ausgeführt; eine Abſchrift dieſes Schreibens
beehre ich mich hier beizufügen.
Indem ich mir erlaube, auf die Ausführungen dieſes Schreibens Bezug zu
nehmen, beehre ich mich, auftragsgemäß erneut zu erklären, daß die Deutſche Regie—
rung den Schutz der im Ausland anſäſſigen, aus dem Saargebiet ſtammenden Per—
ſonen inſoweit für ſich in Anſpruch nimmt, als dieſe Perſonen die deutſche Reichs—
angehörigkeit beſitzen. Sollte daher der Herr Geſandte der Franzöſiſchen Republik
der Chineſiſchen Regierung tatſächlich mitgeteilt haben, daß die in China wohnenden,
8 ) Die Nachricht iſt in chineſiſchen Zeitungen vom 10. Dezember 1920 enthalten und hat folgenden
ortlaut:
»Aus dem diplomatiſchen Korps kommt folgende Nachricht:
Der franzoͤſiſche Geſandte Bopp hat in einer offiziellen Note an das Waichiaopu
(Miniſterium des Außern) verlangt, China ſolle die im § 21 einer Anlage zum Friedensver—
trag enthaltene Anerkennung der Tatſache, daß die Staatsangehoͤrigkeit der Einwohner des
Saarbeckens in die franzoͤſiſche umgewandelt ift, ausführen. In Zukunft ſeien alle Einwohner
dieſes Gebiets, die in China wohnen, unter den Schutz des Geſandten und der Konſuln
Frankreichs geſtellt.
Da wir den Friedensvertrag mit Deutſchland nicht unterzeichnet haben, können wir
—ſelbſtverſtändlich dies nicht anerkennen.
) Vgl. Nr. 52.
—
aus dem Saargebiet ſtammenden Perſonen unter den Schutz des Geſandten und der
Konſuln Frankreichs getreten ſeien, fo beehre ich mich, Euere Exzellenz zu bitten, ver-
anlaſſen zu wollen, daß die Franzöſiſche Regierung ihren Geſandten über das vor-
liegende Mißverſtändnis aufklärt.
Genehmigen Sie, Herr Miniſterpräſident, den Ausdruck meiner ausgezeichnetſten
Hochachtung.
gez. Dr. Mayer.
Seiner Exzellenz dem Miniſterpräſidenten
und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten,
Herrn Briand,
Paris.
(Die Note iſt nicht beantwortet worden.)
Nr. 55.
Verordnung der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die
„Eigenſchaft als Saareinwohner“).
A.
Entwurf einer Verordnung betr. die
Eigenſchaft als Saarbewohner.
sl.
Alle Bewohner des Saargebiets — ohne
Rückſicht auf ihre Staatsangehörigkeit —
die übrigens in keiner Weiſe beeinträchtigt
wird, haben die gleichen Rechte. Ihre
urſprüngliche Nationalität ſoll unter keinen
Umſtänden einen Ausſchließungsgrund bilden.
82.
Als Saarbewohner werden von Rechts
wegen ohne Unterſchied der Nationalität
noch des Geſchlechts angeſehen: alle Perſonen,
die ihren rechtmäßigen Wohnſitz am 11. No⸗
vember 1918 (Waffenſtillſtand) im Saar⸗
gebiet hatten, oder die im Saargebiet geboren
ſind von Eltern, die zur Zeit der Geburt
ihren rechtmäßigen Wohnſitz daſelbſt hatten.
Endlich ſolche, die von einem Vater (oder
wenn es ſich um uneheliche Kinder handelt,
von einer Mutter) abſtammen, der (oder
b
Verordnung betr. die Eigenſchaft als Saar⸗
einwohner. ni
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saar⸗
gebiets Nr. 9 vom 25. Juni 1921, Nr 530.)
Auf Grund der Artikel 19, 21, 23, 27,
28, 29 und 33 des Anhangs zu Abſchnitt IV,
Teil 3 des Friedensvertrags von Verſailles,
gemäß Beſchluß der Regierungskommiſſion
in der Sitzung vom 15. Juni 1921, wird
verordnet was folgt:
Artikel 1.
Alle Saareinwohner genießen im Saar⸗
gebiet die gleichen Rechte ohne Rückſicht auf
ihre Staatsangehörigkeit. Ihre Staats—
angehörigkeit bleibt unberührt.
Artikel 2.
Die Eigenſchaft als Saareinwohner kommt
von Rechts wegen folgenden Perſonen zu,
ohne Rückſicht auf ihre Staatsangehörigkeit
und ihr Geſchlecht, vorausgeſetzt, daß ſie
einen mindeſtens ſechsmonatlichen Aufenthalt
im Saargebiet nachweiſen können: 5
1. Wer im Saargebiet geboren iſt und
deſſen Vater (bei unehelicher Geburt
deſſen Mutter) zur Zeit dieſer Geburt
ſein (ihr) geſetzliches Domizil im Saar⸗
gebiet hatte.
) Den Kreis- und Bezirkstagen des Saargebiets und der Stadtverordnetenverſammlung Saarbrüden
iſt die Verordnung in dem unter a wiedergebenen Entwurf, nicht in der unter b erſichtlichen Faſſung vor »
gelegt worden.
die) im Saargebiet geboren wurde und 10
gehn) Jahre daſelbſt gewohnt hat. Solche
Perſonen müſſen ohnedies noch den Nachweis
erbringen, daß ſie mindeſtens 6 Monate
im Saargebiet wohnhaft waren.
Die unter $ 2 in Frage kommenden
Perſonen werden ihre Eigenſchaft als Saar—
bewohner durch Eintragung in die Wähler—
liſten beſtätigen, die gemäß Verordnung vom
29. April 1920 aufgeſtellt wurden. Weſſen
Eintragung in die Wählerliſte noch nicht
erfolgt iſt, kann durch Erfüllung der Vor-
ſchriften des § 4 vorſtehender Verordnung
ſeine Eigenſchaft als Saarbewohner ſich
beſtätigen laſſen.
5 383. |
Wer mindeſtens drei Jahre lang feinen
Wohnſitz im Saargebiet hat und während
dieſer Zeit Steuerzahler (direkte Steuern)
war, erwirbt ohne Unterſchied der Staats—
angehörigkeit oder des Geſchlechtes die Eigen—
ſchaft eines Saarbewohners.
Der oben vorgeſehene Zeitraum von drei
Jahren wird auf ſechs Monate herabgeſetzt
für diejenigen Perſonen, die auf Grund
eines Kontraktes oder einer Ernennungs—
urkunde den Beweis erbringen, daß ſie ein
Amt bekleiden oder einer Beſchäftigung nach—
gehen, die den Aufenthalt im Saargebiet
bedingt.
— 91
2. Weſſen Vater (bei unehelicher Geburt
weſſen Mutter) im Saargebiet ge—
boren iſt und vor der Geburt des
Betreffenden mindeſtens zehn Jahre
lang in dieſem Gebiet ſein (ihr) ge—
ſetzliches Domizil gehabt hat.
3. Wer am 11. Dezember 1918 ſein
geſetzliches Domizil im Saargebiet
hatte. i
Bewieſen wird zugunſten der Oben—
genannten die Eigenſchaft als Saarein—
wohner durch die Tatſache ihrer Eintragung
in die auf Grund der Verordnung vom
29. April 1920 aufgeſtellten Wählerliſten.
Außerdem ſteht in den Fällen, in welchen
dieſe Eintragung nicht ſtattgefunden hat,
den Beteiligten, zwecks Feſtſtellung ihrer
Eigenſchaft als Saareinwohner, der Weg
des vom nachſtehenden Artikel 4 vor
geſehenen Verfahren offen.
Artikel 3.
Erworben wird die Eigenſchaft als Saar—
einwohner:
1. Durch jeden ohne Rückſicht auf ſeine
Staatsangehörigkeit und fein Ge—
ſchlecht, der mindeſtens drei Jahre
lang fein geſetzliches Domizil im Saar—
gebiet gehabt hat und während dieſes
Zeitraums zu den direkten Steuern
veranlagt geweſen iſt.
Dieſer Zeitraum von drei Jahren
ermäßigt ſich auf ein Jahr zugunſten
derjenigen Perſonen, welche auf Grund
einer Ernennungsurkunde im Saar-
gebiet ein öffentliches Amt bekleiden.
Die gleiche Ermäßigung tritt zu—
gunſten derjenigen Perſonen ein,
welche durch die Vorlage eines An-
ſtellungsvertrages den Nachweis er-
bringen, daß ſie eine Stellung inne—
haben, die erfordert, daß fie ihre Haupt-
niederlaſſung im Saargebiet haben.
Den im vorhergehenden Abſatz be—
zeichneten Perſonen kann jedoch
während des nächſtfolgenden Zeit—
raumes von zwei Jahren die Eigen—
ſchaft als Saareinwohner von dem
mit der Verwaltung des Innern be—
trauten Mitglied der Regierungs-
kommiſſion durch eine mit Gründen
verſehene Verfügung wieder entzogen
werden, wenn ein wichtiger Grund
8 4.
92
Die Geſuche zur Erlangung der Eigen—
ſchaft als Saarbewohner werden mit den
notwendigen Belegen bei dem Landratsamt
eingereicht, wo eine Empfangsbeſcheinigung
hierüber ausgeſtellt wird. Der Landrat
muß innerhalb der nächſten 14 Tage, die
auf die Antragſtellung erfolgen, eine Ent
ſcheidung treffen, deren Ergebnis er binnen
8 Tagen dem Antragſteller und der Ne
gierungskommiſſion mitteilt.
hierzu vorliegt; insbeſondere wenn
ermittelt wird, daß der Betreffende
außerhalb des Saargebiets eine Strafe
wegen Verbrechens oder eine erhebliche
Strafe wegen Vergehens erlitten hat,
oder daß eine auswärtige Juſtizbehörde
wegen Verbrechens oder Vergehens
nach ihm fahndet.
Die Verfügung iſt mittels einge⸗
ſchriebenen Briefs mit Rückſchein dem
Betroffenen mitzuteilen, welcher ſie
binnen einer Friſt von zehn Tagen
vor dem Oberverwaltungsgericht an
fechten kann. Dieſes entſcheidet in
letzter Inſtanz. Die Beſchwerde hat
keine aufſchiebende Wirkung.
Der nach Ziffer 1 erfolgende Erwerb
und Verluſt der Eigenſchaft als Saar⸗
einwohner zieht von Rechts wegen
den Erwerb oder Verluſt der gleichen
Eigenſchaft für die Ehefrau und die
minderjährigen Kinder des Betreffen⸗
den nach ſich.
Eine Frau erwirbt durch ihre Heirat
mit einem Saareinwohner die gleiche
Eigenſchaft,
Ein Kind, deſſen Vater oder deſſen
Mutter zur Zeit der Geburt die Eigen⸗
ſchaft als Saareinwohner beſitzt, iſt
ebenfalls Saareinwohner.
Wer ſein geſetzliches Domizil im Saar⸗
gebiet hat, erwirbt die Eigenſchaft als
Saareinwohner durch die Heirat mit
einer Frau, welche dieſe Eigenſchaft
beſitzt.
Artikel 4.
Die Geſuche um Erwerb der Eigenſchaft
als Saareinwohner ſind unter Beifügung
der erforderlichen Beweisurkunden beim
Landratsamt einzureichen, das dem Geſuch—
ſteller den Empfang zu beſtätigen hat.
Der Landrat hat binnen fünfzehn Tagen
nach dieſer Empfangsbeſtätigung über das
Geſuch zu entſcheiden und dieſe Entſcheidung
binnen weiteren acht Tagen dem mit der
Verwaltung des Innern betrauten Mitglied
der Regierungskommiſſion mitzuteilen ſo—
wie mittels eingeſchriebenen Briefs mit Rück—
ſchein dem Antragſteller.
Innerhalb 3 Wochen kann durch den
Antragſteller oder im Intereſſe des Geſetzes
ſeitens des Mitgliedes der Regierungs-
kommiſſion, das mit der Wahrnehmung
der Angelegenheiten des Innern betraut iſt,
gegen dieſe Entſcheidung bei dem Verwal—
tungsausſchuß Einſpruch erhoben werden.
Das Urteil des Verwaltungsausſchuſſes kann
dem Oberverwaltungsgericht, wie es durch
$2 der Verordnung vom 21. Juli 1920 vor⸗
geſehen iſt, zur Entſcheidung unterbreitet
werden.
85.
Jeder Saarbewohner, der ſeinen recht—
mäßigen Wohnſitz außerhalb des Saargebiets
verlegt, verliert nach einem Jahre die Eigen—
ſchaft als Saarbewohner.
8 6. i
Wer innerhalb des Saargebietes ſich
aufhält und die Eigenſchaft eines Saar⸗
bewohners gemäß vorliegender Verordnung
nicht beſitzt, wird nach den geltenden Ge—
ſetzen und Beſtimmungen im Saargebiet
als Ausländer betrachtet.
8 7.
Alle geſetzlichen Beſtimmungen, die im
Saargebiet gelten, werden, ſoweit ſie mit
vorſtehender Verordnung im Widerſpruch
ſtehen, außer Kraft geſetzt.
88.
Vorſtehende Verordnung tritt am Tage
der Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft.
93
We
Und 20 27
— — 2
Binnen einer Friſt von en nach 1
Empfang dieſer Mitteilung kö de
Teile gegen die Entſcheidung Einſpru m
Verwaltungsausſchuß einlegen.
Das Verfahren regelt ſich nach der Ver— 5
ordnung Nr. 396 vom 9. März 1921.
Die Entſcheidung des Verwaltungsaus—
ſchuſſes kann von beiden Teilen in den
Friſten und Formen der Verordnung vom
28. Juli 1920, Teil 2 Artikel 15 ff., vor
dem Oberverwaltungsgericht angefochten
werden.
Artikel 5.
Der Verluſt der Eigenſchaft als Saar—
einwohner tritt ein:
1. für denjenigen, der ſeinen Aufenthalt
außerhalb des Saargebiets verlegt,
nach Ablauf eines Jahres vorbehalt—
lich der im Artikel 2 enthaltenen Be-
ſtimmungen. |
2. für eine Frau durch die Verheiratung
mit einem Mann, der die Eigenſchaft
als Saareinwohner nicht beſitzt.
Artikel 6.
Wer ſich im Saargebiet aufhält, ohne
die Eigenſchaft als Saareinwohner im Sinne
dieſer Verordnung zu beſitzen, gilt im Sinne
der beſtehenden Geſetze und Verordnungen
im Saargebiet als Fremder.
In Zukunft darf ein Saareinwohner
nicht aus dem Saargebiet ausgewieſen
werden.
Artikel 7.
Alle bisher im Saargebiet geltenden
Geſetze oder rechtlichen Beſtimmungen treten,
ſoweit fie mit dieſer Verordnung in Wider-
ſpruch ſtehen, außer Kraft.
Artikel 8.
Dieſe Verordnung tritt am Tage ihrer
Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft.
Saarbrücken, den 15. Juni 1921.
Im Namen der Regierungskommiſſion
Der Präſident
gez. V. Rault, Staatsrat.
NO
Nr. 56.
Denkſchrift der Regierungskommiſſion des Saargebiets zur Begründung
der Verordnung, betreffend die „Eigenſchaft als Saarbewohner“.
Im Friedensvertrag (Abſchnitt 4 Teil 3 über das Saarbecken) iſt fortgeſetzt die
Rede von »Saarbewohnern«. Nirgends jedoch iſt genau geſagt, wer als ſolcher zu
gelten hat. Es iſt unbedingt notwendig, daß dieſer Punkt des Friedensvertrags durch
Maßnahmen mit geſetzlicher Wirkung näher beſtimmt werde. Mit anderen Worten,
dem Begriff, der durch den Friedensvertrag ins Leben gerufen wurde, muß eine
juriſtiſche Faſſung gegeben werden.
Es gibt keine ſaarländiſche Staatsangehörigkeit. $ 27 der Anlage zum oben⸗
erwähnten Abſchnitt des Friedensvertrags beſagt ausdrücklich, »daß die derzeitige
Staatsangehörigkeit der Saarbewohner in keiner Weiſe durch den Friedensvertrag
eine Beeinträchtigung erfährt«. Es bleibt aber andererſeits unbeſtritten, daß der Begriff
»Saarbewohner« ein Rechtsſubjekt neuer Art iſt, mit deſſen Eigenſchaften Sonderrechte
verknüpft ſind und dem eine Sonderſtellung zukommt.
Faſt ſo ziemlich alle Paragraphen des Kap. 2 der Anlage räumen den Saar⸗
bewohnern ein Sonderrecht ein. Letztere können verſchiedene Nationalitäten beſitzen.
§ 27 ſagt ausdrücklich, »daß denjenigen Saarbewohnern, die eine andere Staats—
angehörigkeit erwerben möchten, in keiner Weiſe Schwierigkeiten erwachſen dürfen «.
Indeſſen würde ihnen ein Hindernis in den Weg gelegt, wenn ſie durch einen Wechſel
der Staatsangehörigkeit, bei dem ſie die Eigenſchaft von Saarbewohnern verlieren,
auch gleichzeitig ihre politiſchen Rechte einbüßten. Es iſt ſomit klar, daß die Eigen⸗
ſchaft als Saarbewohner mit der jeweiligen Staatsangehörigkeit nichts zu tun hat.
Nach dieſer grundſätzlichen Feſtſtellung wirft ſich die Frage auf, welchen Per⸗
ſonen die Eigenſchaft von Saarbewohnern zukommen ſoll? Dieſe Eigenſchaft können
diejenigen nicht erwerben, die ſich nur vorübergehend im Saargebiet aufhalten.
Es iſt demnach Sache der Regierungskommiſſion, der gemäß § 33 des Friedens⸗
vertrags die authentiſche Auslegung zukommt, dies feſtzulegen. Dieſer Pflicht iſt ſie
in der beiliegenden Verordnung nachgekommen. Es handelte ſich dabei um die Aus⸗
legung ſolcher Stellen des Friedensvertrages, bei denen die gewählten Vertreter der
Bevölkerung nicht zu Rate gezogen werden brauchten.
Die Regierungskommiſſion hat die von ihr in der Wahlordnung vom 29. April
1920 niedergelegten Richtlinien zur Geltung gebracht und ſie teilweiſe vervollſtändigt.
Ihr Beſchluß geht dahin, daß im allgemeinen alle Perſonen, die bezüglich des Auf⸗
enthaltsortes den gegebenen Bedingungen genügen, als Saarbewohner zu betrachten
ſind. Es ſchien ihr notwendig, aber auch ausreichend, im allgemeinen einen Auf⸗
enthaltsnachweis von drei Jahren zu verlangen. Dieſer Nachweis wird durch die
erfolgte Leiſtung von direkten Steuern beftätigt.
Anderſeits erwies es ſich aber auch als notwendig, von dieſem Grundſatz ge
gebenenfalls abzuweichen. So erſchien es z. B. überflüſſig, Beamten, Kaufleuten und
Induſtriellen, deren Berufspflichten oder Geſchäftsintereſſen ihren Hauptwohnſitz im
Saargebiet erheiſchen, einen Aufenthalt von drei Jahren zur Bedingung zu ſtellen.
Für ſolche erwies ſich ein Aufenthalt von ſechs Monaten als ausreichend.
Die Eigenſchaft als Saarbewohner iſt bedingt durch den Wohnſitz im Saar⸗
gebiet. Wer ſeinen Wohnſitz außerhalb des Saargebietes verlegt, iſt kein Saarbewohner
mehr. Da der Saarbewohner tatſächlich die Nationalität feines Herkunftlandes bei-
behält, iſt es ausgeſchloſſen, daß er mit dem Saargebiet noch durch irgendwelches
Band verbunden iſt, wenn er einmal aufgehört hat, dortſelbſt zu wohnen.
Außer den Saarbewohnern können ſich im Saargebiet auch Perſonen aufhalten,
die keinen Anſpruch haben, als Saarbewohner angeſehen zu werden. Es ſind dies
die nicht ſeßhaft gewordenen Elemente, Durchgangsreiſende und Leute, die weniger
a
als drei Jahre im Saargebiet anſäſſig ſind. Dieſe werden ohne Unterſchied der
Nationalität als Ausländer betrachtet und unterliegen den Geſetzen und Vorſchriften
der Fremdenpolizei.
Es kommt weniger darauf an, feſtzuſtellen, wer W Saarbewohner iſt, als
vielmehr darauf, allen Bewohnern des Saargebietes die gleichen Rechte zu ſichern.
Bei dem Stand der derzeitigen Geſetzgebung würden jedoch gewiſſe Bewohner im Ver—
gleich zu anderen bedeutende Vorteile genießen. Es erwies ſich demnach als eine Not—
wendigkeit, die Beſtimmung zu treffen, daß künftighin auf keinen Fall mehr bei den
Saarbewohnern ein Nationalunterſchied gemacht werden dürfe, einerlei, welche ihre
Staatsangehörigkeit ſei. Auf Grund dieſer Erwägung mußte die einer ſolchen Auf—
faſſung widerſtrebende Geſetzgebung eine Anderung erfahren.
Nur ſo konnte die Gleichheit der Rechte aller Saarbewohner gewährleiſtet werden.
Junfolgedeſſen ift eine Abänderung der beſtehenden Geſetze und Vorſchriften nicht zu
umgehen.
Nichts entſpricht mehr dem Weſen des Völkerbundes, wie die Herbeiführung der
abſoluten Gleichheit aller Saarbewohner, mögen ſie den verſchiedenſten Nationalitäten
angehören, und dieſes hohe Ziel unter der Autorität und dem Schutze der Regierungs—
kommiſſion zu erreichen. Auf Grund des $ 23 der Anlage des Friedensvertrages,
Abſchnitt Saar, werden die von der Bevölkerung gewählten Vertreter ihre Anſichten
über vorliegende Verordnung inſoweit abzugeben haben, als dadurch beſtehende Ge—
ſetze und Vorſchriften eine Anderung erfahren.
Nr. 57.
Beſchluß des Kreistages Saarbrücken⸗Land über den Entwurf der
Verordnung, betreffend die Faſſung des Begriffs „Saarbewohner“,
vom 30. April 1921.
»In der Erkenntnis, daß die Verordnung der Regierungskommiſſion des Saar—
. über die Faſſung des Begriffs Saarbewohner eine Verletzung der Rechte der
eutſchen Saarbevölkerung in bezug auf ihre ſtaatsrechtliche Zugehörigkeit beziehungs—
weiſe zu den Einzelſtaaten des Deutſchen Reiches bedeutet, und eine Aufhebung be—
ziehungsweiſe Einſchränkung weitgehender geltender geſetzlicher Beſtimmungen des
Deutſchen Reiches und ſeiner Einzelſtaaten für die deutſche Saarbevölkerung nach ſich
ziehen wird, und daß demnach die Beſtimmungen der Verordnung dem Wortlaute
und dem Geiſte des Friedensvertrages von Verſailles, der der Saarregierung nur die
Stellung eines Treuhänders gibt, widerſprechen, lehnt der Kreistag die Verordnung,
betreffend Faſſung des Begriffs Saarbewohner, ab.«
(Vorſtehender Beſchluß iſt einſtimmig gefaßt worden; ähnliche Beſchlüſſe haben
auch alle anderen Kreis⸗ und Bezirkstage und die Stadtverordnetenverſammlung
Saarbrücken gefaßt).
Nr. 58.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saar:
8 gebiets vom 23. Auguſt 1921.
Ant. Berlin, den 23. Auguſt 1921.
Nr. II S. G. 1652.
Herr Präſident!
Die Regierungskommiſſion des Saargebiets hat in ihrem Amtsblatt Nr. 9
— . Juni d. J. eine Verordnung über die »Eigenſchaft als Saareinwohner«
exlaſſen.
Nach ſorgfältiger Prüfung iſt die Deutſche Regierung zu der Überzeugung gelangt,
daß dieſe Verordnung mit dem Vertrag von Verſailles nicht vereinbar iſt.
3
Die Regierungskommiſſion hat in einer Denkſchrift die Verordnung als Aus—
führungsbeſtimmungen zu den Vorſchriften des Vertrags von Verſailles gekennzeichnet.
Hierfür iſt indes nach Anſicht der deutſchen Regierung kein Raum. Wenn der
Verſailler Vertrag, der übrigens den Ausdruck »Saareinwohner« an keiner Stelle
verwendet, von den Einwohnern oder von der Bevölkerung des Saarbeckengebiets
ſpricht, ſo iſt klar, daß er damit die Perſonen meint, die im Saargebiet wohnen.
Dies erkennt auch die Regierungskommiſſion ſelbſt an, denn in ihrer Denkſchrift
heißt es: »Die Eigenſchaft als Saarbewohner iſt bedingt durch den Wohnſitz im
Saargebiet; wer feinen Wohnſitz außerhalb des Saargebiets verlegt, iſt kein Saar-
bewohner mehr«. Nach dieſer durchaus zutreffenden Bemerkung bedarf es keiner
Beſtimmung des Begriffs »Saareinwohner«.
In derſelben Denkſchrift erklärt die Regierungskommiſſion in ebenfalls durchaus
zutreffender Weiſe: »Es gibt keine ſaarländiſche Staatsangehörigkeit«. Indes find
die Merkmale, die in der Verordnung für den Begriff »Saareinwohner« aufgeſtellt
werden, im weſentlichen dieſelben wie die, die für den Begriff der Staatsangehörigkeit
gelten. Neben dem Wohnſitz werden nämlich noch andere Bedingungen gefordert,
beſtehend teils in einer beſtimmten, verſchieden abgeſtuften Dauer des Wohnſitzes,
teils in der Abſtammung von einer beſtimmten Perſonenklaſſe. Weiter ſoll die
»Eigenſchaft als Saareinwohner« auch durch Verheiratung mit einem »Saar⸗
einwohner« erworben werden und umgekehrt durch Verheiratung mit einem »Nicht⸗
Saareinwohner« verloren gehen. Endlich ſoll der Verluſt dieſer Eigenſchaft nicht
ſchon mit der Aufgabe des Wohnſitzes im Saargebiet, ſondern erſt ein Jahr darauf
eintreten. Es iſt klar, daß ein in dieſer Weiſe abgegrenzter Begriff »Saareinwohner«
ſich von der dem Worte »Einwohner« entſprechenden Bedeutung weit entfernt. Die
einzige vertragliche Grundlage dieſes Begriffs, der Wohnſitz, wird mit Elementen,
die einem anderen, ihm weſensfremden Rechtsinſtitut, der Staatsangehörigkeit, ent⸗
nommen ſind, zu einem neuen Rechtsbegriff unter der Bezeichnung »Saareinwohner«
verſchmolzen. Dieſer Begriff könnte zutreffender mit den Worten »ſaarländiſcher
Staatsangehöriger« als mit dem Worte »Saareinwohner« bezeichnet werden.
Im $ 1 der Verordnung heißt es ſchließlich, daß die Staatsangehörigkeit der
Bewohner des Saargebiets unberührt bleiben ſoll. Tatſächlich aber greift die Ver⸗
ordnung tief in die beſtehenden Staatsangehörigkeitsverhältniſſe ein. Denn die Ver⸗
ordnung weiſt — und dies iſt, wie in der Denkſchrift beſonders betont wird,
gerade ihr Hauptzweck — dem unter dem Sammelbegriff »Saareinwohner« zu⸗
ſammengefaßten Perſonenkreiſe auch eine beſondere Rechtsſtellung zu: alle »Saar⸗
einwohner« ſollen gleiche Rechte haben, und wer nicht »Saareinwohner« iſt, ſoll
als Fremder behandelt werden.
Mit dieſem Inhalt ſteht die Verordnung der Regierungskommiſſion im Wider⸗
ſpruch zu dem Vertrag von Verſailles. Nach ausdrücklicher Beſtimmung des § 27
der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags ſoll die gegenwärtige Staats—
angehörigkeit der Bewohner des Saarbeckengebiets in keiner Weiſe berührt werden.
Hiernach ſoll im Saargebiet in bezug auf die Staatsangehörigkeitsverhältniſſe die—
jenige Rechtslage aufrecht erhalten werden, die bei Inkrafttreten des Vertrags beſtand.
Dieſe Rechtslage war aber unbeſtreitbar die, daß »Inländer« ausſchließlich die deutſchen
Staatsangehörigen waren, denen als »Ausländer« alle Perſonen nichtdeutſcher Staats—
angehörigkeit gegenüberſtanden. Dieſen Unterſchied, den der Vertrag beizubehalten
vorſchreibt, will die Regierungskommiſſion beſeitigen und an feine Stelle den Gegen-
ſatz von »Saareinwohnern« zu „Nicht-Saareinwohnern« ſetzen. Während ferner der
Vertrag von Verſailles die Staatsangehörigkeit und damit auch die ihren Inhalt
bildenden Rechte ausdrücklich aufrechterhält, ſollen nach der Verordnung der Re—
gierungskommiſſion die öffentlichen Rechte nicht mehr einen Ausfluß der inländiſchen
Staatsangehörigkeit bilden, ſondern auf den unter der Bezeichnung »Saareinwohner«
zuſammengefaßten Perſonenkreis übertragen werden. Damit wird die gegenwärtige
Staatsangehörigkeit der Bewohner des Saarbeckens durch Entziehung weſentlicher
5
Beſtandteile ihres Inhalts ausgehöhlt und faſt zur Bedeutungsloſigkeit herabgedrückt,
während ſie nach dem Vertrag in vollem Umfang aufrechterhalten werden ſoll.
Die Regierungskommiſſion hat in ihrer Denkſchrift zur Begründung der Ver—
ordnung angeführt, daß nach § 27 Abſ. 2 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des
Vertrags von Verſailles niemand gehindert werden dürfe, eine andere Staatsangehörig—
keit zu erwerben. Sie erklärt, es würde ein Hindernis vorliegen, wenn die Bewohner
des Saargebiets bei einem Wechſel der Staatsangehörigkeit zugleich auch ihre poli-
tiſchen Rechte einbüßen würden; um dieſen Rechtsverluſt zu vermeiden, will die Re—
gierungskommiſſion die politiſchen Rechte von der Staatsangehörigkeit trennen und
mit dem Begriff »Saareinwohner« vereinigen. Dieſe Begründung erſcheint der
deutſchen Regierung nicht zutreffend. Es wird dabei überſehen, daß die erwähnte
Beſtimmung nur negative, nicht aber poſitive Bedeutung hat und lediglich unterſagt,
Bewohnern des Saargebiets den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit durch
beſondere Hinderniſſe zu erſchweren. Vor allem aber wird überſehen, daß nach aus—
drücklicher Vorſchrift des Vertrags jeder Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit
unter allen Umſtänden den Verluſt der alten Staatsangehörigkeit und damit auch
den Verluſt aller aus dieſer Staatsangehörigkeit fließenden Rechte zur Folge haben
muß. Es bedeutet nichts weniger als die Aufhebung dieſer Vertragsbeſtimmung,
wenn die begriffsnotwendigen Folgen eines Wechſels der Staatsangehörigkeit nicht
eintreten ſollen.
Aus all dieſen Gründen muß die Deutſche Regierung nachdrücklich Verwahrung
einlegen gegen dieſen erſten Verſuch, durch Schaffung eines Rechtsinſtituts, das einer
beſonderen ſaarländiſchen Staatsangehörigkeit nahezu gleichkommt und zu einer Aus—
öhlung des ausdrücklich aufrechterhaltenen gegenwärtigen Staatsangehörigkeitsrechtes
er Bewohner des Saargebiets führt, dem Saargebiet die Merkmale eines eigenen
Staatsweſens zu verſchaffen. Dies ſteht in vollem Widerſpruch zu den oberſten
Grundſätzen des Vertrags von Verſailles, nach deſſen klar ausgeſprochenem Willen
das Saargebiet lediglich ein vorübergehend der Regierung des Völkerbundes unter—
ſtellter Teil des deutſchen Reichsgebiets ſein und in dem Recht der Staatsangehörig—
keit ſeiner Bewohner keinerlei Anderung vorgenommen werden ſoll, ſo daß dort
Ausländer keine ſtaatsbürgerlichen Rechte ausüben dürfen. Die Deutſche Regierung
muß die Beſeitigung dieſes vertragswidrigen Zuſtandes und die Aufhebung der Ver—
ordnung der Regierungskommiſſion verlangen.
Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker—
bundes zugehen laſſen.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch
achtung. |
gez. Roſen.
An
die Re gierungskommiſſion des Saargebiets,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
Nr. 59.
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund
vom 23. Auguſt 1921.
Auswärtiges Amt. Berlin, den 23. Auguſt 1921.
Nr. II S. G. 1652.
Herr Generalſekretär!
Die Regierungskommiſſion des Saargebiets hat eine Verordnung über den Begriff
»Saareinwohner« erlaſſen. Dieſe Verordnung iſt nach Anſicht der Deutſchen Re—
gierung mit dem Vertrag von Verſailles nicht vereinbar. Namens der Deutſchen
— 98 —
Regierung habe ich daher in einem Schreiben an die Regierungskommiſſion gegen
dieſe Verordnung Einſpruch erhoben und ihre Aufhebung verlangt. Eine Abſchrift
dieſes Schreibens beehre ich mich Ihnen anbei mit der Bitte zu übermitteln, den Mit⸗
gliedern des Völkerbundes davon Kenntnis zu geben ). 5
Die Deutſche Regierung legt beſonderen Wert darauf, dem Völkerbunde gegen-
über darzulegen, daß nach ihrer Überzeugung die Regierungskommiſſion durch dieſe
Verordnung Maßnahmen ergreift, die den eberſten Grundſätzen der für das Saar—
gebiet aufgeſtellten Rechtsordnung zuwiderlaufen und die Grundlagen des im Vertrag
von Verſailles niedergelegten Syſtems für dieſes Gebiet erſchüttern. Die Deutſche
Regierung legt deshalb auch dem Völkerbunde gegenüber Verwahrung ein gegen dieſe
Anderung des Vertrags von Verſailles durch die Regierungskommiſſion des Saar-
gebiets und bittet ihn, die Kommiſſion zur Aufhebung ihrer Verordnung zu
veranlaſſen.
Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
An
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes,
den Ehrenwerten Sir James Eric Drummond,
K. „‚ MNG 0,.B
gez. Roſen.
Genf.
Nr. 60.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗
bundsrat vom 1. Auguſt 1921.
(Vgl. Druckſachen des Völkerbundes, C. 264. M. 195. 1921. J., S. 5 ff.)
(berſetzung.)
Geſetzgebung im allgemeinen. |
Im Laufe der letzten drei Monate hat die Regierungskommiſſion zwei Verord⸗
nungen erlaſſen und den Vertretern der Bevölkerung einen Verordnungsentwurf vor⸗
gelegt. Dieſe Verordnungen verdienen mit Rückſicht auf ihre Bedeutung hier beſonders
erwähnt zu werden.
a. Beſtimmung des Begriffs der Eigenſchaft eines Bewohners des
Saargebiets.
Über eine dieſer Verordnungen hat der Präſident der Regierungskommiſſion dem
Rat des Völkerbundes in ſeiner Sitzung vom 20. Juni mündlich Mitteilungen gemacht.
Sie hat zum Zweck, die Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets zu defi—
nieren. Ihr Wortlaut iſt dem Generalſekretariat am 15. Juni mitgeteilt worden.
Die Regierungskommiſſion hat dieſe Verordnung einſtimmig beſchloſſen; ſie hat ſich
dabei von folgenden Erwägungen leiten laſſen:
Der Friedensvertrag von Verſailles erwähnt in Abſchnitt IV des Teiles III fort⸗
während die Einwohner des Saargebiets, hat aber nirgends klar beſtimmt, was unter
dieſen Worten zu verſtehen iſt. 8
Einerſeits ſtellt er den Grundſatz auf, daß es keine ſaarländiſche Staatsangehörig⸗
keit gibt. »Die Beſtimmungen des Vertrags«, heißt es ausdrücklich in § 27 der er⸗
wähnten Anlage, »berühren in keiner Weiſe die gegenwärtige Staatsangehörigkeit der
Bewohner«. |
1) Der Note ift eine Abfchrift der unter Nr. 58 wiedergegebenen Note beigefügt worden.
| — 9 —
Andererſeits gewährt der Vertrag den »Bewohnern des Saargebiets« Rechte und
eine beſondere Rechtsſtellung. Er überträgt der Regierungskommiſſion die Aufgabe,
mit den Mitteln, die ihr geeignet erſcheinen, den Auslandsſchutz der Intereſſen der
Bewohner ſicherzuſtellen. Hieraus ergibt ſich, daß die Eigenſchaft eines »Bewohners
des Saargebiets« ein Rechtsſubjekt neuer Art darſtellt.
Die »Bewohner des Saargebiets« können verſchiedene Staatsangehörigkeiten be—
ſitzen. § 27 der Anlage ſagt nämlich, daß »niemand gehindert ſein ſoll, eine andere
Staatsangehörigkeit zu erwerben«. Ein Hindernis würde aber den Bewohnern in den
Weg gelegt werden, wenn ſie bei einem Wechſel der Staatsangehörigkeit, bei dem ſie
die Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets verlieren, auch der politiſchen Rechte
verluſtig gehen würden, die ihnen bisher zuſtanden.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Begriff »Einwohner des Saargebiets« ſich
auf alle Perſonen erſtreckt, die, ohne Unterſchied der Staatsangehörigkeit, in dieſem
Gebiet wohnen. Immerhin erſchien es angezeigt, genaue Regeln dafür aufzuſtellen,
unter welchen Bedingungen und unter Beobachtung welcher Förmlichkeiten jemand zu
der Rechtswohltat der Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets zugelaſſen
werden kann.
Die Regierungskommiſſion hatte in dieſer Beziehung eine Beſtimmung erſtmalig
in ihrer Wahlordnung vom 29. April 1920 getroffen. Indem ſie beſtimmte, welchen
Perſonen, ohne Unterſchied der Staatsangehörigkeit, das Wahlrecht zuſtehen ſollte,
hatte ſie eine erſte Liſte von Einwohnern des Saargebiets aufgeſtellt. Dieſe Wahlordnung
hatte aber nicht allgemeinen Charakter; ſie ſollte lediglich klarſtellen, welches die
Perſonen waren, die in einem beſtimmten Zeitpunkt zur Beteiligung an der Wahl
berechtigt waren. Wenn man ſich an die darin aufgeſtellten Regeln gehalten hätte,
ſo hätten nur die Perſonen, die in die im Monat Mai 1920 angelegten Wahlliſten
eingetragen waren, zu den Bewohnern des Saargebiets gezählt. Niemand hätte in
Zukunft zu der Rechtswohltat der Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets zu—
gelaſſen werden können. In einigen Jahren hätte es dann zwei Teile der Bevölke—
rung in dem Gebiet gegeben: der erſte hätte, ohne Unterſchied der Staatsangehörigkeit,
die Perſonen umfaßt, denen politiſche Rechte zugeſtanden hätten, der zweite hingegen
die Perſonen, die, ebenfalls ohne Unterſchied der Staatsangehörigkeit, für unbeſtimmte
Zeit dieſe Rechte nicht beſeſſen hätten. Dies war ſicher nicht der Wille des Friedens—
vertrags. Der Ausdruck »Bewohner des Saargebiets«, den er dauernd gebraucht,
beweiſt, daß er alle Perſonen, die ihren Wohnſitz im Saarbecken genommen haben,
vollkommen auf gleichen Fuß ſtellen wollte. Die von der Regierungskommiſſion er—
laſſene Verordnung hat nun den Zweck feſtzulegen, wie dieſe Eigenſchaft eines Be—
wohners des Saargebiets feſtgeſtellt und wie ſie erworben werden kann.
Artikel 1 ſtellt zwei Grundſätze auf, deren Berechtigung oben dargetan worden
it: 1. alle Bewohner des Saargebiets einerlei welches ihre Staatsangehörigkeit iſt,
ſollen vor dem Geſetz gleich ſein, 2. ihre Staatsangehörigkeit bleibt unberührt.
Artikel 2 gibt mit gewiſſen unweſentlichen Anderungen die Beſtimmungen der
Wahlordnung vom 29. April 1920 wieder. Alle Perſonen, die die Anwendbarkeit
dieſes Artikels auf ſich geltend machen können, ſind von Rechts wegen Bewohner des
Saargebiets.
Artikel 3 gibt an, unter welchen Bedingungen die Eigenſchaft eines Bewohners
des Saargebiets erworben werden kann. Die Regierungskommiſſion war der Anſicht,
daß eine Wohnſitzdauer von drei Jahren genüge.
In einem Nachbarlande, dem Großherzogtum Luxemburg, iſt die Wohnſitzdauer
fünf Jahre. Ein ſolcher Zeitraum war für das Saargebiet zu lang, da das durch
den Friedensvertrag für das Saargebiet geſchaffene Sonderregime nur für eine Dauer
von 15 Jahren vorgeſehen iſt. Immerhin erſchien es erforderlich, dieſen Grundſatz
mit gewiſſen Ausnahmen zu verſehen. Es iſt unnötig, dieſen dreijährigen Aufenthalt
bei Beamten, Kaufleuten und Induſtriellen zu verlangen, die durch ihre Amtspflichten
oder durch ihre Geſchäftsintereſſen genötigt find, ihre Hauptniederlaſſung im Saar—
gebiet zu haben. Wenn Beamte, Kaufleute und Induſtrielle das Gefühl haben, daß
— 100 —
ſie im Saargebiet nicht als Fremde betrachtet werden, wenn ſie Gelegenheit haben,
ſich unmittelbar am Wirtſchafts- und Rechtsleben des Landes zu beteiligen, ſo kann
man mit Grund hoffen, daß ſie mehr und mehr den Intereſſen dieſes Landes Rech—
nung tragen werden. Um jedoch zu verhüten, daß die ſo erworbene Eigenſchaft eines
Bewohners des Saargebiets nicht gewiſſe unerwünſchte Elemente zu leicht vor gericht—
licher Verfolgung oder vor Auslieferungsverträgen ſchützt, ſind einige vorbeugende Be—
ſtimmungen getroffen worden.
Artikel 4 regelt das Verfahren, das zu beobachten iſt, um die amtliche An—
erkennung der Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets zu erlangen.
Da die Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets an den Wohnſitz in dem
Gebiet gebunden iſt, verliert jeder Bewohner, der ſeinen Wohnſitz an einen Ort außerhalb
des Gebiets verlegt, dieſe Eigenſchaft. Dies iſt der Gegenſtand des Artikels 5. Seine
Beſtimmungen rechtfertigen ſich inſofern, als der Bewohner des Gebiets in allen Fällen
ſeine urſprüngliche Staatsangehörigkeit behält.
Neben den Bewohnern des Gebiets können ſich im Saarbecken auch Perſonen
aufhalten, die keinen Anſpruch auf dieſe Bezeichnung haben, nämlich die nicht anſaſſige
Bevölkerung, Durchgangsreiſende und Perſonen, die im Saarbecken weniger als drei
Jahre lang wohnen. Dieſe Perſonen ſollen, ohne Unterſchied der Staatsangehörig⸗
keit, im Saargebiet als Ausländer b handelt und den Geſetzen und Verordnungen
über die Fremdenpolizei unterworfen werden (Artikel 6).
Artikel 7 hat den Zweck, die Gleichheit der Rechte der Bewohner des Saargebiets
ſicherzuſtellen. Nach dem bisherigen Stande der Geſetzgebung genoſſen die Bewohner
deutſcher Staatsangehörigkeit beträchtliche Vorteile gegenüber Bewohnern, die eine
andere Staatsangehörigkeit beſaßen. Nur ſie konnten zu den Gewerbegerichten, zu den
Berggewerbegerichten, zu den Schöffengerichten und zur Handelskammer gewählt werden,
nur fie konnten Geſchworene fein ufw. Eine bergmänniſche Gewerkſchaft hat beiſpiels⸗
weiſe die Aufmerkſamkeit der Regierungskommiſſion auf die Lage gelenkt, in der ſich
die in den Gruben des Saargebiets arbeitenden und im Saargebiet wohnenden
lothringiſchen Arbeiter befinden. Nachdem fie ſeit dem 11. November 1918 die fran⸗
zöſiſche Staatsangehörigkeit wiedererlangt haben, können ſie nicht mehr Mitglieder
der Berggewerbegerichte ſein. Es ſchien daher angezeigt zu beſtimmen, daß der Ein⸗
wand der Staatsangehörigkeit den Bewohnern des Gebiets nicht mehr entgegen—
gehalten werden könnte, und daß die dieſem Grundſatz entgegenſtehenden, gegenwärtig
geltenden geſetzlichen Beſtimmungen aufgehoben ſeien. Nur unter dieſer Bedingung
kann die Gleichheit der Rechte aller Bewohner des Gebiets hergeſtellt werden. Der
§ 23 der Anlage ſieht übrigens vor, daß die im Saargebiet geltenden Geſetze und
Verordnungen abgeändert werden können, um mit den Beſtimmungen des Vertrags
in Einklang gebracht zu werden. Eine durch den Vertrag ſelbſt gebotene Anderung
von beſonderer Bedeutung beſtand darin, die Gleichheit der Bewohner des Gebiets
vor dem Geſetz ſicherzuſtellen.
Entſprechend den Beſtimmungen des Friedensvertrags iſt der in erſter Leſun
von der Regierungskommiſſion angenommene Verordnungsentwurf den örtlichen Ver⸗
tretungen des Gebiets vorgelegt worden. Sie hat mit Überraſchung und Bedauern
feſtgeſtellt, daß er bei dieſen eine ungünſtige Aufnahme gefunden hat.
Dies liegt daran, daß fie die Abſichten der Regierungskommiſſion mißver ſtanden
haben. Trotzdem die Denkſchrift, die ihnen zugleich mit dem Verordnungsentwurf
zugegangen war, ſehr klare Erläuterungen enthielt, waren ſie der Anſicht, daß der
Verordnungsentwurf den Zweck habe, die Staatsangehörigkeit der deutſchen Bewohner
des Saargebiets zu beeinträchtigen. Um in dieſer Beziehung jede Beunruhigung zu
beſchwichtigen, genügt es daran zu erinnern, daß nach ausdrücklicher Beſtimm ung der
Verordnung dieſe Staatsangehörigkeit unberührt bleibt. Außerdem haben ſich die
örtlichen Vertretungen darüber aufgeregt, daß in Zukunft deutſche Staatsange hö ige,
die nicht die Eigenſchaft von Bewohnern des Saargebiets erlangt haben, in dieſem
als Ausländer betrachtet werden ſollen. Indes iſt dies nur eine notwendige Folge
— 101 —
der Beſtimmungen des Friedensvertrags. Die deutſche Regierung hat dies ſelbſt an—
erkannt. Sie hat in verſchiedenen Geſetzen, namentlich in dem Geſetz über indirekte
Steuern, über die Kapitalflucht und in allen Zollgeſetzen das Saargebiet als Ausland
behandelt. Schließlich haben die örtlichen Vertretungen anſcheinend befürchtet, daß
die Beſtimmungen des Verordnungsentwurfes die Rechte der Perſonen beeinträchtigen,
die zur Teilnahme an der Volksabſtimmung, die im Jahre 1935 das endgültige
Schickſal des Saargebiets regeln ſoll, zugelaſſen find. Indes iſt das Stimmrecht,
was die Volksabſtimmung betrifft, durch § 34 der Anlage des Vertrags feſtgelegt.
Die Regierungskommiſſion hat dieſen Teil der Anlage nicht auszulegen, noch weniger
zu ändern; die Rechte, die hier feſtgelegt ſind, bleiben unberührt. Wohl aber iſt zu
unterſcheiden zwiſchen den zur Teilnahme an der Abſtimmung berechtigten Perſonen,
die gegenwärtig außerhalb des Saargebiets wohnen können, und den Bewohnern
dieſes Gebiets, ſo wie dieſer Begriff vorſtehend beſtimmt worden iſt. Die Anſicht
der ſchlecht unterrichteten örtlichen Vertretungen erſchien daher der Regierungskom—
miſſion nicht hinreichend begründet, um ſie zum Verzicht auf die Veröffentlichung
des Verordnungsentwurfs zu veranlaſſen, den ſie in erſter Leſung angenommen hatte.
Sie legt Wert auf die Feſtſtellung, daß die gewählten Vertreter der Bevölkerung
die neuen Garantien, die dieſe Verordnung den Bewohnern des Saargebiets brachte,
nicht erkannt haben. Nachdem der Begriff der Eigenſchaft eines Bewohners dieſes
Gebiets beſtimmt worden iſt, iſt es, wie der Präſident der Regierungskommiſſion in
Genf dargelegt hat, unmöglich geworden, dieſe Bewohner aus dem Saargebiet aus—
zuweiſen. Alle Perſonen, die nach den Beſtimmungen der Verordnung die Eigenſchaft
als Bewohner erlangt haben, ſind hinfort vor jeder Drohung mit Ausweiſung geſchützt.
Weit entfernt, eine Bedrohung der Rechte der Bewohner des Gebiets zu bilden,
bekräftig die Verordnung vielmehr dieſe Rechte und gibt den Bewohnern eine koſtbare
Garantie.
Die Verordnung hat es ermöglicht, das Les der im Monat Auguſt v. J. aus-
gewieſenen Perſonen, die noch nicht die Erlaubnis zur Rückkehr in das Gebiet erhalten
hatten, zu regeln. Sie gibt außerdem eine Löſung für eine Reihe von Rechts- und
Verwaltungsfragen, die bisher offen waren. Sie ſteht in Einklang mit den Grund—
ſätzen des Völkerbundes, da ſie die vollkommene Gleichheit von Bewohnern mit ver—
ſchiedener Staatsangehörigkeit unter dem Schutz der Regierungskommiſſion verwirklicht.
VIII.
Weltpoſtverein, Welttelegraphenverein, internationales Ab—
kommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr.
Nr. 61.
Note der Schweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche
Regierung vom 12. Oktober 1920.
(Überſetzung.)
Schweizeriſche Geſandtſchaft.
VI J.-BI g/16. Berlin, den 12. Oktober 1920.
Beitritt des Saargebiets zum Weltpoſtverein.
Herr Miniſter!
Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß die
Regierungskommiſſion des Saargebiets mit einer Note vom 9. September d. J. der
Schweizeriſchen Bundesregierung mit der Bitte um Bekanntgabe an die dem Welt-
poſtverein angehörenden Staaten den Beitritt dieſes Gebiets, deſſen Grenzen im
— 102 —
Artikel 48 (Teil III, Abſchnitt IV) des Friedensvertrags von Verſailles beſchrieben
ſind, zu folgenden in Rom am 26. Mai 1906 geſchloſſenen Abkommen angezeigt hat:
10 Weltpoſtvertrag;
b) Übereinkommen, betreffend den Austauſch von Briefen und Käſtchen mit
Wertangabe;
e) Übereinkommen, betreffend den Poſtanweiſungsdienſt;
d) Vertrag, betreffend den Austauſch von Poſtpaketen;
e) Übereinkommen, betreffend den Poſtauftragsdienſt;
f) Übereinkommen, betreffend die Poſtausweiſungsbücher;
g) Übereinkommen, betreffend den Poſtbezug von Zeitungen und Zeitſchriften.
Ich beehre mich, Ihnen dieſe Anzeige zu machen gemäß Artikel 24 des MWelt-
poſtvertrags (Artikel 15 des Übereinkommens, betreffend den Austauſch von Briefen
und Käſtchen mit Wertangabe; Artikel 10 des Abkommens, betreffend den Poſt⸗
anweiſungsdienſt; Artikel 20 des Vertrags, betreffend den Austauſch von Poſt⸗
pafeten; Artikel 18 des Übereinkommens, betreffend den Poſtauftragsdienſt; Artikel 17
des Übereinkommens, betreffend die Poſtausweiſungsbücher; Artikel 12 des Überein-
kommens, betreffend den Poſtbezug von Zeitungen und Zeitſchriften).
Abgeſehen von den Übereinkommen, betreffend den Poſtanweiſungsdienſt, den
Poſtauftragsdienſt und die Poſtausweiſe, bezüglich deren eine weitere Mitteilung
erfolgen wird, iſt dieſer Beitritt vom 1. September 1920 ab rechtswirkſam.
Die Gebühren, die vom Saargebiet gemäß Artikel 10 des Weltpoſtvertrags zu
erheben ſind, ſind wie folgt feſtgeſetzt worden:
auf 80 Pfennig für 25 Centimes,
» 60
N » | »
» 40 » » 10 »
» 20 » „ 3 »
und die Gebühren für Poſtpakete (Artikel 5 des diesbezüglichen Vertrags) auf
1 Mark 60 Pfennig für 50 Centimes und
80 * » 2» 80
Schließlich iſt das Saargebiet für den Beitrag einer Poſtverwaltung zu den
Koſten des internationalen Büros in die im Artikel XXXVIII der Vollzugsordnung
zum Weltpoſtvertrag angegebene ſechſte Klaſſe eingereiht worden.
Genehmigen Sie, Herr Minifter,. die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten
Hochachtung.
Der Schweizeriſche Geſandte in Deutſchland
gez. A. von Planta.
Seiner Exzellenz Herrn Simons,
Reichsminiſter des Auswärtigen,
Berlin.
Nr. 62.
Note der deutſchen Regierung an die Schweizerijche Geſandtſchaft in
Berlin vom 28. Dezember 1920.
e . Cut, Berlin, den 28. Dezember 1920.
Nr. II S. G. 2154 Ang. . 8
Herr Geſandter!
Mit Schreiben vom 12. Oktober d. J. — VI/J. — B. 1/16 — hatten Sie die
Güte, mir im Auftrage Ihrer Regierung mitzuteilen, daß die Megierungskommiſſion
für das Saargebiet der ſchweizeriſchen Regierung den Beitritt des Saargebiets zum
Weltpoſtverein angezeigt habe.
Ich habe die Ehre, Ihnen zu erwidern, daß die deutſche Regierung gegen die
Aufnahme des Saargebiets in den Weltpoſtverein Einſpruch erheben muß, weil dieſe
oe en
— 103 —
Aufnahme mit der in dem Vertrag von Verſailles feſtgelegten Rechtsſtellung dieſes
Gebiets nicht in Einklang ſtehen würde.
Mitglieder einer völkerrechtlichen Intereſſengemeinſchaft, wie ſie der Weltpoſtverein
darſtellt, können nur Länder fein, denen die Merkmale eines ſelbſtändigen Staats-
weſens zukommen. Dieſe Merkmale fehlen dem Saargebiet. Nach dem Vertrag von
Verſailles iſt das Saargebiet kein ſelbſtändiger Staat, ſondern ein Teil des Deutſchen
Reichs, der für eine begrenzte Zeitdauer der Regierung des Völkerbundes unterſtellt
iſt und über deſſen endgültiges Schickſal erſt auf Grund einer Volksabſtimmung im
Jahre 1935 entſchieden werden ſoll. Deutſchland hat nicht auf die Souveränität,
ſondern nur auf die Regierung im Saargebiet verzichtet. Dies iſt nicht nur im
Artikel 49 und im $ 35 der Anlage 45 bis 50 des Verſailler Vertrages ausdrücklich
eſagt, ſondern ergibt ſich auch aus verſchiedenen anderen Beſtimmungen, ſo namentlich
araus, daß die Staatsangehörigkeit der Bewohner des Gebietes keine Anderung
erfährt, ſowie daß das Deutſche Reich und die deutſchen Einzelſtaaten Eigentümer
ihres im Saargebiet belegenen Vermögens bleiben (§S 22 und 27 der erwähnten An—
lage). Von beſonderer Bedeutung iſt auch der Umſtand, daß das gegenwärtige Statut
des Saargebiets von vornherein zeitlich begrenzt iſt. Im Hinblick auf dieſe Be—
ſtimmungen könnte das Saargebiet in gewiſſer Hinſicht mit den Abſtimmungsgebieten
von Schleswig, Weſtpreußen und Oberſchleſien verglichen werden; niemand aber wird
der Meinung ſein, daß dieſe Gebiete dem Weltpoſtverein als beſondere Mitglieder
angehören konnten oder können.
Bei dieſer klaren Rechtslage hält die deutſche Regierung den Beitritt des Saar⸗
gebiets zum Weltpoſtverein nicht für zuläſſig und auch nicht für erforderlich, da dies
Gebiet als Teil des Deutſchen Reichs dem Weltpoſtverein bereits angehört.
Ich benutze dieſen Anlaß, um Ihnen, Herr Geſandter, die Verſicherung meiner
ausgezeichnetſten Hochachtung zu erneuern.
An gez. von Haniel.
den Schweizeriſchen Geſandten
Herrn Dr. von Planta.
Nr. 63.
Note der Schweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche
Regierung vom 7. Februar 1921.
Schweizeriſche Geſandtſchaft in Berlin. Berlin, den 7. Februar 1921.
VII Mg. — B. 1/16.
Herr Miniſter!
Bezugnehmend auf die Note des Herrn Staatsſekretärs von Haniel vom
28. Dezember v. J. (Nr. II 8 6 Ang. 1) betreffend den Beitritt des Saargebiets zum
Weltpoſtverein beehre ich mich Eurer Exzellenz ergebenſt mitzuteilen, daß der ſchweize—
riſche Bundesrat den Wortlaut dieſer Note den Regierungen aller beteiligten Staaten
mit einer Zirkularnote zur Kenntnis gebracht hat, — Text folgendermaßen lautet:
Pour faire suite à la note eirculaire du 7 octobre 1920, nous
avons I'honneur de remettre a Votre Excellence, en copie, sous ce
pli, une note, en date du 28 décembre 1920, adresse par le Ministere
allemand des Affaires Etrangeres a la Legation de Suisse à Berlin,
au sujet de l’accession du Territoire de la Sarre à l’Union Postale
Universelle (Convention de Rome).
Fine Auftrage meiner Regierung beehre ich mich hierzu noch folgendes zu be—
merken:
Bei Empfang der Note vom 28. Dezember 1920 hat die ſchweizeriſche Regierung
nicht ermangelt, im Geiſte des Textes des Übereinkommens von Rom zu prüfen,
N
I OR
welche Folge der Mitteilung der deutfchen Regierung gegeben werden könnte. Da
der Artikel 24 dieſes Übereinkommens ſich über die Frage der Erhebung von Ein⸗
wänden gegen Aufnahmen in den Weltpoftverein ausſchweigt, und das Abereinkommen
auch im übrigen keinerlei Auskunft über dieſen Punkt zu geben vermag, ſo erachtet
es der Bundesrat als ſeine Pflicht, allen beteiligten Staaten Kenntnis von dem
Schritte zu geben, der bei ihm unternommen worden iſt.
Indem er der Auffaſſung des Internationalen Büros des Weltpoſtvereins bei—
pflichtet, glaubt der Bundesrat, angeſichts des Stillſchweigens des Textes annehmen
zu ſollen, daß die mit Datum vom 12. Oktober bekanntgegebene Beitrittserklärung
ihre Wirkungen fo lange geltend macht, als fie nicht durch den Beitretenden zurüd-
gezogen wird. Im übrigen will es ſcheinen, daß, in praktiſcher Hinſicht genommen,
das Saargebiet in keinem Augenblick und in keinerlei Weiſe jemals aufgehört hat,
Beſtandteil des Weltpoſtvereins zu ſein.
Was die Gründe betrifft, auf die ſich die Note vom 28. Dezember ſtützt, ſo iſt
die ſchweizeriſche Regierung nicht zuſtändig, ſie auf ihre Berechtigung hin zu prüfen.
Sie iſt dabei der Anſicht, daß die Sorge, in dieſer Angelegenheit einen Entſcheid zu
fällen, denjenigen zu überlaſſen ſei, denen ſie von Rechts wegen zukommt.
Indem ich die Ehre habe, Euer Exzellenz von Obigem auftraggemäß Kenntnis
zu geben, benütze ich gerne den Anlaß, um Ihnen, Herr Miniſter, die Verſicherung
meiner ausgezeichneten Hochachtung zu erneuern.
Der Schweizeriſche Geſandte in Deutſchland
gez. A. v. Planta.
Seiner Exzellenz Herrn Simons,
Reichsminiſter des Auswärtigen,
Berlin.
Nr. 64.
Verbalnote der portugieſiſchen Regierung an die deutſche Geſandt⸗
ſchaft in Liſſabon vom 9. Oktober 1920.
(berſetzung.)
Miniſterium des Nußern.
Abteilung la.
Nr. 211/19. |
Das Minifterium des Außern beehrt fich, die deutſche Geſandtſchaft um ihre
gefällige Vermittelung zu bitten zwecks Benachrichtigung ihrer Regierung, daß laut
Mitteilung des Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saargebiets dieſe am
1. September d. J. dem Abkommen des Welttelegraphenvereins beigetreten ift, wo⸗
bei ſie hinſichtlich ihres Beitrags in die ſechſte Klaſſe aufgenommen iſt und die End⸗
und Durchgangstaxen von 6 und 3,5 Centimes für den europäiſchen Verkehr und
10 und 8 Centimes für den außereuropäiſchen Verkehr erhält.
| Liſſabon, den 9. Oktober 1920.
Nr. 65.
Verbalnote der deutſchen Geſandtſchaft in Liſſabon an die
portugieſiſche Regierung vom 2. Februar 1921.
(berſetzung.) |
Deutſche Geſandtſchaft.
J. Nr. 317.
Verbalnote.
Die deutſche Geſandtſchaft beehrt ſich, dem Miniſterium des Außern den Empfang
feiner Note vom 9. Oktober 1920 — Abteilung la Nr. 211/19 — zu beſtätigen,
— 105 —
I inhalts deren der Präſident der Regierungskommiſſion für das Saargebiet der
pPortugieſiſchen Regierung mitgeteilt hat, daß das Saargebiet am 1. September 1920
dem Welttelegraphenverein beigetreten iſt.
Erhaltenem Auftrage gemäß hat die deutſche Geſandtſchaft die Ehre, der portu—
gieſiſchen Regierung mitzuteilen, daß die deutſche Regierung gegen den Beitritt des
Saargebiets zum Welttelegraphenverein Einſpruch erheben muß und ihn nicht an—
erkennen kann, weil er mit der durch den Vertrag von Verſailles geſchaffenen Rechts
ſtellung des Saargebiets in Widerſpruch ſtehen würde.
Nach ausdrücklicher Beſtimmung des Artikels 18 des internationalen Telegraphen—
vertrags können dem Welttelegraphenverein nur Staaten beitreten. Dem Saargebiet
fehlen aber die weſentlichen Merkmale eines Staatsweſens. Nach Artikel 49 des
Vertrags von Verſailles hat Deutſchland zwar auf die Regierung, nicht aber auf
die Souveränität im Saargebiet verzichtet. Dies wird ausdrücklich beſtätigt durch
§ 35 der Anlage 1 zu Teil III des Vertrags von Verſailles und geht auch aus ver—
[nenn anderen Beſtimmungen dieſer Anlage hervor, fo namentlich aus denen,
ie beſtimmen, daß die Bewohner des Saargebiets ihre bisherige Staatsangehörigkeit
behalten, und daß das Deutſche Reich und die deutſchen Einzelſtaaten Eigentümer
ihres im Saargebiet belegenen Vermögens bleiben (SS 22 und 27).
Nach dieſen Beſtimmungen iſt das Saargebiet kein ſelbſtändiger Staat, ſondern
ein für eine begrenzte Zahl von Jahren zur Ausübung der Regierungsgewalt dem
Völkerbund unterſtellter Teil des Deutſchen Reichs. Mit dieſer Rechtsſtellung des
Saargebiets wäre ſein Beitritt zum Welttelegraphenverein unvereinbar. Aus den—
ſelben Gründen iſt ſein Beitritt auch nicht erforderlich, da das Saargebiet als
Teil des Deutſchen Reichs dem Welttelegraphenverein bereits angehört. Der inter-
nationale Telegraphenvertrag iſt im Saargebiet nach wie vor in Geltung, da er im
Deutſchen Reich ordnungsmäßig als Geſetz verkündet worden iſt und die deutſchen
Geſetze gemäß § 23 der Anlage 1 zu Teil III des Vertrags von Verſailles im Saar
gebiet in Kraft bleiben. Demen ſprechend iſt in der Handhabung des internationalen
Telegraphen- und Fernſprechbetriebs im Saargebiet keine Anderung eingetreten, fo
daß auch praktiſche Gründe nicht für den Beitritt dieſes Gebiets zum Welttelegraphen—
verein ſprechen.
Liſſabon, den 2. Februar 1921.
Nr. 66.
Verbalnote der deutſchen Geſandtſchaft in Bern an die Schweizerijche
Regierung vom 26. Januar 1921.
Deutſche Geſandtſchaft.
Nr. A 128.
Am 9. Oktober v. J. hat die portugieſiſche Regierung die deutſche Regierung
durch Vermittlung der deutſchen Geſandtſchaft in Liſſabon davon benachrichtigt, daß
nach einer Mitteilung des Vorſitzenden der Kommiſſion der Regierung des Saar—
gebiets dieſe am 1. September v. J. dem Abkommen der Internationalen Telegraphen—
Union beigetreten ſei.
Am 16. Januar d. J. hat daraufhin die deutſche Regierung ihre Geſandtſchaft
in Liſſabon beauftragt, bei der portugieſiſchen Regierung gegen den Beitritt des Saar—
gebiets zum Welttelegraphenverein Einſpruch zu erheben, da er mit der durch den
Vertrag von Verſailles geſchaffenen Rechtsſtellung des Saargebiets in Widerſpruch
ſtehen würde. Die der portugieſiſchen Regierung übergebene deutſche Note hat
folgenden Wortlaut:
_ 8*
Are
»Die deutſche Geſandtſchaft beehrt ſich, dem Miniſterium des Außern den
Empfang ſeiner Note vom 9. Oktober 1920 zu beſtätigen, inhalts deren der Präſident
der Regierungskommiſſion für das Saargebiet der portugieſichen Regierung mit⸗
geteilt hat, daß das Saargebiet am 1. September 1920 dem Welttelegraphenverein
beigetreten iſt.
Im Auftrage Ihrer Regierung hat die deutſche Geſandtſchaft die Ehre, der
portugieſiſchen Regierung mitzuteilen, daß die deutſche Regierung gegen den Beitritt
des Saargebiets zum Welttelegraphenverein Einſpruch erheben muß und ihn nicht
anerkennen kann, weil er mit der durch den Vertrag von Verſailles geſchaffenen
Rechtsſtellung des Saargebiets in Widerſpruch ſtehen würde.
Nach ausdrücklicher Beſtimmung des Artikels 18 des internationalen Telegraphen⸗
vertrages vom 22. Juli 1875 können dem Welttelegraphenverein nur Staaten bei⸗
treten. Dem Saargebiet fehlen aber die weſentlichen Merkmale eines Staatsweſens.
Nach Artikel 49 des Vertrags von Verſailles hat Deutſchland zwar auf die Regierung,
nicht aber auf die Souveränität im Saargebiet verzichtet. Dies wird ausdrücklich
beſtätigt durch §S 35 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags und geht auch
aus verſchiedenen anderen Beſtimmungen dieſer Anlage hervor, ſo namentlich aus
denen, die beſtimmen, daß die Bewohner des Saargebiets ihre bisherige Staatsan-
angehörigkeit behalten, und daß das Deutſche Reich und die deutſchen Einzelſtaaten
Eigentümer ihres im Saargebiet belegenen Vermögens bleiben ($$ 22 und 27).
Nach dieſen Beſtimmungen iſt das Saargebiet kein ſelbſtändiger Staat, ſondern
ein für eine begrenzte Zahl von Jahren zur Ausübung der Regierungsgewalt dem
Völkerbund unterſtellter Teil des Deutſchen Reichs. Mit dieſer Rechtsſtellung des
Saargebiets wäre fein Beitritt zum Welttelegraphenverein unvereinbar. Aus denſelben
Gründen iſt der Beitritt auch nicht erforderlich, da das Saargebiet als Teil des
Deutſchen Reiches dem Welttelegraphenverein bereits angehört. Der internationale
Telegraphenvertrag vom 22. Juli 1875 iſt im Saargebiet nach wie vor in Geltung,
da er im Deutſchen Reich ordnungsgemäß als Geſetz verkündet worden iſt und die
deutſchen Geſetze gemäß § 23 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Verſailler Vertrags
im Saargebiet in Kraft bleiben. Dementſprechend iſt in der Handhabung des inter⸗
nationalen Telegraphen- und Fernſprechbetriebes im Saargebiet keine Anderung ein⸗
getreten, ſo daß auch praktiſche Gründe nicht für den Beitritt dieſes Gebietes zum
Welttelegraphenverein ſprechen.« 5
Da die Beitrittserklärung der Saarregierung der deutſchen Regierung auch
durch Vermittelung des Internationalen Büros des Welttelegraphenvereins in Bern
angezeigt worden iſt (Notifikation dieſes Büros Nr. 798 vom 1. November v. J.),
beehrt ſich die deutſche Geſandtſchaft im Auftrage ihrer Regierung dem Eidgenöſſiſchen
Politiſchen Departement Vorſtehendes ganz ergebenſt zur Kenntnis zu bringen Sie
beehrt ſich dabei gleichzeitig den bei der ſchweizeriſchen Regierung erhobenen Einſpruch
gegen den Beitritt des Saargebiets zum Weltpoſtverein in Erinnerung zu bringen
(vgl. Note der ſchweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin vom 12. Oktober v. J., ſowie
Antwortnote des Auswärtigen Amtes vom 28. Dezember v. J.).
Die deutſche Geſandtſchaft benutzt auch dieſen Anlaß zur erneuten Verſicherung
ihrer ausgezeichneten Hochachtung.
Bern, den 26. Januar 1921.
An das
Eidgenöſſiche Politiſche Departement
| Bern.
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— 107 —
Nr. 67.
Verbalnote der portugieſiſchen Regierung an die deutſche Geſand⸗
ſchaft in Liſſabon vom 9. März 1921.
(Überſetzung.)
Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten.
Abteilung la. Nr. 211/19.
Das Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten beehrt ſich den richtigen
Empfang der Verbalnote der deutſchen Geſandſchaft vom 2. Februar d. J. zu be—
ſtätigen, die ſich auf den Beitritt der Regierung des Saarbeckens zu dem Abkommen
über die Internationale Telegraphenunion bezieht.
Abſchriften dieſer Note ſind den Regierungen der Staaten übermittelt worden,
die der Union angehören, ebenſo wie Abdrücke der hier beigefügten Mitteilung der
Regierung des Saarbeckengebiets, welche das Miniſterium der Auswärtigen Angelegen—
heiten die deutſche Geſandſchaft bittet, zur Kenntnis der Reichsregierung zu bringen.
Liſſabon, den 9. März 1921.
Anlage.
(Aberſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Paris, den 25. Februar 1921.
Herr Miniſter!
Mit Schreiben vom 9. Februar (Nr. 211/19) haben Sie mich davon in Kennt—
nis geſetzt, daß die deutſche Regierung durch eine Note vom 2. Februar 1921 Wider⸗
ſpruch gegen den am 1. September 1920 von der Regierungskommiſſion des Saar—
n Antrag auf Beitritt zur Internationalen Telegraphenunion er—
hoben hat.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Mitgliedsſtaaten folgende Bemerkungen,
zu denen die erwähnte Note der deutſchen Regierung Anlaß gibt, mitteilen wollten:
1. Gemäß $ 19 der Anlage zu Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensvertrags von
Verſailles hat die Regierungskommiſſion im Saarbeckengebiet alle Regierungs—
rechte, die bisher dem Deutſchen Reich, Preußen und Bayern zuſtanden. Sie hat
volle Freiheit in der Verwaltung und Ausbeutung der Eiſenbahnen, der Kanäle und
der verſchiedenen öffentlichen Betriebe.
Die Souveränität Deutſchlands über das Saargebiet beſteht bis zum Ablauf
der im § 34 der erwähnten Anlage vorgeſehenen Friſt von 15 Jahren fort, aber ihre
Ausübung iſt während dieſes Zeitraumes aufgehoben und auf die den Völkerbund
vertretende Regierungskommiſſion übertragen.
Da die Regierungskommiſſion alle Regierungsrechte beſitzt, die bisher dem
Deutſchen Reich zuſtanden, hat ſie, was das Saargebiet betrifft, das Recht, alle
Verträge und Abkommen zu ſchließen, die das Deutſche Reich zu ſchließen berechtigt
war und allen internationalen Abkommen beizutreten, denen beizutreten das Deutſche
Reich das Recht hatte.
2. Wenn auch mit Rückſicht auf die im Friedensvertrag für das Beſtehen des
Saargebiets vorgeſehene Dauer von 15 Jahren dieſes Gebiet nicht die Merkmale
eines Staates erhalten hat, ſo ſteht doch feſt, daß die Regierung dieſes Gebietes
vollkommen ſelbſtändig iſt (Artikel 49 des Vertrags).
3. Es iſt unrichtig, zu ſagen, daß die Grenzen des Saargebiets nicht in dem
Abſchnitt des Vertrags von Verſailles mit der Überſchrift »Deutſchlands Grenzen«
beſchrieben ſind. Artikel 27 des Vertrags beſtimmt: »Die Grenzen Deutſchlands
werden folgendermaßen feſtgeſetzt .... .... . 3. Mit Frankreich: Die Grenze
— 168 —
vom 18. Juli 1870 von Luxemburg bis zur Schweiz vorbehaltlich der Beſtimmungen
des Artikels 48 des Abſchnitts IV (Saarbecken) des Teils III.« Artikel 48 beſchreibt
die Grenzen des Saarbeckens.
Die Kommiſſion zur Feſtſetzung der Grenzen des Saarbeckens hat in Anwendung
der ihr durch den erwähnten Artilel 48 übertragenen Befugniſſe beſchloſſen, daß die
Grenzſteine die Inſchrift »Deutſchland« auf der einen und »Saargebiet« auf der
anderen Seite tragen ſollen. Sie hat auf dieſe Weiſe das Saargebiet außerhalb der
Grenzen Deutſchlands geſtellt.
4. Wenn ein das Internationale Telegraphenabkommen verkündendes deutſches
Geſetz dieſes Abkommen hinſichtlich des Saargebiets in Kraft ſetzt, ſo würde ſich
daraus ergeben, daß die Regierungskommiſſion ohne weiteres als dieſem Abkommen
beigetreten angeſehen werden müßte. |
Wie könnte die deutſche Regierung für die Beachtung dieſes Abkommens durch
die Telegraphenverwaltung eines Gebiets verantwortlich ſein, auf deſſen Regierung
ſie für 15 Jahre vollkommen verzichtet hat?
Die Regierungskommiſſion beehrt ſich demnach, ihren Antrag auf Beitritt zu
der Internationalen Telegraphenunion aufrechtzuerhalteu.
achtung.
Der Staatsrat,
Präſident der Regierungskommiſſion des Saarbeckengebiets
gez. V. Rault.
| Seiner Exzellenz
dem Herrn Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten,
Liſſabon.
Nr. 68.
Note der Schweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche
Regierung vom 14. Dezember 1920.
(Aberſetzung.)
Schweizeriſche Geſandtſchaft. Berlin, den 14. Dezember 1920.
VI/ Mr. B. I. 5/24. | |
Herr Minifter!
Im Auftrage meiner Regierung habe ich die Ehre Eurer Exzellenz mitzuteilen,
daß die Regierungskommiſſion des Saargebiets uns mit einer Note vom 23. Oktober 1920
einen Antrag auf Beitritt dieſes Gebiets zu dem Internationalen Abkommen über
den Eiſenbahnfrachtverkehr, gezeichnet in Bern am 14. Oktober 1890, vorgelegt hat.
Gemäß Abſ. 3 der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 hat das Inter⸗
nationale Eiſenbahnzentralamt dieſes Beitrittserſuchen geprüft. Die Ergebniſſe ſeiner
Prüfung ſind in dem in 2 Abdrücken beigefügten Bericht niedergelegt. Sie ſind dem
Antrag günſtig. Demgemäß ſchlägt der Bundesrat der Regierung Eurer Exzellenz
vor, auf das Erſuchen der Regierungskommiſſion des Saargebiets, die Eiſenbahnen
des Gebiets unter die dem Internationalen Abkommen unterſtehenden Linien aufzu⸗
nehmen, in bejahendem Sinne zu antworten, natürlich unter der Vorausſetzung, daß
das Saargebiet die Rechte und Pflichten, die ſich aus der Anwendung dieſes Abkommens
ergeben, annimmt. |
| Der Bundesrat glaubt darauf hinweiſen zu follen, daß die Eiſenbahnen des
Saargebiets ſolange zum Geltungsbereich des Abkommens gehört haben, als das
Gebiet einen Teil Deutſchlands gebildet hat. Unter dieſen Umſtänden erſcheint das
vorliegende Beitrittserſuchen weniger als eine neue Tatſache als vielmehr als ein Schritt,
der dazu beſtimmt iſt, die Rechtslage dieſes Staates hinſichtlich des Abkommens in
Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch⸗
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Alb'ůereinſtimmung mit feiner politifchen Lage zu bringen. Bei dieſer Sachlage erſchien
es nicht unumgänglich, über die Eiſenbahnen des Saargebiets ebenſo eingehende
Angaben zu machen, als wenn es ſich um ein dem Abkommen völlig neues Eiſen—
bahnnetz handeln würde. Die erforderlichen Einzelheiten können in den deutſchen
Veröffentlichungen über die Eiſenbahndirektionen gefunden werden, von denen die heute
zum ſaarländiſchen Eiſenbahnnetz gehörigen Linien verwaltet wurden.
Das Saargebiet hat für den Eiſenbahnverkehr eine beſondere Bedeutung. Der
Bundesrat iſt deshalb im Einvernehmen mit dem Zentralamt der Meinung, daß es
wünſchenswert wäre, den Beitritt dieſes Bahnnetzes zu dem Abkommen möglichſt
bald endgültig werden zu laſſen. Zu dieſem Zweck beehre ich mich dem Wunſch
Ausdruck zu geben, vor dem 31. Dezember d. J. die Einwendungen zu erfahren, die
gegen das Beitrittserſuchen des Saargebiets erhoben werden könnten. Wenn der
Bundesrat bis zu dem angegebenen Tage keine gegenteilige Mitteilung von Eurer
Exzellenz erhält, wird er annehmen, daß das Erfuchen günſtig aufgenommen worden
iſt. Ich erinnere daran, daß, wenn der Beitritt des Saargebiets zu dem Abkommen
die Zuſtimmung aller Vertragsſtaaten findet, die Wirkungen des Beitritts einen
Monat nach Anzeige dieſes Beitritts durch den Bundesrat beginnen.
Der Bundesrat glaubt ſchließlich darauf hinweiſen zu ſollen, daß die gegen—
wärtigen Umſtände ihm nicht geſtatten, die vorliegende Mitteilung auch an Rußland,
das dem Abkommen als Vertragsſtaat angehört, gelangen zu laſſen. Trotzdem hoffe
ich, daß Ihre Regierung den Beitritt des Saargebiets zu dem Abkommen unbedenklich
als vollwirkſam und formgerecht anſehen wird.
Indem ich der gefälligen Antwort Eurer Exzellenz entgegenſehe, ergreife ich dieſe
Gelegenheit, um Ihnen, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung zu erneuern. |
Der Schweizerifche Geſandte in Deutfchland.
gez. A. von Planta.
Seiner Exzellenz Herrn Simons,
Reichsminiſter des Auswärtigen,
Berlin.
Anlage.
Bericht und Antrag des Zentralamtes für den Internationalen Eiſenbahntransport
an den Bundesrat über die Beitrittserklärung des Saarſtaates zum Internationalen
Übereinkommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr.
Mit Zuſchrift vom 23.26. Oktober 1920 teilt die Regierungskommiſſion des
Saargebiets dem Zentralamte zu Händen des Bundesrates mit, daß der Saarſtaat
dem Verbande des genannten Internationalen Übereinkommens beitrete.
Nach Maßgabe der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 hat das Zentral.
amt dieſes Aufnahmegeſuch zu prüfen und teilt alsdann der Bundesrat die Vorſchläge
des Zentralamtes den zur Union gehörenden Staaten zum Endſcheide mit.
Das Zentralamt beehrt ſich hiermit, dem Bundesrat Bericht und Antrag vor—
zulegen.
J. Durch den Friedensvertrag von Verſailles wurde das Saarbecken von Deutſch—
land abgetrennt und als ein beſonderer Staat konſtituiert, »dont le Gouvernement
est confie a une Commission representant la Société des Nationsc. Nach Ab
lauf von fünfzehn Jahren wird über das Schickſal des Saarſtaates definitiv ent—
ſchieden werden. (Art. 49 des Friedensvertrages und Kapitel II der Anlage zu
Art. 45 bis 50 daſelbſt).
Das Saarbecken bildet alſo nunmehr einen beſonderen Staat, deſſen Charakter
ungefähr dem zivilrechtlichen Gebilde der hereditas jacens entſpricht, und kann als
tig Staat dem Verbande der Staaten des Internationalen Übereinkommens
eitreten.
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Die Eiſenbahnen auf dem Gebiete dieſes neuen Staates waren bisher der
Eiſenbahnhoheit von Preußen und Bayern und ſind nunmehr der Eiſenbahnhoheit
des Saarſtaates unterſtellt. |
Die Regierungskommiſſion in Sarrebruck erklärt, daß folgende Linien, die fich
auf ihrem Gebiete befinden, in den Verband des Internationalen Übereinkommens
aufgenommen werden ſollen:
A. Das Netz der Saareiſenbahnen, verwaltet für die Regierungskommiſſion
des Saargebiets durch die Eiſenbahndirektion in Saarbrücken.
B. Die im Innern des Saargebietes gelegenen, durch die Verwaltung der
Eiſenbahnen in Elſaß und Lothringen betriebenen Linien:
von Völklingen bis zur Grenze zwiſchen Frankreich und dem Saarſtaat bei
Aberherrn,
von Dillingen bis zur Grenze zwiſchen Frankreich und dem Saarſtaat bei
Kerprich⸗Hemmersdorf,
von Merzig bis zur Grenze zwiſchen Frankreich und dem Saarſtaat bei
Mondorf. |
C. Die Linie von Brenſchelbach bis zur Grenze des Saarſtaates bei Brenſchel⸗
bach, betrieben durch die deutſchen Reichseiſenbahnen, bayriſch-pfälziſches Netz (Eiſen⸗
bahndirektion Ludwigshafen). |
II. Der neue Staat ift PN, in der Lage, die Verpflichtungen zu erfüllen,
welche ihm durch das Internationale Übereinkommen auferlegt werden, und bietet
hierfür alle nötigen Garantien. Das nämliche iſt der Fall mit Bezug auf die
Verwaltungen, von denen die genannten Bahnen nunmehr betrieben werden (Saar⸗
eiſenbahnen, verwaltet durch ihre Direktion in Saarbrücken; Eiſenbahnen in Elſaß
und Lothringen; Reichseiſenbahnen, bayriſch-pfälziſches Netz).
III. Es beſteht demnach kein Grund irgendwelcher Art, dem Aufnahmegeſuch
der Regierungskommiſſion nicht ohne weiteres zu entſprechen, und wir ſtellen hiermit
den Antrag, den Saarſtaat in den Staatenverband des Internationalen Über⸗
einkommens aufzunehmen. |
IV. Sämtliche Bahnen, welche die Regierungskommiſſion zur Einverleibung in
den Verband des Internationalen Übereinkommens anmeldet, haben dieſem Verbande
als Beſtandteile des deutſchen Bahnnetzes bereits angehört und haben lediglich infolge
der Ablöſung des Saarbeckens aufgehört, zu den Eiſenbahnen des Internationalen
Übereinkommens zu gehören. Tatſächlich iſt aber ſehr wahrſcheinlich ſeit der Wieder
aufnahme des Zivilbetriebes der internationale Frachtbrief dennoch ſtets in Anwen—
dung geblieben.
Es iſt daher ſehr wünſchbar, daß die Zugehörigkeit der Saarbahnen zum Inter⸗
nationalen Übereinkommen ſo ſchnell als möglich auch formell wieder geordnet
werde, beſonders weil dieſe Bahnen einen ſehr bedeutenden internationalen Verkehr
beſitzen. i
Mit Rückſicht hierauf empfiehlt es ſich, im Gegenſatz zu dem bisherigen Ver⸗
fahren bei der Aufnahme (zuletzt bei der Aufnahme von Norwegen), daß der
Bundesrat die Staaten der Union erſuche, ſich innert einer kurzen Friſt zum Auf⸗
nahmegeſuch zu äußern, in der Meinung, daß Stillſchweigen innert der Friſt als
Zuſtimmung ausgelegt werde. Da die Commission de Gouvernement ausdrücklich
wünſcht, daß das Internationale Übereinkommen ſo ſchnell als möglich — ſie ſpricht
vom 1. Dezember nächſthin — auf die Bahnen des Saarbeckens Anwendung finde,
ſo würden wir dem Bundesrat beantragen, die Friſt zur Antwort auf einen Monat
anzuſetzen. |
V. Im Anſchluß hieran beſchäftigen wir uns mit der weiteren Frage, ob gemäß des
letzten Alinea der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 der Beitritt erſt einen Monat
nach der Notifikation der Aufnahme des Saarſtaates rechtskräftig werden ſolle. Wir
würden im vorliegenden Falle es begrüßen, wenn damit nicht ein Monat gewartet
— 111 —
werden müßte. Allein wir ſtehen vor einer bindenden Vorſchrift und geben zu be—
denken, daß nach der Notifikation der Aufnahme an den neuen Staat der Regierung
desſelben notwendig eine, wenn auch nur kurze Friſt eingeräumt werden muß, um
die Notifikation an die Bahnverwaltungen weiterzugeben, und daß es, beſonders um
der zivilrechtlichen Konſequenzen willen, nicht wohl anginge, daß die Bahnen des
Saarbeckens, bevor ſie ſelbſt benachrichtigt werden, wieder der Herrſchaft des Rechtes
des Internationalen Übereinkommens unterſtehen, nachdem ſie ſeit der Ablöſung des
Saarbeckens von Deutſchland dem Rechtsgebiete des Internationalen Übereinkommens
nicht mehr angehört hatten. Deshalb halten wir dafur, daß die Beſtimmung des
letzten Alinea der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 auch im vorliegenden
alle, d. h. auch auf die eventuelle Anfnahme des Saarſtaates zur Anwendung
ommen ſoll.
Bern, den 28. Oktober 1920.
Zentralamt für den Internationalen Eiſenbahntransport.
Der Direktor.
(òUnterſchrift.)
Nr. 69.
Note der deutſchen Regierung an die Schweizeriſche Geſandtſchaft
in Berlin vom 29. Dezember 1920.
Auswärtiges Amt. a 0
Nr. II S. G. 2260. Berlin, den 29. Dezember 1920.
Herr Geſandter!
Ich beehre mich, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 14. Dezember —
VI Mr. B. 1/24 — zu beſtätigen, worin Sie mir mitgeteilt haben, daß die Re—
gierungskommiſſion für das Saargebiet den Beitritt des Saargebiets zu dem inter—
nationalen Abkommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr vom 14. Oktober 1890 an-
gemeldet habe, und daß der Schweizeriſche Bundesrat der Deutſchen Regierung vor—
ſchlage, dem Antrage der Regierungskommiſſion zuzuſtimmen.
In Beantwortung dieſes Schreibens beehre ich mich zu erwidern, daß die Deutſche
Regierung dieſem Erſuchen nicht ſtattgeben kann.
Das Ihrem Schreiben beigefügte Gutachten des Internationalen Eiſenbahn—
8 geht von der Annahme aus, daß das Saargebiet durch den Vertrag von
erſailles von Deutſchland abgetrennt worden ſei und einen ſelbſtändigen Staat
bilde. Dieſe Annahme iſt unzutreffend. Nach Artikel 49 des Verſailler Vertrags hat
Deutſchland zwar auf die Regierung, nicht aber auf die Souveränität über das
Saargebiet verzichtet; im § 35 der Anlage zu Artikel 50 wird dies ausdrücklich be—
ſtätigt. Es kommt hinzu, daß die Grenzen des Saargebiets nicht in dem Abſchnitt
beſchrieben find, der die Überſchrift »Deutſchlands Grenzen« trägt, daß die Bewohner
des Gebietes ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten, und daß das Deutſche Reich
und die deutſchen Einzelſtaaten Eigentümer ihres im Saargebiet gelegenen Vermögens
bleiben. Mit Rückſicht auf dieſe und andere grundlegende Beſtimmungen des Vertrags
von Verſailles iſt es nicht angängig, von einem »Saarſtaat« zu ſprechen, ein Aus—
druck, den der Vertrag ſelbſt übrigens an keiner Stelle gebraucht. Das Saargebiet
iſt vielmehr ein für eine beſchränkte Zahl von Jahren der Regierung des Völker—
bundes unterſtellter Teil des Reichsgebietes, über deſſen endgültiges Schickſal im
Jahre 1935 auf Grund einer Volksabſtimmung entſchieden werden ſoll.
Da das Saargebiet kein ſelbſtändiger Staat iſt, kann ſein Beitritt zu dem
internationalen Abkommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr nicht in Frage kommen,
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— 112 —
denn nach der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 können dem Abkommen
nur Staaten beitreten.
Das erwähnte Gutachten des Internationalen Eiſenbahnzentralamts enthält ferner
die Bemerkung, daß das Eiſenbahnnetz des Saargebiets zwar früher als Teil des
deutſchen Netzes zu der durch das Abkommen vom 14. Oktober 1890 gebildeten
Union gehört habe, mit der Abtrennung des Gebietes vom Deutſchen Reich aber aus⸗
geſchieden ſei. Dieſe Bemerkung erſcheint nicht nur aus den bereits angeführten
allgemeinen Gründen, ſondern auch deshalb unzutreffend, weil nach § 23 der Anlage
zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags von Verſailles die am 11. November 1918 in
Kraft befindlichen deutſchen Geſetze im Saargebiet weiter gelten. Zu dieſen Geſetzen
gehört auch das Abkommen vom 14. Oktober 1890, das am 29. Oktober 1892
ordnungsmäßig als deutſches Geſetz verkündet worden iſt. Hiernach gehört das
Saargebiet nach wie vor dem Abkommen vom 14. Oktober 1890 an, ſo daß ſein
Beitritt nicht erforderlich iſt.
Aus all dieſen Gründen muß die deutſche Regierung dem Beitritt des Saar-
gebiets zu dem internationalen Abkommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr wider⸗
ſprechen.
Genehmigen Sie, Herr Geſandter, die Verſicherung meiner ausgezeichnete Hoch—
achtung.
gez. von Haniel.
An
den Schweizeriſchen Geſandten
Herrn Dr. von Planta.
Nr. 70. E
Note der Schweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche
Regierung vom 14. Februar 1921.
Schweizeriſche Geſandtſchaft in Berlin. Berlin, den 14. Februar 1921. |
VI/Mr. B. I g/24. |
Herr Minifter!
Bezugnehmend auf die Note des Herrn Staatsſekretärs von Haniel vom
29. Dezember v. J., betreffend die Stellung des Saargebiets in bezug auf das internationale
Abkommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr vom 14. Oktober 1890, beehre ich mich,
Eurer Exzellenz im Auftrage meiner Regierung ergebenſt mitzuteilen, daß die in dieſer
Note enthaltenen Ausführungen allen dem Abkommen beigetretenen Staaten zur
Kenntnis gebracht worden ſind. — Dieſer Proteſt der deutſchen Regierung gegen den
Antrag der Regierungskommiſſion des Saargebiets iſt den vorerwähnten Regierungen
durch eine Note des Bundesrats vom 1. Februar 1921 übermittelt worden.
Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten
Hochachtung. 5
Der Schweizeriſche Geſandte in Deutſchland.
gez. A. von Planta.
An
Seine Exzellenz Herrn Simons,
Reichsminiſter des Auswärtigen,
Berlin.
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— 113 —
Nr. 71.
Note der Schweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche
2 Regierung vom 28. April 1921.
(Überfegung.)
ee in Berlin. Berlin, den 28. April 1921.
Herr Miniſter!
Im Anſchluß an die Zirkularnote des Bundesrats vom 1. Februar d. J., betreffend
den Beitritt des Saargebiets zu dem Abkommen vom 14. Oktober 1890 über den
1 beehre ich mich, folgendes zur Kenntnis Eurer Exzellenz zu
ngen.
1. Mit Note vom 21. März 1921 hat die Regierungskommiſſion des Saar—
ebiets dem Bundesrat verſchiedene Bemerkungen in Beantwortung der Note der
tſchen Regierung vom 28. Dezember 1920 mitgeteilt und ihn gebeten, dieſe
Bemerkungen den Staaten mitzuteilen, die dem in Rede ſtehenden Abkommen ange—
ören. Da dieſe Note die von der deutſchen Regierung den Beſtimmungen des
ags von Verſailles gegebene Auslegung und insbeſondere die Frage erörtert,
ob das Saargebiet als »Staat« angeſprochen werden kann, hat die Bundesregierung
beg gab die Regierungskommiſſion wiſſen zu laſſen, daß ſie bedauert, ſich nicht in
Lage zu ſehen, ihrem Erſuchen zu entſprechen. Sie iſt der Anſicht, daß es nicht
zu der ihr durch das Abkommen von 1890 und die internationalen Zuſatzabkommen
übertragene Aufgabe gehört, ihre Vermittlung in einem Meinungsaustauſch eintreten
N laſſen, der ſich im weſentlichen nicht auf das Abkommen ſelbſt bezieht, ſondern
e Rechtsſtellung des Saargebiets im europäiſchen Völkerrecht und die Auslegung
eines von dieſem Abkommen ganz verſchiedenen internationalen Vertrages zum
eigentlichen Gegenſtand hat. Sie ſieht ſich demgemäß genötigt, es der Regierungs—
kommiſſion zu überlaſſen, den Regierungen der beteiligten Staaten unmittelbar die
Bemerkungen darzulegen, die ſie ihr mitgeteilt hat.
2. Bei Mitteilung der erwähnten Note der deutſchen Regierung an die Re—
gierungskommiſſion des Saargebiets hatte der Bundesrat folgende Erläuterungen hin—
zugefügt: »Gemäß der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 und den vorhandenen
Präzedenzfällen hat der Widerſpruch eines Signatarſtaates gegen den Beitritt eines
neuen Mitgliedes zu dem Abkommen aufſchiebende Wirkung, und der Beitritt des
neuen Mitgliedes kann erſt eingetragen werden, wenn der Einſpruch gegen ſeinen
Beitritt zurückgezogen worden iſt. Bei dieſer Sachlage müſſen wir es der Regierungs—
kommiſſion des Saargebiets oder dem, den es ſonſt angeht, überlaſſen, die erforder—
lichen Schritte zu unternehmen, um die Eintragung zu ermöglichen.«
In ihrer Note vom 21. März hat die Regierungskommiſſion erklärt, daß ſie
»ſich vorbehält, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die Eintragung ihres
Antrags auf Beitritt zu dem Abkommen zu erwirken.«
3. In der bereits unter Ziffer 2 erwähnten Note hat der Bundesrat die Auf—
merkſamkeit der Regierungskommiſſion auf die ernſten Unzuträglichkeiten gelenkt, die
ſich er Nachteil des internationalen Eiſenbahnverkehrs möglicherweiſe ergeben können
ür den Fall, daß die Regierungskommiſſion beabſichtigen ſollte, darauf zu verzichten,
8 in Rede ſtehende Abkommen zu beachten, wie fie es bisher getan hat. »Deshalb«,
fügte der Bundesrat hinzu, »wäre es zu wünſchen, daß die Regierungskommiſſion,
ungeachtet der gegenwärtig aufgeworfenen Erörterungen, keine Einwendungen dagegen
erhebt, daß vorläufig hinſichtlich der Anwendung des Abkommens nichts geändert wird.
Wir würden Wert darauf legen, eine Beſtätigung von Ihnen in dieſem Sinne zu
erhalten, und würden es lebhaft begrüßen, wenn wir in die Lage verſetzt würden,
den beteiligten Staaten davon Mitteilung zu machen «.
— 114 —
In ihrer neuen Antwort hat die Kommiſſion den Bundesrat wiſſen laſſen, »daß
ſie außerſtande iſt, falls die deutſche Regierung bei ihrem Widerſpruch beharren
ſollte, die Verpflichtung zu übernehmen, ein Abkommen zu beachten, zu dem ihr der
Beitritt nicht erlaubt ſein ſollte. Um indes den Bemerkungen, die die Bundesregierung
ihr unterbreitet hat, Rechnung zu tragen, wird ſie bis auf weiteres fortfahren, das
Abkommen anzuwenden, und nicht unterlaſſen, ſie rechtzeitig von den Beſchlüſſen zu
benachrichtigen, zu denen die Umſtände fie etwa zwingen werden“. |
Genehmigen Sie, Herr Minifter, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten Se
achtung.
Der Schweizeriſche Geſandte in Deutſchland
| gez. A. von Planta.
Seiner Exzellenz Herrn Simons,
Reichsminiſter des Auswärtigen,
Berlin.
1
Einſetzung und Ausweiſung der „Deutſchen Vers
kommiſſion Saarbrücken“ und der „Preußiſchen Bergwerks
direktion (Abwicklungsſtelle) in Saarbrücken“. 8
Nr. 72. 1 BE
Note der deutſchen Friedensdelegation an die Friedenskonferenz vom
23. November 1919.
Der Vorſitzende i 1
der Deutſchen Friedensdelegation. Parts, den 23. November 1919.
Nr. 51. g 5
Herr Präſident!
Die Deutſche Regierung hat in Saarbrücken eine Kommiſſion eingeſetzt, Ar
die dienſtliche Bezeichnung »Deutſche Bergwerkskommiſſion Saarbrüden« trägt und
der angehören
der Geheime Oberbergrat Fuchs als Vorſitzender,
der Geheime Bergrat Knops,
der Bergrat Feuchter,
der Bergrat Dr. Weiſe,
der Berginſpektor Bodifée,
der revidierende Markſcheider Schlicker
als Mitglieder, ſowie das erforderliche Büro- und Hilfsperſonal.
Von den genannten Herren ſind
der Geheime Oberbergrat Fuchs,
der Geheime Bergrat Knops,
der Bergrat Feuchter
ermächtigt, im Namen der Deutſchen Regierung die in Abſchnitt IV, Teil III des
Friedensvertrags vom 28. Juni 1919 bezeichneten Kohlengruben des Saargebiets der
Regierung der Franzöſiſchen Republik zu übergeben und über Fragen, die mit der
— 15 —
Abergabe des Eigentums an den Kohlengruben im Zuſammenhang ſtehen, unter Vor—
behalt der Genehmigung durch die Deutſche Regierung, Vereinbarungen jeder Art
zu treffen.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung
gez. Frhr. von Lersner.
Seiner Exzellenz
dem Präſidenten der Friedenskonferenz
Herrn Clemenceau.
Nr. 73.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 18. Mai 1920.
Auswärtiges Amt. Berlin, den 18. Mai 1920.
Nr. II. S. G. 374.
Herr Staatsrat!
Zur Erledigung der dem preußiſchen Bergfiskus im Saargebiet nach der Über—
gabe der Kohlengruben an Frankreich noch verbleibenden Aufgaben — es handelt
ſich hierbei faſt ausſchließlich um die Erledigung ſchwebender Bergſchädensprozeſſe
und um Abrechnungen — hat die Preußiſche Regierung eine Abwicklungsſtelle mit
der dienſtlichen Bezeichnung »Preußiſche Bergwerksdirektion (Abwicklungsſtelle) Saar—
brücken« geſchaffen. Dieſer Stelle iſt eine Kaſſe angegliedert, die den Namen
»Preußiſche Bergabrechnungskaſſe« führt.
Der Vorſitz der Abwicklungsſtelle iſt dem Geheimen Oberbergrat Fuchs für die
Dauer ſeiner Tätigkeit als Vorſitzender der Deutſchen Bergwerkskommiſſion in Saar—
brücken übertragen worden.
Zu Mitgliedern der Abwicklungsſtelle ſind beſtellt:
| Der Geheime Bergrat Knops, der zugleich Mitglied der Deutſchen Berg—
werkskommiſſion iſt,
der Geheime Bergrat Gutdeutſch,
der Bergwerksdirektor Klapper,
der Regierungsbaumeiſter Baurat Wedding,
der Berginſpektor Dr. Röttcher und
der Bergaſſeſſor Weinlig.
Außerdem gehören der Abwicklungsſtelle eine Anzahl Büro- und Kaſſenbeamte
und ein Kanzleibeamter an.
Um der Abwicklungsſtelle und ihrer Kaſſe die ordnungsmäßige Tätigkeit zu er—
möglichen, bittet die Deutſche Regierung, Anordnungen treffen zu wollen, die der
Abwicklungsſtelle und ihrer Kaffe den ungehinderten, zenſurfreien Brief-, Telegramm-,
Telephon⸗ und Geldverkehr gewährleiſten.
Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. von Haniel.
An
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren.
Saarbrücken.
— 116 —
Nr. 74.
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche
Regierung vom 25. Juni 1920.
(berſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets.
Generalſekretariat.
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets,
an
den Herrn Miniſter des Auswärtigen,
Saarbrücken, den 25. Juni 1920.
Berlin.
Herr Miniſter!
In Ihrem Schreiben vom 18. Mai d. J., Nr. II S. G. 374, haben Sie die
Regierungskommiſſion des Saargebiets gebeten, der »Preußiſchen Bergwerksdirektion
(Abwicklungsſtelle) in Saarbrücken« eine gewiſſe Anzahl von Befreiungen zu gewähren.
Ich beehre mich Ihnen mitzuteilen, daß die Anweſenheit von Beamten in Saar-
brücken, die unmittelbar der preußiſchen Regierung unterſtehen, mit den Beſtimmungen
des Friedensvertrags nicht vereinbar iſt und zu ſchweren Bedenken Anlaß gibt.
Ich habe deshalb beſchloſſen, daß die Abwicklungsſtelle und alle zu ihr gehörigen
Perſonen das Saargebiet ſpäteſtens am 1. September d J. verlaffen haben müſſen.
Die ihnen gewährte Friſt wird ihnen geſtatten, ohne Schwierigkeiten die im Hinblick
auf ihre Abreiſe erforderlichen Maßn ihmen zu treffen
Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch⸗
achtung.
gez. V. Rault.
Nr 5
Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den
Vorſitzenden der Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion
in Saarbrücken vom 1. Juli 1920. |
(berſetzung.)
ae: Saarbrücken, den 1. Juli 1920.
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion,
an
den Geheimen Oberbergrat Fuchs, Vorſitzenden der ee
Bergwerksdirektion (Abwicklungsſtelle)
Saarbrücken.
Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß ich unterm 25. Juni den Miniſter des Aus⸗
wärtigen in Berlin benachrichtigt habe, die Preußiſche Bergwerksdirektion (Abwicklungs⸗
ſtelle) in Saarbrücken und die Deutſche Bergwerkskommiſſion in Saarbrücken müßten
bis zum 1. September 1920 ihre Arbeiten hier zum Abſchluß gebracht haben und
zu dieſem Zeitpunkt das Saargebiet mit den höhe en und unteren Beamten verlaffen.
Die Anweſenheit von Beamten im Saargebiet, die unmittelbar der deutſchen
oder preußiſchen Regierung unterſtellt ſind, ſteht im Widerſpruch mit dem Friedens⸗
vertrag und gibt zu ſchweren Bedenken Anlaß.
Ich erſuche Sie, zur Ausführung dieſes Beſchluſſes die nötigen W
ergreifen zu wollen.
L. S. gez. V. Rault.
— 117 —
Nr. 76.
Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Vor—
ſitzenden der Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion
in Saarbrücken vom 17. Juli 1920.
(üÜberſetzung.)
| Regierungskommiſſion des Saargebiets.
Einſchreiben.
P. 568.
Saarbrücken, den 17. Juli 1920.
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion,
an 5
Herrn Oberbergrat Fuchs, Preußiſche Bergwerksdirektion,
Saarbrücken.
Ich beehre mich, Ihnen mein Schreiben vom 2. Juli 1920, S. P. 243, in Er-
innerung zu bringen, deſſen Empfang mir noch nicht beſtätigt wurde.
Ich erſuche Sie, mir umgehend mitteilen zu wollen, daß Sie im Beſitze des
erſten Schreibens find und den darin enthaltenen Anordnungen gemäß Ihre Maß—
nahmen treffen.
gez. V. Rault.
Nr. 7
Schreiben des Vorſitzenden der Abwicklungsſtelle der Preußiſchen
Bergwerksdirektion in Saarbrücken an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 21. Juli 1920.
Der Vorſitzende | 3 RER
der Preußiſchen Bergwerksdirektion. Saarbrücken, den 21. Juli 1920.
Nr 4826.
Auf das gefällige Schreiben vom
17. Juli d. J. — S. P. 568 —.
Der Empfang des gefälligen Schreibens vom 1. Juli d. J. — S. P. 243 —
wurde nicht beſtätigt, weil ein Erſuchen hierum in dem Schreiben nicht ausge—
ſprochen war.
Von dem Inhalte des Schreibens vom 1. Juli haben wir den maßgebenden
3 und preußiſchen Zentralſtellen ſofort Kenntnis gegeben und deren Weiſungen
erbeten.
gez. Fuchs.
An
den Herrn Staatsrat,
Präſidenten der Regierungskommiſſion,
Saarbrücken.
— 118 —
Nr. 78.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion
des Saargebiets vom 24. Juli 1920.
Auswärtiges Amt. Berlin, den 24. Juli 1920.
Nr. II S. G. 896.
Herr Staatsrat!
In Ihrem Schreiben vom 25. Juni d. J., Nr. 149 /S. P., haben Sie mir mit⸗
geteilt, daß die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion in Saarbrücken
mit ihrem Perſonal das Saargebiet bis zum 1. September d. J. zu verlaſſen habe,
da die Anweſenheit von Beamten, die unmittelbar der preußiſchen Regierung unter⸗
ſtehen, dem Friedensvertrag nicht eniſpreche und ſchwere Unzuträglichkeiten zur Folge
habe. In einem Schreiben vom 1. Juli d. J. haben Sie dem Vorſitzenden der ge-
nannten Abwicklungsſtelle, Geheimen Oberbergrat Fuchs, hiervon Mitteilung gemacht
und hinzugefügt, daß aus den gleichen Gründen auch die Deutſche Bergwerkskommiſſion
in Saarbrücken bis zum 1. September d. J. das Saargebiet zu verlaſſen habe.
Ich beehre mich zu erwidern, daß die Deutſche und die Preußiſche Regierung
ſelbſtverſtändlich nicht beabſichtigen, im Saargebiet eigene Behörden zu unterhalten.
Die Deutſche Bergwerkskommiſſion und die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Berg⸗
werksdirektion ſind vorübergehende Einrichtungen. Ihre Anweſenheit im Saargebiet
bis zum Abſchluß ihrer Arbeiten iſt aber, wie aus den nachſtehenden Ausführungen
hervorgeht, gerade im Hinblick auf die Ausführung des Friedensvertrags geboten.
Unzuträglichkeiten haben ſich aus dieſer Anweſenheit bisher nicht ergeben und ſind
auch nicht zu erwarten, denn beide Stellen nehmen keine eigentlichen Regierungs⸗
geſchäfte war, vielmehr liegt ihre Tätigkeit ausſchließlich auf fiskaliſchem Gebiet.
Wohl aber würden durch die vorzeitige Entfernung der Stellen erhebliche Schwierigkeiten
entſtehen, und zwar nicht nur für die Deutſche und die Preußiſche Regierung, ſondern
auch für die franzöſiſche Grubenverwaltung und die Bevölkerung des Saargebiets.
Die Einſetzung der Deutſchen Bergwerkskommiſſion iſt der Friedenskonferenz mit
einer Note der deutſchen Regierung vom 23. November 1919) angezeigt worden.
Von Perſonalveränderungen hat die Friedenskonferenz ebenfalls ſtets Mitteilung
erhalten. Nach dieſer Note vom 23. November 1919, von der ich eine Abſchrift bei-
füge, hat die Kommiſſion die Aufgabe, die mit dem Übergang der Saarkohlengruben
in das Eigentum des franzöſiſchen Staates zuſammenhängenden Aufgaben zu erledigen.
Soweit es ſich hierbei um die ordnungsmäßige Übergabe der Gruben an Frankreich
handelt, hat die Kommiſſion im weſentlichen ihre Aufgaben erfüllt. Unerledigt ſind
aber noch zum großen Teil die Vorarbeiten für die Feſtſtellung des Wertes der ab⸗
getretenen Gruben. Deutſchland hat nach Artikel 233 des Friedensvertrags das Recht,
bei dieſer der Wiedergutmachungskommiſſion obliegenden Wertfeſtſtellung gehört zu
werden. Wenn es dieſes Recht wahrnehmen ſoll, muß ihm auch Gelegenheit gegeben
werden, ſich die nötigen Unterlagen für die Berechnung des Wertes der Gruben zu
verſchaffen. Ebenſo muß Deutſchland die Möglichkeit haben, für die mit der Wert,
feſtſtellung eng zuſammenhängende Entſchädigung der bisherigen Grubeneigentümer⸗
zu der es nach § 5 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Friedensvertrags verpflichtet
iſt, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dieſe Aufgaben kann die Deutſche
Regierung nur durch Beamte löſen, die in dem Gebiet, in dem die Gruben liegen,
ſelbſt tätig ſind, denn es handelt ſich beiſpielsweiſe um Feſtſtellungen an der Hand
des Grundbuchs, um Auflöſung früherer Pachtverträge mit Gemeinden oder Privaten,
um Klärung unſicherer Eigentumsverhältniſſe, um Beſichtigungen und Beſtandsauf⸗
nahmen und vor allem um Verhandlungen mit den zum großen Teil im Saargebiet
ſelbſt anſäſſigen Intereſſenten. Es liegt auf der Hand, daß es unſachgemäß und
1) Vgl. Nr 72.
1198 —
faſt unmöglich wäre, dieſe Aufgaben von einem Ort außerhalb des Saargebiets aus
zu erledigen. Eine Erſchwerung und Verzögerung der Geſchäfte, an deren raſcher
und reibungsloſer Abwicklung viele Bewohner des Saargebiets ein Intereſſe haben,
wäre die unausbleibliche Folge, ganz abgeſehen von den erheblichen Mehrkoſten, die
dadurch der deutſchen Regierung entſtehen würden. Ebenſo liegt es auf der Hand,
daß die in vollem Gang befindlichen, umfangreichen Arbeiten nicht bis zum 1. Sep-
tember d. J. beendet ſein können. Bis zu welchem Zeitpunkte der Abſchluß erfolgen
kann, läßt ſich ſchwer beurteilen, doch wird dies vorausſichtlich zu Beginn des
kommenden Jahres möglich ſein.
Die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion hat vor allem die
Aufgabe, alle die Geſchäfte abzuwickeln, die mit dem Wechſel des Eigentums an den
bisher preußiſchen Staatsgruben zuſammenhängen. An erſter Stelle ſteht hierbei die
Abrechnung mit der franzöſiſchen Grubenverwaltung über Forderungen des Preußiſchen
Staates wegen Kohlenlieferungen und Lebensmittellieferungen an die Belegſchaft der
Gruben, die von der preußiſchen Verwaltung auf Anordnung des franzöſiſchen
Grubenkontrolldienſtes bewirkt worden ſind. Sodann müſſen nach einer mit der
franzöſiſchen Grubenverwaltung getroffenen Abmachung die von der franzöſiſchen
Verwaltung für Rechnung Preußens bezahlten Löhne der Arbeiter für die Zeit
vom 1. Dezember 1919 bis 10. Januar 1920, ſowie die von der franzöſiſchen
Verwaltung zu erſtattenden Bezüge der Beamten und Angeſtellten für die Zeit
vom 11. Januar bis 31. März 1920 ermittelt und abgerechnet werden. Da es ſich
bei dieſen Abrechnungen um erhebliche Beträge handelt, iſt eine ſorgfältige Prüfung,
an der nicht nur der Preußiſche Staat, ſondern auch die franzöſiſche Verwaltung
großes Intereſſe hat, erforderlich. Dieſe Arbeiten können nur in ſtändiger Ver—
bindung mit der franzöſiſchen Grubenverwaltung erfolgen und erfordern häufige
Befragungen der Oberſchichtmeiſter und Berechnungen auf Grund der Kaſſenbücher
der Werkskaſſen. Vor Ende des Jahres könnten auch dieſe Arbeiten nicht zum Ab—
ſchluß gebracht werden.
Weitere, beſonders umfangreiche Aufgaben erwachſen der Abwicklungsſtelle aus
der Erledigung der bisher angemeldeten Bergſchädenangelegenheiten und der daraus
entſtehenden Rechtsſtreitigkeiten. Nach einer Abmachung mit der franzöſiſchen
Grubenverwaltung hat der Preußiſche Staat für alle bis zum Stichtage, dem
10. Januar 1920, angemeldeten Bergſchäden aufzukommen. Die Abwicklung dieſer
Angelegenheiten erfordert dauernd eigene Beobachtungen und Feſtſtelungen an Ort
und Stelle und vor allem perſönliche Verhandlungen mit den beteiligten Haus- und
Grundſtücksbeſitzern; außerdem müſſen die von der preußiſchen Verwaltung in An—
griff genommenen zahlreichen Ausbeſſerungsarbeiten an Bruchhäuſern überwacht
werden. Es handelt ſich alſo um Arbeiten, die nur im Saargebiet ſelbſt erledigt
werden können. Nach dem gegenwärtigen Stande der Arbeiten kann damit gerechnet
werden, daß die angemeldeten Bergſchädenangelegenheiten, ſoweit ſie nicht zu neuen
Prozeſſen führen, in etwa 6 Monaten beendet ſein werden, hingegen erfordert die Erledi—
gung der anhängigen Rechtsſtreitigkeiken und etwa hinzukommender neuer Bergſchäden—
angelegenheiten weſentlich längere Zeit, deren Dauer ſich nicht überſehen läßt.
Neben dieſen beiden wichtigſten Aufgaben hat die Abwicklungsſtelle noch eine
Reihe anderer Angelegenheiten zu erledigen, z. B. Abrechnungen mit Lieferanten und
Unternehmern, Prüfung der Nach- und Mehrforderungen aus früheren Verträgen,
Rückgabe der nicht mehr erforderlichen Kautionen, Klärung ſtreitiger Eigentums—
verhältniſſe, Abwicklung der verzinslichen und un verzinslichen Baudarlehen, Rechnungs—
legung der Kaſſen, Rechnungsabnahme und Prüfung der Jahresrechnungen; hierzu
kommen noch eine Reihe anderer Verwaltungsangelegenheiten. Auch die Erledigung
dieſer Arbeiten kann ſachgemäß nur im Saargebiet ſelbſt erfolgen und läßt ſich bis
zum 1. September d. J. keinesfalls bewerkſtelligen.
Schon dieſe Angaben laſſen erkennen, wie groß der Kreis der Aufgaben iſt,
welche die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion zu erledigen hat.
9
— 120 —
Dieſe Aufgaben ergeben ſich zum großen Teil unmittelbar aus der durch den Friedens:
vertrag vorgeſehenen Übergabe der Kohlengruben an Frankreich. Mit Rückſicht
hierauf ſcheint es mir durchaus dem Geiſte des Friedensvertrags zu entſprechen,
wenn die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion bis zur Erledigung
ihrer Aufgaben im Saargebiet verbleibt. Eine vorzeitige Verlegung der Abwicklungs⸗
ſtelle an einen Ort außerhalb des Saargebiets würde der Preußiſchen Bergverwaltung
die Erfüllung der im Friedensvertrag begründeten Verpflichtungen mindeſtens in hohem
Maße erſchweren, wenn nicht unmöglich machen. Vorteile würden ſich aus einer
ſolchen Verlegung für niemand ergeben, ſondern nur Nachteile, und zwar, wie geſagt,
nicht nur für den Preußiſchen Staat, ſondern auch für die franzöſiſche Gruben-
verwaltung und namentlich für die Bevölkerung des Saargebiets ſelbſt, da ein großer
Teil der Aufgaben der Abwicklungsſtelle ausſchließlich im Intereſſe dieſer Bevölkerung
liegt, z. B. die Bergſchädenangelegenheiten. Ich will ſchließlich nicht' unterlaſſen
darauf hinzuweiſen, daß bei den Beſprechungen, die vom 11. bis 13. Auguſt 1919
zwiſchen Vertretern Deutſchlands und Frankreichs in Saarbrücken ſtattgefunden haben,
den deutſchen Vertretern von den franzöſiſchen Beauftragten die ungeſtörte Erledigung
der Abwicklungsgeſchäfte, namentlich der Bergſchädenprozeſſe, ausdrücklich zugeſagt
worden iſt.
Die vorſtehenden Ausführungen werden, wie ich hoffe, die Regierungskommiſſion
für das Saargebiet davon überzeugen, daß kein Grund vorliegt, die Deutſche Berg⸗
werkskommiſſion und die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion früher
aus Saarbrücken zurückzuziehen, als es nach dem Stande ihrer Arbeiten möglich iſt.
Ich bitte die Regierungskommiſſion, ſich damit einverſtanden erklären zu wollen, daß
die beiden Stellen bis zur Erledigung ihrer Geſchäfte, die mit Anſpannung aller
Kräfte betrieben wird und betrieben werden ſoll, in Saarbrücken verbleiben. |
Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung. |
gez. Simons.
An
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
Nr. 79.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion
des Saargebiets vom 4. Auguſt 1920.
Auswärtiges Amt. Berlin, den 4. Auguſt 1920.
Nr. II S. G. 1022.
Herr Staatsrat!
In Ergänzung meines Schreibens vom 24. Juli beehre ich mich Ihnen mit⸗
zuteilen, daß bereits in den Verhandlungen, die vom 23. bis 27. Juli 1919 in Saar⸗
brücken zwiſchen Vertretern der Deutſchen und Franzöſiſchen Regierung ſtattfanden,
von deutſcher Seite darauf hingewieſen wurde, daß die Einrichtung deutſcher Stellen
in Saarbrücken zur Abwicklung der Geſchäfte unerläßlich ſei. Die Vertreter der
Franzöſiſchen Regierung ſchloſſen ſich dieſer Anſicht an; dementſprechend wurde in den
»Ergebniſſen der Beſprechungen zwiſchen deutſchen und franzöſiſchen Beauftragten
über die Übergabe der Saargruben« in Punkt 22 folgendes feſtgeſtellt: »Es beſteht
Übereinftimmung, daß die preußiſche Verwaltung bzw. das Deutſche Reich zur Fort—
.
ſetzung der Übergabegefchäfte, insbeſondere zur Übertragung des Bergwerkseigentums,
Ankauf der Privatgruben und Grubenfelder, Bewertung des Eigentums, Fortführung
der laufenden preußiſchen Angelegenheiten, wie Bergſchäden, Forderungen uſw., eine
Kommiſſion zurückläßt, der im Bergwerksdirektionsgebäude Räume zur Verfügung
geſtellt und Erleichterungen im Verkehr und bei ihren Arbeiten gewährt werden.«
Bei den ſpäteren Verhandlungen im Auguſt 1919 haben die franzöſiſchen Beauf—
tragten gegen dieſen Punkt keinen Widerſpruch erhoben.
Aus dieſer Mitteilung geht hervor, daß die franzöſiſchen Sachverſtändigen die
Notwendigkeit, in Saarbrücken deutſche oder preußiſche Abwicklungsſtellen zurück—
zulaſſen, vollauf anerkannt haben.
Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. von Haniel.
An
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
| Hochwohlgeboren, ;
Saarbrücken.
Nr. 80.
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche
Regierung vom 14. Auguſt 1920.
(berſetzung.)
e 5 ee Saarbrücken, den 14. Auguſt 1920.
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets,
an
den Herrn Miniſter des Auswärtigen,
Berlin.
Herr Miniſter!
Ich habe die Ehre, den Empfang Ihres Schreibens vom 24. Juli zu beſtätigen.
Nachdem ich die Gründe, die Sie mir vorgetragen haben, reiflich überdacht habe,
ſcheint es mir, daß ſchwere Bedenken dagegen beſtehen würden, das Perſonal der
»Deutſchen Bergwerkskommiſſion« und der »Preußiſchen Abwicklungsſtelle« noch
länger im Saargebiet bleiben zu laſſen.
Ich bin demnach zu meinem großen Bedauern gezwungen, meine frühere Ent—
* aufrechtzuerhalten, Herrn Fuchs aufzufordern, mit allen ſeinen Mitarbeitern
8 Saargebiet zum 1. September d. J. zu verlaſſen.
Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
gez. V. Rault.
122
Nr. 81.
Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Vor⸗
ſitzenden der Deutſchen Bergwerkskommiſſion Saarbrücken
vom 14. Auguſt 1920.
(Aberſetzung.)
Wer ee Saarbrücken, den 14. August 1920.
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
9
Herrn Fuchs, Vorſitzenden a Deutſchen Bergwerkskommiſſion,
Saarbrücken.
In Beantwortung Ihres Schreibens vom 10. Auguſt beehre ich mich, Ihnen
mitzuteilen, daß ich bei dem Entſchluß, den abzuändern der Herr cee des
Auswärtigen mich gebeten hatte, verbleiben muß.
Infolgedeſſen werden ſämtliche Beamten der Deutſchen Bergwerkskommiſſion
und der Preußiſchen Abwicklungsſtelle bis zum 1. September ſpäteſtens das Saar⸗
gebiet zu verlaſſen haben.
gez. V. Rault.
Nr. 82.
Note der deutſchen Regierung an die Negteruisgs konne des
Saargebiets vom 28. Auguſt 1920.
Auswärtiges Amt. Berlin, den 28. Auguſt 1920.
Nr. II S. G. 1265. f
Herr Staatsrat!
In Ihrem Schreiben vom 14. Auguſt, Nr. 757, haben Sie mitgeteilt, daß es
Ihnen unmöglich ſei, das Perſonal der »Deutſchen Bergwerkskommiſſion⸗ und der
»Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion« länger im Saargebiet zu
belaſſen.
Sie begründen Ihre Anſicht damit, daß das längere Verbleiben dieſer Stellen
ſchwere Unzuträglichkeiten zur Folge haben würde. Tatſächlich haben ſich aus der
Anweſenheit und der Tätigkeit der beiden Dienſtſtellen im Saargebiet bisher keinerlei
Unzuträglichkeiten ergeben. Nach Lage der Dinge iſt nicht zu erkennen, inwiefern
künftig in dieſem, allſeits befriedigenden Zuſtand eine Anderung zu befürchten wäre.
Durch ihre Maßnahmen werden der Deutſchen und der Preußiſchen Regierung
nicht nur erhebliche Mehrkoſten verurſacht, ſondern es wird ihnen vor allem auch
die Erfüllung der ſich aus dem Friedensvertrag ergebenden Verpflichtungen und die
Wahrnehmung ihrer darin begründeten Rechte erſchwert, wenn nicht unmöglich %
macht; es läßt fich einſtweilen noch nicht überſehen, ob unter dieſen Umſtänden
Weiterführung und Erledigung der umfangreichen Geſchäfte überhaupt noch möglich
ſein wird. Außerdem entſtehen aus Ihrer Maßnahme, wie bereits in dem Schreiben
der Deutſchen Regierung vom 24. Juli dargelegt wurde, nicht nur für die franzöſiſche
Grubenverwaltung, ſondern auch ganz beſonders für die Bevölkerung des Saargebiets
erhebliche Nachteile.
— 123 —
Wenn Sie trotzdem auf der alsbaldigen Zurückziehung der beiden Dienſtſtellen
beſtehen zu müſſen glauben, ſo kann die Deutſche Regierung dieſe Stellungnahme im
beiderſeitigen Intereſſe nur in hohem Maße bedauern; ſie muß mit allem Nachdruck
bagegen Einſpruch erheben und Ihnen, Herr Staatsrat, die volle Verantwortung
für die Folgen überlaſſen. f
(gez.) von Roſenberg.
An
den Präſidenten der Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
Herrn Staatsrat Rault, Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
(Die Note iſt nicht beantwortet worden.)
Nr. 83.
Note der deutſchen Friedensdelegation an die Friedenskonferenz
8 vom 2. September 1920.
Deutſche Friedensdelegation.
Nr. 355.
Herr Präſident!
Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich, Eurer Exzellenz folgendes mit—
zuteilen:
Im November 1919 hat die Deutſche Regierung eine Kommiſſion unter der Be—
zeichnung »Deutſche Bergwerkskommiſſion« in Saarbrücken eingeſetzt, um die Kohlen—
gruben des Saargebiets der franzöſiſchen Regierung ordnungsgemäß zu übergeben
und die damit in Zuſammenhang ſtehenden Fragen zu regeln. Die Einſetzung dieſer
Kommiſſion iſt der Friedenskonferenz mit der Note Nr. 51 vom 23. November 1919
angezeigt, auch iſt ihr ſpäterhin von jedem Perſonalwechſel in der Bergwerkskommiſſion
amtlich Kenntnis gegeben worden. Auf Antrag der Deutſchen Regierung haben
ſeinerzeit die zuſtändigen Militärbehörden der Deutſchen Bergwerkskommiſſion in
Anerkennung ihrer amtlichen Eigenſchaft Zenſurfreiheit für den dienſtlichen Verkehr
mit der deutſchen Regierung zugebilligt.
Nachdem mit Inkrafttreten des Friedensvertrags die bisherige deutſche Verwaltung
der Saarkohlengruben zu beſtehen aufgehört hatte, hat die Preußiſche Regierung,
entſprechend den Abmachungen mit den Vertretern der franzöſiſchen Regierung, zur
Erledigung der zahlreichen, dem preußiſchen Bergfiskus im Saargebiet noch obliegenden
Aufgaben ihrerſeits auch eine Preußiſche Dienſtſtelle mit der Bezeichnung »Abwicklungs—
ſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion« in Saarbrücken eingerichtet, deren Perſonal
indes zum Teil dasſelbe iſt wie das der Deutſchen Bergwerkskommiſſion.
Als die Deutſche Regierung im Mai d. J. die Regierungskommiſſion für das
Saargebiet erſuchte, der genannten Abwicklungsſtelle die gleichen Vergünſtigungen zu
ge wie fie die Deutſche Bergwerkskommiſſion beſitzt, beantwortete der Präſident
er Regierungskommiſſion dieſes Erſuchen damit, daß er die Zurückziehung des ge—
ſamten Perſonals beider Dienſtſtellen aus dem Saar zebiet bis zum 1. September d. J.
verlangte. Er hat dies Verlangen trotz der wiederholten, dringenden Vorſte llungen
der deutſchen Negierung aufrechterhalten.
Aus dem beigefügten Schriftwechſel!) mit der Regierungskommiſſion bittet die
Deutſche Regierung entnehmen zu wollen, daß durch dieſe Maßnahme der deutſ chen
wie der preußiſchen Regierung die Erfüllung der ſich aus dem Friedensvertrag er—
Paris, den 2. September 1920.
) Der Note waren die unter Nr. 73, 74, 78, 79 und 80 wiedergegebenen Noten beigefügt.
en
gebenden Verpflichtungen und die Wahrnehmung ihrer darin begründeten Rechte in
hohem Maße erſchwert, wenn nicht überhaupt unmöglich gemacht wird, daß außer⸗
dem die franzöſiſche Grubenverwaltung und ganz beſonders auch die Bevölkerung des
Saargebiets durch die verlangte Zurückziehung der beiden Dienſtſtellen auf das
empfindlichſte benachteiligt wird.
Die Deutſche Regierung erhebt gegen die Verfügung des Präſidenten der
Regierungskommiſſion, für deren zur Zeit noch nicht zu überſehende Folgen ſie dieſem
die volle Verantwortung überlaſſen muß, nachdrücklichſt Einſpruch und wäre dankbar,
wenn die Friedenskonferenz ſich bei dem Präſidenten der Regierungskommiſſion dafür
verwenden wollte, daß die genannten beiden Dienſtſtellen bis zur Erledigung ihrer
Geſchäfte in Saarbrücken verbleiben. |
Genehmigen Sie, Herr Präſident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hoch⸗
achtung). | |
| gez. v. Mutius.
Seiner Exzellenz dem Herrn Präſidenten der Friedenskonferenz.
Nr. 84.
Note des Botſchafterrats an die deutſche Friedensdelegation vom
4. Oktober 1920.
(Aberſetzung.)
Botſchafterrat. | Paris, den 4. Oktober 1920.
Der Präſident. 5
Herr Präſident!
Unter dem 2. September haben Sie dem Botſchafterrat eine Note der deutſchen
Regierung übermittelt, worin gegen den Beſchluß der Regierungskommiſſion des Saar⸗
beckengebiets Einſpruch erhoben wird, durch den das Perſonal der Abwicklungsſtelle
der Preußiſchen Bergwerksdirektion ſowie das Perſonal der Deutſchen Bergwerks⸗
kommiſſion zum Verlaſſen des Saargebiets aufgefordert worden ſind.
Die deutſche Regierung hat den Botſchafterrat erſucht, bei dem Präſidenten der
Regierungskommiſſion vorſtellig zu werden, damit dieſe beiden Stellen ermächtigt
werden, bis zur Erledigung ihrer Aufgabe im Saargebiet zu bleiben.
Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß der Botſchafterrat ſich nicht in der Lage
ſieht, dieſem Antrag irgendwelche Folge zu geben; die Regierungskommiſſion des
Saargebiets unterſteht nur dem Rat des Völkerbundes; der Völkerbundsrat iſt alſo
die alleinige Stelle, an den gegebenenfalls der Antrag, den Sie mir übermittelt haben,
gerichtet werden muß.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
(Unterſchrift.)
An
den Herrn Präſidenten
der deutſchen Delegation.
1) Eine gleichlautende Note iſt durch die deutſche Botſchaft in London an den Voͤlkerbund ge
richtet worden; fie iſt unbeantwortet geblieben. .
Nr. 85.
Bemerkungen über die weitere Entwicklung.
Beide Dienſtſtellen wurden im September 1920 nach Bad Kreuznach verlegt
mit der Weiſung, zu verſuchen, ihre Dienſtgeſchäfte von dort weiterzuführen, ſo gut
es ginge.
Am 13. Dezember 1920 berichtete der Vorſitzende der Abwickelungsſtelle der
Preußiſchen Bergwerksdirektion aus Bad Kreuznach:
In
»Der Kreisdelegierte für Kreuznach, Colonel Clanet, hat uns durch
Entſendung eines Vertreters mitteilen laſſen, daß der interalliierte Ausſchuß
in Coblenz uns keine Ermächtigung zur Niederlaſſung in Kreuznach erteilt
und überhaupt von unſerem Aufenthalt in Kreuznach amtlich keinerlei
Kenntnis erhalten habe.«
einem weiteren Bericht vom 13. Januar 1921 heißt es:
»Der Unterzeichnete wurde durch Vermittelung des Herrn Landrats
zur Einreichung von Verzeichniſſen über die einzelnen, den Kommiſſionen
angehörenden Perſonen, entſprechend den Verordnungen Nr. 29 und 54 der
interalliierten Kommiſſion, betr. deutſche Beamte, vom 13. Juli 1920 und
vom 20. Oktober 1920, veranlaßt; insbeſondere wurde, wie ſich bei einer
ur möglichſt ſchnellen Klärung erbetenen Unterredung mit dem Herrn Kreis—
elegierten herausſtellte, beſonderer Wert darauf gelegt, zu erfahren, aus
welchen Gründen die einzelnen Perſonen das Saargebiet hatten verlaſſen
müſſen.
Mündlich und ſchriftlich wurde darauf die folgende Erklärung ab—
gegeben:
1. Allgemeines:
Die Deutſche Bergwerkskommiſſion und die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen
Bergwerksdirektion mußten auf Anordnung des Herrn Präſidenten der Re—
gierungskommiſſion für das Saargebiet dieſes bis zum 1. September ver—
laſſen. Die zu ihnen gehörigen Beamten und Angeſtellten ſiedelten daher
zu dieſem Zeitpunkt mit den beiden genannten Stellen nach Kreuznach über.
Die Einrichtung der Büros nahm noch etwa 2 Wochen in Anſpruch. Der
Dienſtantritt der einzelnen Beamten erfolgte daher nach und nach zu den
weiter in der entſprechenden Spalte angegebenen Zeitpunkten. Inzwiſchen
waren die Beamten zu ihren Familien beurlaubt. Die Angabe über die
Anmeldung an dem neuen Wohnorte und über den Dienſtantritt ſind auf
Grund der Erinnerung der Beamten gemacht. Wir werden die Angaben
noch bei den zuſtändigen Meldeſtellen nachprüfen laſſen und etwaige Ab—
weichungen, die ſich dabei ergeben, nachträglich ſofort mitteilen.
2. Im beſonderen: ... (folgen Angaben über die einzelnen Beamten) ...
Darauf erfolgte am 8. d. M. auf Befehl des Herrn Kreisdelegierten
die Aufforderung, die Identitätskarten bzw. Perſonalausweiſe des geſamten
Perſonals der Kommiſſionen dem Herrn Spezialkommiſſar hier abzugeben.
Abgeſehen davon, daß dem Unterzeichneten die Möglichkeit zum Antritt einer
dienſtlichen Reiſe in Berufsgenoſſenſchaftsangelegenheiten nach dem unbe—
ſetzten Gebiete für die nächſten Tage heute mündlich zugeſagt wurde, ſind
die Ausweiſe noch nicht zurückgegeben. Den Beamten und Angeſtellten iſt
dadurch jede Bewegungsmöglichkeit außerhalb des Ortes genommen, und da—
durch ſowie überhaupt durch die verſchiedenen von dem Herrn Kreisdelegierten
unternommenen Schritte ſind ſie zum Teil in eine begreifliche Unruhe geraten.«
Am 19. Januar 1921 teilte der mit der Erledigung der Angelegenheit beauftragte
Reichskommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete mit, die Rheinlandkommiſſion
ſei mit dem Kreisdelegierten in Kreuznach in Verbindung getreten, um zu prüfen, ob
126
gegen ein Verbleiben der beiden Bergwerksverwaltungen im Hinblick auf die für die
Unterbringung der Beſatzungstruppen in Kreuznach beſtehenden Schwierigkeiten
Bedenken beſtünden.
Am 3. Februar 1921 berichtete der Vorſitzende der Abwicklungsſtelle der
Preußiſchen Bergwerksdirektion: ft SE
Bei einer Unterredung mit dem Herrn Kreisdelegierten teilte dieſer dem
Unterzeichneten mit, daß die interalliierte Kommiſſion die zunächſt nur bis
zum 15. Februar vorgeſehene Erlaubnis über das Verbleiben der Deutſchen
Bergwerkskommiſſion und der Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerks⸗
direktion in Kreuznach bis zum 30. April d. J. verlängert habe, alſo bis zu
dem äußerſten Zeitpunkte, der von uns ſelbſt vorgeſehen war. |
An Stelle der abgegebenen Perſonalausweiſe ſollen ſämtlichen Beamten
ſogleich neue Ausweiſe, jedoch nur mit Gültigkeit für das beſetzte Gebiet,
ausgeſtellt werden. Für Reiſen nach dem Saargebiet wäre in jedem Falle
beſondere Genehmigung einzuholen. Auf die Bitte des Unterzeichneten, daß
beſonders im Intereſſe derjenigen Beamten und Angeſtellten, die noch ihre
Familie im Saargebiet haben, eine möglichſt vereinfachte Erwirkung der
Einreiſeerlaubnis ermöglicht werden möge, erklärte der Herr Kreisdelegierte,
daß die entſprechenden Anträge ihm unmittelbar, aber für jeden einzelnen
Fall, vorgelegt werden ſollten. Br
Damit ift unſeres Erachtens wohl alles erreicht, was nach Lage der
Verhältniſſe erreicht werden kann.
Der Vorſitzende der beiden Dienſtſtellen, Geheimer Oberbergrat Fuchs, hatte
inzwiſchen, um die ihm in ſeiner Eigenſchaft als Vorſitzenden des Vorſtandes der
Sektion I der Knappſchaftsberufsgenoſſenſchaft obliegenden Geſchafte, die ſeine perſön⸗
liche Anweſenheit in Saarbrücken nötig machten, erledigen zu können, die Genehmigung
für die Einreiſe in das Saargebiet nachgeſucht. Die oberſte Polizeiverwaltung in
Saarbrücken hatte die Einreiſe zunächſt geſtattet, einen ſpäteren Antrag jedoch zwei⸗—
mal — mit Schreiben vom 28. Oktober und 4. November 1920 — abgelehnt mit
der Begründung, daß die Anweſenheit des Geheimen Oberbergrats Fuchs zur Er
ledigung von Dienſtgeſchäften in Saarbrücken nicht erforderlich ſei. Der Geheime
Oberbergrat Fuchs wandte ſich hierauf mit eiuem Schreiben vom 11. November 1920
an den Präſidenten der Regierungskommiſſion und bat um eine Dauererlaubnis zur
Einreiſe nach Saarbrücken, wobei er ſich erbot, in jedem einzelnen Falle ſeiner An⸗
weſenheit in Saarbrücken, die auf die dringendſten Fälle beſchränkt werden ſolle, der
dortigen oberſten Polizeiverwaltung Kenntnis zu geben. Eine Antwort hierauf er⸗
folgte nicht. Auf eine erneute Anfrage vom 15. Dezember 1920 ging folgende,
vom 6. Januar 1921 datierte Antwort des Präſidenten der Regierungskommiſion ein:
Auf Ihr Schreiben vom 15. Dezember v. J. teile ich Ihnen nach
Prüfung der Verhältniſſe ergebenſt mit, daß ich keine Veranlaſſung gefunden
habe, die ablehnende Stellungnahme der oberſten Polizeiverwaltung zu Ihrer
Einreiſe in das Saargebiet abzuändern.
Ich kann daher Ihrem Erſuchen auf Erteilung der Einreiſe in das
Saargebiet nicht entſprechen und ſtelle Ihnen deshalb anheim, die mit der
Knappſchaftsberufsgenoſſenſchaft im Intereſſe der Verſicherten zu tätigenden
Angelegenheiten auf ſchriftlichem Wege zur Erledigung zu bringen.
Der Fortgang der Angelegenheit iſt aus nachſtehendem Schriftwechſel erſichtlich:
a) Schreiben des Reichs kommiſſars für die beſetzten rheiniſchen Gebiete
an den franzöſiſchen Oberkommiſſar bei der interalliierten Rheinland-
kommiſſion vom 24. März 1921.
»Im Nachgang zu meinem Schreiben vom 4. Februar 1921 — J. 492 — und
unter Bezugnahme auf das dortige Schreiben vom 12. Januar 1921 — Nr. 2068 —
beehre ich mich mitzuteilen, daß die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerks—
5
direktion in Saarbrücken, die Ende Auguſt v. J. auf Anordnung der Regierungs—
kommiſſion in Saarbrücken das Saargebiet verlaſſen mußte und ihren Sitz bis Ende
April in Kreuznach genommen hat, am 1. Mai 1921 nach Bonn verlegt wird und
dort als ſelbſtändige Stelle in den Geſchäftsräumen des Oberbergamts ihre Abwick—
lungsarbeiten fortſetzen wird. Späterhin iſt die Auflöſung der Stelle unter Über—
tragung der noch verbleibenden Gefchäfte an das Oberbergamt in Ausſicht genommen.
Die Bergwerksdirektion hat noch eine große Anzahl von Arbeiten zu erledigen,
insbeſondere die Bergſchäden abzuwickeln. Aber auch ſonſtige Auseinanderſetzungen,
insbeſondere ſolche mit gewiſſen Unternehmern und Lieferern über Leiſtungen in der
Zeit vor der Ratifikation des Friedeusvertrags, ſtehen noch aus und laſſen zum
Teil ſogar noch neue Prozeſſe erwarten. Nach dem Friedensvertrag iſt das Eigentum
an den Saargruben frei von allen Laſten und Schulden auf den franzöſiſchen
Staat übergegangen; demzufolge liegt die Abwicklung aller dieſer Verbindlichkeiten
des umfangreichen ehemals preußiſchen Grubenbeſitzes, auf dem rund 50 000 Berg—
arbeiter beſchäftigt waren, nach dem Friedensvertrag den alten preußiſchen beziehungs—
weiſe deutſchen Behörden ob.
Folgende Umſtände haben eine weitere Verzögerung der Abwicklungsarbeiten
herbeigeführt:
Während bis Ende 1920 gewiſſe Verhandlungen wenigſtens durch die Bau—
beamten und durch den Juſtitiar der Bergwerksdirektion an Ort und Stelle geführt
werden konnten, entfiel dieſe Möglichkeit mit der Einziehung der Saarpäſſe der
Beamten anfangs Januar 1921. Seit dieſem Zeitpunkte konnten Reiſen in das
Saargebiet zur Prüfung von Bergſchädenangelegenheiten und zu Verhandlungen über
die Beilegung der Bergſchädenprozeſſe (zur Zeit noch etwa 34 Stück) überhaupt nicht
mehr geführt werden. N
Eine weitere Verzögerung erfuhren die Abwicklungsgeſchäfte durch die Maß—
nahmen der franzöſiſchen Bergverwaltung in Saarbrücken, die keinen unmittelbaren
Schriftverkehr mit den örtlichen Abwicklungsſtellen auf den einzelnen Berginſpektionen
mehr geſtattete. Dieſe bereits ſeit Herbſt 1920 beſtehenden Maßnahmen führen dazu,
daß jedes Schriftſtück auf dem Hin⸗ und Rückwege zunächſt bei mindeſtens zwei fran—
zöſiſchen Dienſtſtellen durchläuft, bevor es in die Hände des Empfängers gelangt.
So entſteht für jedes Schreiben eine Verzögerung von mindeſtens einer Woche, nicht
ſelten aber auch eine ſolche von mehreren Wochen.
Dazu kommt weiter, daß ſtändig, und zwar bis in die letzten Tage hinein,
immer noch neue Bergſchädenanſprüche gegen den preußiſchen Bergfiskus geltend ge—
macht und der Bergwerksdirektion teils unmittelbar von den Geſchädigten, teils durch
die franzöſiſche Bergverwaltung zur Erledigung vorgelegt werden.
Für die Abwicklungsſtelle in Bonn kommen folgende Beamte in Frage:
Bere ene re re eee
Ich bitte mir zu betätigen, daß gegen die demnächſtige Niederlaſſung der Ab—
wickelungsſtelle in Bonn von der in Ausſicht genommenen Zeit an und in dem be—
abſichtigten Umfange keine Bedenken beſtehen.«
b) Schreiben des franzöſiſchen Oberkommiſſars bei der interalliierten
Rheinlandkommiſſion an den Reichskommiſſar für die beſetzten rhei—
a niſchen Gebiete vom 31. März 1921.
»In Beantwortung Ihres Schreibens vom 24. März 1921 — Nr. I. 1601 —
beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß ich keinerlei beſonderen Grund erkenne, der
die Verlegung der Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion des Saargebiets
in eine Stadt der beſetzten Gebiete, insbeſondere nach Bonn, rechtfertigen könnte, wo
ſowohl die Univerſitätszugehörigen wie auch die Beſatzungstruppen bereits den größten
Schwierigkeiten begegnen, um Unterkommen zu finden.
renne Di RAD u . aer ee N
ae a nn A et a a We ge ah Bl rn ee N 1 ea,
ER 5 8 * RE 1 , f
* *
— 128 —
Dieſe Dienſtſtelle wäre viel beſſer in einer Stadt am Platze, die außerhalb der
beſetzten Gebiete, etwa in Frankfurt, gelegen iſt, und ich bitte Sie, e
ihre Verlegung ins Auge zu faſſen.«
e) Schreiben des Reichskommiſſars für die beſetzten rheiniſchen Gebiete
an den franzöſiſchen Oberkommiſſar bei der interalliierten Rhein—
landkommiſſion vom 18. April 1921.
»Auf das gefällige Schreiben vom 31. März 1921, Nr. 4718 B. M., beehre
ich mich mitzuteilen, daß die Preußiſche Bergwerksdirektion in Kreuznach ſich mit dem
in franzöſiſcher Überfegung anliegenden Schreiben vom 2. April 1921) an den Herrn
Generaldirektor der Saargruben in Saarbrücken gewandt und ihn gebeten hat,
namens der franzöſiſchen Saarbergverwaltung zu beſtätigen, daß auch dieſe Ver⸗
waltung es für wünſchenswert erachtet, daß die Abwicklungsſtelle ihre Tätigkeit vom
1. Mai d. J. ab in Bonn fortſetzt. In dem Schreiben find die Gründe für eine
Verlegung nach Bonn nochmals eingehend dargelegt. Daraufhin hat der General⸗
direktor der Saargruben mit dem in Abſchrift beiliegenden Schreiben vom 5. d. M.,
7548 D. M.), geantwortet, in dem er die angegebenen Gründe für eine Verlegung
der Abwicklungsſtelle nach Bonn und für einen gewiſſen Anſchluß an das Oberberg⸗
amt daſelbſt würdigt und ausdrücklich erklärt, daß eine ſchnelle und ſachgemäße Ab⸗
wicklung der der Bergwerksdirektion obliegenden Arbeiten auch von Intereſſe für die
franzöſiſche Bergverwaltung iſt.
Zur Vermeidung von Mißverſtändniſſen weiſe ich nochmals darauf hin, daß die
Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion Saarbrücken lediglich mit den⸗
jenigen Geſchäften betraut iſt, die ſich aus dem ſchulden- und laſtfreien Übergang
der Saargruben auf den franzöſiſchen Staat ergeben. Es ſind alſo reine Liquidations⸗
maßnahmen, wie ſie auch jedem Privatem unter gleichen Verhältniſſen obliegen
würden. Die Tätigkeit der Bergwerksdirektion beſchränkt ſich auf dieſe Arbeiten im
Gegenſatz zu der Tätigkeit der ſich nunmehr völlig auflöſenden Deutſchen Bergwerks⸗
kommiſſion (früher in Saarbrücken, jetzt auch in Kreuznach), die mit der Übergabe
der Saargruben an den franzöſiſchen Staat und den damit zuſammenhängenden
Geſchäften vertraut war.
Was die Wohnungsfrage in Bonn betrifft, ſo dürften hieraus Schwierigkeiten
nicht entſtehen, da es ſich nur um die Beſchaffung möblierter Zimmer für 13 Per⸗
ſonen handelt, welche nach den beim Wohnungsamt Bonn von der Bergwerksdirektion
eingezogenen Erkundigungen nicht auf Schwierigkeiten ſtoßen würde, während auf
die Beſchaffung von Familienwohnungen unter den beſtehenden Verhältniſſen ver⸗
zichtet werden muß. Ich bitte daher die Frage erneut zu prüfen und gegen die
Verlegung der Bergwerksdirektion nach Bonn keine Bedenken mehr zu erheben. Falls
ſolche noch beſtehen ſollten, bitte ich einer mündlichen Beſprechung der Angelegenheit
unter Beteiligung des Leiters der Bergwerksdirektion zuzuſtimmen.«
d. Schreiben des franzöſiſchen Oberkommiſſars bei der interalliierten
Rheinlandkommiſſion an den Reichskommiſſar für die beſetzten rheini⸗
ſchen Gebiete vom 26. April 1921.
»In Beantwortung ihres Schreibens vom 18. April 1921 — Nr. I 1856 —
beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß ich keinen Widerſpruch dagegen erhebe, daß
das übrigbleibende Perſonal der Bergwerksdirektion ſich in Bonn niederläßt, nach⸗
dem mir mitgeteilt iſt, daß es beſtimmt beſchränkt ſein wird auf 13 Beamte und
Angeſtellte, deren Lifte Sie mir überſandt haben, und zwar ohne ihre Familien, fo
wie es in . vorerwähnten Schreiben vorgeſehen iſt.« |
0 Von einer Wiedergabe dieſes Schreibens iſt hier Abſtand genommen.
X.
Franzöſiſche Truppen, franzöſiſche Kriegsgerichte,
franzöſiſche Gendarmerie.
Nr. 86.
Die einſchlägigen Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles.
Teil III, Abſchnitt IV, Anlage zu Artikel 45 bis 50, Kapitel II.
8 23.
Die Geſetze und Verordnungen, die im Saarbeckengebiet am 11. November 1918
in Kraft waren, bleiben (abgeſehen von den mit Rückſicht auf den Kriegszuſtand ge—
troffenen Beſtimmungen) in Kraft.
Sollten aus allgemeinen Geſichtspunkten oder um dieſe Geſetze und Verordnungen
mit den Beſtimmungen des gegenwärtigen Vertrags in Einklang zu bringen, Anderungen
nötig werden, ſo werden dieſe durch die Regierungskommiſſion nach Außerung der
gewählten Vertreter der Bevölkerung beſchloſſen und eingeführt. Über die Form der
Einholung dieſer Außerung entſcheidet die Kommiſſion.
§ 25.
Die im Saarbeckengebiet beſtehenden Zivil- und Strafgerichte werden beibehalten.
Von der Regierungskommiſſion wird ein Gerichtshof für Zivil- und Straffachen
eingeſetzt, der die Berufungsinſtanz für die vorerwähnten Gerichte zu bilden und auf
den ſachlichen Gebieten zu entſcheiden hat, für die dieſe Gerichte nicht zuſtändig ſind.
Innere Verfaſſung und Zuſtändigkeit dieſes Gerichtshofs werden von der
Regierungskommiſſion geregelt.
Die gerichtlichen Entſcheidungen ergehen im Namen der Regierungskommiſſion.
8 30.
Im Saarbeckengebiet beſteht weder allgemeine Wehrpflicht noch freiwilliger Heeres—
dienſt; die Anlage von Befeſtigungen iſt verboten.
Es wird nur eine örtliche Gendarmerie zur Aufrechterhaltung der Ordnung
eingerichtet.
Der Regierungskommiſſion liegt es ob, in allen eintretenden Fällen für den
Schutz der Perſon und des Eigentums im Saarbeckengebiet zu ſorgen.
Nr. 87.
Erklärungen des Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saar:
gebiets an die Vorſtände der politiſchen Parteien über Truppen,
Kriegsgerichte, Belagerungszuſtand uſw. Ende März 1920.
Zeitungsbericht:
Den Vorſtänden der politiſchen Parteien des Saargebiets gab Präſident Rault,
nachdem die Parteien ihren Standpunkt auf politiſchem und wirtſchaftlichem Gebiet
dargelegt hatten, u. a. folgende Erklärungen ab: Die oberſte Militärbehörde hat als
. im Saargebiet aufgehört zu exiſtieren, desgleichen die Militärverwaltung in
en Kreiſen Die franzöſiſchen Truppen bleiben, jedoch nicht als Beſatzungs.,
ſondern als Sicherheitstruppe, ſolange die zu gründende ſaarländiſche Polizeitruppe
von 3000 Mann noch nicht eingerichtet iſt. Die Kriegsgerichte beſtehen nur noch
zur Aburteilung von Vergehen der franzöſiſchen Militärperſonen. Sollten im Saar—
gebiet Unruhen eintreten, ſo würde von jetzt ab der Belagerungszuſtand nach deutſchem
Recht gehandhabt werden..
7807
Nr. 88.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗
bundsrat vom 25. März 1920.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 3, Seite 103 f.)
(berſetzung.)
Einführung liberaler Maßnahmen.
Zu gleicher Zeit, in der die Regierungskommiſſion die Militärverwaltung durch
eine Zivilverwaltung erſetzte, gab ſie dem Land die öffentlichen Freiheiten wieder. Es
wäre ſehr bedenklich geweſen, ohne Übergang von einem Beſatzungsregime mit allen
den Härten, die es mit ſich bringt, in ein wah haft demokratiſches Regime, das zu
errichten die Kommiſſion entſchloſſen iſt, überzugehen. Wenige Tage, nachdem die
Kommiſſion von der Gewalt Beſitz ergriffen hatte, hat fie die vollkommene Verfehrs-
freiheit innerhalb des Gebiets wiederhergeſtellt, die Kontrolle auf den Bahnhöfen be⸗
ſeitigt (ausgenommen die Grenzbahnhofe) und die Poſtkontrolle aufgehoben. Sie
bereitet ſich vor, die vollſtändige Freiheit der Preſſe und das Verfammlungsr ht
wiederherzuſtellen. Wenn fie in der Theorie die Vorſichtsmaßnahmen aufrechterhalten
hat, die in dieſer Beziehung die Militärbehörden getroffen haben, ſo hat ſie doch
tatfächlich vermieden, auf dieſe Maßnahmen zurückzugreifen. Die militäriſchen Polizei⸗
gerichte ſind aufgehoben worden; in Zukunft wird kein Bewohner des Saargebiets
vor ein Kriegsgericht geſtellt werden. Eine Amneſtieverordnung iſt erlaſſen worden;
ſie betrifft die von den militäriſchen Polizeigerichten ausgeſprochenen Verurteilungen.
Es werden ihr weitere Gnadenmaßnahmen folgen zugunſten der von den deutſchen
Gerichten oder den franzöſiſchen Militärgerichten verurteilten Perſonen.
Beibehaltung der Truppen.
Nach dem Friedensvertrag mit der Aufrechterhaltung der Ordnung im Saar⸗
gebiet beauftragt, iſt die Regierungskommiſſion der Anſicht geweſen, daß ſie bis zur
Errichtung einer örtlichen Gendarmerie die Anweſenheit von Truppen nicht entbehren
könne. Sie hat deshalb die Beibehaltung der franzöſiſchen Truppen beantragt, in⸗
dem fie fo Gebrauch machte von dem Recht, das ihr durch § 30 der Anlage zu Ab-
ſchnitt IV, Teil III des Vertrags von Verſailles übertragen worden iſt, ſo wie dieſe
Beſtimmung in dem von Herrn Caclamanos dem Rat des Völkerbundes vorgelegten
Bericht!“) ausgelegt worden iſt. Aber dieſe Truppen find nicht mehr Beſatzungs
truppen; es ſind Garniſontruppen. 5
„ |
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker:
bundsrat vom 1. Mai 1920. |
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 4, Seite 196.)
(berſetzung.)
Der Zwiſchenfall der »Volksſtimme«).
Trotz ihres Wunſches, wieder zu einem Regime der Freiheit und Geſetzmäßigkeit
zu gelangen, iſt die Regierungskommiſſion genötigt geweſen, keine Einwendungen da-
gegen zu erheben, daß die franzöſiſche Militärbehörde die Verfolgung eines Journa⸗
liſten einleitete. Die beionderen Schwierigkeiten, denen fie ſich in dieſem Falle gegen-
über befand, bedürfen einer näheren Darlegung. |
Die fozialiftifche Zeitung »Volksſtimme« hat am 14. April einen heftigen Artikel
veröffentlicht, in dem die franzöſiſche Armee ſchwer beleidigt wurde. Der fomman-
) Vgl. Nr. 33.
2) Vgl. hierzu die folgende Nummer.
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dierende General der im Saargebiet garniſonierenden Truppen hat bei der Kommiſſion
angefragt, ob fie keine politiſchen Bedenken darin ſehe, daß er eine kriegsgerichtliche
Verfolgung gegen den verantwortlichen Redakteur dieſes Blattes einleite.
Auf eine ſo geſtellte Frage und bei dem gegenwärtigen Zuſtand der Rechts—
pflege in dem Gebiet konnte die Kommiſſion nur in einem den Abſichten des Generals
entſprechenden Sinne antworten. Nachdem ſie dem ſchuldigen Journaliſten eine
Gelegenheit zum Widerruf ſeines Artikels gegeben hatte und angeſichts ſeiner unnach—
iebigen Haltung beſchloß fie einſtimmig, dem Kommandanten der Truppen mitzuteilen,
aß ſie in politiſcher Beziehung keinerlei Bedenken darin erblicke, daß er dieſer An—
gelegenheit die Folge gebe, die ihm für die Wahrung der ihm anvertrauten Intereſſen
zweckmäßig erſcheine.
| Indem die Kommiſſion dieſen Beſchluß faßte, deſſen Folgen fie nicht verkannte,
trug ſie zweierlei Erwägungen Rechnung. Die Beibehaltung der mit der Aufrecht—
erhaltung der Ordnung betrauten Truppen iſt beim Fehlen jeder örtlichen Gendarmerie
unerläßlich für den Schutz von Perſon und Eigentum. Dieſe Beibehaltung iſt durch
§ 30 der Anlage zu Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensvertrags gerechtfertigt.
Solange als die Anweſenheit dieſer Truppen der Kommiſſion erforderlich erſcheinen
wird, hat ſie die unbedingte Pflicht, darüber zu wachen, daß kein Angriff auf das
Preſtige und die Ehre der Truppen unternommen wird. Indem nun die »Volks—
ſtimme« die franzöſiſchen Soldaten beſchuldigte, bei der Beſetzung von Frankfurt
Frauen, Kinder und Greiſe maſſakriert zu haben, ſuchte ſie die Autorität der im
Saargebiet ſtationierten Truppen und ihrer Befehlshaber in Mißkredit zu bringen.
Solche Angriffe unbeſtraft zu laſſen, hätte bedeutet, den Aufenthalt der franzöſiſchen
Truppen im Saarbecken unmöglich zu machen und die Kommiſſion jedes Mittels für
die Wahrung der Sicherheit des Gebiets zu berauben.
Wenn aber gerichtliche Verfolgungen unerläßlich waren, vor welches Gericht
mußte dann der Schuldige geſtellt werden? Trotz all ihrer Bemühungen hat die
Kommiſſion noch nicht den im Friedensvertrag vorgeſehenen Gerichtshof für Zivil—
und Strafſachen errichten können. Die Gerichte des Gebiets ſind noch deutſche Ge—
richte, ſo wie ſie vor dem Waffenſtillſtand beſtanden; die Berufungsinſtanzen befinden
ſich in Köln und Berlin, und über Reviſionen entſcheidet das Reichsgericht in Leipzig.
Wenn das Schöffengericht in Saarbrücken mit dem Fall der »Volksſtimme« be-
faßt worden wäre, ſo wäre unzweifelhaft der Schuldige mit Eklat freigeſprochen
worden, womit eine neue Beleidigung öffentlich den zur Aufrechterhaltung der Ord—
nung im Saargebiet berufenen Truppen angetan worden wäre. Die Regierungs-
kommiſſion wäre außerſtande geweſen, dieſes Urteil revidieren zu laſſen.
So iſt ſie dazu gekommen, der Militärgerichtsbarkeit ihren Lauf zu laſſen.
Wenn fie den Gerichtshof für Zivil- und Strafſachen errichtet und die Gerichte dem
deutſchen Einfluß entzogen haben wird, wenn ſie die Gewißheit haben wird, daß die
mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe betrauten Truppen ebenſo ihr volles
Recht finden wie die Bewohner des Gebiets, wird ſie ſich beeilen, der Ausnahme—
gerichtsbarkeit ein Ende zu bereiten. Sie verkannte keineswegs, daß die gegen die
»Volksſtimme« eingeleiteten Verfolgungen von den im Solde Deutſchlands ſtehenden
Zeitungen und Agitatoren ausgebeutet werden würden; die ihr zufallende Aufgabe,
die Ordnung im Saargebiet aufrechtzuerhalten, erlaubte ihr indes nicht, eine andere
Entſcheidung zu treffen als die, zu der ſie ſich entſchloſſen hat.
Nr. 90.
Mitteilung eines deutſchen Redakteurs über ſeine kriegsgerichtliche
Verfolgung.
Unter meiner redaktionellen Verantwortung waren Mitte April 1920 in der
Saarbrückener »Volksſtimme« anläßlich des Vormarſches der Franzoſen auf Frankfurt a. M.
einige ſcharfe Worte über den franzöſiſchen Militarismus erſchienen. In einem Artikel, in
dem die anläßlich des Kapp⸗Putſches in Deutſchland zum Ausbruch gekommenen zwei
Arten von Militarismus, der deutſchnationale und der kommuniſtiſche, angeprangert
und verächtlich gemacht wurden, wurde als dritter im Bunde der franzöſiſche Mir
tarismus lich zitiere aus dem Gedächtnis) mit den Worten gekennzeichnet: Er beſetzte
mitten im Frieden Frankfurt a. M. uſw., ſchoß zuſammen, was ſich ihm in den Weg
ſtellte, Mann, Weib und Kind und — feierte einen großartigen Triumph!
Zwei oder drei Tage nach dem Erſcheinen dieſes Artikels wurde ich telephoniſch,
ohne Angabe des Grundes, in die Räume der Regierungskommiſſion »gebeten«. Hier
empfing mich, unter Außerachtlaſſung aller Höflichkeitsformen, der däniſche Graf Moltke
in ſeiner Eigenſchaft als Juſtizminiſter. Im Stehen, während der Herr Graf eine
Zigarette ſchmauchte, ſpielte ſich folgende Szene ab: Die Frage, ob ich den be
treffenden Artikel geſchrieben habe, beantwortete ich damit, daß ich die Namhaft⸗
machung des Autors ablehne, jedoch erklärte, ſelbſtverſtändlich die volle Verantwortung
für den Artikel zu übernehmen. Darauf zog Graf Moltke aus einer Mappe ein
Stück Papier hervor und reichte es mir hin mit der Aufforderung, die darauf ab⸗
gedruckte Erklärung, daß ich die über das franzöſiſche Militär geſchriebenen Worte
als unwahr mit dem Ausdruck des tiefſten Bedauerns zurücknehme, mit Namens⸗
unterſchrift an der Spitze der Zeitung zum Abdruck zu bringen. Nach Kenntnis⸗
nahme des Schriftſtückes verſuchte ich in höflichſter Form eine Rechtfertigung, kam
jedoch über die erſten drei Worte nicht hinaus, da mich Graf Moltke in barſcheſter
Tonart anfuhr: »Antworten Sie Ja oder Nein, ſonſt nichts!« Gleichzeitig zog er
die Uhr aus der Taſche und bewilligte mir knappe Minuten Bedenkzeit. Nach noch⸗
maligem Überleſen des Schriftſtücks legte ich dieſes mit einem entſchiedenen »Nein«
auf den Tiſch zurück und empfahl mich. |
Am nächſten Tage begannen franzöſiſche Gendarmerie-Patrouillen nach mir zu
fahnden und ſuchten zu wiederholten Malen die Redaktion, meine Wohnung, das
ſozialdemokratiſche Parteibüro und ſogar mein pfälziſches Elternhaus auf, um mich
zu verhaften. Es gelang mir jedoch, meinen Aufenthalt in Saarbrücken zu verbergen.
Auf Vorſtellungen, die wegen der Ungeſetzlichkeit des Vorgehens der Regierungs⸗
kommiſſion und des franzöſiſchen Militärs unter Hinweis auf die möglichen ſchweren
Erſchütterungen von der ſozialdemokratiſchen Parteileitung bei der Regierungs⸗
kommiſſion erhoben wurden, erklärte dieſe: »Die Regierungskommiſſion erklärt ſich
an dem Fall Scherer für desintereſſiert und überläßt dem Militär freie Handlungs⸗
weiſe und die damit verknüpfte Verantwortung.« Nachdem ich auf dieſe Weiſe als
geborener Saarländer in meiner Heimat für vogelfrei erklärt war, blieb mir nichts
anderes übrig, als mich der Verhaftung durch die Flucht zu entziehen. Wie ich dieſe |
bewerfitelligte, bleibt mein Geheimnis.
Im Mai 1920 wurde ich in Abweſenheit wegen der mir zur Laſt gelegten Ver⸗
fehlung, das franzöſiſche Militär beleidigt zu haben, durch das Saarbrückener Militär⸗
gericht mit einer Strafe von einem Jahr Gefängnis und 3000 Franken Geldſtrafe
belegt, ohne daß irgend jemand von einem Termin etwas erfahren hatte und ohne
daß mein Rechtsbeiſtand davon unterrichtet war. Die weitere Entwicklung der An-
gelegenheit konnte ich nicht mehr lückenlos verfolgen. |
gez. Scherer.
Nr. 91.
Angaben der franzöſiſchen Budgets über die franzöſiſchen Truppen
im Saargebiet.
a) Im Budget für 1920 ſind die Koſten für die franzöſiſchen Truppen im
Saargebiet unter dem Titel »Unterhalt von Beſatzungstruppen im Ausland« mit
enthalten.
©
«
S. 568
1 —
bp) Im Budget für 1921 find dieſe Koſten aus dieſem Titel ausgeſchieden und
als Abſchnitt 2 in das außerordentliche Budget des Kriegsminiſteriums eingeſtellt.
In dem Entwurf des Budgetgeſetzes für 1921 findet ſich darüber folgender Vermerk
(Druckſache Nr. 1523 der franzöfifchen Deputiertenkammer, 12. Legislaturveriode,
ordentliche Seſſion 1920, S. 32): »..... Die Ausgaben für die Beſatzungs—
truppen des Saarbeckens (41 750 000 Fr.), die früher in die Sonderaufſtellung
für den Unterhalt der Beſatzungstruppen eingeſtellt waren .. . .. 4
e) Bericht des Deputierten M. Henry-Pate namens des Finanzausſchuſſes der
Deputiertenkammer über das Budget des Kriegsminiſteriums für 1921 (Druckſache
Nr. 1999 der franzöſiſchen Deputiertenkammer, 2. außerordentliche Seſſion 1920,
m:
(Überſetzung.)
»Zweiter Abſchnitt (des außerordentlichen Budgets):
In Ausführung des Artikels 46 des Vertrags von Verſailles und des Kapitels II der
Anlage zu Teil 3 dieſes Vertrags haben die im Saarbecken ſtationierten Truppen mit dem
Tage des Inkrafttretens des Vertrags (10. Januar 1920) aufgehört »Beſatzungstruppen« zu
ſein; ihre Aufgabe iſt, »unter allen Umſtänden für den Schutz von Perſon und Eigentum im
Saargebiet zu ſorgen« und die »freie Ausbeutung der Gruben« ſicherzuſtellen, gemäß den
Inſtruktionen der den Völkerbund vertretenden Regierungskommiſſion.
Deshalb ſind die Ausgaben für den Unterhalt der Truppen des Saarbeckens nicht
mehr in die »Sonderaufſtellung für den Unterhalt der Beſatzungstruppen im Ausland« ein—
geſtellt, ſondern in das außerordentliche Budget überführt worden.
or * *
(Der Bericht ſpricht im übrigen wiederholt von den »Beſatzungstruppen des Saarbeckens «.)
d) Bericht des Senators A. Lebrun namens des Finanzausſchuſſes des Senats
über das Budget des Kriegsminiſteriums für 1921 (Druckſache Nr. 95 des franzöſiſchen
Senats, ordentliche Seſſion 1921, S. 69):
(berſetzung.)
»Beſatzungstruppen des Saarbeckens.
Zufolge der beſonderen Bedingungen, unter die der Vertrag von Verſailles das Saar⸗—
beckengebiet geſtellt hat (jvätere Volksabſtimmung — Nutzung der Kohlengruben durch Frank—
reich), fallen die militäriſchen Ausgaben, die mit der Beſetzung dieſes Gebiets zuſammen—
hängen, unſerem Budget zur Laſt
Dieſe Beſetzung wird durchgeführt durch einen budgetmäßigen Beſtand von 266 Offizieren
und 7163 Mann, worunter 3200 Eingeborene aus Nordafrika.
Die hierfür angeſetzte Geſamtausgabe für 1921 beträgt 39 301 310 Fr. Sie belief
ſich für das Budgetjahr 1920 auf 61 047 470 Fr. (bei einem Beſtand von 400 Offizieren
und 10 400 Mann).
Die entſprechenden Kredite finden ſich im außerordentlichen Budget, von dem ſie den
Abſchnitt 2 bilden.
(Auf Seite 319ff. des Berichts werden die einzelnen Poſten der Kredite des 2. Abſchnitts
des außerordentlichen Budgets unter der Überſchrift »Unterhalt der Beſatzungstruppen des
Saarbeckens« erläutert.)
Nr. 92.
Bemerkungen in der franzöſiſchen Preſſe über die franzöſiſchen Truppen
im Saargebiet.
a) »Le Journal« Nr. 10197 vom 17. September 1920.
(berſetzung.) .
Die Regierung des Saargebiets, verwirklicht vom Völkerbund.
(von Fernand Hauſer).
»Während die Miniſter (d. h. die Mitglieder der Regierungskommiſſion) arbeiteten,
fand ſich der kommandierende General der franzöſiſchen Beſatzungstruppen ein und
555
kündigte an, daß er ſich auf Befehl ſeiner Regierung demnächſt mit ſeinen Truppen
und feinem Material zurückziehen werde.
Lebhafte Erregung, denn der Direktor der Gruben, die zu vollem Eigentum kön
franzöſiſchen Staat gehören (Art. 45, Abſchnitt IV des Vertrags von Verſailles)
hatte ſoeben bei der ſaarländiſchen Regierung angefragt, wie ſie die Ordnung im
Lande aufrecht zu erhalten gedenke, falls ſie geſtört würde, da der Vertrag von
Verſailles beſtimmt habe, daß es Sache der Regierungskommiſſion ſei, unter allen
Umſtänden für den Schutz von Perſon und Eigentum im Saarbecken zu ſorgen.
Die fünf Mitglieder der Regierungskommiſſion ſahen ſich gegenſeitig an. Dann
grübelten ſie eifrig über dem Vertrag von Verſailles. Und da bemerkten ſie, daß
dies diplomatiſche Inſtrument ihnen verbot, im Lande irgendwelche Armeen zu bilden,
da der Heeresdienſt, ſowohl der obligatoriſche wie der freiwillige, im Laude unterſagt
war. Nur eine örtliche Gendarmerie durfte errichtet werden. Aber man brauchte
Zeit, um dieſe Gendarmerie zu errichten, um ſie auszuſtatten und auszubilden. Die
ſaarländiſche Regierung, von den Verhältniſſen überraſcht, erſuchte die franzöſiſche
Regierung amtlich, ihr ihre guten Dienſte zu leihen. Sie bat ſie, franzöſiſche Truppen
in Garniſon in das Land zu legen, die für die Ordnung und den »Schutz von
Perſon und Eigentum« ſorgen ſollten. Sie bemerkte bei dieſer Gelegenheit, daß das
wichtigſte »Eigentum« die Kohlengruben ſeien, daß dieſe der franzöſiſchen Regierung
gehörten, und daß letztere, um ihr Eigentum zu ſchützen, die Ausgaben für den
Unterhalt einer Militärmacht übernehmen könnte, die zu 1 1 die Saarländer
weder das Recht noch die Mittel hätten.
Die franzöſiſche Regierung gab nach und richtete ſich als »Soldat des Völker⸗
bundes« im Saargebiet ein.
So wurde der grundlegende Mangel des Völkerbundes, der alle Rechte befikt,
ihnen aber nicht Achtung zu verſchaffen vermag, weil er über keine Militärmacht
verfügt, unterſtrichen, ſobald die Regierung des Saargebiets ſich der Wirklichkeit
gegenüberja Man hat geſehen, wie dieſem Mangel abgeholfen worden iſt.«
b) „echo de Paris« Nr. 13165 vom 2. September 1920.
(Aberſetzung.)
Die deutſche Propaganda 5
(von Pierre Deloncle).
»Die hauptſächlichſten Punkte der Preßkampagne find folgende;
1. Gegen die Beibehaltung der franzöſiſchen Truppen im Saar-
gebiet und für die Schaffung einer ſaarländiſchen Gendarmerie. —
Dieſem Verlangen ſtattzugeben, wäre eine regelrechte Kapitulation ein folgen⸗
ſchwerer Fehler. Die Anweſenheit unſerer Truppen iſt das Zeichen, das einzige
äußere Zeichen unſeres Sieges. Der kommandierende General der Beſatzungstruppen
wohnt in einem ſchönen Gebäude auf einem Platz, wo ſich das Denkmal Bismarcks
erhebt. Wenn man mit der Straßenbahn nach dem Park fährt, ſieht man gleich-
zeitig das Denkmal des Kanzlers und den franzöſiſchen Poſten. Das iſt von einer
mächtigen erzieheriſchen Wirkung für den Boche. Wenn wir den Poſten zurückziehen,
ſo wird dies Zurückziehen von allen als der 8 zu unſerem Mögültigen Weggang
im Jahre 1934 ausgelegt werden«.
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Nr. 93.
Verordnung der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die
ſranzöſiſche Gendarmerie vom 7. Juni 1920.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 7 vom 24. Juli 1920.)
Nr. 101. Verordnung, betreffend die franzöſiſche Gendarmerie.
Nach Einſicht der Verfügung vom 17. Mai 1920, welche die franzöſiſche Gen—
darmerie der Regierungskommiſſion zur Verfügung ſtellt, wird auf Grund des § 30
Abſchnitt 4 Teil 3 der Anlage zum Friedensvertrag folgendes verordnet:
Artikel J.
Die franzöſiſche Gendarmerie des Saargebiets wird hinſichtlich ihrer Verwendung
der Regierungskommiſſion unmittelbar unterſtellt.
Artikel 2.
Zum Kreis ihrer Aufgaben gehört vornehmlich die Verfolgung von Vergehen
der im Saargebiet in Garniſon ſtehenden Militärperſonen. |
| Der Präſident der Regierungskommiſſion kann ihr außerdem die Sicherung der
Ausführung von Beſchlagnahmen übertragen wie auch die Ausführung ſonſtiger
Aufträge, die im Intereſſe der allgemeinen Sicherheit notwendig erſcheinen, insbe—
ſondere die Verkehrskontrolle an der Grenze des Saargebiets.
Artikel 3.
Sie iſt befugt, ohne Auftrag einzuſchreiten beim Betreffen eines Verbrechers auf
friſcher Tat.
In dieſem Fall iſt ihre Anzeige durch Vermittlung der Regierungskommiſſion
der zuſtändigen Behörde zu überſenden.
Etwa verhaftete Perſonen ſind mit einer Anzeige in deutſcher Sprache und An—
gabe der näheren Umſtände der Verhaftung der örtlichen Polizeibehörde zu übergeben.
Artikel 4.
Zur Erfüllung der ihr von der Regierungskommiſſion übertragenen Aufgaben
kann ſie die ſaarländiſche Gendarmerie, die Polizeiorgane und Ortsbehörden un
Unterſtützung angehen. N |
Artikel 5.
Sind Unruhen zu beſorgen oder bedarf die örtliche Polizei oder Gendarmerie
der Unterſtützung, ſo können Polizei- und Gerichtsbehörden die franzöſiſche Gendarmerie
um Unterſtützung angehen. Dieſelbe iſt verpflichtet, dem Erſuchen Folge zu leiſten.
Artikel 6.
Die Erſuchen ſind ſchriftlich an den Korpskommandanten oder die Offiziere der
franzöſiſchen Gendarmerie zu richten. Der Regierungskommiſſion iſt in dieſem Falle
von der erſuchenden Stelle ſofort zu berichten. Im Dringlichkeitsfalle kann die
Unterſtützung auch telephoniſch oder unmittelbar bei den Brigadeführern vorbehaltlich
nachfolgender ſchriftlicher Beſtaͤtigung nachgeſucht werden.
Artikel 7.
Im Falle des Einſchreitens der franzöſiſchen Gendarmerie auf Erſuchen einer
Gerichts⸗ oder Polizeibehörde iſt die Mitwirkung eines oder mehrerer deutſcher Gen-
darmen oder Polizeibeamten notwendig, denen alsdann die Berichterſtattung über das
Ergebnis des Einſchreitens obliegt.
10
3
Artikel 8.
Die gegenwärtige Verordnung tritt mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt
in Kraft.
Saarbrücken, den 7. Juni 1920.
Im Namen der Regierungskommiſſion.
Der Präſident. |
gez. V. Rault, Staatsrat.
Nr. 94.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗
bundsrat vom 25. Oktober 1920.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 8, S. 65 ff.)
8 (berſetzung.) |
Vorbemerkung des Generalſekretärs: f
»Der Teil des Berichts, der die Überfchrift »Zentralverwaltung« trägt,
bietet ein ganz beſonderes Intereſſe, nämlich folgendes: im Hinblick auf die
finanzielle Lage des Saargebiets iſt die Kommiſſion der Anſicht, daß es an⸗
gezeigt ſei, vorläufig nur eine beſchränkte Polizeitruppe zu ſchaffen und ſich
noch einige Zeit wie bisher auf die Truppen der franzöſiſchen Garniſon als
Reſervekorps zu ſtützen, bis die Hilfsquellen des Saargebiets geſtatten, einer
ausreichende Gendarmerie zu unterhalten.«
Bericht:
»Die Regierungskommiſſion hat ſich damit befaßt, mit der Errichtung der in
§ 30 der Anlage vorgeſehenen örtlichen Gendarmerie zu beginnen. Sie hat die Über⸗
bleibſel der von den deutſchen Behörden beim Waffenſtillſtand im Saargebiet zurüd-
gelaſſenen preußiſchen und bayeriſchen Gendarmerien durch ein ihrer unmittelbaren
Kontrolle unterſtelltes einheitliches Korps erſetzt; fie hat ihnen ein neues Statut ge-
geben, durch das fie nicht die Stellung von Militärperſonen, ſondern eine ähnliche
Stellung wie Zivilbeamte erhalten. Die Gendarmerie — oder genauer die »Saar⸗
landjäger« — werden gleichwohl unter einer ſtraffen Disziplin ſtehen. Einem einzigen
Leiter unterſtellt, bilden fie zwei verſchiedene Gruppen: Die Landgendarmerie und die
bewegliche Gendarmerie. Die erſte Gruppe, die auf die bedeutenderen Ortſchaften
verteilt iſt, nimmt die gerichtliche und die Verwaltungspolizei wahr unter der Leitung
der Landräte und Bürgermeiſter.
Während die Landgendarmerie ſchon vor Inkrafttreten des Friedensvertrages
beſtand, iſt die bewegſiche Gendarmerie eine Neuſchöpfung. Ihre Beſtände ſind noch
ſehr beſchränkt; Erwägungen finanzieller Natur haben die Regierungskommiſſion ge⸗
zwungen, vorläufig die Zahl der Gendarmen auf 30 feſtzuſetzen. Dieſer beweglichen
Gendarmerie iſt der Schutz des Regierungsgebäudes und der Miniſterien anvertraut.
Schon jetzt werden dieſe Kräfte, im Zuſammenwirken mit der im Saargebiet
in Garniſon ſtehenden franzönfchen Gendarmerie ausreichen, um die Aufrechterhaltung
der Ordnung unter normalen Verhältniſſen zu gewährleiſten. Um aber die Sicherheit
von Perſon und Eigentum jederzeit zu gewährleiſten, müßte man beim Fehlen von
Garniſontruppen die örtliche Gendarmerie auf einen Beſtand bringen, der außer Ver⸗
hältnis zu den gegenwärtigen Hilfsquellen des Budgets des Gebiets ſtünde. Gegen—
wärtig kann daran nicht gedacht werden.« BR
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Nr. 95.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion
des Saargebiet3 vom 12. Februar 1921.
Auswärtiges Amt. Berlin, den 12. Februar 1921.
Nr II. S. G. 2186. |
Herr Präſident! ö
Am 20. Oktober v. J. hat ein franzöſiſches Kriegsgericht in Saarbrücken das
ehemalige Mitglied der deutſchen Nationalverſammlung Karl Ollmert im Kontumazial-
verfahren wegen angeblichen Anſchlags auf die äußere Sicherheit des franzöſiſchen
Staates r lebenslänglicher Deportation in ein befeftigtes Lager verurteilt.“)
Dieſes Urteil, das übrigens auf unzutreffenden Vorausſetzungen beruht, gibt
mir Veranlaſſung, im Namen der Deutſchen Regierung erneut darauf hinzuweiſen,
daß ſowohl die Anweſenheit franzöſiſcher Truppen im Saargebiet wie die Ausübung
der franzöſiſchen Militärgerichtsbarkeit über Bewohner dieſes Gebiets eine Verletzung
des Vertrages von Verfailles darſtellt.
Für das Saargebiet iſt im Vertrage weder eine Beſetzung wie für das übrige
Rheinland oder wie für Oberſchleſien, Weſtpreußen und Schleswig vorgeſehen, noch
wird die Anweſenheit fremder Truppen durch irgendeine Beſtimmung gerechtfertigt.
) Dieſes Urteil hat folgenden Wortlaut:
ö République Frangaise.
Conseil de Guerre
des Troupes de la Sarre séant à Sarrebruck.
Jugement par Contumace.
Au nom du Peuple Fran ais.
Le Conseil de guerre des Troupes de la Sarre a rendu le jugement suivant:
Aujourd’ hui vingt octobre mil neuf cent vingt, le Conseil de guerre des Tronpes
de la Sarre, oui le Commissaire du Gouvernement dans ses requisitions et conclusions,
a déclaré le nommé Ollmert, Karl, sujet allemand, ex-depute au Reichstag, absent
et contumax, coupable d'attentat contre la süreté exterieure de Etat Frangais.
En conséquence, ledit Conseil J’a condamne, par contumace, à la peine de la
Deportation perp£tuelle dans une enceinte fortifice, par application des articles 63,
176, 267 du Code de Justice Militaire, 76, 17 du Code penal et ler de la loi du
8 juin 1850 et 5 de la Constitution du 4 novembre 1848.
® Et, vu Particle 139 du Code de justice militaire, le Conseil condamne ledit
Olmert à rembourser, sur ses biens presents et à venir, au profit du Tresor public,
Je montant des frais du proces .......2222cseeesar een.
(Überfegung.)
Franzöſiſche Republik.
Kriegsgericht
der Truppen des Saargebiets, gehalten in Saarbrücken.
Urteil im Abweſenheitsverfahren.
Im Namen des franzöfifchen Volkes.
Das Kriegsgericht der Truppen des Saargebiets hat folgendes Urteil gefällt:
Heute, am zwanzigſten Oktober neun ehnhundertundzwanzig, hat das Kriegsgericht der
Truppen des Sgargebiets nach Anbörung des Regierungskommiſſars hinſichtlich feiner Er
mittelungen und Anträge den Karl Ollmert, deutſchen Staatsangehörigen, ehemaligen
Reichstagsabgeordneten, der abweſend und ſaumig iſt, des Anſchlags auf die äußere Sicherheit
des franzöfiichen Staates für ſchuldig befunden.
Demgemäß hat ihn das Kriegsgericht auf Grund der Artikel 63, 176 und 267 der
Militär⸗Strafprozeßordnung, Artikel 76 und 17 des Strafgeſetzbuchs und Artikel ! des Geſetzes
vom 8 Juni 1850 und Artikel 5 der Verfaſſung vom 4. Novenber 1848 zur lebensläng⸗
lichen Deportation in ein befeſtigtes Lager verurteilt.
Im Hinblick auf Artikel 139 der Militär⸗Strafprozeßordnung hat das Kriegsgericht
ferner Ollmert verurteilt, der Staatskaſſe aus ſeinem gegenwärtigen und künftigen Ver—
mögen die Prozeßkoſten zu erſtatte n.
10 *
2 ja
Im Gegenteil ift im § 30 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags beſtimmt,
daß im Saargebiet weder allgemeine Wehrpflicht noch freiwilliger Heeresdienſt be—
ſteht und die Aufrechterhaltung der Ordnung einer örtlichen Gendarmerie übertragen
werden ſoll; es iſt ſogar ausdrücklich geſagt, daß die Aufrechterhaltung der Ordnung
nur durch eine örtliche Gendarmerie erfolgen ſoll. Hieraus ergibt ſich zweifelsfrei,
daß im Saargebiet überhaupt keine Heeresmacht beſtehen ſoll, und daß für Zwecke
der Ordnung keinerlei Organiſationen außer der örtlichen Gendarmerie beſtehen dürfen.
Der Rat des Völkerbundes hat ſich am 13. Februar 1920 auf den Standpunkt
geſtellt, daß bis zur Errichtung der Gendarmerie fremde Truppen im Saargebiet
belaſſen werden können. Die Deutſche Regierung vermag zwar nicht zu erſehen,
durch welche Beſtimmung des Vertrages dieſe Anſicht gerechtfertigt werden könnte,
aber ſelbſt nach dieſer Anſicht hätten die franzöſiſchen Truppen das Saargebiet ſchon
vor Monaten verlaſſen müſſen, denn die örtliche Gendarmerie des Saargebiets iſt
durch verſchiedene, im Juli v. J. erlaſſene Verordnungen der Regierungskommiſſion
errichtet worden und beſteht ſchon ſeit mehreren Monaten.
Was die Ausübung der franzöſiſchen Militärgerichtsbarkeit über Bewohner des
Saargebiets betrifft, fo würde fie dem Vertrag von Verſailles auch dann wider⸗
ſprechen, wenn die Anweſenheit franzöſiſcher Truppen zuläſſig wäre. Franzöſiſche
Militärgerichte zählen nicht zu den Gerichten, die in $ 25 der Anlage zu Artikel 45
bis 50 des Vertrags als einzige gerichtliche Behörden des Saargebiets vorgeſehen
find. Wenn alſo Bewohner dieſes Gebiets den franzöſiſchen Kriegsgerichten über—
laſſen werden, ſo werden ſie damit ihrem zuſtändigen bürgerlichen Richter entzogen.
Es kommt hinzu, daß die franzöſiſchen Kriegsgerichte franzöſiſches Recht anwenden
und im Namen des franzöſiſchen Volkes Recht ſprechen, während nach den 88 23
und 25 der erwähnten Anlage die deutſchen Geſetze fortgelten und alle gerichtlichen
Eutſcheidungen im Namen der Regierungskommiſſion ergehen ſollen.
Mit beſonderem Nachdruck muß die Deutſche Regierung darauf hinweiſen, daß
ſowohl die Anweſenheit franzöſiſcher Truppen wie die Rechtſprechung franzöſiſcher
Kriegsgerichte im Saargebiet den oberſten Grundſätzen zuwiderläuft, die im Vertrag
von Verſailles für dieſes Gebiet feſtgelegt ſind. Dem Vertrag zufolge iſt die Regierung
des Saargebiets dem Völkerbunde zu treuen Händen übertragen und wird namens
des Völkerbundes von der Regierungskommiſſion ausgeübt. Mit den Grundſätzen
einer treuhänderiſchen Verwaltung iſt es aber unvereinbar, daß einem der Staaten,
die an der Entſcheidung über das endgültige Schickſal des Gebiets intereſſiert ſind,
eine bevorzugte Stellung eingeräumt wird, indem feine Truppen in dem Gebiet be-
laſſen werden, und feine Kriegsgerichte über deſſen Bewohner Recht ſprechen.
Aus dieſen Gründen legt die Deutſche Regierung Verwahrung gegen dieſe vertrags—
widrigen Zuſtände ein. Sie erwartet von der Regierungskommiſſion, daß ſie alle
Maßnahmen für die alsbaldige Entfernung der franzöſiſchen Truppen aus dem Saar-
gebiet ergreifen und die Einſtellung der Rechtſprechung franzöſiſcher Kriegsgerichte
über Saargebietsbewohner, ſowie die Aufhebung aller ſeit der Übernahme der Geſchäfte
durch die Regierungskommiſſion gegen Bewohner erlaſſenen kriegsgerichtlichen Urteile
herbeiführen wird. Die Gültigkeit dieſer Urteile kann die Deutſche Regierung nicht
anerkennen. |
Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker—
bundes zugehen laſſen. | ee
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
gez. Simons.
An
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
N Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
r
1
K
j 4 —
139 —
. Nr. 96.
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 12. Februar 1921.
err | Berlin, den 12. Februar 1921.
| Herr Generalſekretär!
Ich beehre mich, Ihnen anbei die Abſchrift eines Schreibens zugehen zu laſſen,
das ich an den Herrn Präſidenten der Regierungskommiſſion für das Saargebiet
gerichtet und in dem ich namens der Deutſchen Regierung Einſpruch erhoben habe
gan die dem Vertrage von Verſailles widerſprechende Anweſenheit franzöſiſcher
ruppen im Saargebiet und gegen die gleichfalls vertragswidrige Ausübung der
franzöſiſchen Militärgerichtsbarkeit über Bewohner dieſes Gebiets.
Auch dem Völkerbunde gegenüber legt die Deutſche Regierung Verwahrung ein
gegen die vertragswidrigen Zuſtände, die im Saargebiet herrſchen, und gegen die
Schmälerung der vertraglich gewährleiſteten Stellung Deutſchlands gegenüber dieſem
Gebiet. Sie bittet den Völkerbund als den Inhaber der ihm zu treuen Händen
anvertrauten Regierung des Saargebiets, dafür zu ſorgen, daß die Regierungs—
kommiſſion nicht weiter Verhältniſſe duldet, die in Widerſpruch zu dem Vertrag von
Verſailles ſtehen. | |
Ich bitte, von dieſem Schreiben und feiner Anlage den Mitgliedern des Völker—
bundes Kenntnis zu geben und eine Entſcheidung des Bundes herbeizuführen.
Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung ).
N gez. Simons.
An
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes,
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond,
| K. C. M. G., C. B.
Genf.
Nr. 97.
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 7. April 1921.
Auswärtiges Amt. ö
Nr. II 8 G. 374. Berlin, den 7. April 1921.
Herr Generalſekretär!
In meinem Schreiben vom 12. Februar hatte ich die Ehre, die Aufmerkſamkeit
des Völkerbundes darauf zu lenken, daß im Widerſpruch zu den Beſtimmungen des
Vertrags von Verſailles im Saargebiet franzöſiſche Truppen anweſend und franzö—
ſiſche Kriegsgerichte tätig ſind. In Ergänzung meiner Ausführungen in dieſem
Schreiben bemerke ich folgendes:
In dem erſten Bericht, den die Regierungskommiſſion des Saargebiets am
25. Marz 1920 an den Rat des Völkerbundes gerichtet hat, heißt es wörtlich):
»Die polizeilichen Militärgerichte ſind aufgehoben; kein Bewohner des Saargebiets
wird in Zukunft vor ein Kriegsgericht geſtellt werden.« In dem zweiten, vom
1. Mai 1920 datierten Bericht?) teilt die Regierungskommiſſion mit, daß ſie ſich
auf Verlangen des kommandierenden Generals der im Saargebiet garniſonierten
) Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 95 wiedergegebenen Note beigefügt worden.
2) Vgl. Nr. 88.
3) Vgl. Nr. 89.
— 1
Truppen mit der Einleitung eines kriegsgerichtlichen Verfahrens gegen den Redakteur
einer Saarbrücker Zeitung einverſtanden erklärt habe. Sie rechefertigt dieſe Ent-
ſcheidung folgendermaßen:
Der Redakteur habe in einem Artikel die franzöſiſche Armee beleidigt und habe
dafür beſtraft werden müſſen, weil andernfalls der Aufenthalt franzöſiſcher Truppen
und damit die Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet unmöglich gemacht
worden wäre. Dieſe Beſtrafung hätte aber durch die vorhandenen Gerichte nicht her⸗
beigeführt werden können, denn der Schuldige wäre von dem zuſtändigen Gericht in
Saarbrücken zweifellos freigeſprochen worden.
Deshalb hat ſich die Regierungskommiſſion bewogen geſehen, der Militärjuſtiz
freien Lauf zu laſſen. In der Tat iſt der Redakteur, nachdem er es abgelehnt
hatte, den ſeiner Überzeugung entſprechenden Artikel zu widerrufen, tagelang von
franzöſiſchen Patrouillen verfolgt worden, bis er ſich ſeiner Verhaftung durch Ver⸗
laſſen des Saargebiets entzog.“ N
Seit dieſer Entſcheidung ſind die franzöſiſchen Kriegsgerichte wieder in Tätigkeit.
Die Regierungskommiſſion erklärt in ihrem Bericht vom 1. Mai 1920, daß ſie dieſer
Ausnahmegerichtsbarkeit ein Ende machen werde, ſobald ſie den im Vertrage von
Verſailles vorgeſehenen Gerichtshof eingerichtet, die beſtehenden Gerichte dem deutſchen
Einfluß entzogen und die Gewißheit erlangt haben werde, daß ſowohl die mit der
Aufrechterhaltung der Ordnung betrauten Truppen wie die Bewohner des Saar-
gebiets ihr Recht finden werden.
Dieſe Ausführungen tragen ihre Widerlegung in ſich ſelbſt. Die Deutſche
Regierung legt Wert darauf, den Meinungswechſel der Regierungskommiſſion in
dieſer Frage feſtzuſtellen. Sie weiſt ferner darauf hin, daß die Regierungskommiſſion
die Frage, ob Bewohner des Saargebiets vor ein franzöſiſches Kriegsgericht geſtellt
werden dürfen, d. h. eine reine Rechtsfrage, die nur nach Rechtsgrundſätzen ent-
ſchieden werden kann, lediglich nach politiſchen Geſichtspunkten entſchieden hat. Sie
hat das ihr politiſch erwünſcht und zweckmäßig Erſcheinende angeordnet, obwohl die
Tätigkeit der franzöſiſchen Kriegsgerichte nach dem Vertrage von Verſailles unzu⸗
läſſig iſt, da nach feinen Beſtimmungen nur die beſtehenden Gerichte und ein zu er-
richtender Gerichtshof, nicht aber auch die franzöſiſchen Kriegsgerichte im Saargebiet
Recht ſprechen, alle gerichtlichen Entſcheidungen im Namen der Regierungskommiſſion,
nicht aber im Namen des franzöſiſchen Volkes ergehen und die deutſchen Geſetze und
Verordnungen ſowie diejenigen der Regierungskommiſſion, nicht aber auch die franzö⸗—
ſiſchen Geſetze maßgebend ſein ſollen. |
Die Deutſche Regierung erneuert deshalb mit allem Nachdruck ihren Einſpruch
gegen das vertragswidrige Weiterbeſtehen der franzöſiſchen Militärjuſtiz im Saar⸗
gebiet und hegt die beſtimmte Erwartung, daß der Völkerbund ſo bald als möglich
Maßnahmen ergreifen wird, um die franzöſiſche Militärjuſtiz im Saargebiet aufzuheben.
Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Präſidenten der Regierungs-
kommiſſion des Saargebiets zugehen laſſen.
Indem ich eine franzöſiſche Überſetzung dieſes Schreibens beifüge, bitte ich Sie,
Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung zu ge—
nehmigen. |
gez. von Haniel.
An
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes,
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond,
K. GM G .
Genf.
) Vgl. Nr. 90.
— 141 —
Nr. 98.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 7. April 1921.
Auswärtiges Amt.
Ne. II. S. G. 374. Berlin, den 7. April 1921.
Herr Präſident!
Im Anſchluß an mein Schreiben vom 12. Februar beehre ich mich, Ihnen anbei
eine Abſchrift eines weiteren Schreibens zugehen zu laſſen, das ich in der Frage der
Anweſenheit fran zöſiſcher Truppen und der Tätigkeit franzöſiſcher Kriegsgerichte im
Saargebiet an den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes gerichtet habe.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung 9.
An
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
zu ag des Präſidenten, Herrn Staatsrat? Rault,
Hochwohlgeboren.
Saarbrücken.
gez. von Haniel.
Nr. 99.
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 23. April 1921.
Auswärtiges Amt.
Nr. II. S. G. 764.
Herr Generalſekretär!
Indem ich auf meine Schreiben vom 12. Februar und 7. April, betreffend die
Anweſenheit franzöſiſcher Truppen und die Tätigkeit franzöſiſcher Kriegsgerichte im
Saarbeckengebiet, Bezug nehme, beehre ich mich, die Aufmerkſamkeit des Völkerbundes
noch auf folgende Tatſachen zu lenken:
Nach § 30 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags von Verſailles ſoll zur
Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet eine örtliche Gendarmerie beſtehen,
und zwar, wie ausdrücklich geſagt iſt, nur eine örtliche Gendarmerie. Tatſächlich
beſtehen aber im Saargebiet zwei Gendarmerien, eine örtliche und eine franzöſiſche.
Die franzöſiſche Gendarmerie iſt nur hinſichtlich ihrer Verwendung der Regierungs-
kommiſſion unmittelbar unterſtellt, in diſziplinarer und organiſatoriſcher Beziehung
aber ein Beſtandteil der franzöſiſchen Armee. Ihre Aufgaben und ihre Beziehungen
zu der ſogenannten ſaarländiſchen Gendarmerie ſind durch eine Verordnung der
Regierungskommiſſion vom 7. Juli 1920 geregelt worden. Die Regierungskommiſſion
ſtützt dieſe Verordnung auf den erwähnten $ 30, obwohl fie doch dem Wortlaut
gerade dieſer Vertragsbeſtimmung zuwiderläuft.
Aber nicht nur das Vorhandenſein, ſondern auch die Art der Verwendung der
Bergeſſeder Gendarmerie durch die Regierungskommiſſiem bildet eine Verletzung des
ertrags von Verſailles. Die Aufgaben der franzöſiſchen Gendarmerie ſollen nach
der erwähnten Verordnung vom 7. Juli 1920 in erſter Linie in der Verfolgung
von Straftaten der im Saargebiet in Garniſon liegenden Militärperſonen beſtehen,
der Präſident der Regierungskommiſſion kann ihr außerdem die Sicherung der Aus—
führung von Beſchlagnahmen und ſonſtige im Intereſſe der allgemeinen Sicherheit
5 Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 97 wiedergegebenen Note beigefügt worden.
Berlin, den 23. April 1921.
Kae na
liegende Aufgaben übertragen; endlich ift fie befugt, beim Betreffen eines Verbrechers
auf friſcher Tat einzuſchreiten. Tatſächlich erledigt die franzöſiſche Gendarmerie aber 5
auch noch andere Aufgaben. Beiſpielsweiſe geht aus dem in Abſchrift hier bir
gefügten Schreiben hervor, daß die franzöſiſche Gendarmerie von der Regierungs— 9
„kommiſſion mit der Einziehung vertraulicher Auskünfte in Fragen der Beſetzung von
Stellen in der Kommunalverwaltung beauftragt wird. Die Regierungskommiſſion
bedient ſich alſo einer franzöſiſchen militäriſchen Organiſation für politiſche Zwecke.
Dieſe Tatſachen beweiſen, daß die Regierungskommiſſion des Saargebiets auch
in dieſer Beziehung den Vertrag von Verſailles dem Wortlaut und dem Sinne nach
verletzt. Die Deutſche Regierung legt hiergegen nachdrücklich Verwahrung ein und
bittet den Völkerbund dafür ſorgen zu wollen, daß die franzöſiſche Gendarmerie im
Saargebiet aufgehoben wird.
Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Präſidenten der Negierungs-
kommiſſion des Saargebiets überſandt. ee
Indem ich eine franzöſiſche Überſetzung dieſes Schreibens nebſt einer Abſchrift 6
des franzöſiſchen Originals der Anlage beifüge, bitte ich Sie, Herr Generalſekretär,
die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung entgegennehmen zu wollen.
gez. von Haniel.
An
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes,
den Ehrenwerten Sir James Eric Drummond,
K. C. M. G, C. B.
Genf.
Anlage.
(berſetzung.)
Regierungskommiſſion
des Saargebiets. Saarbrücken, den 8. Februar 1921.
Direktion
der öffentlichen Sicherheit.
Nr. 1174.
Der Direktor der öffentlichen Sicherheit
an
Herrn Leutnant Tremeau, Kommandanten der franzöſiſchen Gendarmerie im
Kreiſe Saarlouis.
Über die Herren Spurk-Birk aus Nalbach,
Moll, Auguſt, aus Differten,
Bauer, Joſef, aus Differten,
Müller, Jakob, aus Mettlach und
Schuler aus Beſſeringen,
die ſich ſämtlich um die Stelle eines Beigeordneten in ihren erwähnten Gem inden
bewerben, ſind ungünſtige Berichte erſtattet worden. Der Herr Präſident der Re
gierungskommiſion möchte aber, bevor er ſie endgültig von jeder Verwendung im
öffentlichen Dienſt ausſchließt, in Erfahrung bringen, ob wirklich wichtige Gründe
dagegen ſprechen, daß dieſen Bewerbungen ſtattgegeben wird. |
Ich bitte Sie daher, auf vertraulichem Wege eine ergänzende Auskunft über
jeden der Genannten einzuziehen und mir das Ergebnis mitzuteilen. |
Der Direktor der öffentlichen Sicherheit.
(Stempel und Unterſchrift.)
— 143 ——
Nr. 100.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 23. April 1921.
Auswärtiges Amt.
Nr. II. S. G. 764. Berlin, den 23. April 1921.
Herr Präſident!
Ich beehre mich, Ihnen anbei Abſchrift eines die franzöſiſche Gendarmerie im
Sgargebiet betreffenden Schreibens und feiner Anlage zu übermitteln, das ich an den
Herrn Generalſekretär des Völkerbundes gerichtet habe.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung ).
An
die Regierungskommiſſion des Saargebiets,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwoblgeboren
Saarbrücken.
gez. von Haniel.
Nr. 101.
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche
Regierung vom 14. April 1921.
(berſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets. 2
Der Präſident. Saarbrücken, den 14. April 1921.
S. R. Nr.
Herr Miniſter!
Mit Schreiben vom 13. Februar d. J. haben Sie namens der deutſchen Regie—
rung gegen die Beibehaltung der franzöſiſchen Truppen im Saarbecken und gegen
die Verfolgung vor franzöſiſchen Kriegsgerichten, der einige Bewohner des Gebiets
ausgeſetzt waren, Einſpruch erhoben.
Die deutſche Regierung beruft ſich auf die Beſtimmungen des § 30 der Anlage
zu Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensvertrags von Verſailles; ſie ſchließt aus dieſen
Beſtimmungen, daß unzweifelhaft »im Saargebiet überhaupt keine Heeresmacht be—
ſtehen ſoll, und daß die Aufrechterhaltung der Ordnung durch keine andere Organi—
ſation als durch die örtliche Gendarmerie zu erfolgen hat«.
Die Regierungskommiſſion bedauert, dieſer Auslegung nicht zuſtimmen zu können.
Der $ 30 enthalt zwei Teile: der erſte unterfagt der Regierungskommiſſion, irgend:
eine Art von Wehrpflicht oder von freiwilligem Heeresdienſt einzuführen und Be—
feſtigungen im Saargebiet zu errichten; er laßt lediglich die Einrichtung einer ört—
lichen Gendarmerie zu.
Die Regierungskommiſſion hat dieſe Beſtimmungen gewiſſenhaft beachtet; die
Bewohner des Gebiets ſind zu keinerlei Art von Wehrpflicht oder freiwilligem Heeres—
dienſt herangezogen, keine Befeſtigung iſt angelegt, die erſten Grundlagen für eine
örtliche Gendarmerie ſind errichtet worden.
Der $ 30 enthält aber einen Schlußabſatz, den die deutſche Regierung überſehen
zu haben ſcheint, und deſſen Wortlaut ich mir wiederzugeben erlaube: »Es iſt Sache
1) Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 99 wiedergegebenen Note beigefügt worden.
EIER ER
der Regierungskommiſſion, in allen eintretenden Fällen für den Schutz der Perſon
und des Eigentums im Saargebiet zu ſorgen.« Auf Grund dieſer Beſtimmung, zu
deren Auslegung die Regierungskommiſſion gemäß § 33 der erwähnten Anlage allein
ermächtigt iſt, hat die Regierungskommiſſion die Anweſenheit fremder Truppen im
Saargebiet zugelaſſen; dieſe Truppen ſind ihr unentbehrlich, um den Schutz von
Perſon und Eigentum zu gewährleiften, insbeſondere den Schutz der franzöſiſchen
Staatsgruben, deren freie Ausbeutung ſie ſicherzuſtellen hat.
Was die Rechtſprechung der Kriegsgerichte betrifft, ſo richtet die Regierungs⸗
kommiſſion, die in Zukunft das in den Beſtimmungeg des Friedensvertrags vorge—
ſehene Obergericht zu ihrer Verfügung hat, die Zuſtändigkeit dieſes Gerichtshofs der⸗
art ein, daß die Bewohner des Gebiets ſich nur vor den Gerichten zu verantworten
haben werden, vor denen ſie einen Gerichtsſtand haben nach Maßgabe der geltenden
Geſetze und der im Völkerrecht gültigen Grundſätze; nach Maßgabe dieſes Grundſatzes
wird übrigens bereits ſeit mehreren Monaten verfahren.
Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 898.
achtung.
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets.
gez. V. Rault.
Seiner Exzellenz Herrn Dr. Simons,
Miniſter des Auswärtigen
Berlin.
Nr. 102.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 4. Mai 1921.
Auswärtiges Amt. 8 a f
Nr. a 851. f Berlin, den 4. Mai 1921.
Herr Präſident!
Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 14. April, betr.
die franzöſiſchen Truppen und Kriegsgerichte im Saargebiet, zu beſtätigen. |
Die Deutſche Regierung nimmt zunächſt mit Befriedigung Kenntnis von den
Bemerkungen der Regierungskommiſſion über die franzöſiſche Militärgerichtsbarkeit
im Saargebiet. Sie glaubt, dieſe Bemerkungen dahin verſtehen zu ſollen, daß dieſe
Gerichtsbarkeit beſeitigt iſt und nicht wieder eingerichtet werden wird.
Hingegen vermag die Deutſche Regierung den Darlegungen der Regierungs-
kommiſſion über die franzöſiſchen Truppen nicht beizutreten.
Die Regierungskommiſſion führt aus, daß § 30 der Anlage zu Artikel 45 bis 50
des Vertrags von Verſailles zwei Teile enthalte, daß in dem zweiten Teil, den die
Deutſche Regierung überſehen zu haben ſcheine, der Regierungskommiſſion der Schutz
von Perſon und Eigentum im Saarbecken zur Pflicht gemacht ſei, und daß die
Regierungskommiſſion auf Grund dieſer Beſtimmung die Anweſenheit fremder Truppen
im Saar gebiet zugelaſſen habe.
Die Regierungskommiſſion befindet ſich im Irrtum, wenn ſie glaubt, die Deutſche
Regierung habe den Schlußabſatz des § 30 außer Acht gelaſſen. Die Deutſche Regierung
muß ihrerſeits darauf aufmerkſam machen, daß in dem Schreiben der Regierungs-
kommiſſion vom 14. April der mittlere von den drei Abſätzen des § 30, der für die
vorliegende Frage von entſcheidender Bedeutung iſt, nur unvollſtandig berückſichtigt
wird. Dieſer Abſatz lautet: »Es wird nur eine örtliche Gendarmerie zur Aufrecht-
erhaltung der Ordnung eingerichtet.« Zur Aufrechterhaltung der Ordnung gehört
aber in erſter Linie der Schutz von Perſon und Eigentum, denn eine Ordnung ohne
Schutz von Perſon und Eigentum iſt undenkbar. Wenn ſomit im zweiten Abſatz
des § 30 die örtliche Gendarmerie als das Mittel für die Aufrechterhaltung der
3
Ordnung im Saargebiet bezeichnet iſt, ſo erübrigt es ſich allerdings, in Abſatz 3
nochmals die Mittel für den Schutz von Perſon und Eigentum, den wichtigſten Teil
der allgemeinen Ordnung, anzugeben. Vielmehr wird durch Abſatz 3 in keiner Weiſe
der in Abſatz 2 allgemein und unbedingt ausgeſprochene Grundſatz eingeſchränkt, daß
die Ordnung allein durch eine örtliche Gendarmerie aufrechterhalten werden ſoll. Es iſt
alſo nach dem Vertrag unzuläſſig, den Schutz von Perſon und Eigentum einer anderen
Organiſation zu übertragen als der, die unter Ausſchluß jeder anderen die allgemeine
Ordnung im Saargebiet aufrechterhalten ſoll.
Die Ausführungen in dem Schreiben der Regierungskommiſſion vom 14. April
find auch nicht vereinbar mit der Auffaſſung des Völkerbundes und mit der Anſicht,
die die Regierungskommiſſion ſelbſt früher kundgegeben hat. In dem Bericht, den
der Rat des Völkerbundes am 13. Februar 1920 gebilligt hat, iſt bemerkt, daß die
Regierungskommiſſion, um den Schutz von Perſon und Eigentum wahrnehmen zu
können, im Bedarfsfall die Beibehaltung der zur Sicherung der Ordnung berufenen
Truppen verlangen konne. Jedoch iſt ausdrücklich hinzugefügt: »bis zur Einrichtung
der in § 30 vorgeſehenen Gendarmerie des Saargebiets«. In Übereinſtimmung mit
dieſer Anſicht hat die Regierungskommiſſion in dem Bericht, den ſie am 25. März 1920
an den Rat des Völkerbundes gerichtet hat, erklärt: »Die Kommiſſion, der nach dem
Friedensvertrag die Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet obliegt, war der
Anſicht, daß ſie bis zur Einrichtung einer örtlichen Gendarmerie die Anweſenheit von
Truppen nicht entbehren könne.« Beide Außerungen gehen von der ſelbſtverſtänd—
lichen Vorausſetzung aus, daß der Schutz von Perſon und Eigentum der weſentlichſte
Teil der Aufrechterhaltung der Ordnung iſt, und entſchuldigen die vertragswidrige
Belaſſung franzöſiſcher Truppen im Saargebiet lediglich mit den Schwierigkeiten
einer kurzen Übergangszeit. Nachdem aber ſchon ſeit längerer Zeit die vorgeſehene
örtliche Gendarmerie errichtet iſt, iſt auch nach dieſen Außerungen kein Raum mehr
für die weitere Belaſſung franzöſiſcher Truppen im Saarbecken.
Aus dieſen Gründen muß die Deutſche Regierung ihren Einſpruch gegen die
Anweſenheit franzöſiſcher Truppen im Saargebiet aufrechterhalten und erneut ihre
Entfernung verlangen.
Eine Abſchrift dieſes Schreibeus habe ich dem Herrn Generalſekretär des
Völkerbundes zugehen laſſen.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. von Haniel.
An
die Regierungskommiſſion des Saargebiets,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
Nr. 103.
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 4. Mai 1921.
Auswärtiges Amt.
Nr. II. S. G. 851.
Herr Generalſckretär!
Der Herr Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets hat auf mein
Schreiben vom 12. Februar d. J., betreffend die franzöſiſchen Truppen und Kriegs—
gerichte, von dem ich Ihnen eine Abſchrift zu überſenden die Ehre hatte, mit einem
Schreiben vom 14. April geantwortet.
Berlin, den 4. Mai 1921.
BRASS:
Ich beehre mich, Ihnen anbei eine Abſchrift dieſes Schreibens ſowie der Er-
widerung, die ich namens der Deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets gerichtet habe, zu übermitteln.
Indem ich eine franzöſiſche Überſetzung dieſes Schreibens und des Schreibens
an die Regierungskommiſſion des Saargebiets in 50 Exemplaren mit der Bitte um
Bekanntgabe an die Mitglieder des Völkerbundes beifüge, ergreife ich die Gelegenheit,
um Ihnen, Herr REN die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung
zu erneuern ).
gez. von Haniel.
An
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes,
den Ehrenwerten Sir James Eric Srummond,
K. O, M. G.,
Gef
Nr. 104.
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deuſche
Regierung vom 11. Mai 1921.
(Überſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets, |
Generalſekretariat. 5 | Saarbrücken, den 5 Mai 1921.
S. G. Nr. 4724. f |
Herr Minifter!
Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihrer Note vom 4. Mai 1921, Nr. 4
S. G. 851, zu beftätigen; ich bin der Anſicht, daß fie keine Antwort meinerſeits er⸗
fordert.
Dieſe Note ſtellt in der Tat den Verſuch einer Auslegung der Beſtimmungen
des Friedensvertrages dar, die die Regierungskommiſſion des Saargebiets allein zu
geben befugt iſt. |
Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
gez. V. Rault.
An
den Herrn Miniſter des Auswärtigen
in Berlin.
Nr. 105.
Note des Völkerbundes an die deutſche Regierung vom 25. Juni 1921.
ei | (berſetzung.)
ölkerbund. f
3„ 13492/10965 Genf, den 25. Juni 1921.
Herr Miniſter! FR
Indem ich auf Ihre Schreiben und deren Anlagen vom 15. gebruar, 7 Hund
23. April und 4. Mai 1921, betr. die Anweſenheit franzöſiſcher Truppen und die
Ausübung der Gerichtsbarkeit durch Kriegsgerichte im Saarbecken, Bezug nehme, habe
ich die Ehre, Ihnen gemäß dem vom Rat des Völkerbundes in ſeiner Sitzung vom
20. Juni 1921 gefaßten Beſchluß anliegend die Abſchrift eines Berichtes über dieſe
7: zu e der am gleichen Tage gebilligt worden iſt.
’ Der Note find Abſchriften der unter Nr. 101 und 102 wiedergegebenen Noten beigefügt worden.
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— 147 —
Abſchriften Ihrer Schreiben über dieſe Frage werden den Mitgliedern des Völker—
bundes zur Kenntnisnahme mitgeteilt werden.
aten Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
gez. Eric Drummond,
Generalſekretär.
Seiner Erzellenz
dem Herrrn Miniſter des Auswärtigen,
ö Berlin,
Deutſchland.
Anlage.
(berſetzung.)
8 Genf, den 22. Juni 1921.
Saarbecken.
Anweſenheit franzöſiſcher Truppen und Ausübung der Gerichtsbarkeit durch
franzöſiſche Kriegsgerichte im Saarbecken.
Bericht, erſtattet von dem Vertreter Chinas, Herrn Wellington Koo, und vom Rat
am 20. Juni 1921 gebilligt.
J. Die deutſche Regierung erhebt in ihren Schreiben an den Generalſekretär
vom 15 Februar und vom 7. April Proteſt gegen die Anweſenheit franzöſiſcher
Truppen im Saarbecken und gegen die Ausübung der franzöſiſchen Militärgerichts—
barkeit über Einwohner dieſes Gebietes. In einem weiteren Schreiben vom 23. April
beſchwert ſie ſich darüber, daß neben der örtlichen Gendarmerie des Saargebirtes eine
franzöſiſche Gendarmerie beſteht, die auf Grund ihrer Organiſation und ihrer Diſzi—
plin einen Beſtandteil der franzöſiſchen Armee bildet, obgleich ſie ihrer Verwendung
nach der Kontrolle der Regierungskommi ſion unterſtellt iſt, ſowie über die angebliche
Verwendung dieſer Gendarmerie durch die Regierungskommiſſion als eine Art
politiſcher Sonderpolizei.
Die deutſche Regierung proteſtiert ebenfalls gegen die Ausübung der Gerichts—
barkeit über Einwohner des Saarbeckens durch franzöſiſche Kriegsgerichte, die, wie
ſie behauptet, franzöſiſches Recht im Namen des franzöſiſchen Volkes anwenden und
nicht in dem der Regierungskommiſſion Recht ſpiechen.
II. Der deutſche Proteſt ſtützt ſich in rechtlicher Hinſicht auf folgende Gründe:
a) Der Verſailler Vertrag ſieht eine militäriſche Beſetzung des Saarbeckens
nicht vor.
b) Der $ 30 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50 des Vertrags wird dahin
ausgelegt, daß zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet keine andere
Macht unterhalten werden darf als die ſchon erwähnte örttiche Gendarmerie
e) Der Voͤlkerbundsrat hat in feiner Entſcheidung vom 13. Februar 1920 die
Anſicht vertreten, daß die fremden Truppen im Saargebiet bleiben dürften,
jedoch nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem die örtliche Gendarmerie errichtet
ſein werde. Dieſe Truppe iſt durch Verordnungen der Regierungskommiſſion
im Juli 1920 errichtet worden.
d) Selbſt wenn die Anweſenheit fremder Truppen zuläſſig wäre, ſo ſteht doch
die Tatſache, daß Einwohner des Saargebiets der franzöſiſchen Militär—
gerichtsbarkeit unterworfen werden, im Widerſpruch zum Vertrag von
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Verſailles. Die SS 23 und 25 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50
beſtimmen, daß die Rechtſprechung im Saargebiet nach Maßgabe der deutſchen
Geſetzgebung und im Namen der Regierungskommiſſion zu erfolgen hat;
zuläſſig find allein die im § 25 bezeichneten Gerichte, d. h. die zu dieſem
Zeitpunkt ſchon beſtehenden Zivil- und Strafgerichte und der neue, von der
Regierungskommiſſion errichtete Gerichtshof.
Die Ausübung des Mandates als Treuhänder, das dem Völkerbund in
Anſehung der Verwaltung des Saarbeckens übertragen iſt, iſt unvereinbar
mit dem Frankreich, einem an der endgültigen Zuteilung des Saargebiets
intereſſierten Staat, eingeräumten Vorrecht, dort Truppen au unterhalten
und die Gerichtsbarkeit auszuüben.
Die deutſche Regierung verlangt die Zurückziehung der franzöſiſchen
Truppen, die Abſchaffung der Kriegsgerichte und die Ungültigkeitserklärung
aller Urteile, die von dieſen über Einwohner ſeit dem Regierungsantritt
der Regierungskommiſſion verhängt worden ſind, und bemerkt, daß ſie dieſe
Urteile nicht als rechtsgültig betrachten kann.
III. Der Präſident der Regierungskommiſſion des Saarbeckens hat in ſeinem
Schreiben vom 14. April 1920 darauf hingewieſen, daß es nach § 30 der Anlage
zu den Artikeln 45 bis 50 des Vertrags »der Regierungskommiſſion obliegt, unter
allen Umſtänden für den Schutz der Perſon und des Eigentums im Saargebiet zu
ſorgen«.
Kommiſſion nicht ohne die Hilfe fremder Truppen ſichergeſtellt werden kann, und iſt
der Anſicht, daß die Verwendung dieſer Truppen ſich in rechtlicher Hinſicht aus
folgenden Gründen rechtfertigt:
a) Die Truppen ſind nicht Beſatzungstruppen, ſondern Garniſontruppen, die
Er führt aus, aus welchen Gründen dieſer Schutz nach Anſicht der
vollſtändig verſchieden ſind von der franzöſiſchen Rheinarmee; ihr Führer
muß allen Erſuchen des Präſidenten der Regierungskommiſſion Folge leiſten.
Ihre Anweſenheit kann nicht als im Widerſpruch zu dem Artikel des
Vertrags angeſehen werden, der jeden Heeresdienſt im Saarbeckengebiet
unterſagt.
b) Keine Stelle des Vertrags ſchränkt die Befugniſſe der Regierungskommiſſion
in der Wahl der Mittel, die ihr die Sicherſtellung des Schutzes von Perſonen
und Eigentum im Saargebiet ermöglichen, ein. Der Völkerbundsrat hat
am 15. Februar 1920, vor der Einſetzung der Regierungskommiſſion, die
Anſicht ausgeſprochen, daß die Regierungskommiſſion das Recht habe, ſich
der Mithilfe franzöſiſcher Truppen zu bedienen.
Was die Gerichtsbarkeit der Kriegsgerichte anbelangt, ſo erklärt der
Präſident der Kommiſſion, er habe beſchloſſen, daß die Fälle, für die die
ordentlichen Gerichte nicht zuſtändig ſind, vor das neue Obergericht in
Saarlouis, das auf Grund des § 25 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50
des Verſailler Vertrags errichtet worden iſt, gebracht werden ſollen. Dieſes
Obergericht iſt »gegenwärtig dabei zu prüfen, wie es die Einwohner des
Saargebiets der Gerichtsbarkeit der Kriegsgerichte entziehen kanne. Sobald
das neue Regime in Kraft getreten fein wird, wird die Rolle des Kriegs—
gerichts »auf die im Völkerrecht allgemein anerkannten Regeln beſchränkt
. jein, und es wird gegenüber der Bevölkerung nur noch in ganz beſonderen
Ausnahmefällen zuſtändig ſein«. Er erklärt, dieſe Praxis 1 bereits ſeit
einigen Monaten in Kraft.
IV. Der Präſident der Regierungskommiſſion hat in ſeinem Schreiben vom
14. April 1921 ſelbſt die praktiſchen Gründe angegeben, die die Regierungskommiſſion
dazu veranlaßt haben, von ihrem PR franzöſiſche Truppen im Saargebiet zu
unterhalten, Gebrauch zu machen.
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| In dieſem Schreiben ſagt er folgendes:
»Um in wirkſamer Weiſe die Garniſonſruppen erſetzen zu können,
müßte die örtliche Gendarmerie mindeſtens 4000 Mann ſtark ſein, darunter
500 Berittene. Es erſcheint ausgeſchloſſen, im Saarbecken, wo die Bevöl—
kerung von der lohnenden Arbeit in den Gruben und Werkſtätten angezogen
wird, jo ſtarke Beſtände zuſammenzub ringen. Man würde dazu gelangen,
daß dieſe Gendarmerie die Unzulänglichkeiten aufweiſen würde, die allen
Polizeitruppen anhaften, die durch Rekrutierung in dem Bezirk ſelbſt
aufgebracht werden; der Präſident hat die Pflicht, daran zu erinnern,
daß die ſtädtiſchen Schutzmanuſchaften und die Landgendarmerie ſich im
Auguſt v. J. dem Streik der Beamten angeſchloſſen und ihre Poſten ver—
laſſen haben.
Schließlich würde die Unterhaltung einer derartig ſtarken Truppenmacht
für das Saargebiet eine erdrückende Laſt bedeuten. Bereits das im
Auguſt v. J au'geſtellte Korps von 30 Fußgendarmen erfordert eine jährliche
Ausgabe von 700 000 Mark. Die Finanzen der Regierungskommiſſion
könnten alſo keinesfalls die Koſten einer genügend zahlreichen Gendarmerie,
die mehrere Schwadronen Berittener umfaſſen müßte, beſtreiten.
Gegenwärtig unterhält die franzöſiſche Regierung, um die Regierungs—
kommiſſion inſtand zu ſetzen, die Sicherheit der Kohlengruben zu garantieren,
im Saarbecken nahezu 7000 Mann Truppen; das franzöſiſche Budget wird
hierdurch mit mehr als 40 000 000 Fr. belaſtet.«
b V. Nach § 35 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50 des Verſailler Ver—
trags hat die Regierungskommiſſion die Befugnis, alle Fragen, die durch die
Auslegung der vorgenannten Beſtimmungen, z. B. durch die Auslegung des $ 30,
ſich ergeben, zu entſcheiden. Die Regierungskommiſion iſt jedoch gegenüber dem
Völkerbunde, der in Bezug auf die Verwaltung des Gebiets als Treuhänder gilt,
verantwortlich.
Der Rat hat ſchon durch ſeinen vorerwähnten Beſchluß vom 13. Februar 1920
zu dem Proteſt der deutſchen Regierung gegen die Anweſenheit fremder Truppen im
Saarbecken Stellung genommen. Dieſer Beſchluß war die Billigung der Schluß—
folgerungen eines Berichtes, der die Befugniſſe der Regierungskommiſſion in folgender
Weiſe feſtlegte:
»Gemäß 8 30 iſt es ihre Aufgabe, unter allen Umſtänden für den
Schutz von Perſonen und Eigentum im Saarbeckengebiet zu ſorgen. Hieraus
ergibt ſich, daß fie bis zu der in dem erwähnten § 30 vorgeſehenen Er—
richtung einer ſaarländiſchen Gendarmerie die völlige oder teilweiſe Bei—
behaltung oder Rückberufung der zur Aufrechterhaltung der Ordnung be—
rufenen Truppen verlangen kann, falls ein Bedürfnis hierfür beſteht.«
VI. Eine aufmerkſame Prüfung der von der deutſchen Regierung und von
dem Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saarbeckens vorgebrachten Rechts—
ausführungen gibt dem Völkerbundsrat keinen Grund, die Haltung, die er bei der
Faſſung des vorſtehenden Beſchluſſes eingenommen hat, zu ändern. Die der Ne
gierungskommiſſion übertragene Aufgabe, im Saargebiet im Intereſſe ſowohl der
Einwohner wie des franzöſiſchen Staates, des Eigentümers der Gruben, die Ordnung
aufrechtzuerhalten, iſt von der größten Bedeutung und ſchließt das Recht in ſich, im
Notfalle alle der Kommiſſion zur Verfügung ſtehenden Mittel zur Anwendung zu
bringen. Es iſt Sache der Regierungskommiſſion, zu entſcheiden, ob die Notwendig—
keit dazu vorliegt; natürlich iſt ſie dem Völkerbunde für den Gebrauch, den ſie von
ihrem Rechte macht, verantwortlich. Der Bericht an den Völkerbundsrat vom
13. Februar 1920 ſieht allerdings die Unterhaltung einer fremden Garniſon als dau—
ernde Einrichtung der Verwaltung des Saargebietes nicht vor, ſondern beſagt im
— 1
Gegenteil, daß dieſe fortfallen ſoll, ſobald die Entwicklung der örtlichen Gendarmerie
es der Regierungskommiſſion ermöglicht, feſtzuſtellen, daß die fremde Hilfe für ſie
nicht mehr unerläßlich iſt.
Was hier von den franzöſiſchen Truppen geſagt iſt, gilt a in gleicher
Weiſe für die in der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 24. Juli 1920
erwähnte franzöſiſche Gendarmerie.
VII. Was die Rechtſprechung der Kriegsgerichte im Saarbecken anbetrifft, ſo
ergibt ſich bei einer Prüfung der SS 23 und 25 der Anlage zu den Artikeln 45
bis 50 des Verſailler Vertrags in unanfechtbarer Weiſe, daß zu normalen Zeiten
die Ausübung der Juſtiz im Saarbecken nur im Namen der Regierungskommiſſion
und gemäß den am 11. November 1918 geltenden Geſetzen ſtattfinden darf, vor—
behaltlich der Anderungen, die die Regierungskommiſſion nach Anhörung der
gewählten Vertreter der Bevölkerung vornimmt, und daß dieſe Geſetze lediglich von
den im § 25 bezeichneten Gerichten angewandt werden dürfen. Es ergibt ſich hier⸗
aus, daß es im Widerſpruch zum Friedensvertrag ſtände, wenn über die Einwohner
Recht geſprochen würde durch Kriegsgerichte oder auf Grund von anderen Geſetzen
als den eben bezeichneten. Die Regierungskommiſſion erkennt an, daß dies die
Folge der Beſtimmungen des Vertrages iſt und erklärt, daß fie Maßnahmen ge-
troffen hat, die bereits ſeit mehreren Monaten zur Anwendung gelangen, um jede
Ausübung der richter ichen Gewalt durch Kriegsgerichte, die im Widerſpruch zum
Friedensvertrag ſtehen könnte, zu unterbinden.
VIII. Bei der Feſtſtellung vorſtehender Grundſätze muß man jedoch anerkennen,
daß es in dringenden Fällen, in denen es die Regierungskommiſſion für unerläßlich
gehalten hat, auf die Hilfe fremder Truppen zurückzugreifen, vielleicht unmöglich ge-
weſen iſt, eine zweckdienliche Rechtſprechung durch die ordentlichen Gerichte ſicher—
zuſtellen oder ſich auf dieſe allein zu verlaſſen; in Ausnahmefällen dieſer Art dürfte
es ſchwer fallen, der Regierungskommiſſion als der oberſten Exekutivgewalt des Ge—
bietes, die auf Grund des Verſailler Vertrages für den Schutz von Perſonen und
Eigentum verantwortlich iſt, das Recht abzuſprechen, die Zuſtändigkeit der von den
fremden Truppen eingeſetzten Kriegsgerichte in dem Maße zu erweitern, wie ſie es
für notwendig hält. Andernfalls wäre es vielleicht unmöglich geweſen, die Ordnung
aufrechtzuerhalten und die Truppen mit Erfolg zu verwenden. Wie dem aber auch
ſei, es darf nicht vergeſſen werden, daß die Autorität dieſer Kriegsgerichte vollkommen
von der Regierungskommiſſion abgeleitet war und nicht von der Regierung des
Landes, in deſſen Dienſten die Offiziere ſtanden, aus denen ſie ſich zuſammenſetzten.
Dieſe Erwägungen, die jedoch nur für wirklich außergewöhnliche Umſtände und im
Falle wirklicher Gefahr für die öffentliche Ordnung gelten — Vorausſetzungen, die ſich
jetzt, wo der Obergerichtshof für das Saarbecken errichtet iſt, wahrſcheinlich nicht mehr er—
geben werden — können als Antwort den rechtlichen Einwänden entgegengehalten werden,
die die deutſche Regierung gegen die Rechtsgültigkeit der bisher von den N
gerichten im Saarbecken erlaſſenen Urteile erhoben hat.
IX. Die in den Abſätzen VI, VII und VIII dieſes Berichtes enthaltenen
Beſchlüſſe könnten vielleicht der Riegierungskommiſſion des Saarbeckens als Richt—
linien für die Zukunft mitgeteilt werden; man könnte ſie auch erſuchen, in den
laufenden Berichten, die ſie an den Völkerbundsrat ſchickt, genaue Mitteilungen über
die Entwicklung der örtlichen Gendarmerie und die Ausſichten auf eine Ba...
der franzöſiſchen Truppen zu machen.
Eine Abſchrift dieſes Berichtes könnte ferner der deutſchen Regierung als Ant⸗
wort auf ihre verſchiedenen Noten über dieſe Frage übermittelt werden.
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Nr. 106.
| Verordnung der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die
Zuſtändigkeit der Gerichte über Zivil- und Militärperſonen.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 10 vom 25. Juli 1921.)
Die Regierungskommiſſion des Saargebiets verordnet auf Grund der SS 19,
25 und 30 der Anlage zum Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensvertrags von Ver—
ſailles und gemäß dem Beſchluß vom 28. Juni 1921 was folgt:
Artikel 1.
Die Gerichte des Saargebiets bleiben ſachlich zuſtändig für alle von Zivil—
perſonen begangenen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen.
Artikel 2.
Die Kriegsgerichte der mit der Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet
beauftragten Truppen ſind, da dieſe die Eigenſchaft als Garniſontruppen beſitzen,
vorbehaltlich der im nachſtehenden Artikel 3 vorgeſehenen Ausnahme allein zur Ab—
urteilung von Militärperſonen zuſtändig.
Zur Aburteilung von Angehörigen der im Saargebiet ſtationierten Gendarmerie
(Offiziere, Unteroffiziere und Gendarmen) ſind ſie auch zuſtändig für Verbrechen und
Vergehen, welche dieſe in Ausübung ihres Amtes bei der Verfolgung ſtrafbarer
Handlungen und bei der Feſtſtellung von Geſetzesverletzungen in Adminiſtrativ—
angelengeheiten begehen. |
Artikel 3.
Die Kriegsgerichte find jedoch zuſtändig zur Aburteilung von Zivilperſonen
irgendwelcher Staatsangehörigkeit wegen eines im Saargebiet begangenen Spionage—
verbrechens oder Spionagevergehens, welches ſich gegen die Sicherheit der mit der
Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet beauftragten Truppen richtet. In
dieſen Fällen überträgt ihnen der Präſident der Regierungskommiſſion die Verfolgung.
Artikel 4.
Wenn ein Strafverfahren wegen Teilnahme oder aus einem andern Grund
ſowohl gegen Zivil- als gegen Militärperſonen zu richten iſt, verfolgt jede Gerichts—
behörde die ihr unterliegenden Beſchuldigten, falls nicht auf Grund beſonderer Ver-
einbarung im Einzelfall zwiſchen dem Mitglied der Regierungskommiſſion für die
Juſtiz und dem Kommandierenden General der Saartruppen eine der beiden Gerichts—
barkeiten der anderen die Verfolgung überläßt; kraft dieſer Vereinbarung wird die
letztere Gerichtsbarkeit für die Verfolgung aller ihr überlaſſenen Beſchuldigten zuſtändig.
In allen Fällen hat jede der beiden Gerichtsbehörden der anderen auf deren
Verlangen ihre Akten mitzuteilen ſowie jede erforderliche, auf das betreffende Ver—
fahren bezügliche Auskunft zu erteilen.“
Artikel 5.
Falls im Saargebiet oder in einem Teil desſelben der Belagerungszuſtand ver-
hängt wird, beſtimmt die Verordnung der Regierungskommiſſion gleichzeitig, welche
Zuſtändigkeit den Kriegsgerichten zukommt.
Saarbrücken, den 28. Juni 1921.
Im Namen der Regierungskommiſſion.
Der Präſident.
gez. V. Rault, Staatsrat.
11
— 12 —
Nr. 107.
Bericht der Regierungskommiſſion der Saargebiets an den Völker⸗
bundsrat vom 1. Auguſt 1921. Ba
(Vgl. Druckſachen des Völkerbundes, C. 264. M. 195. 1921. S. 7 f.)
(berſetzung.) |
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Verordnung über die Kriegsgerichte.
Gemäß den von ihr ſtets bekundeten Abſichten und um den in dem Bericht
Seiner Exzellenz des Herrn Wellington Koo, deſſen Ergebniſſe am 20. Juni d. J. vom
Rat des Völkerbundes genehmigt worden ſind, ausgedrückten Wünſchen zu entſprechen,
hat die Regierungskommiſſion am 28. Juni d. J. eine Verordnung über die Kriegs⸗
gerichte erlaſſen.
Dieſe Verordnung ſtellt den Grundſatz auf, daß die Bewohner des Gebiets ihren
Gerichtsſtand nur vor den ordentlichen Zivilgerichten haben. Die Kriegsgerichte ſind
nur zuſtändig für Aburteilung von Militärperſonen der Garniſontruppen. Wenn bei
einer Straftat ſowohl Militär⸗ wie Zivilperſonen beteiligt find, ſollen beide Arten
von Gerichten jede für ſich ein Verfahren einleiten, wofern nicht die eine der anderen
die Verfolgung überläßt.
Nur wenn im Saargebiet ein Spionageverbrechen oder Spionagevergehen be⸗
gangen werden ſollte, das die Sicherheit der mit der Aufrechterhaltung der Ordnung
betrauten Truppen gefährdet, ſollen die Kriegsgerichte Bewohner des Gebiets ab-
urteilen dürfen; auch in dieſem Falle aber müſſen ſie von dem Präſidenten der
Regierungskommiſſion einen ausdrücklichen Auftrag erhalten. |
Schließlich iſt vorgeſehen, daß im Falle der Verhängung des Belagerungszuſtandes
die Regierungskommiſſion die den Kriegsgerichten zukommende Zuſtändigkeit beſtimmt.
So werden, abgeſehen von einem ganz ausnahmsweiſen Fall, nur Zivilgerichte über
Bewohner des Saargebiets urteilen.
XI.
Beamtenfrage, Beamtenſtreik, Maſſenausweiſungen.
Nr. 108.
Verfügung der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die Be⸗
amten im Saargebiet. |
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 1 vom 17,April1920).
Nr. 10. Verfügung betr. die Beamten im Saargebiet.
Die Regierungskommiſſion verfügt auf Grund der Anlage zu Artikel 46 des
Friedensvertrages von Verſailles und gemäß § 19 von Kapitel 2 beſagter Anlage,
wonach der Regierungskommiſſion die geſamte Regierungsgewalt übertragen iſt, die
ehedem dem deutſchen Reiche, Preußen und Bayern zuſtand, das Recht der Ernen—
nung und Abſetzung der Beamten mit einbegriffen, ferner auf Grund des Erlaſſes
16
vom 16. März, betreffend die Aufſtellung eines Jahreshaushalts, die Errichtung eines
Kaſſen⸗ und Rechnungsweſens im Saargebiet vom 1. April 1920 ab; endlich laut
Beſchluß der Regierungskommiſſion vom heutigen Tage, was folgt:
a 81.
Als Vertreterin des Völkerbundes im Saargebiet behält die Regierungskommiſſion
die Beamten und Angeſtellten, welche von der deutſchen, preußiſchen, bayeriſchen Regie—
rung ernannt oder beſtätigt waren und zur Zeit im Saargebiet im Dienſte ſind, in
ihren Amtsſtellungen bei, vorausgeſetzt, daß ſie ſeitens ihrer urſprünglichen Regierung
der Regierungskommiſſion zur Verfügung geſtellt bleiben. Indeſſen ſteht es jetzt ſchon
und während eines Verlaufes von 6 Monaten vom Tage an gerechnet, an dem die
Verhandlungen bezüglich der Übernahme der Beamten mit Deutſchland abgeſchloſſen
ſein werden, der Regierungskommiſſion frei, auf ihre Dienſte zu verzichten und ſie
ihren urſprünglichen Regierungen zur Verfügung zu ſtellen. Die Beamten werden in
Zukunft ihren Dienſt unter der Staatshoheit der Regierungskommiſſion ausüben,
einem ihrer Vertreter den Dienſteid leiſten, wodurch fie geloben, ihren Amtspflich ten
nach den ihnen von der Regierungskommiſſion gegebenen Weiſungen, wie dies im
Friedensvertrag vorgeſehen iſt, getreulich nachzukommen.
8.2.
Die Regierungskommiſſion kann etwaigen Geſuchen behufs Entlaſſung aus dem
Regierungsdienſte entſprechen. Um jedoch die ununterbrochene Weiterführung der
Dienſtgeſchäfte zu ſichern, iſt die Regierungskommiſſion befugt, auf einer Kündigungsfriſt
von drei Monaten zu beſtehen.
| 8 3.
Während ihrer Dienftzeit im Saargebiet genießen die Beamten die gleichen Rechte
und Zuſicherungen, wie dies durch die bis zum 11. November 1918 gültigen Geſetze
und Verordnungen vorgeſehen war, vorausgeſetzt, daß dieſe Anordnungen ſich nicht
im Gegenſatz befinden zu den Beſtimmungen des Verſailler Friedensvertrages. Dem—
entſprechend werden im Saargebiet Diſziplinarräte errichtet.
84.
Die in den vorhergehenden Paragraphen getroffenen Beſtimmungen kommen
für die richterlichen Beamten nicht in Betracht, da für dieſe Beamten noch beſondere
Beſtimmungen ſpäter zu treffen ſein werden.
§ 5.
Die Beamten, welche ihr Gehalt auf Grund des Etats des Saargebiets beziehen,
werden mit rückwirkender Kraft, und zwar bis auf den 1. März 1920, die gleichen
Grundbezüge und Zulagen erhalten, wie ſie in dem zur Zeit zur Beratung geſtellten
deutſchen Geſetzentwurf zur Beſoldungsreform vorgemerkt ſind. Die im Geſetzentwurf
e Teuerungszulageu werden mit beſonderer Berückſichtigung der im Saar—
gebiet beſtehenden Verhältniſſe feſtgeſetzt.
Keinesfalls werden ſie nach Annahme des Geſetzes etwa niedrigere Gehaltsbezüge
erhalten, als dies bei deutſchen Beamten der Fall iſt, die außerhalb des Saargebiets
entſprechend gleiche Stellungen einnehmen.
Im Falle ein Beamter auf Grund ſeiner Dienſtjahre oder ſeiner Leiſtungen An—
ſprüche auf Beförderung erheben könnte, ein ſolch höherer Poſten aber im Saargebiet
nicht vorhanden wäre, kann durch einen beſonderen Beſchluß dem betreffenden Beamten
für ſeine Perſon ein Gehalt zugebilligt werden, das ſonſt für den entſprechend höheren
Poſten ausgeworfen würde.
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Die bereits erworbenen oder noch zu erlangenden Rechte auf Penſion, wie auch f
die Fortdauer ihrer Anſtellung wird den Beamten gewährleiſtet gemäß den e
des Artikels 39 zur Anlage des Friedensvertrages von Verſailles. a
Saarbrücken, den 16. März 1920.
Der Staatsrat,
Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets:
gez. V. Rault.
Nr. 109.
Bericht über Verhandlungen zwiſchen dem Neichstommiſſar für die
Übergabe des Saargebiets und der Regierungskommiſſion des Saar⸗
gebiets über Beamtenfragen am 24. April 1920. |
Trier, 24. April 1920.
Anweſend: A. 1. Der Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets, Ober⸗
präſident Exzellenz von Groote aus Coblenz.
2. Oberregierungsrat Dr. von Gal Mr
3. Regierungsrat Dr Bacmeiſter | W Fend allplum,
J. Legationsfekretär Dr. Rühl 1 ee
5. Regierungspräſident Fuchs „
6. Oberregierungsrat Eichhorn von der Regierung
7. Regierungsaſſeſſor Freiherr von in Trier.
Schorlemer
8. Landrichter Mallmann aus Trier als Dolmetſcher.
B. 1. Staatsrat Rault aus Saarbrücken.
2. Major Lambert aus Saarbrücken.
3. von Boch aus Saarbrücken.
Zu 1. Vorſitzender, zu 2. und 3. Mitglieder der N
kommiſſion für das Saargebiet.
4. Generalſekretär Dr. Carrière aus Saarbrücken.
5. Sekretär Pierrotet aus Saarbrücken.
Oberpräſident von Groote eröffnete um 1 Uhr 30 Minuten Be die a
Verhandlung, indem er auf das Schreiben der Regierungskommiſſion vom 12. April 1920
und den Beſchluß der Kommiſſion vom 10. April 1920, an der Beſtimmung des
Artikels 1 der Verordnung vom 16. März 1920, betreffend Zurückweiſung von Beamten
innerhalb 6 Monaten, feſtzuhalten, eine ausführliche Antwort erteilte (ſiehe Anlage 1)
und zu der Frage, ob die deutſche Regierung die im Saargebiet tätigen Beamten
der Saarregierung zur Verfügung ſtelle, die aus der Anlage 2 erſichtliche Erklärung
verlas und übergab.
Präſident Rault erwiderte, daß demgegenüber die Kommiſſion auf ihrem
mehrfach gekennzeichneten Standpunkt verharre, nachdem ſie ſich nunmehr in voller
Beſetzung in dieſem Sinne ſchlüſſig gemacht habe. Sie befinde ſich dabei in Über⸗
einſtimmung mit dem Rat des Völkerbundes, der ſie ermächtigt habe, ſo zu handeln.
Ihr Recht dazu ergebe ſich auch aus § 19 der Anlage zu Artikel 50 des Friedens⸗
vertrages und jedenfalls aus deſſen $ 33. Von ihrem Recht, das eigentlich unbe⸗
ſchränkt ſei, mache ſie durch deſſen Befriſtung auf 6 Monate den denkbar wohl⸗
wollendſten Gebrauch. Es richte ſich in erſter Linie nur gegen Beamte, die nicht
verläßlich ſeien und ihren Pflichten nicht nachkommen würden. Er wiederhole daher
go
die Frage, ob die deutſche Regierung gewillt fei, die Beamten zur Verfügung zu
ſtellen. Andernfalls ſei eine weitere Diskuſſion überflüſſig. In dieſem Falle werde
die Kommiſſion ſich ihrer in der Verordnung vom 16. März eingegangenen Ver—
pflichtungen für entbunden halten und wieder das volle Recht aus dem Friedensver⸗
trage zurückerlangen, die Beamten zu jeder Zeit zu entlaſſen. Sie werde dann ein
eigenes Statut erlaſſen, und die Beamten würden ſich zu entſcheiden haben, ob ſie
unter dieſem Statut bleiben wollten oder es vorzögen, zu gehen. Im übrigen habe
der Herr Oberpräſident ſelbſt in der Beſprechung vom 22. März d. J. die Verord-
nung vom 16. März als Grundlage der 1 anerkannt und insbeſondere
erklärt, daß nach ſeinem perſönlichen Dafürhalten die Verordnung nichts enthalte,
was eine Einigung von vornherein ausſchließen könnte.
Oberpräſident von Groote bemerkte zunächſt berichtigend, daß er in der
Beſprechung vom 22. März ausdrücklich erklärt habe, daß er der Verordnung vom
16. März nicht ohne weiteres zuſtimmen könne, insbeſondere nicht ohne zuvorige An—
hörung der Beamten, da die Regierung Wert darauf lege, die Entſcheidung in Über—
einſtimmung mit dieſen zu treffen. Er habe deshalb damals vorgeſchlagen, eine
Unterkommiſſion unter Beteiligung von Beamtenvertretern zu bilden. Dieſer Vor—
ſchlag ſei aber abgelehnt worden. Darauf ſei der Ausweg gewählt worden, daß er
allein ſich mit den Beamten in Verbindung ſetzen ſolle, und es ſei in Ausſicht ge—
nommen worden, hierbei auch die Verordnung, die er übrigens nur als einen Ent—
wurf habe anſehen können, zum Gegenſtand der Verhandlung zu machen.
Weiterhin entgegnete der Oberpräſident: Es ſcheine keinen Zweck zu haben, ſich
über die Rechtsauffaſſung zu ſtreiten. Man müſſe einen Weg zur Verſtändigung
ſuchen. Hierzu ſei er bereit und wolle dabei keineswegs weitergehende Forderungen
ſtellen, als die Beamten ſelbſt ſie erhoben hätten. Wenn Präſident Rault eine andere
Auffaſſung gewonnen haben ſollte, ſo ſei dieſe Annahme irrig.
Er müſſe darauf hinweiſen, daß der Erlaß der Verordnung und insbeſondere
der Artikel 1 eine große Beunruhigung in der Beamtenſchaft hervorgerufen habe.
Die Beamten wollten wiſſen, in welcher Weiſe die Beſtimmung gehandhabt werden
ſolle. Wenn er darüber einige Klarheit gewinnen könne, glaube er noch mit den
Beamten über den Artikel 1 verhandeln zu können. Der Standpunkt der Beamten
ſei, daß es ein beſonderes Entgegenkommen ihrerſeits bedeute, wenn ſie den ihnen
zugemuteten Treueid leiſten wollten. In weiten Kreiſen der Beamtenſchaft beſtehe auch
jetzt noch Widerſtand gegen die Eidesleiſtung. Man wolle jedoch verſuchen, auch die
Widerſtrebenden dazu geneigt zu machen. Hierbei gehe man von der Anſicht aus, daß
durch die Eidesleiſtung die Loyalität feſtgelegt werde und daß diejenigen Beamten, die
den Eid geleiſtet oder ſich dazu bereit erklärt hätten, in ihren Amtern zu belaſſen feien.
Auf die Frage, ob die deutſche Regierung die Beamten zur Verfügung ſtelle,
könne er nur die Erklärung wiederholen, die er überreicht habe.
Präſident Rault erwiderte: Für die Zurückweiſung von Beamten kämen
zwei Gründe in Betracht: 1. ſchienen zuviel Beamte im Saargebiet tätig zu fein.
Aus finanziellen Gründen würde ihre Zahl vorausſichtlich vermindert werden müſſen.
Dabei werde es ſich wahrſcheinlich um einige wenige handeln; 2. habe eine Anzahl
von Beamten ſich jetzt ſchon durch ihre Haltung in der Offentlichkeit als gegen die
Regierungskommiſſion feindlich geſinnt gezeigt. Dieſe müßten beſeitigt werden. Es
kämen wohl ausſchließlich höhere Beamte und auch nur wenige in Frage. Die
Maſſe der mittleren und unteren Beamten würde davon nicht betroffen werden.
Aber auch bei der Zurückweiſung der Betreffenden würden alle Härten vermieden
werden. Die Kommiſſion habe deshalb in Erwägung gezogen, ihnen eine Friſt von
2 bis 3 Monaten zu belaſſen, um ihre Angelegenheiten im Saargebiet zu ordnen und
ſich nach einer neuen Stellung umzuſehen. Daß es nicht richtig ſei, Beamte erſt den
Eid leiſten zu laſſen und dann zurückzuweiſen, ſehe die Kommiſſion ein. Sie werde
deshalb die Eidesleiſtung allgemein erſt am Ende der Sechsmonatsfriſt fordern.
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Regierungsmitglied von Boch ſchaltete die Bemerkung ein, daß er ſich
mit dem Recht der Zurückweiſung innerhalb der Friſt von 6 Monaten nicht einver-
ſtanden erklärt habe. N
Präſident Rault erklärte hierauf ohne Widerſpruch des Herrn von Boch,
daß dieſer früher dafür geſtimmt habe. Allerdings habe es ſich damals gefragt, ob
das Recht nicht noch weiter auszudehnen ſei. Erſt als infolge eines Schreibens Seiner
Exzellenz die Frage vor die Vollkommiſſion gebracht worden ſei, habe Herr v. Boch
ſeine Stellung geändert.
Oberpräſident von Groote entgegnete auf die vorhergehenden längeren Aus—
führungen des Präſidenten Rault: Er akzeptiere die Erklärung, das Recht der
Zurückweiſung von Beamten mit Wohlwollen ausüben zu wollen und daß keine
Ausweiſungen beabſichtigt ſeien. Was die überzähligen Beamten anbelange, ſo dürften
natürlich nicht durch Errichtung neuer Behörden und durch Berufung anderer Beamten
die Stellen der anweſenden Beamten freigemacht werden. Die Beurteilung der
Loyalität der Beamten durch die Regierungskommiſſion ſei von ſubjektiven Empfindungen
abhängig. Jedenfalls könne die Bevölkerung leicht den Eindruck der Willkür gewinnen.
Er frage daher, ob es nicht angängig ſcheine, die Entſcheidung dieſer Fragen einer
beſonderen gemiſchten neutralen Kommiſſion zu übertragen.
Präſident Rault erklärte darauf, daß er dieſe Forderung unter keinen
Umſtänden zugeſtehen könne, und führte in längerer Rede aus, daß die Regierungs⸗
kommiſſion nicht länger warten könne, ſondern wiſſen müſſe, ob ſie mit der Über⸗
weiſung der Beamten rechnen könne oder nicht. Er müſſe daher auf einer klaren
Beantwortung ſeiner Frage beſtehen.
Oberpräſident von Groote erwiderte und teilte den Standpunkt der
Regierungskommiſſion, wenn ſie verlange, daß die Beamten ihre Autorität anerkennten
und ihre Pflicht erfüllten. Die Loyalität der Beamten feſtzuſtellen ſei aber eine
ſchwierige Frage. Es ſei ihm verſichert worden, daß, wenn führende Mitglieder der
Beamtenſchaft ausgewieſen würden, eine große Unruhe nicht nur unter den Beamten,
ſondern auch unter der Arbeiterſchaft zu erwarten wäre. Es bedeutet deshalb für
ihn eine außerordentliche Verantwortung, die gewünſchte Zuſage zu erteilen. Er ſei
im Augenblick nicht in der Lage, eine beſtimmte Antwort zu geben. Vielmehr müſſe
er zunächſt mit den Vertretern der Beamtenſchaft ſprechen und die deutſche Regierung
darüber befragen. Beides würde er mit möglichſter Beſchleunigung ausführen.
Präſident Rault ließ darauf ſeinen Standpunkt in einer ſchriftlichen Er⸗
klärung formulieren, die er verleſen ließ und die er umgehend überſenden will ). Er
erwarte eine Antwort in ſpäteſtens 10 Tagen.
Oberpräſident von Groote erklärte, daß er dieſe Erklärung ſofort nach
ihrem Eingang ſeiner Regierung vorlegen und demnächſt deren Entſcheidung mit⸗
teilen werde. Er geſtatte ſich aber zunächſt folgende Fragen: |
1. Iſt die Erklärung begründet auf einen einſtimmigen Beſchluß der Kommiſſion?
2. it die Kommiſſion bereit, über die Regelung der Rechtsverhältniſſe der
Beamten einen Vertrag abzuſchließen? |
3. Welches Beamtenrecht wird nach Ablauf der 6 Monate im Saargebiet
gelten? Werden auch die bisherigen Geſetze in Geltung bleiben? |
Präſident Rault beantwortet die Fragen folgendermaßen:
1. Die Erklärung ſei in der geſtrigen Sitzung der Regierungskommiſſion ein-
ſtimmig im Prinzip beſchloſſen. Formuliert habe er ſie erſt ſoeben.
) Vgl. Nr. 110.
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— 17 —
2. Kein Vertrag, ſondern der Friedensvertrag und das zu erlaſſende Statut
würden maßgebend ſein. Über letzteres möge in einer Unterkommiſſion
beraten werden.
3. Das deutſche Beamtenrecht ſei ihm nicht bekannt. Er nehme an, daß es
grundſätzliche Anwendung finden könne nebſt dem Statut.
Auf den Hinweis des Oberpräſidenten von Groote, daß eine Friſt von 10 Tagen
ur Beantwortung der Erklärung zu kurz bemeſſen ſei, verlängerte Präſident Rault
ie Friſt bis zum 10. Mai d. J. 8
Schluß der Verhandlung 4 Uhr nachmittags.
Anlage 1.
Die Regierungskommiſſion hat mir durch das Schreiben des Herrn Präſidenten
vom 12. April Kenntnis gegeben von dem Beſchluſſe ihrer Vollverſammlung vom
10. April, welcher ausgeht von der Verordnung der Regierungskommiſſion vom
16. März. Dieſe Verordnung kann jedoch nach meiner Auffaſſung als die Quelle
von Rechten der Regierungskommiſſion nicht anerkannt werden, weil ſie von der
Regierungskommiſſion einſeitig erlaſſen iſt und jederzeit von ihr abgeändert werden kann.
ar übrigen wird das der Regierungskommiſſion durch $ 19 der Anlage zu
Artikel 50 des Friedensvertrages verliehene Recht zur Ernennung und Abſetzung
von Beamten von mir nicht beſtritten. Dieſes Recht kann jedoch gemäß § 23 der
Anlage zum Friedensvertrag nur ausgeübt werden im Rahmen der am 11. No»
vember 1918 im Saargebiet geltenden Rechte, wonach insbeſondere die Abſetzung
von Beamten an ein förmliches Diſziplinarverfahren gebunden iſt. Dieſe Rechts:
auffaſſung ergibt ſich aus dem Wortlaut des § 19 der Anlage zu Artikel 50 des
Friedensvertrages in Verbindung mit dem Verhandlungsprotokoll über den Friedens—
vertrag und der Antwortnote der alliierten und aſſoziierten Mächte an die deutſche
Regierung vom 16. Juni 1919. Danach kann es nicht zweifelhaft ſein, daß der
Regierungskommiſſion durch den § 19 nicht ein über die bisherigen Rechte der
deutſchen, preußiſchen und bayeriſchen Regierung hinausgehendes, ſondern nur das
in den bisherigen Rechten enthaltene Recht der Ernennung und Abſetzung von Be—
amten verliehen worden iſt.
Hinſichtlich der Frage, ob die Beamten von ihren bisherigen Heimatsregierungen
der Saarregierung zur Verfügung geſtellt werden, was auch nach Artikel 1 der Ver—
ordnung der Regierungskommiſſion vom 16. März die Vorausſetzung für die Über—
nahme der Beamten bildet, habe ich folgendes zu erklären:
Anlage 2.
Erklärung.
Den deutſchen Beamten iſt die Erlaubnis erteilt, vorläufig unter dem Regierungs—
ausſchuſſe des Saargebiets weiter in ihren Amtern tätig zu bleiben. Die deutſche
Regierung iſt auch grundſätzlich bereit, die deutſchen Beamten dem Regierungsausſchuß zur
Verfügung zu ſtellen, wenn die berechtigten Anſprüche der Beamten ſowohl gegenüber
dem Regierungsausſchuß wie gegenüber ihren Heimatbehörden durch Vertrag zwiſchen
der Deutſchen Regierung und der Regierung des Saargebiets ſichergeſtellt werden.
Da die geſamte Beamtenſchaft ſich einmütig gegen die Ausſonderungsfriſt von ſechs
Monaten gemäß Artikel 1 der Ordonnanz vom 16. März d. J. erklärt hat, ſo iſt es der
Deutſchen Regierung zur Zeit nicht möglich, die Beamten zu zwingen, entgegen ihrem
e
klar ausgeſprochenen Willen ihre Dienſte der Saarregierung zur Verfügung zu ſtellen.
Um aber Weiterungen zu vermeiden und beſtehende Gegenſätze möglichſt auszugleichen,
wird die Deutſche Regierung es ſich angelegen ſein laſſen, zwiſchen den Wünſchen
der Saarregierung und den Wünſchen der Beamtenſchaft zu vermitteln, und ſie wird
deshalb nochmals Gelegenheit nehmen, mit der Beamtenſchaft in dieſem Sinne zu
verhandeln.
Coblenz, den 24. April 1920.
Nr. 110.
Erklärung der Regierungskommiſſion über die Beamtenfrage
vom 24. April 1920. 5
| (berſetzung.)
Ich erſuche um Aufnahme eines Protokolls darüber, daß die Regierungskom⸗
miſſion auf ihrem Standpunkt betreffs der Verordnung vom 16. März 1920 auf
jeden Fall verharren wird, daß ſie das unbedingte Recht für ſich in Anſpruch nimmt,
zu jeder Zeit die Beamten zu ernennen und abzuberufen; daß ſie den Herrn Reichs⸗
kommiſſar erſucht hat, die Beamten im Saargebiet in ihrer Geſamtheit der Regierungs⸗
kommiſſion zur Verfügung zu ſtellen, da die Regierungskommiſſion gewillt iſt, die⸗
ſelben einzuſtellen mit dem Vorbehalt, ſie innerhalb einer Friſt von ſechs Monaten
nach dem Abſchluß der Verhandlungen mit dem Deutſchen Reich wieder zur Ver⸗
fügung ihrer Urſprungsregierung zu ſtellen; daß ſie darauf beſteht, noch vor dem
10. Mai 1920 bezüglich dieſes Punktes eine endgültige Antwort zu erhalten; daß
ſie erklärt, falls die deutſche Regierung glauben ſollte, nicht in der Lage zu ſein, die
Beamten unter dieſer Vorausſetzung zur Verfügung zu ſtellen, ſie — die Regierungs⸗
kommiſſion — die Verordnung vom 16. März 1920 als hinfällig betrachten würde,
da die in Ausſicht genommene Friſt von ſechs Monaten ſo aufzufaſſen iſt, daß die
Verpflichtung des Deutſchen Reiches vorausgeſetzt wird, die Beamten zur Verfügung
der Regierungskommiſſion zu ſtellen.
Im Falle der Weigerung der Deutſchen Regierung wird jede weitere Verhandlung
bezüglich des Beamtenſtatuts überflüſſig und die Regierungskommiſſion des Saar⸗
gebiets wird ſich gezwungen ſehen, die Verwaltung des Saargebiets ſo aufzubauen,
wie es ihr im Intereſſe der Saarbevölkerung und im Hinblick auf die Rechte und
Pflichten der Kommiſſion als Regierung des Saargebiets für notwendig erſcheinen wird.
Nr. 111.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗
bundsrat vom 1. Mai 1920. |
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 4, S. 194 ff.)
(Uberſetzung.)
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Während des Monats April war das ganze politiſche Leben von der Beamten⸗
frage beherrſcht. Die Regierungskommiſſion hat geglaubt, durch einen von ihrem
Präſidenten am 10. April an den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes gerichteten
Bericht dem ausführenden Ausſchuß mit Rückſicht auf die Schwere der Lage die
Schwierigkeiten auseinanderſetzen zu ſollen, denen fie begegnete, ſowie die Möglich-
keiten, die ſie gezwungen war ins Auge zu faſſen.
Es wird hier alſo genügen, die Ereigniſſe nach dem 10. April 1920 zu berühren:
Nachdem die Regierungskommiſſion an eben dieſem Tage ihre früheren Ent-
ſcheidungen beſtätigt und beſchloſſen hatte, bezüglich des Artikels 1 ihrer Verordnung
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vom 16. März nicht nachzugeben, glaubte fie, daß der Zeitpunkt gekommen fei, um
mit Herrn von Groote, Oberpräſidenten der Rheinprovinz und Reichskommiſſar für
die Übergabe des Saargebiets, die in Trier am 22. en begonnenen Verhandlungen
wieder aufzunehmen. Am 23. April legte ſie feſt, welche Haltung der zu ihrem
Wortführer beſtellte Präſident gegenüber Herrn von Groote einnehmen ſollte. Sie
waren einſtimmig der Anſicht, daß ſie ohne weiteres Zögern die deutſche Regierung
fragen müſſe, ob ſie bereit oder nicht bereit ſei, die im Saargebiet tätigen Beamten
der Regierungskommiſſion zur Verfügung zu ſtellen. Mit vier Stimmen gegen eine
wurde beſchloſſen, daß, wenn Herr von Groote es ablehnen ſollte, dieſe Frage im
bejahenden Sinne zu beantworten, die Verordnung vom 16. März aufgehoben und
der auf ſechs Monate feſtgeſetzte Zeitraum, auf deſſen Dauer die Kommiſſion ihr
Recht, die Beamten ihren Urſprungsregierungen wieder zur Verfügung zu ſtellen,
beſchränkt hatte, für ungültig erklärt werden würde, und daß die Kommiſſion ſich
dann das Recht vorbehält, ohne Einſchränkung von dem ihr durch den Vertrag zu—
erkannten Recht, die Beamten zu ernennen und abzuberufen, Gebrauch zu machen.
Am folgenden Tage (24. April) begab ſich der Präſident der Kommiſſion,
begleitet von den Herren von Boch und Lambert, nach Trier, wo er mit Herrn
von Groote zuſammentraf. Dieſer erklärte ſich außerſtande, auf die genaue
Frage, die ihm geſtellt war, ſofort zu antworten und bat, nachdem er von einer
ng des Präſidenten Kenntnis genommen hatte, die den vorſtehend in Kürze
wiedergegebenen Beſchlüſſen entſprach, um eine Friſt, um ſeine Meinung mitzuteilen.
Es wurde vereinbart, daß die Regierungskommiſſion ſeine Antwort bis zum 10. Mai
erwarten würde. Wahrſcheinlich wird dem Reichskommiſſar eine Zuſatzfriſt von
einigen Tagen bewilligt werden, da er mit dem Hinweis auf eine Verzögerung wegen
der langſamen Poſtverbindungen um eine Verlängerung der ihm gewährten Friſt
gebeten hat.
Es iſt aber bemerkenswert, daß zwei Tage nach der Zuſammenkunft in Trier
und obwohl ſeitens der Regierungskommiſſion aus Gründen der Schicklichkeit keine
Mitteilungen gemacht oder veröffentlicht worden waren, die Beamten über die
kleinſten Einzelheiten dieſer Beſprechung unterrichtet waren. Immerhin hatte man es
unterlaſſen, ihnen die von dem Präſidenten gegebenen Verſicherungen zu wiederholen,
die ſich auf die Maßhaltung bezogen, mit der die Kommiſſion von dem ihr durch
Axtikel 1 der Verordnung vom 16. März übertragenen Recht Gebrauch zu machen
gedachte, ſowie auf die wiederholten Verſicherungen ihres Wohlwollens gegenüber
loyalen Beamten. Um den wahren Sachverhalt wiederherzuſtellen, wurden die Ab—
geordneten der Beamten am 30. April von der Kommiſſion empfangen. Der Präſident
hat ihnen einen genauen Bericht über die Zuſammenkunft in Trier gegeben. Er
ſetzte ihnen auseinander, daß es nicht die Abſicht der Kommiſſion ſei, die Beamten-
ſchaft des Saargebiets ſtark zu lichten und dann Fremde hineinzubringen. Er gab
ihnen die Verſicherung, daß Saarländer berufen werden würden, die Inhaber hoher
Poſten zu erſetzen, deren Beibehaltung im Saargebiet unmöglich erſcheinen würde.
Am Schluſſe der Beſprechung konnte man nicht bezweifeln, daß eine Entſcheidung
eingetreten war. Es ſcheint, daß die Drohung eines Generalſtreiks der Beamten
künftig weniger wahrſcheinlich iſt. Aus der Redeweiſe ihrer Abgeordneten geht hervor,
daß ihre deutſchen Vorgeſetzten Verwirrung in ihre Gemüter geworfen hatten, indem
fie die Abſichten der Regierungskommiſſion entſtellten.
- Übrigens war der Präſident durch einen am Abend vorher gefaßten Beſchluß
in die Lage verſetzt worden, den Beamten Beſſeres als mündliche Verſicherungen zu
bringen. Er teilte ihnen den Wortlaut einer am 28. April angenommenen Verordnung
mit, wonach jede den ſtaatlichen Beamten, Penſionären und Arbeitern in Deutſchland
gewährte Beſſerſtellung bis zur Veröffentlichung eines neuen Statuts ſofort auf die
ſtaatlichen Beamten, Penſionäre und Arbeiter im Saargebiet Anwendung finden ſollte.«
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Nr. 112.
Bericht des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets
über die Beamtenfrage.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz 5
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 11. Mai 1920.
des Saargebietes. ö
S. 357.
Der Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets hat in erneuter Ver⸗
handlung am 8. Mai d. J. den Vertretern der Beamtenorganiſationen gegenüber die
ihnen am 30. April d. J. gemachten Zuſagen in der aus dem abſchriftlich anliegenden
Schreiben !) erſichtlichen Weiſe beſtätigt und teilweiſe erweitert. Er hat, wie der .....
mir am 10. Mai berichtete, mündlich dazu folgende Erläuterungen gegeben:
Die Regierungskommiſſion beabſichtige, lediglich 4 Beamte (deren Namen er den
Beamtenvertretern vertraulich angegeben hat) wegen mangelnder Loyalität nicht zu
übernehmen. Die Zurverfügungſtellung von Beamten wegen mangelnder Verwendungs⸗
möglichkeit werde ſich vorausſichtlich auf ſolche der Polizeiverwaltung beſchränken.
Mapf gebend für die Ausſcheidung dieſer Beamten werde allein die Rückſicht auf die
Belaſtung des Budgets ſein. Sollten die Beamtenorganiſationen, die in dieſen Fällen
gehört werden ſollten, der Meinung fein, daß die Rückſicht auf das Budget die Ent-
fernung der Beamten nicht unbedingt erfordere, ſo werde auch die Regierungs⸗
kommiſſion ihre finanziellen Bedenken fallen laſſen.
Wie der weiter berichtete, hat die Einſchränkung der Verpflichtung, nur
Deutſche als Beamte anzuſtellen, zugunſten der Bedürfniſſe der Zentralverwaltung
nur eine Ausnahme zum Gegenſtand. Es handelt ſich um die von dem kanadiſchen
Mitgliede der Regierungskommiſſion gewünſchte Anſtellung eines Schweizers, der
hauptſächlich wegen ſeiner Sprachkenntniſſe gewonnen und im Finanzreſſort als Rech⸗
nungsreviſor unter dem deutſchen Direktor Geheimrat Brill verwandt werden ſoll.
Die Zahl der von der Regierungskommiſſion oder dem Völkerbunde bereits ange⸗
ſtellten nichtdeutſchen Beamten, deren Abberufung leider nicht hat durchgeſetzt werden
können, ſoll 7 betragen.
Mit dem Ergebnis der Verhandlungen haben ſich die Beamtenvertreter im ganzen
befriedigt erklärt, und ſie ſehen der unter ihrer Mitwirkung bevorſtehenden Feſtſetzung
der Einzelheiten der Beamtenordnung mit der Zuverſicht auf einen günſtigen Ausgang
entgegen. Jedenfalls ſoll angeſichts der Auslegung, die der Präſident nunmehr dem
Artikel 1 der Verordnung vom 16. März 1920 gegeben hat, der Gedanke, die gänzliche
Aufhebung der Beſtimmung durch einen Streik zu erzwingen, von der Beamtenſchaft
aufgegeben ſein. 8 N
Angeſichts dieſer Lage und mit Rückſicht darauf, daß einerſeits die erlangten
Zugeſtändniſſe nunmehr in den Hauptpunkten ſchriftlich feſtgelegt, anderſeis weitere
nicht zu erreichen ſind, habe ich von der mir in der Berliner Beſprechung vom
5. Mai erteilten Ermächtigung Gebrauch gemacht und die Beamten in der aus an⸗
liegendem Schreiben erſichtlichen Weiſe der Saarregierung zur Verfügung geſtellt “).
gez. von Groote.
An
das Auswärtige Amt — Friedensabteilung — in Berlin.
) Vgl. Nr. 113.
2) Vgl. Nr. 114.
/
— 161 —
Nr. 113.
Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die Be⸗
amtenorganiſationen des Saargebiets vom 8. Mai 1920.
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 8. Mai 1920.
Direktion des Innern und Präſidialbüro. e
Die Regierungskommiſſion des Saargebietes hat am 30. April 1920 mit den
Vertretern der Beamtenorganiſationen des Saargebiets Verhandlungen geflogen, in
deren Verlauf der Präſident den Vertretern der Beamten auseinandergeſetzt hat, in
welchem Sinne die Verordnung vom 16. März 1920, die Beamten betreffend, auf—
zufaſſen ſei.
Um jedes Mißverſtändnis aus dem Wege zu räumen, will der Präſident im
Namen der Regierungskommiſſion und dem Wunſche der Beamtenvertreter ent—
ſprechend die hauptſächlichſten Punkte, welche in der Unterredung vom 30. April
berührt wurden, näher umſchreiben:
Die Regierungskommiſſion erklärt, daß ſie willens iſt, den Beamten das größte
Wohlwollen zu bezeugen und ihnen die weitgehendſte Gerechtigkeit widerfahren zu
laſſen. Sie hat keineswegs die Abſicht, von ihrem Recht der Abberufung der Be—
amten innerhalb einer Friſt von 6 Monaten, wie fie im Artikel ! der Verordnung
vom 16. März 1920 vorgeſehen iſt, zu dem Zweck Gebrauch zu machen, um Maſſen—
entlaſſungen der Beamten vorzunehmen. Sie hat den Wunſch, den Beamten Gelegen—
heit zu geben, innerhalb der erwähnten 6 Monate zu zeigen, ob ſie loyale Mitarbeiter
der Regierungskommiſſion ſein wollen. Im allgemeinen behält ſich die Regierungs—
kommiſſion nur bezüglich einer ganz geringen Anzahl von Beamten, deren Loyalität
ihr zweifelhaft erſcheinen wird, das Recht vor, dieſelben zur Verfügung ihrer Ur—
ſprungsregierungen zu ſtellen. a
Die Eidesleiſtung der Beamten wird nach Ablauf der Friſt von 6 Monaten
ſtattfinden. Jedoch wird es jedem einzelnen Beamten geſtattet fein, ſchon vor Ab—
lauf dieſer Friſt den Eid zu leiſten. Diejenigen Beamten, welche den Eid leiſten
und infolgedeſſen beſtellt werden, werden nur noch nach Maßgabe der Vorſchriften
entlaſſen werden können, welche am 11. November 1918 in bezug auf die Beamten-
entlaſſung giltig waren. |
Sollte ſich innerhalb der Friſt von 6 Monaten herausſtellen, daß im Verhältnis
zu den Bedürfniſſen der Verwaltung des Saargebiets zuviel Beamte im Amte ſind
und das Budget des Saargebiets unnötig belaſten, ſo würde die Regierungskommiſſion
befugt ſein, dieſelben zur Verfügung ihrer Urſprungsregierung zu ſtellen. Die Aus—
ſcheidung der überflüſſig erſcheinenden Beamten würde im Einvernehmen mit den
Beamtenorganiſationen erfolgen.
In Zukunft und abgeſehen von den Bedürfniſſen der Zentralverwaltung wird
die Regierungskommiſſion als Beamte nur Deutfche anſtellen, in erſter Linie Saar
länder. Zu Beamten werden nur ſolche Perſonen ernannt werden können, welche
im Beſitze der gleichen Vorbildung und der gleichen beruflichen Befähigungen ſind
wie die in gleicher Stellung befindlichen Beamten in Deutſchland.
Sollte die Regierungskommiſſion in die Lage kommen, keine Beamten zu finden,
welche den obengenannten Vorausſetzungen entſprechen, obwohl ſie die Beamten—
organiſationen um Vorſchläge erſucht hatte, ſo wird die Regierungskommiſſion be—
rechtigt ſein, nach eigenem Ermeſſen Beamte zu berufen.
Die bisher vom Völkerbund oder der Regierungskommiſſion als dem aus—
führenden Organ des Völkerbundes berufenen Beamten nichtdeutſcher Nationalität
werden beibehalten.
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Sobald die Beamten von ihren Heimatsregierungen zur Verfügung der Regierungs⸗
kommiſſion geſtellt ſein werden, wird die Regierungskommiſſion des Saargebiets die
näheren Einzelheiten der geplanten Beamtenordnung im Einvernehmen mit den
Beamtenorganiſationen beſtimmen.
Namens der Regierungskommiſſion:
gez. Rault, Staatsrat.
An die
Beamtenorganiſationen des Saargebiets, z. H. des Herrn algen Vorſtzender
des „ deutſcher Eiſenbahner,
Saarbrücken.
Nr. 114.
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an
die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 11. Mai 1920.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz Re:
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 11. Mai 1920.
des Saargebiets. |
Nr. ©. 397.
Herr Präſident!
Ich beſtätige mein Telegramm vom 10. Mai d. J.:
»Mit Rückſicht darauf, daß nach Angabe der Vertreter der Beamten
die Regierungskommiſſion der deutſchen Beamtenſchaft im Saargebiet Zu⸗
ſagen gemacht hat, welche eine befriedigende Regelung der Beamtenfrage
als geſichert erſcheinen laſſen, ſtellt die Reichsregierung hiermit die Reichs—
beamten, die preußiſchen und bayeriſchen Staatsbeamten im Saargebiet der |
a e e zur Verfügung.
Oberpräſident.«
Wie mir mitgeteilt iſt, beabſichtigt die Regierungskommiſſion Kune im Ein⸗
vernehmen mit den Beamtenorganiſationen die näheren Einzelheiten der geplanten
Beamtenordnung zu beſtimmen. Wenn die deutſche Regierung auch zu dieſen Ver-
handlungen den Beamten des Saargebiets freie Hand gelaſſen hat, ſo iſt dies in der
Erwartung geſchehen, daß die Saarregierung um ſo mehr geneigt ſein wird, den
weiteren, ſchon durch den überſandten Entwurf eines Vertrages über die Beamten-
verhältniſſe zu Ihrer Kenntnis gebrachten Forderungen der Saarbeamtenſchaft Rech⸗
nung zu tragen.
Ich glaube mich iu Übereinſtimmung mit der Regierungskommiſſion zu befinden,
wenn ich annehme, daß es den beiderfeitigen Wünſchen und einer gegebenen Not-
wendigkeit entſpricht, demnächſt die etwa nach Aufſtellung der Beamtenordnung noch
verbleibenden Fragen, wie z. B. diejenigen der Durchführung des Beamtenerſatzes
und »austaufches, des Ausgleiches der Penſionszahlungen uſw. einer vertraglichen
Regelung zwiſchen den Regierungen zuzuführen.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
An
den Präſidenten der Regierungskommiſſion für das
Saargebiet, Herrn Staatsrat Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
gez. von Groote.
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Nr. 115.
Note der . des Saargebiets an den Reichs⸗
kommiſſar für die Übergabe des Saargebiets vom 22. Mai 1920.
| (Überſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 22. Mai 1920.
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion für das Saarbeckengebiet
an
Herrn von Groote,
Oberpräſidenten der Rheinprovinz, Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets,
N Coblenz.
Herr Präſident!
Sie waren ſo freundlich, mir mit Schreiben vom 11. d. M. Ihr Telegramm vom
10. Mai zu beſtätigen, wonach die deutſche Regierung der Regierungskommiſſion die
Reichsbeamten und die preußiſchen und bayeriſchen Staatsbeamten im Saargebiet zur
Verfügung ſtellt. |
Ich beehre mich, Ihnen den Empfang dieſes Schreibens zu beſtätigen. Die Re—
gierungskommiſſion nimmt von dieſer Entſcheidung der deutſchen Regierung Kenntnis.
Sie beglückwünſcht ſich zu der bei dieſer Gegelegenheit ſeitens der Beamten des Saar-
gebiets beobachteten Haltung, die dadurch, daß ſie ſelbſt den Wunſch bekundeten, der
Regierungskommiſſion zur Verfügung geſtellt zu werden, letzterer einen Beweis ihres
Vertrauens gegeben haben. Sie haben dadurch auch in erheblichem Maße zur Re—
gelung der ſie beſchäftigenden Fragen beigetragen.
Wie Sie in Ihrem Schreiben erwähnen, beabſichtigt die Regierungskommiſſion,
die ſich hierin im Einvernehmen mit den Beamtenorganiſationen des Saargebiets
befindet, die Lage der Beamten durch ein genau umſchriebenes Statut zu regeln,
worin einerſeits den berechtigten Intereſſen der Beamten, deren natürlicher Hüter ſie
iſt, und anderſeits den Erforderniſſen einer guten Verwaltung des ihrer Regierungs—
gewalt unterſtelllen Gebietes Rechnung getragen werden ſoll.
Die Regierungskommiſſion hat die Ausarbeitung dieſes Statuts einer beſonderen
Kommiſſion übertragen. Darin haben zwei ihrer Mitglieder Sitz. Sie werden ſich
mit den Vertretern der Beamten in Verbindung ſetzen. Dieſe Kommiſſion wird
alsdann, im Einverſtändnis mit dem Reichskommiſſar oder ſeinen Vertretern, und
zwar bei Zuſammenkünften, die in Trier ſtattfinden können, über die Einzelheiten der
techniſchen Ausführung der für Deutſchland aus dem Friedensvertrag ſich ergebenden
Verpflichtungen hinſichtlich der Penſionen zu beraten haben.
Schließlich verkennt die Regierungskommiſſion nicht, daß es im Intereſſe der
künftigen Laufbahn der jetzt im Saargebiete tätigen Beamten, die früher der deutſchen
Regierung gedient haben oder umgekehrt, wünſchenswert erſcheint, die Lage dieſer
Beamten zum Gegenſtand einer übereinſtimmenden Regelung zwiſchen beiden Re—
gierungen zu machen. a
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
Im Namen der Regierungskommiſſion.
Der Staatsrat, Präſident:
gez. V. Rault.
Br
186.
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an
die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 29. Mai 1920.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 29. Mai 1920.
des Saargebiets. |
S. 463.
Herr Präſideut!
Sie waren ſo gütig, mir mit Schreiben vom 22. Mai d. J. mitzuteilen, daß
die Regierungskommiſſion die Ausarbeitung des Beamtenſtatuts einer beſonderen
Kommiſſion übertragen habe, welcher zwei ihrer Mitglieder angehören, daß dieſe
Kommiſſion ſich mit den Vertretern der Beamten in Verbindung ſetzen werde, und
daß dieſelbe Kommiſſion alsdann im Einverſtändnis mit mir oder meinen Beauf⸗
tragten in Zuſammenkünften in Trier zu beraten haben werde über die Art der Aus
führung der für Deutſchland aus dem Friedensvertrage ſich ergebenden Verpflichtungen
hinſichtlich der Ruhegehaltsbezüge. Sie fügten hinzu, daß die Regierungskommiſſion
nicht verkenne, daß es im Intereſſe der künftigen Laufbahn der Beamten, die jetzt
im Saargebiet tätig ſind, nachdem ſie der deutſchen Regierung gedient haben oder
umgekehrt, wünſchenswert ſei, daß die Lage dieſer Beamten von den beiderſeitigen
Regierungen zum Gegenſtand übereinſtimmender Regelungen gemacht werde.
Ich nehme von dieſen Mitteilungen Kenntnis, insbeſondere von der Bereitwillig⸗
keit der Regierungskommiſſion, die Fragen der Ruhegehaltsbezüge und des Übertritts
von Beamten der Saarregierung in den Dienſt der deutſchen Regierung und um⸗
gekehrt in gemeinſamen Beratungen zu erörtern und zu regeln.
Was die Beamtenpenſionen anbelangt, ſo ſcheint es mir nicht, als wenn der
Friedensvertrag irgendwelche beſonderen Verpflichtungen Deutſchlands habe feſtlegen
wollen. Die einzige mir bekannte Beſtimmung des Friedensvertrages (§ 24 der An⸗
lage zu Artikel 50), die ſich zwar nicht mit Beamtenpenſionen, wohl aber mit den
Rechten der Einwohner des Saarbeckens in Verſicherungs- und Rentenangelegenheiten
(alſo vor allem mit den Anſprüchen auf Alters- und Invalidenrenten) beſchäftigt,
macht Deutſchland und der Regierung des Saarbeckens die Aufrechterhaltung und
den Schutz dieſer Rechte gleichmäßig zur Pflicht.
Ob die weitere Frage des Beamtenaustauſches ſich lediglich durch übereinſtim⸗
mende Anordnungen der beiderſeitigen Regierungen ohne ein gegenſeitig verpflichten⸗
des Abkommen werde befriedigend regeln laſſen, muß ich bezweifeln. Doch dürfte
es erſt nach eingehender Erörterung angebracht fein, auf dieſen Punkt zurückzukommen.
Mit dieſen Maßgaben begrüße ich die mir gebotene Gelegenheit, in eine münd-
liche Erörterung der vorbezeichneten wichtigen Fragen einzutreten und werde nicht
verfehlen, demnächſt meine Beauftragten zu den in Ausſicht genommenen Zuſammen⸗
künften in Trier zu entſenden. Als Ort dieſer Beſprechungen erlaube ich mir wiederum
den Sitzungsſaal der Trierer Regierung vorzuſchlagen. Bezüglich Tag und Stunde
der erſten Begegnung darf ich Ihren gefälligen Vorſchlägen entgegenſehen.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
gez. von Groote.
An
den Präſidenten der Regierungskommiſſion für das
Saargebiet, Herrn Staatsrat Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
— 165 --
Nr. 117.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets
an den Völkerbundsrat vom 1. Juni 1920.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 5, Seite 279 ff.)
(berſetzung.)
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Die Beamtenfrage.
Die Beamtenfrage, die im Monat April das ganze politiſche Leben des Gebiets
beherrſcht hatte, hat eine vorläufige Regelung erfahren, die für die Regierungs—
kommiſſion einen unleugbaren Erfolg darſtellt.
Schon im letzten Bericht war erwähnt, daß eine Entſpannung eingetreten war,
und daß die Mißverſtändniſſe, die man abſichtlich zwiſchen den Beamten und der
Regierungskommiſſion unterhalten hatte, zum Teil zerſtreut wurden.
Eine Beſprechung, die am 30. April zwiſchen dem Präſidenten, unterſtützt von
Herrn Lambert, und den Vertretern der Beamtenkartelle ſtattfand, um die von dem
Präſidenten am 24. April in Trier eingenommene Haltung zu erklären, beſtätigte
dieſen Eindruck. Die Beamten des Saargebiets, die durch die ihnen gemachten Er—
klärungen beruhigt waren, ſchickten ihre Abgeordneten nach Berlin; ſie ſcheinen dort
den Wunſch zum Ausdruck gebracht zu haben, die nutzloſe und gefährliche Taktik
unnachgiebigen Widerſtandes aufzugeben). Nach ihrer Rückkehr hatten ihre Beauf—
tragten eine neue Beſprechung mit dem Präſidenten; ſie formulierten Forderungen,
die unmöglich zugeſtanden werden konnten, weil ſie den von der Regierungskommiſſion
aufgeſtellten Grundſätzen zuwiderliefen; indes kam eine Einigung zuſtande auf Grund
eines Briefes ?), in dem der Präſident garantierte, daß die Anwendung des Artikels 1
der Verordnung vom 16. März 1920 im Geiſt weiteſtgehender Billigkeit erfolgen werde.
Nachdem die Abgeordneten den Präſidenten verlaſſen hatten, legten ſie über ihren
Auftrag Rechnung in einer ziemlich bewegten Verſammlung, in der die Beamten
beſchloſſen, von der Reichsregierung zu verlangen, ſie der Regierungskommiſſion des
Saargebiets zur Verfügung zu ſtellen.
) Die Beamtenfrage iſt in Berlin in einer Sitzung vom 5. Mai 1920 in Anweſenheit von Ver—
tretern der Beamtenſchaft beraten worden. In dem Protokoll über dieſe Sitzung heißt es:
»Am 30. April hat Präſident Rault Vertreter der Beamten zu ſich berufen und ihnen u. a.
erklärt, er beabſichtige keine weitere Einſtellung von Franzoſen; die Beamten, die er ablehnen werde,
würden durch deutſche Beamte erſetzt werden; eine Geſinnungsſchnüffelei ſolle nicht betrieben werden,
es würden nur einige, durch ihre Angriffe gegen die Saarregierung hervorgetretene Beamte in Frage
kommen, und auch dieſe könnten vielleicht bei loyalem Verhalten ihre Stellung behalten; er werde ſich
mit den Beamten über alle Einzelfragen verſtändigen und ſodann mit der Deutſchen Regierung ins
Benehmen treten.
Wenn auch dieſe Zuſicherungen zunächſt nur mündlich gegeben ſind, laſſen ſie doch eine Ver—
ſtaͤndigung erhoffen. f
In der heutigen Sitzung, der eine Vorbeſprechung im kleineren Kreiſe am 4. Mai vorangegangen
iſt, wurde nach eingehenden Erörterungen folgendes Ergebnis erzielt:
Sowohl nach Anſicht der anweſenden Reſſortvertreter wie nach Anſicht der Vertreter der Beamtenſchaft
iſt eine bedingungsloſe Zurverfügungſtellung der Beamten nicht moglich. Ein Ausweg wird ſich jedoch
in der Weiſe finden laſſen, daß zunächſt die Beamten ſelbſt eine Einigung mit der Saarregierung über
die weſentlichſten Punkte herbeiführen, und daß alsdann die Deutſche Regierung unter Berufung auf
dieſe Einigung die Beamten zur Verfügung ſtellt.
Demgemäß werden ſich die Beamtenvertreter ſofort nach Saarbrücken begeben und der Saarregierung
erklären, die Deutſche Regierung erwarte, daß die Regierungskommiſſion ſich noch vor Ablauf der Friſt
(es ſteht nicht genau feſt, ob die Friſt am 10. oder am 15. Mai abläuft) mit der Beamtenſchaft über
alle weſentlichen Punkte einige; falls dies erfolge, werde fie der Saarregierung die Beamten auf Grund
dieſer Einigung zur Verfügung ſtellen, andernfalls nit ..... «
) Vgl. Nr. 113.
— 166 —
Angeſichts dieſer Löſung ſetzte Herr von Groote, Reichskommiſſar für das Saar-
gebiet, am 10. Mai den Präſidenten telegraphiſch davon in Kenntnis, daß er die
Reichsbeamten und die preußiſchen und bayeriſchen Staatsbeamten der Regierungs—
kommiſſion zur Verfügung ſtelle.
Ein Ergebnis von grundlegender Bedeutung war ſo erzielt. Der Generalſtreik
in den öffentlichen Behörden war beſeitigt. Die Regierungskommiſſion hat ſich dazu
beglückwünſcht, daß fie bei der Haltung, die fie am 16. März eingenommen hatte,
verharrt und ihre Autorität bekräftigt hat. | -
Allerdings hat Herr von Groote durch ein Schreiben vom 11. Mai, mit dem
er ſein Telegramm beſtätigte, verſucht, nach der Zurverfügungſtellung der Beamten
an die Regierung des Saargebiets erneut die Frage zu ſtellen, die er vorher auf-
geworfen hatte. Er verlangte von der Kommiſſion nochmals, über die Beamten
einen regelrechten Vertrag mit Deutſchland abzuſchließen.
Die Kommiſſion hat jedoch am 17. Mai beſchloſſen, ſich vor der Rückkehr nach
Trier unmittelbar mit den Beamten zu verſtändigen. Sie hat eine Unterkommiſſion
eingeſetzt, zu der die Herren von Boch und Lambert ſowie 2 Beamte der Verwaltung
gehören; dieſe Kommiſſion ſoll mit den Beteiligten verhandeln und im Einvernehmen
mit ihnen ein endgültiges Statut ausarbeiten. Wenn dieſe Kommiſſion ihre
Arbeiten beendet haben wird, werden dieſe zur Kenntnis des Herrn von Groote
gebracht werden. Der Präſident hat den Reichskommiſſar von dieſen Beſchlüſſen
in Kenntnis gefegt!) und hierbei Wert darauf gelegt, zu bemerken, daß er zur
Wahrung der Intereſſen der Laufbahn ſolcher Beamter, N
tun, während fie bisher in Dienſten der deutſchen Regierung geftanden haben oder
umgekehrt, die Notwendigkeit anerkenne, in beiden Ländern übereinſtimmende Rege⸗
lungen zu treffen. Herr von Groote hat in einem Schreiben vom 29. Mai?) grund⸗
ſätzlich das von der Kommiſſion eingeſchlagene Verfahren angenommen. Wenn die
Beamtenfrage bis zur Erzielung einer endgültigen Löſung auch noch arbeitsreiche und
heikle Verhandlungen erfordert, ſo braucht man doch, wie es ſcheint, nicht zu be—
fürchten, daß ſie der Anlaß zu Unruhen und zu einer Unterbrechung der Tätigkeit
der Behörden führen wird. In Zukunft wird die Kommiſſion Herrn von Groote
gegenüber als die Mandatarin der Beamten des Saargebiets auftreten, die mit der
Wahrung ihrer Intereſſen gegenüber der deutſchen Regierung beauftragt iſt. Die
Lage hat ſich alſo ſeit dem Monat April vollkommen verändert. |
Die Regierungskommiſſion glaubt, den Abfichten des Völkerbundes entſprochen
zu haben, indem ſie jeden ſcharfen Konflikt vermied und verſuchte, im Wege der
Überzeugung und der Verſöhnlichkeit Ergebniſſe zu erzielen, die ihre Autorität und
ihr Preſtige unberührt laſſen.
e ere een, e eee
Schluß.
Trotz ihrer vervielfachten Bemühungen um das Wohlergehen der Bevölkerung
und die Ausführung ihres Mandats muß die Regierungskommiſſion leider feſtſtellen,
daß man auf dieſe Bemühungen zu häufig mit Anſchwärzungen und Feindſeligkeiten
antwortet. Unter den Bewohnern des Gebiets gibt es eine große Zahl, die ſich
weigern, den Friedensvertrag und die Autorität des Völkerbundes anzuerkennen.
Dieſen widerſetzlichen Elementen begegnet man vor allem bei den Beamten, beim
Lehrkörper, bei der Geiſtlichkeit und bei den höheren Klaſſen der Induſtrie und des
Handels. Dieſe Elemente haben ihren Einfluß in den Dienſt Deutſchlands geſtellt
und ſind beſtrebt, alle Bemühungen der Regierungskommiſſion, im Saargebiet ent⸗
ſprechend dem Friedensvertrag eine ſelbſtändige und von Berlin unabhängige Ver-
waltung zu organiſieren, zum Scheitern zu bringen.
) Vgl. Nr. 115.
2) Vgl. Nr. 116.
ie jetzt im Saargebiet Dienſt
Er So hat man im Saarbecken die Spur gewiſſer Organiſationen wie des »Heimat—
ſchutze und des »Saarvereine gefunden, die dazu beſtimmt ſind, in den einer Volks—
aabſtimmung unterworfenen Gebieten mit allen Mitteln die Anwendung des Friedens—
vertrags zu durchkreuzen.
40 Dieſe Organiſationen haben die verbreitetſten Lokalzeitungen zu ihrer Verfügung.
Die Regierungskommiſſion achtet peinlichſt die Preßfreiheit. Gegen das Recht, das
ſich die Journaliſten angemaßt haben, die Loyalität der Regierungskommiſſion zu
verdächtigen und ihre Abſichten zu entſtellen, iſt in keiner Weiſe eingeſchritten worden.
Die Kommiſſion iſt über dieſe Angriffe weder erſtaunt, noch regt fie ſich darüber auf.
Aber es iſt doch zu bemerken, daß die Heftigkeit dieſer Angriffe und ihr böſer Wille
ſchließlich doch eine bedauerliche Wirkung auf eine im allgemeinen ziemlich einfache
Bevölkerung, die den Behauptungen in den Zeitungen Glauben zu ſchenken geneigt
it, ausüben.
So iſt die Kommiſſion in verſchiedenen Dingen auf unerklärliche Widerſtände
geſtoßen: Die von ihr veröffentlichte Verordnung über die Wohnungsfrage, die eine
ganz weſentliche Verbeſſerung gegenüber der früheren Lage bedeutete, hat Proteſte
hervorgerufen, die wenig begründet waren. Man bemüht ſich, ſowohl den Völker—
bund wie den Friedensvertrag in Mißkredit zu bringen und zu beweiſen, daß letzterer
unausführbar iſt, und daß das im Saargebiet verſuchte Werk einem unabwendbaren
Mißerfolg entgegengeht. Dies ſind die täglichen Themen, die in den Zeitungen des
Saargebiets, namentlich in der wichtigſten, der »Saarbrücker Zeitung«, entwickelt
werden. Wenn die Regierungskommiſſion hier dieſen Feldzug ſyſtematiſcher Oppoſition
erwähnen zu ſollen glaubt, ſo geſchieht es, weil er ihre Aufgabe in beſonderer Weiſe
kompliziert und eine vertrauensvolle Mitarbeit der Bevölkerung erſchwert. Man kann
nicht genug die Tatſache beklagen, daß die Treibereien einer bezahlten Minderheit,
die ſowieſo ſchon heikle Miſſion beeinträchtigen, die der Regierungskommiſſion an-
vertraut iſt.
Sie hat aber die Gewißheit, ſich niemals von dem Buchſtaben und von dem
Geiſt des Vertrags entfernt zu haben, und ohne ſich durch ungerechtfertigte Augriffe
ſtören zu laſſen, wird ſie ſich bemühen, das Saargebiet in voller Unparteilichkeit und
gemäß den Grundſätzen des Völkerbundes zu regieren.
Nr. 118.
Bericht des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets
über den Vorentwurf des Beamtenſtatuts.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz * et
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 26. Juni 1920.
des Saargebiets.
Nr. S. 672.
Die Regierungskommiſſion des Saargebiets hat am 22. Juni d. J. nachmittags
den Vertretern der Saarbeamtenſchaft den abſchriftlich anliegenden Vorentwurf einer
Verordnung, betr. ein Beamtenſtatut!) übergeben mit dem Anheimſtellen, Gegen—
vorſchläge aufzuſtellen und dieſe ſpäteſtens drei Tage vor der auf den 1. Juli d. J.
angeſetzten gemeinſamen Beſprechung des Entwurfs einzureichen. Nach Mitteilungen
aus dem Saargebiet hat der Entwurf in der dortigen Beamtenſchaft große Erregung
hervorgerufen, da er in mehrfacher Hinſicht den von der Saarregierung früher ge—
machten feierlichen Zuſicherungen und den auf ſie begründeten Erwartungen der Be—
amtenſchaft in keiner Weiſe entſpricht. Er ſoll den Erfolg gehabt haben, daß die
) Vgl. Nr. 119.
4 Fir EIER 9 Laie * ER e N PR
— 168 —
Beamtenſchaft ohne Ausnahme ſich um ſo enger pan e hat und ent⸗
ſchloſſen ſein ſoll, es nötigenfalls zu einem Abbruch der Verhandlungen und zur
Dienſteinſtellung kommen zu laſſen.
Einſtweilen haben die vereinigten Vertreter der Beamtenorganiſation den weiter
anliegenden Entwurf zu Gegenvorſchlägen?) verfaßt und beabſichtigen, ihn in der
Beſprechung am 1. Juli zur Erörterung zu ſtellen.
In Vertretung
(Unterſchrift.)
An
das Auswärtige Amt, TER
Berlin.
Nr. 19.
Vorentwurf der Regierungskommiſſion des Saargebiets
zu dem Beamtenſtatut.
In Ergänzung der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 16. März 1920
wird folgendes beſtimmt:
Teil I.
Allgemeine Beſtimmungen.
Artikel J. Als Beamte der Regierung des Saargebiets im Sinne W
Verordnung gelten alle Perſonen, die im Saargebiet bei einer der Regierungs⸗
kommiſſion unterſtellten Behörde:
I. ein öffentliches Amt bekleiden, das ihnen auf Grund der bis zum 11. November
1918 in Kraft befindlichen deutſchen Geſetze die Eigenſchaft als Reichs- oder
Staatsbeamter verleiht, oder
2. neueingerichtete Amter übertragen erhalten haben, die zur Befriedigung
eines dauernden Bedürfniſſes von der Regierungskommiſſion eingerichtet
worden ſind.
Die Beſtimmungen des 3., 4. und 5. Teiles dieſer Verordnung finden Anwendung
auf die mittelbaren Beamten, die im Saargebiet im Dienſt von Verwaltungskörpern
(Kreiſen, Gemeinden, Diſtrikten uſw.) ſtehen, die an der Ausübung obrigkeitlicher
Befugniſſe teilnehmen oder zur Durchführung öffentlicher Aufgaben eingerichtet ſind,
vorausgeſetzt, daß die Ernennung des Beamten der Beſtätigung der Regierung
unterliegt.
Artikel 2. Die Beamten der Regierung des Saargebiets unterſtehen allein
der Regierungskommiſſion, der fie Treue und Gehorſam ſchulden. Alle Fragen, die
ſich auf Ernennung, Amtsbezeichnung, Titel, Rangſtufe und deren Verleihung,
Beförderung, Difziplin, einſtweilige oder endgültige Verſetzung in den Ruheſtand
beziehen, gehören zur Zuſtändigkeit der Regierungskommiſſion.
Teil II.
Anſtellung und Beförderung.
Artikel 3. Alle Beamten der Regierung des Saargebiets, mit Ausnahme
derjenigen der ene, werden in erſter Linie aus den Reihen der Ein—
wohner des Saargebiets entnommen oder, falls es an ſolchen fehlt, aus Deutſchen,
die außerhalb des Saargebiets wohnen. Eine Zulaſſung zu einem öffentlichen Amt
kann nur erfolgen, wenn die dienſtliche Befähigung durch eine erfolgreich beſtandene
Prüfung erwieſen iſt, oder wenn eine ähnliche oder gleichartige Vorbildung beſteht
wie bei den entſprechenden im ſaarländiſchen Regierungsdienſt angeſtellten Beamten.
7 Vgl. Nr. 120.
* 2
3
Artikel 4. Sollte es der Regierungskommiſſion unmöglich ſein, Beamte zu
5 finden, die dieſen Anforderungen entſprechen, behält ſie ſich das Recht vor, nach
Beſprechung mit den Vertretern der Beamten nach freiem Ermeſſen ihr geeignet
erſcheinende Perſönlichkeiten zu berufen.
Artikel 5. Die endgültige Anſtellung erfolgt erſt nach einer Probezeit,
deren Dauer bei den einzelnen Behörden verſchieden ſein kann, die jedoch drei Jahre
nicht überſchreiten darf. Der Probezeit kann eine praktiſche Prüfung folgen, ſoweit
hierzu ein Bedürfnis beſteht. Vor der endgültigen Anſtellung iſt der Verwaltungs—
beirat, deſſen Einrichtung Artikel 14 vorſieht, zu hören.
Artikel 6. Jeder von der Regierung des Saargebiets angeſtellte Beamte
hat der Regierung in Gegenwart eines von der Regierungskommiſſion hierzu
beſtimmten Vertreters einen Treueid zu leiſten folgenden Inhalts:
»Ich ſchwöre der Regierungskommiſſion als der Vertreterin des Völkerbundes
Treue, Gehorſam den Geſetzen und gewiſſenhafte Erfüllung meiner Dienſtobliegenheiten.«
Beamte, auf welche die Beſtimmung des Artikels 1 der Verordnung vom
16. März 1920 Anwendung findet, und die vorher deutſchen Behörden angehörten,
können zur Eidesleiſtung erſt nach dem Ablauf der in dieſer Beſtimmung bezeichneten
Sechsmonatsfriſt veranlaßt werden. Es bleibt jedoch jedem anheimgeſtellt, ſchon vorher
die Ableiſtung des Eides zu beantragen. Wer den Eid geleiſtet hat und durch die Zu—
laſſung zum Eid in ſeinem Amt beſtätigt worden iſt, kann nur auf Grund eines
Disziplinarverfahrens entlaſſen werden, wie es durch die beſtehenden Geſetze und Ver—
ordnungen vorgeſehen iſt.
Artikel 7. Niemand kann in einen höheren Rang oder zu einem höheren Amt
befördert werden, es ſei denn auf Grund beſtandener Prüfungseintragung in die Be—
förderungsliſte oder beſonderen Beſchluſſes der Regierungskommiſſion auf Vorſchlag
ihres zuſtändigen Mitgliedes.
Die Beförderungsliſten werden alljährlich am 1. Januar aufgeſtellt. Hierbei iſt
das Dienſtalter bei mindeſtens / Beamten bei der Beförderung in eine höhere
Rangſtufe zu berückſichtigen. |
Die Beförderungsliſten werden von den Abteilungsleitern ausgearbeitet und
werden ſodann dem im Artikel 14 bezeichneten Verwaltungsbeirat vorgelegt.
Auf Grund der Bemerkungen und Vorſchläge dieſes Verwaltungsbeirates werden
ſie von den zuſtändigen Mitgliedern der Regierungskommiſſion fertiggeſtellt.
Die Ernennungen erfolgen ſodann in der in der Beförderungsliſte angegebenen
Reihenfolge. Ausnahmsweiſe kann im dienſtlichen Intereſſe auf Grund einer Ent—
* des zuſtändigen Mitgliedes der Regierungskommiſſion eine Abweichung
erfolgen. |
Die fertiggeſtellten Beförderungsliſten werden den Beamten der einzelnen Dienſt—
zweige bekanntgegeben. Innerhalb 14 Tagen nach der Bekanntgabe können Vor—
ſtellungen bei dem Verwaltungsbeirat durch den Beamten oder den Verband der be—
teiligten Beamten erhoben werden. Der Verwaltungsbeirat berät über dieſe Vor—
ſtellungen und leitet fie mit feiner gutachtlichen Außerung an das zuſtändige Regierungs-
mitglied weiter, welches innerhalb eines Monats Entſcheidung trifft.
Teil III.
Diſziplinarverfahren.
Artikel 8. Jeder Beamte iſt der vorgeſetzten Behörde gegenüber für ſeine
Amtshandlungen verantwortlich. Im Falle von dienſtlichen Verfehlungen können
folgende Diſziplinarſtrafen verhängt werden:
1. Ordnungsſtrafen:
a) Warnung,
b) Verweis (ohne Eintragung in die Perſonalakten),
e) desgleichen mit Eintragung in die Perſonalakten.
2. Diſziplinarſtrafen:
a) Streichung von der Beförderungsliſte,
b) Strafverſetzung mit oder ohne Verſetzung in ein Amt niedrigeren
Ranges,
e) Dienſtenlaſſung ohne Verluſt des Titels oder Penſionsanſpruchs,
d) Dienſtentlaſſung mit allen geſetzlichen Folgen.
Die Ordnungsſtrafen werden vom Abteilungsleiter verhängt. Die Diſziplinar⸗
ſtrafen können nur nach vorausgegangenem Diſziplinarverfahren, das eine vorgängige
Diſziplinarunterſuchung und eine kontradiktatoriſche Verhandlung umfaßt aus⸗
geſprochen werden. Der Ausſpruch erfolgt durch den Abteilungsleiter nach gut⸗
achtlicher Außerung des Verwaltungsbeirats, der als Diſziplinarrat eingeſetzt iſt. Der
beim Diſziplinarrat tätige Berichterſtatter verſieht zu gleicher Zeit das Amt eines
Regierungskommiſſars. Er wird jeweils von dem zuſtändigen Mitglied der Regierungs⸗
kommiſſion bezeichnet.
Artikel 9. Keine Diſziplinarſtrafe darf verhängt werden, ohne daß der be-
troffene Beamte Gelegenheit gehabt hat, die Akten einzuſehen und ſich ſchriftlich zu
rechtfertigen. Er kann ſich von einem Verteidiger verbeiſtanden laſſen.
Artikel 10. Der von der Diſziplinarſtrafe betroffene Beamte kann bei dem
Mitglied der Regierungskommiſſion, dem der betreffende Dienſt unterſtellt iſt, Berufung
einlegen. Dieſes entſcheidet endgültig nach Anhörung des durch Artikel 17 einge—
ſetzten Oberverwaltungsbeirats, der in dieſen Fällen Diſziplinarſitzungen abhält. Das
Amt eines Regierungskommiſſars bei dem Oberverwaltungsbeirat verſieht der Abteilungs⸗
direktor der Zentralverwaltung, dem der betreffende Beamte unterſtellt iſt. Derſelbe
nimmt an der Beratung nicht teil.
Artikel 11. Bei ſchweren Dienſtverfehlungen kann der betreffende Beamte im
dienſtlichen Intereſſe von dem zuſtändigen Abteilungsdirektor, dem Abteilungsleiter oder
von dem hierzu ernannten Direktions- oder Kontrollbeamten zeitweilig vom Dienſt ent-
hoben werden, ſofern der Fall dringend iſt. Der Diſziplinarrat, dem der ſuspendierte
Beamte innerhalb eines Monats zu überweiſen iſt, entſcheidet, ob eine Entſchädigung
für die Gehaltseinbuße während der Dauer der Suspenſion einzutreten hat.
Artikel 12. Kein Beamter kann ohne gerechtfertigten Grund ſeinen Dienſt
ohne Genehmigung der vorgeſetzten Stelle verlaſſen. Jede Zuwiderhandlung zieht
Diſziplinarſtrafen gemäß Artikel 8 nach ſich unter Verwirkung des im Artikel 10
eingeräumten Berufungsrechts.
Bei verabredeter oder gleichzeitig erfolgter Dienſteinſtellung kann Beſtrafung
ohne Anhörung des Diſziplinarrats erfolgen.
| Artikel 13. Jeder Beamte, deſſen Dienftuntauglichfeit von feinem Vorgeſetzten
feſtgeſtellt iſt, kann nach Anhörung des Verwaltungsbeirats ſeines Amtes enthoben
werden. Der Verwaltungsbeirat entſcheidet, ob der des Dienſtes enthobene Beamte
eine ſeiner Dienſtzeit entſprechende Penſion erhalten ſoll, wenn der betreffende Beamte
noch nicht die Mindeſtdienſtzeit abgeleiſtet hat, die das Geſetz für die Penſions⸗
bewilligung vorſchreibt. Die nähere Regelung derartiger Fälle wird durch eine
ſpätere Verordnung folgen. |
Teil IV.
Verwaltungsbeiräte.
Artikel 14. Bei allen Dienſtzweigen, die der Regierung unterſtellt ſind, wird
neben dem Dienſtvorſtand ein Verwaltungsbeirat eingerichtet Dieſe Verwaltungs⸗
beiräte ſind jeweils nach dem Umfang der betreffenden Verwaltung der Zahl nach
ann groß. Sie find zuſammengeſetzt: g
zu ½ aus den oberſten Beamten des betreffenden Dienſtzweiges, wobei das
Dienſtalter entſcheidet;
zu ½ aus gewählten Beamten des betreffenden Dienſtzweiges;
zu ½ aus ernannten Mitgliedern.
zw
Die Ernennung der letztgenannten Mitglieder erfolgt durch das zuſtändige
RNRegierungsmitglied ohne Rückſicht auf ihre Zugehörigkeit zu dem betreffenden Dienſt—
zweig, teils aus der Zahl von Vertretern allgemeiner Intereſſen, teils aus Perſonen,
deren Bedeutung ſich aus ihren Spezialkenntniſſen ergibt.
Der Verwaltungsbeirat wird alle drei Jahre erneuert. Der Vorſitzende wird
von dem Mitglied der Regierungskommiſſion bezeichnet, dem der betreffende Dienſt—
zweig unterſtellt iſt. Bei Stimmengleichheit gibt ſeine Stimme den Ausſchlag.
Artikel 15. Der Verwaltungsbeirat kann gutachtlich gehört werden in allen
Angelegenheiten, die auf den Dienſtbetrieb Bezug haben. Insbeſondere hinſichtlich
der Dienſtſtundenpläne, der Urlaubsgewährung, der Verbeſſerung der materiellen Lage
und der Stellung der Beamten des betreffenden Dienſtzweiges. Er iſt berechtigt,
ſelbſtändig Anregungen auf dieſem Gebiete zum Ausdruck zu bringen.
Der Verwaltungsbeirat wird durch das zuſtändige Mitglied nach Bedürfnis
einberufen.
Artikel 16. Der Verwaltungsbeirat tritt auch zuſammen zur Beratung über
Beförderungs⸗ und Diſziplinarfragen; erſterenfalls haben ſich die im Artikel 14, 8 4
bezeichneten gewählten Mitglieder nur mit den Eintragungen in die Beförderungsliſten
des ihnen gleichſtehenden oder nachgeordneten Perſonals des betreffenden Dienſtzweiges
zu befaſſen. Im Falle der Beratung von Difziplinarfragen ſcheiden die Mitglieder
aus, die im Range dem Beamten nachgeordnet ſind, der zur Ve antwortung gezogen
iſt. Dagegen muß mindeſtens ein Beamter der gleichen Rangſtufe dem Verwaltungs—
beirat angehören. Derſelbe muß dieſelben Fachkenntniſſe beſitzen wie der Beſchuldigte,
wenn es ſich um die Begehung eines techniſchen Verſehens handelt.
Artikel 17. Ein Oberverwaltungsbeirat wird bei der Regierungskommiſſion
eingerichtet. Er beſteht aus folgenden Mitgliedern:
J. den Direktoren der Zentralverwaltung,
II. drei Mitgliedern, welche von den gewählten Beamtenvertretern der Ver—
waltungsbeiräte in gemeinſamer Sitzung gewählt werden,
III. drei von dem Präſidenten der Regierungskommiſſion ernannten Mitgliedern.
Er kann hierbei auch Nichtbeamte, die beſondere Fachkenntniſſe beſitzen oder
einen größeren Kreis von Intereſſen vertreten, zuziehen.
Der Vorſitzende wird von dem Präſidenten der Regierungskommiſſion
ernannt. Seine Stimme gibt bei Ungleichheiten den Ausſchlag.
Artikel 18. Der Oberverwaltungsbeirat kann über alle Maßnahmen gehört
werden, Dienſtvorſchriften betreffend, die ein oder mehrere Dienſtzweige angehen.
Er iſt befugt, Anregungen über denſelben Gegenſtand zum Ausdruck zu bringen.
Seine Berufung erfolgt nach Bedürfnis durch den Präſidenten der Regierungs-
kommiſſion.
Er äußert ſich gutachtlich in dem im Artikel 10 näher bezeichneten Falle.
Artikel 19. Die Anwendung der gegenwärtigen Verordnung wird durch Aus—
führungsvorſchriften näher geregelt werden, welche nähere Beſtimmung über die Zahl,
die Einrichtung und die Tätigkeit der Verwaltungsbeiräte und das Verfahren vor
ihm in Diſziplinarangelegenheiten betreffen.
Teil V.
Beamtenvereinigungen.
Artikel 20. Die Beamten find befugt, zur näheren Prüfung und zur Ver—
teidigung ihrer Verbandsintereſſen und der Dienſtzweige, denen fie angehören, Ver—
einigungen zu bilden. Dieſe Vereinigungen dürfen keinerlei politiſche Ziele verfolgen.
Sie unterliegen den geſetzlichen Vorſchriften über die Anmeldung und außerdem den
Vorſchriften dieſer Verordnung. Ihre Satzungen bedürfen der Genehmigung der
Regierungskommiſſion. |
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KARTE
Artikel 21. Nur die Beamten, die demſelben Verwaltungszweig angehören,
dürfen ſich zu einer Vereinigung zuſammenſchließen. Jede Vereinigung mit anderen
Verbänden iſt verboten.
Ein Zuſammengehen der Verbände verſchiedener Verwaltungszweige des Saar-
gebiets kann ausnahmsweiſe zugelaſſen werden unter der Leitung eines für die Dauer
einer Sitzungsperiode gewählten Ausſchuſſes, deſſen Aufgabe ſich darauf beſchränken
muß beſtimmte gemeinſame Fragen zu prüfen, die vorher auf einer Tagesordnung
der Regierungskommiſſion zur Genehmigung vorgelegt werden müſſen. Die Regierungs⸗
kommiſſion behält ſich das Recht vor, die gemeinſame Tagung zu geſtatten oder zu
unterſagen. b
Ein Zuſammenſchluß der Beamten des Saargebiets mit irgend welchen aus-
wärtigen Verbänden oder Vereinigungen oder die Teilnahme an derartigen Ver⸗
einigungen iſt verboteu.
Die Beamtenvereinigungen haben Rechtsperſönlichkeit innerhalb der vom Geſetz
beſtimmten Grenzen. Nur Beamte, die ſich noch im Dienſte befinden, können dem
Vorſtand einer derartigen Vereinigung angehören.
Artikel 23. Die Beamtenvereinigungen haben das Recht, unmittelbar die
Dienſtleiter und die Regierungskommiſſion mit allen Fragen zu befaſſen, die mit ihren
Verbandsintereſſen und den Standesintereſſen im Zuſammenhang ſtehen.
Artikel 24. Zuwiderhandluugen gegen die Artikel 20 bis 22 dieſer Verord-
nung werden mit Geldſtrafen in Höhe von 16 bis 1000 % beſtraft. Im Rückfall
oder im Falle eines unerlaubten Zuſammenſchluſſes kann die Geldſtrafe auf 10000
erhöht werden. In allen Fällen kann die Auflöſung der Vereinigung verfügt werden.
Die Vorſtandsmitglieder, die ſich der Aufforderung zur einverſtändlichen Nieder⸗
legung des Dienſtes oder einer Zuwiderhandlung gegen die Artikel 20 bis 22 ſchuldig
gemacht haben, werden mit Geldſtrafe von 10 bis 15000 AM und mit Gefängnis⸗
ſtrafe von 6 Tagen bis zu zwei Jahren beſtraft, unbeſchadet der Diſziplinarſtrafen,
die Teil 3 dieſer Verordnung vorſieht. Außerdem kann jederzeit Auflöſung der Ver⸗
einigung verfügt werden. Die Vereinigungen ſind e verantwortlich für
die Zahlung der vorbezeichneten Geldbeträge.
Artikel 25. Die Mitglieder des Vorſtandes einer aufgelöſten Vereinigung
können während eines Zeitraumes von 5 Jahren kein Vorſtandsamt bei einer Beamten⸗
vereinigung bekleiden.
Teil VI.
Gehalt, Penſionen und wirtſchaftliche Vergünſtigungen.
Artikel 26. Das Gehalt und die ſonſtigen Bezüge der unmittelbaren Staats⸗
beamten werden auf der Grundlage der Beſtimmungen der neuen deutſchen Beſoldungs⸗
reform geregelt. Die Bezahlung erfolgt monatlich im voraus. Die Vorteile, welche
die Beamten gegenwärtig genießen — Dienſtaufwand, Verſetzungsgebühren, Gnaden⸗
vierteljahr, Erziehungsbeihilfe, freie Arztiiche Behandlung, freie Fahrt der Eiſenbahn⸗
beamten — ſollen ihnen nach Maßgabe der bisherigen Beſtimmungen weiter zuſtehen.
Geeignete Wohnungen ſollen in Anwendung der Verordnung der Regierungskommiſſion
vom 7. Mai 1920 zu ihrer Verfügung geſtellt werden.
Artikel 27. In gleicher Weiſe ſollen die Penſionsanſprüche im Falle der
Dienſtunfähigkeit nach Ablauf von wenigſtens zehn Dienſtjahren im Dienſte des
Saargebiets, wie auch die Anſprüche der Witwen und Waiſen auf Grund der
deutſchen Geſetze, die am 1. November 1918 in Kraft waren, geregelt werden. Die
hierzu erforderlichen Ausgaben find aus Mitteln des Saargebiets zu bezahlen.
Artikel 28. Alle Verbeſſerungen hinſichtlich des Gehalts und der Penſion der
Beamten auf Grund der nach dem Waffenſtillſtand erlaſſenen deutſchen Geſetze ſollen
EI
auch in Zukunft durch die Regierungskommiſſion geprüft werden, um den Beamten
des Saargebiets entſprechende Vorteile zu ſichern.
88 Artikel 29. Den Beamten, die vor dem Inkrafttreten des Friedensvertrages
ſchon im Saargebiet wohnten und die das Saargebiet verlaſſen wollen, ſollen alle
Erleichterungen gewährt werden, um ihre Grundſtücke zu angemeſſenen Preiſen zu
verkaufen und ihr Mobiliar frei von allen Gebühren mitzunehmen. Ihr Gehalt
kann nur in den von der deutſchen Geſetzgebung, die ſich am 11. November 1918 in
Kraft befand, vorgeſehenen Fällen beſchlagnahmt werden, wie auch in dem Falle,
daß bei einem Kaſſenführer ein Fehlbetrag zum Nachteil der Regierung des Saar-
gebiets feſtgeſtellt wird.
Legt ein Beamter ſein Amt nieder oder verläßt er das Saargebiet, ohne
die Kündigungsfriſt von drei Monaten einzuhalten, welche die Verordnung vom
16. März 1920 vorſchreibt, ſo kann ſein Vermögen bis zum Betrage des ohne
Gegenleiſtung im voraus erhobenen Gehaltes beſchlagnahmt werden.
Teil VII.
Schlußbeſtimmungen.
Artikel 30. Im allgemeinen ſollen für die Rechtslage, die Rechte und Pflichten
der Beamten des Saargebiets die Vorſchriften des Reichsgeſetzes vom 18. Mai 1907
Anwendung finden, ſoweit ſie ſich der Verwaltungsorganiſation des Saargebietes
anpaſſen laſſen und fie nicht im Gegenſatz ſtehen zu den Verordnungen der Regierungs-
kommiſſion.
Artikel 31. Die deutſche Sprache iſt die Amtsſprache im Verkehr der Be—
hörden, die von der Regierungskommiſſion abhängen, untereinander wie auch gegenüber
dem Publikum. Die Unkenntnis einer anderen Sprache als der deutſchen Sprache
kann keinem Beamten zum Nachteil gereichen.
Artikel 32. Die Vorſchriften der gegenwärtigen Verordnung, betreffend die
Vorbereitungszeit, die Beförderung und die Diſziplin, finden keine Anwendung auf
die richterlichen Beamten, hinſichtlich deren ein beſonderes Statut erlaſſen werden
ſoll, ebenſowenig auf die Direktoren der Zentralverwaltung und auf die Vorſtände
der Kreiſe und der Amtsbezirke (Landräte und Bezirksamtsmänner).
Artikel 33. Durch beſondere Vereinbarung zwiſchen der Regierungskommiſſion
und der deutſchen Regierung ſollen nachſtehende Fragen ihre fernere Regelung finden:
I. Laſten verteilung und Art und Weiſe der Auszahlung hinſichtlich der Penſion
der Beamten, die ſowohl bei der Regierung des Saargebiets, wie auch bei
der deutſchen Regierung Dienſt getan haben. (Die Aufrechterhaltung und
der Schutz dieſer Rechte ſind grundſätzlich durch den Friedensvertrag garantiert.
Es handelt ſich lediglich um die zur Anwendung zu bringende nähere
Regelung.)
II. Fortſetzung der Verwaltungslaufbahn der Beamten des Saargebiets unter
normalen Bedingungen nach dem Ablauf der fünfzehn Jahre, welche der
Friedensvertrag vorſieht. Letzterer gibt auch in dieſer Hinſicht im Artikel 39
der Anlage den Beamten vollſtändige Garantien.
Die Ausführung der von der Regierungskommiſſion übernommenen
Verpflichtungen wird in dem Friedensvertrag ebenfalls gewährleiſtet, der den
Völkerbund verpflichtet, die Beachtung der von der Regierungskommiſſion
übernommenen Verpflichtungen von der Regierung zu erzwingen, der das
Saargebiet nach der Abſtimmung übergeben wird.
III. Souderbeſtimmungen im Intereſſe der Beamten in dem Falle, daß dieſe aus
dem Dienſte der Regierungskommiſſion ausſcheiden, um ein Amt bei der
deutſchen Regierung oder umgekehrt zu übernehmen.
BR
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Nr. 120.
Gegenvorſchläge der Beamtenſchaft.
Vorſchläge.
Artikel 1 Abſatz 2.
Die Beſtimmungen des 3., 4. und
5. Teiles dieſer Verordnung ſowie die
Artikel 6 Abſatz 1, 29, 32 b—e und 34
finden auch Anwendung auf die mittel—
baren Beamten.
Artikel 2
Fällt weg.
Satz 2.
Artikel 3 Abſatz 1 Satz 1.
Abgeſehen von den Bedürfniſſen der
Zentralverwaltung wird die Regierungs—
kommiſſion als Beamte nur Deutſche an-
ſtellen, in erſter Linie Saarländer.
Satz 2.
Die Zulaſſung eines Deutſchen zu einem
öffentlichen Amte kann nur erfolgen, wenn
er nach deutſchem Rechte die erforderliche
dienstliche Befähigung beſitzt.
Satz la (neu),
Saarländer ift, wer nach § 34 der Anlage
der Friedensbedingungen abjtimmungs-
berechtigt iſt.
Abſatz 2 (neu). d
Deutſche Beamte, die im Difziplinar-
verfahren ihres Amtes entſetzt ſind oder
gegen die ein Diſziplinarverfahren ſchwebt,
wird die Regierungskommiſſion nicht zu
Beamten berufen.
Abſatz 3 (neuf.
Unter Zentralverwaltung iſt diejenige
oberſte Verwaltung zu verſtehen, die im
Reich, Preußen oder Bayern in den
Miniſterien geführt wird.
Erläuterungen.
Es iſt auch eine Regelung der Rechts⸗
ſtellung aller mittelbaren Beamten er⸗
forderlich, die zweckmäßig in demſelben
Beamtenſtatut erfolgt.
Der Satz iſt überflüſſig, weil die Re⸗
gierungskommiſſion nach § 19 der Anlage
zu Artikel 50 der Friedensbedingungen alle
Rechte über die Beamten hat, die früher
der deutſchen Regierung zuſtanden, und
kann zu dem Mißverſtändnis führen, als
ob dadurch die geſetzlichen Beſtimmungen
zum Schutze der Beamten gegen Willkür⸗
maßnahmen aufgehoben werden ſollten.
Dieſe Faſſung entſpricht dem Wortlaut
der Erklärung vom 8. 5. 20.
Die vorgeſchlagene Faſſung faßt den im
Entwurf ausgedrückten Gedanken ſchärfer.
Eine nähere Erklärung des Begriffs
»Saarländer« iſt nötig, um Auslegungs⸗
ſchwierigkeiten zu vermeiden.
Die Beſtimmung ſoll zur Bernpaltung |
unwürdiger Perſonen dienen.
Weil ſich bei dem geringen Umfange
des Saargebiets das Geſamtgebiet mit
den Verwaltungsbezirken (Provinz, Re
gierungsbezirk, Oberlandesgerichtsbezirk,
Eiſenbahndirektionsbezirk) deckt, iſt eine
genaue Begriffsbeſtimmung des Wortes
»Zentralverwaltungs erforderlich.
1 Artikel 3a (neu).
E.s ſollen nur ſoviel ausländische Beamte
in die Zentralverwaltung berufen werden,
als die nicht ſaarländiſchen Mitglieder der
Reegierungskommiſſion zu ihrer perſönlichen
Unterſtützung und zur Verbindung mit der
Beamtenſchaft benötigen.
Die gemäß Ziffer VII der Inſtruktion
des Völkerbundsrates für die Regierungs—
kommiſſion von den Mitgliedern angenom—
menen Perſonen gelten nicht als Beamte
des Saargebiets.
Die als Beamte zu berufenden Ausländer
müſſen der deutſchen Sprache völlig mäch—
tig ſein.
Die ausländiſchen Beamten ſind Berater
des Mitgliedes der Regierungskommiſſion.
Weder fie noch das nach Ziffer VII der
Inſtruktion des Völkerbundsrates für die
Regierungskommiſſion angenommene Per⸗
ſonal ſollen Vorgeſetzte der Beamten ſein.
Jedoch iſt der nach Ziffer VI der Inſtruk⸗
tion zum Vertreter des franzöſiſchen Mit-
gliedes der Regierungskommiſſion beſtellte
Beamte in Vertretung dieſes Mitgliedes
Vorgeſetzter. Im übrigen erfolgt die Ver-
tretung durch den dienſthöchſten deutſchen
Beamten der betreffenden Abteilung der
Zentralverwaltung.
Die ausländiſchen Beamten müſſen im
Beſitz derſelben Vorbildung und der gleichen
beruflichen Befähigung ſein wie die ent—
ſprechenden deutſchen Beamten. Sie er—
halten dasſelbe Gehalt wie deutſche Beamte
in der entſprechenden Stellung.
Artikel 5 Satz 2.
Fällt weg.
i
Die vorgeſchlagene Beſtimmung entſpricht
der Verſicherung des Herrn Präſidenten,
daß keineswegs beabſichtigt ſei, die Ver—
waltung in die Hände von Ausländern zu
legen und daß die Regierungskommiſſion
nur deswegen zur Anſtellung von Aus—
ländern geſchritten ſei, weil ſie anfänglich
den Verhältniſſen fremd gegenüber geſtanden
„babe und Perſonen ihres Vertrauens hätte
haben müſſen.
Eine Beſchränkung, ohne daß die be—
rechtigten Anſprüche der Mitglieder der
Regierungskommiſſion verletzt werden. Wenn
das Beamtenſtatut zuſtande gekommen iſt,
ſo werden der Regierung auch genügend
einheimiſche oder andere deutſche Kräfte,
die mit den beſonderen Verhältniſſen ver—
traut ſind, zur Verfügung ſtehen, ſo daß
ein praktiſches Bedürfnis für die Heran—
ziehung von Ausländern in weiterem Um—
fange auch nicht vorliegt.
Dies entſpricht dem Artikel 31 des Ent-
wurfes. Sonſt können ſie auch zur Auf—
rechterhaltung der perſönlichen Beziehungen
des Mitgliedes der Regierungskommiſſion
mit den Beamten nichts nützen.
Dies entſpricht den Erklärungen des Herrn
Präſidenten über den bisherigen Zweck der
Anſtellung ausländiſcher Beamter und ge—
nügt den Bedürfniſſen der Regierung.
Dies entſpricht der Erklärung vom
8. Mai 1920 und befördert das Gemein—
ſamkeitsgefühl zwiſchen den einheimiſchen
und fremden Beamten.
Nach unſerer Auffaſſung des Artikels 3
überflüſſig.
3
Artikel 6 Abſatz 2 Satz 2 u. 3.
Es bleibt jedoch jedem Beamten anheim-
geſtellt, ſchon vorher die Eidesableiſtung zu
beantragen. Wer die Eidesabnahme be⸗
antragt hat, kann nur nach Maßgabe des
hier feſtgelegten Rechtes entlaſſen werden.
Artikel 7 Abſatz !.
Bezüglich der Prüfungen und Aufſtiegs—
Die vorgeſchlagene Anderung gibt den
wiederholt kundgegebenen Willen der Re—
gierungskommiſſion wieder.
Die Entwickelung in Deutſchland und
möglichkeiten gilt das am 11. November 1918— das Beſtreben der Beamtenſchaft geht dahin,
im Saargebiet in Kraft geweſene Recht.
In Deutſchland eintretende Anderungen
dieſes Rechtes hat die Regierungskommiſſion
auch im Saargebiet einzuführen.
Abſatz 5.
Hinter Regierungskommiſſion iſt einzu—
rücken »und nach Zuſtimmung des Ver—
waltungsbeirats«.
Teil III, Artikel 8 bis 10.
Für das Diſziplinarrecht und die Ent—
fernung vom Amte gelten die vom 11. No⸗
vember 1918 in Kraft befindlichen Geſetze.
In Deutſchland eintretende Anderungen
dieſes Geſetzes hat die Regierungskommiſſion
einzuführen.
die Bedeutung der Prüfungen abzuſchwächen,
weil es ſich gezeigt hat, daß die Leiſtungen
in der Praxis häufig ſehr verſchieden ſind
von denen in der Prüfung, und weil die
fortwährende Vorbereitung auf neue Prü⸗
fungen die Arbeitskraft des Beamten in
ſehr hohem Maße angreift und ſie ſeiner
vraktiſchen Tätigkeit entzieht. Es dürfte
auch im Saargebiet nicht möglich fein, ge-
eignete Prüfungskommiſſionen für den Auf⸗
ſtieg der höheren Beamten zu bilden, weil
nur wenige höhere Beamte in gehobenen
Stellen vorhanden ſind und dieſe bei der
genauen perſönlichen Bekanntſchaft mit dem
Anwärter in den Verdacht mangelnder
Sachlichkeit kommen würden. Da ent⸗
ſprechende Prüfungskommiſſionen für die
Geeignetheit zu Beförderungen im übrigen
Deutſchland nicht beſtehen, ſo entfällt auch
die Möglichkeit, die Anwärter dieſen zu
überweiſen. Wenn aber die Durchführung
des Grundſatzes für Teile der Beamtenſchaft
nicht möglich iſt, ſo iſt es nicht angängig,
für andere Beamtenklaſſen daran feſtzuhalten.
(Wir bemerken aber, daß der Begriff
»Abteilungsleiter« in Abſatz 3 näher zu
erklären iſt.)
Dieſer Zuſatz ſichert die Regierungs⸗
kommiſſion vor der Nachrede einer Bevor⸗
zugung aus anderen als rein ſachlichen
Gründen. 5
Unſer Vorſchlag entſpricht dem § 23 der
Friedensbedingungen und § 3 der Ver⸗
ordnung vom 16. März 1920, der Er—
klärung des Herrn Präſidenten vom 8. Mai
und der Erklärung der Regierungskommiſſion
vom 29. Mai 1920. Die von der Re⸗
gierungskommiſſion vorgeſchlagene Anderung
Abſatz 2 (neu).
Die Behörden, die im förmlichen Difzi-
plinarverfahren über deutſche Beamte ent—
ſcheiden, ſind nur mit deutſchen Beamten
zu beſetzen.
Artikel 11.
Fällt weg.
Artikel 12.
Fällt weg.
2
177
—
des geltenden Diſziplinarrechts kann die
Beamtenſchaft nicht als eine Verbeſſerung
des jetzigen Zuſtandes betrachten.
Nach dem geltenden Recht kann die
Diſziplinarſtrafe nur von einem unab-
hängigen Diſziplinargericht ausgeſprochen
werden, während nach dem Entwurf nur
Diſziplinarräte mit beratender Stimme be—
ſtehen und die Entſcheidungen dem Vorge—
ſetzten vorbehalten bleiben. Dadurch wird
die von uns erſtrebte Rechtsſicherheit im
höchſten Maße gefährdet und ein Weg
eröffnet, um mißliebige Beamte zu entfernen.
Wir betonen ausdrücklich, daß wir kein be—
ſonderes Mißtrauen gegen die Regierungs—
kommiſſion hegen. Wir können aber auf
den geſetzlichen Schutz gegen Willkürmaß—
regeln der Vorgeſetzten, den wir ſchon feit
80 Jahren in Deutſchland genoſſen haben,
nicht verzichten. Im Gegenteil geht die
Rechtsentwickelung in Deutſchland und unſer
Beſtreben dahin, dieſen Schutz noch zu
verſtärken.
Die beſtehenden Geſetze haben auch immer
genügt, um unwürdige Elemente aus dem
Amte zu entfernen. Ein praktiſches Be—
dürfnis zu einer Abſchwächung des Schutzes
der Beamten beſteht alſo nicht.
Um Mißſtänden, die ſich aus der Ver—
ſchiedenheit des Difziplinarrechts für Reichs,,
preußiſche und bayeriſche Beamte ergeben,
entgegenzutreten und um das Difziplinar-
recht mit den jetzigen ſtaatsrechtlichen Ver—
hältniſſen in Einklang zu bringen, iſt die
Beamtenſchaft gern bereit, zur Ausarbeitung
eines einheitlichen Diſziplinarrechts mitzu—
wirken.
Der Einfluß, den die Regierungskom—
miſſion im Intereſſe des Dienſtes benötigt,
iſt durch ihr Recht der Ernennung der
Mitglieder der Difziplinargerichte, durch
die Möglichkeit, dem Ankläger Anweiſungen
zu erteilen, und durch ihr Recht der Berufung
ſichergeſtellt.
Iſt ſchon im geltenden Rechte ausreichend
geregelt.
Nach geltendem Rechte kann der Beamte
jederzeit ſein Amt niederlegen. Im Intereſſe
einer geordneten Verwaltung will die Be-
Artikel 13 Satz 1.
Fällt weg.
Teil IV. Artikel 14 bis 19.
Die Regierungskommiſſion wird Ver-
waltungsbeiräte und einen Oberverwaltungs—
beirat, entſprechend den im übrigen Deutſch—
land beſtehenden Beamtenausſchüſſen, be—
ſtellen.
Anderungen des deutſchen Rechts über
die Zuſammenſetzung und Befugniſſe der
Vertreter der Beamten wird die Regierungs-
kommiſſion im Saargebiet ebenfalls ein⸗
führen. |
Teil V. Artikel 20 bis 25.
Das Vereins- und Verſammlungsrecht
wird den Beamten in Gemäßheit der all⸗
gemeinen Geſetze, wie ſie am 11. November
1918 in Gültigkeit waren, gewähleiſtet.
Den Beamten ſind auch in Zukunft die—
ſelben Rechte und Verſammlungsfreiheiten
zu gewähren wie der übrigen Bevölkerung.
| amtenſchaft aber in die Kündigungsfriſt nach
$ 2 der Verordnung vom 16. März 1920
einwilligen. Weiterer Beſtimmungen bedarf
es nicht.
Amt ohne geſetzlichen Grund nicht annimmt,
ſich dadurch diſziplinariſch ſtrafbar macht,
iſt ſelbſtverſtändlich.
Eine ſolche Handlungsweiſe wird in den
=
j
4
—
E
Daß derjenige Beamte, der fein 5
beſtehenden Geſetzen außerdem mit befonde-
rem Nachteil für den Beamten verknüpft.
Eine Beſtrafung ohne ein geſetzliches Ver—
fahren und unter Einſchränkung der Rechts⸗
ſicherheit für den angeſchuldigten Beamten
halten wir aber im Intereſſe grundlos be-
ſchuldigter Beamten für unbillig.
Im Gegenteil muß wegen der Schwere
der zu erwartenden Strafe das Verfahren
beſonders ſorgfältig und mit Rechtsſiche⸗
rungen umgeben ſein.
Für die Zeiten
außerordentlicher Gefahren geben die be⸗ |
ſtehenden Geſetze der Regierungskommiſſion
Maßnahmen.
Die Enthebung dienſtuntauglicher Be⸗
amten iſt im geltenden Recht mit den nötigen
Sicherungen gegen Willkür geregelt.
Im Satz 2 und 3, die ſachlich dem gel-
tenden Rechte entſprechen, erkennen wir die
Zuziehung des Verwaltungsbeirates als eine
erfreuliche Anderung an.
Dies entſpricht der Regierungserklärung
vom 29. Mai 1920. Die in Deutfchland
beſtehenden und erſt recht die in Ausſicht
genommenen Beamtenvertretungen erſcheinen
uns zur Herbeiführung eines Vertrauens-
verhältniſſes zwiſchen Regierung und Be⸗
amtenſchaft geeigneter als die vorgeſchlagene
Regelung, die der freien Wahl der Beamten
zu wenig Spielraum gibt
Das am 11. November 1918 geltende
und gemäß $ 23 der Anlage in Kraft ge⸗
bliebene Vereins- und Verſammlungsrecht
iſt freiheitlich und legt den Beamten keine
größeren Schranken auf als jedem anderen
Staatsbürger. Es können ſich hiernach
Beamte und Nichtbeamte zu Zwecken aller
Art vereinigen, ſofern ſie nur nicht gegen
die Strafgeſetze verſtoßen. Die Vereine
genügend Handhaben für außerordentliche
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haben das Recht, miteinander in Verbin—
dung zu treten, und zwar ſowohl mit in—
ländiſchen wie ausländiſchen.
Die Beibehaltung der bisherigen Freiheit
entſpricht dem Artikel 46 des Friedensver—
trages und den feierlichen mündlichen Ver—
ſprechen der Regierungskommiſſion vom
30. April 1920, daß es ihr völlig fern
läge, die politiſche Freiheit der Beamten
anzutaſten, ſowie dem ſchriftlichen Ver—
ſprechen vom 8. Mai 1920, daß ſie willens
ſei, den Beamten das größte Wohlwollen
zu bezeugen.
Nach § 23 der Anlage zu Artikel 50 der
Friedensbedingungen können die geplanten
Anderungen des Staatsrechts und erſt recht
diejenigen des Straf- und Zivilrechts nur
nach Anhörung der gewählten Vertreter des
Volks eingeführt werden. Es iſt gänzlich
ausgeſchloſſen, daß ein Vertreter des faar-
ländiſchen Volkes irgend einer Parteirich—
tung der beabſichtigten Rechtsänderung bei—
ſtimmt. Der Vorſchlag der Regierung würde
daher zu unerwünſchten ernſten Meinungs—
verſchiedenheiten zwiſchen der Regierung und
der in Ausſicht genommenen Volksvertretung
führen.
Die Einſchränkung des Vereins- und Ver⸗
ſammlungsrechtes iſt ſtaatspolitiſch aber auch
nicht notwendig. Irgendwelche Mißſtände
haben ſich in Deutſchland aus der freiheit—
lichen Regelung nicht ergeben. Verſtößt der
Beamte durch die Teilnahme an Vereinen
oder Verſammlungen gegen ſeine Treupflicht
oder andere Standespflichten oder gegen das
Anſehen, das ſein Amt erfordert, ſo werden
ihn die Diſziplinarbehörden zur Verant—
wortung ziehen.
Die beſonderen Strafbeſtimmungen gegen
die gemeinſame Niederlegung der Arbeit wir—
ken erfahrungsgemäß nur aufreizend und
ſind daher in unſerem geltenden Recht be—
ſeitigt. Ein Bedürfnis für ſolche Beſtim—
mungen liegt auch nicht vor. Wenn die
Rechtsverhältniſſe der Beamten befriedigend
geordnet ſind und die Beſtimmungen
nach Treu und Glauben eingehalten werden,
ſo wird die Regierungskommiſſion den Ruf
der deutſchen Beamtenſchaft als loyal und
pflichtgetreu beſtätigt finden. Sollte aber
trotzdem ein Fall einer ſchweren Treue- oder
Pflichtverletzung vorkommen, ſo geben da—
gegen das beſtehende Diſziplinarrecht und
Strafrecht die nötigen Schutzmaßregeln.
a
Artikel 26 bis 28.“
Die Regierung des Saargebietes wird
den Beamten an Gehalt, Ruhegehalt, Hinter—
bliebenenbezügen, ſonſtigen Dienſtbezügen
und geldwerten Vorteile aller Art dasſelbe
gewähren, was jeweils das Deutſche Reich,
Preußen oder Bayern gewährt. Die Be—
amtengruppen werden entſprechend den
deutſchen Geſetzen in die Beſoldungsklaſſen
eingereiht, unbeſchadet des Artikels V Abſ. 3
der Verordnung vom 16. März 1920.
Die Regierung wird den Beamten eine
Wirtſchaftsbeihilfe in ſolcher Höhe gewähren,
daß ſie imſtande ſind, dieſelbe Lebenshaltung
zu führen, wie die entſprechenden Beamten
des übrigen Deutſchlands.
Bei Bemeſſung der Bezüge wird für die
Beamten, die ſich im deutſchen Reichs und
Staatsdienſte befunden haben, die dort
verbrachte Zeit einer Beſchäftigung im
Dienſt der Regierungskommiſſion gleich—
geachtet.
Artikel 29 Abſatz! Satz J.
Bei der Ausreiſe aus dem Saargebiet
dürfen die Beamten und ihre Hinterbliebenen
ihr ganzes bewegliches Vermögen abgabe—
frei ungehindert ausführen. Die Ber-
wertung ihres Grundeigentums unterliegt
keinen Beſchränkungen.
Satz 2.
Fällt weg.
Artikel 30.
Im übrigen iſt es nicht mehr wie recht
und billig, den Beamten im Saargebiet
bezüglich des Koalitionsrechtes dieſelben
Freiheiten zu gewähren, wie ſie der § 12
Abſ. 4 der Friedensbedingungen den fran⸗
geilen Arbeitern und Beamten gewähr⸗
eiſtet.
Satz 1 faßt Artikel 26 bis 29 des Ent—
wurfes zuſammen.
Satz 2 ſoll verhüten Mißſtimmungen und
Unzufriedenheit innerhalb der Beamtenſchaft.
Entſpricht § 5 Abſatz 1 Satz 2 der Ver⸗
ordnung vom 16. März 1920.
Dies entſpricht der Abſicht der Re⸗
gierungskommiſſion. Die Verrechnung mit
dem Heimatsſtaat kann einer beſonderen
Vereinbarung der Regierungen überlaſſen
bleiben.
Das vorgeſehene Recht muß auch für
diejenigen Beamten gelten. die erſt ſpäter
ins Saargebiet gekommen ſind.
ft überflüſſig nach der Zivilprozeß⸗
ordnung und den Beſtimmungen über das
Defektenverfahren.
Es bedarf einer genaueren Erörterung,
welche Beſtimmungen des Geſetzes vom
18. Mai 1907 Anwendung finden ſollen.
2 f z
Artikel 31 Satz 3 (neu).
Alle Verordnungen und Verfügungen der
Reegierungskommiſſion find in deutſcher
Sprache zu erlaſſen.
Artikel 32.
Bezüglich der richterlichen Beamten, der
Direktoren der Zentralverwaltung, der
Landräte und Bezirksamtmänner verbleibt
es hinſichtlich der Beförderungen bei den
deutſchen Beſtimmungen.
Artikel 32a (nen).
Bezüglich der mittelbaren Staatsbeamten
wird die Regierungskommiſſion Anderungen
des geltenden Rechts über ihre Rechts—
ſtellung und ihr Gehalt im Saargebiet
einführen.
Arti bel 32 b (neu).
Die in dieſer Verordnung verſprochene
Neueinführung von deutſchen Geſetzen wird
mit dem durch die beſondere ſtaatsrechtliche
Stellung des Saargebiets nötig werdenden
Abänderungen in Anpaſſung an die faar-
ländiſche Behördenorganiſation erfolgen.
Wenn die nach einem allgemeinen, gleichen
und geheimen Wahlrechte gewählte, im $ 23
der Anlage zu Art. 50 der Friedens-
bedingungen vorgeſehene Volksvertretung
der Einführung eines deutſchen Beamten—
geſetzes widerſpricht, ſo ſoll die Regierungs—
kommiſſion nicht gehalten ſein, es dennoch
einzuführen.
Artikel 32 (neu).
Den Beamten gleichgeſtellt werden die—
jenigen Angeſtellten, denen die Anwartſchaft
auf planmäßige Anſtellung beigelegt iſt,
und diejenigen, die zur Erfüllung eines
dauernden Dienſtbedürfniſſes angenommen
ſind, ſofern ſie 5 Jahre bei einer Behörde
tätig waren. Die Zeit des Heeresdienſtes
wird auf die 5 Jahre angerechnet.
— 181 —
Dies entſpricht einem praktiſchen Be—
dürfnis, weil die meiſten Beamten keine
andere Sprache beherrſchen.
Es iſt unſer Wunſch, durch dieſes Be—
amtenſtatut die Rechtsverhältniſſe aller Be—
amten zu regeln. Bezüglich der Vorberei—
tungszeit und der Difziplin bedarf es keiner
beſonderen Beſtimmungen mehr, wenn
unſere Abänderungsvorſchläge Zuſtimmung
finden.
Dies entſpricht dem Wunſche der Kom—
munalbeamten nach Gleichſtellung mit den
unmittelbaren Staatsbeamten.
Die Beamtenſchaft nimmt die erforder:
liche Rückſicht auf die beſondere Lage des
Saargebietes und will die Regierung nicht
in einen Streit mit der Volksvertretung
bringen.
Entſpricht der Billigkeit.
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Artikel 32d (neu).
Soweit im Saargebiet keine eigenen
Prüfungskommiſſionen beſtehen, dürfen die
Prüfungen bei den deutſchen Stellen abgelegt
werden. Die Regierungskommiſſion wird
dieſe Prüfungen anerkennen.
Artikel 32e (neu).
Bei der Organiſation der Verwaltung
ſoll der Verwaltungsbeirat mitwirken.
Artikel 32f (neu).“
$ 2 der Verordnung vom 16. März 1920
Satz! erhält die Faſſung: Die Regierungs⸗
kommiſſion wird etwaigen Geſuchen behufs
Entlaſſung aus dem Regierungsdienſte ent—
ſprechen.
Artikel 33 Nr. 4 (neu).
Die Verpflichtung der Deutſchen Regie—
rung, auf Erfordern geeignete Beamte zur
Verfügung zu ſtellen und die Saarländer
bei ihren Prüfungskommiſſionen zur Prü⸗
fung zuzulaſſen.
Artikel 34 (nen).
Dieſes Beamtenſtatut ſoll mit der Deut⸗
ſchen Regierung vertragsmäßig vereinbart
werden und tritt mit dem Abſchluß des
Vertrages in Kraft.
Regierung fehlt.
\ .
Die Beſtimmung iſt praktiſch nötig.
Dies entſpricht der mündlichen Zuſiche⸗
rung der Regierungskommiſſion. Es iſt
auch ein praktiſches Bedürfnis, Beamte, die
die Verhältniſſe kennen, zu der Neuordnung
zuzuziehen.
In der amtlichen Veröffentlichung ſteht
für »wird« das Wort »kann«. Es ſcheint
ſich um einen Überſetzungsfehler zu handeln.
Um das Beamtenſtatut durchführen zu
können, muß die Deutſche Regierung dieſe
Verpflichtung übernehmen. Es bedarf alſo
auch inſofern einer vertraglichen Regelung.
Um den Zweck einer dauernden Regelung
zu erreichen, kann die Form eines Geſetzes
oder einer Verordnung nicht genügen, weil
Geſetze und Verordnungen jederzeit abänder⸗
bar ſind.
Für das Saargebiet iſt noch beſonders
zu berückſichtigen, daß es nach § 23 der
Anlage zu Artikel 50 der Friedensbedin⸗
gungen zur Abänderung eines Geſetzes nicht
der Zuſtimmung einer Volksvertretung be—
darf, daß alſo für uns der ſonſt in allen
europäiſchen Staaten eingeführte Schutz des
Volkes gegen willkürliche Maßnahmen der
Es bedarf daher einer ſtaatsrechtlich
bindenden Form, um allen Beteiligten die
nötige Sicherheit zu geben. Dieſe Form
kann nur der Abſchluß eines Vertrages mit
der Deutſchen Regierung ſein.
Nr. 121.
Eingabe der politiſchen Parteien des Saargebiets an den Völkerbund
in der Beamtenfrage (Anfang Juli 1920).
Wir, die unterzeichneten Vertreter der politiſchen Parteien des Saargebiets,
nehmen uns die Freiheit, dem Völkerbund aus der Fülle der Fragen, die alle Saar—
gebietsbewohner tief bewegen, als eine beſonders wichtige die Frage der Anſtellung
ausländiſcher Beamten im Saargebiet zu unterbreiten.
Die Regierungskommiſſion für das Saargebiet hat wichtige Beamtenſtellen mit
Ausländern, beſonders ſolchen franzöſiſcher Staatsangehörigkeit beſetzt, wobei ſie zum
Teil franzöſiſche Offiziere, denen dieſe Stellen von dem früheren franzöſiſchen Militär—
verwalter übertragen worden waren, übernommen hat.
Dieſes Verfahren iſt rechtlich ſehr bedenklich, denn nach § 14 des deutſchen Reichs—
geſetzes vom 22. Juli 1913 (Reichs- und Staatsangehörigkeitsgeſetzb werden Ausländer
durch den Eintritt als Beamte in den Dienſt des Reiches, eines Einzelſtaates oder
einer Gemeinde deutſche Reichsangehörige. Das deutſche Recht, das nach § 23 der
Anlage der Artikel 45 bis 50 der Friedensbedingungen in Kraft geblieben iſt, erkennt
es als eine nur von einer noch zu erwähnenden Ausnahme durchbrochene Regel an,
daß alle Beamte deutſche Reichsangehörige ſind, ſei es daß ſie es bei ihrer Anſtellung
ſchon waren, ſei es daß ſie es durch ihre Anſtellung werden. Durch die Anſtellung
als Beamter im Dienſte der Regierungskommiſſion aber werden Ausländer keine
deutſchen Reichsangehörigen, weil ſie nicht in den unmittelbaren oder mittelbaren Dienſt
des Reiches oder eines Einzelſtaates, ſondern in den Dienſt einer fremden Sou—
veränität, nämlich des Völkerbundes, treten. Die Übertragung aller Regierungs—
befugniſſe, die früher dem Deutſchen Reiche, Preußen oder Bayern zuſtanden, auf
die Regierungskommiſſion durch § 19 der Anlage kann hieran nichts ändern, denn
dieſe Übertragung iſt nach ausdrücklicher Vorſchrift nur ſoweit erfolgt, als ſich die
Regierungsbefugniſſe auf das Saargebiet beziehen. Die Einbürgerung eines Aus—
länders als Deutſcher lediglich mit Wirkung für das Saargebiet iſt aber gedanklich
unmöglich. Es entſpricht übrigens auch weder dem Willen der Regierungskommiſſion
noch dem der angeſtellten Ausländer, die deutſche Reichsangehörigkeit zu verleihen
oder zu erwerben.
Durch die Friedensbedingungen iſt auch nicht das Reichsgeſetz vom 22. Juli 1913
ſinngemäß dahin abgeändert worden, daß an die Stelle der deutſchen eine ſaarländiſche
Staatsangehörigkeit trete, denn nach der ausdrücklichen Beſtimmung des § 27 der
Anlage gibt es eine ſolche nicht, wie auch allerſeits anerkannt wird. Die Bewohner
des Saargebiets find deutſche Reichsangehörige geblieben.
Hiernach kann die Regierungskommiſſion bei Anſtellung von Beamten, wenn
ſie ſich in den Schranken des geltenden Rechts halten will, nur Deutſche als Beamte
anſtellen.
Das geltende deutſche Recht kennt allerdings die Möglichkeit, daß ein Ausländer
als Beamter angeſtellt wird, ohne die deutſche Reichsangehörigkeit zu erlangen,
nämlich dann, wenn in der Anſtellungsurkunde ein entſprechender Vorbehalt gemacht
wird. Dieſe Möglichkeit iſt jedoch nur für ganz beſondere Fälle geſchaffen, haupt—
ſächlich im Konſulats- und Kolonialdienſt, um geeignete Ausländer zur Bekleidung
dieſer Amter zu gewinnen. Es war aber nicht die Abſicht des Geſetzes, und das
Geſetz iſt in Deutſchland auch niemals in dem Sinne angewandt worden, daß die
leitenden Stellen in der geſamten inländiſchen Verwaltung Ausländern anvertraut
wurden. Diejenigen Regierungsſtellen, die nach dem am 11. November 1918 geltenden
Rechte die Beamtenſtellen zu beſetzen hatten, würden ſich einer ſchweren Verfehlung
gegen ihre ſtaatsrechtlichen Pflichten ſchuldig gemacht haben, wenn ſie, abgeſehen von
einzelnen ganz beſonders liegenden Fällen, Ausländer ohne Einbürgerung als
Beamte angeſtellt hätten oder wenn ſie ſogar Ausländer ohne Einbürgerung in die
13
— 184 —
leitenden Stellen berufen hätten. Die am 11. November 1918 in Geltung befindlichen
Geſetze bleiben aber derart in Kraft, daß ihre Auslegung und Anwendung in der⸗
ſelben Weiſe zu erfolgen hat wie bisher, und die Regierungskommiſſion verſtößt
ebenſo gegen ihre Pflicht, wie es die früheren Behörden getan haben würden, wenn
ſie, geſtützt auf den bloßen Wortlaut, gegen Sinn und Zweck eines Geſetzes handelt.
Wir Saargebietsbewohner glauben aber, daß die Frage nicht nur vom Stand⸗
punkte der Auslegung einzelner Vertragsbeſtimmungen aus in unſerem Sinne ent⸗
ſchieden werden muß, ſondern auch von höheren Geſichtspunkten aus.
Entſpricht es, ſo fragen wir zunächſt, dem Geiſte des Friedensvertrages und
den Grundlagen einer Völkerbundsregierung, daß wir ausländiſche Beamte erhalten?
Dies glauben wir mit Beſtimmtheit verneinen zu können. Die Regierung des Saar⸗
gebiets iſt Deutſchland entzogen worden, weil nach Anſicht der Alliierten Frankreich
ſonſt nicht die genügende Freiheit bei der Ausbeutung der Kohlengruben haben würde.
Sie iſt aber anderſeits Frankreich nicht übertragen worden, weil dadurch eine
Fremdherrſchaft im Saargebiet errichtet worden wäre. Hieraus folgt mit Notwendigkeit,
daß dem franzöſiſchen Einfluß keinesfalls ein größerer Spielraum eingeräumt werden
darf, als es ſchon der Fall iſt. Das würde aber geſchehen, wenn franzöſiſche Beamte
uns regieren. Denn dieſe Beamte mögen noch ſo ſehr bemüht ſein, eine neutrale
Haltung einzunehmen, ſie werden ſich doch niemals von ihrer Herkunft freimachen
können. Freiwillig oder unfreiwillig werden ſie ſich in ihren Maßnahmen vom
franzöſiſchen Intereſſe leiten laſſen. Deswegen wird ihnen die übrige Beamtenſchaft
und die Bevölkerung niemals Vertrauen entgegenbringen.
Eine der weſentlichſten Rechte, das der Saarbevölkerung im § 28 der Anlage
gewährleiſtet iſt, iſt ihre Sprache. Die Sprache des Saargebiets iſt deutſch. Wir
heben dies beſonders hervor, weil in vielfachen Veröffentlichungen, in Zeitungen und
Schriften des Auslandes die Meinung verbreitet worden iſt, daß hier ein gemiſchtes
Sprachgebiet ſei. Tatſächlich waren aber vor dem Kriege ausweislich der Volks—
zählung über 99 v. H. der Bevölkerung deutſcher Mutterſprache. Im öffentlichen
und privaten Leben herrſchte ausſchließlich die deutſche Sprache. An Fremdſprachigen
waren im Saargebiet nur einige italieniſche Arbeiter vorhanden. Die Grenze zwiſchen
dem deutſchen und franzöſiſchen Sprachgebiet liegt weit weſtlich bei Metz und
Diedenhofen. Es dürfte in den Ländern des Völkerbundes kaum Landſtriche geben,
in denen unter der Bevölkerung ſo wenig Fremde lebten, wie hier vor der Beſetzung.
Es widerſpricht der Gewährleiſtung der Sprache, wenn die Bevölkerung mit ihren
Beamten nur durch den Dolmetſcher verkehren kann. Sie muß ihre Anliegen in
ihrer Mutterſprache unmittelbar zum Ohr des entſcheidenden Beamten bringen können.
Es widerſpricht dieſem Recht, wenn in mehreren Abteilungen die oberen Stellen
lediglich mit Franzoſen und Belgiern beſetzt werden und wenn in dieſen Abteilungen
die franzöſiſche Sprache als Amtsſprache gilt. Wir erinnern daran, daß die Unruhen
und Ausſtände in Elſaß⸗Lothringen in der letzten Zeit gerade dadurch hervorgerufen
worden find, daß den deutſchſprechenden Landeseinwohnern fremdoͤſprachige Beamte
vorgeſetzt wurden. Wenn ſchon die Einwohner Elſaß-Lothringens dies unerträglich
fanden, trotzdem es Beamte derſelben Staatsangehörigkeit waren, ſo muß es noch
mehr für die Einwohner des Saargebiets gelten, die mit ihrem ganzen Denken und Fühlen
deutſch ſind und bei denen die fremden Beamten einem fremden Staate angehören.
In der Anſtellung von Beamten, die der deutſchen Sprache in Wort und Schrift
nicht völlig mächtig ſind, liegt aber auch geradezu eine Rechtsverletzung. Denn das
im § 28 der Anlage gewährleiſtete Recht der Beibehaltung der Sprache kann nicht
dahin verſtanden werden, daß die Bewohner des Saargebiets das Recht haben ſollen,
ihre Sprache im Privatverkehr zu ſprechen. Daß im Privatverkehr jeder in einer
Sprache ſprechen kann, wie er will, iſt ſo ſelbſtverſtändlich, daß die Annahme wider⸗
ſinnig wäre, die alliierten Mächte hätten dieſes Recht noch beſonders feſtlegen wollen.
Die Beſtimmung des § 28 kann vielmehr nur die Bedeutung haben, daß die deutſche
Amtsſprache im mündlichen und ſchriftlichen Verkehr der Beamten mit der Bevölkerung
— 185 —
und untereinander beſtehen bleibt. Gegen dieſes unſer Recht wird von den ausländiſchen
Beamten fortgeſetzt verſtoßen.
Wir können auch weder die Notwendigkeit noch die Zweckmäßigkeit der Ein—
ſetzung ausländiſcher Beamten einſehen. Wir wollen den Mitgliedern der Regierungs—
kommiſſion nicht das Recht beſtreiten, ſich mit fremden Privatſekretären, Dolmetſchern
oder Joniligen Vertrauensperſonen zu umgeben, denn fie kennen unſer Land nicht, fie
ſind den Verhältniſſen fremd und ſie ſprechen nicht unſere Sprache. Darüber hinaus
ſcheint uns aber jede Einſtellung von Ausländern unnötig und ſchädlich. Es iſt uns
unmöglich, Gründe dafür zu finden, daß beiſpielsweiſe die Polizei, die Abteilung des
Innern, das Verkehrsweſen und das Wohnungsweſen Franzoſen anvertraut worden
ſind. Zu einer Sicherung der Ausbeutung der Kohlengruben durch Frankreich iſt
dieſe Maßnahme gewiß nicht notwendig. Dieſe Beamten kommen mit einer fremden
Vorbildung, mit fremden Anſchauungen zu uns, zum Teil ſind ſie unſeren Verhält—
niſſen völlig fremd und ſprechen die Landesſprache überhaupt nicht oder nur ſchlecht.
Wie ſollen ſie Amter verwalten können, zu deren ordnungsmäßiger Ausübung eine
ſpezielle Vorbildung, eine genaue Kenntnis des deutſchen Rechts, der Verhältniſſe und
der Bevölkerung unerläßlich iſt? Zu der Bevölkerung kommen die ausländiſchen
Beamten niemals in ein engeres Verhältnis, fie bleiben ihr innerlich immer fremd.
und können deshalb keine fruchtbringende Tätigkeit entfalten. Ferner muß der ge—
ſamte Beamtenkörper notgedrungen geſchwächt werden, wenn er ungleichmäßig zu—
ſammengeſetzt iſt, wenn auf der einen Seite die meiſten leitenden Stellen mit Aus—
ländern und alle übrigen Poſten mit Deutſchen beſetzt ſind. Selbſt wenn auf beiden
Seiten der denkbar beſte Wille vorhanden iſt, ſo werden Reibungen und Mißhellig—
keiten gar nicht zu vermeiden ſein. Solange Ausländer Vorgeſetzte von deutſchen
Beamten find, wird es nie zu erſprießlichen Dienft- und Arbeitsverhältniſſen kommen.
Es kommt noch folgendes hinzu: Die große Maſſe der Beamten ſoll auch nach dem
Willen der Regierungskommiſſion deutſch bleiben. Es wird aber unmöglich ſein, die
erforderliche Anzahl dieſer Beamten zu finden, wenn die gegenwärtigen Verhältniſſe
andauern. Schon trägt ein Teil der Beamten ſich mit dem Gedanken, den Dienſt
im Saargebiet aufzugeben, weil es ihnen unmöglich erſcheint, unter dieſen Verhält—
niſſen fortzuarbeiten, und am erſten werden es gerade die tüchtigſten Beamten ſein,
die von hier weggehen werden. Es iſt mit Beſtimmtheit vorauszuſehen, daß für
dieſe Beamten ein Erſatz oder wenigſtens ein vollwertiger Erſatz nicht wird gefunden
werden können, ſolange Ausländer, insbeſondere Franzoſen, ſich in der Stellung von
Vorgeſetzten befinden. Wenn dann Lücken entſtehen, ſo wird die Regierungskommiſſion
ſie wieder mit Ausländern füllen, damit aber nur das Übel vergrößern und die
Kluft zwiſchen Beamtenſchaft und Bevölkerung vertiefen.
Wir glauben hiernach ohne jede Übertreibung feſtſtellen zu können, daß das Ver—
bleiben von ausländiſchen, insbeſondere franzöſiſchen Beamten, im Saargebiet einen
Zuſtand dauernder Unruhe und Spannung ſowohl innerhalb der Beamtenſchaft wie
2 Beamtenſchaft und Bevölkerung ſchaffen würde. Der leidende Teil bei
ieſen unerquicklichen Verhältniſſen wäre immer nur die Saarbevölkerung.
In der Anweiſung, die der Völkerbundsrat am 13. Februar 1920 für die Re-
gierungskommiſſion aufgeſtellt hat, heißt es unter Ziffer III, daß die Kommiſſion
keine anderen Intereſſen und Obliegenheiten kenne, als das Wohlergehen der Be—
völkerung des Saargebiets. Wenn wirklich nach dieſer Anweiſung, die inſoweit
frühere Zuſicherungen wiederholt, regiert werden ſoll, dann iſt es eines der Haupt—
erforderniſſe, daß die Beamten, die unſere öffentlichen Angelegenheiten verwalten ſollen,
aus unſerer Mitte und nicht aus Landfremden genommen werden. Geſchieht letzteres,
dann wird ſich die Regierungskommiſſion niemals des Vertrauens der Bevölkerung
erfreuen, dieſe wird vielmehr jede neue Maßnahme der Regierungskommiſſion arg—
wöhniſch als neuen Franzöſierungsverſuch betrachten. Vielleicht wird ein derartiger
Argwohn unberechtigt ſein, aber er wird einfach da ſein und mit der Macht einer
natürlichen Tatſache ſeiner Beſeitigung widerſtehen.
13 *
— 7 hr
Mit diefen Ausführungen wenden wir uns an den Völkerbund. Wir hoffen,
bei ihm Verſtändnis für die Gerechtigkeit unſerer Bitte zu finden. :
Wir bitten daher, die Regierungskommiſſion anweiſen zu wollen, daß fie
die nichtdeutſchen Beamten e und weitere derartige Einſtellungen unter-
laſſen möge.
Wir erhoffen dieſe Anweiſung im Vertrauen auf den Beſchluß des hohen Rates
des Völkerbundes vom 13. Februar 1920, wonach die Regierungskommiſſion des Saar⸗
gebiets keinen anderen Obliegenheiten und Intereſſen als allein der Wohlfahrt der
Saarbevölkerung zu dienen hat.
Indem wir einer baldigen Antwort in dieſer für uns dringlichen Augeleheeg
entgegenſehen, verſichern wir unſere ausgezeichnete Hochachtung.
(Unterſchriften.)
(Die Eingabe iſt ohne Antwort geblieben.)
Nr. 122.
Protokoll über eine Beſprechung der Beamtenfrage zwiſchen Ver⸗
tretern der beteiligten Miniſterien in Berlin am 5. Auguſt 1920.
Vorſitzender
o
Die Verhandlungen der Beamtenorganiſationen des Saargebiets mit der Saar⸗
regierung haben zu keiner Einigung geführt. Das von der Saarregierung heraus⸗
gegebene Beamtenſtatut iſt in grundlegenden Punkten für die Beamten unannehm⸗
bar. Hervorzuheben iſt, daß nach dem Statut entgegen den ſchriftlichen Werfpre-
chungen des Präſidenten Rault die Möglichkeit zur Einſtellung weiterer Ausländer
beſteht, daß der Begriff »Saarländer« zu Bedenken Anlaß gibt, daß die Beamten
in ihrem Vereinsrecht geſchmälert werden, und daß namentlich ein Difziplinarver-
fahren vorgeſehen iſt, das offenſichtlich darauf zugeſchnitten iſt, die Handhabe fin
eine Entfernung aller deutſchgeſinnten Beamten zu ſchaffen.
Die Beamtenſchaft iſt nicht geſonnen, dieſes Statut anzuerkennen. Sie hat die
Arbeitseinſtellung beſchloſſen. Ein Teil der Arbeiterſchaft (Verkehrsarbeiter) will die
Forderungen der Beamten durch Streik unterſtützen, wenn gewiſſe Bedingungen er⸗
füllt ſind. Wie die Arbeitseinſtellung und der Streik auf die übrige Arbeiterſchaft
wirken würde, läßt ſich nicht beurteilen. Verhandlungen mit allen Arbeiterorgani⸗
ſationen über ein gemeinſames Vorgehen haben nicht ſtattgefunden.
Die Beamtenſchaft und die Arbeiter haben nun folgende Wünſche:
Die Regierung möge erklären, daß ſie ausgewieſene Beamte anderweit einſtellen
und nötigenfalls für die zurückgebliebenen Familienangehörigen ſorgen werde, daß
ſie entlaſſene und ausgewieſene Arbeiter gleichfalls unterbringen und daß fie für den
Lohnausfall während der Streiktage aufkommen werde.
In der Ausſprache trat allgemeine Übereinſtimmung darüber zutage, daß bin
Beamten ein Weiterarbeiten unter dem Statut der Saarregierung nicht zugemutet
werden könne und daß die Regierung jedenfalls keinem Beamten wegen feiner Teil⸗
nahme an der Arbeitseinſtellung die Hilfe verſagen dürfe. Hingegen erſchien für die
Beamten die Abgabe einer befonderen Erklärung entbehrlich, da der Staatsminiſterial⸗
beſchluß vom 26. Juli 1919 ihnen alle i ten Garantien gibt. Die Abgabe
einer neuen Erklärung erſchien auch bedenklich, da ſie leicht als Aufforderung zur
Arbeitseinſtellung aufgefaßt werden könnte, was aus naheliegenden Gründen ver—
mieden werden muß.
Allſeitige Übereinftimmung herrſchte ferner darüber, daß bezüglich der Arbeiter
die gewünſchten Erklärungen nicht abgegeben werden können. Irgendwelche
— 187 —
Unterſtützung eines Streiks in einem Gebiet, das der deutſchen
Regierung nicht unterſteht, würde zu Folgen führen, die ſich nicht ab—
Sehen laſſen, fie würde zudem mit den allgemeinen Richtlinien der
deutſchen Friedenspolitik nicht in Einklang ſtehen und hat aus dieſen
Gründen zu unterbleiben. Daß Perſonen, die wegen Beteiligung am Streik
gemaßregelt oder ausgewieſen werden, nach Möglichkeit geholfen werden muß, wird
hiervon nicht berührt.
Die grundſätzliche Stellungnahme zu der Angelegenheit iſt hiernach die: Wenn
eine Bewegung der Beamten und vielleicht auch der Arbeiter im Saargebiet ausbricht,
erkennen wir die Gründe dafür als wohlberechtigt an, aber die Bewegung muß
ſpontan erfolgen und darf von der Regierung in keiner Weiſe gefördert werden. Die
materielle Hilfeleiſtung für etwaige Opfer der Bewegung iſt eine nicht zu umgehende
Pflicht der Regierung, bedeutet aber keine Förderung der Bewegung und darf als
ſolche nicht verwertet werden. . ....
Es wurden ſodann Einzelheiten des Beamtenſtatuts beſprochen. Die Ausſprache
hierüber konnte nicht beendet werden.
Nr. 123.
| Aufruf der Beamtenſchaft vom 6. Auguſt 1920.
“Veröffentlicht in den Zeitungen des Saargebiets vom 6. Auguſt 1920.)
Ein letztes Wort!
Wenn wir hier zu dem Ausgang der Verhandlungen über das Beamtenſtatut
nochmals das Wort ergreifen, dann ſtellen wir zunächſt ausdrücklich feſt, daß uns
dabei keinerlei nationaliſtiſche Gründe leiten, daß wir nicht die Abſicht haben, die
Souveränität der Regierungskommiſſion anzutaſten, daß wir in keiner Weiſe daran
denken, gegen die Friedensbedingungen Sturm zu laufen.
Wir wollen entſprechend dem § 23 der Anlage zu Artikel 50 der Friedens-
bedingungen nur unſere Rechte gewahrt wiſſen. Wir wollen mindeſtens den
Zuſtand, wie er am 11. November 1918 beſtand, erhalten wiſſen. Wir wollen uns
in keiner Weiſe die im übrigen Deutſchland eintretenden Verbeſſerungen abſchneiden
laſſen. Wir wollen aber unter allen Umſtänden keine Verſchlechterung des be—
ſtehenden Rechtes.
Wir haben nichts zu tun mit Unruheſtiftern, Rebellen, Demagogen und etwa
plünderndem Geſindel.
In welcher Weiſe hat nun die Regierungskommiſſion dieſen Kampf herauf—
beſchworen? Sie hat unſere beſtehenden Rechte angetaſtet, hat Verbeſſerungen in den
wichtigſten Punkten nicht nur verweigert, ſondern obendrein Verſchlechterungen eingeführt.
Mit der Regierungskommiſſion ſind ſeit Monaten Verhandlungen im Gange.
Dieſe wurden von unſerer Seite aus durchaus ſachlich und entgegenkommend geführt.
Die Regierungskommiſſion hat ihrerſeits den Vertretern der Beamtenſchaft mündlich
gegebene feierliche Verſprechungen gemacht, ſie hat ſchriftliche Zuſagen gemacht, in
denen ſie die mündlichen Verſprechungen zum größten Teil übergangen hat und hat
ſchließlich auch in den Verhandlungen die ſchriftlichen Zugeſtändniſſe nicht gehalten.
Die Regierungskommiſſion hat feierlich erklärt: Die Beamten im Saargebiet
u» ſich jederzeit mindeſtens ebenſo gut ſtehen wie die Beamten im übrigen Deutſch—
land.
Es iſt ganz ſelbverſtändlich, daß dieſe Verſprechungen ſich auf alle Rechte be—
zogen, aber gerade in den wichtigſten Angelegenheiten, beſonders in bezug auf die
perſönlichen und politiſchen Freiheiten und Rechte und in bezug auf die Sicherung
der Lebensſtellung der Beamten, hat die Regierungskommiſſion in keiner Weiſe die
Erwartungen der Beamten erfüllt.
e N
FR |
Die Vertreter der Beamten find mit unendlicher Geduld bis zum letzten Augen-
blick beſtrebt geweſen, einen Weg der Verſtändigung zu finden. Sie haben die Ver⸗
handlungen nicht abgebrochen, trotzdem ihnen bei den wichtigſten Fragen wiederholt
jede weitere Diskuſſion unterſagt wurde. Sie haben es hingenommen, daß, nach
ſtundenlangen Verhandlungen über Einzelheiten des Statuts, die Regierungskommiſſion
immer wieder ſich über alle Einwendungen mit der Erklärung hinweggeſetzt hat:
»Wir haben abgeſtimmt, der Text der Regierungskommiſſion bleibt beſtehen «.
Die Regierungskommiſſion hat das Beſtreben verfolgt, mit allen Mitteln zu
verhindern, daß die beſtehenden Organiſationen im Saargebiet mit Organiſationen
außerhalb des Saargebiets in Verbindung bleiben oder in Verbindung treten. Sie
hat noch in letzter Minute unterſagt, dies ohne ihre Genehmigung zu tun. Ob ſie
die Genehmigung erteilen wird oder nicht, das ſteht ganz in ihrem Belieben. Die
Regierungskommiſſion hat, durch erhebliche Einſchränkungen des Vereins- und Ver⸗
ſammlungsrechtes, für die Beamten einen unerträglichen Ausnahmezuſtand ſchaffen
wollen. Ein Beamtenſtand aber, der ſo entrechtet iſt, wie es das Regierungsſtatut
vorſieht, iſt eine Gefahr für die geſamte Bevölkerung des Saargebiets.
Die Regierungskommiſſion, die das Saargebiet zu treuen Händen Deutſchlands
verwalten ſoll, hat ſich wiederholt Rechte zugelegt, die die deutſche Regierung nie
gehabt hat, die alſo auch der Regierungskommiſſion ſelbſt nach den Friedens⸗
bedingungen unmöglich zuſtehen können.
Was hier mit den Beamten geſchehen ſoll, das kann morgen oder übermorgen
jeder anderen Klaſſe des werktätigen Volkes in derſelben Weiſe und mit derſelben
Begründung auferlegt werden. Der Ausgang von anderen Verhandlungen, die mit
der Regierungskommiſſion von Vertretern anderer Berufskreiſe gepflogen worden find,
hat immer wieder dasſelbe Bild ergeben wie das vorliegende.
Es bleibt kein Zweifel mehr übrig: Freiheit und Recht der Saarbevölkerung
ſind bedroht. |
Die Regierungskommiſſion ift nach unſerer Anficht verpflichtet, ihr Amt im
Namen des Völkerbundes und im Sinne der Völkerverſöhnung auszuüben und nach
den Grundſätzen der Freiheit und Demokratie für das Wohl der geſamten Saar⸗
bevölkerung zu ſorgen. Dieſe Aufgaben hat ſie ſich auch in ihren wiederholten feier⸗
lichen Proklamationen an die geſamte Bevöllerung zu eigen gemacht. Was in den
Verhandlungen mit den Vertretern der Beamtenſchaft zutage getreten iſt, läßt alles
andere erkennen, nur nicht das eine, daß die Regierungskommiſſion auch wirklich
gewillt iſt, dieſe Aufgaben zu erfüllen. |
Die Regierungskommiſſion hat zweifellos die Macht, wir haben auf unſerer
Seite nichts als unſer gutes Recht.
Wir ſind es aber auch zweifellos uns und unſerer Zukunft ſchuldig, uns nicht
ohne Not und ohne jede andere Begründung als die Berufung auf die materielle
Macht auch nur das geringſte von unſerem guten Recht nehmen zu laſſen.
Es bleibt uns daher nach dem Scheitern der Verhandlungen nichts mehr übrig,
als daß wir uns an die geſamte Saarbevölkerung wenden, uns in unſerem Kampf,
den wir auch um das Schickſal des Saargebiets zu führen gezwungen ſind, zu
unterſtützen. |
Fort von den Straßen! Strengſte Diſziplin gewahrt!
Die lebenswichtigen Betriebe, Gas-, Waſſer⸗ und Elektrizitätswerke bleiben
in Gang.
Wir verweigern für die Dauer der Aktion nur unſere Arbeitskraft.
Sabotage irgend welcher Art darf unter keinen Umſtänden verübt werden!
Wer dieſen Anordnungen zuwiderhandelt, hat ſich die Folgen ſelbſt zuzuſchreiben.
Niemand wird für ihn eintreten.
Vertraut Euren Führern! Wartet unter allen Umſtänden ihre Parole ab, ehe
Ihr die Arbeit wieder aufnehmt!
5
2.
3.
1
Unſere Forderungen.
Wir fordern für die Beamten und Arbeiter die Erhaltung aller Rechte und
Freiheiten, die am 11. November 1918 in Kraft waren.
Wir fordern, daß etwa in Deutſchland eintretende Verbeſſerungen von der
Regierungskommiſſion geprüft und im Saargebiet eingeführt werden.
Wir fordern, daß die Regierungskommiſſion entſprechend ihren wiederholten
feierlichen Zuſicherungen die Beamten und Arbeiter im Saargebiet jederzeit
mindeſtens ebenſo gut ſtellt, wie ihre Berufsgenoſſen im übrigen Deutſchland.
Wir fordern, daß die Regierungskommiſſion ihr Verſprechen bezüglich der
Übernahme und Beibehaltung der Beamten und Arbeiter hält.
Wir fordern die vollkommene Erhaltung der Beamten- und Arbeiterausſchüſſe,
ihren Ausbau und ihre Entwickelung nach den Grundſätzen, die in Deutſch—
land in Geltung ſind.
Wir fordern für uns das uneingeſchränkte Recht, mit unſeren deutſchen
Groß⸗Organiſationen in Verbindung zu bleiben und mit den Groß Organi⸗
ſationen anderer Länder jederzeit in Verbindung zu treten.
„Wir fordern, daß die Regierungskommiſſion ihr Verſprechen bezüglich der
Anſtellung von Ausländern im Staatsdienſte hält.
„Wir fordern die uneingeſchränkte Einführung des Betriebsrätegeſetzes, wie
es in Deutſchland zur Einführung gelangte.
„Wir fordern einen unabhängigen Richterſtand, zu dem die ganze Bevölkerung
Vertrauen haben kann.
Wir fordern die Beſeitigung der letzten Reſte der Militärherrſchaft.
Wir fordern energiſche Maßnahmen gegen die Wohnungsnot.
„Wir fordern durchgreifende Maßnahmen zum Abbau der Preiſe für Lebens-
mittel und Gebrauchsartikel.
Wir fordern ausreichende Belieferung mit billigen Kohlen.
„Wir fordern die Ausweiſung der landfremden Wucherer und Schieber und
ſtrenge Maßnahmen gegen die einheimiſchen Genoſſen derſelben.
. Wir fordern an den Zollgrenzen Erleichterungen für die Einführung von
Lebensmitteln und Bedarfsartikeln aus Deutſchland.
„Wir fordern die ſofortige Bildung einer Volksvertretung auf Grund all—
gemeiner, gleicher, geheimer und unmittelbarer Wahlen.
Wir fordern, daß die Regierungskommiſſion vor dem Zuſammentritt dieſer
Volksvertretung keine Verſchlechterungen der am 11. November 1918 in
Kraft geweſenen Geſetze und Verordnungen mehr vornimmt.
Beamtenbund des Saargebiets:
Anſchütz.
Reichsgewerkſchaft deutſcher Eiſenbahn⸗Beamten und Anwärter:
Schmidt.
Gewerkſchaft deutſcher Lokomotivführer:
Goedicke.
Deutſcher Eiſenbahner⸗Verband:
Thamerus.
Gewerkſchaft deutſcher Eiſenbahner und Staatsbedienſteter:
Biehler.
Allgemeiner Eiſenbahner⸗Verband:
Born.
Fachgewerkſchaft der Eiſenbahnfahrbeamten Deutſchlands:
Kaufmann.
Saarpfalzgruppe des Bayeriſchen Beamtenbundes:
Leibrock.
— 190 —
Nu. 124.
Verhängung des Belagerungszuſtandes im Saargebiet.
Mit Rückſicht auf den Streik des Eiſenbahnperſonals iſt der Belagerungszuſtand
über das Saargebiet verhängt.
Saarbrücken, den 6. Auguſt.
Der Präſident der Regierungskommiſſion.
gez. V. Rault.
Nr. 125.
Verordnung des Generals Briſſaud⸗Desmaillet über den Belagerungs⸗
zuſtand.
Verordnung.
Der Kommandierende General der Truppen im Saargebiet verordnet auf Grund
der Bekanntmachung der Regierungskommiſſion des Saargebiet3 vom 6. Auguſt be⸗
e Verhängung des Belagerungszuſtandes:
Verſammlungen aller Art find verboten.
2 Anſammlungen von mehr als 3 Perſonen und Umjüge ſind verboten.
3. Das Waffentragen iſt verboten. Die Gültigkeit aller Waffenſcheine iſt auf-
gehoben. Ausnahmen können nur von den Militärbefehlshabern und von den oberen
Sivil und Militärbehörden erlaſſen werden.
4. Vom 8. Auguſt mittags ab muß jede Perſon, ob Saarländer oder Ausländer,
eine Ausweiskarte beziehungsweiſe Legitimationspapiere bei ſich tragen.
5. Fahrzeuge jeglicher Art (Kraftfahrzeuge und ſonſtige Fuhrwerke) werden an
allen Ausgängen der Städte und Ortſchaften des Saargebiets, welche an den Haupt⸗
verkehrswegen gelegen ſind, einer genauen Kontrolle unterworfen werden.
6. Die Zeitungen haben ſich darauf zu beſchränken, Nachrichten ohne jeglichen
Kommentar zu veröffentlichen. Sie ſind verpflichtet, alle Verfügungen, Anſchläge und
Bekanntmachungen des Kommandierenden Generals zu veröffentlichen. Es iſt ihnen
ſtreng unterſagt, denſelben irgend eine Bemerkung zuzuſetzen. Jede Übertretung dieſes
Verbots wird die Einſtellung des Erſcheinens der Zeitung nach ſich ziehen.
7. Alle öffentlichen Lokale ſind vom 7. Auguſt ab um 10 Uhr abends zu ſchließen.
8. Vom gleichen Tage an darf von 10˙30 Uhr abends ab niemand auf der
Straße ſein, wenn ihm nicht eine beſondere ſchriftliche Genehmigung von ſeiten der
Militärbefehlshaber oder der oberen Zivil- und Militärbehörden erteilt worden iſt.
9. Jedermann, welcher einem requirierten Beamten, Arbeiter oder Angeſtellten
Unterkunft gewährt, nachdem derſelbe infolge eines Requiſitionsbefehls ſeine Wohnung
verlaſſen hat, wird in Haft genommen.
10. Jedermann, welcher einem Fremden, der ohne ordnungsmäßige Legitimations⸗
0 das Saargebiet betreten hat, Unterkunft gewährt, wird in Haft genommen
werden
11. Jedermann, welcher angeſichts von Abteilungen der bewaffneten Macht feind⸗
liche Rufe ausſtößt, wird in Haft genommen werden.
12. Allen Arbeitern fol es ermöglicht werden, ſich zu ihrer Arbeitsſtelle zu be—
geben. Die Wachthabenden und Führer von militäriſchen Abteilungen haben alle
„ Fälle zu unterſuchen, damit jeglicher Mißgriff ſeitens der Wachtvoſten ver⸗
mieden werde.
Saarbrücken, ben Tr Auguſt 1920.
Der Kommandierende General der Truppen im Saargebiet:
gez. Briſſaud⸗Desmaillet.
=> 4101.
Nr. 126.
Erklärungen der Gewerkſchaften zu dem Beamtenſtreik.
(Veröffentlicht in den Zeitungen des Saargebiets vom 7. und 8. Auguſt 1920.)
a. Erklärung des Verbandes der Bergarbeiter, des Deutſchen Metall—
arbeiterverbandes und des Ortsausſchuſſes des Allgemeinen Deutſchen
i Gewerkſchaftsbundes.
Zu dem ausgebrochenen Arbeiter- und Beamtenſtreik im Saarrevier haben die
Bezirksleitungen der frei organiſierten Berg- und Metallarbeiterverbände am 6. Auguſt
d. J. Stellung genommen und erklären:
Das internationale Arbeitsrecht nach dem Friedensvertrag von Verſailles bedingt
auch das nationale und internationale Organiſationsrecht der Hand- und Kopfarbeiter
zur Vertretung ihrer beruflichen Intereſſen. Dieſes Recht darf von keiner Regierung
angetaſtet werden. |
Sollte eine Beſchneidung dieſes Rechtes von der Saarregierung gewollt fein, fo
bedauern wir dies aufs tiefſte. Dann finden wir den Abwehrkampf der Arbeiter
berechtigt und erklären den Streikenden unſere Sympathie.
Dagegen ſind wir nicht bereit, für beſondere Privilegien der Beamten einzu—
treten, da wir gleiches Recht für alle erſtreben. |
Etwaige alldeutſche Beſtrebungen der Beamtenſchaft können nicht die Unter—
ſtützung der bei uns organiſierten Arbeiterſchaft finden. Wir fordern die bei uns
organiſierte Arbeiterſchaft auf, in dieſem Kampfe ruhig Blut zu bewahren und nur
den Weiſungen der Organiſation zu folgen.
Die Regierung erſuchen wir, den Forderungen der Hand- und Kopfarbeiter in
bezug auf Koalitionsrecht und Beſſerſtellung der Lebenslage Rechnung zu tragen und
darüber baldigſt in Verhandlungen zu treten.
Verband der Bergarbeiter.
J. A.: Schwarz.
Deutſcher Metallarbeiterverband.
J. A.: Wilhelm.
Ortsausſchuß des Allgemeinen Deutſchen Gewerkſchaftsbundes (freie Gewerkſchaften).
Hager.
b. Erklärung der dem Landesausſchuß des Deutſchen Gewerkſchafts—
bundes angehörenden Organiſationen.
Nachdem die Arbeiterſchaft der Poſt und Eiſenbahn ſowie die Beamtenſchaft
des Saargebiets zur Verteidigung ihrer Koalitionsfreiheit in den Streik getreten iſt,
ſehen ſich die dem Landesausſchuß des Deutſchen Gewerkſchaftsbundes angeſchloſſenen
Verbände zu folgender Erklärung veranlaßt:
Trotz aller prinzipiellen Bedenken gegen die Beſtimmungen des Vertrages von
Verſailles bezüglich des Saargebiets, die zu erörtern hier nicht die geeignete Stelle
iſt, ſtehen die dem Landesausſchuß des Deutſchen Gewerkſchaftsbundes angeſchloſſenen
Organiſationen auf dem Boden der durch dieſen Vertrag geſchaffenen Rechts—
verhältniſſe.
Es ergibt ſich hieraus für dieſe Verbände die Verpflichtung, mit allen geſetzlichen
Mitteln für die Beibehaltung und den Ausbau der in dem genannten Vertrag der
Bevölkerung belaſſenen Rechte einzutreten.
— 192 —
Zu dieſen heiligſten und unverletzlichſten Rechten, beſonders der Arbeiter-, Ange⸗
ſtellten⸗ und Beamtenſchaft, gehört in erſter Linie die Koalitionsfreiheit, zu deren
Verteidigung die Arbeiterſchaft von Poſt und Eiſenbahn ſowie auch die Beamtenſchaft
in den Streik getreten iſt.
Es ſoll hier nicht erörtert werden, aus welchen Gründen man es bedauerlicher⸗
weiſe verſäumt hat, weder von der einen noch der anderen Seite mit den maßgebenden
Führern der dem Deutſchen Gewerkſchaftsbunde angehörenden Verbände während der
ganzen Verhandlungen Fühlung zu nehmen. |
Im Falle es ſich aber bei dieſer Bewegung nur um die Verteidigung der
Koalitionsfreiheit und Herbeiführung wirtſchaftlicher Beſſerſtellung handelt, wozu die
politiſch neutralen, im Deutſchen Gewerkſchaftsbunde vereinigten Verbände ihre
Unterſtützung leihen, ſind dieſelben bereit, von dieſem, den gewerkſchaftlichen Regeln
nicht entſprechenden Verhalten abzuſehen und die im Streik Stehenden ihrer vollen
Sympathie zu verſichern.
Auch die im Deutſchen Gewerkſchaftsbunde vereinigten Verbände ſtehen auf dem
unverrückbaren Standpunkt, daß Arbeitern, Angeſtellten und Beamten die volle
Koalitionsfreiheit auch international geſichert bleiben muß. Es dürfte wohl keine
Regierung in der Lage ſein, von dieſem Grundſatz abzuweichen, ohne gegen die hei⸗
ligſten Menſchenrechte zu verſtoßen und die ſchwerwiegendſten Folgen heraufzubeſchwören.
Von der Regierungskommiſſion des Saargebiets, als der Vertreterin des Völkerbunds⸗
gedankens, der hervorgegangen iſt aus dem Geiſte einer wahren Demokratie, er⸗
warten die im Landesausſchuß des Deutſchen Gewerkſchaftsbundes vereinigten Ver⸗
bände die volle Zuſtimmung zu dieſem Gedanken.
Die im Landesausſchuß des Deutſchen Gewerkſchaftsbundes vereinigten Verbände
erwarten daher, daß auch jetzt noch die Möglichkeit durch baldigſt ſtattfindende Ver⸗
handlungen zu einer befriedigenden Einigung geſchaffen wird über die berechtigten
Wünſche der Streikenden, insbeſondere ſoweit fie die Koalitionsfreiheit und wirt⸗
ſchaftliche Beſſerſtellung betreffen.
Die genannten Verbände werden es im Hinblick auf die ungeheuren Folgen
außerordentlich bedauern, wenn durch ein weiteres Ablehnen dieſer Wünſche die ge-
ſamte Arbeiterſchaft in den Glauben verſetzt würde, in einen Kampf für ihre bedrohte
Koalitionsfreiheit eintreten zu müſſen, die in einem von demokratiſchem Geiſte erfüllten
Staatsgebilde zu den heiligſten und unverletzlichſten Rechten gehören muß.
An unſere Mitgliedſchaften richten wir die Aufforderung, gewerkſchaftliche Disziplin
nach jeder Richtung hin zu halten und nur den Weiſungen ibrer zuſtändigen Organi⸗
ſationen zu folgen.
Für das Landesſekretariat der chriſtlichen Gewerkſchaften.
J. A.: Kiefer. Pick. Haas.
Für die dem Geſamtverband der Deutſchen Angeſtelltengewerkſchaften angehörenden
- Verbände.
J. A.: Roll. Schmitt.
c. Erklärung der im Kartell der freien Gewerkſchaften vereinigten
Verbände.
Die unterzeichneten Organiſationen erklären hiermit, daß ſie dem Streik der im
Kampf ſtehenden Beamten und Arbeiter des Saargebiets ihre volle Sympathie ent⸗
gegenbringen.
Sie machen ſich die aufgeſtellten Forderungen voll und ganz zu eigen und werden
zur Durchſetzung dieſer Forderungen geſchloſſen in den Kampf eingreifen, wenn ſie
von den ſtreikenden Kollegen dazu aufgerufen werden.
Das Erſcheinen der Zeitungen ſoll im Intereſſe der Offentlichkeit, ſoweit die
Verhältniſſe es geſtatten, vorläufig vom Streik unberührt bleiben. |
— 193 —
Die Einwohner- und Arbeiterſchaft aber fordern wir auf, möglichſt in den
Häuſern zu bleiben, keineswegs aber die Kinder allein auf die Straße zu laſſen und
jede Ruheſtörung zu vermeiden. Wer den Anordnungen und Ermahnungen der
Führer zuwiderhandelt, hat ſich die Folgen ſelbſt zuzuſchreiben.
Saarbrücken den 6. Auguſt 1920.
Ortsausſchuß des Allgemeinen Deutſchen Gewerkſchaftsbundes
(Gewerkſchaftskartell) Saarbrücken:
Gerhardt.
Verband der Bergarbeiter Deutſchlands:
Hetterich.
Deutſcher Metallarbeiterverband:
Wilhelm.
Deutſcher Transportarbeiterverband:
Ottilie.
Deutſcher Bauarbeiterverband:
Wilhelm.
Fabrikarbeiterverband Deutſchlands:
Saar.
Verband der Maſchiniſten Deutſchlands:
Breh.
Deutſcher Holzarbeiterverband:
Schmidt.
Angeſtelltenkartell des Saargebiets (Afa):
Hoffmeiſter.
d. Erklärung des Gewerkſchaftsrings der Arbeiter- und Angeſtellten—
Organiſationen vom 8. Auguſt 1920.
Der Gewerkſchaftsring der Arbeiter- und Angeſtellten-Organiſationen im Saar-
gebiet verſichert den um ihr freies Koalitionsrecht und die Sicherung ihrer erworbenen
Rechte im Kampf ſtehenden Beamten und Arbeitern des Saargebiets volle Sympathie
und gibt der Erwartung Ausdruck, daß bald zwiſchen Regierungskommiſſion und
Streikleitung eine Einigung über die ſtrittigen Punkte erzielt wird und auch über
die allgemeinen Forderungen der Streikenden mit Vertretern aller Organiſationen
Verhandlungen ſtattfinden.
Die unſeren Organiſationen angehörenden Arbeiter und Angeſtellten werden
aufgefordert, nur der Parole ihrer Führung zu folgen und ſich nicht zu unüberlegten
Schritten hinreißen zu laſſen. Genau wie bei dem letzten Metallarbeiterſtreik muß
es auch jetzt möglich ſein, daß alle direkt Beteiligten und auch die nur indirekt durch
die Bewegung erfaßten Bevölkerungsteile Selbſtdiſziplin üben und der Behörde keinen
Anlaß zu verſchärften Maßnahmen geben.
gez. Heinz. gez. Ecken.
— 194 —
Nr, 127.
Erklärung der Hauptſtreikleitung vom 8. Auguſt 1920.
(Veröffentlicht in Zeitungen des Saargebiets vom 8. Auguſt 1920)
Der ſchwere Kampf, den wir trotz aller bisher bewieſenen Geduld und aller
loyalen Beſonnenheit zu unſerm eigenen Leidweſen zu führen gezwungen find, ver—
lief bis zum Augenblick, in dem dieſe Zeilen niedergeſchrieben werden, im ganzen
Saargebiet durchaus in der anſtändigen rein ſachlichen Form, in der wir ihn von
allem Anbeginn an zu führen feſt entſchloſſen waren. Wir wollen hier die Gelegen-
heit wahrnehmen, im Namen aller Beteiligten noch einmal ausdrücklich feſtzuſtellen,
daß gerade von ſogenannter »radikaler« Seite aus immer wieder ermahnt wurde, den
unvermeidlichen Kampf von allen nationaliſtiſchen und nicht gewerkſchaftlichen Be—
ſtrebungen frei zu halten, die Souveränität der Regierungskommiſſion nicht anzu⸗
taſten, auf dem Boden des Friedensvertrages zu bleiben, Ausſchreitungen und Zus
ſammenſtöße mit allen uns zu Gebote ſtehenden Mitteln zu verhindern, kurz und
gut, einen rein ſachlichen und abſolut anſtändigen Kampf um nichts anderes als um
das zeitgemäße, im Friedensvertrag und in wiederholten, feierlichen Proklamationen
der Saarregierung zugeſicherte Recht aller Arbeitnehmer, vor allen Dingen aber der
im Staatsdienſt und bei ſonſtigen öffentlichen Behörden beſchäftigten Beamten und
Arbeiter, zu führen. In dieſem ehrlichen Beſtreben waren die am Kampf beteiligten
Vertreter der verſchiedenſten Weltanſchauungen und Parteiſchattierungen ſowie die
Vertreter der verſchiedenſten Gewerkſchaftsrichtungen vollkommen einig Sie ſind auch
feſt entſchloſſen, ſich durch nichts von dieſer einheitlichen Auffaſſung, die wohl auch
die geſamte Bevölkerung verſtehen und gutheißen muß, abbringen zu laſſen.
Die Führer der Bewegung waren ſich darüber klar, daß man außerhalb ihrer
Kreiſe unmöglich das gleiche Verſtändnis für das hier vorliegende eigenartige Ver—
hältnis zwiſchen Arbeitgeber (der in dieſem Falle die Staatsgewalt ſelbſt iſt) und
Arbeitnehmer vorhanden ſein könne wie bei ihnen ſelber, die ſie Tag für Tag ſich
mit dieſem Verhältnis eingehend zu beſchäftigen gezwungen ſind. Hier ſei auch gleich
ohne jede Schärfe auf den Vorwurf eingegangen, den uns ein Teil der Preſſe macht,
daß mit den politiſchen Parteien keine Fühlung genommen worden ſei. Bisher war
es nicht üblich, daß bei rein gewerkſchaftlichen Kämpfen die politiſchen Parteien auch
nur in irgend einer Form in Anſpruch genommen wurden. In unſerem Kampfe
wäre es aber geradezu eine unverzeihliche Unklugheit geweſen, wenn wir auch nur
irgend eine politiſche Partei in Anſpruch genommen hätten, denn das iſt ja gerade
das, was wir nicht wollen, daß dieſer Kampf zu einem politiſchen geſtempelt werden
könne. Unſere Aktion iſt durchaus keine politiſche! Sie iſt, wie bei allen gewerk⸗
ſchaftlichen Kämpfen, abſolut nichts weiter als wie eine reine Auseinanderſetzung
zwiſchen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es iſt ein Ringen um nichts weiter als
wie um die Erhaltung und Fortentwicklung des uns zuſtehenden Rechtes auf zeit⸗
gemäße wirtſchaftliche, politiſche und perſönliche Freiheit und um die Verbeſſerung
unſerer wirtſchaftlichen Lage. Daß wir im Rahmen unſerer Streikforderungen dabei
alles in den Kreis unſeres Ringens zogen, was die geſamte Bevölkerung und mithin:
uns ſelber bedrückt und behindert, das iſt wohl für jeden vernünftig Denkenden
durchaus verſtändlich. | An
Es iſt denn auch bereits eingetreten, wie wir vorausgeſehen haben. Die
Sympathien aller Kreiſe der Bevölkerung find in dieſem ſchweren Kampf um unfer
gutes Recht auf unſerer Seite. Alle Arbeitnehmer, ob mit oder gegen ihre Führer,
warten darauf, daß wir ſie in dem entſcheidenden Augenblick zu Hilfe rufen. Die
Kampffront auf unſerer Seite iſt vollkommen feſt geſchloſſen. Der Wille zum Durch—
halten bis zur Durchſetzung unſerer durchaus vernünftigen und gemäßigten Forderungen
iſt einfach unübertrefflich. Was die Saarregierung in letzter Minute vergeblich ver—
ſucht hat, die Abtrennung der Intereſſen der Beamten von denen der Arbeiter, das
— 195 —
werden nach unſerer felſenfeſten Überzeugung auch alle anderen Kreiſe, die es bewußt
oder unbewußt wollen, nicht fertig bringen. Was wir verlangen, iſt ja weiter nichts,
als mindeſtens die Erhaltung des Rechtszuſtandes, wie er am 11. November 1918 im
Saargebiet Geltung el jeine Fortentwicklung im Geiſte der Zeit, entſprechend den
Ideen des Völkerbundes, der Freiheit und der Demokratie, einen Beamtenſtand, der
im Intereſſe der öffentlichen Ordnung und des Allgemeinwohls keinen Ausnahme—
geſetzen unterworfen iſt, dem die Möglichkeit nicht abgeſchnitten wird, ſich in zeit—
gemäßem Sinne zu verjüngen und zu reformieren, kurz einen Beamtenſtand, der nicht
in dem Sinne, wie es das Regierungsſtatut zweifellos zur Folge haben würde, ent—
rechtet wäre.
Solange mit Rückſicht auf die beſonderen Verhältniſſe im Saargebiet das nicht
möglich iſt, was ſelbſt im republikaniſchen Deutſchland bisher nicht möglich war,
nämlich die Abſchaffung der ſogenannten Sonderprivilegien des Beamtenſtandes, be—
ſteht auch für die am Kampf beteiligten ſogenannten radikalen Gewerkſchaftsführer
durchaus keine Veranlaſſung, der Saarregierung einſeitig eine Beſchneidung dieſer
bisher üblichen Rechte zu geſtatten. Das wären unſeres Erachtens überhaupt Ge—
ſichtspunkte, die, wenn ſie in einem ſolch ernſten Augenblick in die Debatte geworfen
werden, keine andere Wirkung haben können, als wie die, daß ſie die erfreulicher—
weiſe vorhandene Einheitsfront, zunächſt einmal aller ſtaatlichen Arbeitnehmer im
Saargebiet, zum Schaden der Geſamtheit zerreißen würde. Das würde eine Lage
ſchaffen, die auch diejenigen nicht wünſchen können, die doch wohl jederzeit gewillt
ſind, gegen jede Reaktion energiſch Front zu machen.
Die Führer der Bewegung ſind im übrigen durchaus ebenſo feſt entſchloſſen,
den Kampf weiterzuführen, wie ſie bereit ſind, in jedem Augenblick mit der Saar—
regierung auf derſelben Grundlage neue Verhandlungen zu führen, auf der ſie die—
ſelben in der Vergangenheit geführt haben.
Einen Verrat an den Intereſſen derer, die ihnen bis heute rückhaltlos ihr Ver—
trauen geſchenkt haben, können aber die am Kampf führend beteiligten Gewerkſchafts—
führer in keinem Augenblick begehen, auch auf die Gefahr hin, daß ihnen daraus
perſönlich die ſchlimmſten Konſequenzen erwachſen könnten.
Nr. 128.
Zeitungsverbote im Saargebiet.
a.
(Überſetzung.)
Kommando der Saartruppen.
Sonderabteilung. Saarbrücken, den 8. Auguſt 1920.
Nr. 2145/2.
Notiz für die Preſſe.
Da die „Saarbrücker Zeitung« ſich nicht nach den Inſtruktionen des Kom—
mandierenden Generals der Truppen des Saargebiets gerichtet und ohne Genehmigung
Kundgebungen der Streikleitung wiedergegeben hat, wird ſie für einen Monat
verboten.
Die »Völklinger Zeitung«, Filiale der »Saarbrücker Zeitung«, wird gleichfalls
für dieſelbe Dauer verboten. Am Sitz dieſer Zeitung wird eine Durchſuchung vor—
genommen werden.
Der Kommandierende General der Truppen des Saargebiets:
gez. Briſſaud⸗Desmaillet.
— 196 —
b.
Notiz für die Preſſe.
Da die »Landeszeitung« ſich nicht nach den Inſtruktionen des Kommandierenden
Generals der Truppen des Saargebiets gerichtet und ohne Genehmigung Kundgebungen
der Streikleitung wiedergegeben hat, wird ſie für einen Monat vom heutigen Tage
ab verboten.
Eine Durchſuchung wird am Sitz dieſer Zeitung vorgenommen werden.
Der Eskadronchef und Kommandant der Gendarmerie des Saargebiets wird mit
der Ausführung dieſes Befehls beauftragt.
Der Kommandierende General der Truppen des Saargebiets:
gez. Briſſaud⸗Desmaillet.
e.
f (berſetzung.)
Kommando der Saartruppen.“ Ä
Sonderabteilung. Saarbrücken, den 13. Auguſt 1920.
Nr. 2145/2.
Notiz für die Preſſe.
Da die »Saar-Zeitung« ſich nicht nach den Inſtruktionen des Kommandierenden
Generals der Saartruppen gerichtet und ohne Genehmigung Kundgebungen der Streik-
leitung wiedergegeben hat, wird ſie für einen Monat vom 13. Auguſt 1920 ab ver⸗
boten. Eine Durchſuchung wird am Sitz dieſer Zeitung vorgenommen werden.
Der Eskadronchef und Kommandant der Gendarmerie des Saargebiets wird mit
der Ausführung dieſes Befehls beauftragt.
Der Kommandierende General der Saartruppen:
gez. Briffaud-Desmaillet.
N 129
Sympathieſtreik der Bergbeamten.
Erklärung des Bundes der Bergbeamten an der Saar.
(Veröffentlicht in den Zeitungen des Saargebiets vom 9. und 10. Auguſt 1920.)
Die Bergbeamten der Saargruben ſind bekanntlich nicht mehr Beamte in dem
Sinne wie die geſamte Beamtenſchaft des Saargebiets. Sie ſind vielmehr Privat⸗
angeſtellte bei der franzöſiſchen Bergverwaltung. Als der Beamten- und Arbeiter⸗
ausſtand einſetzte und die Forderungen bekannt wurden, hielten die Bergbeamten ſich
für verpflichtet, den Streikenden ihre Sympathie kundzutun, dies umſomehr, als die
Bergbeamten in ihrer Eigenſchaft als beurlaubte deutſche Beamte dem Beamtenbund
des Saargebiets organiſatoriſch angegliedert ſind. Die Bergbeamten glaubten ſich
aus dieſem Grunde auch nicht mit einer entſprechenden Kundgebung in der Preſſe
zufrieden geben zu dürfen, wie das ſeitens anderer Organiſationen geſchehen iſt.
Sie hielten ſich für verpflichtet, zum mindeſten durch einen kurzen Proteſtſtreik der
Saarbeamtenſchaft ihre Sympathie zum Ausdruck bringen zu müſſen. Dementſprechend
ſtellten die Bergbeamten für Samstag den 7. und Sonntag den 8. Auguſt geſchloſſen
ihre Dienſte ein. Die Bergbeamten erwarten, durch ihren machtvollen kurzen Proteſt⸗
ſtreik erreicht zu haben, daß die franzöſiſche Bergverwaltung alsbald bei der Saar⸗
regierung für Verhandlungen mit der Saarbeamtenſchaft eintritt. Dem früheren
Beſchluſſe entſprechend hat daher die Bergbeamtenſchaft den Dienſt am 9. d. M.
wieder aufgenommen ).
5) In der gleichen Zeit wurde auch von den Angeſtellten ſämtlicher Rechtsanwaltsbüros ein
Sympathieſtreik zur Unterſtützung der Beamtenforderungen durchgeführt.
5
2
*
— 197 —
Nr. 130.
Erklärung der Führer der Arbeiterorganiſationen aller Richtungen
vom 8. Auguſt 1920.
(Veröffentlicht in den Zeitungen des Saargebiets vom 9. und 10. Auguſt 1920.)
Die unterzeichneten Verbände nahmen heute (Sonntag) morgen Gelegenheit, mit
der Regierungskommiſſion über die Streiklage Rückſprache zu nehmen.
Die Beſprechungen ſind noch nicht abgeſchloſſen.
An die Kollegen ergeht deshalb der Ruf, vorläufig nicht in den Streik zu treten,
weiterhin die Ruhe zu bewahren und nur den Anordnungen der Organiſationen
zu folgen.
Allgemeiner Deutſcher Gewerkſchaftsbund:
Gerhardt, Schwartz, H. Wilhelm.
Angeſtelltenkartell des Saargebiets »Afa«:
Hoffmeiſter.
Landesſekretariat der chriſtlichen Gewerkſchaften:
Pick, Kiefer, Haas.
Geſamtverband deutſcher Angeſtellten-Gewerkſchaften:
Noll.
Nr. 131.
Proklamation des Generals Briſſaud⸗Desmaillet vom 9. Auguſt 1920.
Proklamation.
In ihrem Streikaufruf haben die Beamten erklärt:
»Unter keinen Umſtänden werden Sabotageakte vorkommen.«
Dieſe formelle Erklärung iſt nicht gehalten worden. Sie iſt täglich verletzt
worden.
Zahlreiche Sabotageakte ſind vorgekommen. Noch in letzter Stunde ſind
1 gegen die Eiſenbahn und die Telephon- und Telegraphenanlagen verübt
worden.
Attentäter ſind auf friſcher Tat überraſcht worden. Sie ſind verhaftet und
vor das Kriegsgericht geſtellt worden.
Andere haben den Warnrufen der Poſten nicht Folge geleiſtet und find entflohen.
Es iſt Befehl gegeben worden, künftig auf die Attentäter, die auf die vorgeſchriebenen
Anrufe nicht hören, zu ſchießen.
Es wird daran erinnert, daß alle Beamte und Angeſtellte, die der Requiſition
nicht nachkommen, verhaftet und vor das Kriegsgericht geſtellt werden.
Der kommandierende General konſtatiert mit Freude, daß ſich das ruhige und
disziplinierte Verhalten der Berg- und Fabrikarbeiter von dem aufrühreriſchen Ver—
halten der Beamten und Angeſtellten, die verhetzt ſind durch Agitatoren, die ihre
Parole von auswärts erhalten, beſtens unterſcheidet.
Der kommandierende General der Truppen des Saargebiets.
gez. Briffaud-Desmaillet.
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Nr. 132.
Proklamation der Regierungskommiſſion des Saargebiets
vom 9. Auguſt 1920.
Proklamation.
Die Bevölkerung des Saargebiets leidet unter den Folgen eines im Geheimen
vorbereiteten Streikes, den Beamte und Angeſtellte verſchiedener Behörden plötzlich
vom Zaune gebrochen haben. Die Lebensmittelzufuhr iſt bereits ins Stocken geraten
und die Teuerung nimmt zu. Die Regierungskommiſſion hat die Pflicht, die Beweg⸗
gründe ihrer jetzigen und künftigen Haltung in dieſem Konflikt auseinanderzuſetzen.
Gleich nach ihrer Ankunft legte ſie die Beſtimmungen des Friedensvertrages,
betreffs des ihr zuſtehenden Rechtes, Beamte zu ernennen und ihres Amtes zu ent⸗
heben, im freiheitlichſten Sinne aus und war ſtets beſtrebt, dieſen ſowohl materiell
wie moraliſch eine ſichere und ehrende Stellung zu ſichern, die ihren Intereſſen ſowohl
wie ihrer Würde entſpräche. Die Regierungskommiſſion berief die Beamten zu ſich
und erkundigte ſich nach ihren Wünſchen. In zahlreichen Sitzungen hat ſie ihnen
mit unermüdlichem Wohlwollen Gehör geſchenkt.
Sie hat faſt alle ihre Forderungen anerkannt: In erſter Linie hat ſie verfügt,
daß die öffentlichen Stellen vor allen Dingen mit Saarbewohnern beſetzt werden
ſollten; ſie hat den Beamten mindeſtens die gleichen materiellen Vorteile zugeſichert,
wie ſie das Reich oder die deutſchen Bundesſtaaten gewähren; ſie hat ihrer Zukunft
Rechnung getragen, für Penſionen geſorgt, ſogar, falls die Beamten dieſen Wunſch
äußern ſollten, ihre Verſetzung zur deutſchen Verwaltung ermöglicht. |
Sie hat ferner die Beſtimmungen, nach welchen in Deutſchland Beamtenausſchüſſe
gegründet werden können und die, nach dem Waffenſtillſtande in Kraft geſetzt, im
Saargebiet nicht anwendbar waren, vollſtändig in das Statut aufgenommen.
Unter großen finanziellen Opfern wurden den Beamten Gehälter und Zulagen
bewilligt, die ihre Lebenslage viel günſtiger geſtalten wie die der übrigen Bevölkerung.
Der genaue Wortlaut des Beamtenſtatuts, der heute noch der Bevölkerung
bekanntgegeben werden ſoll, wird es letzterer ermöglichen, ein Urteil zu fällen über
die Irreführung der Beamten, die unbewußt oder abſichtlich erfolgte, über die Über⸗
treibungen und Märchen, mit denen die Aufwiegler gearbeitet haben, um ſie irre—
zuführen. |
Wenn die Regierungskommiſſion den Beamten die volle und bedingungslofe
Koalitionsfreiheit nicht gewährt hat, die ſie den Arbeitern zuerkennt und immer zu⸗
erkennen wird, ſo iſt dies nicht in der Abſicht geſchehen, die berufliche und wirt⸗
ſchaftliche Freiheit der Beamten einzuſchränken. Niemals hat die Regierungskommiſſion
die Abſicht gehabt, den Beamten und ihren Familien die Vorteile der Fürſorgever⸗
einigungen oder der gegenſeitigen Unterſtützungskaſſen vorzuenthalten. |
Da der Friedensvertrag der Regierungskommiſſion die Laſt und die Verant⸗
wortung der Regierungsgewalt auferlegt hat, konnte ſie nicht dulden, daß die Beamten,
welche die ausführenden Organe der Zentralbehörde ſind, zu bewußten oder unbe⸗
wußten Werkzeugen außerhalb des Saargebiets ſtehender Agitatoren würden, infolge
eines unkontrollierbaren Anſchluſſes an politiſche Vereinigungen außerhalb des
Saargebiets. =
Die Aufwiegler find jetzt erkannt: Noch während die Verhandlungen mit den
Beamten ſchwebten, iſt die Regierungskommiſſion in den Beſitz von Schriftſtücken
gelangt, aus denen die Tätigkeit der »Reichszentrale für Heimatdienſt« im Saargebiet
hervorgeht, deren Agenten den Auftrag haben, beſtändig zu agitieren und die
Regierungskommiſſion an der Ausführung der Aufgaben zu hindern, die ihr gemäß
dem Friedensvertrag von Verſailles vom Völkerbunde übertragen wurden.
Die geheimen Manöver der Verſchwörer des Heimatdienſtes find nunmehr auf
gedeckt; man kennt ihre Wühlarbeit, die Mittel, mit denen ſie die Preſſe beeinfluſſen,
und die Zahl der Millionen, über die ſie für ihre Tätigkeit im Saargebiet verfügen.
D A Se 1 a AR SE EZ
— 199 —
= Vertreterin des Völkerbundes und als ſolche für die Aufrechterhaltung der Ruhe
und Ordnung in der Bevölkerung verantwortlich, iſt die Regierungskommiſſion darauf
bedacht, die Bewohner des Saargebiets, welche friedlicher Arbeit nachgehen wollen,
in die Lage zu ſetzen, die ſchädlichen Folgen des Krieges zu überwinden. Sie kann
deshalb ſolche Wühlarbeit nicht dulden und wird ſie niemals dulden.
Die Bevölkerung möge ſich beruhigen: die Maßnahmen, die man ergriffen hat
und vielleicht noch notgedrungen ergreifen wird, ſind nicht gegen die Bevölkerung
gerichtet, ſondern gegen die betreffenden Agitatoren.
Die Regierungskommiſſion wird ſich nicht mit ſtreikenden Beamten in Ver—
handlungen einlaſſen. Es hieße ſonſt, ſie billige, daß Beamten, welchen ſich von
politiſchen Beweggründen leiten laſſen, das Recht zuſteht, durch verabredete Ein—
ſtellung der Arbeit oder verbrecheriſche Sabotage das Wohl der Allgemeinheit aufs
Spiel zu ſetzen.
Die Beamten ſind mit der Ausführung der Geſetze betraut, und ihre erſte
Pflicht beſteht darin, die Geſetze zu achten. Von der weiteren Haltung der Beamten
wird die Haltung der Regierung abhängen. De Regierung wird ſtets gerecht bleiben
und hat nur einen Wunſch: auch wohlwollend bleiben zu können.
Gegeben zu Saarbrücken, den 9. Auguſt 1920.
Namens der Regierungskommiſſion.
Der Präſident:
gez. V. Rault, Staatsrat.
Nr. 133.
Erklärung der Hauptſtreikleitung.
(Veröffentlicht in den Zeitungen des Saargebiets vom 10. und 11 Auguſt 1920.)
Entgegen den Verſuchen, die den Zweck verfolgen, unſerem Kampf ihm ganz
fremde Beweggründe zu unterſchieben, geben wir hiermit im Namen ſämtlicher Führer
der Aktion noch einmal die feierliche, ehrenwörtliche Verſicherung ab, daß unſere Be—
wegung abſolut nichts mit den Beſtrebungen des Heimatdienſtes oder irgend welchen
anderen nationaliſtiſchen oder politiſchen Tendenzen zu tun hat.
Wir kämpfen nur den einen, rein ſachlichen Kampf um die Erhaltung und frei—
heitliche Fortentwicklung unſerer wirtſchaftlichen, perſönlichen und politiſchen Freiheiten
und Rechte.
Unſere Verhandlungen ſind zwiſchen uns und der Regierungskommiſſion geführt
worden. Wir haben mit unendlicher Geduld und kühler Beſonnenheit verſucht, ein
erträgliches Ergebnis zu erzielen. Es iſt uns nicht gelungen! Es blieb uns leider
nichts anderes übrig als der Kampf.
Eine Verwiſchung unſerer Kampfgründe, eine Verwäſſerung unſeres Kampfzieles
können wir unter keinen Umſtänden dulden.
Heimatdienſtverdächtige haben abſolut keinen Einfluß auf unſere Entſchließungen.
Heimatdienſtverdächtige befinden ſich nicht unter den Mitgliedern der Haupt-
ſtreikleitung.
Heimatdienſtideen haben bei der Aufſtellung unſerer Streikforderungen abſolut
keine Rolle geſplelt.
Wir geben der Bevölkerung des Saargebiets und der Regierungskommiſſion
hiermit noch einmal feierlich unſer Ehrenwort, daß wir nichts mit dem Heimatdienſt
zu tun haben.
Dies iſt unſer letztes Wort in Sachen »Heimatdienſt«.
Anſchütz, Thamerus, Biehler, Born, Goedicke, Schmidt, Kaufmann.
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Be
Nr. 134.
Erklärung des Gewerkſchaftsrings der Arbeiter- und Angeſtellten⸗
2 organiſationen im Saargebiet.
(Veröffentlicht in Zeitungen des Saargebiets vom 12. Auguſt 1920.
Der Gewerkſchaftsring der Arbeiter- und Angeſtelltenorganiſationen im Saar⸗
gebiet, dem hauptſächlich angeſchloſſen find die Gewerkvereine Hirſch⸗Dunker, der Gewerk⸗
ſchaftsbund der Angeſtellten, der Allgemeine Eiſenbahnerverband uſw., vertraut den
Erklärungen der Streikleitung, daß weder nationaliſtiſche Gründe noch Heimatdienſt⸗
propaganda in bewußter Weiſe mitſpielen. 8
Der Gewerkſchaftsring der Arbeiter- und Angeſtelltenorganiſationen erklärt, daß
die ihm angeſchloſſenen Verbände rein gewerkſchaftliche Ziele verfolgen, und hier im
Saargebiet niemals direkte oder indirekte Zuwendungen irgendeiner nationalen
Propagandazentrale erhalten haben, auch nicht für außergewerkſchaftliche Zwecke.
Wir nehmen an, daß der Streik lediglich wegen des bedrohten Koalitionsrechts
und der Sicherung erworbener Rechte begann.
Unter den erworbenen Rechten verſtehen wir natürlich keine politiſchen Sonder⸗
vorteile, für die im demokratiſchen Staat kein Raum mehr iſt. Wie aber die in
öffentlichen Dienſten des Saargebiets ſtehenden Perſonen alle ſeit der Umwälzung
in Deutſchland eingeführten Verbeſſerungen ſinngemäß auf das Saargebiet übertragen
wiſſen wollen, ſo haben ſie auch Recht, wenn ſie keine Verſchlechterungen wollen.
Von der Streikleitung erwarten wir, daß fie alles tut, um Sabotage⸗Akte zu
vermeiden und etwa vorgekommene verurteilt, wie es in der erſten Erklärung geſagt
iſt. Ebenſo erwarten wir, daß auch die Totenbeſtattung im allgemeinen Intereſſe
freigegeben wird.
Die von den Organiſationen der freien und chriſtlichen Gewerkſchaften mit der
Militärverwaltung angebahnten Verhandlungen, denen ſich der Gewerkſchaftsring an⸗
geſchloſſen hat, werden hoffentlich der Streikleitung Anlaß geben zur günſtigen Regelung
ihrer Sache. |
gez. Heinz. gez. Ecken.
Nr. 135.
Bekanntmachung des Generals Briſſaud⸗Desmaillet
vom 11. Auguſt 1920.
Generalkommando der Saartruppen. Hauptquartier, den 11. Auguſt 1920.
Bekanntmachung.
J. Mit Rückſicht auf die ruhige Haltung der Arbeiterbevölkerung, insbeſondere
der Bergleute und Metallarbeiter, beſtimmt der General, daß die öffentlichen Lokale
bis 11 Uhr abends offen bleiben dürfen und daß die Straßen bis Mitternacht für
den öffentlichen Verkehr freigegeben ſind.
II. Es wird daran erinnert, daß alle Verſammlungen der vorherigen Genehmigung
bedürfen. Geſtern hat ein ſaarländiſcher Sportverein ein Feſt veranſtaltet, welches
von Tauſenden von Perſonen beſucht war. Eine Genehmigung war nicht erteilt
worden, der Vorſitzende des Vereins wird ſtrafrechtlich verfolgt werden. Der
Kommandierende General der Truppen im Saargebiet iſt geneigt, Anträge auf
Genehmigung von Verſammlungen wohlwollend zu behandeln, er kann jedoch nicht
darauf verzichten, alle Verſammlungen, welcher Art ſie auch ſein mögen, zu beaufſichtigen.
III. Alle Zeitungen des Saargebiets, deren Erſcheinen bisher nicht verboten
wurde, werden der Vorzenſur durch das Generalkommando unterworfen. Die Abzüge
müſſen dem Generalkommando vorgelegt werden, und zwar vor 12 Uhr mittags für
die Zeitung, welche nachmittags erſcheint, vor 6 Uhr nachmittags für die Zeitung,
welche am Morgen erſcheint. Es wird in Exinnerung gebracht, daß während der
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auswärtige Telegramme und alle Mitteilungen oder Bekanntmachungengzr Regierügßs ce
kommiſſion oder des Generalkommandos an die Bevölkerung ohne jeg iumentar
zu veröffentlichen. Jede Zuwiderhandlung gegen dieſe Beſtimmung wird d e
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ganzen Dauer des Belagerungszuſtandes die Zeitungen ſich darauf waar
Verbot des Erſcheinens derſelben, auch des Handelsteiles, nach ſich ziehen.
Die Abſchnittskommandeure ſind beauftragt, für die Ausführung obiger Be—
ſtimmung innerhalb ihres Abſchnitts Sorge zu tragen.
Der Kommandierende General der Saartruppen:
gez. Briſſaud⸗Desmaillet.
Nr. 136.
Verhandlungen zwecks Beilegung des Streiks.
(Bericht verſchiedener Zeitungen vom 11. Auguſt 1920.)
Die Vertreter des Kartells wurden Montag Nachmittag (9. Auguſt) zur Regierungs—
kommiſſion entboten. Dort eröffnete ihnen Generalſekretär Morize namens der
Regierungskommiſſion folgendes:
Das Beamtenſtatut iſt von der Regierungskommiſſion angenommen, unterzeichnet
und veröffentlicht. Um das Anſehen der Regierungskommiſſion nicht zu ſchädigen,
iſt eine Anderung unter dem Druck des Streiks nicht möglich. Es wird alſo au
eine Auslegung der ſtrittigen Artikel ankommen müſſen.
Artikel 23 ſoll ſo ausgelegt werden: Unterbeamte, zu denen in dieſer Hinſicht
auch die mittleren Beamten zu rechnen ſind, welche Mitglieder einer Arbeitergewerk—
ſchaft waren, dürfen dieſer Organiſation auch ferner angehören unter der Voraus—
ſetzung, daß die Verbände keine politiſchen, ſondern lediglich Berufs- und Unter—
ſtützungszwecke verfolgen. Über den Beitritt zu den anderen großdeutſchen Organi—
ſationen iſt die Bewilligung der Regierungskommiſſion einzuholen, die, falls es ſich
nicht um alldeutſche Verbände handelt, gegen die weitere Mitgliedſchaft oder den
Beitritt Einwendungen wohl kaum erheben dürfte.
Ein Kartellvertreter regte an, es möge ein Kommentar über ſämtliche ſtrittigen
Punkte ausgearbeitet werden, der als Grundlage für die Einigungsverhandlungen
dienen könne. Mit dieſem Vorſchlag war der Vertreter der Regierungskommiſſion
einverſtanden. Strittig find — nachdem das Koalitionsrecht im Prinzip anerkannt
werden ſoll — noch die Beſtimmungen über das Diſziplinarverfahren, beſonders
Artikel 12 und 13, ferner von Teil IV der einleitende Artikel, welcher die Zuſammen—
ſetzung des Verwaltungsbeirats betrifft, und — abgeſehen von Artikel 23 — die
Beſtimmungen des Teiles V.
In der Rückſprache, welche die Kartellvertreter mit der Hauptſtreikleitung hatten,
kam es zum Teil zu leidenſchaftlichen Auseinanderſetzungen. Die Beamtenvertreter
erklärten auch hier noch einmal auf das Beſtimmteſte, daß die Bewegung mit dem
»Heimatdienſt« auch nicht das geringſte zu ſchaffen habe. Ferner ſtellten fie gegen-
über dem erhobenen Vorwurf, daß die Beamten Sonderrechte beanſpruchten, feſt,
daß die Beamten auf alle Privilegien durch die Forderung des rechtsrheiniſch geltenden
Beamtenſtatuts freiwillig verzichtet hätten. Der bezeichnete Vorwurf ſei nur er—
hoben worden, um eine Spaltung zwiſchen den Arbeitern und Beamten herbeizuführen.
Die Beamten beanſpruchen keine Privilegien, ſondern ſie verlangen nur, daß ſie nicht
als Bürger zweiter Klaſſe behandelt werden. Sie verlangen alſo die gleichen Rechte,
wie ſie den Arbeitern zuſtehen.
Wegen vorgerückter Stunde wurde die Rückſprache abgebrochen und vereinbart,
daß am Dienstag früh eine Kommiſſion zuſammentreten ſolle, welche einen als Unter—
lage für die weiteren Verhandlungen unentbehrlichen Kommentar ausarbeiten ſolle.
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Den Beamtenvertretern blieb im Laufe der Verhandlungen der Vorwurf nicht
erſpart, daß die Beamten inſofern eine geringe gewerkſchaftliche Schulung verraten
haben, als ſie in den Streik traten, bevor ſie mit den Arbeiterorganiſationen Rück⸗
ſprache gepflogen und diejenigen Aufklärungen über die Streikmotive gegeben hätten,
die fie jetzt, nach einer viertägigen Streikdauer, zum Vortrage brachten. Die Beamten:
vertreter erwiderten hierauf, ſie hätten die Bewegung zunächſt als eine reine Ausein⸗
anderſetzung zwiſchen Arbeitnehmer und Arbeitgeber angeſehen. Da im vorliegenden
Falle dieſer Arbeitgeber der Staat ſei, wäre es ihnen inopportun erſchienen, ſich ſo⸗
fort an die Gewerkſchaften zu wenden. Es hätte anderenfalls die Bewegung als ein
Putſchverſuch aufgefaßt werden können, und es mußte von vornherein alles vermieden
werden, was auch nur im geringſten den Vorwurf hätte als berechtigt erſcheinen
laſſen können, die Beamten verfolgten mit der Bewegung illegale Zwecke. =
MT. 13%:
Mitteilung der Regierungskommiſſion des Saargebiets bezüglich des
Streiks an die Preſſe.
(Veröffentlicht in Zeitungen des Saargebiets vom 12. Auguſt 1920.)
Wühler, unter denen ſich insbeſondere Beamte finden, die ein Intereſſe haben,
Beunruhigungen hervorzurufen und eine Verlängerung des Streiks zu verurfachen
zum Zweck, ihre eigenen Intereſſen zu verfolgen, ohne ſich ſelbſt einer Gefahr auszuſetzen,
aber auch ohne Rückſicht auf die kleinen Beamten und Angeſtellten, die ſie den Nöten
und Gefahren des Streiks preisgeben, ſetzen folgende tendenziöſen Gerüchte in Umlauf:
1. »Die Eiſenbahner, welche die Arbeit wieder aufnehmen, werden ſpäter in
ihrer Beförderung zurückgeſetzt, ja ſogar unter irgend einem Vorwande
oder auch ohne einen ſolchen entlaſſen werden.« 5
2. »Die Anſprüche auf Ruhegehalt ſollen nicht mehr gewährleiſtet werden « u. a. m.
Die Regierungskommiſſion kann nicht umhin, ein derartige Hetze zu brand⸗
marken. Sie wird nämlich nicht nur die Eiſenbahner und die Angeſtellten der Poſt⸗
und Telegraphenverwaltung ſchützen, welche die Arbeit wieder aufnehmen, ſondern
ſie wird auch dafür Sorge tragen, daß die Beamten und Angeſtellten, welche ihre
Pflicht getan und ſomit dazu beigetragen haben, den Dienſt bei den Behörden auf⸗
recht zu erhalten, keinerlei Einbuße erleiden, weder bezüglich ihrer wirtſchaftlichen
Intereſſen noch ihrer Beförderung. er - |
Nr. 138.
Vorſchläge der Arbeitervertreter zur Beendigung des Streiks.
1. Das von der Regierungskommiſſion erlaſſene Beamtenſtatut ſoll in der
loyalſten und demokratiſchſten Weiſe gehandhabt werden.
2 Über die ſtrittigen Punkte, insbeſondere über das Diſziplinarverfahren, ſoll
ein Communiqué beziehungsweiſe Auslegungsbeſtimmungen geſchaffen werden, welche
die Arbeiter und Beamten befriedigen.
3. Aus Anlaß des Streiks dürfen Maßregelungen und Strafen infolge der
Nichteinhaltung des Requiſitionsbefehls nicht verhängt werden. Bereits verhängte
Strafen find ſofort aufzuheben. Die Beamtenſchaft erwartet, daß die Regierungs-
kommiſſion dieſe Vereinbarungen in der loyalſten Weiſe zur Durchführung bringt,
da nur dadurch für die Zukunft Ruhe und Frieden eintreten und die Regierungs⸗
kommiſſion ſeitens der Bevölkerung das notwendige Vertrauen erhalten kann.
4. Mit Beendigung des Streiks iſt der Belagernngszuſtand ſofort aufzu⸗
heben. Alle früheren Rechte treten ſofort wieder in Kraft. Das Erſcheinen aller
Zeitungen wird ebenfalls ſofort wieder garantiert.
5. Die Regierungskommiſſion erklärt: Der Reichslohntarif für die Eiſenbahn⸗
arbeiterſchaft findet im Saargebiet ebenfalls Anwendung.
7903
Nr. 139.
ä | Weiterer Verlauf der Verhandlungen zwecks Beilegung des Streiks;
Generalſtreik.
(Mitteilungen der Preſſe des Saargebiets.)
| Im weiteren Verlauf der Verhandlungen, welche in der Streikangelegenheit
Bala Generalſekretär Morize als Vertreter der Regierungskommiſſion und den
eauftragten der nicht im Streik befindlichen Arbeiterorganiſationen als Mittels—
perſonen am Donnerstag vormittags (12. Auguſt) fortgeſetzt wurden, übergab General—
ſekretär Morize folgende Erklärung der Regierungskommiſſion als Grundlage
für die Einſtellung des Streiks:
»Der Herr Generalſekretär hat der Regierungskommiſſion Bericht erſtattet über
die Verhandlungen, die er geſtern mit den berufenen Vertretern der Berg- und Metall—
arbeiter gepflogen hat, welche ſich dem Streik nicht angeſchloſſen haben. Wie ſie es
bereits getan hat, iſt die Regierungskommiſſion heute wieder gewillt, mit den erwählten
Vertretern bezüglich der drei Punkte zu verhandeln, welche Herr Wilhelm in einer
ſchriftlichen Note angeregt hat. Die Regierungskommiſſion erklärt jedoch, daß ſie
ſich grundſätzlich weigert, Delegierte der im Streik befindlichen Beamten und Arbeiter
zu empfangen, ſolange dieſelben nicht reſtlos die Arbeit wieder aufgenommen haben.
Wie die Regierungskommiſſion zu wiederholten Malen erklärt hat, ſteht ſie auf
dem Standpunkt, daß das Beamtenſtatut, für welches ſämtliche Mitglieder der
Regierungskommiſſion am 29. Juni 1920 geſtimmt haben, in allen Punkten unab—
änderlich iſt. Was auch vorkommen mag, wird die Regierungskommiſſion das Statut
nicht abändern können, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Wenn die Regierungskommiſſion dieſe Verordnung, welche Geſetzeskraft hat,
ändern würde, ſo würde dieſe Verordnung den Beamten keine Garantie mehr bieten,
denn es wäre erwieſen, daß die Regierungskommiſſion oder eine ihrer Nachfolgerinnen
aus freien Stücken von ihr erlaſſene Verordnungen abzuändern ſich anmaßt.
2. Weil wegen des Ausſcheidens aus der Regierung des ſaarländiſchen Vertreters
die Regierung nicht mehr voll ählig iſt, und es ihr unmöglich erſcheint, ohne daß die
Saarländer in der Kommiſſion vertreten ſind, ein Geſetz abzuändern, welches für die
Saarländer ſelbſt von Wichtigkeit iſt.
Nach dieſer einleitenden Erklärung wird der Präſident der Regieruͤngskommiſſion
im Namen derſelben die drei Fragen beantworten, welche in der von Herrn Wilhelm
überreichten Note niedergelegt ſind. Der erſte Vorſchlag lautet:
1. Die Abſichten der Regierungskommiſſion find ſchon längſt dieſem Vorſchlag
entgegengekommen. Als die Regierungskommiſſion für das Beamtenſtatut geſtimmt
hat, war ſie von dem Wunſche beſeelt, den Beamten das größte Wohlwollen zu be—
zeugen, ihnen alle Verbeſſerungen ihrer Lage angedeihen zu laſſen, welche in Deutſch—
land den entſprechenden Beamtenklaſſen gewährt werden, und weitere Verhandlungen
ie pflegen zum Zwecke, die Ruhegehälter und die wirtfchaftlichen Vorteile, auf welche
ie Beamten Anſpruch haben, ſicherzuſtellen.
2. Nach Wiederaufnahme der Arbeit wird die Regierungskommiſſion bereit ſein,
die Vertreter der Beamten zu empfangen. Sie hat ſich bereits auf die Gedanken—
gänge des Herrn Wilhelm eingelaſſen, als ſie eine Auslegung der Artikel des Beamten—
ſtatuts gab, welche das Koalitionsrecht betreffen. Sie hat erklärt, daß es niemals in
ihrer Abſicht gelegen hat, den Beamten, insbeſondere den mittleren und unteren
Beamten, zu unterſagen, beruflichen und Fachvereinigungen anzugehören, ſowie Ver—
einigungen, die Unterſtützungszwecke verfolgen.
Sie behält ſich lediglich vor, den Beamten irgendwelchen Ranges zu verbieten,
Vereinigungen anzugehören, welche im Saargebiet politiſche Zwecke verfolgen oder
.
politiſche Propaganda betreiben. Sie wird die Beſtimmungen des Statuts ſtrikte
aufrechterhalten, wenn aber Auslegungen und genaue Erklärungen verlangt werden
ſollten, iſt die Regierungskommiſſion bereit, dieſelben den Vertreten der Beamten zu
geben, aber erſt nach Wiederaufnahme der Arbeit.
3. Bezüglich der Strafmaßnahmen nach dem Streik. Die Regierungskommiſſion
iſt bereit, nachdem die Beamten durch die Wiederaufnahme der Arbeit das Beamten⸗
ſtatut anerkannt haben werden, weitgehendſte Nachſicht vorzuſchlagen bezüglich der
Beamten und Arbeiter, welche ſich einer ſtrafrechtlichen Verfolgung ausgeſetzt haben.
Insbeſondere wird ſie auf die Militärbehörde einwirken und dieſelbe bitten, von
einer Verfolgung der Angeſtellten und Arbeiter vor dem Kriegsgericht abzuſehen,
welche dem Requiſitionsbefehl keine Folge gegeben haben. Diejenigen jedoch, welche
ſich des Widerſtandes gegen die Staatsgewalt oder der Sabotage ſchuldig gemacht
haben, werden dieſer Vergünſtigung nicht teilhaftig werden können.
Die Regierungskommiſſion iſt weiter entſchloſſen, von den ihr auf Grund des
Artikels 12 Abſatz 2 zuſtehenden Strafbefugniſſen bezüglich der Streikvergehen keinen
Gebrauch zu machen.
Vorliegende Erklärungen der Regierungskommiſſion ſind für dieſelbe nur bindend,
wenn die Arbeit innerhalb 24 Stunden (Samstag früh) wiederaufgenommen wird.
Bezüglich der zwei letzten Punkte, welche heute erſt der Regierungskommiſſion
zur Beantwortung vorgelegt werden, gibt der Präſident folgende Erkläruug: Gleich
nach der allgemeinen Wiederaufnahme der Arbeit wird der Präſident der Regierungs⸗
kommiſſion den Belagerungszuſtand aufheben. Nachdem die Polizeigewalt, die augen⸗
blicklich der Militarbehörde übertragen iſt, wieder auf den Präſidenten übergegangen
ſein wird, wird er innerhalb 24 Stunden die von der Militärbehörde erlaſſenen
Verbote des Erſcheinens gewiſſer Zeitungen aufheben.
Die Regierungskommiſſion hat keine weiteren Erklärungen abzugeben und zieht
ſich hiermit zurück. Wenn die anweſenden Vertreter Erinnerungen zu machen haben,
ſo werden ſie hiermit gebeten, dieſelben heute nachmittag dem Herrn General vor⸗
zutragen.
Der Präſident wiederholt, daß die Verſprechungen, die er hiermit gemacht hat,
nur Geltung haben, wenn die Wiederaufnahme der Arbeit nächſten Samstag früh
erfolgt iſt.«
(Nach Kenntnisuahme von dieſer Erklärung und nach erfolgter Beratung
brachen die Arbeitervertreter die Verhandlungen ab und erklärten den Generalſtreik,
der am 13. Auguſt im ganzen Saargebiet durchgeführt wurde.)
Nr. 140.
Bekanntmachungen des Generals Briſſaud⸗Desmaille
vom 13. Auguſt 1920.
a.
Generalkommando der Saartruppen.
Bekanntmachung.
Geſtern abend wurden ohne Genehmigung des Kommandanten der Truppen
Streikaufrufe an die Stadtmauern angeklebt, von den folgenden Gewerkſchaften
unterzeichnet: f
Die geſamte Arbeiterſchaft des Saargebiets.
Kartell der freien Gewerkſchaften.
Kartell der chriſtlichen Gewerkſchaften.
Angeſtelltenkartell des Saargebiets — »Afa« —.
Gewerkſchaftsring der Angeſtellten und Arbeiter.
— 205 —
Dieſe Anſchläge haben ſofort eine ernſthafte Erregung auf den Straßen hervor—
gerufen. Die betreffenden Anſchläge werden unverzüglich durch die Polizeibeamten
entfernt werden. Der Generalkommandant warnt die Anſtifter dieſer ungeſetzlichen
Handlung, daß er beim Wiederholungsfalle die Unterzeichner ſofort ausweiſen wird.
Saarbrücken, den 13. Auguſt 1920.
Der Generalkommandant.
gez. Briffaud-Desmaillet.
b.
Generalkommando der Saartruppen.
Bekanntmachung.
Im Verfolg der Bekanntmachung des Kommandierenden Generals vom
11. Auguſt 1920 — die Vorzenſur der Zeitungen betreffend — werden hiermit
Öffentliche Bekanntmachungen aller Art und Plakate aller Art der Vorzenſur durch
das Generalkommando unterworfen.
Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis bis zu 1 Jahre beſtraft.
Saarbrücken, den 13. Auguſt 1920.
Der Kommandierende General der Truppen im Saargebiet.
gez. Briſſaud⸗Desmaillet.
Nr. 141.
Beendigung des Streiks; Aufhebung des Belagerungszuſtandes
(14. Auguſt 1920).
(Mitteilungen in der Preſſe des Saargebiets, vom 15. Auguſt 1920).
Samstag früh (14. Auguſt) hat nach einem Beſchluß der Organiſationen der
Beamten und Arbeiter der Verkehrsſtreik ſein Ende gefunden, nachdem in einem
24ſtündigen Proteſt⸗Generalſtreik die geſamte Beamten⸗ und Arbeiterſchaft ihre
Geſchloſſenheit bekundet hat, in der Erwartung, daß die Regierungskommiſſion ihre
in den Verhandlungen mit den Organiſationsvertretern am Donnerstag gemachten
Verſprechungen erfüllen werde. Nunmehr iſt der Weg zu weiteren direkten Verhand—
lungen mit den Beamten und Arbeitervertretern frei, zu denen die Regierungs-
kommiſſion ſich nach Wiederaufnahme der Arbeit bereit erklärt hat.
Der Belagerungszuſtand im Saargebiet wurde geſtern Samstag (14. Auguſt)
aufgehoben.
Nr. 142.
Endgültige Faſſung des Beamtenſtatuts.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 9 vom 14. Auguſt 1920.)
Das Beamtenſtatut.
Verordnung.
Die Regierungskommiſſion verfügt in Gemäßheit des Artikels 49 des Friedens—
vertrags von Verſailles, ferner in Gemäßheit der SS 16, 19 und 29 der Anlage
zum Abſchnitt IV Teil 3) des Friedensvertrags von Verſailles, ferner in Gemäßheit
.
der Verordnung vom 16. März 1920, die Beamten betreffend, endlich auf Gruß
der Verhandlung der Regierungskommiſſion vom 29. Juli 1920, was folgt:
Teil J.
Allgemeine Beſtimmungen.
Artikel J.
Als Beamte der Regierungskommiſſion des Saargebietes gelten jetzt und in
Zukunft alle Perſonen, welche, nachdem ſie in der vorgeſchriebenen Weiſe vereidigt
Di find, im Saargebiet bei einer der Regierungskommiſſion unterſtellten Behörde:
. ein öffentliches Amt bekleiden, das ihnen auf Grund der bis zum 11. No⸗
vember 1918 in Kraft geweſenen deutſchen Geſetze die Eigenſchaft eines
Reichs- oder unmittelbaren Staatsbeamten verliehen hätte, oder
2. neueingerichtete Amter übertragen erhalten haben, die zur Befriedigung
eines dauernden Bedürfniſſes von der Regierungskommiſſion eingerichtet
worden ſind.
Die Beſtimmungen der Art. 3, 4 und 5 dieſer Verordnung finden Anwendung
auf die mittelbaren Beamten, die im Dienſte von Verwaltungskörpern (Kreiſen, Ge
meinden, Diſtrikten uſw.) ſteben, die an der Ausübung obrigkeitlicher Befugniſſe
teilnehmen, oder mit der Durchführung von Aufgaben, die im öffentlichen Intereſſe
liegen, betraut ſind, wenn ihre Ernennung der Beſtätigung der Regierungskommiſſion
unterliegt. Unangetaftet bleibt die geſetzlich gewährleiſtete Selbſtändigkeit der Ver⸗
waltungskörperſchaften, denen die fraglichen Beamten angehören.
Die Volksſchullehrer gelten als unmittelbare Beamte, ohne daß deshalb eine
Anderung in der N ihrer Beſoldungsweiſe eintritt.
Artikel 2.
Die Beamten der Regierung des Saargebiets unterſtehen einzig und allein en
Regierungskommiſſion, welcher fie Treue und Gehorſam ſchulden.
Teil II.
Anſtellung und Beförderung.
Artikel 3.
Alle Beamten der Regierung des Saargebiets, mit Ausnahme derjenigen der
Zentralverwaltung, werden in erſter Linie aus den Reihen der Einwohner des Saar⸗
gebiets entnommen werden oder, falls es an ſolchen fehlt, aus Deutſchen, die außer⸗
halb des Saargebiets wohnen. Eine Zulaſſung zu einem öffentlichen Amt kann nur
erfolgen, wenn die dienſtliche Befähigung durch eine erfolgreich beſtandene Prüfung
erwieſen iſt, oder, wenn eine gleiche oder gleichwertige Vorbildung beſteht, wie bei
den im Dienſte des Saargebietes ſtehenden Beamten gleicher Ordnung. Die in
Deutſchland nach Maßgabe einer deutſchen Geſetzgebung, welche nicht im Widerſpruch
ſtehen darf zu der im Saargebiet geltenden erworbenen oder noch zu erwerbenden Be—
fähigungsnachweiſe, erkennt die Regierungskommiſſion an.
Die Zentralverwaltung umfaßt die Direktion und Ober-Aufſichtsſtellen, die in
jeder Miniſterialabteilung dem Mitglied der Regierungskommiſſion unmittelbar unter⸗
ſtellt ſind, welches mit der Leitung dieſer Abteilung beauftragt iſt. Die Beamten
der Zentralverwaltung üben, wenn die Beſtimmungen des gegenwärtigen Statuts
nichts anderes beſtimmen, ihr Amt nur in Stellvertretung des Mitgliedes der Regie⸗
rungskommiſſion aus, dem ſie unterſtellt ſind.
Artikel 4.
Sollte es der Regierungskommiſſion unmöglich ſein, Beamte zu finden, welche
den obenerwähnten Anforderungen entſprechen, ſo behält ſie ſich das Recht vor,
nach Rückſprache mit den Vertretern der Beamten Perſönlichkeiten nach freiem
Ermeſſen zu berufen.
ud Artikel 5.
Die endgültige Anſtellung erfolgt erſt nach einer Probezeit, deren Dauer bei
den einzelnen Behörden verſchieden ſein kann, die jedoch drei Jahre nicht überſchreiten
darf. Vor der endgültigen Anſtellung iſt der Verwaltungsbeirat zu hören, deſſen
Einrichtung in Artikel 15 vorgeſehen iſt. Für Kriegsbeſchädigte oder Kriegshinter—
bliebene kann die Dauer der erwähnten Probezeit auf die Hälfte herabgemindert
werden.
Artikel 6.
Jeder unmittelbare oder mittelbare Beamte, der im Dienſt der Regierung des
Saargebietes oder eines Verwaltungskörpers in demſelben angeſtellt iſt, hat der
ri in Gegenwart eines von ihr beſtimmten Vertreters folgenden Treueid
zu leiſten:
»Ich ſchwöre der Regierungskommiſſion als Vertreterin des Völker—
bundes Gehorſam den Geſetzen und gewiſſenhafte Erfüllung meiner Dienſt—
obliegenheiten«.
Die Beamten, welche bisher deutſchen Behörden angehörten und auf welche der
Artikel 1 der Verordnung vom 16. März 1920 Anwendung zu finden hat, können
zur Eidesleiſtung erft nach dem Ablauf der in dieſem Artikel vorgeſehenen Friſt von
ſechs Monaten veranlaßt werden.
Es soll jedoch jedem geſtattet fein, die Abnahme des Eides ſchon vor dem Ablauf
der fraglichen Friſt zu beantragen. Diejenigen, welche den Eid geleiſtet haben und
in ihrem Amt durch die Regierungskommiſſion beſtallt worden ſind, ſollen nur noch
auf Grund eines Diſziplinarverfahrens entlaſſen werden können, wie es durch Die.
beſtehenden Geſetze und Verordnungen vorgeſehen iſt.
Artikel 7. .
Die Beförderungen in eine höhere Gehaltsklaſſe werden entſprechend den Be—
ſtimmungen des Reichsbeſoldungsgeſetzes vom 30. April 1920, des preußiſchen Be—
ſoldungsgeſetzes von 7. Mai 1920 und den entſprecheuden bayeriſchen Geſetzen neueſten
Datums geregelt werden, vorbehaltlich der Vereinheitlichung und Anpaſſung derſelben
an die beſonderen Verhältniſſe des Saargebietes.
Etwa in Deutſchland in Zukunft vorgenommene Anderungen ſollen von der
Regierungskommiſſion geprüft werden zum Zwecke, dieſelben den Beamten des Saar—
gebietes zugute kommen zu laſſen.
Unbeſchadet der etwaigen Anderung des Artikels 5, Abſ. 3 der Verordnung vom
16. März 1920 ſollen die gegenwärtig im Saargebiet im Dienſt ſtehenden Beamten
hinſichtlich ihrer Gehaltsbezüge in die einzelnen Klaſſen der angeführten deutſchen
Beſoldungsgeſetze eingereiht werden, unter Anlehnung an die beſonderen Verhältniſſe
des Saargebietes. |
Teil III.
Diſziplinarverfahren.
Artikel 8.
Jeder Beamte iſt der vorgeſetzten Behörde gegenüber für ſeine Amtshandlungen
verantwortlich. Im. Falle von dienſtlichen Verfehlungen können folgende Strafen
verhängt werden:
1. Ordnungsſtrafen:
a) Verwarnung,
b) Verweis ohne Eintragung in die Perſonalakten,
e) Verweis mit Eintragung in die Perſonalakten.
2. Diſziplinarſtrafen:
a) Strafverſetzung von Amts wegen,
b) Strafverſetzung mit oder ohne Verſetzung in ein Amt niedrigen Ranges,
BE)
c) Dienftentlaffung ohne Verluſt des Titels und des Anſpruchs auf
Ruhegehalt,
d) Dienſtentlaſſung mit allen geſetzlichen Nebenwirkungen.
Die Ordnungsſtrafen werden von der unmittelbar vorgeſetzten Behörde verhängt.
Die Diſziplinarſtrafen können nur nach vorausgegangenem Diſziplinarverfahren,
welches eine Vorunterſuchung und ein kontradiktoriſches Verfahren vorausſetzt, aus⸗
geſprochen werden. Die Strafen werden von der unmittelbar vorgeſetzten Behörde
verhängt nach gutachtlicher Außerung des Verwaltungsbeirats, der als Difziplinarrat
einberufen wird. Der beim Diſziplinarrat tätige Berichterſtatter verſieht zu gleicher
Zeit das Amt eines Anklagevertreters (Regierungskommiſſars). Derſelbe wird von
dem zuſtändigen Mitglied der Regierungskommiſſion eingeſetzt und darf nicht Mitglied
des Verwaltungsbeirats ſein.
Artikel 9.
Keine Diſziplinarſtrafe darf verhängt werden, ohne daß dem betroffenen Beamten
Gelegenheit gegeben worden iſt, die Akten einzuſehen und ſich ſchriftlich zu recht—
fertigen. Er kann ſich von einem Verteidiger verbeiſtanden laſſen. |
Artikel 10.
Der von einer Difziplinarftrafe betroffene Beamte kann bei dem Mitglied der
Regierungskommiſſion, welchem die Behörde, der der Beamte angehört, unterſtellt
iſt, Berufung einlegen. Dieſes entſcheidet endgültig nach gutachtlicher Außerung des
im Artikel 17 vorgeſehenen Oberverwaltungsbeirats, der als Diſziplinarrat einberufen
wird. Die Dienſtentlaſſung und die Amtsentſetzung dürfen jedoch nur durch einen
oberſten Diſziplinarrat beſchloſſen werden, welcher aus drei Mitgliedern der Regierungs⸗
kommiſſion beſtehen ſoll, und zwar unter Einhaltung der oben erwähnten Förmlich⸗
keiten. Das Amt des Anklagevertreters (Regierungskommiſſars) bei dem Oberſten
Diſziplinarrat hat der Abteilungsdireftor der Zentralverwaltung zu verſehen, dem
der betreffende Beamte unterſtellt iſt. Der betreffende Direktor hat keine beſchließende
Stimme.
Artikel 11.
In ſchweren und dringenden Fällen, wenn das dienſtliche Intereſſe es erfordert,
kann der Beamte durch den zuſtändigen Abteilungsdirektor, den Abteilungsleiter oder
den hierzu ermächtigten Direktions- oder Oberaufſichtsbeamten zeitweilig feines Amtes
enthoben werden. Die Diſziplinarbehörde, welcher der ſeines Amtes enthobene Beamte
innerhalb eines Monats zu überweiſen iſt, hat darüber zu entſcheiden, ob dem Beamten
das während der Dauer ſeiner Amtsenthebung von ihm bezogene Gehalt abgezogen
werden ſoll.
Artikel 12.
Kein Beamter kann ohne gerechtfertigten Grund und ohne Genehmigung der
vorgeſetzten höchſten Behörde ſeinen Dienſt verlaſſen. Jede Zuwiderhandlung gegen dieſe
Vorſchrift kann die Anwendung der im Artikel 8 vorgeſehenen Diſziplinarſtrafen nach
ſich ziehen, unter Verwirkung des im Artikel 10 eingeräumten Berufungsrechtes.
Bei verabredeter oder gleichzeitig erfolgter Dienfteinftellung kann Beſtrafung ohne
Anhörung der verſchiedenen Diſziplinarräte erfolgen.
Artikel 13.
Jeder Beamte, deſſen Unfähigkeit von ſeinen Vorgeſetzten feſtgeſtellt worden iſt,
kann nach Anhörung des Verwaltungsbeirates ſeines Amtes enthoben werden.
Der Verwaltungsbeirat entſcheidet, ob der des Dienſtes enthobene Beamte eine
ſeiner Dienſtzeit entſprechende Penſion erhalten ſoll, wenn er noch nicht die Mindejt-
dienſtzeit abgeleiſtet hat, welche das Geſetz für die Erwerbung eines Anſpruchs auf
Ruhegehalt vorſieht. Die nähere Regelung der Ruhegehaltsfrage wird durch eine
ſpätere Verordnung erfolgen.
67900
Artikel 14.
Bezüglich der mittelbaren Beamten werden die Ordnungsſtrafen (welche feine
Dienſtentlaſſung vorſehen) von der örtlichen vorgeſetzten Behörde verhängt, der dieſe
Beamten unterſtellt find, in Gemäßheit des bisherigen Verfahrens. Die Difziplinar-
ſtrafen (welche die Dienſtentlaſſung nach ſich ziehen) werden nach dem üblichen
Diſziplinarverfahren verhängt:
1. von dem Kreisausſchuß in den Fällen, in denen derſelbe bisher zuſtändig
war, d. h. bezüglich der Unterbeamten der Kreiſe und Gemeinden;
2. durch den Verwaltungsausſchuß des Saargebiets in den Fällen, in denen
das vor dem Waffenſtillſtand geltende deutſche Geſetz den Bezirksausſchuß
für zuſtändig erachtete; a
3. in letzter Inſtanz von einem Diſziplinarrat, der aus drei Richtern des
Oberverwaltungsgerichts und drei höheren Beamten zuſammengeſetzt ſein ſoll,
welch letztere von der Regierungskommiſſion ernannt werden.
Den Vorſitz führt einer dieſer Beamten, deſſen Stimme bei Stimmengleichheit
den Ausſchlag zu geben hat.
Dieſes Kollegium wird die Befugniſſe beſitzen, welche die deutſche Geſetzgebung
dem Oberverwaltungsgericht in Berlin zuſpricht.
Die Regierungskommiſſion behält ſich auf Grund ihres Oberaufſichtsrechts
jederzeit vor, das Diſziplinarverfahren einzuleiten und die oberſte Inſtanz anzurufen.
Teil IV.
Verwaltungsräte.
Artikel 15.
Bei allen Behörden, die der Regierungskommiſſion unterſtellt ſind, wird neben
dem Vorſtand ein Verwaltungsbeirat beſtehen.
Dieſe Verwaltungsbeiräte, deren Beſetzung jeweils im Verhältnis zur Wichtigkeit
der verſchiedenen Behörden nicht immer der Zahl nach die gleiche zu ſein braucht,
ſollen zuſammengeſetzt ſein:
1. zu ein Drittel aus den oberſten Beamten der betreffenden Behörde, und
zwar unter Berückſichtigung des Dienſtalters;
2. zu ein Drittel aus den gewählten Vertretern der Angehörigen dieſer
Behörde;
3. zu ein Drittel aus Mitgliedern, welche von dem zuſtändigen Mitglied der
Regierungskommiſſion ernannt ſind, und zwar unter Berückſichtigung der
allgemeinen Intereſſen, die ſie vertreten, oder ihrer Fachkenntniſſe. Dieſelben
brauchen nicht der betreffenden Behörde anzugehören.
Der Verwaltungsbeirat wird alle drei Jahre erneuert. Der Vorſitzende wird
von dem Mitglied der Regierungskommiſſion ernannt, dem die Behörde unterſtellt
iſt. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorſitzenden den Ausſchlag.
Artikel 16.
Der Verwaltungsbeirat kann bezüglich aller Verwaltungsfragen gehört werden,
welche die Regierungskommiſſion ihm zu unterbreiten für nützlich hält.
Artikel 17.
Falls der Verwaltungsbeirat als Difziplinarrat zuſammentritt, darf er nicht in
Anweſenheit derjenigen feiner Mitglieder beraten, welche einem niedrigeren Range
angehören, als der unter Anklage ſtehende Beamte; hingegen muß mindeſtens ein
Mitglied an der Beratung teilnehmen, welches dieſelben Fachkenntniſſe beſitzt wie der
Beſchuldigte, wenn es ſich darum handelt, eine techniſche Verfehlung zu beurteilen.
ea
Artikel 18.
Bei der Regierungskommiſſion wird ein Oberverwaltungsbeirat eingerichtet,
deſſen Zuſammenſetzung die folgende iſt:
1. die Direktoren der Zentralverwaltung;
2. drei Mitglieder, welche von der Geſamtzahl der Vertreter der Angehörigen
aller Behörden in den Verwaltungsbeiräten erſter Inſtanz zu wählen ſind;
3. drei Mitglieder, welche nicht den Behörden anzugehören brauchen und
welche wegen ihrer Fachkenntniſſe und der von ihnen vertretenen allge
meinen Intereſſen von dem Präſidenten der Regierungskommiſſion ernannt
werden können. | |
Der Vorſitzende wird vom Präſidenten der Regierungskommiſſion ernannt.
Seine Stimme gibt bei Stimmengleichheit den Ausſchlag.
Artikel 19.
Der Oberverwaltungsbeirat kann bezüglich aller Verwaltungsfragen gehört
werden, welche die Regier ungskommiſſion ihm zu unterbreiten für nützlich hält. Er
iſt berechtigt, in bezug auf die ihm unterbreiteten Fragen Wünſche zu äußern. Er
wird vom Präſidenten der Regierungskommiſſion einberufen, ſo oft derſelbe es für
nützlich hält.
Er äußert ſich gutachtlich über die von den Beamten eingebrachten Anträge in
dem im Artikel 10 vorgeſehenen Falle.
Artikel 20.
Später zu erlaſſende Ausführungsbeſtimmungen werden die Anwendbarkeit der
vorliegenden Verordnung bezüglich der Zahl, der Einrichtung und der Tätigkeit der
Verwaltungsbeiräte, ſowie das Verfahren bei denſelben, wenn ſie als Diſziplinarräte
in Tätigkeit treten, feſtſetzen.
Artikel 21.
Bezüglich der mittelbaren Beamten werden Verwaltungsbeiräte erſter Inſtanz
eingerichtet, welche je zu einem Drittel folgendermaßen zuſammengeſetzt ſind:
J. aus gewählten Vertretern der in Frage kommenden Beamtenklaſſe für jede
einzelne Selbſtverwaltung;
2. aus den wichtigſten örtlichen Beamten; |
3. aus Mitgliedern, welche von der Regierungskommiſſion ernannt werden,
und zwar vorzugsweiſe aus der Zabl derjenigen Perſönlichkeiten, die Be—
ziehungen zu dem betreffenden Verwaltungsbezirk haben.
Bezüglich der unmittelbaren Beamten wird ein Oberverwaltungsbeirat eingerichtet,
welcher je zu ein Drittel folgendermaßen zuſammengeſetzt iſt:
1. aus gewählten Mitgliedern der Beamten in den Verwaltungsbeiräten in
erſter Inſtanz;
2. aus höheren Kommunalbeamten, z. B. den Bürgermeiſtern größerer Städte;
3. aus Mitgliedern, welche von der Regierungskommiſſion ernannt und vor⸗
nehmlich aus der Zahl der Beamten des Miniſterialreſſorts genommen werden
können, welchen die Oberaufſicht über die Ortsverwaltung obliegt. (Ab⸗
teilung des Innern, Abteilung für Schulweſen uſw.) |
Teil V.
Beamtenausſchüſſe und Beamtenvereinigungen.
Artikel 22.
Die Beamten können Beamtenausſchüſſe bilden, welche grundſätzlich gemäß den
Vorſchriften des Erlaſſes des preußiſchen Staatsminiſteriums vom 24. März 1919
zuſammengeſetzt ſein dürfen.
wu RE
Etwaige ſpätere Anderungen auf dieſem Gebiet durch die deutſchen, preußiſchen
oder bayeriſchen Geſetze ſollen durch die Regierungskommiſſion zum Zweck ihrer An—
lehnung an die beſonderen Verhältniſſe des Saargebietes geprüft werden.
Artikel 23.
Die Beamten ſind befugt, zur näheren Prüfung und Verteidigung ihrer Verbands—
intereſſen und der Intereſſen des Dienſtzweiges, dem fie angehören, berufliche Ver-
einigungen zu bilden. Dieſe Vereinigungen dürfen keinerlei politiſche Ziele verfolgen.
Sie 2 1 270 den geſetzlichen Vorſchriften über die Anmeldung, die im Saargebiet
in Kraft ſind, und außerdem den Vorſchriften dieſer Verordnung. Ihre Satzungen
bedürfen der Genehmigung der Regierungskommiſſion.
Artikel 24.
Ohne Genehmigung der Regierungskommiſſion iſt es den Beamten des Saar—
gebiets unterſagt, irgend welchem beruflichen Vereine, Verbande oder Vereinigung
außerhalb des Saargebiets anzugehören.
Artikel 25.
Die beruflichen Beamtenvereinigungen ſind rechtsfähig innerhalb der ihnen durch
die geltenden Geſetze geſteckten Grenzen. Nur Beamte, die ſich noch im Dienſt be—
finden, können dem Vorſtande oder dem Verwaltungsausſchuß einer derartigen Ver—
einigung angehören.
Artikel 26.
Die Beamtenvereinigungen haben das Recht, ihre vorgeſetzte Behörde und die
Mitglieder der Regierungskommiſſion unmittelbar in allen Fragen anzurufen, die mit
ihren Verbandsintereſſen und den Standesintereſſen ihrer Mitglieder im Zuſammen—
hang ſtehen.
Artikel 27.
Zuwiderhandlungen gegen die Beſtimmungen der Artikel 12, 23 und 24 können
die Auflöſung der Vereinigung nach ſich ziehen, unbeſchadet etwaiger Diſziplinar—
maßnahmen gemäß Teil 3 dieſes Statuts hinſichtlich der Beamten, die dem Vorſtand
der Vereinigung angehören, oder eines jeden anderen Beamten, der für die betreffende
Zuwiderhandlung verantwortlich wäre.
| Artikel 28,
Die Mitglieder des Vorſtandes und des Verwaltungsausſchuſſes einer aufgelöften
Vereinigung können während eines Zeitraumes von 5 Jahren kein Vorſtandsamt in
einer Beamtenvereinigung bekleiden.
Artikel 29.
Die Beſtimmungen dieſes Teiles bezüglich der Beamtenausſchüſſe und der Beamten-
vereinigungen finden gleichfalls auf die mittelbaren Beamten allgemeine Anwendung.
Teil VI.
Gehalt, Ruhegehalt und wirtſchaftliche Vergünſtigungen.
Artikel 30.
Das Gehalt und die Zulagen der Beamten, deren Bezahlung dem Etat des
Saargebiets zur Laſt fällt, werden nach Maßgabe der Beſtimmungen bezüglich der
Gehälter und Zulagen berechnet, welche im Reichsbeſoldungsgeſetz vom 7. April 1920
enthalten ſind. Den Beamten wird die Aufrechterhaltung der Gehälter, Ruhegehälter,
Hinterbliebenenbezüge und weiterer geldlichen Vorteile zugeſichert, nach Maßgabe der
im Saargebiet geltenden deutſchen Geſetze, unter Anlehnung an die beſonderen Ver—
;
pt
— 212 —
hältniſſe des Saargebietes. Eine Teuerungszulage wird den Beamten gemäß Artikel 5
der Verordnung vom 16. März 1920 bewilligt werden. Geeignete Wohnungen werden
in Anwendung der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 7. Mai 1920 den
Beamten zur Verfügung geſtellt werden. |
Artikel 31.
Alle Verbeſſerungen bezüglich der Gehälter oder Ruhegehälter uſw. der Beamten
auf Grund der nach dem Waffenſtillſtand oder in Zukunft erlaſſenen deutſchen Geſetze
werden durch die Regierungskommiſſion geprüft werden zum Zweck der Bewilligung
der entſprechenden Vorteile den Beamten des Saargebietes, damit dieſelben zu keiner
Zeit ſchlechter geſtellt ſeien wie die deutſchen Beamten, welche im Reich in ent⸗
ſprechenden Stellungen ſich befinden. In Anwendung des § 29 der Anlage zum
Friedensvertrag wird den Beamten, die das Saargebiet verlaſſen wollen, jede Er-
leichterung gewährt werden, um ihr Grundeigentum zu behalten oder zu angemeſſenen
Preiſen zu verkaufen und ihr Mobiliar frei von allen Gebühren mitzunehmen.
Ihr Gehalt kann nur in den von der deutſchen Geſetzgebung, die ſich am
11. November 1918 in Kraft befand, vorgeſehenen Fällen gepfändet oder gekürzt
werden, abgeſehen des Falles der Verſchuldung eines Rechnungsführers der Regierungs⸗
kommiſſion gegenüber, unbeſchadet des Rechts der Rechnungsführer, eine Entſcheidung
durch die zuſtändigen Gerichte herbeizuführen. Wenn jedoch ein Beamter ſein Amt
niederlegen oder das Saargebiet verlaſſen ſollte, ohne die in der Verordnung vom
16. März 1920 vorgeſehene Kündigungsftiſt einzuhalten, fo könnte das Eigentum
dieſes Beamten bis zur Höhe des von ihm unrechtmäßiger Weiſe im voraus bezogenen
Gehaltes gepfändet werden.
Teil VII.
Schlußbeſtimmungen.
Artikel 32.
Im allgemeinen ſollen für die Rechtslage, die Rechte und Pflichten der Beamten
des Saargebiets die Beſtimmungen des Reichsbeamtengeſetzes vom 18. Mai 1907
Anwendung finden, ſoweit ſich dieſelben der beſonderen Verwaltungsorganiſation des
Saargebietes anpaſſen laſſen und ſie nicht in Widerſpruch ſtehen mit den Verordnungen
der Regierungskommiſſion, welche im Saargebiet Geltung haben. Die Anpaſſung
der deutſchen Geſetzgebung auf die Stellung der Beamten des Saargebiets im
Rahmen des Geſetzes von 1907 als Grundlage der Vereinheitlichung ſoll nach Prüfung
durch die Regierungskommiſſion im Einvernehmen mit den Beamten erfolgen.
Artikel 33. |
Die deutſche Sprache ift die Amtsſprache. Die Unkenntnis einer anderen Sprache
ſoll den Beamten nicht zum Nachteil werden.
Artikel 34.
Die Beſtimmungen dieſer Verordnung finden keine Anwendung auf die richter⸗
lichen Beamten, auf die Beamten der Zentralverwaltung noch auf die Landräte.
Für dieſe Beamtenklaſſen wird ein beſonderes Statut ausgearbeitet werden.
Gegeben zu Saarbrücken, den 29. Juli 1920.
Die Regierungskommiſſion:
gez. V. Rault, A. v. Boch, Lambert, Moltke-Huitfeld, R. D. Waugh.
Für die Richtigkeit:
gez. V. Rault, Staatsrat.
— 213 —
Nr. 143.
Bericht über den Verlauf des Beamtenſtreiks und die Maſſen⸗
| ausweiſungen.
In der Nacht vom 5. zum 6. Auguſt 1920 wurde die allgemeine Streikparole
ausgegeben. Der Beamtenausſchuß, der ſich zugleich als Streikleitung etabliert hatte,
veröffentlichte kurz vor Ausbruch des Streiks ein Rundſchreiben, in dem er die Gründe
des Streiks, den Verlauf der Verhandlungen und ihren Abbruch darlegte. Das Rund—
ſchreiben ſchloß mit einer kurzgefaßten Aufzählung von 17 Streikforderungen.
Da die Regierungskommiſſion gleich nach Ausbruch des Streiks die vollziehende
Gewalt in die Hand des kommandierenden Generals der Truppen im Saargebiet,
Briſſaud⸗Desmaillet, legte und dieſer auf Grund der Verordnung vom 23. April 1920
ſofort die Requiſition des Eiſenbahnperſonals anordnete, wurden ſchon am 6. und
7. Auguſt Eiſenbahnbeamte verhaftet und Hausſuchungen in ihren Wohnungen vor—
enommen. Die meiſten Beamten brachten ſich deshalb ſchleunigſt in Sicherheit, in—
ſie teils das Saargebiet verließen, teils ſich bei Freunden und Bekannten ver—
borgen hielten oder auch in die Wälder flüchteten. So konnten den meiſten Beamten
die Requiſitionsbefehle nicht zugeſtellt werden. Bei einigen höheren Eiſenbahnbeamten
erſchienen franzöſiſche Offiziere und forderten fie unter Vorlegung eines Requiſitions—
befehls auf, ſofort zum Dienſt zu erſcheinen. Sie lehnten ab und erklärten, daß ſie
nur der Gewalt weichen würden. Darauf wurden ſie von einer Patrouille abgeholt
und auf die Eiſenbahndirektion gebracht. Dort war ihnen aber ein Arbeiten, ſelbſt
wenn ſie gewollt hätten, nicht möglich, weil faſt das geſamte Perſonal fehlte.
Der Eiſenbahnverkehr ruhte ſchon am erſten Streiktag ſo gut wie vollkommen.
Einige Züge wurden durch franzöſiſche Genietruppen und anſcheinend auch durch
herangeholte franzöſiſche Eiſenbahnbeamte gefahren, doch nur unter großen Schwierig—
keiten. Offenbar verſtand ſich das franzöſiſche Perſonal nicht auf die Bedienung der
deutſchen Stellwerke und Lokomotiven; Weichen wurden deshalb mit dem Brecheiſen
aufgebrochen. Viele Bahnhöfe wurden militäriſch beſetzt und abgeſperrt.
Herr von Boch trat bereits am 6. Auguſt zurück und ſtellte dem Völkerbund ſein
Mandat zur Verfügung. Er hatte vorher eine heftige Auseinanderſetzung mit dem
Präſidenten der Regierungskommiſſion. Dieſem wurden in den nächſten Tagen auch
von einem anderen Mitglied der Kommiſſion Vorwürfe gemacht.
Am 7. Auguſt wurde eine Verordnung über den Belagerungszuſtand erlaſſen.
In der Proklamation!) wurden Verſammlungen uſw. verboten und mit Strafe bedroht.
Die Beamten der Gruben veranſtalteten, um ihrer Sympathie für die anderen
Beamten Ausdruck zu geben, einen zweitägigen Streik vom 7. bis zum 8. Auguſt.
Einige Zeitungen wurden auf mehrere Wochen verboten. Die Redaktionsräume
und die Wohnungen ziemlich vieler Redakteure wurden durchſucht, von den Redakteuren
auch mehrere verhaftet, während andere ſich in Sicherheit brachten.
Die Bevölkerung, die vollſtändig auf Seiten der Beamten ſtand, verhielt ſich
vollkommen ruhig. Zu Zuſammenſtößen mit dem Militär kam es nicht. Leider haben
trotz des dringlichen Verbots der Streikleitung einzelne Beamte an Stellwerken,
Weichen und Telephonleitungen Sabotage verübt. Einigermaßen erklärlich iſt dies
durch die Erbitterung, die durch das brutale Vorgehen des Militärs gegen die vom
Dienſt ferngebliebenen Beamten entſtanden war; auf dieſe veranſtalteten nämlich
Militärpatrouillen in der Umgegend, beſonders in den Wäldern, eine regelrechte Jagd.
Die bei Sabotage ertappten Beamten ſollen vor ein Kriegsgericht geſtellt werden.
Die Streikleitung mußte ſich ſchon am erſten Tage in Sicherheit bringen. Hier—
durch wurde der Streik tatſächlich der Führung beraubt. Am 7. Auguſt kam das
Kartell der freien Gewerkſchaften den Beamten zu Hilfe. Mehrere Gewerkſchafts—
) Vgl. Nr. 125.
7 214 . 17
ſekretäre erſuchten die Regierungskommiſſion um Wiederaufnahme der Verhandlungen
und ließen ſich auch von der mühſam zuſammengeholten Streikleitung Aufſchlüſſe geben.
Die Regierungskommiſſion lehnte zunächſt eine Beſprechung mit den Kartall⸗
vertretern ab, erſuchte dann aber ſelbſt um eine ſolche Beſprechung auf den 8. Auguſt.
In dieſer Beſprechung erklärte der Präſident der Regierungskommiſſion, der ganze
Streik ſei eine von alldeutſchen Elementen und Drahtziehern außerhalb des Saar-
gebiets eingefädelte Meuterei. Dies gehe aus den bei dem früheren Abgeordneten
Ollmert gefundenen Dokumenten klar hervor; darin ſei auch die Rede von 5 ½
Millionen, die die deutſche Regierung für alldeutſche Zwecke und dauernde Unruhe
ſtiftungen gegen die Regierungskommiſſion bewilligt habe. Er werde das geſamte
bei Ollmert gefundene Material den Arbeitervertretern zur Verfügung ſtellen.
Während die Arbeitervertreter im allgemeinen der Anſicht waren, daß dieſe
Beſchuldigungen gegen die Beamten zunächſt mit dieſen beſprochen werden müßten,
begnügten ſich die Gewerkſchaftsſekretäre B. und K. ohne weiteres mit dieſen Be⸗
hauptungen und verbreiteten in Bergarbeiterkreiſen die Nachricht, der ganze Streik
ſei alldeutſche Mache und deshalb von den Arbeitern zu verwerfen. Die anderen
Arbeitervertreter erklärten nach Einſichtnahme in das Ollmertſche Material, daß von
alldeutſcher Hetze und ſonſtigen verwerflichen Tendenzen keine Rede ſein könne. Ein
Gewerkſchaftsſekretär erklärte ſogar, wenn das Weſen des Heimatdienſtes in dem
Material vollſtändig zum Ausdruck gekommen 'ſei, ſo wäre es Pflicht eines jeden
Arbeiters, ſich auch dem Heimatdienſt zu widmen. |
Alle Gewerkſchaften veröffentlichten nunmehr Erklärungen, worin fie etwaige all-
deutſche Beſtrebungen der Beamten ablehnten, im übrigen ihnen aber ihre volle
Sympathie in ihrem Kampf um Koalitionsfreiheit und wirtſchaftliche Beſſerſtellung
ausſprachen. Auch die Streikleitung gab öffentlich und unter Ehrenwort die Er-
klärung ab, daß ſie mit alldeutſchen Kreiſen und mit dem Heimatdienſt nie Be⸗
ziehungen unterhalten habe. Die Streikleitung wurde hierauf durch Hinzuziehung
von Vertretern des Kartells der Gewerkſchaften erweitert, erhielt freie Betätigungs⸗
möglichkeit und nahm ihren Sitz im Eiſenbahndirektionsgebäude.
Die Verhandlungen der neuen Streikleitung mit der Regierungskommiſſion
gingen anfangs ſtockend vorwärts. Nach einigen Tagen erklärte die Regierungs⸗
kommiſſion, das ſchon am 29 Juli unterzeichnete Beamtenſtatut, das ſie am 9. Auguſt
im »SaarKurier« veröffentlicht hatte, ſei in allen Punkten unabänderlich.“) 5
Die Streikleitung ordnete auf Grund dieſer Erklärungen die Arbeitsaufnahme
für den 14. Auguſt an. Am gleichen Tage wurde der Belagerungszuſtand aufgehoben,
ebenſo die Zeitungsverbote. | |
Das Militär hatte inzwiſchen mit Gewalt durchgegriffen und häufig jedes Maß
überſchritten. Wenn Beamte gefunden wurden, wurden fie nicht ſelten ſchwer ge⸗
ſchlagen. Einzelne Militärperſonen ſchlugen am hellen Tage friedlich daherkommende
Ziviliſten mit der Reitpeitſche ins Geſicht. Von den Marokkanern, die gegen die
Beamten verwendet wurden, wurden bei dieſer Gelegenheit auch einige Sittlichkeits⸗
verbrechen begangen; beſonders ſchwere Fälle werden aus St. Ingbert berichtet. In
Homburg waren am Abend des 13. Auguſt die marokkaniſchen Wachtmannſchaften
ſiunlos betrunken und verübten ſchwere Ausſchreitungen. Alle Ziviliſten, die ihnen
in die Hände fielen, wurden geſchlagen und mit Fäuſten und Füßen oft derart
bearbeitet, daß ſie kaum allein heimgehen oder in das nächſte Haus gehen konnten.
Spät abends kam im Laufſchritt die in der Heil- und Pflegeanſtalt einquartierte
Kompagnie Marokkaner unter Führung eines Offiziers herbei und mußte im regel⸗
rechten Kampf die betrunkenen Leute überwältigen und abführen.
Anfänglich ging das Militär nur gegen Beamte vor. Dann aber muß von
irgendeiner Seite der Gedanke aufgetaucht ſein, die günſtige Gelegenheit zu benutzen,
um mißliebige Elemente zu entfernen. So begannen etwa vom 8. Auguſt ab Haus⸗
1) Vgl. Nr. 139.
ben. Verhaftungen und Ausweiſungen. Scheinbar wahllos wurden im ganzen
Säaargebiet Leute aller Stände aufgegriffen. Über ihre Zahl wurden anfangs über:
5 triebene Angaben gemacht, wie überhaupt in den Streiktagen die wildeſten Gerüchte
im Saargebiet und auch außerhalb umliefen, was mit der Unterbindung der Ver:
5 tehrsmittel zuſammenhing. Immerhin betrug die Zahl der Ausgewieſenen annähernd
200. Bei vielen fragt man ſich vergebens, warum gerade ſie von der Ausweiſung
betroffen wurden, denn es waren Perſonen, die der Bewegung der Beamten fern—
ſtanden, den Heimatdienſt nicht einmal dem Namen nach kannten und überhaupt am
politiſchen Leben nicht teilnahmen. Eine Erklärung kann man nur in Denunziationen
und Verleumdungen niedrigſter Art finden. Dies iſt namentlich der Fall bezüglich des
Kreises Saarlouis, wo die Ausweiſungen verhältmijsmäßig am ſtärkſten waren und
etwa 50 Perſonen betrafen. Daß hier rein perſönliche Intriguen, an denen die
Familie Fabvier beteiligt war, im Spiele waren, ergibt ſich einwandfrei aus den Mit—
teilungen einer größeren Anzahl von Perſonen. Im übrigen müſſen die Militär—
behörden Liſten verwendet haben, die aus der Waffenſtillſtandszeit ſtammten; dies
geht ſchon daraus hervor, daß in Neunkirchen ein Herr ausgewieſen werden ſollte,
der ſchon vor einem Jahr verſtorben war, und ein anderer, der vor einem halben
Jahr die Stadt verlaſſen hatte. Die Ausweiſungen erfolgten auch in denſelben
ormen wie in der Waffenſtillſtandszeit. Die verwendeten Formulare von Aus—
h 5
weiſungsbefehlen hatten dieſelbe Faſſung wie damals.
Man kann bei den Ausweiſungen drei Formen unterſcheiden. Die erſte beſtand
darin, daß mißliebige Perſonen auf der Straße oder in den Wohnungen aufgegriffen
und ohne weiteres, ohne Verhör und ohne Ausweiſungsbefehl abgeſchoben wurden;
die Abführung unter Verhaftung wurde übrigens oft mit militäriſchem Gepränge
vorgenommen. Die zweite Art der Ausweiſung war die auf Grund eines Aus—
weiſungsbefehls des Generals Briſſaud. Nach Mitteilungen von verſchiedenen Seiten
ſteht feſt, daß Blankoformulare von Ausweiſungsbefehlen an einzelne, mit den Fran—
Er auf gutem Fuß ſtehende Perſonen gegeben wurden, die dann ſelbſt den Namen
es Auszuweiſenden einſetzen konnten. Dieſe Art der Ausweiſungen dauerte auch nach
Aufhebung des Belagerungszuſtandes fort. Die dritte Art war die Verhaftung und
Erhebung der Anklage vor dem franzöſiſchen Kriegsgericht. Die Zahl der von dieſem
Verfahren betroffenen Perſonen war indes gering, auch iſt die Durchführung der
Prozeſſe ſchließlich unterblieben.
Die Regierungskommiſſion iſt von den Ausweiſungen unzweifelhaft überraſcht
worden, hat ſie nicht gebilligt und wohl auch Schritte unternommen, um ſie ein—
zuſchränken. Ganz konnte fie freilich dem Militär nicht Einhalt gebieten. Zwiſchen.
dem Präſidenten der Regierungskommiſſion und dem General Briſſaud iſt es auch
zu Auseinanderſetzungen wegen der Übergriffe einzelner Militärperſonen gekommen.
Von einem Beamten bei der Zentralverwaltung der Regierungskommiſſion wird
berichtet, daß er gegen die Ausweiſungen proteſtierte und darauf hinwies, daß
dieſem Verfahren doch jede Rechtsgrundlage fehle; es wurde ihm von franzöſiſchen
Beamten erwidert, ſie ſeien ſelbſt unglücklich über die Ausweiſungen, ſie wüßten
gar nicht, wer die Ausweiſungsliſten aufgeſtellt habe, das Militär ginge ganz
ſelbſtändig vor.
Daß die Maſſenausweiſungen einen ungeheuren Eindruck auf die Bevölkerung
gemacht haben, bedarf kaum der Erwähnung. Hatte ſie ſchon an dem Streik der
Beamten lebhaften Anteil genommen, ſo berührten die Ausweiſungen ſie mit un—
mittelbarer Wucht. Sie ſieht ſich jetzt, unter der Herrſchaft des Friedensvertrags,
in die trübſten Tage des Waffenſtillſtands zurückverſetzt und muß ſich ſagen, daß das,
was heute bei dem äußeren Anlaß des Beamtenſtreiks geſchehen konnte, morgen bei
irgend einem anderen Anlaß fich wiederholen kann.
Von den Ausgewieſenen iſt ein Teil bereits wieder zurückgekehrt. Ob die
Regierungskommiſſion alle Ausweiſungen als hinfällig betrachtet, iſt nicht feſt—
ſtellbar.
15
.
Nr. 144.
Bericht ausgewieſener Bürgermeiſter.
Berlin, den 17. Auguſt 1920.
An das Auswärtige Amt.
Nachdem am Sonntag, den 8. Auguſt, eine Reihe von Hausſuchungen voran⸗
gegangen war, wurden die beiden unterzeichneten Bürgermeiſter in der Nacht vom
10. zum 11. Auguſt von der franzöſiſchen Militärbehörde verhaftet und nach etwa
einer viertel bis einer halben Stunde, die ihnen zum Packen einiger Sachen gewährt
wurde, zunächſt zu den Kommandanturen verbracht, wo ſie die Nacht unter Bewachung
verbringen mußten. Um 8 Uhr wurden wir mit Laſtautos — ohne Sitzgelegenheit —
mit noch einigen feſtgenommenen Eiſenbahnern und anderen Leuten nach Saarbrücken
geſchafft, dort vorläufig in einer Kaſerne feſtgehalten, wo ſich im Laufe der nächſten
Stunden aus Neunkirchen, Wiebelskirchen und Saarbrücken noch weitere 17 Herren
einfanden. Unter den jetzt 19 Inhaftierten befanden ſich außer uns zwei Bürgermeiſtern
1 Amtsgerichtsrat, 1 evangeliſcher Pfarrer, 1 Gymnaſialdirektor, 2 Studienräte,
1 Mittelſchullehrer, 3 Kommunalbeamtenſekretäre, 1 Gemeindebaumeiſter, 1 Rechtsanwalt,
2 Redakteure, 1 Cafetier und 3 Privatbeamte. Um 12 ½¼ Uhr wurden diefe 19 Herren
in zwei Laſtautos bis Zweibrücken transportiert und dort in einem Kaſernenkeller
die Nacht über interniert. Hier wurde das Gepäck unterſucht, wobei ein Raſiermeſſer
abhanden gekommen iſt, deſſen Erſatz die Franzoſen mit dem Bemerken ablehnten,
in Deutſchland gäbe es noch viele Raſiermeſſer, dort könnte man ſich für 25 M eines
kaufen. Am nächſten Morgen 8°/, Uhr erfolgte auf gleiche Weiſe der Weitertrans⸗
port nach Germersheim auf der rechten Rheinſeite, wo wir mit den Worten »Sie
können jetzt gehen, Sie ſind jetzt frei« entlaſſen wurden.
Alle Inhaftierten wurden vom Augenblick der Verhaftung ab unter ſchärfſter
militäriſcher Bewachung — marokkaniſche Soldaten — gehalten. In Neunkirchen
wurde das Auto mit den verhafteten Herren in folgender Weiſe eskortiert:
Vorauf ein Horniſt, dann eine Abteilung Kavallerie, dann der Kommandant,
dann der Wagen mit den Delinquenten, rechts und links ein ſtarkes Auf⸗
gebot Infanterie, am Schluſſe eine Abteilung Kavallerie.
Nicht unerwähnt darf bleiben, daß der Mittelſchullehrer K. aus Saarbrücken trotz
heftigen Proteſtes von ſeiner Wohnung nach der Kaſerne wie ein Schwerverbrecher
gefeſſelt und ihm ſogar auf der Fahrt nach Zweibrücken die Erlaubnis zur Verrichtung
ſeiner Notdurft verſagt wurde. Keinem der Beteiligten wurde — ſelbſt auf eine
diesbezügliche Frage — eröffnet, aus welchen Gründen die Inhaftierung und Ab-
ſchiebung erfolgt ſei, es wurde uns weder ein ſchriftlicher Ausweiſungsbefehl gezeigt,
noch irgend ein diesbezüglicher ſchriftlicher Ausweis mitgegeben ......
(Unterſchrift)
Bürgermeiſter von Sulzbach.
(Unterſchrift)
Bürgermeiſter von Friedrichsthal.
a re
Nr. 145.
Wortlaut eines Ausweiſungsbefehls.
3 (Überſetzung.)
Kommando der Truppen Saarbrücken, den 1920.
des Saargebiets.
Sonderabteilung
(Service Special).
Der General Briffaud-Desmaillet,
Befehlshaber der Truppen des Saargebiets,
in Anbetracht des Belagerungszuſtandes und der Befugniſſe, die uns durch die
Verordnung des Herrn Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom
6. Auguſt 1920 übertragen worden ſind,
eee daß de ”t
als ein gefährliches und ordnungswidriges Element, fähig, die öffentliche Ordnung
zu ſtören, anzuſehen iſt (»doit &tre considere comme element dangereux et de
desordre, susceptible de troubler l'ordre public«)
verfügt:
Artikel 1.
h“ ¼ ¼ . ¼ , ͤ GE
wird auf die rechte Rheinſeite, in das von den alliierten Armeen nicht beſetzte Gebiet
ausgewieſen.
Artikel 2.
Der Eskadronchef, Kommandant der Gendarmerie des Saargebiets wird mit
der Ausführung dieſer Verfügung beauftragt.
Der General und Kommandant der Truppen des Saargebiets.
G. Briſſaud.
Nr. 146.
Schreiben eines geflüchteten Eiſenbahnbeamten.
Geſchrieben im Walde von Sulzbach (Saar).
In der Nacht vom 6. auf 7. Auguſt, zwiſchen 12 und 3 Uhr, wurde der Eiſen—
bahnbetrieb im Saargebiet ſtillgelegt. Der letzte Zug in der Richtung Bingerbrüd-
Saarbrücken paſſierte um 2 Uhr Sulzbach. Nach dieſer Zeit ruhte der Telegraph
und Telephon. Gegen 3 Uhr 20 Minuten rückten farbige Truppen, von Saarbrücken
kommend, auf Laſtautos an. Der Bahnhof wurde vollſtändig belagert und ab—
. Sämtliche Beamten und Arbeiter hatten die Arbeitsſtätte verlaſſen. Um
Uhr früh wurden die Bekanntmachungen für das Perſonal herausgegeben und am
Bahnhof angeſchlagen. Die Franzoſen verſuchten nun, den Schnellzug Paris-Mainz
mit eigenem Perſonal zu fahren. Im Bahnhof Sulzbach kamen ſie gegen 10 Uhr
vormittags an. Hier gab es nun Aufenthalt bis 11 Uhr 36 Minuten. Die Haupt:
einfuhrweiche ſtand auf Ablenkung. Das franzöſiſche techniſche Perſonal ſtand der
Sache ganz fremd gegenüber. Die Weiche mußte ſchließlich aufgeſchlagen werden.
Als der Zug die Weiche paſſiert hatte und die Inſaſſen des Zuges (Franzoſen) in
die Straßen nach Sulzbach ſehen konnten, riefen fie den Einwohnern zu: »cochons«.
Von franzöſiſchen Offizieren, die den Schnellzug begleiteten, wurden farbige Truppen
gegen ahnungsloſe Bürger gehetzt. Die Neger ſchlugen mehrere männliche Perſonen
mit dem Kolben nieder. Der Bautechniker G. aus Sulzbach wurde rücklings von
15*
einem Neger niedergeſchlagen, daß er auf der Stelle liegen blieb. Auf der Durchfahrt
durch den Bahnhof riefen ſie jedem kleinen Kinde »cochon« zu. Um 2 Uhr mittags
ſollte der Obe bahnhofsvorſteher Hildenbrand verhaftet werden, weil er das Perſonen⸗
et
verzeichnis der Bedienſteten auf Anfordern der Franzoſen nicht ablieferte. Nun ſetzte
die Verfolgung ein. Hildenbrand konnte ſich nur durch die Flucht entziehen
Sämtliche Beamte und Arbeiter haufen in den Wäldern der Umgegend.
Mit welchen Gewalt- und Machtmitteln die Franzoſen vorgehen, zeigt folgender Fall:
Das dem Oberbahnhofsvorſteher Hildenbrand gehörige 12jährige Töchterchen
befindet ſich ſeit 8 Jahren bei ihrer Großmutter in P. in Pflege, da ihm die
Mutter ſtarb. Dieſes Kind weilte ſeit 21. Juli in Ferien bei ſeinem Vater im
Bahnhof Sulzbach (Saar). Das Mädchen wurde nun als Geiſel von den
Franzoſen zurückbehalten und durch Negerſoldaten im Bahnhof bewacht, weil
ſich der Vater nicht zu Franzoſendienſten hergab. An jeder Türe zur Privat⸗
wohnung ſtehen zwei Schwarze Poſten, mit aufgepflanztem Seitengewehr. Das
Kind darf nicht vor die Tür. Der Bahnhof wird durch eine Kompagnie Neger
bewacht. Die letzte Nachricht des Kindes lautet wörtlich:
»Lieber Papa! Ich kann um II Uhr nicht zu Dir kommen, denn
die Franzoſen verfolgen mich. Frau Mönch wird Dir ſchon alles fagen.
Herr Frank ſoll mich ab und zu beſuchen, aber immer große Umwege
machen. Bleib Du ja, goldiger Papa, immer ſchön im Zimmer und ſchau
nicht zum Fenſter hinaus, dann bin ich zufrieden. Gelt, mach das ſchön,
ſonſt, o weh, biſt Du verloren. Gruß an mein Papa von Deinem ganz
kranken Bamſel Lilli.«
Rufen Sie doch durch ganz Deutſchland, daß mein Kind aus Negerhänden ber
freit wird. Mein Kind ſteht ganz verlaſſen da, niemand Bekanntes oder Verwandtes
und gänzlich ohne Pflege. Ich bin nicht verheiratet und mußte das Kind ganz
ſchutzlos zurücklaſſen. Be
Heinrich Hildenbrand,
Oberbahnhofsvorſteher Sulzbach (Saar).
Nr. 147.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion
des Saargebiets vom 14. Auguſt 1920.
Auswärtiges Amt. | Berlin, den 14. Auguſt 1920,
Nr. II. S. G. 1157. 8
Herr Staatsrat!
Die Beamten des Saargebiets haben am 6. Auguſt die Arbeit eingeſtellt, weil
die Regierungskommiſſion unter Abänderung der beſtehenden Geſetze, ohne dabei die
durch den Friedensvert ag vorgeſchriebenen Förmlichkeiten zu beachten, ein Statut
erlaſſen wollte, deſſen Bedingungen den Beamten unannehmbar erſchienen. 8
Über die Rechtslage der Beamten im Saargebiet gibt der Friedensvertrag nicht -
mit der Klarheit Auskunft, die im Intereſſe aller Beteiligten wünſchenswert gewe en
wäre. Zweifellos aber ergibt ſich aus dem Sinn und dem Zweck der Vertrags⸗
beſtimmungen, die in der Abſicht erlaſſen find, die Rechte und Intereſſen der Be⸗
völkerung zu wahren, und die zu dieſem Zweck das Fortbeſtehen der deutſchen Geſetze
und Verordnungen vorſehen, daß der Beamtenkörper im ganzen in die neue Rechts⸗
ordnung übernommen werden ſollte, unbeſchadet des Rechtes der Regierungskommiſſion,
einzelne Beamte aus befonderen Gründen zu entfernen. Dieſem Grundſatze Rechnung
tragend, hat die Regierungskommiſſion die Deutſche Regierung erſucht, ihr die
Beamten zur Verfügung zu ſtellen, und demſelben Grundſatze folgend, hat die
Deutſche Regierung von einer Zurückziehung der geſamten Beamtenſchaft aus dem
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Gebiet ben und die Beamten zur Verfügung geſtellt. Sie hat dies in der
5 getan, daß eine befriedigende Regelung der Beamtenverhältniſſe zuſtande
kommen werde.
Statt nun aber, wie nach Lage der Dinge geboten, die Rechtsverhältniſſe der
3 Beamden zu regeln, ſei es im Wege der Vereinbarung mit der Deutſchen Regierung,
ſei es durch unmittelbare Verhandlungen mit den Beamten ſelbſt, hat die Regierungs—
kommiſſion den Abſchluß eines allgemeinen Beamtenabkommens mit der Deutſchen
Regierung abgelehnt, und auch die Verhandlungen mit den Beamtenorganiſationen
haben infolge der Haltung der Regierungskommiſſion nicht zu einer Einigung geführt.
Der von der Regierungskommiſſion aufgeſtellte Entwurf zu einem Beamtenſtatut
ſiehbt vor, daß über die Entlaſſung und über die Unfähigkeit oder Ungeeignetheit
eines Beamten nicht mehr im Wege eines ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens, ſondern
durch den Ausſpruch des Vorgeſetzten entſchieden wird. Der Entwurf will ferner
den Beamten das geſetzlich gewährleiſtete Vereins. und Koalitionsrecht, eines der
grundlegenden Rechte jedes Bürgers in einem freiheitlich regierten Lande, weitgehend
Leinſchränken, auch bietet er die Handhabe, die Einheitlichkeit des Beamtenkörpers durch
die ſachlich nicht gerechtfertigte Einſtellung von Ausländern zu zerſtören. Es liegt
auf der Hand, daß keinem Beamten zugemutet werden kann, ſich mit einer derartigen
Minderung ſeiner Rechte einverſtanden zu erklären. Die verſtändigen und durchaus
erfüllbaren Gegenvorſchläge der Beamten find verworfen worden.
> Wenn hiernach auch über die Rechtsſtellung der Beamten im einzelnen Zweifel
beſtehen können, ſo kann dies doch keinesfalls zur Folge haben, daß die Regierungs—
kommiſſion mit den Beamten nach Willkür verfahren darf. Sie kann auch die Be—
wegung der Beamten nicht zum Anlaß nehmen, um Maßnahmen zu ergreifen, die
mit dem Friedensvertrag unvereinbar ſind. Tatſächlich aber iſt dies geſchehen. Nach
Verhängung des verſchärften Belagerungszuſtandes hat die Regierungskommiſſion die
Eiſenbahnen militariſiert und das Perſonal als requiriert erklärt, obwohl die nach
dem Friedensvertrag im Saargebiet fortbeſtehenden deutſchen Geſetze eine Requiſition
von Perſonen überhaupt nicht kennen. Sie hat weitere franzöſiſche Truppenmengen
ins Land gezogen und einem franzöſiſchen General weitreichende Befagnif e übertragen,
obwohl das Saargebiet nicht Okkupationsgebiet iſt. Sie hat nach den hier vor—
liegenden Mitteilungen geduldet, daß dieſe franzöſiſchen Truppen mit brutaler Gewalt
gegen die Beamten vorgingen und wahre Jagden auf ſie veranſtalteten; Beamte und
andere Bewohner des Saargebiets find in größerer Zahl verhaftet worden, und eine
ganze Reihe von Perſonen iſt aus dem Gebiete ausgewieſen worden. Es kommt
1 daß den Verhafteten die kriegsgerich liche Verfolgung angedroht wurde, was
em Friedensvertrag widerſpricht, denn im Saargebiet ſollen die deutſchen Geſetze
fortgelten und nur ſolche Gerichte beſtehen, die im Namen der Regierungskom miſſion
Recht ſprechen, während die franzöſiſchen Kriegsgerichte franzöſiſches Recht anwenden
und ihre Urteile im Namen des franzöſiſchen Volkes erlaſſen.
Die Deutſche Regierung erhebt feierlich und nachdrücklich Einſpruch gegen die ge—
ſchilderten Maßnahmen der Regierungskommiſſion, die mit dem Geiſt und dem Zweck
des Friedensvertrags, durch den der Regierungskommiſſion die Regierung des Saar—
irrt zu treuen Händen übertragen iſt, nicht in Einklang ſtehen.
Die Deutſche Regierung kann auch nicht ſtillſchweigend an einer Proklamation
vorübergehen, die die Saarregierung anläßlich der Arbeitseinſtellungen im Saargebiet
erlaſſen hat In dieſer Proklamation wird unter anderem behauptet, der Streik ſei
von den Beamten vom Zaune gebrochen und die Beamten ſeien Hetzer oder Werk—
zeuge von Hetzern, denen die Deutſche Regierung mehrere Millionen für dieſe Agitation
m bad geſtellt habe; die Regierungskommiſſion werde mit aller Schärfe gegen
ſe Wühlarbeit vorgehen.
Daß dieſe Proklamation den Tatſachen widerſpricht, geht aus den obigen An—
gaben über die Urſachen des Streiks hervor. Hiervon abgeſehen, muß aber die
Deutſche Regierung die Vorwürfe und Verdächtigungen, die in der Proklamation, ſei
E r
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e
es ausdrücklich, ſei es andeutungsweiſe, gegen ſie erhoben werden, insbeſondere eine
etwa zwiſchen den Zeilen zu leſende Verdächtigung, daß ſie den Streik gefördert oder
gar finanziert habe, mit der größten Entſchiedenheit zurückweiſen. In vollkommen
irreführender Weiſe hat die Regierungskommiſſion die Bewegung der Beamten mit
der Tätigkeit einer Organiſation zur Erhaltung des Deutſchtums im Saargebiet in
Zuſammenhang zu bringen verſucht. Wenn die Deutſche Regierung für dieſe Tätig:
keit, die die Förderung der deutſchen Muſik, des deutſchen Theaters, der deutſchen
Literatur und des deutſchen Vereinsweſens zum Ziele hat, Mittel zur Verfügung ge⸗
ſtellt hat, ſo wird ſie ſich ihr gutes Recht dazu auch künftig um ſo weniger beſtreiten
laſſen, als es ſich hierbei lediglich um die Abwehr der bekannten, mit reichlichen
Mitteln arbeitenden Beſtrebungen handelt, die das Ziel verfolgen, den deutſchen
Charakter des Saargebiets zu ändern.
Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung).
gez. von Haniel.
An
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren
Saarbrücken.
Nr. 148.
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche
Regierung vom 26. Auguſt 1920. |
(berſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 26. Auguſt 1920
Generalſekretariat. ;
S. P. 859.
Herr Minister!
Indem ich Ihnen namens der Regierungskommiſſion den Empfang Ihres
Schreibens vom 14. Auguſt beſtätige, beehre ich mich, Sie darauf aufmerkſam zu
machen, daß das Schreiben am Nachmittag des 19. Auguſt bei der Poſtanſtalt in
Saarbrücken aufgegeben worden iſt, zum ſelben Zeitpunkt, als die Zeitungen dieſer
Stadt den Text des Schreibens veröffentlichten.
Die Regierungskommiſſion drückt ihre Überraſchung darüber aus, durch die
Preſſe den Wortlaut einer an ſie gerichteten diplomatiſchen Urkunde erfahren zu haben.
Die Regierungskommiſſion verzichtet darauf, die Punkte zu erörtern, die die
deutſche Regierung in dem erwähnten Schreiben geglaubt hat, prüfen zu ſollen. Sie
iſt nur dem Rat des Völkerbundes gegenüber verpflichtet, über ihre Handlungen
Rechenſchaft zu geben. Indes wünſcht ſie daran zu erinnern, daß der Umſtand, daß
die am 11. November 1918 in Kraft befindlichen Geſetze im Saargebiet in Kraft
bleiben, für die deutſche Regierung keineswegs das Recht in ſich ſchließt, die Aus⸗
führung dieſer Geſetze zu überwachen und ſich in die Regierung oder in die Ver—
waltung dieſes Gebiets einzumiſchen.
Sie iſt ferner genötigt, alle Ausdrücke in der Proklamation, die ſie am
8. Auguſt an die Bevölkerung des Gebiets gerichtet hat, aufrechtzuerhalten.
) Eine Abſchrift dieſer Note iſt dem Völkerbunde durch die deutſche Botſchaft in Londen über
mittelt worden.
— 21 —
Die Regierungskommiſſion beehrt ſich, die deutſche Regierung darauf hinzuweiſen,
daß das Beamtenſtatut, das ſie erlaſſen hat, keineswegs die Möglichkeit von Be—
ſprechungen zwiſchen ihren Vertretern und dem Herrn Reichskommiſſar für die Über-
gabe des Saargebiets ausſchließt.
In Anwendung des Friedensvertrags werden gewiſſe Fragen techniſcher Natur,
3 B. die der Penſionen, eine Löſung nur durch unmittelbare Verſtändigung zwifchen
den beiden Regierungen erfahren können.
Die Regierungskommiſſion kann nicht umhin, mit Bedauern feſtzuſtellen, daß
die deutſche Regierung geglaubt hat, die im Saargebiet Dienſt tuenden Beamten
öffentlich in ihrem Widerſtand gegen die Regierung, der fie unterſtehen, zu ermutigen;
ſie macht alle Vorbehalte wegen der Folgen, die dieſe Einmiſchung mit ſich bringt.
gez. Moltke-Hvitfeldt.
(Stempel.)
An
den Herrn Reichsminiſter des Auswärtigen,
Berlin.
Nr. 149.
Bericht über die Verhaftung und Ausweiſung von Mitgliedern der
deutſchen Bergwerkskommiſſion Saarbrücken und der Abwicklungsſtelle
der preußiſchen Bergwerksdirektion.
Geheimer Bergrat Knops.
Mitglied der deutſchen Bergwerks— z. Zt. Karlsruhe i. B., den 15. Auguſt 1920.
kommiſſion Saarbrücken.
An 5
das Auswärtige Amt
Berlin.
Am 14. d. M. gegen 6 ½ bzw. 7 Uhr vormittags find ich und der Bergaſſeſſor
Weinlig von der Abwickelungsſtelle der preußiſchen Bergwerksdirektion Saarbrücken
auf Grund des Belagerungszuſtandes in unſeren Wohnungen von franzöſiſchen
Gendarmeriekommandos verhaftet worden. Die führenden Offiziere legten uns einen
im Vervielfältigungsverfahren hergeſtellten und offenbar im Saargebiet in zahlreichen
Fällen verwandten Ausweifungsbefehl vor, der uns als »elements dangereux« aus
dem von den alliierten Truppen beſetzten Gebiet verwies. Wir haben ſogleich
gegen dieſe Maßnahme bei den Offizieren Einſpruch erhoben unter Berufung auf
unſere Eigenſchaft als Mitglieder der deutſchen Bergwerkskommiſſion bzw. der Ab-
wickelungsſtelle der preußiſchen Bergwerksdirektion Saarbrücken. Ich habe die Proto—
kollierung dieſes Einſpruchs und meines Verlangens, dieſe Tatſache ſogleich der
Regierungskommiſſion des Saargebiets und der deutſchen Bergwerkskommiſſion bekannt
zu geben, gefordert, Herr Weinlig hat ſich auf mündlichen Einſpruch beſchränkt. Ob
meinem, auf dem Ausweiſungsbefehl niedergeſchriebenen Verlangen Folge gegeben iſt,
kann ich natürlich nicht angeben.
Eine darauf vorgenommene eingehende Hausſuchung in den Wohnungen, die nach
mehrfachen Außerungen der Dolmetſcher bei uns vermutetes »politiſches Material
zu Tage fördern ſollte, blieb ſelbſtverſtändlich ohne Ergebnis. (Herr Weinlig iſt auch
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— 222 —
ausdrücklich gefragt worden, ob er mit dem »Heimatdienſt« in Verbindung fände
oder etwas mit dem im Saargebiet herrſchenden Ausſtande zu tun habe.) Darauf
wurde auf den Ausweiſungsbefehlen vermerkt, daß weder Papiere, Dokumente noch 3
verdächtige Gegenſtände gefunden worden ſeien.
Wir wurden in Einzelkraftwagen nach Saarbrücken in das Gebäude des früheren 3 ;
Bezirkskommandos in der Vorſtadtſtraße verbracht. Ich trat zuerſt ein, Herr Weinlig,
dem unterwegs der Offizier ſchon mitteilte, daß er mit mir zuſammengebracht werden
würde, wurde etwas ſpäter in das mir angewieſene Einzelzimmer verbracht. Unſere Be
perſönliche Behandlung war durchaus einwandfrei und höfllich.
Im Laufe des Vormittags fanden ſich noch mehr Inhaftierte ein, die zum Teil 3 2
ſchon feit Tagen verhaftet waren. Es waren die verſchiedenſten Berufe vertreten:
Lehrer, Geiſtliche, Förſter, eee Werkmeiſter, Bauunternehmer, Juſtizober⸗
ſekretäre.
In zwei Laſtkraftwagen wurden wir zu 20 Perſonen denſelben Nachmittag unter
Bewachung durch Kolonialſoldaten und unter Führung von Gendarmerie- Anterperſonal
durch die Pfalz bis zum rechten Rheinufer bei Germersheim verbracht, wo wir gegen 7
7½ Uhr abends ohne jegliche Förmlichkeit entlaſſen waren.
Über die Behandlung konnten die Inſaſſen des erſten Wagens, in dem Herr
Weinlig und ich mitſaßen, nicht klagen; ſie war durchaus korrekt. Dagegen haben
ſich die Inſaſſen des zweiten Wagens ſpäter darüber beſchwert, daß der führende
Gendarmerieunteroffizier fie grob behandelt und u. a. das Austreten während der
ſtundenlangen Fahrt erſchwert habe.
Wir begaben uns in das nächſte deutſche Dorf, Rheinsheim ..... In Rheins⸗
heim hörten wir, daß ſchon mehrere Transporte mit Ausgewieſenen aus dem Saar⸗
gebiet gekommen waren.
Am Sonntag vormittag bin ich mit Herrn Weinlig ſogleich nach Karlsruhe 3
gefahren, um von hier drahtlich vorläufig über den Vorgang berichten zu können und
mit meinem hier beſchäftigten Sohne Fühlung zu nehmen.
Die übrigen Herren beabſichtigten, ſich nach Mannheim zu begeben, um bei der
dort angeblich eingerichteten Fürſorgeſtelle gemeinſame Schritte zu unternehmen, ge⸗
gebenenfalls auch noch zu verſuchen, mit dem Herrn Reichskommiſſar für das beſetzte
Gebiet in Coblenz in Perbindung zu kreten
Ich halte mich demnächſt hier zur Entgegennahme weiterer Weiſungen auf. .
Ich bitte, auch zugleich für Herrn Weinlig, Schritte zu tun, daß unſere Aus-
weiſung baldigſt zurückgenommen wird, damit wir unſere Tätigkeit für die Deutſche
Bergwerkskommiſſion und die Preußische Bergwerksdirektion wieder aufnehmen können,
auf deren baldige Beendigung nach dem mir bekannten Schriftwechſel zwiſchen dem
Auswärtigen Amt und der Regierungskommiſſion des Saargebiets dieſe letztere ja
beſonderen Wert legt. Die Maßnahme unſerer Ausweiſung erſchwert nur den Ab⸗
ſchluß der Arbeiten.
Einen Grund für ſie können wir nicht erkennen. Wir vermuten aber, beſonders
auf Grund der Frage an Herrn Weinlig, daß man politiſche Beziehungen, insbeſondere
zum »Heimatdienſt« und wohl auf Grund von Denunziationen — die im Saargebiet
an der Tagesordnung ſind —, bei uns feſtſtellen wollte. Solche Beziehungen be⸗
ſtehen bei uns beiden nicht.
Vielleicht liegt auch nur ein Fehlgriff einer untergeordneten Stelle vor, die von
der Regierungskommiſſion des a nach Feſtſtellung des Tatbeſtandes Rin
tigt werden windmgdgdd
gez. Knops.
3
ö M 150.
. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
5 . Saargebiets vom 27. Auguſt 1920.
pP Auswärtiges Amt. Berlin, den 27. Auguſt 1920
Nr. IIS G 181.
Br IE Herr Staatsrat!
ur: Am 14. Auguſt d. J iſt das Mitglied der Deutſchen Bergwerkskommiſſion
Saarbrücken, der Geheime Bergrat Knops, und das Mitglied der Abwicklungsſtelle
der Preußiſchen Bergwerksdirektion, Bergaſſeſſor Weinlig in Saarbrücken, von fran—
zöſiſchen Gendarmeriekommandos unter Führung franzöſiſcher Offiziere in ihren Woh—
nungen verhaftet und aus dem Saargebiet ausgewieſen worden.
AIrtgendwelche Gründe für dieſes überraſchende und gewaltſame Vorgehen find
den beiden Beamten nicht mitgeteilt worden, vielmehr wurde ihnen lediglich bei ihrer
Verhaftung ein im Vervielfältigungsverfahren hergeſtellter Ausweiſungsbefehl vor—
gezeigt, worin fie als »éléments dangereux« bezeichnet waren. In ihren Woh—
nungen wurde eine eingehende Hausſuchung vorgenommen, die ſich nach Außerung
der hinzugezogenen Dolmetſcher auf »politiſches Material« bezog. Die Nachforſchungen
1 Hub, 0 auf den Ausweiſungsbefehlen ausdrücklich vermerkt worden iſt, ergebnislos
geblieben. N
Die Herren Knops und Weinlig wurden trotz ihres ſofortigen Einſpruchs gegen
die Verhaftung zunächſt in das frühere Bezirkskommando in Saarbrücken und am
Nachmittag desſelben Tages mit anderen, gleichfalls ausgewieſenen Perſonen in
eeinem von franzöſiſchen Kolonialtruppen bewachten Laſtkraftwagen durch die Pfalz
auf das rechte Rheinufer nach Germersheim gebracht. Dort ſind die beiden Ver—
hafteten in Freiheit geſetzt worden.
Die beiden ausgewieſenen Beamten ſind ſich über den Grund ihrer Ausweiſung
| völlig im unklaren. Sie können auf Grund der geſchilderten Vorgänge bei ihrer
Verhaftung lediglich vermuten, daß man ihnen — etwa auf Grund einer Denunzia—
tion — eine unzuläſſige politiſche Betätigung nachſagt. Beide Herren haben aber
die dienſtliche Erklärung abgegeben, daß ſie ſich mit politiſchen Machenſchaften irgend—
welcher Art niemals befaßt haben.
Die Deutſche Regierung muß mit allem Nachdruck Einſpruch dagegen erheben,
daß Vertreter der Deutſchen und der Preußiſchen Regierung, deren dienſtliche An—
weſenheit im Saargebiet ſeinerzeit der Friedenskonferenz in Paris amtlich mitgeteilt
worden iſt und auch der Regierungskommiſſion ſeit langem bekannt war, einer der—
artigen, weder der Form noch der Sache nach gerechtfertigten Behandlung ausgeſetzt
worden ſind. Die Deutſche Regierung möchte nach Lage der Dinge annehmen, daß
der bedauerliche Zwiſchenfall lediglich auf einem Verſehen untergeordneter Organe
beruht, und daß die Regierungskommiſſion es ſich ihrerſeits angelegen ſein laſſen
wird, mit möglichſter Beſchleunigung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit
beide Beamte ihre Tätigkeit bei den Dienſtſtellen, denen ſie angehören und deren
Betrieb durch ihre Ausweiſung empfindlich beeinträchtigt iſt, alsbald wieder aufnehmen
und ſich auch zur Regelung ihrer perſönlichen Angelegenheiten ungehindert an ihren
bisherigen Wohnort zurückoegeben können. Die Deutſche Regierung wäre dankbar,
wenn die Regierungskommiſſion ihr dies alsbald beſtätigen würde. Die Regierungs—
kommiſſion müßte dabei zugleich die Gewähr dafür übernehmen, daß künftighin die
ſich in dienſtlicher Eigenſchaft im Saargebiet aufhaltenden Beamten volle Freiheit
— 224 —
für ihre Perſon genießen werden und einer ihrer amtlichen Eigenſchaft entſprechenden
Behandlung ſicher ſein können. |
Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung
gez. von Roſenberg.
An
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren
Saarbrücken.
(Die Note iſt ohne Antwort geblieben.)
Nr. 151.
Geſuch ausgewieſener Perſonen an den Reichskommiſſar für die
beſetzten rheiniſchen Gebiete.
Rheinsheim (Baden), 15. Auguſt 1920.
Die Endesunterzeichneten bitten Euere Exzellenz, bei der Fünferrat Regierung
Saarbrücken Proteſt dagegen erheben zu wollen, daß dieſelben ohne Angabe eines
triftigen Grundes und ohne Verhör während des Belagerungszuſtandes vom 12. bis
14. Auguſt 1920 auf Befehl des Generals Briſſaud-Desmaillet, Saarbrücken, ver-
haftet und am 14. Auguſt rechtsrheiniſch abgeſchoben wurden und dieſen Proteſt
beſonders dem Präſidenten Rault, Saarbrücken, zu unterbreiten.
Begründung:
Wenn die Saarbewohner ihr Deutſchtum oder ihre wirtſchaftliche Tätigkeit der-
art zum Ausdruck bringen, daß es den Wünſchen der Regierung nicht immer ent⸗
ſpricht, ſo ſollte dies der Regierung doch keine Handhabe bieten, ohne weiteres zu
Verhaftungen zu ſchreiten, um ſo mehr nicht, als in dieſen Fällen ſämtliche Beteiligte
ſich nicht bewußt ſind, gegen Beſtimmungen der Regierung ſich in irgendeiner Weiſe
vergangen zu haben.
Wo alſo nach den Begriffen rechtdenkender Männer keine Verfehlungen irgend⸗
welcher Art gegen die Regierung ſowohl als auch gegen die von der Militärbehörde
herausgegebenen Beſtimmungen vorliegen, iſt es um ſo weniger angebracht, Männer
aus der Heimat, aus Familie und Beruf herauszureißen und das harte Los der
Verbannung über dieſe zu verhängen.
Euere Exzellenz wollen noch Vormerkung nehmen von der wenig feinen Art der
Behandlung ſeitens der franzöfiihen Militärs während der ganzen Zeit der Inhaf⸗
tierung mehrerer der Ausgewieſenen, denen während der ganzen Zeit der Inhaftierung
nur eine äußerſt mangelhafte Verpflegung und Behandlung zuteil wurde.
Wir geben uns der Hoffnung hin, daß Euere Exzellenz unverzüglich den wirk⸗
lich unhaltbaren Verhältniſſen durch einen entſprechenden Proteſt Abhilfe verſchaffen
und uns die Möglichkeit der Rückkehr in die Heimat ſofort erwirken werden.
Hochachtungsvoll
(Es folgt eine größere Zahl von Unterſchriften.)
An
den Vorſitzenden der Rheinlandkommiſſion
Herrn von Starck, Exzellenz.
Coblenz.
— 225 —
Nr. 152.
Schreiben des Reichskommiſſars für die beſetzten rheiniſchen Gebiete
an die interalliierte Rheinlandkommiſſion vom 6. September 1920.
Der Reichskommiſſar a
für die beſetzten rheiniſchen Gebiete. Coblenz, den 6. September 1920.
Tab. Nr. I 7615.
Der Reichskommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete
an
den Herrn Präſidenten der Hohen Interalliierten Kommiſſion
für die beſetzten Rheinlande,
Coblenz.
Nach zahlreichen an mich gelangten Mitteilungen hat der franzöſiſche Oberbefehls—
haber des Saargebiets anläßlich der letzten Unruhen eine Reihe von Perſonen aus
dem Saargebiet ausgewieſen und zwangsweiſe auf das rechte Rheinufer bringen laſſen.
Die Ausweiſungsbefehle haben die nachſtehende Form:
Commandement des Troupes N
du Territoire de la Sarre. Sarrebruck, le
Service Special.
Le General Brissaud-Desmaillet
Commandant les Troupes du Territoire de la Sarre
Vu I' Etat de Siege et les pouvoirs qui nous sont conferes par
l’Ordonnance de Monsieur le President de la Commission de Gou-
vernement de la Sarre, en date du 6 Aout 1920
BB IE ͥo /// ne ee
doit etre considere comme element dangereux et de desordre, sus-
ceptible de troubler l’ordre public
ARRETE:
1J6 ff . Rn
sera expulse sur la Rive Droite du Rhin, Territoire non occupe par
les Armees Alliees.
Article 2° — () — Le Chef d’Escadron Commandant la Gen-
darmerie de la Sarre est charge de l’ex&cution du present arröte.
Le General Cdt. les Troupes de la Sarre
signe G. Brissaud.
Destinataire:
Chef d’Escadron Cdt. la Gendarmerie de la Sarre pour
Commandant d’Armees de 7 f exeeution
(I) — Le nommen era conduit Vorstadtstr. 42
(2 &me Etage) à Sarrebruck.«
Dieſe Ausweiſungsbefehle find vielfach dahin aufgefaßt worden, daß den Aus—
gewieſenen auch der Aufenthalt im beſetzten Gebiet nicht geſtattet fein ſollte. Der—
artiges kann ſelbſtverſtändlich nicht in Betracht kommen, da der Militärbefehlshaber
im Saargebiet keine Verfügung treffen kann, welche ſich auf das beſetzte Gebiet bezieht.
A RR EN
Die Hohe Kommiſſion hat mir denn auch bereits früher durch Schreiben vom
9. Auguſt 1920, Nr. 1340/ . C. I. T. R., aus Anlaß eines Einzelfalls beſtätigt, daß
Ausweiſungsbefehle der Saarregierung nur dahin aufgefaßt werden können, daß ſie
aus dem Saargebiet, nicht aber auch aus den beſetzten rheiniſchen Gebieten aus—
weiſen.) Zur Vermeidung von Unzuträglichkeiten für die Ausgewieſenen bitte ich
jedoch die Delegierten der Hohen Interalliierten Rheinlandkommiſſion verſtändigen zu
wollen, daß ſie dem Verbleib der ſo ausgewieſenen deutſchen Reichsangehörigen in
den beſetzten Gebieten keine Schwierigkeiten in den Weg legen.
In Vertretung:
gez. von Brandt.
Nr. 153.
Schreiben der interalliierten Rheinlandkommiſſion an den Reichs⸗
kommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete vom 2. November 1920. 3
(Überfegung.)
Juteralliierte Rheinlandkommiſſion. Coblenz, den 2. November 1920.
Nr. 2082/HCITR. _ )
Der Präſident der Interalliierten Rheinlandkommiſſion
an ä
den Herrn Reichskommiſſar für die beſetzten rheinischen Gebiete,
Coblenz.
Die Interalliierte Rheinlandkommiſſion hat Kenntnis genommen von Ihrem
Schreiben vom 6. September 1920 — Nr. I 7615 —, welches auf einen Ausweiſungs⸗
Ba Bezug nimmt, der von dem Kommandierenden General des Saargebiets erlaſſen
worden iſt.
Sie behaupten, daß dieſe Ausweiſungsbefehle häufig dahin ausgelegt würden,
als ob ſie die Niederlaſſung in den beſetzten Gebieten verböten, und Sie bitten, daß
die Delegierten der Rheinlandkommiſſion Anweiſung erhalten, dem Aufenthalt der
auf dieſe Weiſe ausgewieſenen deutſchen Staatsangehörigen in den N b Gebieten
nichts in den Weg zu legen.
Die Rheinlandkommiſſion lenkt ihre Aufmerkſamkeit auf die Tatſache, daß der
Ausweiſungsbefehl lediglich anordnet:
»Der Betroffene iſt auf das rechte Rheinufer in das von den Alliierten
nicht beſetzte Gebiet zu überführen.«
Sie entdeckt nicht, was in dieſer Formulierung die Befugniſſe des Kommandierenden
Generals im Saargebiet überſchreitet, da nicht angeordnet iſt, daß die Ausgewie-
ſenen ſich nicht im beſetzten Gebiet niederlaſſen dürfen.
Mit Rückſicht auf den Wortlaut des Schreibens, das Ihnen am 9. Auguſt
unter Nr. 1340 zugegangen iſt, und auf die ausdrückliche Beſtimmung des Artikels 10
der Verordnung Nr. 3 hält die Interalliierte Rheinlandkommiſſion es nicht für er
forderlich, neue Anweiſungen an ihre Delegierten ergehen zu laſſen.
Angeſichts der Wohnungsnot, auf die Sie zu wiederholten Malen die Aufmerk⸗
ſamkeit der Rheinlandkommiſſion gelenkt haben, glaubt dieſe annehmen zu können,
daß Sie alle notwendigen Maßnahmen ergreifen werden, um ſolchen Perſonen, die
!) Dieſes Schreiben betrifft die Ausweiſung des Lehrers V. S. aus einem Orte des Kreiſes Saar—
louis und hat folgenden Wortlaut: »In Beantwortung Ihres Schreibens vom 28. Mat, Nr. 4135,
beehre ich mich Ihnen im Namen der Interalliierten Rheinlandkommiſſion mitzuteilen, daß der vom
Oberſten (Militär-) Verwalter des Saargebiets ergangene Beſchluß vom 17. Februar 1920 dahin auf-
zufaſſen iſt, daß er den V. S. nur aus dem ge und nicht aus dem beſetzten Gebiet ausweiſt.«
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vorher ihren Wohnſitz nicht in den beſetzten Gebieten hatten, abzuraten, ſich hier
niederzulaſſen.
In übrigen hebt die Rheinlandkommiſſion ihr unbedingtes Ausweiſungsrecht
auf Grund des Artikels 10 der Verordnung Nr. 3 gegenüber den aus dem Saar—
gebiet ausgewieſenen Perſonen, die ſich in den beſetzten Gebieten niederzulaſſen ſuchen,
3 hervor, ſofern ihre Anweſenheit im beſetzten Gebiet ihr als der Sicherheit der Be—
ſatzungstruppen abträglich erſcheint.
ar EN 1 0 sr
a Der Präſident der Interalliierten Rheinlandkommiſſion:
n gez. Paul Tirard.
5 | Nr. 154.
= Protokollariſche Ausſagen von Ausgewieſenen.
3 a.
Am 18. Auguſt 1920 erſchien Herr Dr. . .. .. oo und gab im einzelnen
folgendes zu Protokoll:
Ich wurde in der Nacht vom 13./14. Auguſt 1920 nachts zwiſchen 12 und 1 Uhr
von der franzöſiſchen Beſatzungsbehörde (6 Marokkanern mit aufgepflanzten Seiten—
gewehren) aus dem Bette heraus verhaftet. Man ließ mir etwa eine Viertelſtunde
zum Ankleiden und führte mich aufs Büro des Kommandanten von .... Dort
wurde ich dem Stadtkommandanten .. ... vorgeführt, welcher mir eröffnete, daß ich
verhaftet jei, und mir die Abſchrift eines Auswerfungbefehles aushändigte, deſſen
Original ich vorher einſehen durfte.
Der Original⸗Ausweiſungsbefehl war hektographiert und ließ nur zwei Zeilen
frei, um mit Tinte den Namen der Auszuweiſenden einzuſchreiben. Sogar die Unter—
ſchrift des Generals Briſſaud war nur hektographiert. Weil ich wußte, daß ich ſchon
einmal auf der ſchwarzen Liſte ſtand, ſagte ich zu dem Stadtkommandanten: »Nun
ion Sie Ihr Ziel erreicht.« Auf der Kommandantur mußte ich bis zum Eintreffen
er mit mir ausgewieſenen Herren ..... . warten. Nach der Ankunft
von Herrn ..... befragt, warum er ausgewieſen würde, gab der Kommandant an,
daß er nichts weiter angeben könne. Er habe lediglich den Befehl von Saarbrücken
aus erhalten. Weiter gab der Kommandant an, daß wir nach Saarbrücken, Vor—
ſtadtſtraße 43 transportiert werden ſollen. Etwa um ½2 Uhr nachts wurden wir
drei auf ein Laſtauto geladen und unter ſtarker militäriſcher Bewachung (4 Marokkaner
mit aufgepflanzten Seitengewehren und 2 Feldgendarmen mit Knüppeln) nach Saar—
brücken gebracht.
In Saarbrücken angekommen, ſchaffte man uns in dem Kriegsgerichtsgebäude
in ein Zimmer der zweiten Etage, wo noch zwei weitere Verhaftete untergebracht
waren. Die Einrichtung des Zimmers beſtand lediglich aus zwei Strohſäcken. Ab—
enge von dem vielen Schmutz, war nichts im Zimmer wahrzunehmen. Ein gut
eutſchſprechender Gendarm — anſcheinend Elſäſſer — eröffnete mir, daß er den
Auftrag hätte, uns hier unterzubringen, und »wir ſollten es uns ſo bequem als
möglich machen «. |
| Vor der Türe wurde ein Poſten mit aufgepflanztem Seitengewehr aufgeftellt.
Das Fenſter öffnen und lautes Unterhalten wurde uns ſtrengſtens unterſagt. Beim
Austre en wurde uns ein Poſten mit aufgepflanztem Seitengewehr beigegeben, der
jedesmal ſolange warten mußte, bis wir unſere Geſchäfte erledigt hatten. Der Zu—
ſtand des Abtritts war ein derartiger, daß verſchiedene Herren, die in unſerem Zimmer
untergebracht waren, ohne Verrichtung der Notdurft wieder umkehrten. Gegen 8 Uhr
baten wir um etwas zu eſſen. Unſere Bitte wurde nicht erfüllt. Von dem deutſch—
ſprechenden Gendarmen, welcher etwas Mitleid mit uns hatte, konnten wir gegen
Bezahlung etwas Kaffee und Brot erhalten. Um den Grund unſerer Ausweiſung
ne
und Verhaftung zu erfahren, baten wir den Gendarmen, uns doch nach Möglichkeit
Aufklärung zu geben. Dieſer erklärte uns:
»Die Verhaftung und Ausweiſung gehe nicht von Saarbrücken aus,
ſondern daran ſeien unſere »guten Freunde« in ..... ſchuld. Es gehe
uns heute ſo, wie es den Elſäſſern im Jahre 1870 ergangen ſei.«
Etwa viertelſtündlich erſchienen in unſerem Zimmer Kommiſſionen, um unſere
Perſonalien wiederholt aufzunehmen. Gegen 10 Uhr morgens wurde uns eröffnet,
daß vier der Anweſenden abgeſchoben würden, während der fünfte Herr, ein Bahn—
verwalter aus Saarlouis, vor ein Kriegsgericht geſtellt werden ſollte. Gegen 11 Uhr
wurden wir noch mit weiteren 18 Herren in einem anderen Zimmer zuſammengebracht.
Dort verblieben wir bis gegen 12 Uhr. Um 1 Uhr erfuhren wir, daß wir nunmehr
abgeſchoben werden ſollten. Zu dieſem Zwecke mußten wir unter ſtarker Bewachung
im Hofe antreten Ä
Nachdem wir auf dem Hofe etwa eine Stunde ftanden, wurden wir in zwei
Laſtautos verladen. Über St. Ingbert, Zweibrücken, Pirmaſens, Landau wurden
wir nach Germersheim über die Schiffsbrücke nach dem rechten Rheinufer verbracht,
wo man uns, ohne irgendwelche Ausweispapiere auszuhändigen, einfach ſtehen ließ,
nachdem die Autos vorher kehrtgemacht hatten. Unſere Bitte um irgendein Doku—
ment blieb erfolglos. Man antwortete uns, wir ſollen uns ſo ſchnell wie möglich
aus dem Staube machen.
Ich bin mir keines Grundes meiner Ausweiſung bewußt, da ich mich nicht am
politiſchen Leben noch als Arzt am Streik beteiligte. . . . . ...
(Unterſchrift.)
*
Meine Verhaftung und Ausweiſung hat ſich ebenfalls in der vorſtehend geſchil—
derten Weiſe abgeſpielt. Ich mache die vorſtehenden Angaben im allgemeinen zu den
meinigen. Im politiſchen Leben habe ich mich niemals betätigt. . . . ....
(Unterſchrift.)
Meine Verhaftung und Ausweiſung hat ſich ebenfalls in der oben geſchilderten
Weiſe abgeſpielt. Die Angaben des Herrn Dr. ....... mache ich zu den meinigen,
ſo daß ich denſelben nichts mehr hinzuzufügen habe. Im politiſchen Leben habe ich
mich niemals betätigt. (Unterfchrift.)
Ich wurde in derſelben Nacht in „ wo ich meinen Wohnſitz hatte,
zwiſchen 3 und 4 Uhr aus dem Bette heraus verhaftet. Man ließ mir etwa
20 Minuten Zeit zum Ankleiden. Mir wurde eröffnet, daß ich nach Neunkirchen
kommen ſolle. In die Hauptſtraße gebracht, wurde ich in ein Auto verladen, wo
einige Minuten ſpäter Heri hinzukam. Papiere über den Grund unſerer
Verhaftung und Ausweiſung wurden uns nicht vorgelegt. Mit dem Auto wurden
wir alsdann nach Neunkirchen verbracht, wo wir in einem Raum, der durch eine
Pritſche und beſonders vergitterte Fenſter in einen Gefängnisraum umgewandelt
worden war, eingeſperrt. Etwa um 6 Uhr morgens wurden wir mit noch fünf
weiteren Herren in einem offenen Auto unter ſtarker Bewachung nach Saarbrücken
weitertransportiert. Auch dort wurden wir in ein Zimmer verwieſen, das nur zwei
leere eiſerne Bettſtellen enthielt. Vor dem Zimmer wurde ein Wachtpoſten aufgeſtellt.
Verſchloſſen war die Tür nicht. Um 9 Uhr verlangten wir etwas zu eſſen, bekamen
aber nichts. Selbſt gegen Bezahlung konnten wir nichts erhalten. Später wurden
wir nochmals in ein anderes Zimmer verbracht, wo bereits zwölf andere Herren aus
Saarbrücken und Umgegend untergebracht waren.
Die übrigen Vorgänge ſpielten ſich genau in derſelben Weiſe wie bei Herrn
. ab.
Aus welchem Grunde ich verhaftet und ausgewieſen wurde, iſt mir bis zur
jetzigen Stunde nicht bekannt, da ich mich weder politiſch noch irgendwie an einer
Streikleitung beteiligte.
(Unterſchrift.) 1
Meine Angaben ſtellen ſich mit denen des Herrn .... ... gleich und habe ich
denſelben weiteres nicht hinzuzufügen.
(Unterſchrift.)
b.
Zentralſtelle für pfälziſche Flüchtlinge.
Protokoll, aufgenommen am 28. Auguſt 1920.
Es erſcheint der Flüchtling ...... und gab an:
»Am Mittwoch, den 11. Auguſt, morgens um 6 Uhr, wurde ich mit meiner
3 Familie aus den Betten herausgeholt, nachdem vorher das ganze Haus mit
ewaffneten Marokkanern umſtellt war. Der Befehlshaber der Franzoſen eröffnete
mir, daß er vom kommandierenden General in Saarbrücken beauftragt ſei, bei mir
eine Hausſuchung nach verbotenen Schriften und Waffen vorzunehmen. Nachdem
die Unterſuchung ergebnislos verlaufen war, wurde mir bedeutet, daß ich mich noch
einem Verhör beim Kommandanten zu unterziehen hätte. Zunächſt führte man mich
nach der Kaſerne, wo ich in den Arreſtraum der Schwarzen eingeſperrt wurde.
Dortſelbſt befanden ſich ſchon einige Leidensgenoſſen, meiſtens Herren der hohen
Stände. Nach etwa 2 Stunden wurden wir aufgerufen und in zwei offenen Laſt—
autos ohne Sitzgelegenheit aufgeladen und unter großer Eskorte ſchrittweiſe durch
die Stadt gefahren, wie es früher bei Schwerverbrechern, Mördern uſw. üblich war.
An der Spitze ritt ein Rittmeiſter mit gezogenem Degen, Radfahrer, Trompeter,
links und rechts eine ganze Anzahl Marokkaner mit aufgepflanzten Seitengeweh ren,
am Schluſſe Kavallerie. Nach einer halben Wegſtunde löſte ſich dieſer Zug auf,
und ſo ging es mit einem ſchnelleren Tempo nach Saarbrücken zum Kommandanten.
Wir glaubten nun, das Verhör würde jetzt beginnen, und dann wären wir wieder
frei. Mit nichten. Zwei Stunden wurden wir wieder in eine Kaſerne eingeſperrt
und dann weitertransportiert mit anderen Laſtautos, bei denen wohl Sitzgelegenheit
war, aber ſo, daß es kaum auszuhalten war. Unſer nächſtes Ziel war Zweibrücken,
wo wir vom Kommandanten in höhniſcher Herausforderung beſichtigt und nament—
lich vorgeſtellt wurden. Darauf kaſernierte man uns ein in einen Keller, der mit
Strohſäcken belegt war. In dieſem Raume mußten wir verbleiben von nachmittags
4 Uhr bis am andern Tag morgens 7½ Uhr. Was wir alles hier an Erniedrigungen
zu erdulden hatten, läßt ſich in Worte nicht kleiden. Auch einer Leibesunterſuchung
mußten wir uns unterziehen. Privatbriefe und alle anderen Schreibſtücke laſen ſie
durch, und was ſie glaubten, das für ihre Zwecke dienlich ſei, hielten ſie zurück. In
unwürdiger Weiſe wurden wir auch nochmals photographiert. Die Weiterreiſe um
7½ Uhr morgens ging dann über Landau nach Germersheim, wo wir dann nach—
mittags über den Rhein abgeſchoben wurden. Gelegenheit zum Waſchen war uns
während unſerer Gefangenſchaft nicht gegeben, trotzdem wir öfter darum gebeten
hatten. So kamen wir in Rheinsheim völlig ermattet, verſtaubt und mittellos an.
Politiſch bin ich in keiner Weiſe tätig geweſen, wenigſtens nicht ſo, die eine
ſolche Maßnahme rechtfertigen konnte. Vielleicht dürfte meine Verhaftung erfolgt
ſein, weil mein Sohn als aktiver Pionieroffizier im Felde ſtand.«
(Unterſchrift.)
= 200
ce.
Zentralſtelle für pfälziſche Flüchtling
Mannheim. N ;
Protokoll, aufgenommen am 28. Auguſt 1920.
Es erſcheint der Flüchtling... ..... (Oberamtsrichter) und gab an:
»In der Nacht vom 13/14. Auguſt, während ich gerade tags zuvor auf 3 bis 4 e
Tage mich in Urlaub entfernt hatte, erſchienen um 1½ Uhr auf dem Vorplatz meiner
im 3. Stock gelegenen Dienſtwohnung ein franzöſiſcher Offizier und zwei franzöſiſche =
Zollbeamten und begehrten Einlaß. Der Gefängnisverwalter hatte ihnen die Haus⸗
türe geöffnet. Auf der Treppe befanden ſich Marokkaner, desgleichen um das Gericht -
gebäude herum, mit Waffen. Der Offizier fragte meine Frau, die nur mit dem
Dienſtmädchen ſich in der Wohnung befand, nach mir. Er zeigte ihr ein in fran⸗
zöſiſcher Sprache gehaltenes Schriftſtück vor, inhaltlich deſſen ich als » ment dan- 5
gereux« über den Rhein zu verbringen ſei. Auf die Erklärung, daß ich nicht zu
Hauſe ſei, durchſuchten die Erſchienenen meine Wohnung und entfernten ſich. Einen
Grund für meine Ausweiſung kann ich mir nicht erklären. Ich habe mich nie öffentlich
geäußert oder ſonſt hervorgetan, woraus man irgendwelchen Verdacht auf »gefähr⸗
liche« Machinationen ſchöpfen könnte. Im Streik verhielt ich mich vollſtändig paſſiv;
ich war ſtets dienſtbereit. Bei meinem Weggang auf 3 bis 4 Tage vertrat mich
Amtsrichter S. 8
Die gegen mich ergriffene Maßregel kann nur auf Denunziation zurückzuführen ſein.«
(Unterſchrift)
| d.
Zentralſtelle für pfälziſche Flüchtlinge
Mannheim.
Protokoll, aufgenommen am 29. Auguſt 1920.
Es erſcheint der Flüchtling... und gab an: |
»Am Samstag, den 14. Auguſt, wurde an meiner Wohnung in der Morgenfrühe
gegen 5 Uhr ſtark geklingelt, ſo daß wir beide, meine Frau und ich, aus dem Schlafe
aufwachten. Beim Offnen meiner Wohnungstür erblickte ich zwei franzöſiſche
Gendarmen und wurde von einem gefragt, ob ich der.. . . .. . . ſei. Bei Beſtätigung
meinerſeits ſagte mir der Gendarm, ich möchte mich ſogleich zur Gendarmerie be-
geben. Auf meine Frage, was ich dort ſolle, wurde mir geantwortet, das wüßten
ſie ſelbſt nicht, ich ſollte nur zur Gendarmerie kommen. Darauf ſagte ich nun, ich
würde mich noch vollſtändig anziehen. In der Zwiſchenzeit fragte meine Frau den
Gendarm noch, ob ich auch, wie an den vorhergehenden Tagen es mit mehreren Herren ge⸗
ſchehen ſei, nach Saarbrücken zur Verhaftung abgeführt werden ſollte. »Nein, Madame, nur
zur Vernehmung nach der hieſigen Gendarmerie. . . . . Ich ging nun mit dem Gendarm
die Treppen hinunter. Im Hausflur waren zirka 50 Marokkaner mit aufgepflanzten Seiten⸗
gewehren. Dieſe wies der eine Gendarm zurück, und mit dem anderen Gendarm allein ging
es nun zur Gendarmerie. Hier wurden meine Perſonalien feſtgeſtellt. Auf meine
Frage, was man denn von mir wolle, zuckten die Herren die Achſeln. Darauf wurde
ich ß Schule, die augenblicklich als Kaſerne dient, gebracht. Hier fand ich
ſchon andere Leidensgefährten vor. Wir waren bisher 6 Herren (3 Lehrer, 1 Büro⸗
beamter, 1 Werkmeiſter und ich von unſerer Firma). Da es noch länger dauerte,
bis der ſiebente Herr kam, wurden wir noch in den Keller in das Gefängnis gebracht
und eingeſchloſſen. Gegen 67¼ Uhr wurden wir wieder herausgeführt. Auf dem
Schulhofe war ein Laſtauto und darauf ſtand der .. „der ſiebente Leidens—
gefährte, bewacht von Marokkanern. Wir mußten auch aufſteigen, und vorne ſtanden
ein Gendarm und zwei Marokkaner, dann kamen wir ſieben ſtehend und dann drei
weitere Marokkaner, alle mit aufgepflanztem Gewehr. Nun ging die Fahrt im lang⸗
— 231 —
ſamen Tempo an der Hütte vorbei die Saarbrücker Straße entlang über ..... nach
Saarbrücken. In Saarbrücken wurden wir zu dem früheren Bezirkskommando gebracht,
gegen 8 Uhr und nach nochmaliger Verleſung der Namen in den 3. Stock in ein kleines
Zimmer ohne andere Sitzgelegenheit als zwei zerbrochene Bettſtellen eingeſchloſſen.
Gegen ½12 Uhr wurden wir, nachdem nochmals unſere Namen verleſen worden
waren, in ein im erſten Stock befindliches Zimmer gebracht. Hier waren noch 13
andere Leidensgefährten aus Saarlouis, Saarbrücken uſw., alſo im ganzen 20 Herren.
Darauf wurden wir in den Hof geführt, und wiederum wurden alle 20 aufgerufen
und mußten nun je 10 ein Laſtauto beſteigen, wo wir auf 2 Längsbänken Platz
nehmen mußten. Jedes Auto war mit ſieben bewaffneten Marokkanern bewacht.
Um 1½ Uhr ging nun die Fahrt über St. Ingbert, Zweibrücken, Pirmaſens,
Landau nach Germersheim. Hier wurden wir durch die Feſtung durch über die
Pontonbrücke nach dem rechtsrheiniſchen Ufer gefahren. Dann mußten wir abfteigen,
und es wurde uns mitgeteilt, wir ſollten uns fortmachen. Es war 7¼ Uhr abends.
Ohne uns je verhört zu haben und uns irgendeinen Grund unſerer Verhaftung
und Ausweiſung mitzuteilen, hat man uns auf das rechtsrheiniſche Ufer abgeſchoben.
905 bemerke noch ausdrücklich, daß ich mit Streikbewegungen, wie ſie ſeit dem
Auguſt 1920 im Saarlande im Gange find, nichts zu tun habe. Auch ſtehe ich
dem Heimatdienſte und ähnlichen Beſtrebungen vollſtändig fern; auch habe ich mich
meines Wiſſens niemals feindlich über die Franzoſen geäußert, woraus dieſelben
irgendeinen Grund zu meiner Verhaftung herleiten könnten. Ich muß annehmen,
daß meine Verhaftung auf gemeine Denunziation zurückzuführen iſt. Wir gingen
zu Fuß nach Rheinsheim, wo wir gegen 8 Uhr ankamen .. .. a
Wir blieben dort zu Nacht und am andern Tage fuhren wir nach Mannheim
weiter. Hier bin ich nun, abgeſchloſſen von meiner Familie und ohne jegliche
Kleidungsſtücke und vollſtändig mittellos, nur mit dem, was ich bei mir hatte, als
ich früh 5 Uhr meine Wohnung verließ.«
(Unterſchrift.)
E.
Zentralſtelle für pfälziſche Flüchtlinge
Mannheim.
Protokoll, aufgenommen am 29. Auguſt 1920.
Es erſcheint der Flüchtling... und gab an:
»Am 8. Auguſt wurde ich durch eine Ordonnanz zu einer Beſprechung auf dem
Büro der Gendarmerie eingeladen. 6
Dort angekommen, wurde ich von Gendarmen ſofort in ein Arreſtlokal ein—
geliefert. Bei dieſer Gelegenheit wurde an die Zelle geſchrieben: »1 Boche«.
Am 10. Auguſt wurde ich nach Saarbrücken überführt und am 14. Auguſt bei
Germersheim auf die rechte Rheinſeite abgeſetzt, ohne vorher vernommen oder über
die Urſache der Ausweiſung aufgeklärt worden zu fein. Ich vermute Denunziation.«
(Unterſchrift.)
’ 3
Zentralſtelle für pfälziſche Flüchtlinge
Mannheim.
Protokoll, aufgenommen am 31. Auguſt 1920.
Es erſcheint der Flüchtling. .... .... und gab an:
»Ich wurde in der Nacht vom 12./13. Auguſt 1920 von den Franzoſen geſucht
und ſollte laut militäriſchem Befehl, datiert vom 6. Auguſt 1920, verhaftet werden.
Meine bevorſtehende Verhaftung war mir durch einen mir bekannten mit den Fran—
16
ee
zoſen in Verbindung ſtehenden Herrn angedeutet worden. Vom 9. Auguſt ab, wo
Hausſuchung bei mir ſtattfand, ſchlief ich nicht mehr in meiner Wohnung. Jun der
Nacht vom 12. auf 13. ſollte dann meine Verhaftung erfolgen. Ich bin dann am
13. Auguſt früh weg und hielt mich bis 30. Auguſt in der Pfalz auf. Da mein
Verbleiben auf dem linken Rheinufer nicht mehr Sicherheit gewährte, mußte ich end—
lich dem Befehl, das beſetzte Gebiet zu verlaſſen, Folge leiſten. Der Grund meiner
Ausweiſung iſt mir nicht befannt.«
(Unterſchrift.)
(Ahnliche Ausſagen haben noch eine große Zahl anderer ene Per⸗
ſonen gemacht.)
Nr. 155.
125 der Beamtenſchaft des Saargebiets an den Völkerbundsrat.
Saarbrücken, den 3. September 1920.
Dem hohen Rat des Völkerbundes unterbreiten wir folgende Angelegenheit zur
gefälligen Erledigung:
Dem mit Amtsblatt Nr. 9 vom 14. Auguſt veröffentlichten Beamtenſtatut haben
wir aus folgenden Gründen nicht zuſtimmen können:
1. In einem Schreiben des Präſidenten Rault vom 8. Mai, das er im Namen
der Regierungskommiſſion an uns richtete, heißt es, die Regierungskommiſſion werde
als Beamte nur Deutſche anſtellen, in erſter Linie Saarländer.
In dem Beamtenſtatut heißt es:
»Alle Beamten der Regierung des Saargebiets mit Ausnahme der⸗
jenigen der Zentralverwaltung werden in erſter Linie aus den Reihen der
Einwohner des Saargebiets entnommen werden oder, falls es an ſolchen
fehlt, aus Deutſchen, die außerhalb des Saargebiets wohnen.« |
Wir baten die Regierungskommiſſion, den Wortlaut des Briefes in das Statut
aufzunehmen, was ſie ablehnte.
2. In dem Briefe heißt es weiter:
»Die Eidesleiſtung der Beamten wird nach Ablauf der Friſt von
6 Monaten ſtattfinden. Jedoch wird es jedem einzelnen Beamten et
fein, ſchon vor Ablauf diefer Friſt den Eid zu leiſten.«
In dem Statut heißt es in dem Artikel 6:
»Es ſoll jedoch jedem geſtattet ſein, die Abnahme des Eides ſchon
vor dem Ablauf der fraglichen Friſt zu beantragen. «
Auch hier baten wir die Regierungskommiſſion, den Wortlaut des Briefes in
das Statut aufzunehmen, was ebenfalls abgelehnt wurde.
3. In einer von der Regierungskommiſſion herausgegebenen Verordnung vom
16. März heißt es in § 3:
»Während ihrer Dienſtzeit im Saargebiet genießen die Beamten die
gleichen Rechte und Zuſicherungen, wie dies durch die bis zum 11. No-
vember 1918 gültigen Geſetze und Verordnungen vorgeſehen war.«
Dieſe Verordnung, die im Saargebiet Geſetzeskraft hat, iſt bei Aufſtellung des
Statuts nicht beachtet worden, indem in Teil 3: Diſziplinarverfahren, Teil 4: Ver⸗
waltungsbeiräte und Teil 5: Beamtenvereinigungen die am 11. November 1918
gültigen Geſetze weſentliche Verſchlechterungen erfahren haben.
Da die Regierungskommiſſion Vertretern der Arbeitergewerkſchaften am
12. Auguſt ſchriftlich erklärt hat, daß fie das Beamtenſtatut, was auch vorkommen
mag, nicht abändern könne, wenden wir uns vertrauensvoll an den Hohen Rat des
Völkerbundes, dem die Regierungskommiſſion verantwortlich iſt, mit der Bitte,
unfere Rechte, die in dem Briefe vom 8. Mai und der Verordnung vom 16. März
— 233 —
verankert ſind, zu ſchützen und die Regierungskommiſſion anzuweiſen, die gemachten
Zuſagen in das Beamtenſtatut mit aufzunehmen.
Die Antwort bitten wir an Ober⸗Telegraphenſekretär Anſchütz, Saarbrücken 3,
im Heimeck 16, zu richten.
Wir geſtatten uns zum Schluß, dem Hohen Rat unſere beſondere Hochachtung
zu bezeugen.
Beamtenbund des Saargebiets,
Dieutſcher Eiſenbahnerverband,
Gewerkſchaft deutſcher Eiſenbahner und Staatsbedienſteter,
Gewerkſchaft deutſcher Eiſenbahnbeamten und Anwärter,
Gewerkſchaft deutſcher Lokomotivführer,
Allgemeiner Eiſenbahnverband,
Fachgewerkſchaft der Eiſenbahnfachbeamten Deutſchlands.
(Die Eingabe iſt nicht beantwortet worden.)
Nr. 156.
Bericht über die Sitzung des Völkerbundsrates vom
20. September 1920 in Paris.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 7, Seite 400 ff.)
(berſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets.
Bericht, vorgelegt von dem Vertreter Griechenlands, Herrn Caclamanos,
und angenommen vom Rat des Völkerbundes.
Der Rat des Völkerbundes hat durch einen Beſchluß vom 13. Februar 1920
die 5 Mitglieder der Regierungskommiſſion des Saarbeckens ernannt. Nach dem
Vertrag von Verſailles muß eines dieſer Mitglieder Nichtfranzoſe ſein und aus dem
Saarbeckengebiet ſtammen und dort wohnen. Zu dieſem Mitglied hat der Rat
Herrn Alfred von Boch ernannt. Herr von Boch hat jetzt den Völkerbund gebeten,
ſeinen Rücktritt zu genehmigen. In einem vom 6. Auguſt datierten, an den General—
ſekretär des Völkerbundes gerichteten Telegramm erklärt er, die Lage, die durch die
gegen ſeine Meinung den bisherigen Beamten gemachten Bedingungen geſchaffen ſei,
mache feine Stellung unhaltbar und verhindere ihn, die Verantwortung dafür zu über-
nehmen angeſichts der Haltung der Bevölkerung. Dieſes Telegramm iſt dem General—
ſekretär zugegangen, unmittelbar nachdem er durch den Präſidenten der Kommiſſion
unterrichtet worden war, daß ein Generalſtreik bei Eiſenbahn, Poſt und Telegraph
im Saarbecken erklärt worden war. Nach Beſprechung mit dem ſtellvertretenden
% ee des Rates hat der Generalſekretär Herrn von Boch mitgeteilt, daß ſein
Rücktrittsgeſuch der gegenwärtigen Tagung des Rates unterbreitet werden würde.
Der Generalſekretär hat den Mitgliedern des Rates einen umfangreichen Schrift-
wechſel über den Rücktritt des Herrn von Boch und die darauf bezüglichen Ergeb—
niſſe mitgeteilt.
Die erſte Frage, die auftaucht, iſt folgende: Soll der Völkerbund den Rücktritt
des Herrn von Boch annehmen? Herr von Boch hat ſich bei ſeiner Ernennung
damit einverſtanden erklärt, Mitglied einer Kommiſſion zu ſein, deren Beſchlüſſe mit
Stimmenmehrheit gefaßt werden können. Seine Ernennung iſt erfolgt für die ſehr
beſchränkte Dauer eines Jahres, wie der Vertrag von Verſailles es vorſchreibt. Man
kann ſich fragen, ob ein Mitglied dieſer Kommiſſion eigentlich das Recht hat, ſich
von ſeinem Poſten aus Gründen politiſcher Natur zurückzuziehen. Immerhin er—
ſcheint es nicht angebracht, dieſer Frage auf der gegenwärtigen Sitzung näherzutreten.
Aus dem auf den Tiſch des Rates niedergelegten Schriftwechſel geht hervor, daß
in Zukunft ein Zuſammenarbeiten zwiſchen Herrn von Boch und ſeinen 4 Kollegen
16*
— BE —
ficherlich nicht im Intereſſe der ordnungsmäßigen Fortführung der Regierung des
Saarbeckens liegen würde. Ich beehre mich demnach, dem Rat des Völkerbundes
vorzuſchlagen, den Rücktritt des Herrn von Boch anzunehmen.
Was die Frage betrifft, einen Nachfolger für Herrn von Boch, als das nicht
franzöſiſche, aus dem Saarbecken ſtammende und dort wohnende Mitglied der
Regierungskommiſſion, zu finden, ſo habe ich Erkundigungen eingezogen und einige
mögliche Kandidaturen erwogen. Ich bin ſtehen geblieben bei dem Namen des
Dr. Hector, ehemals Bürgermeiſter von Saarlouis, wo er ſeinen Beruf als Arzt
ausübt. Ich ſchlage vor, Dr. Hector für ein Jahr vom Tage ſeiner Ernennung ab
zu ernennen unter denſelben Bedingungen wie ſein Vorgänger im Amt. Dieſe Be—
dingungen ergeben ſich aus den vom Rat für die Regierungskommiſſion am 13. Fe
bruar 1921 angenommenen Inſtruktionen.
Wenn der Rat ſich meinen obigen Vorſchlägen anſchließt, könnte der Gegenſtand
dieſes Berichts als erſchöpft angeſehen werden. Es ſcheint mir indes angezeigt,
kurz die Ereigniſſe im Saarbecken zu prüfen, die den Rücktritt des ſaarländiſchen
Mitgliedes der Regierungskommiſſion herbeigeführt haben. In dem Telegramm,
durch das Herr von Boch ſeinen Rücktritt erbeten hat, hat er als Grund dafür an—
gegeben, daß ſeine Stellung unhaltbar geworden ſei und daß er die Verantwortung
dafür angeſichts der Haltung der Bevölkerung nicht übernehmen könne. Er ſetzte
auseinander, daß dieſe Lage geſchaffen worden ſei durch die gegen feine Meinung den bis⸗
herigen Beamten mit Bezug auf ihre Ernennung gemachten Bedingungen. Wir befinden
uns hier einer Frage gegenüber, die bereits den Gegenſtand verſchiedener eingehender
Berichte ſeitens der Regierungskommiſſion gebildet hat. Es handelt ſich um die Frage
der Organiſation der Verwaltung im Saarbecken durch die Regierungskommiſſion. Dieſe
Frage ſchließt alle Fragen in ſich, die mit dem Übertritt der deutſchen Beamten im
Saargebiet in den Dienſt der Regierungskommiſſion ſowie mit der Ernennung von
Perſonen anderer Staatsangehörigkeit auf Poſten in der Zentralverwaltung in Qu-
ſammenhang ſtehen. Es liegt auf der Hand, daß dieſe Fragen ſehr heikler Natur waren,
und man konnte kaum erwarten, daß ſie ohne Schwierigkeiten gelöſt werden würden.
Die Regierungskommiſſion hat den Rat des Völkerbundes gewiſſenhaft auf dem
Laufenden gehalten über ihre Handlungen in der Beamtenfrage. So hat der Präſi⸗
dent der Regierungskommiſſion dem Rat des Völkerbundes durch einen Bericht vom
10. April 1920 Rechnung gelegt über die bis zu dem damaligen Zeitpunkt von der
Regierungskommiſſion gefaßten Beſchlüſſe und über die mit den deutſchen Behörden
in Gang befindlichen Verhandlungen über die Angelegenheit. In Berichten vom
1. Mai und 1. Juni 1920 machte die Regierungskommiſſion neue Angaben über die
Beamtenfrage. In dem Bericht vom 1. Juni ſagte der Präſident der Regierungs⸗
kommiſſion namens der Kommiſſion: »Die Beamtenfrage, die im Monat April das
ganze politiſche Leben des Gebietes beherrſchte, hat eine vorläufige Regelung erfahren,
die für die Regierungskommiſſion einen unleugbaren Erfolg darftellt.« Der Präſi⸗
dent erläutert im einzelnen die Verhandlungen mit den Beamten des Gebiets ſowie
mit dem Vertreter der deutſchen Regierung und kommt zu folgendem Schluß:
»Die Regierungskommiſſion glaubt den Abſichten des Völkerbundrats entſprochen
zu haben, indem fie jeden ſcharfen Konflikt vermied und durch das Mittel der Ver—
ſöhnlichkeit Ergebniſſe zu erreichen ſuchte, die ihre Autorität und ihr Preſtige unan-
getaſtet laſſen.« e
In einem neuen Bericht an den Völkerbundsrat erwähnt der Vorſitzende der
Regierungskommiſſion, daß beſchloſſen worden war, ein Beamtenſtatut auszuarbeiten
und die Beamtenvertreter vorher zur Bekanntgabe ihrer Einwendungen zuzulaſſen.
Er ſetzte auseinander, wie die Abfaſſung dieſes Statuts einer Unterkommiſſion, be⸗
ſtehend aus 2 Mitgliedern der Regierungskommiſſion, darunter Herr von Boch, und
zwei Beamten der Zentralverwaltung anvertraut wurde und wie, nachdem die Unter—
kommiſſion ihre Redaktion beendet hatte, lange Beſprechungen zwiſchen den Beamten-
vertretern und der geſamten Regierungskommiſſion ſtattfanden. Der Präſident legt
— 235 —
dar, daß wichtige Konzeſſionen gemacht wurden und daß die Regierungskommiſſion
alle Forderungen bewilligte, die fie nicht als mit ihren Regierungsrechten und pflichten
unvereinbar anſah. Die Verordnung, durch die das Beamtenſtatut erlaſſen worden
iſt, iſt in dem Amtsblatt des Saargebiets vom 14. Auguſt veröffentlicht worden.
Sie datiert vom 29. Juli und trägt die Unterſchriften der 5 Mitglieder der Kom—
miſſion einſchließlich der des Herrn von Boch.
Eine Abſchrift des in Rede ſtehenden Statuts befindet ſich auf dem Tiſch des
Rates, und jedes ſeiner Mitglieder hat Gelegenheit gehabt, ſich eine eigene Meinung
über den Wert des Statuts zu bilden.
Durch ein Schreiben vom 10. September hat der Präſident der Regierungs—
kommiſſion dem Generalſekretär ein an den Rat des Völkerbundes gerichtetes Geſuch
verſchiedener Beamtenvereinigungen übermittelt, worin die Beamten Einwendungen
gegen gewiſſe Beſtimmungen des Statuts erheben, weil ſie mit den früher von der
Regierungskommiſſion gegebenen Verſprechungen in Widerſpruch ſtünden. Die
Kommiſſion äußert ſich zu dieſem Geſuch folgendermaßen:
»Die Kommiſſion hat in ihrer Sitzung vom 11. September von dieſem Geſuch
Kenntnis genommen; ſie war der Anſicht, daß ſie in ihren früheren Berichten
Gunten Aufklärungen gegeben habe über die Schwierigkeiten, denen ſie in der
eamtenfrage gegenüberſtand und über die Beſchlüſſe, die ſie faſſen mußte. Das
Beamtenſtatut hat den Zweck gehabt, die in der Sitzung der Regierungskommiſſion
vom 16. März 1920 aufgeſtellten allgemeinen Angaben im einzelnen durchzuführen.
Die Regierungskommiſſion hält es nicht für erforderlich, auf die Gründe zurückzu—
kommen, die es ihr unterſagen, das Beamtenſtatut in irgend einem Punkt zu ändern.
Die Beamten ſind nicht in Unkenntnis darüber, daß die Kommiſſion entſchloſſen iſt,
die Beſtimmungen des Statuts im Geiſte größter Freiheit anzuwenden.«
Ich erlaube mir die Aufmerkſamkeit des Rates auf diele letzten Worte zu lenken.
Hinſichtlich des Statuts für die Beamten des Saargebiets hängt, wie für jedes Geſetz,
viel von der Art ab, wie es angewendet wird. Die Verſicherung der Regierungs—
kommiſſion gegenüber den Beamten, das Statut im Geiſte größter Freiheit anzu—
wenden, enthält eine wichtige Garantie für die Beamten.
Es mag mir vielleicht geſtatet ſein, als meine perſönliche Anſicht und nach
ra der Schriftſtücke zu jagen, daß das Beamtenſtatut mir von demsekratiſchen
hedanken eingegeben und im Geiſte der Unparteilichkeit abgefaßt zu ſein ſcheint, und
daß es den Beamten wertvolle Garantien gegen jeden Mißbrauch der Regierungs—
gewalt gewährt. Ich glaube nicht weiter gehen zu brauchen und den Rat auffordern
zu ſollen, irgend eine Anſicht über das Statut für die Beamten des Saargebiets
auszuſprechen. Es iſt nach meiner Anſicht von Wichtigkeit, daß der Völkerbundsrat
ſich nicht in die Verwaltung des Saarbeckens einmiſcht, es ſeien denn Gründe höherer
Ordnung. Allerdings iſt durch den Vertrag der Völkerbund Treuhänder für die
Regierung des Saarbeckengebiets geworden, und hieraus ergibt ſich für den Bund
das Recht und die Pflicht, ſich für die Angelegenheiten dieſer Regierung zu intereſſieren
und ſeinen Einfluß dahin auszuüben, daß dieſe Regierung ſo gut als möglich iſt.
Aber es iſt ebeuſo zutreffend, daß nach dem Vertrag dieſe Regierung einer den
Völkerbund vertretenden Kommiſſion anvertraut ſein ſoll und daß dieſe Kommiſſion
alle Regierungsbefugniſſe beſitzt, die bisher Deutſchland zuſtanden, einſchließlich des
Rechts, die Beamten zu ernennen und abzuberufen. Eine beſondere Beſtimmung des
Vertrags von Verſailles ſagt ſogar, daß die Regierungskommiſſion das Recht haben
joll, alle Fragen zu entſcheiden, zu denen die Auslegung der in Rede ſtehenden Be—
ſtimmungen Anlaß geben kann.
Herr Alfred von Boch hat in einem an den Generalſekretär gerichteten Schreiben
vom 18. Auguſt 1920 erklärt, er habe den Eindruck, daß man ſich im Ausland keine
richtige Vorſtellung über die Lage im Saargebiet und über die Stimmung der Be—
völkerung mache, und wenn es ihm erlaubt ſei, einen Wunſch zu äußern, ſo möchte
er den Völkerbund bitten, ſobald als möglich einen unparteiiſchen Delegierten oder
236 —
eine Kommiſſion zu entſenden, um die nötigen Informationen an Ort und Stelle
einzuziehen. Dieſer Delegierte oder dieſe Kommiſſion müßte ſich, wie Herr von Boch
ſagt, unbedingt in unmittelbare Beziehung mit der Bevölkerung ſetzen, d. h. mit den
politiſchen Parteien und den Arbeiterorganiſationen, mit den Vertretern von Handel
und Induſtrie, mit den Beamten, der Stadtverwaltung, der Preſſe, der Geiſtlichkeit,
der Lehrerſchaft ufw. Herr von Boch bittet den Völkerbund eindringlich, dieſem
Antrag ſtattzugeben. Er fügt hinzu, daß er ſich perſönlich zur Verfügung des
Generalſekretärs halte, um ihm, ſoweit als möglich, alle gewünſchten Aufſchlüſſe
zu geben.
Es ſcheint mir zweckgemäß, hier dieſen Antrag zu behandeln, der im Zuſammen⸗
hang mit dem Rücktritt des Herrn von Boch eingegangen iſt. Ich muß ſagen, daß
ich für meine Perſon keinerlei Grund ſehe, dem Antrag des Herrn von Boch ftatt-
zugeben, und daß dieſer Antrag keinen Grund zu irgendwelcher Maßnahme bietet.
Es darf nicht vergeſſen werden, daß nicht nur die Regierungskommiſſion den Rat
auf dem Laufenden hält über alle wichtigen Ereigniſſe, ſondern daß auch der Rat
bei ſeiner Zuſammenkunft in Rom am 15. Mai beſchloſſen hat, daß alle an den
Völkerbund gerichteten Geſuche von Perſonen des Saarbeckens an die Regierungs⸗
kommiſſion geſandt werden müſſen und von der Kommiſſion mit oder ohne Erläu⸗
terungen dem Rat zur Information übermittelt werden ſollen. Als Beiſpiel kann
ich mich beziehen auf eine Eingabe einer Anzahl von Perſonen, die behaupten, die
politiſchen Parteien im Saarbecken zu vertreten, und die gegen die Ernennung aus⸗
ländiſcher Beamter, insbeſondere von Franzoſen, für Poſten in der Verwaltung des
Saarbeckens Einſpruch erheben. Abſchriften dieſer Eingaben ſind unter den Mitgliedern
des Rates verteilt worden. Eine andere kürzlich eingegangene und oben erwähnte
Eingabe bezieht ſich auf das Beamtenſtatut. Ich kann mich auch darauf beziehen,
daß verſchiedene Noten der deutſchen Regierung über die Maßnahmen der Regierungs⸗
kommiſſion dem Generalſekretär zugegangen und zur Information unter die Mit⸗
glieder des Rates verteilt worden ſind. |
Die Erwähnung der von der Regierungskommiſſion bisher dem Rat des Völker⸗
bundes eingereichten Berichte über die Arbeit der Kommiſſion bietet mir Gelegenheit,
die Aufmerkſamkeit des Rates auf die Vielgeſtaltigkeit und die Schwierigkeit der
Anfgabe zu lenken, mit der die Regierungskommiſſion ſich hat befaſſen müſſen. Das
Internationale Sekretariat hat die erſten 4 periodiſchen Berichte der Kommiſſion,
datiert vom 25. März, 1. Mai, 1. Juni und 1. Juli veröffentlicht. Die Lektüre
dieſer Berichte iſt ſehr intereſſant. Die Berichte behandeln den Amtsantritt der
Regierungskommiſſion, die Wahl ihres Sitzes, die Verteilung der Geſchäfte unter die
5 Mitglieder der Kommiſſion und die Politik der Kommiſſion im allgemeinen; ferner
die Organiſation der Zivilverwaltung des Landes, Finanzfragen, die ſoziale Lage
und die wirtſchaftlichen Verhältniſſe, die öffentliche Ordnung, die Wahlordnung für
die örtlichen Vertretungen, das Verſorgungsweſen, die Steuererhebungen, die Organi⸗
ſation des Eiſenbahnnetzes des Saargebiets, die Errichtung eines oberſten Gerichts—
hofes uſw. Man hat im großen und ganzen den Eindruck, daß die Kommiſſion ſich
mit Eifer und mit einer ſchönen Hoffnung von Vertrauen auf die Zukunft das ihr
übertragene, ſo ſchwierige Werk in Angriff genommen hat.
Beſchluß des Rates des Völkerbundes.
1. Der dem Rat unterbreitete Antrag des Herr Alfred von Boch, Mitgliedes
der Regierungskommiſſion des Saarbeckens, wird genehmigt. |
2. Zum Mitglied der Regierungskommiſſion des Saarbeckens wird für die Dauer
eines Jahres, gerechnet von heute ab, Herr Dr. Hector aus Saarlouis ernannt.
Dr. Hector hat ſich nach den vom Rat für die Regierungskommiſſion des Saar⸗
beckens am 13. Februar 1920 angenommenen Inſtruktionen zu richten; die in dieſen
Inſtruktionen für die anderen Mitglieder der Kommiſſion aufgeſtellten Beſtimmungen
bezüglich des Gehalts ſind auf ihn anwendbar. |
— 237 —
Nr. 157.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den
Völkerbundsrat vom 25. Oktober 1920.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 8, Seite 65ff.)
(Überſetzung.)
Die Regierungskommiſſion hat den Rat des Völkerbundes regelmäßig über ihre
Tätigkeit durch monatliche Berichte auf dem Laufenden gehalten; der letzte Bericht
trägt das Datum des 1. Juli. In dem Augenblick, in dem ſie ſich vorbereitete, den
Bericht über den Monat Juli abzuſenden, wurde der Lauf ihrer Arbeiten geſtört
durch den Streik in den öffentlichen Betrieben. Der Präſident hat durch einen
Bericht vom 18. Auguſt!) die Entwicklung dieſes Streiks geſchildert und mitgeteilt,
welche Maßnahmen die Kommiſſion angeſichts dieſer Sachlage ergriffen hatte, um
die Ordnung aufrechtzuerhalten und ihrer Autorität Achtung zu verſchaffen. Vor
Abfaſſung eines neuen Berichts ſchien es ihr erforderlich, einige Wochen zu warten,
um die Regierungskommiſſion in die Lage zu verſetzen, den Rat des Völkerbundes
über den Umſchwung, der ſich nach der Kriſe des Monats Auguſt in den Gemütern
vollzogen hat, zu unterrichten.
Der gegenwärtige Bericht wird alſo gleichzeitig die Monate Juli, Auguſt,
September und Oktober umfaſſen. Immerhin wird er den Streik in den öffentlichen
Betrieben nur kurz in Erinnerung bringen.
Im Monat Juli hatte die Vorbereitung der Wahlen das öffentliche Leben des
Gebiets beherrſcht, der Monat Auguſt war gekennzeichnet durch den Streik in den
öffentlichen Betrieben. Es wäre nutzlos, auf die einzelnen Epiſoden dieſer Kriſe
e ſie ſind in dem Bericht vom 18. san d. J. geſchildert worden.
f wird genügen, hier zu erwähnen, welches die Bedeutung und die Folgen des
Streiks vom politiſchen Geſichtspunkt aus waren.
Der Streik der Beamten war ein von langer Hand vorbereitetes Angriffs-
manöver, beſtimmt, die Autorität der Regierungskommiſſion zu vernichten und dar—
zutun, daß das im Friedensvertrag für die Verwaltung des Saargebiets vorgeſehene
Statut unausführbar ſei. Er ſollte die Regierungskommiſſion der Mitarbeit aller
ihrer Hilfskräfte berauben, ſie zur Ohnmacht verurteilen und beweiſen, daß eine vom
Zölkerbund in Ausführung des Vertrags von Verſailles eingeſetzte Regierung nicht
lebensfähig ſein könne. |
Die Regierungskommiſſion hat es verſtanden zu beweiſen, daß der Abfall der
Beamten, mögen auch ſeine Folgen noch ſo unangenehm für das Wohlergehen der
Bevölkerung geweſen ſein, ſie nicht in die Unmöglichkeit verſetzte, zu regieren, die
Ordnung im Gebiet aufrecht zu erhalten, die freie Ausbeutung der franzöſiſchen
Staatsgruben zu gewährleiſten und ſogar den Eiſenbahnverkehr aufrechtzuerhalten.
Sobald bewieſen war, daß die Kommiſſion vor den abtrünnigen Beamten nicht
kapitulieren werde und daß ſie die Mittel hatte, auf ſie zu verzichten, hatte ſie ge—
wonnenes Spiel. Die Arbeit iſt wieder aufgenommen worden, ohne daß ſie die
Abgeordneten der Streikenden empfangen oder das Beamten -Statut in einem einzigen
Punkte geändert hätte.
Die Bevölkerung ſcheint übrigens in ihrer großen Mehrheit verſtanden zu haben,
daß ſie ſich einem einfachen politiſchen Manöver gegenüber befand, deſſen Leiter zum
mhm il außerhalb der Grenzen des Gebietes geſucht werden mußten. Alle Be—
ungen des Streikkomitees, die Bergleute und die Arbeiter der Hütteninduſtrie
zu einer Solidaritätserklärung mit den Beamten zu veranlaſſen, ſind geſcheitert.
) Dieſer Bericht iſt nicht veröffentlicht; einzelne Stellen daraus find wiedergegeben in der Anlage
der Note des Völkerbundes vom 24. Juni 1921 (Nr. 161).
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Der 24 ſtündige Sympathie-Generalſtreik war nur ein Akt der Kameradſchaft und
beſtimmt, den Rückzug der Beamten zu decken. Tatſächlich haben die Aufforderungen
zur Rebellion und die Worte des Haſſes der Leiter der Bewegung kaum ein Echo
unter den Bewohnern des Beckens gefunden.
Dieſe haben im allgemeinen über die Abſichten der Regierungskommiſſion Klarheit
gewonnen. Sie haben erkannt, daß die Kommiſſion weder ihre Autorität verſpotten
laſſen noch dulden konnte, daß ihre Beamten einem anderen Einfluß ausgeſetzt blieben
als dem ihrigen. Sie haben gemerkt, daß eine von auswärts unterhaltene Agitation
nur den Erfolg haben könnte, ihr Wohlergehen und ihre Intereſſen zu gefährden.
Daher iſt auch die Autorität der Regierungskommiſſion geſtärkt aus der Kriſis
hervorgegangen. Allerdings hat fie Gewaltmaßnahmen ergreifen müſſen. Sie hat
den Belagerungszuſtand erklärt und die Polizei dem kommandierenden General der
Garniſontruppen übertragen. Dieſer hat eine gewiſſe Zahl von Ausweiſungen vor⸗
genommen und Verfolgungen vor dem Kriegsgericht angeordnet. Urteile ſind ergangen,
namentlich gegen den früheren Reichstagsabgeordneten Ollmert, den Organiſator
des »Heimatdienſt« im Saargebiet, deſſen Schuld durch ein bei ihm beſchlagnahmtes
Bündel von Urkunden bewieſen war; er iſt vor kurzem im Kontumazialverfahren zu
lebenslänglicher Freiheitsſtrafe verurteilt worden.
Wenn die Kommiſſion nicht eine ſo energiſche Haltung eingenommen hätte,
wären Unruhen entſtanden. Sie hätte all ihren Kredit bei der Bevölkerung verloren
und unwiderruflich ihren Erfolg gefährdet.
Heute erntet ſie im Gegenteil die Früchte ihrer Feſtigkeit. Mehr als man unmittel⸗
bar nach Beendigung der Kriſis hoffen konnte, ſtellt ſie feſt, wie glücklich ihre Taktik
war und welch vorzügliche Ergebniſſe dieſe gezeitigt hat. Niemals war das Gebiet
ſo ruhig, niemals waren die Gemüter mehr beſänftigt. Die Zeitungen, die ſeit dem
Ende des Streiks ihre volle Freiheit wiedererhalten haben, enthalten ſich jener ſyſte—
matiſchen Feldzüge von Anſchwärzung und Beleidigungen, deren Folgen ſo unheilvoll
waren; eine allgemeine Beruhigung hat ſich kundgetan. Gewiſſe Parteien oder
politiſche Perſönlichkeiten haben öffentlich ihren Wunſch bekundet, mit der Negierungs-
kommiſſion zuſammenzuarbeiten. Ein beſonders bezeichnender Schritt iſt bei dem
Präſidenten ſeitens der ehemaligen Deutſchen Volspartei erfolgt, die zu ihm gekommen
iſt mit der Erklärung, daß ſie eine neue Orientierung annähme, daß ſie ſich in Zu—
kunft auf den Boden des Friedensvertrags ſtelle, ihre Tätigkeit auf das Saargebiet
beſchränken werde und keine Beziehungen mehr zu Organiſationen unterhalten werde,
die ihren Sitz außerhalb des Beckens haben. Die Einſetzung der neuen Stadtver-
waltungen hat dem Präſidenten Gelegenheit gegeben, mit einer großen Zahl von
Bürgermeiſtern in Beziehung zu treten; bei allen Unterhaltungen, die er bei dieſer
Gelegenheit gehabt hat, hat der Präſident den ganz klaren Eindruck gewonnen, daß
eine Entfpannung in den Gemütern eingetreten iſt und die Autorität der Regierungs—
kommiſſion nicht mehr in Frage geſtellt iſt. |
Dieſe neue Sachlage hat der Regierungskommiſſion geftattet, Gnadenmaßnahmen
zu treffen. Die Liſte der Ausweiſungen, die von den Militärbehörden verfügt worden
waren, iſt von dem Präſidenten einer Nachprüfung unterzogen worden; viele Aus⸗
weiſungen ſind aufgehoben worden. Der kommandierende General der Truppen des
Saargebiets hat eine große Zahl von Perſonen, die durch das Kriegsgericht ver—
urteilt worden waren, begnadigt. Die Regierungskommiſſion hat in Abänderung
ihres früheren Beſchluſſes mit Rückſicht auf die Teuerung die Bezahlung der Streik—
tage an die Beamten und Arbeiter der öffentlichen Behörden genehmigt. ä
Maßnahmen, die weiter unten erwähnt ſind, zeigen, daß ſie der wirtſchaftlichen
Lage der Beamten Rechnung getragen hat und die Maſſe ihrer Untergebenen nicht
für die Manöver einiger Intriganten oder überſpannten Perſonen leiden laſſen wollte.
Trotz all ihres Wohlwollens hat aber die Kommiſſion einige Beamte, die fort—
fuhren, eine gefährliche Agitation zu unterhalten, namentlich unter dem Perſonal der
Poſt und Eiſenbahn, ihrer Urſprungsregierung wieder zur Verfügung ſtellen müſſen.
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So ſehr ſich die Regierungskommiſſion zu der Beruhigung, die ſoeben feſtgeſtellt
worden iſt, beglückwünſcht, gibt ſie ſich nicht einem übertriebenen Optimismus hin.
Sie weiß, daß dieſe verſöhnliche Stimmung nicht bei allen Bewohnern und ins—
beſondere nicht bei allen Beamten gleich tief und aufrichtig iſt. Sie verkennt nicht,
daß ein von außen kommendes Stichwort in einem gewiſſen Maße die Lage ver—
ändern kann.
Die Ereigniſſe des Monats Auguſt haben gezeigt, daß die Kommiſſion auf
ihrer Hut zu ſein verſteht. Trotzdem freut ſie ſich, heute feſtſtellen zu können, daß
ihre durch eine Probe befeſtigte Autorität ihr geſtattet, unter günſtigeren Bedingungen
das vor acht Monaten begonnene Werk fortzuführen. . . ...
Nr. 158.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker—
bundsrat vom 25. Januar 1921.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 2. Jahrgang, Heft 2, Seite 198 ff.)
(berſetzung.)
Politiſche Lage.
Die öffentliche Ordnung iſt während dieſer drei Monate (1. November 1920
bis 1. Februar 1921) in keinem Augenblick geſtört worden. Die Ruhe war vollkommen.
In politiſcher Hinſicht hat die in meinem letzten Bericht feſtgeſtellte Beruhigung
angehalten Die Beziehungen zwiſchen der Bevölkerung, den Beamten und der
Regierungskommiſſion ſind häufiger und ungezwungener geworden. Eine unmittel—
bare Zuſammenarbeit zwiſchen der Verwaltung und den gewählten Vertretern der
Bevölkerung iſt anläßlich des Unternehmens der Erſtellung billiger Wohnungen zu—
ſtande gekommen, wovon weiter unten die Rede ſein wird. Die Regierungskommiſſion
iſt einem Widerſtande faſt nur bei einer Saarbrücker ſozialiſtiſchen Zeitung begegnet,
die über gewiſſe Veränderungen in der Direktion des Unterrichtsweſens unzufrieden
iſt. Es ſcheint aber, daß hier mehr Perſonenfragen im Spiele ſind als Fragen
politiſcher Art. Dieſe Entſpannung hat dem Präſidenten der Regierungskommiſſion
geſtattet, eine große Zahl der Ausweiſungen rückgängig zu machen, die anläßlich der
Streikbewegung im Monat Auguſt v. J. von der Militärbehörde verfügt worden
en yy
Beamtenfrage.
Aus den vorhergehenden Berichten der Regierungskommiſſion kann man die
Schwierigkeiten verfolgen, denen ſie begegnete, als ſie, um den Gang der Verwal—
tung zu ermöglichen, die Beamten des Gebiets in ihren Dienſt übernehmen wollte.
Man erinnert ſich, daß ſie in ihrer Verordnung vom 16. März und in dem Beamten—
ſtatut vom 29. Juli 1920 ſich das Recht vorbehalten hatte, während einer Friſt
von 6 Monaten die Beamten ihren Urſprungsregierungen zur Verfügung zu ſtellen;
die Friſt ſollte laufen von dem Tage ab, an dem die mit Deutſchland bezüglich des
Übertritts dieſer Beamten aufgenommenen Verhandlungen beendet ſein würden.
Dieſer Beſchluß war auf den Antrag des ſaarländiſchen Mitgliedes der Kommiſſion
efaßt worden, um gerade im Intereſſe der Beamten das Recht der Regierungs—
ommiſſion, die Beamten zu ernennen und abzuberufen, zu mildern.
Immerhin hatte die Kommiſſion, um ihre wohlwollende Abſicht deutlich zu be—
tonen, ſich damit einverſtanden erklärt, daß die Beamten noch vor Ablauf dieſer
Friſt von 6 Monaten auf Antrag zur Eidesleiſtung zugelaſſen werden konnten und
daß ſie nach Ermächtigung zur Eidesleiſtung ihrer Urſprungsregierung nicht mehr
zur Verfügung geſtellt werden könnten. Nach der Auffaſſung der Regierungskom—
Ba
miffion handelte es ſich lediglich um Einzelanträge, die von jedem einzelnen Beamten
vorgebracht wurden.
Gegen Ende November haben nun die Beamten durch Vermittlung des Vor-
ſitzenden ihrer Vereinigung beantragt, gemeinſam zur Eidesleiſtung zugelaſſen zu werden.
Die Kommiſſion hat ihren Antrag reichlich erwogen; mit Rückſicht auf den fernen
Zeitpunkt, zu dem aller Wahrſcheinlichkeit nach die Verhandlungen mit Deutſchland
zu Ende kommen würden, hat ſie es für zweckmäßig gehalten, der Ungewißheit, in
der ſich die Beamten befanden, ein Ende zu machen. Demgemäß hat ſie beſchloſſen,
ſie insgeſamt zur Eidesleiſtung zuzulaſſen mit folgenden beiden Vorbehalten:
1. Sie weigerte ſich, zur Eidesleiſtung eine kleine Zahl von ihnen zuzulaſſen,
die ihr nicht die gewünſchten Bedingungen der Befähigung oder der Loyalität
zu erfüllen ſchienen; den in Rede ſtehenden Beamten hat ſie ihren Beſchluß
vor dem 15. Dezember mitgeteilt. |
2. Sie behielt ſich das Recht vor, Beamte nach Leiſtung des Eides zur Ver⸗
b fügung ihrer Urſprungsregierung zu ſtellen, wenn die Stellen, die ſie inne⸗
haben, aus Sparſamkeitsgründen eingezogen werden ſollten.
Vom 15. Dezember ab ſind alſo alle Beamten über ihr Los im Klaren geweſen;
die Zahl derer, die ihren Urſprungsregierungen zur Verfügung geſtellt wurden, war
ſehr klein und umfaßte beinahe nur höhere Beamte oder Bürgermeiſter. In Zukunft
werden die Beamten ihrer Stellung nur durch diſziplinariſche Maßnahmen nach Ver⸗
nehmung vor einem Diſziplinarhof enthoben werden können.
Die Beamten ſcheinen den Beſchluß der Regierungskommiſſion, der eine lange
Periode von Schwierigkeiten abſchließt, gewürdigt zu haben. Indem ſie den Eid geleiſtet
haben, haben ſie das Statut vom 29. Juli, deſſen Erlaß der Grund zu dem Streik
in den öffentlichen Behörden im Monat Auguſt v. J. geweſen war, angenommen. Es
mag hierbei hervorgehoben werden, daß nur ein einziger Beamter ſich geweigert hat,
den Eid zu leiſten. Die Beamtenfrage kann als erledigt betrachtet werden .......
Nr. 159.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saar⸗
| gebiet3 vom 31. März 1921.
Auswärtiges Amt.
Nr. II. S. G. 314. Berlin, den 31. März 1921.
Herr Präſident! |
Die Deutſche Regierung ſieht ſich, nachdem fie inzwiſchen eingehende Prüfungen
des ihr zugegangenen Materials vorgenommen hat, genötigt, auf die Vorkommniſſe,
die ſich im Herbſt 1920 zugetragen haben, zurückzukommen und insbeſondere zu den
damaligen Maſſenausweiſungen folgendes auszuführen:
Alsbald, nachdem Anfang Auguſt 1920 der verſchärfte Belagerungszuſtand im
Saargebiet verhängt worden war, gingen die franzöſiſchen Truppen dazu über, zahl—
reiche Verhaftungen, Hausſuchungen und Ausweiſungen vorzunehmen. Dieſe Maß⸗
nahmen erſtreckten ſich auf alle Schichten der Bevölkerung. Unter den Ausgewieſenen
befanden ſich Beamte, Richter, Rechtsanwälte, Pfarrer, Schulleiter, Lehrer und Lehre⸗
rinnen, Zeitungsverleger, Redakteure, Bürgermeiſter, Beigeordnete, Arzte, Apotheker,
Buchhändler, Kaufleute uſw. n
Bei den Ausweiſungen und Verhaftungen iſt nicht ſelten mit großer Härte vor⸗
gegangen worden. In vielen Fällen iſt den Ausgewieſenen nicht einmal ein ſchrift—
licher Haft⸗ oder Ausweiſungsbefehl vorgezeigt worden, auch hat ein Verhör nicht
ſtattgefunden. Soweit die Betroffenen ſchriftliche Ausweiſungsbefehle erhielten, waren
es Papiere, die einſchließlich der Unterſchrift des franzöſiſchen Generals im mecha-
niſchen Vervielfältigungsverfahren hergeſtellt waren und unterſchiedslos dahin lauteten,
— 241 —
daß der Betroffene als gefährliches und ordnungsſtörendes Element anzuſehen ſei und
auf das rechte Rheinufer ins unbeſetzte Gebiet ausgewieſen werde.
Es fällt ſchwer, über die Gründe der Ausweiſungen ein klares Bild zu ge—
winnen. Sicher iſt jedenfalls, daß bei der Mehrzahl der Ausgewieſenen keinerlei Zu—
ſammenhang mit der Arbeitseinſtellung der Beamten beſtand, denn ſie ſtanden dieſer
Bewegung völlig fern. Ferner iſt erwieſen, daß bei den Ausweiſungen Liſten ver-
wendet wurden, die ſchon im Jahre 1919 aufgeſtellt worden waren; beiſpielsweiſe
wurden in der Stadt Neunkirchen zwei Perſonen zwecks Ausweiſung geſucht, von
denen die eine ſchon ein Jahr tot und die andere ſchon vor einem halben Jahr ver—
gogen war. In einzelnen Fällen liegen auch amtliche Außerungen der Regierungs—
mmiſſion vor, in denen die Ausweiſung nicht etwa mit den Ereigniſſen im Monat
Auguſt, ſondern mit der Haltung des Betroffenen im Monat März 1920 be—
gründet wird.
Zwar hat die Regierungskommiſſion der Mehrzahl der Ausgewieſenen ſchon
nach wenigen Wochen die Rückkehr geſtattet, jedoch wartet eine nicht unbeträchtliche
Anzahl noch heute auf dieſe Erlaubnis. Anderen iſt die Rückkehr ausdrücklich ver⸗
weigert worden, ohne daß ſie die genauen Gründe dafür erfahren konnten. Über—
haupt hat die Regierungskommiſſion die Ausweiſung nicht kurzer Hand aufgehoben,
ſondern ſich die Prüfung jedes einzelnen Falles vorbehalten. Sie iſt alſo der Anſicht,
daß die Ausweiſungen rechtsgültig ergangen ſind, ja ſogar, daß ſie mit der Aufhebung
des Belagerungszuſtandes nicht von ſelbſt ihre Wirkſamkeit verloren haben.
Gerade gegen dieſen Standpunkt der Regierungskommiſſion muß die Deutſche
— 1 unter Berufung auf den Vertrag von Verſailles entſchieden Widerſpruch
erheben.
Die Ausweiſungen entbehren der Rechtsgrundlage, da fie dem auch im Saar-
yon geltenden Freizügigkeitsgeſetz widerſprechen. Auch der Belagerungszuſtand kann
er Regierungskommiſſion nicht das Recht geben, die ihrem Schutze anvertrauten
Perſonen aus dem geſamten, ihrer Regierung unterſtellten Gebiet auszuweiſen. Schon
die Übertragung der vollziehenden Gewalt an einen franzöſiſchen General war nach
dem Vertrag von Verſailles unzuläſſig, da die Aufrechterhaltung der Ordnung im
Saargebiet nach ausdrücklicher Beſtimmung des Vertrages nur durch eine örtliche
Gendarmerie, nicht aber durch franzöſiſche Truppen erfolgen darf. Endlich iſt auch
darauf hinzuweiſen, daß die Ausweiſungen nicht nur für das Saargebiet, ſondern
auch für das beſetzte Rheinland ausgeſprochen wurden, eine Zuſtändigkeitsüberſchreitung,
für die eine Erklärung nicht gefunden werden kann ).
Wichtiger als dieſe Feſtſtellungen iſt aber die Tatſache, daß die gen ip
und die Stellung, die die Regierungskommiſſion zu ihnen eingenommen hat, den
oberſten Grundſätzen widerſprechen, die im Vertrag von Verſailles für die Regierung
des Saargebiets feſtgelegt ſind. Im Vertrag von Verſailles heißt es an verſchiedenen
Stellen, daß die Rechte und das Wohlergehen der Bevölkerung ſichergeſtellt werden
ſollen. Der Deutſchen Regierung iſt zugeſichert worden, daß die im Vertrag vor—
geſehene Regierungsform ſorgfältig ausgearbeitet worden ſei, in der Abſicht, auch für
das Wohlergehen der Bevölkerung zu ſorgen, und daß in jeder Hinſicht die Inter—
eſſen der Bewohner ſichergeſtellt worden ſeien und ihre Lage verbeſſert werden ſolle.
enn die Regierungskommiſſion glaubt, gegen einzelne Perſonen wegen Gefährdung
der öffentlichen Ordnung vorgehen zu müſſen, ſo bieten ihr die beſtehenden Geſetze
) Der Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets hat im Auguſt 1920 die interalliierte
Rheinlandkommiſſion erſucht, den von der Regierungskommiſſion ausgewieſenen Individuen — »Agi—
tatoren, Anarchiſten, Streikſtifter ufw.« — die Aufenthaltserlaubnis auch für das beſetzte Gebiet zu verſagen.
Die interalliierte Rheinlandkommiſſion hat dieſem Erſuchen gegenüber den Standpunkt eingenommen, fie
könne ſich nicht verpflichten, ſämtliche aus dem Saargebiet ausgewieſenen Perſonen nicht im beſetzten
Gebiet zu dulden, ſei aber bereit, die einzelnen Falle zu prüfen, und bitte deshalb die Regierungs⸗
kommiſſion, ihr eine Liſte der ausgewieſenen Perſonen unter Angabe der Ausweiſungsgründe zugehen zu
laſſen (vgl. Nr. 152 und 153).
N
hierzu eine ausreichende Handhabe. Wenn fie aber die Ausweiſung von Bewohnern
des Saargebiets duldet und beſtätigt, fo verkehrt fie damit die ihr durch den Friedens—
vertrag geſtellte Aufgabe des Schutzes der Bevölkerung des Saargebiets und ihrer
Freiheiten in ihr Gegenteil. |
Aus dieſen Gründen legt die Deutſche Regierung feierlich und nachdrücklich Ver—
wahrung ein gegen die Haltung der Regierungskommiſſion in der Frage der Aus—
weiſungen.
Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker—
bundes zugehen laſſen.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. von Haniel.
An
die Regierungskommiſſion des Saargebiets,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren
Saarbrücken.
(Die Note iſt ohne Antwort geblieben.)
Nr. 160.
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 31. März 1921.
Auswärtiges Amt. i a 1 a
Nr. II 8 8 814 Berlin, den 31 März 1921.
Herr Generalſekretär!
Ich habe die Ehre, Ihnen anbei Abſchrift eines Schreibens zu übermitteln, das
ich an die Regierungskommiſſion des Saargebiets gerichtet und in dem ich namens
der Deutſchen Regierung Stellung genommen habe zu den Maſſenausweiſungen aus
dem Saargebiet.
Auch dem Völkerbunde gegenüber erhebt die Deutſche Regierung Einſpruch gegen
das Verhalten der Regierungskommiſſion des Saargebiets, das mit dem Vertrag von
Verſailles unvereinbar iſt. |
Ich bitte Sie, dieſes Schreiben und feine Anlage den Mitgliedern des Völker—
bundes zur Kenntnis zu bringen und eine Entſcheidung des Bundes zu den darin
berührten Fragen herbeizuführen.
Eine franzöſiſche Überſetzung dieſes Schreibens und der Anlage in je 50 Exemplaren
füge ich mit der Bitte um Verteilung an die Mitglieder des Völkerbundes bei.
Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung ).
gez. von Haniel.
An
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes,
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond,
NF OMG, . B.
Genf.
) Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 159 wiedergegebenen Note beigefügt worden.
. A
Nr. 161.
Note des Völkerbundes an die deutſche Regierung vom 24. Juni 1921.
(Überſetzung).
Völkerbund.
3/13495/11947. Genf, den 24. Juni 1921.
| Herr Miniſter!
Mit Beziehung auf mein Schreiben vom 8. April 1921 und auf Ihre Noten
vom 31. März 1921, betreffend die Ausweiſung von Einwohnern des Saarbeckens, habe
ich die Ehre, Ihnen anbei, entſprechend einem Beſchluß des Völkerbundsrats in ſeiner
Sitzung vom 20. Juni, eine Abſchrift des Berichtes über dieſe Frage zu überſenden,
der an dem genannten Tage vom Völkerbundsrat genehmigt worden iſt. Entſprechend
Ihrem Antrage werden Abſchriften der beiden Noten der deutſchen Regierung vom
31. März den Mitgliedern des Völkerbundes zur Information übermittelt werden.
Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. Erie Drummond,
Generalſekretär.
Seiner Exzellenz
dem deutſchen Miniſter des Auswärtigen,
Berlin,
Deutſchland.
Anlage.
(berſetzung.)
Völkerbund. Genf, den 22. Juni 1921.
Saarbecken.
Angebliche Maſſenausweiſungen von Einwohnern des Saargebiets.
Bericht, erſtattet von Herrn Wellington Koo, Vertreter Chinas, und
genehmigt vom Rat am 20. Juni.
J. Die deutſche Regierung erhebt in einem an den Generalſekretär gerichteten
Schreiben vom 31. März 1921 Einſpruch gegen Maſſenausweiſungen von Einwohnern
des Saargebiets; ſie erklärt, dieſe Ausweiſungen ſeien von den franzöſiſchen Militär—
behörden nach der Verhängung des Belagerungszuſtandes durch die Regierungs—
kommiſſion im Auguſt 1920 vorgenommen worden. Sie proteſtiert gleichfalls gegen
das mehreren ausgewieſenen Perſonen mitgeteilte Verbot der Rückkehr in das Gebiet
nach Aufhebung des Belagerungszuſtandes.
II. Die deutſche Regierung ſtützt ſich in rechtlicher Hinſicht auf folgende Gründe:
beſtätigt worden.
— MM —
b) Der Belagerungszuſtand als ſolcher kann die Ausweiſung aus dem gefamten
Saargebiet nicht rechtfertigen. Die Regierungskommiſſion hat ſogar die
Wirkſamkeit der Ausweiſungen auf die geſamten rheiniſchen Gebiete erſtreckt,
obwohl dieſe außerhalb des Bereichs ihrer Regierungsbefugniſſe liegen.
e) Die Übertragung der vollziehenden Gewalt auf einen franzöſiſchen General
iſt unvereinbar mit den ee des Vertrags von Verſailles, der
die Aufgabe der Aufrechterhaltung der Ordnung im Saarbecken lediglich
einer örtlichen Gendarmerie überträgt.
d) Die Ausweiſungen ſtehen im Widerſpruch zu der der Kommiſſion obliegenden
Pflicht, die Bevölkerung des Saargebiets und die ihr durch den Verſailler
Vertrag gewährleiſteten Freiheiten zu ſchützen.
Die deutſche Regierung behauptet ferner, bei den Ausweiſungen ſei mit ſehr
großer Härte verfahren worden, und die Mehrzahl der Perſonen, die auf dieſe Weiſe
ausgewieſen worden ſeien, hätten in keinerlei Beziehung zu dem Beamtenſtreik, dem
Anlaß für die Verhängung des Belagerungszuſtandes, geſtanden.
III. Der Präſident der Regierungskommiſſion teilt in einem Schreiben an den
Generalſekretär vom 11. Juni 1921 mit, daß er über dieſe Ausweiſungen bereits
in ſeinen Berichten vom 18. Auguſt und 25. Oktober 1920 Aufſchluß erteilt habe.
Der Bericht vom 18. Auguſt gibt eine genaue Darſtellung der Ereigniſſe
während des Beamtenſtreiks und der Maßnahmen, die von der Regierungskommiſſion
angeſichts der Sachlage getroffen worden ſind. In dem Bericht heißt es: »Während
des Streiks haben die für die Aufrechterhaltung der Ordnung mir zur Verfügung
geſtellten Garniſontruppen mich in wertvollſter und hingebendſter Weiſe unterſtützt.
General Briſſaud⸗Desmaillet, Befehlshaber der Truppen des Saargebiets, hat ſich in
ſtändiger Fühlung mit dem Präſidenten der Regierungskommiſſion gehalten und iſt
deſſen Ratſchlägen willfährig nachgekommen. Meinerſeits habe ich ihm volle Freiheit
gelaſſen, für die Ordnung durch die ihm geeignet erſcheinenden Mittel zu ſorgen.
Er hat geglaubt, Ausweiſungsbefehle gegen etwa 100 notoriſche Pangermaniſten
erlaſſen zu ſollen, faſt alles dem Saargebiet fremde Deutſche, die er für fähig hielt,
Agitation zu treiben.«
Der Bericht vom 26. Oktober (fünfter laufender Bericht der Kommiſſion) iſt
veröffentlicht im Amtsblatt des Völkerbundes, Jahrgang 1920, Nr. 8. Er enthält
eine zuſammenfaſſende Darſtellung des Beamtenſtreiks und erwähnt auch kurz die
von dem franzöſiſchen General angeordneten Ausweiſungen. |
IV. Wie auch in einem anderen hier vorgelegten Bericht über den Proteſt der
deutſchen Regierung gegen die Anweſenheit franzöſiſcher Truppen im Saargebiet aus⸗
geführt iſt, muß die Regierungskommiſſion diskretionäre Befugniſſe haben, die ihr
geſtatten, in dringlichen Fällen alle erforderlichen Maßnahmen für den Schutz von
Perſon und Eigentum im Saargebiet zu treffen. Natürlich muß unterſchieden werden
zwiſchen dem Belagerungszuſtand, der die Folge außergewöhnlicher Ereigniſſe iſt,
und dem Zuſtande nach der Rückkehr zu normalen Verhältniſſen. Der Rat könnte
den Wunſch ausdrücken, daß der Regierungskommiſſion anempfohlen wird, eine neue
Nachprüfung der Fälle vorzunehmen, in denen Ausweiſungsbefehle noch gegen irgend—
welche Perſonen in Kraft ſind, mit dem Ziele, dieſe Fälle auf die geringſtmögliche,
mit der Aufrechterhaltung der Ordnung im Saarbecken verträgliche Zahl zurückzu⸗
führen. Das Ergebnis jeder derartigen Nachprüfung, die einzeln für jede von dem
Aufenthaltsverbot noch betroffene Perſon vorzunehmen wäre, ſollte ſobald als mög-
lich dem Völkerbundsrat zur Information mitgeteilt werden. | |
V. Wenn der Rat den Schlußfolgerungen des vorliegenden Berichts zuſtimmt,
könnte er beſchließen, daß eine Abſchrift davon als Richtlinie der Regierungs⸗
kommiſſion des Saargebiets überſandt wird, ſowie eine weitere Abſchrift an die
deutſche Regierung in Beantwortung ihrer Note vom 31. März 1921.
XII.
Beteiligung der gewählten Vertreter der Bevölkerung
an der Regierung.
Nr. 162.
Die einſchlägigen Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles.
Teil III, Abſchnitt IV, Anlage zu Artikel 45 bis 50, Kapitel II.
8 23.
Die Geſetze und Verordnungen, die im Saarbeckengebiet am 11. November 1918
in Kraft waren, bleiben (abgeſehen von den mit Rückſicht auf den Kriegszuſtand
getroffenen Beſtimmungen) in Kraft.
Sollten aus allgemeinen Geſichtspunkten oder um dieſe Geſetze und Verordnungen
mit den Beſtimmungen des gegenwärtigen Vertrags in Einklang zu bringen, Ande—
rungen nötig werden, ſo werden dieſe durch die Regierungskommiſſion nach Anhörung
der gewählten Vertreter der Bevölkerung beſchloſſen und eingeführt. Über die Form
der Einholung dieſer Außerung entſcheidet die Kommiſſion .. . ..
$ 26.
Die Regierungskommiſſion hat allein das Recht, im Bereich des Saarbecken—
gebiets Steuern und Abgaben zu erheben.
Die Abgaben und Steuern ſind ausſchließlich für die Bedürfniſſe des Gebiets
zu verwenden.
Das Steuerſyſtem, das am 11. November 1918 beſtand, wird beibehalten, ſo—
weit die Verhältniſſe es geſtatten. Abgeſehen von Zöllen, darf keine neue Abgabe
ohne vorherige Befragung der gewählten Vertreter der Einwohner erhoben werden.
§ 28.
a Die Einwohner behalten unter der Überwachung der Regierungskommiſſion ihre
örtlichen Vertretungen, ihre religiöſen Freiheiten und ihre Sprache.
Das Wahlrecht darf für keine anderen als für die örtlichen Vertretungen aus—
geübt werden; es ſteht jedem über 20 Jahre alten Einwohner ohne Unterſchied des
Geſchlechts zu.
Nr. 163.
Erklärungen des Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saar⸗
gebiets an die Vorſtände der politiſchen Parteien über die Verfaſſung
des Saargebiets (Ende März 1920).
Zeitungsbericht.
Hinſichtlich der Verfaſſung gab der Präſident die Erklärung ab, daß die Re-
gierung in keiner Weiſe diktatoriſch auftreten wolle. Sofort nach den Wahlen ſolle
ein großer Regierungsbeirat gegründet werden, zu dem alle Kreiſe der Bevölkerung
herangezogen werden ſollen. Dieſer Regierungsbeirat hätte in allen wichtigen Fragen
ſein Gutachten abzugeben. Eine Verfaſſung könne erſt gegeben werden, wenn die
Verhältniſſe im Saarlande ſich reſtlos geklaͤrt haben würden.
—
Nr. 164.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets
an den Völkerbundsrat vom 1. Juli 1920.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, J. Jahrgang, Heft 6, Seite 372f.)
(berſetzung.)
„ e e ere ee Te.
Schluß.
Der Monat Juni bezeichnet das Ende der erſten Periode der Regierung des
Slaarbeckens durch die den Völkerbund vertretende Kommiſſion. Bisher iſt es nicht
möglich geweſen, die örtlichen Vertretungen zu berückſichtigen, die vor dem Kriege
auf Grund eines beſchränkten Wahlrechts gewählt worden waren und nicht als eine
Vertretung des Landes angeſehen werden konnten. Eine der erſten Sorgen der
Kommiſſion war es, eine Wahlordnung zu erlaſſen, deren Einzelheiten durch zwei
ſpätere Verordnungen feſtgelegt worden ſind.
Im Laufe des Monats Juni iſt die Aufſtellung der Liſten und die Vorbereitung
der Wahlhandlungen vorgenommen worden. Die Kommiſſion hat mit Befriedigung
feſtſtellen können, daß keine Schwierigkeit aufgetreten iſt, und daß die Reklamationen
außerordentlich ſelten geweſen ſind. Vor Ende Juli werden die Stadtverordneten—
verſammlungen und die Kreistage, die beide auf dem allgemeinen Wahlrecht beruhen,
begründet ſein. Der Wahlkampf iſt ſchon jetzt eröffnet; er geht unter vollkommener
Ruhe und Würde vor ſich, obwohl die Konkurrenz der verſchiedenen politiſchen Parteien
hitzig iſt; ſechs verſchiedene Liſten ſind in der Mehrzahl der Gemeinden aufgelegt
worden, und in Saarbrücken zählt man ſogar ſieben. Es ſind dies die erſten Volks—
befragungen, die im Saargebiet ſeit 1914 erfolgen; die Bevölkerung läßt es ſich ſehr
angelegen ſein, von den ihr zuerkannten öffentlichen Freiheiten Gebrauch zu machen.
Von Ende Juli ab wird die Regierungskommiſſion in der Lage ſein, gemäß den
SS 23 und 26 der Anlage zu Abſchnitt 4 (Teil III) des Friedensvertrags von Ver⸗
ſailles die örtlichen Vertretungen zu befragen; ſie wird auf dieſem Wege an den in
dem Gebiet geltenden Geſetzen und Verordnungen die Anderungen vornehmen können,
die unerläßlich erſcheinen, und ſich die Einnahmequellen erſchließen können, deren ſie
bedarf. Ihre Tätigkeit wird ſo einen neuen Charakter erhalten.
Nr. 165.
Eingabe der politiſchen Parteien an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets.
A Saarbrücken, den 19. Juli 1920.
n
die Regierungskommiſſion des Saargebiets,
Saarbrücken.
Die ſämtlichen politiſchen Parteien des Saargebiets beehren ſich, der Regierungs⸗
kommiſſion die nachſtehende Eingabe zu unterbreiten: ö
Nach § 23 Abſatz 2, § 26 Abſatz 3 Kapitel 2 der Anlage zu Abſchnitt IV des
Friedensvertrages ſind vor der Einführung von Geſetzen und Geſetzesänderungen,
ferner vor der Einführung neuer Steuern im Saargebiet die gewählten Vertreter der
Bevölkerung zu hören. |
Nachdem die Gemeinderatswahlen getätigt find, halten es die politiſchen Parteien
des Saarbeckens ohne Ausnahme für ihre Pflicht, der Regierungskommiſſion den
einmütigen Wunſch der Bevölkerung dahin kundzugeben, daß dieſe Vertreter un ver—
züglich gewählt werden. Der Herr Präſident hat auch bei der erſten Unterredung
— 247 —
mit Vertretern der politiſchen Parteien die baldige Einführung einer Volksvertretung
im Saargebiet in Ausſicht geſtellt.
Nach § 28 Kapitel II der Anlage zu Abſchnitt IV des Friedensvertrages ſteht
das Wahlrecht für dieſe Volksvertreter der geſamten Bevölkerung des Saargebiets
vom vollendeten 20. Lebensjahre ab ohne Unterſchied des Geſchlechts zu.
Die politiſchen Parteien richten an die Regierungskommiſſion das ergebene
Erſuchen, die Wahlen für die obenerwähnten Vertreter der Bevölkerung als allgemeine,
gleiche, geheime und direkte Wahlen nach dem Verhältniswahlſyſtem mit gebundenen
Liſten ſtattfinden zu laſſen. Das bei den Gemeinderatswahlen eingeführte Syſtem
der freien Liſten hat die Zuſtimmung der Bevölkerung nicht gefunden. Es bietet
nicht die geringſte Gewähr, daß die Kandidaten, welche von den Parteien als Ver—
treter gewünſcht werden, auch wirklich gewählt werden. Die politiſchen Parteien
ſprechen die Bitte aus, zu den nötigen Vorbeſprechungen für die neue Wahlordnung
zugezogen zu werden.
Für die Demokratiſche Partei:
gez. Köhl.
Für die Deutſchnationale Partei:
gez. Herrmann Heyne.
Für die Liberale Volkspartei:
gez. Gg. Schmidt.
Für die Sozialdemokratiſche Partei:
gez. V. Schäfer.
Für die Unabhängige Sozialdemokratiſche Partei:
gez. K. Schneider.
Für die Zentrumspartei:
gez. Dr. Jordans.
Nr. 166.
Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets
an die politiſchen Parteien.
(berſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 31. Juli 1920.
Der Staatsrat,
Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets
an
D e
Unterm 19. Juli 1920 richteten Mitglieder verſchiedener politiſcher Parteien
einen Brief an die Regierungskommiſſion mit der Bitte, die Wahl einer Volks—
vertretung im Saargebiet veranlaſſen zu wollen.
In ihrer Sitzung vom 28. Juli 1920 beſchäftigte ſich die Regierungskommiſſion
mit dieſer Angelegenheit und beauftragte mich, darauf folgende Antwort zu erſtatten:
»Gemäß Friedensvertrag von Verſailles, S 23 der Anlage zum Ab—
ſchnitt IV (Teil III), beſchließt die Regierungskommiſſion und nimmt an
den im Saargebiet geltenden Geſetzen und Verordnungen die nötig wer—
denden Anderungen vor nach Befragung der von der Bevölkerung gewählten
Vertreter in der von der Regierungskommiſſion vorgeſchriebenen Form.
Nach § 26 werden keine neue Abgaben, abgeſehen von den Zöllen, einge—
führt ohne vorheriges Befragen der von der Bevölkerung gewählten Ver
treter.
Die Regierungskommiſſion, der es zuſteht, zu beſtimmen, wie das
ſeitens der von der Bevölkerung gewählten Vertreter abgegebene Gutachten
17
a
entgegengenommen wird, hat angeordnet, daß bis auf weiteres die Kreis—
tage und die Stadtverordnetenverſammlung von Saarbrücken (für den
preußiſchen Teil des Gebietes), die Bezirkstage (für den bayeriſchen Teil)
zur Tagung aufgefordert werden würden, um in den Fällen, die die SS 23
und 26 der obengenannten Anlage des Friedensvertrages vorſehen, ihr Gut—
achten abzugeben. Die Mitglieder dieſer Volksvertretung — hervorgegangen
aus allgemeinen Wahlen — ſind Vertreter der ganzen Bevölkerung des
Gebietes. 8
Die Regierungskommiſſion wird durch Entgegennahme der Gutachten,
die rein beratender Natur find, die Vorſchriften des Friedensvertrages aus—
geführt haben. Sie behält ſich vor, ſpäter die Bildung einer beratenden
Volksvertretung zu erwägen, deren Zuſammenſetzung und Befugniſſe ſie
feſtſetzen würde.«
; gez. V. Rault.
Nr. 167.
Verordnung betreffend Volksvertretung.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 8
vom 7. Auguſt 1920.)
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion für das Saargebiet
an
die Herren Landräte von Merzig, Ottweiler, St. Wendel, Saarbrücken
und Saarlouis, an die Bezirksamtmänner von Homburg und
St. Ingbert, an den Herrn Bürgermeiſter von Saarbrücken.
Gemäß dem Friedensvertrag von Verſailles ſind die Anderungen, die an den
im Saargebiet geltenden Geſetzen und Verordnungen nötig werden, um ſie in Ein—
klang mit den Beſtimmungen des Friedensvertrags zu bringen oder aus anderen
Gründen im Allgemeinen »von der Regierungskommiſſion zu beſchließen und aus⸗
zuführen, nachdem die von der Bevölkerung gewählten Vertreter in der von der
Regierungskommiſſion vorgeſchriebenen Form ihr Gutachten abgegeben haben« (§ 23
der Anlage, Abſchnitt 4, Teil 3). Anderſeits $ 26 »wird keine neue Abgabe, ab-
geſehen von Zöllen, eingeführt, ohne vorheriges Befragen der von der Bevölkerung
gewählten Vertreter «.
| Es geht daraus hervor, daß die geſetzgebende Macht, ſogar was die Steuern
anbetrifft, der Regierungskommiſſion zuſteht; letztere muß jedoch, bevor ſie an der
beſtehenden Geſetzgebung Anderungen vornimmt, die gewählten Vertreter der Be⸗
völkerung anhören. Deren Gutachten iſt rein beratender Natur und bindet keineswegs
die Regierungskommiſſion Es ſteht letzterer zu, zu beſtimmen, wie das ſeitens der
gewählten Vertreter der Bevölkerung abgegebene Gutachten entgegengenommen wird.
In Ausführung dieſer Vorſchrift des Friedensvertrags hat die Regierungskommiſſion
am 28. Juli 1920 angeordnet, daß bis auf weiteres die Kreistage und die Stadt⸗
verordneten⸗Verſammlung von Saarbrücken (was den preußiſchen Teil anbetrifft), die
Bezirkstage (was den bayeriſchen Teil anbetrifft) tagen ſollen in den Fällen, die die
genannten SS 23 und 26 der Anlage vorſehen. Die Mitglieder dieſer Volksvertretung
— aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen — ſind tatſächlich gewählte Vertreter
der ganzen Bevölkerung. Die Regierungskommiſſion hat auch folgendermaßen feſt⸗
geſetzt, wie das Gutachten der Volksvertreter eingeholt wird.
Die Angelegenheiten, in denen die Regierungskommiſſion die Anſicht der von der
Bevölkerung gewählten Vertretern erfahren will, werden unter Darlegung der Gründe
durch den Generalſekretär der Regierungskommiſſion den Herren Landräten und Be⸗
zirksamtmännern ſowie dem Herrn Bürgermeiſter von Saarbrücken unterbreitet.
Letztere berufen innerhalb 14 Tagen ſpäteſtens die gewählten Vertreter zu einer N
2 Sitzung, in der ſie den Vorſitz führen, und geben den Mitgliedern voll und ganz
Kenntnis von allen ſeitens der Regierungskommiſſion gemachten Vorſchlägen mit
ihrer Begründung.
Die Kreistage bzw. die Bezirkstage und die Stadtverordnetenverſammlung von
Saarbrücken beraten über dieſe Vorſchläge. Der Beſchluß wird in einem Protokoll
niedergelegt, der die Meinungen und Anſichten der Redner, die an der Sitzung teil—
nahmen, zuſammenfaßt, auch das Ergebnis der im Anſchluß daran erfolgten Ab—
ſtimmung aufweiſt, fo daß die Regierungskommiſſion Kenntnis nehmen kann von
den Wünſchen, Einwendungen und Anſichten, die ausgeſprochen werden auf Grund
der von ihr gemachten Vorſchläge.
Das Protokoll, verſehen mit der Unterſchrift des Vorſitzenden, wird ſofort dem
Generalſekretariat der Regierungskommiſſion übermittelt. Es dürfen keine 3 Wochen
> verſtreichen zwiſchen dem Tag, an dem die Vorfchläge den Herren Landräten, Be—
r und dem Bürgermeiſter von Saarbrücken zugegangen ſind, und der
bergabe der Protokolle an das Generalſekretariat. Nach Ablauf der 3 Wochen
hält die Regierungskommiſſion die Befragung, wie ſie der Friedensvertrag vor—
ſieht, für erfolgt.
Saarbrücken, den 25. Juli 1920.
Im Namen der Regierungskommiſſion.
Der Präſident
V. Rault, Staatsrat.
Nr. 168.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker—
bundsrat vom 25. Oktober 1920.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 8, Seite 67ff.)
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Das öffentliche Leben im Saargebiet.
Die Wahlen. Eine der erſten Sorgen der Regierungskommiſſion war die Ver—
kündung einer Wahlordnung, um den Wiederzuſammentritt der örtlichen Vertretungen
zu ermöglichen.
Die Wahlen haben am I. Juli für die Stadtverordneten-Verfammlungen und
am 18. Juli für die Kreistage (im preußiſchen Teil des Saargebiets) und die Be—
zirkstage (im bayeriſchen Teil) ſtattgefunden.
Die Wahlen haben ſich in vollkommener Ruhe abgewickelt. Kein Zwiſchenfall
iſt gemeldet worden, und die Zahl der Beanſtandungen war geringfügig. Es ſcheint,
daß im allgemeinen die Bevölkerung mit der Art der Befragung der Wähler und
mit den zur Sicherung der Ordnungsmäßigkeit und des Wahlgeheimniſſes getroffenen
Maßnahmen zufrieden geweſen iſt.
Sie hat es ſich ſehr angelegen ſein laſſen, an der Wahl teilzunehmen. Die
Beteiligung betrug mehr als 80 v. H. der eingetragenen Wähler bei den Stadt—
verordnetenwahlen und mehr als 67 v. H. bei den Wahlen für die Kreis- und
Bezirkstage; es ſind dies beträchtliche Verhältniszahlen, wenn man ſich vergegen—
wärtigt, daß alle mehr als 20 Jahre alten Bewohner ohne Unterſchied des Geſchlechts
in die Wahlliſten eingetragen worden waren.
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(folgen Angaben über die prozentuale Verteilung der abgegebenen
Stimmen auf die verſchiedenen Parteien)
Bekanntlich geſtattet das Wahlgeſetz allen Bewohnern des Gebiets ohne Unter⸗
ſchied der Staatsangehörigkeit an den Wahlen teilzunehmen unter gewiſſen Bedin—
gungen bezüglich des Wohnſitzes. Einige Bewohner mit anderer als der deutſchen
Staatsangehörigkeit ſind in den Kreistag von Saarlouis und in verſchiedene Stadt—
verordneten-Verſammlungen gewählt worden.
Die am 11. und 18. Juli gewählten Verſammlungen ſind im Laufe des Monats
Auguſt zuſammengetreten. Der mit den Angelegenheiten des Innern betraute Präſident
der Kommiſſion hat faſt immer die Wahl der Stadtverordneten⸗Verſammlungen ge-
nehmigt. Die Bildung der Stadtverwaltung von Saarbrücken hat indes einige
Schwierigkeiten hervorgerufen, die kurz angegeben zu werden verdienen.
Die verſchiedenen po litiſchen Parteien haben ſich nicht auf eine gemeinſame Lifte
geeinigt; eine Koalition der ſozialiſtiſchen Parteien und der Arbeitsgemeinſchaft!) hatte
einen Magiſtrat gewählt, dem kein Vertreter des Zentrums angehörte, obwohl dieſes
die zahlreichſte Gruppe der Stadverordneten-Verſammlung bildet; außerdem wurde der
Kandidat der unabhängigen ſozialiſtiſchen Partei durch ein Manöver zu Fall gebracht
zugunſten eines anderen Angehörigen dieſer Partei, der tags darauf in das Lager der
Sozialdemokraten übertrat, mit denen er ſich im voraus geeinigt hatte. Endlich hätte
ſich in dem Magiſtrat eine dem Saargebiet fremde Perſon befunden, die während
des Streiks ausgewieſen worden war.
Die Stadtverordneten-Verſammlung wollte dieſen rein politiſchen Magiſtrat für eine
Zeit von 12 Jahren ernennen laſſen, während ihr eigenes Mandat nach 3 Jahren
erliſcht.
Sie hätte auf dieſe Weiſe ihren Nachfolgern einen politiſchen Magiſtrat auf⸗
gezwungen, der vielleicht deren Gefühlen nicht entſprochen hätte.
Der Präſident hat es im Einvernehmen mit der Regierungskommiſſion abgelehnt,
den Magiſtrat für eine längere Zeit als 3 Jahre, die Dauer des Mandats der
Stadtverordneten⸗Verſammlung, zu beſtätigen; er hat erklärt, daß er der Ernennung
eines Berufsbürgermeiſters und Berufsbeigeordneten für eine längere Dauer die Ge-
ee erteilen werde, daß er aber im Intereſſe einer guten Verwaltung und um
die Möglichkeit eines Konfliktes zu vermeiden, nicht den künftigen Stadtverordneten⸗
Verſammlungen einen Magiſtrat aufzwingen könne, der von einer politiſchen Augen
blickskoalition gewählt ſei. Mit dieſer Entſcheidung wußte ſich der Präſident im
Einklang mit den Wünſchen der öffentlichen Meinung. Die Stadtverordneten-Ver-
ſammlung hat noch keine neuen Wahlen vorgenommen, aber der Präſident hat das
Gefühl, daß ine Einwendungen verſtanden worden find?).
5 0. 5 die demokratisch liberale Arbeitsgemeinſchaft.
2) Das Nähere über dieſe Angelegenheit iſt erſichtlich aus nachſtehendem, in der Preſſe des Saar⸗
gebiets veröffentlichten Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets:
Regierungskommiſſion des Saargebiets. l
Direktion des Innern und Präſidialbüro. Saarbrücken, den 2. Oktober 1920,
Nr. 10 Jr. WER
An
den Herrn kommiſſariſchen Bürgermeiſter Hobohm,
Saarbrücken.
Der Antrag auf Beſtätigung der in der Sitzung des Gemeinderats vom 31. Auguſt 1920 voll⸗
zogenen Wahl des Bürgermeiſters und der Beigeordneten der Stadt Saarbrücken gibt zu folgenden ſchweren
Bedenken Anlaß:
Die Wahl iſt erfolgt auf die Dauer von 12 Jahren, und zwar mit Beſoldung. Wenn die Städte⸗
ordnung für die Rheinprovinz auch den Stadtverordneten-Verſammlungen ohne Einſchränkung geſtattet,
beſoldete Bürgermeiſter und Beigeordnete auf die Dauer von 12 Jahren zu wählen, ſo wurden doch
A derartige Amter weniger auf Grundlage politiſchen Einfluſſes, wie auf Grund von Fachkenntniſſen
übertragen.
Es liegt mir fern, die perſönlichen Verdienſte der von der Stadtverordnetenverſammlung Gewählten
in Zweifel zu ziehen, es ſteht indeſſen nach dem Begleitbericht vom 8. 1 1920 feſt, daß ſich die
Die Regierungskommiſſion hat die Vornahme der Wahlen um fo mehr be-
ſchleunigt, als die Mitarbeit der örtlichen Vertretungen ihr für eine erſprießliche
Fortführung ihres Regierungswerks unerläßlich war.
Der Friedensvertrag von Verſailles beſtimmt, daß die erforderlich ſcheinenden
Anderungen der am 11. November 1918 im Saarbeckengebiet geltenden Geſetze
und Verordnungen durch die Regierungskommiſſion beſchloſſen und eingeführt werden
ſollen nach Befragung der gewählten Vertreter der Bewohner, wobei die Kommiſſion
über die Art dieſer Befragung beſchließen ſoll. Er beſtimmt weiter, »daß keine
neuen Abgaben, abgeſehen von Zöllen, ohne . Befragung der gewählten
Vertreter der Bewohner erhoben werden dürfen« (SS 23 und 26 der Anlage zu
Abſchnitt IV, Teil III). |
Die Regierungskommiſſion konnte nicht länger darauf verzichten, die Anſicht der
gewählten Vertreter der Bevölkerung einzuholen. Die beſondere Lage des Beckens
und der Zuſtand ſeiner Finanzen forderte binnen kurzer Friſt die Beſchlußfaſſung
über gewiſſe geſetzgeberiſche Maßnahmen und über die Erhebung neuer Abgaben.
| Die Regierungskommiſſion war immerhin einſtimmig der Anſicht, daß es für
den Augenblick unzweckmäßig ſei, eine einzige Vertretung einzuberufen. Es iſt ihr,
um den Geiſt des Vertrags zu achten, vraktiſcher erſchienen, die Kreis- und Bezirks—
tage und die Stadtverordneten-Verſammlung von Saarbrücken, welch letztere für die
Stadt Saarbrücken die Aufgabe eines Kreistages wahrnimmt, dazu zu berufen, ihre
Anſicht über die Entwürfe, die die Regierung unterbreiten wird, abzugeben. Gewiſſe
politiſche Parteien haben dieſen Beſchluß bedauert und die unverzügliche Einberufung
eines ſaarländiſchen Parlaments verlangt. Mit Rückſicht auf die Geiſtesverfaſſung
eines Teils der Bevölkerung und auf den damals von einigen ihrer Wortführer be—
kundeten Willen, keine Mitarbeit mit der Regierung zuzugeſtehen, konnte die Regierung
über dieſe Forderung nur hinweggehen. Sie behält ſich vor, ſpäter zu prüfen, unter
welchen Bedingungen es ihr möglich ſein wird, eine Vertretung einzuberufen, die in
fruchtbarer Weiſe gefragt werden kann.
Im Monat Auguſt ſind die erwähnten Vertretungen über die Verlängerung des
deutſchen Geſetzes vom April 1919, durch das eine Kohlenſteuer geſchaffen worden
war, befragt worden. Dies Geſetz erloſch mit dem 31. Juli 1920. Die Erfahrung
hat gezeigt, daß das von der Kommiſſion eingeſchlagene Verfahren der Sachlage
genügend Rechnung trug und in der Ausführung zu keinerlei Schwierigkeiten Anlaß
ot, zugleich aber der Regierung ermöglichte, über die Wünſche und Gefühle der
Bebölkerung genau unterrichtet zu werden.
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Parteien bei dieſer Wahl im weſentlichen durch politiſche Erwägungen leiten ließen. Würde die Regierungs—
kommiſſion eine derartige Wahl für 12 Jahre beſtätigen, ſo könnte ihr dieſerhalb mit Recht der Vor—
wurf gemacht werden, daß die politiſche Lage nach Ablauf des Mandats der derzeitigen Stadtverordneten—
verſammlung nicht vorausſehbar iſt, und daß fie zwiſchen dem jetzt beftätigten Magiſtrat und der künf—
tigen Stadtverordnetenverſammlung zum ſchweren Schaden für das allgemeine Wohl zu Konflikten Anlaß
geben knnte.
b Bei der Beratung der neuen Wahlgeſetze wurde den Vertretern der politiſchen Parteien mitgeteilt,
daß die Regierungskommiſſion mit Rückſicht auf die eingetretene Umwälzung die Wahldauer zunächſt auf
die Dauer von 3 Jahren beſchränken müſſe, um der Bevölkerung in ruhigerer Zeit Gelegenheit zu geben,
ihren Willen erneut zum Ausdruck zu bringen. Unter dieſen Umſtänden würde die Regierungskommiſſion
mit ſich ſelbſt in Widerſpruch geraten, wenn ſie die Wahl von politiſchen Magiſtratsperſonen für eine
darüber hinausgehende Zeitdauer beſtätigte. Es konnte daher für die zu Magiſtratsperſonen Vor—
beschlagen nur eine Beſtätigung für die Dauer von 3 Jahren in Frage kommen.
ie Wahl des Herrn Thamerus kann jedoch keinesfalls beſtätigt werden, ſowohl mit Rückſicht
darauf, daß er infolge ſeiner bisherigen Haltung ungeeignet erſcheint, wie auch, daß ſeine Wahl die
Folge einer unklaren Sachlage war.
Ich bemerke noch, daß der Beigeordnete Sartorius weder in der Lage iſt, noch künftig in der Lage
fein wird, fein Amt wieder zu übernehmen. Seine Ausweiſung, die durch die Militärbehörde kraft der
ihr zustehenden Befugniſſe erfolgte, kann nicht rückgängig gemacht werden. Es wird daher auch im
Hinblick auf die Beſetzung ſeiner Stelle eine Wahl ſtattfinden müſſen.
Ich erſuche ergebenſt, die Entſcheidung der Stadtverordnetenverſammlung bei ihrer nächſten Sitzung
zur Kenntnis zu bringen.
Der Präjident der Regierungskommiſſion:
gez. V. Rault, Staatsrat.
Nr. 169.
Statiſtiſche Angaben über die den Kreis⸗ und Bezirkstagen und der
Stadtverordneten⸗Verſammlung Saarbrücken vorgelegten Entwürfe.
1. Bis zum Monat Auguſt 1920 find alle Verordnungen der Regierungskommiſſion
ohne Befragung der Kreis- und Bezirkstage und der Stadtverordneten-Verſammlung
Saarbrücken erlaſſen worden. Unter dieſen Verordnungen ſind als wichtigere, das
geltende Recht abändernde hervorzuheben: 8
a) Verfügung vom 16. März 1920, betreffend die Beamten im Saargebiet;
b) Wahlordnung für die Gemeinde- und Kreistags-(Bezirkstags⸗) Wahlen im
Saargebiet, vom 29. April 1920; 5 |
e) Verordnung, betreffend die Sicherung des Eiſenbahnbetriebs, vom 23. April
1920 (Verhängung des Belagerungszuſtandes zwecks Sicherung der Verbin⸗
dungen der interalliierten Heere auf den Eiſenbahnen des Saargebiets);
d) Verordnung, betreffend die Sicherſtellungen von Wohnungen für im öffent⸗
lichen Dienſt ſtehende Perſonen, vom 7. Mai 1920; |
e) Verordnung, betreffend die franzöſiſche Gendarmerie, vom 7. Juli 1920;
f) zwei Verordnungen über die Schulen der Bergverwaltung, vom 10. Juli 1920;
g) Verordnung, betreffend die Wahl der Bürgermeiſter, Beigeordneten und
Gemeindevorſteher ſowie die Errichtung von Ausſchüſſen in den Kreis- und
Bezirkstagen, vom 29. Juli 1920; |
h) Verordnung, betreffend Erhebung einer Gebühr im Güterverkehr, vom
15. Juli 1920; | |
i) Verordnung, betreffend die Errichtung von Verwaltungsgerichten für das
| Saargebiet, vom 28. Juli 1920;
k) Verordnung, betreffend das Beamtenſtatut, vom 29. Juli 1920.
2. In der Zeit vom Auguſt 1920 bis Juli 1921 ſind folgende 20 Entwürfe
vorgelegt worden: |
a) Verordnung, betreffend Kohlenſteuer, vom 11. September 1920; von den
Kreistagen uſw. angenommen;
b) Verordnung, betreffend öffentliche Tanzluſtbarkeiten; von den Kreistagen ab⸗
gelehnt und nicht eingeführt; |
e) Verordnung, betreffend Erhöhung der Schaumweinſteuer, vom l. Dezember 1920;
d) Verordnung, betreffend Erhöhung der Spielkartenſteuer, vom 1. Dezember 1920;
e) Verordnung, betreffend Inkrafttreten des Tabakſteuergeſetzes vom 12. Sep⸗
tember 1919, vom 1. Dezember 1920;
f) Verordnung, betreffend Erhebung indirekter Steuern bei der Einfuhr von
Waren ins Saargebiet, vom 1. Dezember 1920 |
zu ec bis f: von den Kreistagen ufw. abgelehnt (mit der Begründung,
daß kein Budget vorgelegt ſei, und daß keine indirekten Steuern vor di⸗
rekten bewilligt werden könnten), trotzdem eingeführt; |
g) Verordnung, betreffend die Einführung der Reichsabgabenordnung im Saar-
gebiet, vom 1. Dezember 1920; von den Kreistagen uſw. abgelehnt, trotzdem
eingeführt; | SR
h) Verordnung, betreffend Errichtung eines Wohnungsbauverbandes, vom 30. No⸗
vember 1920; von den Kreistagen uſw. angenommen ; ;
i) Verordnung, betreffend Beſteuerung des Gewerbes im Umherziehen, vom
15. Februar 1921; von den Kreistagen ufw. abgelehnt, trotzdem eingeführt
(der Kreistag Saabrücken hatte hierbei folgenden Beſchluß gefaßt: »Der
Kreistag ſieht ſich außerſtande, ein Gutachten über Steuerfragen abzugeben,
weil die bisherigen diesbezüglichen Gutachten der Kreistage des Saargebiets
und der Saarbrücker Stadtverordneten-Verſammlung nicht beachtet worden
find und weil noch kein Haushaltsplan vorgelegt ift«);
k) Verordnung, betreffend Einführung der Reichsverordnung vom 5. Januar 1919
über Vereinfachung des Enteignungsverfahrens; von den Kreistagen uſw.
angenommen;
J) Gebührenordnung für Hebammen, vom 24. Mai 1921; von den Kreis—
tagen uſw. angenommen;
m) Verordnung zur Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs; von den Kreistagen
uſw. angenommen,
n) Verordnung, betreffend Abänderung des preußiſchen Kommunalabgaben—
geſetzes, vom 13. Juli 1921; von den Kreistagen uſw. angenommen;
0) Verordnung, betreffend einheitliche Regelung der Beamtenbeſoldung; von den
Kreistagen uſw. mit gewiſſen Einſchränkungen angenommen;
p) Verordnung, betreffend Abänderung des preußiſchen Geſetzes vom 26. April 1872
über die Erhebung von Marktſtandgeld, vom 17. Juli 1921; von den Kreis-
tagen uſw. angenommen;
q) Verordnung, betreffend die Eigenſchaft als Saareinwohner, vom 15. Juni 1921;
von den Kreistagen uſw. abgelehnt, trotzdem eingeführt;
r) Verordnung, über die öffentliche Trunkenheit; von den Kreistagen uſw. ab—
gelehnt, nicht eingeführt.
s) Verordnung, betreffend das Verabfolgen und den Verkauf von Branntwein,
Spiritus, Likören und anderen alkoholiſchen Getränken, vom 13. Juli 1921;
von den Kreistagen uſw. angenommen; 5
t) Verordnung, betreffend Zuſammenfaſſung und Ergänzung der Maßnahmen
zur Bekämpfung der Wohnungsnot, vom 13. Juli 1921; die Kreistage uſw.
haben ſich zum Teil der Stellungnahme enthalten.
u) Verordnung, betreffend Abänderung der Juſtizgeſetze und verſchiedener anderer
Geſetze, vom 2. Auguſt 1921; von den Kreistagen uſw. abgelehnt, trotzdem
eingeführt.
3. Eine große Anzahl rechtsändernder Verordnungen iſt auch in der Zeit von
Auguſt 1920 ab ohne Befragung der Kreistage uſw. erlaſſen worden. Wichtigere
Verordnungen dieſer Art find z. B.:
a) Verordnung, betreffend das Geſetz über den Perſonenſtand und die Be—
kämpfung der Geſchlechtskrankheiten, vom 15. Oktober 1920;
b) Verordnung, betreffend Zentralwohnungskommiſſion, vom 16. Oktober 1920;
e) Verordnung, betreffend Abänderung des preußiſchen Einkommenſteuergeſetzes,
vom 8. Dezember 1920;
d) Verordnung, betreffend die perſönlichen Volksſchullaſten, vom 24. November 1920;
e) Verordnung, betreffend Beſchlagnahme und Räumung von Wohnungen für
die ſaarländiſchen Beamten, vom 15. Februar 1921;
f) Verordnung, betreffend die Einnahme der Eiſenbahn- ſowie Poſt- und Tele—
graphenverwaltung in Franken, vom 16. März 1921;
g) Verordnung, betreffend Aufſtellung der Bilanz (Abänderung des § 40 Abſ. 1
des Handelsgeſetzbuchs), vom 5. März 1921;
h) Verordnung, betreffend Kohlenſteuer, vom 6. April 1921 (Herabſetzung der
Steuer von 20 auf 10 v. H., vgl. 2a);
i) Verordnung, betreffend Abtretung von Grundſtücken an den franzöſiſchen
Staat, vom 16. März 1921;
k) Verordnung, betreffend Erhöhung der Branntweinſteuer, vom 2. Mai 1921;
J) Verordnung, betreffend Erhebung eines Zuſchlags von 200 v. H. auf die
Beſitzſteuer, vom 8. Juni 1921;
m) Verordnung, betreffend die Zuſtändigkeit der Gerichte über Zivil- und
Militärperſonen, vom 28. Juni 1921.
N
XIII.
Wirtſchafts⸗- und Währungsfragen.
Nr. 170.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗
bundsrat vom 1. Juni 1920.
(Vgl. Journal Offieiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 5, S. 277f.)
(berſetzung.) |
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Wahrſcheinliche Einführung des Franken bei den Kohlengruben.
Die Induſtriellen des Saargebiets ſind von einer Unruhe anderer Art ergriffen.
Es iſt das Gerücht aufgetaucht, daß die franzöſiſchen Staatsgruben, deren Ausbeutung
durch die unvermittelten Schwankungen des Markkurſes in beſonderer Weiſe erſchwert
wird, beſchloſſen hätten, von den Rechten, die ihnen der § 32 der Anlage des Ver—
trags zuerkennt, Gebrauch zu machen und ſich des franzöſiſchen Geldes für alle ihre
Einkäufe und Zahlungen zu bedienen. Die Zahlung der Löhne in Franken iſt übrigens
von den ſozialiſtiſchen Gewerkſchaften der Bergleute gefordert worden. Abgeſehen
von den Kohlengruben ſcheinen aber alle Induſtrien, insbeſondere die Hütteninduſtrie,
ſowie die große Mehrheit der Bevölkerung die Folgen einer Einführung des Franken
zu befürchten.
Die Regierungskommiſſion kann natürlich die franzöſiſchen Gruben nicht daran
hindern, von einem Recht Gebrauch zu machen, das ihr die formelle Beſtimmung
eines Artikels des Vertrags zugeſteht. Falls es zutreffen ſollte, daß dieſe Verwaltung
die Abſicht hat, ſich in Zukunft ausſchließlich des franzöſiſchen Geldes zu bedienen,
wird die Kommiſſion ſich bemühen, durch geeignete Maßnahmen den Bewohnern des
Saargebiets die Kriſis zu erſparen, die ſie zu befürchten ſcheinen Sie hat gleichwohl
eine ſehr klare Vorſtellung von den Schwierigkeiten, die ſie für dieſen Fall erwarten
müßte. Sie weiß, daß der Umlauf des Franken im Saarbecken nicht nur berechtigte
Intereſſen, wie die der Kleinrentner und der Penſionsempfänger gefährden, ſondern
auch politiſche Widerſtände hervorrufen wird; ſie verkennt nicht, daß man verſuchen
wird, bei dieſer Gelegenheit Proteſtkundgebungen hervorzurufen, vielleicht einen General—
ſtreik der Hüttenarbeiter und ſogar einen Teilſtreik der Bergleute.
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Nr, Lil,
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den
Völkerbundsrat vom 1. Juli 1920.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 6, S. 369f.)
(Überſetzung.)
Streik der Hüttenarbeiter.
Seit der Zeit, in der die Regierungskommiſſion die Regierung übernommen
hat (26. Februar), konnte fie mit Befriedigung feſtſtellen, daß kein Streik in dem
Gebiete ausgebrochen war. Am 25. Juni haben aber die Arbeiter eines der wich—
tigſten Stahlwerke des Saarbeckens unvermittelt die Arbeit niedergelegt ihr Beiſpiel
iſt faſt in allen Hüttenwerken befolgt worden und zu der Stunde, in der der vor⸗
liegende Bericht verfaßt wird, iſt der Streik ziemlich allgemein in dieſem Induſtriezweig.
— 255 —
Es erſcheint zweckmäßig, die Geſchichte dieſes Streiks und ſeiner Entſtehung
einem ſpäteren Bericht vorzubehalten, ebenſo die Fingerzeige, die er der Regierungs—
kommiſſion für die Zukunft gibt. Heute wird es genügen feſtzuſtellen, daß die
Haltung der Arbeiter bis jetzt vollkommen einwandfrei ift, und daß trotz der hohen
Zahl der Streikenden (mehr als 40 000) die öffentliche Ordnung nirgends geſtört
worden iſt.
Der mit den Angelegenheiten des Innern, der Induſtrie und des Arbeitsweſens
betraute Präſident der Kommiſſion hat die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um
die Arbeitsfreiheit ſicherzuſellen und jedem Zwiſchenfall entgegenzutreten. Er hat
nicht unterlaſſen, ſich mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganiſationen in Ver—
bindung zu ſetzen, um nach Möglichkeit die Löſung eines Konfliktes zu beſchleunigen,
der ſchon durch ſeinen Umfang den Wohlſtand des Landes gefährdet. |
Einführung des Franken bei den Kohlengruben.
Einer der Gründe, den die Hüttenarbeiter bei ihrer Arbeitseinſtellung vorgebracht
haben, war der in ihren Augen zu beträchtliche Unterſchied, der zwiſchen ihrem Lohn
und dem Lohn beſteht, der vom 1. Juli ab den Bergleuten des Saarbeckens gezahlt
werden ſoll.
Die franzöſiſchen Staatsgruben haben, indem ſie Gebrauch machten von dem
Recht, das ihnen der § 32 der Anlage zu Abſchnitt 4 (Teil III) des Vertrags von
Verſailles zugeſteht, nach vorheriger Verſtändigung der Regierungskommiſſion von
ihrer Abſicht beſchloſſen, ihr geſamtes Perſonal in Franken zu bezahlen und all ihre
Geldgeſchäfte in Franken abzuwickeln. Dieſer Beſchluß hat die Regierungskommſſion
nicht überraſcht; ihr letzter Bericht beweiſt, daß ſie mit dieſer Möglichkeit gerechnet
hatte. Indem die franzöſiſchen Staatsgruben für die Lohnzahlung die Mark durch
den Franken erſetzt haben, haben ſie den Wünſchen der Mehrheit ihrer Arbeiter, die
den ſozialiſtiſchen Gewerkſchaften angehören, ſtattgegeben. Sie haben ohne Schwierig—
keit neue Lohntarife aufgeſtellt, die nach dem Beiſpiel der Tarife ausgearbeitet wurden,
die in den an das Saargebiet angrenzenden Kohlengruben von Franzöſiſch-Lothringen
in Geltung ſind. Die Arbeiter unter Tage werden 23 Franken, die Arbeiter über
Tage 20,50 Franken erhalten. Bisher erhielten ſie 51 und 45 Mark. Nach dem
gegenwärtigen Wechſelkurs entſprechen ihre Frankenlöhne Beträgen von 69 und
61,50 Mark. Der den Arbeitern zufallende Vorteil iſt alſo bemerkenswert.
Dieſe Einführung des Franken bei den Gruben, die demnächſt die Kohlen an
die ſaarländiſchen Verbraucher in Franken verkaufen und ſich des Franken bei all
ihren Verträgen bedienen werden, bezeichnet wahrſcheinlich den Anfang einer neuen
Periode in dem Wirtſchaftsleben des Saargebiets. Man wird ihre erſten Folgen erſt
nach Ablauf einiger Wochen verzeichnen können. Heute muß man ſich auf die Feſt—
ſtellung beſchränken, daß die öffentliche Meinung im Saargebiet gegen dieſen Beſchluß
nicht die Proteſte erhoben hat, die gewiſſe Zeitungen vorausgeſagt hatten, und daß
ſogar die ſozialiſtiſchen Gewerkſchaften der Hütteninduſtrie ſchon im Geheimen Forde—
rungen formuliert haben, die auf die Einführung des Franken bei der Zahlung der
Löhne an die Arbeiter ihrer Organiſation abzielen.
Die Regierungskommiſſion verkennt nicht, daß ihr durch den bald zwangsweiſe
verallgemeinerten Umlauf des Franken im Saarbecken ſchwere Probleme entgegen—
treten werden. Sie beſchäftigt ſich damit ſchon jetzt und hat ſoeben die »Oberpreis—
prüfungskommiſſion« reorganiſiert und ihrer Kontrolle unterſtellt, um in der Lage zu
ſein, die Preisſteigerung in der Lebenshaltung zu bekämpfen, die ſie auf Grund der
den Bergleuten zugeſtandenen materiellen Vorteile vorauszuſehen genötigt iſt.
Das Budget des Saargebietes.
Die Währungsfrage hängt mit der Budgetfrage eng zuſammen. Die Regierungs—
kommiſſion kann nicht die Beunruhigung verſchweigen, die ihr die Finanzlage des
Gebiets einflößt. Es iſt ihr ſehr ſchwer, die Grundlage für ein Budget zuſammen—
eb
zubringen, denn das Rechnungsweſen für das Saargebiet wurde von verſchiedenen
deutſchen Behörden bearbeitet, und da das Gebiet durch deutſche, preußiſche und
bayeriſche Bezirke oder Teile ſolcher Bezirke gebildet wird, iſt es oft unmöglich, auch
nur annähernde Schätzungen zu erhalten. Die in dieſer Beziehung im Monat Juni
beendeten Arbeiten haben zwar die Frage vorwärts gebracht, ohne daß jedoch ein
endgültiges Ergebnis noch erzielt werden konnte. Immerhin ſteht ſchon heute feſt,
daß das Saarbecken ein großes Defizit zu tragen hat, das für die Bevölkerung um
ſo ſchwerer iſt, als während des Krieges und ſeit dem Waffenſtillſtand die Gemeinden
und Kreiſe wie in ganz Deutſchland hohe Schulden eingegangen find, die ſich nament—
—
lich aus dem Ernährungsweſen ergeben.
Außerdem wird die Regierungskommiſſion, ſolange das Saargebiet nicht ein von
Deutſchland vollkommen unabhängiges Leben hat, nicht Herrin ihrer Ausgaben ſein.
Die Beamten, Angeſtellten und Arbeiter der öffentlichen Betriebe wollen aller mate⸗
riellen Vorteile teilhaftig werden, die ihren deutſchen Kollegen gewährt werden.
Daher hat die Regierungskommiſſion im Laufe des Monats Juni auf das Saar⸗
gebiet die Beſtimmungen des neuen deutſchen Geſetzes über die Beamtenbeſoldung aus⸗
dehnen müſſen. Hieraus wird ſich für das Budget des Saargebiets eine ſehr ſchwere
Laſt ergeben; eine Nichtanwendung dieſes Geſetzes hätte aber eine Erſchwerung der
an ſich ſchon heiklen Beamtenfrage bedeutet und vielleicht das Gebiet eines Perſonals
beraubt, das zu erſetzen ſchwer möglich geweſen wäre.
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N
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗
bundsrat vom 25. Oktober 1920.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 8, S. 72f.)
(berſetzung.)
Finanzverwaltung.
Die finanziellen Fragen haben die Regierungskommiſſion dauernd beſchäftigt;
die vorbereitenden Arbeiten für die Aufſtellung des Budgets haben eine ſehr ſchwere
Lage enthüllt und gezeigt, daß die Beunruhigung, von der in dem Bericht vom
1. Juli die Rede war, nur zu begründet war.
Es muß nämlich auf einen Umſtand der Ungewißheit hingewieſen werden, der
jede budgetmäßige Berechnung illuſoriſch macht.
In Anwendung des ihr durch den Vertrag zugeſtandenen Rechtes hat die Ver⸗
waltung der franzöſiſchen Staatsgruben vom Monat Juli ab ihre Arbeiter in Franken
entlohnen und alle Kohlenverkäufe in Franken vornehmen laſſen. Schon jetzt und
ohne Rückſicht auf eine etwaige Verallgemeinerung des Frankenumlaufs in dem Gebiet
wird die Landeskaſſe Steuern in Franken erheben (Kohlenſteuer) und andererſeits
Franken verausgaben müſſen (Kohlen für die Eiſenbahn). Nun iſt der Wert des
Franken in Beziehung zur Mark plötzlichen und ſtarken Schwankungen unterworfen.
25 i ew des ſaarländiſchen Budgets hängt alſo von den Bewegungen der
Börſe ab.
Es wird für die Finanzen des Gebiets keine Stabilität geben, ſolange dieſe
beiden Währungen nebeneinander beſtehen und ſolange ihr gegenſeitiger Kurs be—
trächtliche Unterſchiede aufweiſt.
Das laufende Finanzjahr (wem 1. April 1920 bis 31. März 1921) ſtellt ſich
unter ganz beſonderen Schwierigkeiten dar.
Der Bericht vom 1. Juli hat ſchon auf das erſchreckende Defizit hingewieſen,
daß die Verwaltung der Eifenbahnen kennzeichnet. Dieſes Defizit wird die Summe
von 250 Millionen Mark, auf die man es anfänglich ſchätzen zu können glaubte, ſogar
ſtark überſchreiten.
Die vorübergehende Zuſatzgebühr von 20 Mark auf die Tonne wird das Defizit
nur teilweiſe decken; um nämlich nicht gewiſſe Zweige der Induſtrie und des Handels
zu vernichten, mußten ziemlich umfangreiche Befreiungen von der Entrichtung dieſer
Gebühr gewährt werden, und außerdem wird die Gebühr erſt ſeit dem 15. Juli
erhoben. Man darf alſo von ihr keine Eingänge erwarten, die den Überſchuß der
Ausgaben für einen Zeitraum von 3½ Monaten decken könnten. Die Erhebung der
Zuſatzgebühr iſt ohne Schwierigkeiten und ohne Beſchwerden hervorzurufen vor ſich
gegangen. Die Regierungskommiſſion konnte ſich in dieſer Beziehung nur lobend
über die Mithilfe ausſprechen, die ihr die Handelskammer in Saarbrücken geleiſtet hat.
Gewiſſe Ausgaben für die erſte Einrichtung werden außerdem das laufende Budget—
jahr belaſten, nämlich Ausgaben, die durch die Einrichtung der neuen Regierung und
durch die Errichtung von Zollbahnhöfen, ohne die der Handel an der Nordgrenze des
Saargebiets unterbunden zu werden droht, veranlaßt find.
Auf der anderen Seite ergibt die Prüfung der Einnahmen einen beträchtlichen
Ausfall. Die deutſchen Behörden hatten ſeit dem Waffenſtillſtand die Steuererhebung
ſtark vernachläſſigt.
Sei es abſichtlich, ſei es infolge der Schwachheit einer durch die Revolution
erſchütterten Regierung, ſei es wegen Mangel an Perſonal, jedenfalls iſt die Steuer
veranlagung nur mit unverſtändlicher Verzögerung vorgenommen worden: dies iſt
der Grund, weshalb trotz der nachdrücklichen Anweiſungen der Kommiſſion die
9 für das laufende Jahr nicht überall am 1. Dezember aufgeſtellt ſein
werden.
Die Mißwirtſchaft war bei den indirekten Steuern noch ſchreiender. Für ſie
beſtand eine Verwaltung ſozuſagen überhaupt nicht. Aus einer von Herrn R. D. Waugh,
dem mit den Finanzangelegenheiten betrauten Mitglied der Kommiſſion, geleiteten
Unterſuchung ergibt ſich, daß die Kaſſe des Saargebiets aus dieſem Grunde Zehner
von Millionen verloren hat.
Die vorſtehenden Angaben (unvorhergeſehenes Defizit und ausnahmsweiſe Aus-
gaben auf der einen, Ausfall an Einnahmen auf der anderen Seite) werden ohne
Zweifel geſtatten, ſich ein Bild von den außerordentlichen finanziellen Schwierigkeiten
zu machen, mit denen die Regierungskommiſſion kämpft.
Sie hat nach wirkſamen und alsbaldigen Mitteln zur Abhilfe geſucht. Die
direkten Steuern konnten ihr in kurzer Zeit nicht beträchtliche Einnahmen bringen.
Indes hat die Kommiſſion beſchloſſen, ſobald als möglich eine Steuergeſetzgebung
prüfen zu laſſen, die der beſonderen Lage des Gebiets und den Gewohnheiten der
Bevölkerung angepaßt iſt und zugleich ein einheitliches Steuerſyſtem ſchaffen ſoll;
gegenwärtig iſt in dem Gebiet je nach der Gegend das preußiſche oder das bayeriſche
Syſtem in Gebrauch, die voneinander beträchtlich abweichen.
Die Kommiſſion hat die Einführung der nach der Revolution erlaſſenen deutſchen
Finanzgeſetze im Saargebiet für unzweckmäßig erklärt. Die in dieſer Beziehung im
Reich gemachten Erfahrungen ſind wenig ermutigend; für ein großes Land erlaſſen,
paſſen dieſe Geſetze nicht auf ein ſo kleines und ausſchließlich induſtrielles Gebiet wie
das Saarbecken.
Übrigens erhebt die Kommiſſion gegenwärtig jo viel direkte Steuern, und die
Sätze der Einkommenſteuer ſind ſo hoch, daß es unklug erſcheint, von dieſer Art von
Steuern beträchtliche Eingänge zu erwarten.
Vielmehr ſind Maßnahmen hinſichtlich der indirekten Steuern ergriffen worden.
Auf Anordnung von Herrn R. D. Waugh ſind Entwürfe, die gegenwärtig den ört—
lichen Vertretungen vorliegen, ausgearbeitet worden, die ſowohl die Erhebung von
Abgaben wie neue Vereinnahmungsmethoden vorſehen. Das nötige Perſonal iſt
Ber
zuſammengeſtellt, und Behörden find eingerichtet worden. In einigen Wochen, wenn
die örtlichen Vertretungen gehört ſein werden, wird die Regierungskommiſſion die
Verordnungen erlaſſen, die ihr 30 bis 40 Millionen Mark neue Einnahmen ver—
ſchaffen werden.
Um aber das Gleichgewicht ihres Budgets herzuſtellen, hat die Kommiſſion ſich
genötigt geſehen, eine andere, ſehr wichtige Maßnahme zu treffen, die ſie erläutern muß.
Bei der Übernahme ihrer Befugniſſe hat ſie eine Kohlenſteuer von 20 v. H.
vorgefunden, die durch ein datſches Geſetz vom April 1917 geſchaffen und daher
gemäß § 25 der Anlage auf das Saargebiet anwendbar war. In Unkenntnis der
budgetären Schwierigkeiten, denen ſie ſich gegenüber befinden ſollte, ferner in dem
Wunſche, den Verbrauchern der Kohle eine Laſt zu erleichtern, deren Gewicht ſie nicht
verkannte, ſowie in der Befürchtung, daß die Verwaltung der franzöſiſchen Staats—
gruben, die nach den Beſtimmungen des Geſetzes die Steuer ſelbſt erhob, berechtigt
ſein könnte, ſich auf den den Beitrag der Kohlengruben zu den Ausgaben des Gebiets
bezüglichen $ 13 der Anlage des Vertrags zu berufen, hat die Kommiſſion im Monat
März beſchloſſen, den Steuerſatz vom Monat April ab von 20 auf 10 v. H. herab⸗
zuſetzen. Sie hat aber ausdrücklich ihr Recht aufrechterhalten, die Steuer ſelbſt bei—
zubehalten und ihre Sätze je nach den Umſtänden zu ändern. Das deutſche Geſetz
vom April 1917 trat nun mit dem 31. Juli 1920 außer Kraft. Um die Steuer
über dieſes Datum hinaus erheben zu können, mußte die Kommiſſion eine beſondere
Verordnung erlaſſen und hierüber gemäß § 26 der Anlage die gewählten Vertreter
der Bevölkerung befragen.
Die Kreis- und Bezirkstage ſowie die Stadtverordnetenverſammlung von Saar—
brücken wurden im Laufe des Monats Auguſt befragt. Sie haben ſich einſtimmig
in dringlicher Form für die Aufrechterhaltung der Kohlenſteuer und für die Wieder—
einführung des anfänglichen Satzes von 20 v. H. ausgeſprochen. Sie machten geltend,
daß dieſe Steuer die Haupteinnahmequelle für das Land bilde, und daß die Finanz—
lage weder einen Verzicht auf die Steuer noch eine Herabſetzung der Sätze geſtatte.
Die Kommiſſion konnte den einſtimmigen Wunſch, den die gewählten Vertreter
der Bevölkerung mit beſonderem Nachdruck zum Ausdruck brachten, nicht vernach⸗
läſſigen; wenn ſie ſich geweigert hätte, dieſen Wünſchen Rechnung zu tragen, wäre
es ihr ſchwer geworden, von denſelben Vertretungen eine günſtige Außerung über
die Einführung neuer Steuern zu erlangen, von deren Vorſchlag ſie ſpäter nicht wird
abſehen können.
Außerdem hatte die Unterſuchung der Finanzlage, die ſeit dem Monat März
vorgenommen worden war, die vorſtehend beſchriebene ſchwierige Lage enthüllt.
Demnach beſchloß die Regierungskommiſſion in ihrer Sitzung vom 11. Sep—
tember, die Kohlenſteuer grundſätzlich beizubehalten und ihre Sätze vom 1. Oktober
1920 ab wieder auf 20 v. H. zu erhöhen. Gleichzeitig entlaſtete ſie, um einem von
dem Herrn Generaldirektor der franzöſiſchen Staatsgruben geäußerten Wunſche zu
entſprechen, dieſe Verwaltung von der Sorge, ſelbſt die Kohlenſteuer zu erheben.
Die Steuer wird in Zukunft von den Eiſenbahnbehörden erhoben werden. Auf
dieſe Weiſe entfiel jeder Grund, die Steuer als eine Beſteuerung der Gruben zu
erklären, vielmehr nahm dieſe den Charakter einer inneren Abgabe an. Die
Regierungskommiſſion konnte demnach die Auffaſſung vertreten, daß der $ 13 der
erwähnten Anlage auf die Kohlenſteuer nicht Anwendung findet.
Die Kommiſſion verhehlt ſich jedoch nicht, daß dieſe in Deutſchland während
des Krieges geſchaffene Steuer einen Ausnahmecharakter hat und daß es unmöglich
ſein wird, ſie beizubehalten, wenn der Weltkohlenmarkt wieder normal geworden iſt.
Sie weiß auch, daß eine ſchwere Steuer auf die Kohle dem Grundſatz einer klugen
Wirtſchaft ebenſo zuwiderläuft wie die Belaſtung des Getreides oder des Mehles mit
einer Steuer. Sie wird ſich deshalb bemühen, die Sätze der Kohlenſteuer ſobald als
möglich herabzuſetzen. Sie glaubt außerdem zu wiſſen, daß die Regierung der
franzöſiſchen Republik ſich nicht ohne Schwierigkeit mit dem Grundſatz einer Steuer
N
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einverſtanden erklären wird, die in der Hauptſache den Franzöfifchen Verbraucher trifft,
der den von den Staatsgruben, die Frankreich als Erſatz für die Zerſtörung der
Gruben in Nordfrankreich erhalten hat, geförderten Brennſtoff erhält, und daß ſie
vielleicht Proteſt erheben wird gegen den Satz von 20 v. H. mit der Begründung,
daß der § 13 auf die Kohlenſteuer Anwendung finde. Die Regierungskommiſſion
wird es übrigens nicht ablehnen, über dieſen Punkt in Verhandlungen einzutreten,
die die Umſtände erfordern.
Dies ſind die wichtigſten Beſchlüſſe finanzieller Natur, die die Regierungskom—
miſſion vom Monat Juli bis zum Monat Oktober gefaßt hat. Es würde ermüden,
außerdem noch die einzelnen Maßnahmen anzuführen, die neben dieſen allgemeinen
Beſchlüſſen getroffen worden ſind, ſo die Regulierung der Ausgaben, die Veran—
lagung zur Patentſteuer, die Reorganiſation gewiſſer Steuerkaſſen, die Beſchaffung
des unentbehrlichen Perſonals ufw.
Mehr und mehr nehmen die finanziellen und budgetären Fragen einen großen
Teil der Tätigkeit der Kommiſſion in Anſpruch.
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Nr. 173.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker—
bundsrat vom 25. Januar 1921.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 2. Jahrgang, Heft 2, S. 199 ff.)
(Überſetzung.) |
Die Währungsfrage.
Die wirtſchaftlichen und ſozialen Probleme erhalten im Saargebiet eine befondere
Prägung, weil zwei Währungen, der Frank und die Mark, dort gleichzeitig in
Geltung ſind.
Der Gebrauch des franzöſiſchen Geldes hat ſich ſeit der Abfaſſung des letzten
Berichtes verallgemeinert. Wie dieſer Bericht ſchon andeutete, haben die Hüttenarbeiter
im Laufe des Monats November eine Lohnerhöhung und die Zahlung der Löhne in
Franken gefordert. Ihrem Verlangen iſt von den Eiſenwerken und einigen Gießereien
ſtattgegeben worden. Immerhin haben ſie nicht ebenſo günſtige Lohnſätze erreicht wie
die, die den Bergleuten zugeſtanden find. Die ſogenannte verarbeitende Induſtrie
(mechaniſche und Metallinduſtrie, Glasinduſtrie, Keramik) lehnt die Zahlung aller ihrer
Arbeiter in Franken ab, hat ihnen aber ſehr beträchtliche Lohnerhöhungen in Mark
gewährt. Immerhin wird jetzt ſchon der größere Teil der Arbeiterbevölkerung in
Franken bezahlt.
Hieraus ergibt ſich eine ſehr verwickelte Lage, auf die die Aufmerkſamkeit der
Regierungskommiſſion gelenkt werden mußte. In der Sitzung vom 1. Dezember hat
der Präſident einen Bericht vorgelegt, der hier wiedergegeben werden muß, denn er
faßt die verſchiedenen Seiten des Problems zuſammen, auf das in ſpäteren Berichten
zurückzukommen ſein wird:
Es ſteht außer Zweifel, daß das Saargebiet vor einer Wirtſchafts—
und Finanzkriſis ſteht, mit der ſich zu befaſſen die Regierungskommiſſion
die Pflicht hat.
Das Perſonal der Gruben wird ſeit dem Monat Juli in Franken
bezahlt. Die von der Grubenverwaltung gezahlten Gehälter und Löhne
waren beträchtlich höher als die Gehälter und Löhne, die die Arbeiter und
Beamten des Gebiets zu dieſer Zeit erhielten, als der Frank nur ungefähr
3 Mark wert war. Das ſeit dem Monat September eingetretene Sinken der
deutſchen Deviſen hat die Lage des Grubenperſonals noch vorteilhafter
geitaltet.
DE
Andererſeits hat die Entwertung der Mark eine allgemeine Verteuerung
der Lebenshaltung in Deutſchland herbeigeführt. Die Konkurrenz von Frank
und Mark hat insbeſondere im Saargebiet die Preiſe in die Höhe getrieben.
Es ſcheint erwieſen, daß nirgends die Lebenshaltung in Deutſchland ſo teuer
iſt wie in Saarbrücken.
Dies iſt der Grund, weshalb die Höhe der gegenwärtig im Saargebiet =
gezahlten Gehälter und Löhne bemerkenswert niedrig geworden ift, wenn
man von dem Grubenperſonal abſieht. Man kann ohne Übertreibung von
dem Elend eines Teils der Arbeiterklaſſe und der kleinen Beamten ſprechen.
Es überraſcht deshalb nicht, wenn die Arbeiter Lohnerhöhungen ver—
langen. Die Hüttenarbeiter haben im Monat September gewiſſe Vorteile
erreicht; immerhin haben ſie ſich nicht für befriedigt erklärt, und es iſt deshalb
verabredet worden, daß neue Beſprechungen im November aufgenommen
werden ſollen.
Zu Beginn dieſes Monats haben ſich die Hüttenarbeiter mit dem Arbeit⸗
geberverband in Beziehung geſetzt. Schon im September hatten die ſozialiſtiſchen
Gewerkſchaften die Frankenlöhnung verlangt. Gegenwärtig ſind alle Hütten⸗
arbeiter ohne Unterſchied der Gewerkſchaften einig in der Forderung, die
Lohnzahlung in Franken in gleicher oder in größerer Höhe wie die in Loth⸗
ringen gezahlten Löhne zu verlangen.
Man kann es als außerordentlich wahrſcheinlich anſehen, daß ſie mit
ihrer Forderung durchdringen werden, wenn auch vielleicht nicht bezüglich
der Höhe der Löhne, ſo doch wenigſtens bezüglich der Löhne in Franken.
Unzweifelhaft werden gewiſſe Werke großen Schwierigkeiten begegnen,
wenn ſie ihre Arbeiter in Franken bezahlen wollen, einige werden ſogar ihre
Tore ſchließen. Man wird klugerweiſe mit Rückſicht hierauf mit einer ziemlich
beträchtlichen Zahl von Arbeitsloſen rechnen.
Immerhin muß der Fall ins Auge gefaßt werden, daß die Induſtriellen
es ablehnen, den Franken alsbald zuzugeſtehen oder gewiſſe Lohnſätze zu ge—
währen, die von den Arbeitern als Mindeſtforderung angeſehen werden.
Für dieſen Fall ſcheint ein Generalſtreik der Hüttenarbeiter unvermeidlich.
Seine Jolgen wären jetzt beim Eintritt des Winters beſonders ſchwer⸗
wiegend.
Indes werden in jedem Fall, ſei es auf Grund von Verhandlungen,
ſei es nach einem Streik, die Hüttenarbeiter Löhne in Franken erhalten. Das
Beiſpiel wird von den Induſtriellen der Glas- und der keramiſchen Induſtrie
befolgt werden.
Welches wird dann die Lage ſein? Bei den Gruben zählt man 70 000,
bei der Hütteninduſtrie und den anderen Großinduſtrien ungefähr 60 000
Lohnempfänger. Nimmt man als Mindeſtmaß an, daß jeder Lohnempfänger
außer für ſich ſelbſt noch für zwei andere Perſonen zu ſorgen hat, ſo er⸗
gibt ſich, daß
(70 000 60 000) x 3 = 390 000, |
d. h. annähernd 400 000 Bewohner von einer Bevölkerung von 700 000
Perſonen künftig ihr Haupteinkommen in Franken beziehen werden.
Es iſt hiernach leicht vorauszuſehen, daß die Kaufleute und Landwirte
ihre Waren bzw. ihre Bodenerzeugniſſe in Franken verkaufen werden. Mit
anderen Worten, der Gebrauch des Franken wird ſich im Saarbecken ver⸗
allgemeinern, die Tätigkeit der Wechſelſtuben wird zurückgehen: an Stelle
der Mark wird allmählich der Franken treten. Man wird alſo im Saar-
gebiet vor einem finanziellen und wirtſchaftlichen Umbildungsprozeß ſtehen,
der in ſeinen Wirkungen um ſo ernſter ſein wird, je größer der Unterſchied
zwiſchen Frank und Mark iſt.
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- Schon jetzt beſchäftigt dieſe Kriſis die Gemüter. Die Regierungs—
kommiſſion kann ſich daran nicht desintereſſieren. Welches muß hierbei ihre
Haltung ſein, und welche Maßnahmen kann ſie im Intereſſe der Bevölkerung
ergreifen?
Die Regierungskommiſſion kann natürlich nicht für oder gegen die
Bezahlung der Arbeiter in Franken Stellung nehmen.
Der Vertrag beſtimmt ausdrücklich ($ 32 der Anlage zu Abſchnitt IV
Teil III), »daß der Umlauf des franzöſiſchen Geldes im Saarbeckengebiet
keinem Verbot und keiner Beſchränkung unterliegt«. Wie könnte ſich auch
die Regierungskommiſſion dem widerſetzen, daß die Wünſche der Arbeiter
befriedigt werden, die, indem ſie ihre Löhne in Franken verlangen, günſtigere
Daſeinsbedingungen zu erlangen ſtreben? Sie wäre übrigens außerſtande,
dem Druck der wirtſchaftlichen Tatſachen zu widerſtehen, die wahrſcheinlich
die Verallgemeinerung des Umlaufs des Franken im Saarbecken zum Ergebnis
haben werden.
Sie wird aber gewiſſe Probleme zu prüfen haben, auf die die Beteiligten
ſelbſt nicht verfehlen werden, ihre Aufmerkſamkeit zu lenken.
Die Regierungskommiſſion zählt ſelbſt zu den Arbeitgebern. Wenn die
große Mehrheit der Arbeiter in Franken bezahlt wird, jo wird vielleicht das
Perſonal der Eiſenbahn Luſt verſpüren, eine gleiche Behandlung zu verlangen.
Schon jetzt ſind gewiſſe Anträge in dieſem Sinne an die Eiſenbahndirektion
gerichtet worden. Die Beamten der Zentralverwaltung haben in großer
Jahl beantragt, in Franken bezahlt zu werden.
Ohne den Antworten, die die Regierungskommiſſion auf dieſe Anträge
erteilen wird, vorzugreifen und gerade in der Abſicht, ſie zur Formulierung
dieſer Antworten in die Lage zu ſetzen, müſſen die finanziellen Rückwirkungen,
die die Entlöhnung dieſer oder jener Beamten oder Arbeiterklaſſe der Be—
hörden mit ſich bringen würde, mit Sorgfalt geprüft werden. Die etwaigen
Sätze einer Umwandlung der Gehälter und Löhne müßte Gegenſtand einer
genauen Unterſuchung ſein.
Ohne daß die Kommiſſion es wünſcht, und ſogar gegen ihren Willen
kann ſie genötigt ſein, ihre Beamten und Angeſtellten in Franken zu
bezahlen. Da ſie in dieſem Falle eine beträchtliche Summe von Franken
verausgaben muß, wird ſie gezwungen ſein, ſich auch Einnahmen in dieſer
Währung zu verſchaffen. Das Problem wird ſich vielleicht in erſter Linie
mit Bezug auf die öffentlichen Verkehrsmittel ſtellen. Man weiß, eine wie
ſchwierige Aufgabe die Aufſtellung eines Eiſenbahntarifs iſt. Die Erſetzung
der Marktarife durch Frankentarife würde ein langes Studium erfordern.
Außerdem wird die Verallgemeinerung des Frankenumlaufs unfehlbar ihre
Rückwirkung auf das Finanzweſen haben. Verſchiedene Möglichkeiten ſind
ins Auge zu faſſen, ſei es die Umrechnung der den Arbeitern in Franken
1 Löhne in Mark zwecks Herſtellung der Steuerveranlagung, ſei es
ie Erhebung der Einkommenſteuer in Franken nach Grundſätzen, die noch
feſtzuſtellen ſein würden, ſei es endlich in letzter Linie die Einführung des
Franken für die Erhebung aller Steuern.
Wenn! der Franken ſich nach dem vorſtehend gekennzeichneten Schema
verallgemeinert, werden ſich ſoziale Folgen daraus ergeben, die ins Auge
zu faſſen die Regierungskommiſſion nicht unterlaſſen darf.
Man kann annehmen, daß alle Bewohner des Gebiets, die ihren Le—
bensunterhalt aus Arbeitseinkommen beſtreiten (Arbeiter, Beamte, Angeſtellte,
Landwirte uſw.), früher oder ſpäter die Entlöhnung ihrer Arbeit in Franken
erhalten werden. Nach einer mehr oder weniger langen und ſchmerzlichen
Kriſis werden ſie wieder normale Daſeinsbedingungen finden. Ganz anders
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verhält es ſich aber mit den Perſonen, die von einem feſten Einkommen |
in Mark leben (penfionierte Beamte, Kleinrentner, Kriegsbeſchädigte, Renten—
empfänger aller Kategorien). g
Die Verallgemeinerung des Gebrauchs des franzöſiſchen Geldes wird
dieſe Klaſſen von Perſonen in eine ſehr ſchwierige Lage bringen. Eine
Abwanderung wäre zu befürchten, aber die Mehrzahl von ihnen wäre,
ſelbſt wenn ſie den Wunſch hätte auszuwandern, außer Stande, das Gebiet
zu verlaſſen. Sie haben Anſpruch auf das wohlwollende Intereſſe der
Regierungskommiſſion. Es wird alſo eine Aufſtellung über die Zahl dieſer
Perſonen zu veranlaſſen und zu prüfen ſein, durch welche Mittel und in
welchem Umfang es möglich wäre, ihnen zu Hilfe zu kommen.
Es iſt ferner ſicher, daß der verallgemeinerte Umlauf des Franken aufs
neue eine Verteuerung der Lebenshaltung im Saargebiet mit ſich bringen wird.
Alles läßt vorausſehen, daß die Lebensbedingungen im Saargebiet dieſelben
werden wie in Lothringen. Man muß alſo prüfen, welche Mittel geeignet
wären, die Steigerung der Preiſe hintanzuhalten und zu hemmen. Man
ſieht alſo, daß eine ganze Reihe von Problemen von größter Wichtigkeit
ſich ſchon jetzt vor der Regierungskommiſſion aufwerfen. Sie ſind bereits
in der Preſſe und in Kreiſen des Handels und der Induſtrie erörtert
worden. Für gewiſſe Probleme ſind ſogar Löſungen vorgeſchlagen worden,
mit denen die Regierungskommiſſion ſicher befaßt werden wird.
Die Kommiſſion kann den Wert ſolcher Vorſchläge erſt feſtſtellen,
wenn ſie dieſe Fragen hat prüfen laſſen und wenn ſie alle erforderlichen
Unterlagen für ihre Information vereinigt hat. Daher ſcheint es uner—
läßlich, ſchon jetzt die in Frage kommenden Abteilungen zur Vornahme aller
zweckentſprechenden Unterſuchungen aufzufordern. Es ſcheint empfehlenswert,
eine interminiſterielle Kommiſſion einzuſetzen, die ermächtigt iſt, nach allen
Richtungen hin die Exkundigungen einzuziehen, die ihr wünſchenswert
ſcheinen und Perſönlichkeiten aus der Finanz, aus dem Handel und der
Induſtrie und aus der Arbeiterſchaft, deren Anſichten zu ihrer eigenen Auf—
kärung dienlich ſein können, zu befragen.
Dieſe einleitende Unterſuchung würde in keiner Weiſe die Handlungs—
freiheit der Regierungskommiſſion einſchränken. Sie kann nicht ausgelegt
werden als ein Schritt von ihr zugunſten eines verallgemeinerten Franken⸗
umlaufs. Sie würde nur lediglich den Wunſch der Kommiſſion bekunden,
ſich nicht von den Ereigniſſen, deren baldiges Eintreten und deren Ernſt
ſchon jetzt unmöglich zu verkennen iſt, überraſchen zu laſſen.
Nachdem die Kommiſſion von dieſem Bericht Kenntnis genommen hatte, und
nach einer eingehenden Prüfung hat ſie auf Vorſchlag des Präſidenten einſtimmig
folgenden Beſchluß gefaßt: |
Die Regierungskommiſſion stellt folgendes feſt: Seitdem die franzöſiſchen
Staatsgruben gemäß dem Recht, das ihnen der Friedensvertrag gibt, den
Franken bei all ihren Geldgeſchäften eingeführt und insbeſondere ihre Arbeiter
und Angeſtellten in Franken bezahlt haben, bildet ſich unter den Arbeitern
und ſogar unter gewiſſen Kategorien der Beamten eine von Tag zu Tag
zunehmende Strömung zugunſten der Frankenzahlung; es iſt notoriſch,
daß auf das dringende Erſuchen ihrer Arbeiter die großen Hüttenwerke vor
der Annahme der Frankenzahlung ſtehen; alsbald nach dieſem Beſchluß wird
eine unmittelbare Rückwirkung auf die Angeſtellten und Arbeiter der Eifen-
bahn eintreten, deren Löhne immer zu denen der Hüttenarbeiter im Ver⸗
hältnis geſtanden haben; zur gegenwärtigen Stunde iſt ſchwer vorauszuſehen,
welche finanziellen und wirtſchaftlichen Folgen dieſe Maßnahmen auf die
Geſamtheit des Gebiets haben werden.
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Die Regierungskommiſſion zieht ferner folgendes in Erwägung:
Nach den Beſtimmungen der Anlage »Saar« des Friedensvertrags darf
der Umlauf des franzöſiſchen Geldes im Saargebiet keinem Verbot oder
keiner Beſchränkung unterliegen; unter dieſen Umſtänden erſcheint, ohne
irgendwie der ſpäteren Entſcheidung der Kommiſſion vorzugreifen, eine ernſt—
hafte und gründliche Unterſuchung über die verallgemeinerte Einführung des
Franken in dem Gebiet angezeigt.
Mit Rückſicht auf dieſe Erwägungen beſchließt die Regierungskommiſſion
was folgt:
Es ſoll eine Kommiſſion eingeſetzt werden, die den Auftrag hat, ſich
gutachtlich über die finanziellen und wirtſchaftlichen Fragen auszuſprechen,
die ſich bei einer verallgemeinerten Einführung des Franken ergeben.
Dieſe Kommiſſion ſoll aus den Hauptmitarbeitern der Regierungs—
kommiſſion beſtehen und außerdem berufene Vertreter des Handels, der
Induſtrie, der Landwirtſchaft und der Volkswohlfahrt umfaſſen.
Ein Rundſchreiben ſoll vorher an die verſchiedenen Vereinigungen, ein—
ſchließlich die Arbeitergewerkſchaften, geſandt werden, mit dem Erſuchen um
Kundgebung ihrer Anſicht zwecks Aufklärung der Mitglieder der Kommiſſion.
Nebenher fordert die Kommiſſion mit Rückſicht darauf, daß die plötz—
liche Einführung des Franken als Zahlungsmittel in der Hütteninduſtrie
eine unmittelbare Rückwirkung auf die Arbeiter und Angeſtellten der Eiſen—
bahn haben kann, die den ordnungsmäßigen Betrieb beeinfluſſen könnte, das
mit den öffentlichen Arbeiten betraute Mitglied der Kommiſſion auf, eine
Unterſuchung der Frage der Bezahlung der Arbeiter und Angeſtellten der
Eiſenbahn in Franken, ſowie der Frage der als Folge hiervon ſich ergebenden
Anderung der Eiſenbahntarife auf Grundlage des Franken vorzunehmen.
In Ausführung dieſes Beſchluſſes iſt eine Kommiſſion unter dem Vorſitz des
Generalſekretärs der Regierungs kommiſſion eingeſetzt worden. Sie hat ihre Arbeiten
damit begonnen, daß ſie ein Rundſchreiben an die Verbände des Handels, der Arbeit—
geber und der Arbeitnehmer ſandte und deren Außerungen und Anregungen bis zum
15. Februar erbat.
Die Regierungskommiſſion hat ſo gezeigt, daß ſie in der Währungsfrage eine
unbedingte Neutralität zu bewahren beabſichtigt. Dieſe Abſicht hat ſich erſt kürzlich
wieder kundgetan, als Herr Lambert, das mit den öffentlichen Arbeiten betraute Mit—
glied der Kommiſſion, das Perſonal der Eiſenbahn auf Antrag der Gewerkſchafts—
ſekretäre ermächtigte, eine Abſtimmung über die Entlöhnung in Franken oder in
Mark vorzunehmen. Ungefähr 70 v. H. der Stimmen haben ſich zugunſten der
Mark ausgeſprochen.
Hingegen iſt die Regierungskommiſſion gezwungen geweſen, das geſamte Perſonal
der Bergbehörden in Franken zu bezahlen. Dieſes Perſonal, das ſich tatſächlich aus
Angeſtellten und Werkmeiſtern der Staatsgruben zuſammenſetzt, konnte in bezug auf
die Bezahlung nicht anders behandelt werden als die Bergarbeiter. So bezahlt die
Regierungskommiſſion ſchon heute ſaarländiſche Beamte in Franken.
Finanzverwaltung.
Ich habe bereits in einem früheren Bericht Gelegenheit gehabt auseinanderzu—
ſetzen, welchen Schwierigkeiten die Aufſtellung eines Budgets begegnet, das Einnahmen
und Ausgaben in zwei verſchiedenen Währungen, deren gegenſeitiger Kurs ſehr ver—
änderlich iſt, vorſehen muß. Solange die Währungsfrage nicht eine allgemeine Löſung
gefunden hat, wird es für die Regierungskommiſſion unmöglich ſein, geſunde Finanzen
zu bekommen.
Die Beſorgniſſe, die ich am 25. Oktober auszuſprechen mir erlaubt hatte, ſind
ſeither noch ſtärker geworden.
18
.
Der Markkurs iſt während des letzten Vierteljahrs ſehr niedrig geblieben. Die
Koſten der Lebenshaltung haben ſich auf einer ſehr großen Höhe gehalten. Dem
Beiſpiel Deutſchlands folgend, mußten den Beamten neue Beihilfen zugeſtanden
werden, worüber ich mich weiter unten ausſprechen werde. Alle neuen Leiſtungen
des Reichs gegenüber ſeinen Beamten drohen, im Saargebiet ihre Rückwirkung aus⸗
zuüben, und doch beſitzt das Saargebiet nicht wie die Reichsregierung das Hilfs—
mittel, Papiergeld auszugeben, um neue Ausgaben leiſten zu können.
Die Entwertung des deutſchen Geldes — man kann dies nicht oft genug wieder-
holen — laſtet ſchwer auf den Finanzen des Gebiets. So ergibt die Ausbeutung
der Eiſenbahnen nur deshalb ein großes Defizit, weil die Benutzer der Bahn in einer
entwerteten Währung bezahlen. Mag man die Tarife auch noch ſo oft erneuern,
fo können fie doch tatſächlich nicht in dem Maße erhöht werden, wie die Mark ſinkt.
Je mehr die Mark ſinkt, deſto mehr ſinkt der wahre Wert der Einnahmen der
ſaarländiſchen Kaſſen und deſto höher ſteigen die ihr obliegenden Ausgaben wegen
der Erhöhung der Gehälter, die die Verteuerung der Lebenshaltung mit ſich bringt.
Ferner hört die Steigerung der Ausgaben nicht auf. Beträchtliche Kredite haben
für die Unterhaltung der Wege und Eiſenbahnen, für die erſten Arbeiten zur Er⸗
richtung von Zollbahnhöfen, für die öffentliche Armenpflege uſw. bereitgeſtellt werden
müſſen. Trotz der äußerſten Sparſamkeit, die die Regierungskommiſſion ſich auf
erlegt, iſt ſie gezwungen, neue Ausgabepoſten ins Auge zu faſſen, nämlich im Hinblick
auf die Sozialverſicherung, auf die Errichtung von Zollbahnhöfen, die unerläßlich iſt,
um eine Verſtopfung des faarländijchen Eiſenbahnnetzes zu vermeiden, und die un-
gefähr 500 Millionen Mark erfordern wird. 5
Indes muß die Kommiſſion mit einer beträchtlichen Verminderung der wichtigſten
Einnahmequelle, über die ſie verfügt, rechnen, nämlich der Kohlenſteuer. Wenn dieſe
Steuer bei ihrer jetzigen Höhe (20 v. H.) belaſſen wird, ſo beſteht die Gefahr, daß
fie den Verkauf der Saarkohlen verhindert und die örtliche Induſtrie zum Feiern ver⸗
urteilt. Die franzöſiſche Regierung hat übrigens gegen die Erhebung dieſer Steuer
amtlich Proteſt erhoben, und ſie würde ſicher ihre Vorſtellungen erneuern, wenn es
ihr erwieſen ſcheinen ſollte, daß deren Höhe die Ausbeutung der ihr gehörigen Gruben
beeinträchtigt. Die Regierungskommiſſion muß daher eine beträchtliche Herabſetzung
der Steuer ins Auge faſſen. Das Gleichgewicht des Budgets wird dadurch unwider—
ruflich zerſtört werden.
Es iſt indes kein Mittel vernachläſſigt worden, um die Einnahmen der Landes⸗
kaſſe zu vermehren. Die Geſetzentwürfe über indirekte Steuern ſind nach Einholung
der Anſicht der gewählten Vertreter der Bevölkerung in Kraft geſetzt worden. Ihre
Einführung hat zu keiner ernſtlichen Schwierigkeit Anlaß gegeben. Die Einnahmen,
die aus dieſen Steuern erzielt werden, find ſchon jetzt ſehr bemerkenswert. Gewiſſe
Beſtimmungen des Einkommenſteuergeſetzes ſind in Einklang gebracht worden mit der
allgemeinen Erhöhung der Gehälter und Löhne; die Wandergewerbeſteuer und die
Eichgebühren ſind erhöht worden; Maßnahmen ſind ergriffen worden, damit die Ver⸗
ſicherungsgeſellſchaften ſich ihrer Pflicht zur Entrichtung von Stempelmarken zugunſten
des Saargebiets und nicht zugunſten der benachbarten Länder entledigen; verſchiedene
Gebühren für die Ausſtellung öffentlicher Urkunden ſind erhöht oder neu geſchaffen
worden. Die Eiſenbahntarife find am 1. Dezember erhöht worden; ein Wirtſchaftsamt
iſt auf Antrag des Herrn M. Lambert, des mit den öffentlichen Arbeiten betrauten
Mitgliedes der Regierungskommiſſion, geſchaffen worden, um die Mittel und Wege
zur Verminderung der Ausgaben der Eiſenbahn zu prüfen. 5
Cin ſorgfältiges Studium iſt der Finanzverwaltung gewidmet worden. Eine
Neueinteilung der Steuerämter iſt vorgenommen worden. Berufungskommiſſionen,
die die Aufgabe haben, Berufungen der Steuerpflichtigen zu prüfen, ſind in den
preußiſchen und in den pfälziſchen Teilen des Gebiets geſchaffen worden. Eine
Prüfungsſtelle für die Steuerbücher wird errichtet werden, um Hinterziehungen zu
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unterdrücken. Kurz, nichts iſt vernachläſſigt worden, was geeignet erſcheint, der
FJinanznot des Gebiets abzuhelfen.
Trotzdem iſt die Regierungskommiſſion der Anſicht, daß eine allgemeine Um—
= bildung des Steuerſyſtems nötig iſt. Im Saarbecken find noch die preußiſchen und
bayeriſchen Geſetze aus der Vorkriegszeit in Geltung. Die Beſtimmungen des
& Friedensvertrags haben ihm die in Deutſchland anfangs 1920 auf Betreiben des
Miniſters Erzberger in Kraft geſetzten Reformen erſpart. Die Regierungskommiſſion
8 hat es abgelehnt, dieſe Geſetze einzuführen, die wenig befriedigende Ergebniſſe gezeitigt
haben und eine außerordentlich große Zahl von Beamten erfordern. Sie hat be—
ſchloſſen, daß für das Gebiet ein Steuerrecht geſchaffen werden ſoll, daß ſeiner Eigen—
art entſpricht und ſowohl ſeiner politiſchen Lage wie ſeinen wirtſchaftlichen Hilfs—
quellen und den Sitten der Bewohner Rechnung trägt. Ein Finanzinſpektor iſt
beauftragt worden, eine eingehende Prüfung dieſer Frage vorzunehmen. Die Re—
rn wird ſich bemühen, ſo ſchnell wie möglich neue Geſetze zu erlaſſen,
ie geeignet ſind, die ihr unerläßlichen Einkünfte zu verſchaffen.
Immerhin iſt es ſchon jetzt wahrſcheinlich, daß die Regierungskommiſſion gezwungen
ſein wird, ihre Zuflucht zu einer Anleihe zu nehmen. Dem Saargebiet werden
nämlich noch vier Jahre lang alle Zolleinnahmen fehlen, da die deutſchen Waren bis
zum 10. Januar 1925 zollfrei hereinkommen. Die Finanzlage, die man von 1925 ab
als verhältnismäßig günſtig anſehen kann, wird bis zu dieſem Tage kritiſch bleiben,
und um die ſchon durch den Krieg erſchöpfte Bevölkerung nicht zu überlaſten, wird
3 wie alle Regierungen, den Kredit in Anſpruch nehmen
müſſen.
— rr
Nr. 174.
Rundſchreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom
17. Januar 1921 über die Erweiterung des Frankenumlaufs.
— Saarbrücken, den 17. Januar 1921.
Die Regierungskommiſſion mußte die Wahrnehmung machen, daß, ſeitdem die
franzöſiſchen fiskaliſchen Gruben gemäß des ihnen durch den Friedensvertrag zu—
erkannten Rechtes ſich der Frankenauszahlung bei allen ihren Geſchäftsgebahrungen
bedienen und insbeſondere ihre Arbeiter und Angeſtellten in Franken entlohnen, ſich
bei den Arbeitern und zumal bei Staatsarbeitern und Beamtengruppen eine täglich
wachſende Strömung zugunſten der Frankenentlohnung geltend macht.
Andererſeits iſt es allgemein bekannt, daß auf die dringenden Bitten ihrer Ar—
beiter hin die großen Eiſenwerke dazu übergegangen ſind, die Auszahlung der Löhne
ebenfalls in Franken erfolgen zu laſſen. Zur Stunde iſt es ſchwer vorauszuſehen,
welche finanziellen und wirtſchaftlichen Folgen dieſe Ereigniſſe für die Geſamt—
bevölkerung des Saargebiets haben werden.
Ferner iſt die Tatſache in Betracht zu ziehen, daß gemäß § 32 der Anlage
(Abſchnitt IV Teil 3) zum Friedensvertrage weder ein Verbot erlaſſen, noch eine
Beſchränkung auf den Umlauf des franzöſiſchen Geldes im Saargebiet ausgeübt
werden darf.
Unter dieſen Umſtänden iſt es angezeigt, ohne deshalb einer ſpäteren Entſcheidung
der Regierungskommiſſion vorzugreifen, daß der weitere Umlauf des Franken im
Saargebiet den Gegenſtand einer ernſten und eingehenden Unterſuchung bildet.
Die Regierungskommiſſion hat deshalb eine Kommiſſion gebildet, welche be—
auftragt iſt, ſich mit den gutachtlichen Außerungen über die Fragen der finanziellen
und wirtſchaftlichen Folgen zu befaſſen, welche ſich bei dem erweiterten Umlauf des
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—
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Franken aufwerfen. Dieſe Kommiſſion ſetzt ſich zuſammen aus Mitarbeitern der
Regierungskommiſſion und aus maßgebenden Vertretern des Handels, der Induſtrie,
der Landwirtſchaft und der Volkswohlfahrt.
Die verſchiedenen Erwerbszweige des Saargebiets werden deshalb erſucht, eine
gutachtliche Außerung über die Folgen aufzuſtellen, welche der erweiterte Umlauf des
Franken nach ſich ziehen würde, und des weiteren die Maßnahmen zu erwägen, welche
daraufhin erforderlich ſein würden. Dieſe Außerung ſollte ſich namentlich auf die
Rückwirkung des erweiterten Frankenumlaufs, auf die Beſchaffung von Lebensmitteln
und Rohſtoffen, auf die Herſtellungsbedingungen, die Abſatzmöglichkeiten, auf die Ent—
wicklung der Preiſe, der Löhne und Gehälter, auf die Regelung der Verträge und
ſchließlich auf alle finanziellen Verhältniſſe erſtrecken.
Die Kommiſſion legt großen Wert darauf, daß die Antworten ihr bis zum
15. Februar an folgende Adreſſe zugeſtellt werden:
»Generalſekretariat der Regierungskommiſſion,
Saarbrücken 1, Schloßplatz 15.«
(Unterſchrift.)
Nr. 175.
Gutachten der wirtſchaftlichen Verbände des Saargebiets über den
| erweiterten Frankenumlauf. |
a. Gutachten des Schutzvereins für Handel und Gewerbe im Saargebiet.
Saarbrücken, den 15. Februar 1921.
An
den Herrn Generalſekretär der Regierungskommiſſion des Saargebiets
Saarbrücken 1
Schloßplatz.
Auf Ihre Anfrage vom 17. Januar 1921 über
die wirtſchaftlichen Folgen eines erweiterten Frankenumlaufs für den ſaar⸗
ländiſchen Handel
erwidern wir ergebenſt:
Als Geſamtorganiſation der vereinigten ſaarländiſchen Handelsverbände hat ſich
der Schutzverein für Handel und Gewerbe im Saargebiet e. V. um eine ausreichende
. Ihrer Frage bemüht. Unſere Arbeit war jedoch mit Schwierigkeiten
verbunden.
Vielfach wurde eine Antwort abgelehnt mit der Begründung, daß unter den
obwaltenden Umſtänden eine Stellungnahme gegen den Franken dem einzelnen wirt-
ſchaftliche Nachteile bringen würde. Weiter zeigte ſich — beſonders in der breiten
Maſſe der kleineren Firmen — ein Mißtrauen gegen jede Maßnahme, die, wie er-
klärt wurde, eine zwangsmäßige Weſtorientierung irgendwie unterſtützen könne.
Mir find dieſer Abmigung gegen eine klare Antwort energiſch entgegengetreten.
Nach unſerer Auffaſſung iſt ein ſachliches Urteil aller das Wirtſchaftsleben unparteiiſch
überſchauender Kaufleute für das Saargebiet von lebenswichtiger Bedeutung. Kann
es doch den Beginn einer Wirtſchaftspolitik bedeuten, die ſich frei von äußeren Hemm—
niſſen den Bedürfniſſen der ſaarländiſchen Bevölkerung allein anpaßt.
Unſer Vorſtand hat deshalb veranlaßt, daß ein in fachliche Unterpunkte zer-
gliederter Fragebogen unſeren Mitgliedsfirmen — im Groß- und Einzelhandel, in
Stadt und Land, dazu den angeſchloſſenen Banken und mittleren Gewerbebetrieben —
zur Beantwortung vorgelegt wurde.
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BR Das Ergebnis — 694 zum Teil recht ausführliche Antworten aller bedeutenderen
Firmen des Saargebietes — hat unſer Büro wie folgt zuſammengeſtellt.
Eine erhebliche Erweiterung des Frankenumlaufs iſt für den ſaarländiſchen
Handel zunächſt nur denkbar, wenn auch der Wareneinkauf in dieſer Währung er—
folgen kann, wenn alſo der ſaarländiſche Bedarf innerhalb des franzöſiſchen Zoll—
gebiets in normalem Umfange gedeckt zu werden vermag. f
Bisheriger Warenbezug des ſaarländiſchen Handels aus Frankreich
| (einſchl Elſaß-Lothringen).
Der Anteil Frankreichs an der Belieferung des Saargebiets iſt gegenwärtig ledig—
lich bei Lebens⸗ und Genußmitteln (Wein) ſowie bei Textilien von größerer Bedeutung.
Dieſer Warenbezug beruht zum Teil auf den auch heute noch nicht ganz unter—
bundenen wirtſchaftlichen Beziehungen des Saargebiets zu Elſaß-Lothringen. Nach
wie vor kauft der Textilhandel Baumwollſtoffe der ihm bekannten elſäſſiſchen as
brikanten, Halbwollſtoffe der Markircher Induſtrie, Nähgarne des DME- wonzerns
(wie im Frieden etwa 20 v. H. des ſaarländiſchen Geſamttextilverbrauchs). Die
lothringiſche Landwirtſchaft bleibt mit ihren Produkten in erheblichem Umfang auf
den Abſatz im Saargebiet angewieſen, mag auch der hier gebotene Markpreis nicht
immer als ausreichend angeſehen werden. Weiter hat der Bezug von Überſeeware
über franzöſiſche Häfen an Umfang zugenommen, vor allen in der Zeit, als der
Stand des Guldens die Lieferung über holländiſche Häfen nahezu ausſchloß. Ins—
beſondere bei Nahrungsmitteln (Kolonialwaren, Fette und Gefrierfleiſch) haben Le Havre
und Marſeille an Bedeutung gewonnen, während amerikaniſche Ole und Petroleum
nach wie vor über Antwerpen kommen.
Das rein franzöſiſche Geſchäft iſt bei Schokoladen, Käſe und Seife erheblich ge—
ER worden (etwa 50 bzw. 25 bzw. 30 v. H. Anteil), in den erſten beiden
Fällen vor allem auf Koſten des Schweizer Imports. Nicht unbedeutend iſt auch,
beſonders nach dem Steigen der deutſchen Valuta, der ſaarländiſche Verbrauch
franzöſiſcher Rotweine (etwa 36 v. H. des geſamten Verbrauchs). Weiter konnten bei
der gegenwärtigen Verſtopfung des franzöſiſchen Textilmarktes und dem daraus ſich
ergebenden Entgegenkommen der Fabrikanten Roubaixer Tuche preiswert abgeſetzt
werden. Endlich iſt infolge der zunehmenden Erhöhung der deutſchen Geſtehungskoſten
der franzöſiſche Kraftwagen gegenüber dem deutſchen etwas mehr in Erſcheinung getreten.
Geſunken dagegen iſt im Vergleich zum Jahre 1919 ſowohl der Bezug ſonſtiger
rein franzöſiſcher Textilwaren (z. B. Wirkwaren) wie auch der von Werkzeug und
techniſchem Induſtriebedarf.
Bei allen übrigen Warengruppen beträgt der Anteil Frankreichs nur einen
Bruchteil, der nur bei Drogen und Schuhen etwa 8 bis 9 v. H. erreicht.
Bisheriger Warenbezug aus den übrigen Ländern, insbeſondere aus
Deutſchland.
Die beſtehenden Unterſchiede in der Bewertung der einzelnen Deviſen haben es
mit ſich gebracht, daß Fertigwaren valutaſtarker Länder vom ſaarländiſchen Markt
faſt völlig verſchwunden ſind. So iſt z. B. ein Bezug preiswerter engliſcher Stoffe
oder Strumpfwaren gegenwärtig noch unmöglich. Von Nahrungsmitteln ſowie Roh—
und Halbfabrikaten der Induſtrie abgeſehen, iſt deshalb nahezu der geſamte ſaar—
ländiſche Handel — auch unter Berückſichtigung des ſaarländiſch⸗franzöſiſchen Waren-
verkehrs — auf Deutſchland eingeſtellt. So ſind bei
Eiſenwaren Elektrotechnik
Haus und Küchengerät Büchern und Papierwaren
Fahrrädern und Nähmaſchinen Arzneien und Chemikalien
Inſtallationsmaterial Klavieren
andere als deutſche Waren nur in Ausnahmefällen bekannt und verkäuflich. Auf den
übrigen Warenzweigen macht der Bezug von deutſcher Seite her über 90 v. H. des
Geſamtverbrauchs aus.
Außer auf dieſen mengenmäßigen Anteil wird von einzelnen Branchen auch auf N
die tatſächliche Bedeutung der deutſchen Lieferungen hingewieſen. So bildet u. a.
die Verſorgung mit deutſchem Brotgetreide und Kartoffeln den Grundſtock der ſaar—
ländiſchen Ernährung. Endlich kann auch ein Teil der Überfeewaren nur durch Ver⸗
mittlung des mit den ſaarländiſchen Bedürfniſſen vertrauten deutſchen Importeurs
bezogen werden.
Umſtellung des Saargebiets auf franzöſiſche Lieferungen.
Die Löſung dieſer Frage liegt, nach Auffaſſung der befragten Firmen, weder
bei dem Verbraucher noch bei dem ihn beliefernden Handel, ſondern allein bei der
innerhalb des franzöſiſchen Zollgebiets arbeitenden Induſtrie. Gelingt es dieſer, die
bisher auf dem ſaarländiſchen Markt vorherrſchende Ware an Brauchbarkeit, Ge⸗
ſchmacksanpaſſung und Billigkeit zu übertreffen, fo find bei dem prattiſchen Sinn
der ſaarländiſchen Bevölkerung alle Vorausſetzungen für den Verbrauch franzöſiſcher
Waren gegeben. Die Möglichkeit einer ſolchen Umſtellung wird von 37 Firmen
(22 der Lebensmittelbranche) für ihren Geſchäftszweig teils ganz, teils in beſchränktem
Umfang bejaht, von den übrigen Antwortenden verneint.
Die innerfranzöſiſche Induſtrie iſt nach der allgemeinen Auffaſſung leiſtungsfähig
genug, ein ſo kleines Land wie das Saargebiet mit zu beliefern. Eine erhebliche
Einſchränkung ergibt ſich jedoch, ganz abgeſehen vom Preis, daraus, daß der aus—
geſprochene franzöſiſche Geſchmack von den ſaarländiſchen Lebensgewohnheiten weſentlich
abweicht. Damenwäſche, Arbeiterunterkleidung, Konfektion, Wirk- und Kurzwaren
werden allein auf dem Gebiet der Textilien als Beiſpiele angeführt. Die runden
deutſchen Möbel find dem franzöſiſchen Fabrikanten völlig fremd. Küchen- und
Hausgerät beider Länder weichen erheblich voneinander ab. Schreib- und Regiſtratur⸗
maſchinen ſowie Fahrräder und Nähmaſchinen des franzöſiſchen Marktes zeigen er—
hebliche Nachteile gegenüber den bisher hier gebrauchten.
Die Möglichkeit, innerhalb des franzöſiſchen Zollbezirks eine Produktion aufzu⸗
bauen, die ſich dieſen Eigenheiten des ſaarländiſchen Verbrauchs anpaßt, wird nahezu
durchweg verneint. Auch die Eigenproduktion im Saargebiet ſelbſt, die faſt auf
allen Warengebieten zunächſt ins Auge gefaßt war, wird nur in ganz beſcheidenem
Umfang — bei Produktionsſtufen, die keine beſonderen maſchinellen Vorrichtungen
und techniſchen Erfahrungen erfordern — durchgeführt werden können. Die Bau⸗
ſchwierigkeiten, das beweiſt die neu entſtandene Tabakinduftr e, wären nicht unüber⸗
windlich. Eine Reihe von Speſen wäre ſogar geringer als im Innern Frankreichs.
Es fehlt jedoch die Hauptſache, ein ausreichendes Abſatzgebiet. Als ſolches kann ein
Land mit 700 000 Köpfen nicht angeſehen werden. In noch höherem Maße muß
deshalb die Möglichkeit einer Umſtellung der innerfranzöſiſchen Induſtrie auf den
Saarabſatz bezweifelt werden.
Die vorhandenen Unterſchiede in Geſchmacksrichtung und teilweiſe auch in der
Qualität könnten allerdings zwangsweiſe durch entſprechende Zoll- und Einfuhrmaß⸗
nahmen behoben werden. Tritt dadurch eine erhebliche Verteuerung der deutſchen
Fabrikate ein, ſo kann damit gerechnet werden, daß z. B. Eiſen-Halbfabrikate, wie
Träger und Röhren, aus Lothringen bezogen werden und der franzöſiſche Anteil
an den Textilverbrauch auf etwa 40 v. H. ſteigt. Allein in einer großen Reihe von
Warengebieten läßt ſich auch hierdurch eine Umftllung nicht erzwingen. In allen
techniſchen Betrieben, vom Handwerk bis zur Hütte, iſt bei der vo geſchrittenen Typi⸗
ſierung der bisher verwendeten Maſchinen, Werkzeuge, Hilfsinſtrumente, auch Ge⸗
windeteile uſw. ein Warenblock von vielen Millionen Mark vorhanden, der infolge
andersartiger Normung auf dem franzöſiſchen Markt weder Erſatz- noch Zubehörteile
finden kann. Der geſamte Werkzeug- und Maſchinenhandel kann deshalb erſt dann
mit einem Abſatz franzöſiſcher Fabrikate rechnen, wenn trotz der ungeheueren dabei
verlorengehenden Werte ganze Betriebsteile auf die neue Technik umgebaut werden.
In gleicher Weiſe laſſen ſich auf dem eclektrotechniſchen Markt bei Baubeſchlägen,
el
i 1 und Kleineiſenwaren franzöſiſche Erſatz wie Zubehörteile auf lange Jahre
| 2 binaus nur in beſchränktem Maße abſetzen.
Auch auf den übrigen Märkten müſſen erhebliche Lücken in der Belieferung ent-
ſtehen, fobald die deutſche Ware nicht mehr oder nicht in vollem Umfang zur Ver—
fügung ſteht. Der ſchwere württembergiſche Arbeitsſchuh kann durch den ſchmaleren
franzöfiichen Typ nicht erſetzt werden. Eine große Reihe konfektionierter Ware
5 franzöſiſchen Urſprungs iſt, wie die bisherigen Erfahrungen zeigten, im Saargebiet
nicht abſetzbar, weil die Figur der Saarländer Frauen von der einer Franzöſin
weſentlich abweicht. Der Drogen- und Chemikalienhandel weiſt ebenſo wie die
Apotheken darauf hin, daß eine große Anzahl deutſcher Präparate in Frankreich über—
haupt nicht hergeſtellt wird. Endlich weiſt der Buchhandel nach, daß er, abgeſehen
von den Bedürfniſſen der hieſigen franzöſiſchen Kolonie, lediglich Bücher abſetzen könne,
die in deutſcher Sprache geſchrieben ſind.
Läßt ſich danach ein erheblicher Teil des bisherigen Mark-Warenbezuges aus
techniſchen Gründen nicht ausſchalten, ſo erhebt ſich die Frage, ob der übrige Teil
des ſaarländiſchen Verbrauchs — bei nicht allzu erheblichen Preisunterſchieden —
durch Sondervorteile, die der franzöſiſche Lieferant dem franzöſiſchen Abnehmer gewährt,
nicht ſtärker als bisher auf dem franzöſiſchen Markt, alſo in Frank eingekauft werden
kann. Die Antwort iſt abhängig von der Feſtſtellung, ob die Einkäufe auf
dem franzöſiſchen wie auf dem deutſchen Markt keine allzu große
Unterſchiede in der Höhe der Geſtehungskoſten zeigen.
40 der befragten Firmen halten dieſe Differenz für unweſentlich, 552 Kaufleute
| dagegen rechnen mit weſentlich höheren Geſtehungskoſten, ſobald fie in größerem
Umfang auf dem franzöſiſchen Markt einkaufen. In erſter Linie verweiſt man auf
die allgemeine Tatfache, daß der niedrige Stand der deutſchen Valuta alle Produktions—
koſten, wie Löhne, Feuerung uſw., aber auch die Vorſpeſen des Kaufmanns, wie
Frachten, Verſicherung, Reiſekoſten, weſentlich unter dem franzöſiſchen Niveau zu halten
vermag. So verweiſt der Textilhandel u. a. darauf, daß er ſeine Einkaufsreiſenden
mit der gleichen Summe Geldes in Deutſchland drei Wochen, in Frankreich aber nur
eine Woche unterhalten kann.
Abgeſehen von dieſem grundlegenden Unterſchied der allgemeinen Preisbaſis,
verweiſen einzelne Branchen auf den Umſtand, daß verſchiedene franzöſiſche Produktions-
zweige infolge Fehlens einer breiten Maſſenherſtellung bereits in Friedenszeiten
ungünſtigere Herſtellungsbedingungen aufwieſen. Als Beiſpiel werden verſchiedene
Textilien (u. a. Wirkwaren), Hüte, Schäfte der Schuhfabrikation, Kleineiſenwaren,
Beleuchtungsanlagen von Kraftwagen aufgeführt.
Endlich glaubt die Mehrzahl der befragten Firmen damit rechnen zu müſſen,
daß das Saargebiet auch bei einer völligen Eingliederung in das franzöſiſche Wirt—
ſchafts- und Währungsgebiet auf die Dauer für die franzöſiſche Ware höbere Preiſe
zu zahlen haben wird als der innerfranzöſiſche Bezieher. Dies ergäbe ſich einmal
aus der erheblichen Entfernung des im franzöſiſchen Wirtſchaftsgebiet völlig dezentral
liegenden Saarbeckens. Bisher bezog der hieſige Handel ſeine Ware im Durchſchnitt
aus der Rheingegend und aus Süddeutſchland, alſo auf einer Frachtentfernung von
200 bis 250 km. Bei dem Einkauf auf dem franzöſiſchen Markt iſt dagegen, da
Paris beſonders für den Landesfremden den Mittelpunkt des Wareneinkaufs bildet,
mit einer zuſätzlichen Frachtſtrecke von weiteren 130 bis 180 km zu rechnen. Der
Eiſen⸗, Werkzeug. und Maſchinenhandel ſowie die Möbel- und Bauſtoffbranche ſehen
hierin eine ſchwere Sonderbelaſtung. Verwieſen wird weiter darauf, daß der fran—
zöͤſiſche Lieferant bei Lieferungen nach dem Saargebiet mit einer höheren Riſikoprämie
rechnen wird, in ähnlicher Weiſe wie jeder Kaufmann bei Lieferungen ins Ausland
ſeine Unkenntnis des dortigen Wirtſchaftslebens als Gefahrsmoment einkalkulieren
muß. Eine Auskunft über die Kreditfähigkeit des ſaarländiſchen Beziehers ſtößt für
den franzöſiſchen Lieferanten auf Schwierigteiten. Vereinbarungen über Kreditge—
währung, Skontoabzüge, Lieferfriſten und ſonſtige Vertragsbedingungen, die die uns
a
angeſchloſſenen Verbände mit deutſchen Organiſationen in großem Umfang abge⸗ } %
ſchloſſen haben, fehlen nach der weltlichen Seite heute noch völlig. Dazu ergibt die
Verſchiedenheit des beiderſeitigen Rechtslebens ein weiteres Moment der Unſicherheit
und Gefahr für den franzöſiſchen Lieferanten wie umgekehrt für den ſaarländiſchen
Bezieher.
Es wird ſich daher, ſo lautet die Antwort, der Verkaufspreis franzöſiſcher Ware
im Saargebiet durchweg über den bisherigen Markpreiſen, wegen der Frachtentfernung
und der mangelnden wirtſchaftlichen Fühlung auch über den innerfranzöſiſchen Preiſen
halten. ö
Läßt ſich der bisherige Markeinkauf weder ausſchalten noch in nennenswertem
Maße verhindern, ſo bedarf es der Feſtſtellung, ob dieſer Warenbezug, der techniſch
zugleich mit einem Verkauf in Mark verknüpft iſt, durch eine Erweiterung des
Frankumlaufs auf anderen Wirtſchaftsgebieten nicht geſchädigt wird. In Frage
kommen hierfür die Frankentlohnung der geſamten Induſtriearbeiterſchaft, der kauf⸗
männiſchen Angeſtellten, ſowie die Frankverrechnung der ſtaatlichen und kommunalen
Abgaben und Gebühren.
Können kaufmänniſche Angeſtellte weiter in Mark entlohnt werden,
wenn die geſamte Induſtriearbeiterſchaft in Frank bezahlt wird?
Von 73 Firmen wird die Frage bejaht, von 523 verneint. Z veifellos hat das
Intereſſe der Arbeiter wie der Angeſtellten an einem Franklohn nachgelaſſen ſeitdem
die Ausſichten einer günſtigen Deviſenſpekulation ſich verringert haben. Solange die
in Frank gezahlten Löhne auch nur eine Umrechnung der bisherigen Markſätze be⸗
deuten, wird, von weiteren Lohnerhöhungen abgeſehen, die Markzahlung an kauf⸗
männiſche Angeſtellte aufrechterhalten werden können. Es iſt jedoch zu erwarten,
daß die organiſierte Arbeiterſchaft in Zukunft innerfranzöſiſche Löhne zum mindeſten
verlangen wird. Setzt ſich dieſer Anſpruch auch nur teilweiſe durch, ſo müßte als
Ausgleich den Angeſtellten ein Gehalt bewilligt werden, das weit über den heutigen
Sätzen läge. Auch der kaufmänniſche Großbetrieb rechnet nach ſeinen Friedens⸗
erfahrungen mit 10 v. H. als der Höchſtgrenze des Speſenſatzes für Löhne und
Gehälter im Vergleich zum Umſatz. Dieſe obere Grenze des Erträglichen iſt jetzt
bereits im Durchechnitt erreicht. Ein weiteres Emporſchnellen bedeutet den Beginn
größerer Angeſtelltenentlaſſungen.
Kann der kaufmänniſche Angeſtellte in Frank entlohnt, die Ware aber
in Mark verkauft werden?
577 Firmen halten eine ſolche Löſung für unmöglich, 39 ſind anderer Auffaſſung.
Die Ablehnung wird einmal damit begründet, daß ähnlich wie gegenwärtig bei ein zelnen
Hütten für jeden Zahltag Franken bei der Bank gekauft werden müßten. Vor allem
aber ergeben ſich der Praxis der Buchführung erhebliche Schwierigkeiten, da eine
ſolche lediglich auf eine Währung aufgebaut ſein kann, alle übrigen Geldmittel da⸗
gegen als Ware gehandelt werden müſſen. Letzten Endes bedeutet alſo eine ſolche
Frankenentlohnung, daß ſie buchmäßig doch in Form von Markunkoſten aufgeführt
werden muß. f
Iſt der Markverkauf deutſcher Ware durchführbar, wenn die geſamten
ſaarländiſchen Frachten, Gebühren und Steuern in Franken erhoben
werden?
Von 92 Firmen wird dies bejaht, von 527 verneint. Sobald die öffentlichen
Verkehrsanſtalten und die Landes- und Kommunalverwaltungen ihr Perſonal in
Franken entlohnen, müſſen — dies entſpricht ja auch den Außerungen von Ver⸗
tretern der Regierungskommiſſion der Preſſe gegenüber — automatiſch alle Ein⸗
nahmen, d. h. die geſamten Frachten und Gebühren, vor allem aber die Steuern,
5
.
— Tue
auf Franken umgeſtellt werden. Daß dies ein ungeheures Anſchwellen der bisherigen
Mark⸗Warenſpeſen bedeutet, iſt die einhellige Auffaſſung aller Befragten. Der größte
Teil iſt aber weiter der Anſicht, daß unter dieſen Umſtänden der Verkauf auch der
aus Deutſchland bezogenen Waren in Mark ſich nicht mehr durchführen läßt. Viel—
mehr würde das bisherige Hauptzahlungsmittel automatiſch durch den Franken aus
dem faarlindifchen Verkehr verdrängt werden.
Läßt ſich bei einer Erweiterung des Frankenumlaufs die Umſtellung des geſamten
Warenverkaufs nicht vermeiden, ſo erhebt ſich die grundlegende Frage, ob der
teils völlig, teils in überwiegendem Maße lebensnotwendige Warenbezug
aus Deutſchland hierdurch beeinflußt wird.
Nahezu einſtimmig — 607 Stimmen gegen 35 Stimmen — wird mit allem
Nachdruck darauf verwieſen, daß der deutſche Inlandspreis aus der Saarbelieferung
damit verſchwindet. Beſonders diejenigen führenden Geſchäftsleute, die für ihre
Branche durch Verhandlungen mit den deutſchen Fabrikantenverbänden die bisherige
5 Belieferung durchgeſetzt haben, erklären, daß damit ſowohl der Auslands—
mindeſtpreis der Außenhandelsſtellen wie auch die Valutaabgabe und die etwa zu er—
hebende Exportſteuer der Weſtmächte vom ſaarländiſchen Handel und damit auch vom
ſaarländiſchen Verbraucher mitbezahlt werden müßten. Eine ſolche Maßnahme konnte
bisher ſtets nur durch den Hinweis abgewehrt werden, daß die Ware im Saargebiet
genau ſo wie im deutſchen Inland zu Mark verkauft werden würde. Für einzelne
Geſchäftszweige, u. a für Eiſenwaren, werden Belege geliefert, wonach Fabrikanten
ſich für den Fall einer ſolchen Umſtellung auf Frankenverkäuf bereits jetzt eine
entſprechende Erhöhung der Preiſe vorbehalten.
Die Wirkung einer ſolchen Maßnahme, welche die deutſche Induſtrie im Inter—
eſſe ihrer Selbſterhaltung nicht vermeiden könne, wird für die Lebenshaltung im
Saargebiet wie für die Produktionskoſten der geſamten an der Abſtimmung beteiligten
Gewerbebetriebe für kataſtrophal angeſehen. Sie ſchneide dem Saargebiet die bis—
herige billige deutſche Bezugsquelle ab, ohne es innerhalb des franzöſiſchen Wirtſchafts—
gebiets zu etwas anderm machen zu können als zu einem weſensfremden iſolierten
Anhängſel. Damit beginne, ſo ſchreibt ein maßgebendes Unternehmen, der Verfall
des ſaarländiſchen Wirtſchaftslebens nach lothringiſchem Muſter.
Weiter bedarf es der Feſtſtellung, welche Einwirkung ein erweiterter Franken—
umlauf auf die Kapitalverhältniſſe der einzelnen Unternehmen wie auch auf die
Kaufkraft der Kundſchaft vorausſichtlich haben wird.
Einfluß des Frankenumſatzes auf das bisherige Mark-Betriebskapital.
Die Folgen werden von 540 Firmen als äußerſt ungünſtig geſchildert. Überall
dort, wo der Geſtehungspreis einer in Frankreich eingekauften Ware über dem
deutſchen Marktpreis ſteht — und dies ſoll nach den Angaben auf nahezu allen
Warengebieten der Fall fein —, wird der Kaufmann vor die Frage geſtellt, ob er
ſein Betriebskapital vergrößern kann oder nicht. Andernfalls muß ſein Lager auch ganz
weſentlich kleiner gehalten werden. Weiter müſſen die Erträge aus Reſervekapitalien
uſw., die in Aktien, Grundbeſitz uſw. angelegt find, einem weiteren Frankenumſatz
egenüber völlig unzureichend erſcheinen. Dazu hat der Handel in großem Umfange
ieferverträge abgeſchloſſen, die auf dem bisher einkalkulierten deutſchen Inlandspreis
beruhen. Fällt dieſe Baſis, ſo iſt die neu entſtehende wirtſchaftliche wie rechtliche
Unſicherheit unüberſehbar.
Neben dieſen in den einzelnen Branchen verſchieden gelagerten Geſichtspunkten
wird allgemein betont, daß praktiſch ein erweiterter Frankenumlauf außer der Aus—
ſchaltung von Markverkäufen auch zu einem Umtauſch der geſamten flüſſigen Betriebs-
kapitalien aus Mark in Franken führen müſſe. Wenn man auch, ſo wird betont,
mit einem nennenswerten Steigen des deutſchen Deviſenſtandes in der nächſten Zeit
—
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5 W 8 8 F
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nicht rechnen könne, ſo werden ſich doch vorausſichtlich die Unterſchiede zwiſchen den 5 =
verſchiedenen europäiſchen Valuten, insbeſondere zwifchen Franken und Mark, allmählich
ausgleichen. Eine Umwechſlung im gegenwärtigen Augenblick bedeutet daher unter
Umſtänden den Verluſt eines erheblichen Teils des Betriebskapitals.
Einwirkung des Warenverkaufs in Franken und des Zollabſchluſſes
gegenüber deutſchen Warenlieferungen auf die ſaarländiſche
Lebenshaltung.
Mehr noch als bei den übrigen Fragen wird hier betont, daß nicht ein Urteil,
ſondern nur eine Vermutung über die vorausſichtliche Entwicklung der Dinge ausge⸗
ſprochen werden könne. Der Verluſt deutſcher Lieferungen zu Inlandspreiſen bedeute,
jo erklärt man, bereits einen erheblichen Teil jenes Zollabſchluſſes, wie er nach dem
Friedensvertrage ab 1925 vorgeſehen iſt. In beiden Fällen rechnet man, wie die
bisherigen Antworten ergaben, mit einer erheblichen Preisſteigerung, zum Teil ſogar
mit Lücken innerhalb der Bedarfsdeckung. Die allgemeine Kaufkraft wird, nach der
einheitlichen Auffaſſung der befragten Firmen (505 gegen 5), aus zwei Gründen
nachteilig beeinflußt werden. Bei einer allgemeinen Frankregulierung von Käufen
und Verkäufen, Löhnen und Steuern ſchwindet zunächſt die erhöhte Kaufkraft, deren
ſich bisher ſowohl die hieſigen franzöſiſchen Kolonien, wie die Berg- und Metall⸗
anbeiterfchaft erfreuten. Die Möglichkeit, mit einem beſtimmten Frankeinkommen in
Saarbrücken billiger als in Metz und Straßburg zu leben, wird in Zukunft nicht
mehr vorhanden ſein, zum Teil ſogar in das Gegenteil ſich umwandeln. Damit
fällt für den ſaarländiſchen Handel gerade derjenige Kunde weg, der bisher den
hieſigen Warenumſatz über den des übrigen Deutſchland teilweiſe hinausgehoben hat.
Weiter wird von den mit der Schwerinduſtrie zuſammenarbeitenden Firmen
erklärt, daß dieſe, wolle ſie nicht auch auf dem innerfranzöſiſchen Markt ihre Kon⸗
kurrenzfähigkeit völlig verlieren, keinesfalls die vollen innerfranzöſiſchen Löhne zahlen könne.
Im Saargebiet ſtände deshalb einer durch die Frachtentfernung verteuerten Ware die unter
dem franzöſiſchen Durchſchnitt ſtehende Kaufkraft der ſaarländiſchen Bevölkerung gegenüber.
Nicht unerwähnt bleiben darf, daß bei einer Verminderung des Deviſenumlaufs
nach der einen wie der anderen Seite hin den zahlreichen ortsanſäſſigen Banken die
wirtſchaftliche Grundlage zum Teil entzogen wird.
Endlich weiſt eine Reihe der befragten Firmen darauf hin, daß die nach Mit⸗
teilung der Regierungskommiſſion im Saargebiet vorhandenen 30 000 Perſonen,
welche heute bereits auf völlig unzureichende Renten und ſoziale Unterſtützungen an⸗
gewieſen ſind, bei einer Erweiterung des Frankumlaufs nahezu mittellos daſtänden.
Ihr Kreis würde aber dann noch vermehrt werden durch alle diejenigen Perſonen,
die ſich bisher durch Zinſen kleiner Kapitalien ſelbſt notdürftig über Waſſer gehalten haben.
Zu berückſichtigen iſt weiter die Einwirkung eines vermehrten Franken⸗
umlaufs auf den über die Saargrenzen hinausgehenden Wagenverkehr.
Hierzu gehört einmal nahezu die geſamte Tätigkeit des ſaarländiſchen Großhandels.
Bereits jetzt hat dieſer den größten Teil ſeines ehemals blühenden, von Luxemburg
bis herunter nach dem Elſaß reichenden Arbeitsfeldes verloren. Geſchäftsniederlaſſungen
in Lothringen ſind liquidiert, die Lieferverbindungen mit den alten lothringiſchen
Kunden find durch die zunehmenden Zollerſchwerungen unterbunden. Auch die Lie⸗
ferungen nach den angrenzenden deutſchen Landesteilen laſſen ſich infolge der beſtehenden
Verkehrsſchwierigkeiten u. a. beim Lebensmittelgroßhandel auf direktem Wege nicht
mehr durchführen. Den Reſt der noch beſtehenden Abſatzmöglichkeit in den an⸗
grenzenden deutſchen Landſchaften gilt es daher unter allen Umſtänden zu erhalten.
In gleicher Lage iſt aber auch der in den Grenzſtädten des Saargebietes ortsanſäſſige
Kleinhandel. Auf Grund jahrzehntelanger Geſchäftsbeziehungen ſind Orte wie Mettlach,
Merzig, Lebach, St. Wendel, Ottweiler, Neunkirchen und Homburg faſt völlig auf die
Wirtſchaftsverbindung, insbeſondere auf den Warenabſatz nach dem Hochwald, dem
Fürſtentum Birkenfeld und der Pfalz angewieſen. 428 an dem Großhandel oder an
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dem kleinen Grenzverkehr mittelbar und unmittelbar beteiligte Firmen erklären, daß
„ ein erweiterter Frankumlauf im Saargebiet ihren Abſatz in den reichsdeutſchen Nach—
barländern völlig unterbinden müſſe. Wie der ſaarländiſche Käufer nur bei einem
N ganz beſonders günſtigen Valutaſtande ein Intereſſe habe, in Lothringen einzukaufen,
EL würde der Pfälzer und Hochwäldler nicht daran denken, in einer fremden Währung
Ware einzukaufen, die in Deutſchland dann billiger zu haben ſein wird.
Auch die Möglichkeit, an Stelle des verlorengehenden reichsdeutſchen Abſatzgebietes
an Teile der alten lothringiſchen Kundſchaft wieder zu erhalten, wird von
dem Großhandel wie von dem mitbeteiligten Einzelhandel, wie das Ergebnis der Ab—
ſtimmung — 478 gegen 21 — zeigt, für äußerſt gering gehalten. Die wiederholten
Außerungen in dem franzöſiſchen Parlament hätten gezeigt, daß man die ſaarländiſch—
lothringiſche Grenzſperre eher verſtärken als abbauen wolle.
Wir geſtatten uns, die Auffaſſung von 694 ſaarländiſchen Handeslsfirmen über
die Wirkung eines erweiterten Frankumlaufs im Saargebiet zuſammenzufaſſen:
1. Das Saargebiet verliert, in ähnlicher Weiſe wie durch einen Zollabſchluß
den Bezug billiger, zum Teil unerſetzbarer deutſcher Ware,
2. die Koſten der ſaarländiſchen Lebenshaltung müſſen ſich erhöhen unter gleich—
zeitiger Schmälerung der allgemeinen Kaufkraft,
3. der ſaarländiſche Handel wird durch erhebliche Verminderungen ſeines
Umſatzes zuſammen mit Verluſten an Betriebskapital aufs ſchwerſte gefährdet,
4. eine Neubelebung des ſaarländiſchen Wirtſchaftslebens iſt nur denkbar, wenn
die angrenzenden Warenmärkte im freien Spiel der Kräfte die allgemeine
Preisbaſis ſenken. Dazu iſt erforderlich: Wirtſchaftsfreiheit und
Verkehrsfreiheit nach beiden Seiten.
Hochachtungsvoll
Schutzverein für Handel und Gewerbe.
Der Syndikus:
(Unterſchrift.)
b. Gutachten des Arbeitgeberverbandes der Saarinduſtrie.
Saarbrücken, den 15. Februar 1921.
Die Wirkungen eines erweiterten Umlaufs des Franken im Saargebiet ſind in
erſter Linie und hauptſächlich wirtſchaftlicher Art.
Die Behandlung dieſer Frage iſt daher vornehmlich Aufgabe einerſeits derjenigen
Korporationen und Verbände, die ſich mit wirtſchaftlichen Fragen befaſſen, anderer—
jeit8 derjenigen Kreiſe, die von den Wirkungen des erweiterten Frankenumlaufs un—
mittelbar betroffen werden.
Demgegenüber kann ſich der unterzeichnete Verband, deſſen Hauptaufgaben auf
ſozialpolitiſchem Gebiet liegen, darauf beſchränken, ſich über die Wirkungen auf dieſem
Gebiet zu äußern; dabei können aber die Wirkungen, ſoweit ſie die ſoziale Verſiche—
rung, namentlich die Krankenverſicherung betreffen, unerörtert bleiben, da in dieſer
Beziehung der Verband zur Wahrung der Intereſſen der Betriebskrankenkaſſen im
Saargebiet ein eingehendes Gutachten bereits erſtattet hat, jo daß nur noch die Wir-
kungen des erweiterten Frankenumlaufs auf Gehälter und Löhne einerſeits und auf
den Arbeitsmarkt andererſeits zu prüfen ſind.
Die Erfahrungen des zweiten Halbjahres 1920 bei der Einführung der Franken⸗
löhnung im Bergbau und in der Hütteninduſtrie haben bewieſen, daß dieſe Maß—
nahme nur möglich war unter einer gleichzeitigen erheblichen Steigerung der Gehälter
und Löhne. Die ſeit Mitte 1920 eingetretene Verſchlechterung der deutſchen Mark
hat dieſe Steigerung zunächſt im Bergbau ſo erheblich werden laſſen, daß die Kauf⸗
kraft der Bergarbeiterbevölkerung in unerwarteter Weiſe zunahm. So ſehr man
es begrüßen kann, haß die Bergleute hierdurch in die Lage verſetzt waren, ihre wirt—
ſchaftlichen Verhältniſſe weſentlich zu verbeſſern, ſo müſſen die Folgeerſcheinungen
beklagt werden, die im übrigen zutage traten.
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Einerſeits nahmen die Bergleute infolge ihrer erhöhten Kaufkraft einen wefent-
lich größeren Teil der ſehr knappen Lebensmitteldecke — ſoweit Landesprodukte in
Frage kommen — in Anſpruch, ſo daß die Induſtriearbeiterſchaft ſich zu erheblichen
Lohnforderungen gezwungen ſah, deren teilweiſer Befriedigung die Induſtrie nach Lage
der Dinge ſich nicht entziehen konnte, andererſeits legte die Steigerung der Kohlen⸗
preiſe der Induſtrie neue erhebliche Laſten auf, die bei ſinkenden Preiſen für ihre
Produkte für fie unerträglich wurden, um ſo mehr, als die Kohlenpreiſe in Franken
zu entrichten waren, alſo in einer Währung, die ſich gegenüber der Mark ſeit Mitte
1920 weſentlich gefeſtigt hatte. |
Ein weiterer Umlauf des Franken kann dieſe Erſcheinungen nur verſtärken.
Wir können uns darauf beziehen, daß nach allen Gutachten, die uns bis heute be-
kannt geworden ſind, eine weſentliche Verteuerung der Geſamtlebenshaltung zu er⸗
warten iſt, ſo daß der ſo dringend notwendige Abbau der Löhne ernſte Hemmniſſe
erfährt, die wiederum ihre Wirkung auf die Geſtaltung der Kohlenpreiſe und damit
auf die Grundlagen der ſaarländiſchen Wirtſchaft nicht verfehlen können. Die heute
ſchon notwendigen Betriebseinſchränkungen, die zu Feierſchichten und hier und da
auch zu Entlaſſungen Anlaß geben, werden dann mehr und mehr zur gebieteriſchen
Notwendigkeit. g
Das leitet von ſelbſt über zur Betrachtung der Wirkung auf dem Arbeitsmarkt.
Der Arbeitsmarkt iſt ſchon heute außerordentlich flau. Wenn die Zahl der
Arbeitsloſen heute noch nicht größer iſt, ſo läßt das nicht den Schluß zu, daß die
noch Arbeitenden auch nur annähernd voll beſchäftigt find; vielmehr iſt ſich die
Induſtrie ihrer Verantwortung bewußt und tut alles irgend möglich Erſcheinende,
um der Mehrzahl ihrer Arbeiterſchaft Brot und Verdienſt zu geben. Bei weiteren
Belaſtungen, wie fie der erweiterte Frankenumlauf, ſei es abſolut, ſei es relativ, mit
ſich bringen wird, iſt die Induſtrie hierzu außerſtande; Entlaſſungen in größerem
Umfange ſind dann unvermeidlich, wobei die Mehrzahl dieſer Arbeiter der öffentlichen
Erwerbsloſenfürſorge zur Laſt fällt. Abgeſehen von den ſchwerwiegenden finanziellen
Folgen für die Gemeinden ſowohl wie für das geſamte Saargebiet, iſt es in mehr
als einer Beziehung außerordentlich bedenklich, die Zahl der Erwerbsloſen zu ver⸗
mehren. Selbſt wenn es gelänge, die Erwerbsloſenunterſtützung ſo zu geſtalten, daß
die Erhaltung der nackten Exiſtenz einigermaßen geſichert erſcheint, hat die reine Tat⸗
ſache, daß ein Teil der Bevölkerung ohne Arbeit iſt, die Folge, daß dieſer Teil die
Arbeit bis zu einem gewiſſen Grad verlernt. Was das volkswirtſchaftlich bedeutet,
brauchen wir nicht beſonders hervorzuheben. Noch bedenklicher erſcheint aber die Folge,
daß Arbeitsloſe radikalen Einflüſſen in erheblichem Maße zugänglich ſind, ſomit nicht
nur eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit durch Zunahme der Eigentums⸗
und ſonſtigen Delikte und durch die Neigung zu Putſchen und Aufſtänden Hand in
Hand geht, ſondern auch die Beeinträchtigung der Arbeitsfreudigkeit und Arbeits⸗
fähigkeit der noch arbeitenden Bevölkerung. Dieſe Befürchtungen nehmen natürlich
in dem Maße zu, als es nicht gelingt, der Erwerbsloſenunterſtützung ein Ausmaß
zu geben, daß der reine Lebensunterhalt damit gedeckt werden kann. Und das er⸗
ſcheint uns bei der Finanzlage des Saargebiets und der Gemeinden von vornherein
ausgeſchloſſen.
Eine derartig einſchneidende Maßnahme, wie ſie die Erweiterung des Umlaufes
eines Zahlungsmittels bedeutet, das, wie der Franken, dem Wirtſchaftskörper bisher fremd
war, iſt ſchon in Zeiten normaler Wirtſchaftslage von ernſten Folgen begleitet; bei
nicht normaler, namentlich ſinkender Wirtſchaftslage muß aber eine ſolche Maßnahme
die Vernichtung ſelbſt ſolcher wirtſchaftlicher Exiſtenzen mit ſich bringen, die als durch—
aus ſicher gelten konnten; wie vielmehr nicht derjenigen, die, wie die werktätige Be—
völkerung, im weſentlichen von ihrer Hände oder ihres Kopfes Arbeit leben.
Arbeitgeberverband der Saarinduſtrie e. V.
Die Geſchäftsführung
(òUnterſchrift.)
e. Gutachten der eiſenſchaffenden Induſtrien des Saargebiets.
Saarbrücken, den 14. Februar 1921.
Die unterzeichneten Werke geſtatten ſich, das auch in der Preſſe veröffentlichte
RNundſchreiben der verehrlichen Regierungskommiſſion vom 17. Januar, das die Folgen
eeines etwaigen erweiterten Umlaufes des Franken behandelt, gemeinſam wie folgt
zu beantworten: |
A Zunächſt iſt als leitender Geſichtspunkt feſtzuhalten, daß die Lebens- und Wett—
bewerbsfähigkeit der Saarinduſtrie ihre ſtärkſten Wurzeln in der Saarkohle hat.
Der preußiſche Fiskus hat dieſer Tatſache auch bei feiner ganzen Preispolitik Rechnung
getragen, da er ſich darüber klar war, daß die Saarhütten in dem Augenblick ihrer
eigentlichen Daſeinsbedingungen beraubt ſind, in dem ihnen die weſentlichſte
Lebensader, die Saarkohle zu billigen Preiſen und in angemeſſenen Mengen zu
erhalten, abgeſchnitten wird. Vor dem Kriege hatte die Saareiſeninduſtrie ihr maß—
gebendes Abſatzgebiet in Mitteldentſchland und Süddeutſchland, ſowie in Italien und
der Schweiz. Das überſeeiſche Geſchäft wurde zwar auch gepflegt, ſpielte aber an
ſich keine beſonders hervorſtechende Rolle, da die langen Frachtwege, die bis zu den
phauptſächlichſten Verſchiffungshäfen zurückzulegen waren, für die Saarinduſtrie —
trotz teilweiſe günſtiger Ausnahmetarife, wie beiſpielsweiſe auf den belgiſchen Bahnen —
an ſich doch nachteilig waren. Nach eingetretenem Waffenſtillſtand ermöglichte es die
beſondere Lage des Saargebiets, den auf der ganzen Welt feſtzuſtellenden Eiſenhunger
vom Saargebiet aus zu befriedigen. Dieſe Entwicklung war für die Saarhütten
inſofern günſtig, als ſie für den Verkauf ihrer Erzeugniſſe nach dem Ausland vielfach
gute Deviſen einzutauſchen vermochten. Das deutſche Geſchäft wurde eigentlich nur
noch zum Zweck der Erhaltung der langjährigen Kundſchaft in beſcheidenem Umfang
und zur Erlangung von Rohſtofflieferungen zu deutſchen Inlandpreiſen gepflegt. Tat—
ſächlich hatten ſich auch die bisherigen Handelsgrundlagen für die Saarinduſtrie durch
die faſt kaufkraftlos gewordene Mark — der Franken ſtand zeitweilig auf 7 bis 8 Mark
— völlig verſchoben. Trotz beſchränkter Produktionsmöglichkeiten vermochten die
Saarhütten aus den Valutaſchwankungen inſofern Vorteile zu ziehen, als fie aus
umfangreichen Bedarfsliſten aus allen Ländern jeweils paſſende Beſtellungen
nach Belieben auszuf chen vermochten, denn die Auslandsmärkte nehmen alles Eiſen
auch mit recht hohen Valutaaufſchlägen gierig auf. Erleichtert wurden der
Saarinduſtrie gewinnbringende Geſchäfte noch durch den Umſtand, daß die rheiniſch—
weſtfäliſche Eiſen⸗ und Stahlinduſtrie zunächſt als ernſthafter Wettbewerber auf den
Auslandsmärkten nicht in Frage kam, da einmal die wilden Zuckungen, die nach der
Revolution den deutſchen Wirtſchaftskörper durchtobten, dann aber auch die Feſſeln
der Zwangswirtſchaft die Unternehmungsluſt der deutſchen Eiſenhütten bis zu einem
gewiſſen Grade lahmlegten. Erſt im Sommer 1920 wurden vom Reichskommiſſar
für die Eiſenwirtſchaft die Prozentſätze der deutſchen Ausfuhr wie folgt erhöht:
bei Halbzeug = 15 v. H., Formeiſen = 25 v. H., Stabeiſen = 30 v. H., Univerfal-
eiſen = 10 v. H., Bandeiſen = 35 v. H., Grobbleche = 25 v. H. und bei Walz
draht = 35 v. H.
Der im Februar 1920 auf 7 bis 8 Mark geſtiegene Frankenwert begann im
März April eine Senkung auf 5 Mark und hielt ſich bis zum Herbſt auf etwa 3 Mark,
um dann wieder auf 4 bis 5 Mark zu ſteigen. Die Valuta in den übrigen Ländern
verſchob ſich in ähnlicher Weiſe. Die hierdurch bedingte Schmälerung des Export—
erlöfes verwirrte die Handelsbaſis für die Saarhütten von neuem. Eine nochmalige
Umwälzung und Verſchiebung in den Abſatzgebieten war die unausbleibliche Folge
dieſer Entwicklung.
Der am 1. April 1920 durch geſetzliche Maßnahme gegründete Deutſche Eiſen—
wirtſchaftsbund (Selbſtverwaltungskörper) begann ſeine Tätigkeit mit einer Erhöhung
des Stabeiſenpreiſes auf 3 650 Mark pro Tonne. Trotz des anſchließenden Preis—
abbaues auf 3 200 Mark am 1. Juni, 2840 Mark am 1. Auguſt und 2 440 Mark
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am 1. November 1920 blieb aber immer noch ein Überangebot an Eiſen zu erkennen.
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24
Dieſes Überangebot machte fid) aber nicht nur auf dem deutſchen Markt bemerkbar;
es übertrug ſich von der Mitte des Jahres 1920 ab allmählich auch auf die Auslands
märkte. Während die franzöſiſche, die belgiſche und die luxemburgiſche Eiſeninduſtrie
ſowohl im Jahre 1919 wie auch noch zum Teil im Jahre 1920 einmal unter den
Nachwirkungen der Zerſtörungen des Krieges, ſodann aber auch unter den Zeichen
der ſich ſchärfſtens bemerkbar machenden Kohlennot ſtand, änderte ſich dieſe Sachlage
von Mitte 1920 an, und es machte ſich für die Saareiſeninduſtrie überall der Wett
bewerb des belgiſchen, luxemburgiſchen und franzöſiſchen Eiſens bemerkbar. Erſchwerend
und nachteilig beeinflußt wurde die Wettbewerbsfähigkeit der Saarhütten aber auch
dadurch, daß die Bergverwaltung vom 1. Auguſt 1920 ab ihre Kohlen in franzöſiſcher
Währung bezahlt erhielt. Der ſchlechte Stand der Mark hatte in den vorangegangenen
Monaten die Saareiſeninduſtrie um deswillen in ihrer wirtſchaftlichen Betätigung
nicht ungünſtig beeinflußt, als ja die Kohlenpreiſe ebenfalls in Mark bezahlt werden
konnten. Während ſchon die Notwendigkeit, die Kohlen in Franken bezahlen zu müſſen,
die Wettbewerbsmöglichkeiten der Saarhütten einſchränkte, bedeutete naturgemäß die
mit Wirkung vom 1. Dezember 1920 beſchloſſene Löhnung der geſamten Angeſtellten
und Arbeiter in Franken eine weitere Verſchiebung in den bisherigen Abſatzverhältniſſen
zuungunſten der Saarinduſtrie. Der ſtarke Frankenbedarf der Saarhütten, von
denen jede monatlich etwa 10 bis 15 Millionen Franken für Kohlen und Lohne bereit⸗
zuſtellen hat, fiel zeitlich faſt zuſammen mit der ſich in zunehmendem Maße bemerkbar
machenden Verdrängung vom Auslandsmarkt. Es zeigte ſich alſo, daß die Saarhütten
dieſe Franken nicht mehr auf Grund ihrer durch Auslandsgeſchäfte verfügbar ge—
machten Deviſen zu beſchaffen vermochten, vielmehr mußten ſie ihren Frankenbedarf
mit der deutſchen Mark — dem hauptſächlichſten Gegenwert ihrer Erzeugung —
kaufen. Heute iſt die Lage für die Saarhütten in der Tat ſo, daß ſie einen
ſehr erheblichen Teil ihrer Erzeugung wiederum in ihr früheres mittel- und ſüd⸗
deutſches Abſatzgebiet werfen müſſen. In dieſen Gebieten aber iſt die Saar⸗
induſtrie dem überlegenen Wettbewerb der rheiniſch-weſtfaliſchen Eiſeninduſtrie, die
ſowohl ihre Kohlen wie auch ihre Löhne in der deutſchen Mark bezahlt, ausgeſetzt.
Begünſtigt durch vorteilhafte Waſſerverfrachtung mit eigenen Schiffen, hatten in der
Zwiſchenzeit die rheiniſch-weſtfäliſchen Hüttenkonzerne, wie Thyſſen, Gutehoffnungs⸗
hütte, Rheinſtahl, Union uſw., ihre füddeutfchen Lager zum Ausgleich für den durch
die Beſſerung der Mark erſchwerten Export aufgefüllt und eroberten nunmehr den
durch vermehrtes Überangebot auch aus dem Saargebiet geſättigten mittel- und ſüd⸗
deutſchen Markt durch die ihnen im Vergleich zur Saarinduſtrie ohne Schwierigkeiten
möglichen Preiszugeſtändniſſe nahezu vollſtändig. Im November zwang die verminderte
Aufnahmefähigkeit des deutſchen Marktes bereits zur Aufhebung der ſozialen Ausfuhr⸗
abgabe, um für die deutſche Eifen- und Stahlinduſtrie wenigſtens einen gewiſſen
Abfluß nach dem Ausland zu ſchaffen. Heute ſtellen ſich für die deutſche Eiſeninduſtrie
die Aus fuhrpreiſe ſchon vielfach fo, daß fie unter dem inländiſchen Preis-
ſtand bleiben. Es zeigt ſich alſo mit klarer Deutlichkeit die große Gefahr, daß der
Saareiſeninduſtrie ihre angeſtammten Abſatzgebiete in Mittel- und Süddeutſchland
endgültig verlorengehen müſſen, wenn ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht durch be—
ſondere Maßnahmen eine Stütze erfährt. Wie ernſt die Lage iſt, geht aus
den von den Saarhütten vorliegenden Klagen hervor, daß der deutſche Wettbewerber
durchweg infolge der billigeren und beſſeren deutſchen Kohle und der niedrigeren
Löhne unter vorteilhafteren Bedingungen als die ſaarländiſche eiſenſchaffende Induſtrie
zu erzeugen vermag. Die Höchſtpreiſe des Eiſenwirtſchaftsbundes ſtehen lediglich auf
dem Papier, Angebot und Nachfrage beſtimmen unbekümmert um den Eiſen⸗
wirtſchaftsbund den Preis. In recht empfindlicher Weiſe machen ſich die niedrigeren
deutſchen Geſtehungskoſten ſchon heute für eine Reihe von Erzeugniſſen geltend,
indem im Reiche dieſe Artikel zur Zeit zu einem Preis angeboten werden, bei
welchem die ſaarländiſche Induſtrie ihre Rechnung ſchlechterdings nicht mehr zu
finden vermag. Anderſeits wird einigen Saarhütten bereits auch in Luxemburger
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Pr x zießerei⸗Roheiſen auf dem deutſchen Markt durch die Lothringer und Luxem—
burger Hochofenwerke ſeit kurzem ein geradezu unerträglicher Wettbewerb bereitet.
dieſe Werke, welche zumeiſt eigene Erzgruben beſitzen und infolgedeſſen auf die hoch—
. e Erze des franzöſiſchen Erz-Syndikates nicht angewieſen ſind, können, zumal
iR ihr okspreis ſich jetzt niedriger als der unſrige ſtellt, gegenwärtig unter
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vorteilhafteren Bedingungen als wir ihr Roheiſen erblaſen. Der Abſatz hierin im
Ausland iſt aber äußerſt ſchlecht, ſo daß uns ſchon ſeit einigen Wochen in Luxem⸗
burger Gießerei⸗Roheiſen eine außerordentlich heftige Konkurrenz in Deutſchland er—
wachſen iſt, was einen beträchtlichen Preisrückgang zur Folge gehabt hat.
Dieſe Entwicklung wiederum verſchafft den deutſchen Gießereien Vorteile und ſetzt fie
in die Lage, beiſpielsweiſe die mitunterzeichnete Halbergerhütte in den allermeiſten
Fällen noch mehr als bisher zu unterbieten.
Zuſammenfaſſend vermögen wir auf Grund unſeres Einblickes in
die Lage des Eiſenmarktes vor allem feſtzuſtellen, daß die unleugbar
großen Schwierigkeiten für die Eifen- und Stahlwerke im Saargebiet
nicht ſo ſehr auf die im Saargebiet zur Zeit nebeneinander herlaufen—
den 2 Währungen zurückzuführen find, fie erklären fich vielmehr immer
wieder durch die Tatſache, daß ſich die Selbſtkoſten auf der höheren
Währung des Franken aufbauen, während die Verkaufserlöſe zum
großen Teil in der niedrigeren Markwährung eingehen. Ein gewiſſer
Ausgleich könnte wohl nur dadurch geſchaffen werden, daß das ſaar—
ländiſche Eiſen in zunehmendem Maße nach Frankreich abgeſetzt wird.
Die letzten Monate erweiſen aber zwingend, daß der Abſatz nach Frankreich für die
Saarwerke durch die ſtark in Betrieb gekommene Lothringer Induſtrie überaus er—
ſchwert wird. Mit dieſem Zuſtand wird aber auch in Zukunft unter allen Um-
ſtänden zu rechnen ſein, da Frankreich jetzt über weit mehr Eiſen verfügt, als es
ſelbſt verarbeiten kann. Für die Saarwerke bleibt daher um ſo weniger Raum für
Abſatzmöglichkeiten, als ſie — abgeſehen von ihren ſonſtigen Schwierigkeiten — für
Frankreich frachtlich auch weit ungünſtiger liegen als die Lothringer Werke.
Im britiſchen Roheiſenexport herrſcht jetzt ebenfalls vollſtändige Ruhe. Die
u Exportpreiſe zeigten im Jahre 1920 folgende Entwicklung:
r
1. Januar 31. Dezember
sh pro engl. Tonne
Nr. 1 G. M. B. M'bro Gießerei Middlesbr. ... 193,0 242,6
» 3 8 » » » 185,0 230,0
* 1, 2, 3 3 » Hämatit » 230,0 260,0
» 1 Sondermarken Schott. Gießereiroheiſen 227,6 302,6
1 gewöhnliche Marken Gießereiroheiſen .. 222,6 300,0
» 3 Sondermarken Gießereiroheiſen .. ..... 222,6 295,0
» 3 gewöhnliche Marken Gießereiroheiſen .. 220,0 290,0
Die erſten drei Sorten verſtehen ſich fob Middlesbro', Flußgebühr extra. Die
übrigen frei Längsſeite Schiff Glasgow, Leith oder Grangemouth.
| Das luxemburgiſche Roheiſen iſt in den letzten Wochen von 450 Franken auf
380 Franken gefallen und ſtellt ſich unter Zugrundelegung des Wechſelkurſes in der
erſten Januarwoche ungefähr auf den gleichen Preis wie das deutſche, das jetzt
1 600 Mark pro Tonne ab Hütte koſtet. Tatſächlich wird aber dieſer Preis jetzt
vielfach nicht mehr gehalten, vielmehr iſt bereits das luxemburgiſche Roheiſen in letzter
Zeit wiederholt zu 300 Franken, zu 290 Franken, vereinzelt ſogar unter 290 Franken
angeboten worden. Nach allen Anzeichen ſcheinen aber noch weitere Preisrückgänge
bevorzuſt ehen.
Es iſt gewiß zuzugeben, daß die gekennzeichnete Lage in dem Augenblick wieder
eine Verſchiebung zugunſten der Saarhütten erfährt, in dem ſich die deutſche Mark
beſſert. Bei welchem Valutaſtand der Mark ſich die Ausſichten der Saareiſeninduſtrie
—
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für die Eroberung des mittel- und ſüddeutſchen Abſatzmarktes günſtiger geſtalten, läßt en
fich aber ſchwer ſagen. Es ſcheint aber, daß die Lage erſt dann als hergeſtellt gelten
kann, wenn der Frank etwa einem Werte von 2,50 Mark entſpricht. Bei dem heu⸗
tigen Valutaſtande (1 Frank = 4,40 Mark) iſt es der Saarinduſtrie für die Dauer
unmöglich, ſich das deutſche Abſatzgebiet zurückzuerobern oder zu erhalten. Bei einer
Prüfung unſerer Zukunftsausſichten erſcheint es nur folgerichtig, wenn wir wiederum
zu dem Ergebnis gelangen, daß ſtarke Zugeſtändniſſe in der Frage des
Kohlenpreiſes unerläßliche Vorausſetzung für die Erhaltung der Wett-
bewerbsfähigkeit der ſaarländiſchen Eiſeninduſtrie ſind. Schon beim
Übergang zur Frankenlohnung haben wir hervorgehoben, daß wir die Frankenlöhnung
für die Dauer nur dann zu ertragen in der Lage ſeien, wenn die von uns begehrte
Herabſetzung der Kohlenpreiſe Verwirklichung fände. |
Wir möchten daher auch der Regierungskommiſſion gegenüber der Bitte Aus⸗
druck geben, ſich im Intereſſe der dringend notwendigen Erleichterung der Daſeins⸗
bedingungen unſerer ſaarländiſchen Eiſeninduſtrie mit allem Nachdruck für eine weitere
ftarfe Herabſetzung der Kohlenpreiſe einſetzen zu wollen. Bei unſeren
bisherigen Darlegungen haben wir die Folgewirkungen noch gar nicht berückſichtigt,
die einem etwaigen erweiterten Frankenumlauf im Saargebiet entſpringen
müſſen. Nach unſerer Auffaſſung wird es unvermeidlich ſein, daß ein erweiterter
Frankenumlauf auf die Beſchaffung von Lebensmitteln ſowohl wie auch gewiſſer
Roh- und Hilfsſtoffe inſofern ungünſtige Rückwirkungen ausüben muß, als vermutlich
die bisherige Belieferung des Saargebiets zu deutſchen Inlandpreiſen in Wegfall
kommen dürfte. Die dadurch unerläßliche Folgewirkung, Steigerung der Preiſe für
Lebensmittel, Kleidung und Wohnungsmieten, wird auf die Löhne und Gehälter nicht
ohne Einfluß bleiben können. Es kommt hinzu, daß in Verbindung mit einem er⸗
weiterten Frankenumlauf vorausſichtlich auch die Tarife des öffentlichen Verkehrs
weſentlich in die Höhe gehen werden. Unſere Selbſtkoſten, die uns ſchon heute der
deutſchen Eiſen⸗ und Stahlinduſtrie gegenüber ins Hintertreffen geraten ließen, erfahren
alſo noch einmal eine Verſchiebung zu unſeren Ungunſten.
Die Notwendigkeit einer ſtarken Herabſetzung der Kohlenpreiſe
wird alſo bei einer Erweiterung des Frankenumlaufs nur um ſo
dringlicher. a
Halbergerhütte G. m. b. H.
(Unterſchriften.)
Aktien⸗Geſellſchaft der Dillinger Hüttenwerke
(Unterjchriften.)
ppa. Röchling'ſche Eifen- und Stahlwerke, G. m. b. H.
(UUnterſchriften.)
Société des Acieries et Usines & Tubes de la Sarre
(Unterfchrift.)
Neunkircher Eiſenwerk A. G. vorm. Gebrüder Stumm
(Unterſchriften.)
d. Gutachten der weiterverarbeitenden Eiſeninduſtrie.
Die unterzeichneten Firmen, die ſich mit der Weiterverarbeitung von Eiſen und
Stahl beſchäftigen, geſtatten ſich, der Regierungskommiſſion das mit Rundſchreiben
vom 17. Januar 1921 geforderte Gutachten über die Wirkung des vermehrten
Frankenumlaufs im Saargebiet unter dem Geſichtspunkt der eigenen Intereſſen zu
erſtatten. Die gutachtliche Behandlung der Allgemeinintereſſen dürfte von den wirt⸗
ſchaftlichen und ſozialpolitiſchen Verbänden und von den berufenen amtlichen Ver⸗
tretungen von Induſtrie und Handel erfolgen.
*
Odbberſter Grundſatz muß im Intereſſe unſerer Werke und der Werksangehörigen
die Aufrechterhaltung der Betriebe durch Sicherung der Erzeugung und des Abſatzes
ſein. Erzeugung und Abſatz können jedoch nur geſichert ſein, wenn die Wettbewerbs—
fähigkeit der Induſtrie in jeder Beziehung gefördert wird, die ihrerſeits wieder ab—
hängig iſt von der Geſtaltung der Selbſtkoſten.
Die Frage ſtellt ſich für uns alſo ſo:
Inwieweit wird die Wettbewerbsfähigkeit der Eiſen und Stahl ver—
arbeitenden Induſtrie im Saargebiet durch die Veränderung der Höhe der
Selbſtkoſten infolge des vermehrten Frankenumlaufs beeinflußt?
Ein Blick auf die gegenwärtigen Wettbewerbsmöglichkeiten zeigt uns kein freund—
liches Bild. Welcher Zweig der Eiſen und Stahl verarbeitenden Induſtrie auch be—
trachtet werden mag, ob es ſich um den reinen Maſchinenbau handelt oder um die
Herſtellung von Anlagen zum Transport von Maſſengütern oder um Eiſenhochbau
oder um Waggonbau oder um Kleineifen- und Stahlerzeugniſſe, wie Beſchlagteile,
Schrauben, Fittings, Armaturen, Drahtſeile, Drahtgewebe, überall iſt heute eine
ausgeſprochen kriſenhafte Lage zu beobachten. Dieſe Erſcheinung iſt allgemein in
der geſamten Weltwirtſchaft. Ein Vergleich mit den Verhältniſſen der für uns
hauptſächlich in Betracht kommenden Märkte zeigt aber, daß die Verhältniſſe für das
Saargebiet ganz beſonders beſorgniserregend ſind. Die Wettbewerbsfähigkeit auf
dem deutſchen Markt iſt infolge der höheren Kohlen- und Strompreiſe, infolge der
höheren Löhne, durch den Frachtenzuſchlag, durch die frachtlich ungünſtige Lage des
Saargebiets, durch die Zollkontrolle und die damit verbundenen Formalitäten und
Koſten ganz außerordentlich eingeſchränkt. Es dürfte ſich erübrigen, zahlenmäßige
Belege dafür zu geben, da die angeführten Tatſachen allgemein bekannt ſind. Auch
der Wettbewerb auf dem franzöſiſchen Markt iſt in hohem Maße erſchwert. Einer—
ſeits leidet die franzöſiſche eifen- und ſtahlverarbeitende Induſtrie ſelbſt unter großen
Abſatzſchwierigkeiten, anderſeits rn wir häufig dem Wettbewerb der unter
günftigeren Bedingungen arbeitenden belgifchen und deutſchen Konkurrenz. Dazu
kommt die große Unſicherheit bezüglich der Frage des für unſere Induſtrie gemäß den
Friedensbedingungen zollfrei bleibenden Kontingents. Für eine große Anzahl unſerer
Werke kommt aber der franzöſiſche Markt überhaupt nicht in Frage, nämlich überall
da, wo die Herſtellung der Fabrikate nach deutſchen Normalien vorgenommen wird,
die in Frankreich nicht üblich iſt.
So iſt es völlig ausgeſchloſſen, daß die nach deutſchen Normalien arbeitenden
ſaarländiſchen Schraubenfabriken nach Frankreich — außer Elſaß Lothringen —
Schrauben verkaufen können, da in Frankreich das S. O.-Gewinde ausſchließlich üb—
lich iſt, während die in Deutſchland übliche Schraube nach Witworth-Gewinde ge—
ſchnitten wird. Auch die nach den deutſchen Normalien hergeſtellten Fabrikate der
elektrotechniſchen Induſtrie ſind bei franzöſiſchen in der Regel nicht verwendbar;
Dane! gilt von den Geſenkſchmiedereien, die in großem Maßſtabe Beſchlagteile für
en deutſchen Waggonbau herſtellen. Die dafür benötigten Stahlmatrizen repräſen—
tieren einen ganz erheblichen Teil des geſamten Betriebskapitals und ſind für die
Fabrikation nach anderen Normenvorſchriften unverwendbar.
Was für uns ganz beſonders bedenklich iſt, iſt die Tatſache, daß ſelbſt im engeren
Saargebiet die Wettbewerbsfahigkeit unſerer Induſtrie ſtark bedroht erſcheint. Wir
wollen nur auf die Tatſache hinweiſen, daß die Administration des Mines
Domaniales de la Sarre vor kurzer Zeit einen großen Auftrag über Förderwagen
an eine rechtsrheiniſche Firma zu Preiſen vergeben hat, die für die in Konkurrenz
ſtehenden ſaarländiſchen Firmen außerordentlich verluſtbringend geweſen wären. Auch
iſt zu beklagen, daß die Verwaltung der Saarbahnen Aufträge über Beſchlagteile
trotz unweſentlicher Preisunterſchiede an nichtſaarländiſche Firmen vergeben hat.
Daß auch unſere Werke vielfach nicht in der Lage ſind, wegen der hohen Preiſe
Walzprodukte der ſaarländiſchen Hüttenwerke zu verwenden und umgekehrt die ſaar—
19
8
ländiſchen Hüttenwerke ihren Bedarf an äußeren Fabrikaten auf dem deutſchen Markte
decken, verdient in dieſem Zuſammenhang auch erwähnt zu werden. |
Soweit die gegenwärtige Lage, deren ſkizzenhafte Schilderung zeigt, daß die
Selbſtkoſten unſerer Werke heute eine Höhe erreicht haben, die auf die Dauer uner⸗
träglich iſt.
Der Einfluß des erweiterten Frankenumlaufs auf die weitere Geſtaltung der
Selbſtkoſten ergibt ſich nun aus folgenden Erörterungen:
Es darf als bekannt vorausgeſetzt werden, daß die Eiſen und Stahl weiter
verarbeitende Induſtrie den weitaus größten Teil der von ihr benötigten Hilfsſtoffe,
Rohſtoffe und Halbfabrikate zu deutſchen Inlandspreiſen aus Deutſchland bezieht;
ein anderweitiger Bezug kommt für uns zur Zeit nicht in Frage, da teils die Preiſe
in anderen Bezugsgebieten erheblich höher ſind, eine Tatſache, die mit dem Valuta—
problem im Zuſammenhang ſteht, teils die deutſchen Lieferungen durch andere Fabrikate
nicht erſetzt werden können, da wir auf die Verwendung ſolcher Fabrikate angewieſen
ſind, die nach deutſchen Normalien hergeſtellt ſind. Wir erinnern an Reſerveteile
für maſchinelle Anlagen, an eine Reihe von Bearbeitungs- und Maßwerkzeugen und
auch hier wieder an Beſchlagteile, Schrauben, elektriſche Inſtallationsartikel u. a. m.
Es muß aber betont werden, daß die deutſchen Außenhandelsſtellen die Be-
lieferung der Saarinduſtrie zu deutſchen Inlandspreiſen keineswegs freiwillig vor⸗
genommen haben, ſondern es hat mühevoller Arbeit und unzähliger eindringlicher
Verhandlungen bedurft, um die deutſchen Außenhandelsſtellen davon zu überzeugen,
daß die Belieferung zu Inlandspreiſen für das Saargebiet eine Lebensfrage bedeutet.
Der Hinweis auf die im Saargebiet vorherrſchende Markwährung hat bei dieſen
Verhandlungen eine ausſchlaggebende Rolle geſpielt. 1
Je mehr nun der Franken im Saargebiet die Mark verdrängt und infolgedeſſen
auch die Induſtrie gezwungen wird, ſich des Franken als Zahlungsmittel zu bedienen,
um ſo mehr werden die deutſchen Außenhandelsſtellen zum Schutz der eigenen Induſtrie
und aus währungspolitiſchen Erwägungen heraus ſich gezwungen fühlen, das Saar⸗
gebiet in jeder Beziehung als Ausland zu behandeln und damit auch die Vorzugs-
belieferung zu deutſchen Inlandspreiſen aufzuheben. be
Das iſt keineswegs eine reine Befürchtung, ſondern unumſtößliche Gewißheit,
da auch heute ſchon einflußreiche deutſche Induſtrielle unter Hinweis auf die durch
die Friedensbedingungen geſchaffene vermeintliche Vorzugsſtellung des Saargebiets
einer Belieferung des Saargebiets zu Auslandspreiſen energiſch das Wort reden. Es
iſt unzweifelhaft, daß dieſe Beſtrebungen durch den vermehrten Umlauf des Franken
einen kräftigen Impuls bekommen. Hun
Damit wäre dann der wichtigſte Faktor für die Selbſtkoſtenbildung in um
günſtigſter Weiſe beeinflußt. i
Wenn wir uns nunmehr zu der Entwicklung der Löhne und Gehälter wenden,
jo heben wir zunächſt hervor, daß ſchon die Einführung der Frankenentlohnung im
Bergbau ſtark ſteigernd auf die Löhne und Gehälter gewirkt hat. Während noch
zu Anfang des Sommers 1920 die Löhne und Gehälter gegenüber den benachbarten
deutſchen Gebieten ſich etwa in gleicher Höhe hielten, ſetzte ſeit September, wo ſich
die Entlöhnung der Bergarbeiter in Franken zuerſt auszuwirken begann, eine ſtarke
Lohnbewegung ein. Da unter der Wirkung der Frankenlöhnung die Lebensmittel⸗
preiſe, namentlich ſoweit Landesprodukte in Frage kamen, ganz erheblich ſtiegen, ſo
erreichten auch die Löhne eine Höhe, die das Gleichgewicht mit den Löhnen in den
benachbarten deutſchen Gebieten zuungunſten unſerer Induſtrie empfindlich ſtörte,
Die weitere Einführung der Frankenentlöhnung bei den Eiſenhütten, die ohne
eine gleichzeitige Lohnerhöhung nicht durchf ahrbar war, zwang auch unſere Induſtrie
zu weiteren ſehr erheblichen Lohnzugeſtändniſſen, obwohl wir uns darüber klar waren,
daß wir damit über unſere Leiſtungsfähigkeit weit hinausgingen. 303
Sollte nun der vermehrte Frankenumlauf zur Tatſache werden, ſo iſt abermals
mit einer weiteren Steigerung der Lebensmittelpreiſe zu rechnen, ſoweit die. Pebens-
*
mittel zu deutſchen Inlandspreiſen dem Saargebiet zugeführt werden, was in erſter
Linie bei den wichtigſten Lebensmitteln, Brotgetreide und Kartoffeln, zutrifft, denn
bei der außerordentlich kurzen Nahrungsmitteldecke, die der deutſchen Bevölkerung zur
Verfügung ſteht, wird nicht nur die deutſche Regierung, ſondern auch weite Kreiſe
der werktätigen Bevölkerung keinen Grund mehr einſehen, warum die Bevölkerung
des Saargebietes, die beim vermehrten Frankenumlauf in noch größerem Maße als
bisher ihren Arbeitslohn in Franken bezieht, der Wohltaten der Belieferung mit
billigen inländiſchen Lebensmitteln auf Koften der deutſchen Bevölkerung teilhaftig
werden ſoll.
Es iſt ja noch in friſcher Erinnerung, daß die Eiſenbahner der benachbarten
deutſchen Gebiete ſich im vergangenen Herbſt geweigert haben, Kartoffeltransporte für
das Saargebiet durchzuführen, eine Erſcheinung, die ſich in viel ſtärkerem Maße
wiederholen und auch zu Maßnahmen der deutſchen Regierung in der gleichen Richtung
führen wird, wenn der überwiegende Teil der Saargebietsbevölkerung Frankenlohn—
empfänger und damit anſcheinend kaufkräftiger wird.
Das gleiche gilt von der Belieferung mit Textilwaren, zum mindeſten ſoweit die
mit Hilfe der produktiven Erwerbsloſenfürſorge verbilligten Textilwaren in Frage
kommen. |
Ferner darf nicht achtlos daran vorübergegangen werden, daß der vermehrte
Frankenumlauf zweifellos eine ſtarke Steigerung der Wohnungsmieten durch Anpaſſung
an die in Lothringen üblichen Mieten mit ſich bringen wird. Dieſe Folgen aber,
Verteuerung der Lebensmittel, Kleidung und Wohnungsmieten, treffen in erſter Linie
die Arbeiter, Angeſtellten und Beamten und werden nach den bisherigen Erfahrungen
mit aller Beſtimmtheit eine lebhafte Lohnbewegung auslöſen, um den Verſuch der
Abwälzung auf den Arbeitgeber zu machen. Ob eine derartige Lohnbewegung für
die Arbeitnehmerſchaft von Erfolg begleitet ſein wird, iſt jedoch mehr als fraglich,
da ſchon die heutigen Löhne und Gehälter für die weitaus größte Mehrzahl unſerer
Werke eine auf die Dauer unerträgliche Belaſtung darſtellt. Es muß dann nicht
nur mit der Notwendigkeit gerechnet werden, in weitgehendem Maße Feierſchichten
einzulegen, ſondern umfangreiche Arbeiterentlaſſungen werden zur gebieteriſchen Not—
wendigkeit werden.
Es iſt danach klar, daß auch durch die Entwicklung der Löhne und Gehälter die
Selbſtloſten in der ungünſtigſten Weiſe beeinflußt werden und die Wettbewerbsfähigkeit
der weiterverarbeitenden Eiſeninduſtrie im Saargebiet, die ſchon heute durch die hohen
Kohlen- und Strompreiſe, durch den Frachtenzuſchlag und durch die mit der Zoll—
kontrolle verbundenen Formalitäten und Koſten eine ungeheuer große Einſchränkung
erfahren hat, einen vernichtenden Stoß erhalten wird.
Es kann ferner keinem Zweifel unterliegen, daß der vermehrte Frankenumlauf
auch eine Umgeſtaltung der Tarife im Verkehrsweſen nach ſich ziehen wird. Ob
damit eine Erhöhung der Selbſtkoſten verbunden ſein wird, hängt natürlich davon
ab, welche Höhe die Tarife erreichen werden. Es kann aber mit aller Beſtimmtheit
angenommen werden, daß die Tarife ſich eng an die franzöſiſchen Tarife anſchließen
werden, ſo daß wenigſtens beim heutigen Stande der ſaarländiſchen und franzöſiſchen
Tarife und beim heutigen Stande der deutſchen Valuta eine weſentliche Steigerung
der Selbſtkoſten die Folge der geänderten Tarifpolitik ſein wird. Das iſt für uns
um ſo bedenklicher, als wir bei der Grenzlage des Saargebiets ſowohl beim Wett—
bewerb auf dem deutſchen wie beim Wettbewerb auf dem franzöſiſchen Markt gegen—
über dem inländiſchen Herſteller erhebliche Vorfrachten zu leiſten haben, ſo daß eine
Erhöhung der Eiſenbahntarife uns doppelt trifft.
Wie man das Problem des erweiterten Frankenumlaufs im Saargebiet alſo auch
betrachten mag, wir erkennen ſtets nur die eine Wirkung, daß uns die vitalſte
Grundlage für die Sicherung von Erzeugung und Abſatz entzogen wird.
Jedem Sehenden müſſen danach auch die finanziellen Wirkungen durchaus un—
zweifelhaft ſein. Sei es, daß wir uns in der Hoffnung auf eine günſtigere Ent—
19*
„
wicklung der Wirtſchaftslage dazu entſchließen, mit großen Opfern weiterzuarbeiten,
ſei es, daß wir gezwungen ſind, die Betriebe zu ſchließen, ſtets wird die ſchon bei
der heutigen Wirtſchaftslage zu beobachtende Entwertung des Betriebskapitals in
einer kataſtrophalen Weiſe geſteigert, im erſten Fall durch die Schwächung der Be—
triebsmittel, im zweiten Fall durch die gänzliche Unproduktivität. Wir wollen es
uns verſagen zu unterſuchen, welche Wirkung die Entwertung der Betriebskapitalien
auf die öffentlichen Finanzen haben wird, da hierüber berufenere Kreiſe werden zu
urteilen haben.
Noch einige Worte über die Wirkung des erweiterten Frankenumlaufs im Saar⸗
gebiet auf laufende Verträge.
Bei der Beurteilung dieſer Frage kommen für uns hauptſächlich die Lieferungs⸗
verträge und Dienſtverträge in Betracht.
Soweit Lieferungsverträge mit feſten Preiſen abgeſchloſſen ſind, wird der Käufer
ſich unter allen Umſtänden an den Vertrag zu halten ſuchen und damit dem liefernden
Werk die Mehrkoſten für die Herſtellung allein aufbürden. Zwar ſind in einigen
Lieferverträgen Währungsvorbehalte gemacht worden, jedoch mußte in letzter Zeit von
dieſer Abung Abſtand genommen werden, da an der Beibehaltung der Währungs—
klauſel eine Reihe von Aufträgen zu ſcheitern drohten und auch tatſächlich geſcheitert
ſind. Bemerkenswert iſt ein Fall, in dem ſich ein franzöſiſcher Käufer ausdrücklich
das Recht vorbehalten hat, vom Vertrage zurückzutreten, wenn die Frankenentlohnung
im Saargebiet allgemein zur Einführung kommen ſollte.
Wo Währungsvorbehalte fehlen, iſt es fraglich, ob nicht trotzdem der Vertrag
aufgehoben werden kann oder der Verkäufer berechtigt iſt, höhere Preiſe zu fordern,
da die Rechtſprechung der neueren Zeit vielfach den Grundſatz aufgeſtellt hat, daß
Verträge, ſeit deren Abſchluß ſich die grundlegenden Verhältniſſe weſentlich geändert
haben, abgeändert werden können. Neben der Schwächung der Rechtsgrundlage für
den Abſchluß von Verträgen hat die Fortſetzung dieſer Praxis, die im Intereſſe des
Lieferanten häufig nicht zu umgehen iſt, den großen Nachteil, daß eine Fülle von
Arbeitskraft auf die Austragung der entſtehenden Streitigkeiten unproduktiv verwendet
wird, wodurch eine weitere Steigerung der Selbſtkoſten eintritt. |
Bei Lieferverträgen mit gleitenden Preiſen, die heute jedoch relativ felten ge⸗
worden ſind, iſt der Lieferant theoretiſch in einer günſtigeren Lage, weil er berechtigt
iſt, den durch die Steigerung der Selbſtkoſten entſtehenden Mehrpreis zu fordern.
Praktiſch ergeben ſich jedoch ebenfalls eine Fülle von Schwierigkeiten, da ihn bezüglich
der Mehrkoſten die Beweiskraft trifft und der Käufer ſich um ſo weniger geneigt
zeigt, die Mehrkoſten zu bezahlen, je höher ſie über dem Angebotspreis liegen. Die
notwendigen Auseinanderſetzungen erfordern umfangreiche Verhandlungen, führen
häufig zu Klagen und nehmen die Arbeitskraft namentlich der leitenden Beamten
über Gebühr in Anſpruch. der
Bei den Dienftverträgen werden die Beſtimmungen über die Gehälter durch den
vermehrten Frankenumlauf berührt, da durch dieſen Verhältniſſe geſchaffen werden,
die ſich gegenüber den beim Abſchluß des Dienſtvertrages herrſchenden weſentlich
unterſcheiden. Bei dem ſchon erwähnten Grundſatz der neueren Rechtſprechung kann
durchaus die Folge eintreten, daß die beſtehenden Vertragsbeſtimmungen über die
Gehälter als nichtig betrachtet werden müſſen. Nach § 139 BGB. iſt aber ein Rechts-
geſchäft, alſo auch ein Dienſtvertrag nichtig, wenn ein Teil des Rechtsgeſchäfts nichtig
iſt, ſofern nicht anzunehmen iſt, daß es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen
ſein würde. Die Vorausſetzung des Nachſatzes dürfte aber in vielen Fällen nicht
gegeben ſein.
Der vermehrte Frankenumlauf wird demnach unſerer Anſicht nach in ſeiner
Wirkung auf Verträge zu einer bedenklichen und langandauernden Rechtsunſicherheit
führen. |
— 283 —
Wir können den Inhalt des vorliegenden Gutachtens wie folgt kurz zuſammen—
raffen:
Bei der gegenwärtig außerordentlich gedrückten Wirtſchaftslage der Eifen und
Stahl weiterverarbeitenden Induſtrie, die heute bereits weſentlich ſchärfer zutage tritt
als in anderen Wirtſchaftsgebieten, würde der erweiterte Frankenumlauf vernichtend
wirken, da hierdurch die Preiſe der von unſerer Induſtrie benötigten Roh- und Hilfs—
ſtoffe ſowie Halbfabrikate, ferner infolge Steigerung der Preiſe für Lebensmittel,
Kleidung und Wohnungsmieten auch die Löhne und Gehälter, ſchließlich die Tarife
des öffentlichen Verkehrs weſentlich in die Höhe gehen und dadurch unſere Selbſt—
koſten jo ungünſtig beeinfluſſen würden, daß die ohnedies ſchon ſtark beſchränkte Wett—
bewerbsfähigkeit unſerer Induſtrie völlig unterbunden würde. Erzeugung und Abſatz,
die Grundpfeiler für jede private und öffentliche Wirtſchaft, würden der notwendigen
Sicherung entbehren, ſo daß wir nur dringend befürworten können, den vermehrten
Frankenumlauf im Saargebiet nicht zu fördern und darüber hinaus Maßnahmen zu
ergreifen, die geeignet ſind, die Wettbewerbsfähigkeit unſerer Induſtrie zu fördern.
Ein beſonders wirkungsvolles Mittel würden wir darin erblicken, daß die
Regierungskommiſſion des Saargebiets ſich bei der franzöſiſchen Regierung für eine
erhebliche Ermäßigung der Grundpreiſe für Saarkohlen einſetzt.
e. Gutachten der Glas- und keramiſchen Induſtrie.
Die unterzeichneten Firmen, die ſich mit der Herſtellung von keramiſchen und
Glaserzeugniſſen befaſſen, geſtatten ſich, der Regierungskommiſſion das mit Rund—
ſchreiben vom 17. Januar 1921 erbetene Gutachten nachſtehend zu unterbreiten mit
der Bemerkung, daß ſie dies unter dem Geſichtspunkt der eigenen Intereſſen und
der ihrer Arbeiter tun.
Wenn wir am Ende unſerer Ausführungen zu dem Ergebnis kommen, daß nach
menſchlichem Ermeſſen die keramiſche ſowohl wie die Glasinduſtrie durch die Ein—
führung der Frankenwährung im Saargebiet nicht mehr exiſtenzfähig bleiben kann,
ſo unterſtützen uns in unſeren Darlegungen die Erfahrungen der letzten Monate,
während deren die Lage der Saarinduſtrie durch die teilweiſe Einführung des Franken
bereits eine ganz beſorgniserregende geworden iſt. Da Zahlen in derartigen Fragen
die beſte Uberzeugungskraft haben, ſeien ſolche aus einigen der bedeutendſten Betriebe
der Glasinduſtrie und Keramik angeführt.
Vor dem Kriege ging nahezu die ganze Produktion der keramiſchen und auch
der Glasinduſtrie nach Deutſchland. Der größte Betrieb der keramiſchen Induſtrie
verſandte in den Jahren 1911/13 78,42 v. H. feiner geſamten Produktion in das
deutſche Wirtſchaftsgebiet, die Fenſterglasbetriebe ſogar 80 v. H. Die beiden Induſtrien,
die Kohlen nicht nur allein für die Inbetriebſetzung von Maſchinen und zur Er—
zeugung von Kraft benötigen, ſondern in der Hauptſache für das Brennen und
Schmelzen des Glaſes, haben mit einem weſentlich höheren Prozentſatz an Ausgaben
für Kohlen zu rechnen wie andere Betriebe. Vor dem Kriege entfielen annähernd
12 v. H. der Produktionskoſten auf die Kohlen bei der Keramik und bei der Fenſter—
glasinduſtrie ſogar 25 v. H. Jetzt, nach Bezahlung der Kohlen in Franken, iſt das
Verhältnis auf 29,4 v. H. bei der Keramik geſtiegen und auf 35 v. H. bei der Feniter-
glasinduſtrie. Wenn in Betracht gezogen wird, daß bei dem Frankenkurſe der letzten
Monate die Tonne Kohle im Saargebiet ſich auf 600 Mark ſtellte, während eine für
dieſelben Zwecke geeignete Kohle in Deutſchland aber nur auf 250 Mark kam, ſo
ergibt ſich, daß ſowohl die keramiſche als auch die Glasinduſtrie bei ihren Lieferungen
nach Deutſchland mit Verluſt arbeiten muß, denn eine Steigerung der Produktions-
koſten um 17 v. H. iſt unerträglich. Mit anderen Worten, eine Glashütte an der
Saar kann nicht 10 Millionen Mark mehr für Kohlen im Jahr ausgeben als ein
gleich großes Unternehmen in Deutſchland.
Es ergibt ſich aus dem vorher Geſagten, daß der deutſche Markt ohne weiteres
für unſere Produkte unbedingt verloren fein würde, wenn abgeſehen von den auf
— 284 —
die Dauer unerträglichen Kohlenpreiſen auch noch Material, Löhne uſw. in Franken
bezahlt werden müßten. Es bleibt nun zu unterſuchen, ob die in den Saarbetrieben
erzeugte Ware anderwärts überhaupt abgeſetzt werden kann.
Wir greifen zurück auf die bereits eingangs erwähnte Ziffer, daß mindeſtens
¼ der geſamten Produktion nach Deutſchland gingen, daß mithin nur ¼ exportiert
worden iſt.
Man begegnet ſehr oft Auffaſſungen, daß der franzöſiſche Markt das nächſt—
liegende Abſatzgebiet iſt, weil wir im Saargebiet dem franzöfiſchen Zollgebiet jetzt
angeſchloſſen ſind.
Der franzöſiſche Markt fällt aber aus zwei Gründen faſt vollſtändig für die
Aufnahme von Produkten der Keramik und von Glas aus:
1. Frankreich hat ſelbſt eine ſehr ſtark entwickelte Keramik- und Glasinduſtrie,
und es muß außerdem darauf hingewieſen werden, daß
a) die wieder neu und modern aufgebauten Werke im Norden eine bedeutend
höhere Leiſtungsfähigkeit entwickeln werden, als ſie vorher hatten, und
b) daß bereits neue bedeutende Fabriken in Elſaß-Lothringen nunmehr ihr Ab-
ſatzgebiet in Frankreich verlangen, weil ſie eben ein Teil des franzöſiſchen
Staates geworden find. Wir nennen hierbei die Fabriken von Utzſchneider & Co.
in Saargemünd, die Steingutfabrik in Niederweiler, die Glasfabriken in
Valeristal und Meiſental.
2. Frankreich hat die Einfuhr von Keramik und Glas ab 1. Januar 1921 kon⸗
tingentiert. Es dürfen nur eingeführt werden die Durchſchnittsmengen der Vorkriegs⸗
jahre 1911/13. 2
Auch aus dieſem Grunde iſt eine Unterbringung der Produktion, die nicht mehr
in Deutſchland erfolgen kann, in Frankreich ausgeſchloſſen, ganz abgeſehen davon,
daß die Einfuhr vor dem Kriege z. B. in keramiſchen Erzeugniſſen nur 1,07 v. H.,
in Fenſterglas etwa 11 v H. betrug. |
Dieſe durch die Konkurrenzverhältniſſe und die Kontingentierung geſchaffene un-
günſtige Lage wird noch verſchärft durch eine allgemein feſtzuſtellende Abneigung gegen
Produkte des Saargebiets, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß z. B. der Ver⸗
ſand zweier großer Unternehmungen in der Zeit nach Friedensſchluß in das franzö—
ſiſche Wirtſchaftsgebiet nur etwa 7 v. H. der Produktion betrug gegen etwa 12 v. H.
vor dem Kriege. Wir haben alſo bei zollfreier Einfuhr in der letzten Zeit eine Ver⸗
ringerung des Verſandes nach Frankreich gegenüber der Zeit vor dem Kriege feſt—
zuſtellen. Verringert wird die Abſatzmöglichkeit in dem franzöſiſchen Abſatzgebiet für
den bedentendſten Teil der Glasinduſtrie noch dadurch, daß die nach deutſchen
Normalien vorgenommene Erzeugung in Frankreich nicht beliebt, eine Anpaſſung von
Seiten der Saarinduſtrie aber nicht möglich iſt, weil bei der rein handwerksmäßigen
Herſtellung eine Umſtellung der Betriebe erſt nach vielen Jahren nach Anlernung
jüngerer Kräfte möglich iſt, während mit den bereits vorhandenen Arbeitern überhaupt
ein dem franzöſiſchen Markt zuſagendes Produkt nicht erzielt werden kann.
Von vielen Seiten wird oft die Einwendung gemacht, daß man ſich in ſolchen
Fällen nach anderen Exportmärkten umſehen müſſe.
Man macht es ſich oft ſehr leicht, indem man einfach ſagt, die ganze Welt ſteht
für den Verkauf noch offen, das klingt zwar durchaus logiſch, iſt es aber nicht.
Es iſt zu berückſichtigen, daß die übrigen Märkte auf der Welt, ſie mögen heißen
wie fie wollen, auch früher ſchon beliefert worden find, daß dieſe Märkte alſo ſchon
ihre Bezugsquellen hatten, mit denen ſie ſich auch eingearbeitet haben. Außerdem
tritt noch für dieſe Märkte kein neuer Bedarf hinzu, und wir können uns keine Mittel
denken, womit es möglich ſein ſollte, um für ſo bedeutende Produktionsquantitäten
die ſeitherigen Lieferanten für dieſe Exportländer zu verdrängen. 15
Wir glauben mit Vorſtehendem klar bewieſen zu haben, daß die keramiſche und
die Glasinduſtrie ruiniert ſein würden, wenn nicht mehr die Möglichkeit beſtände,
nach Deutſchland den größten Teil der Produktion zu verkaufen.
in A ie
Man kann das Problem des erweiterten Frankenumlaufs im Saargebiet be-
trachten wie man will, ein Punkt drängt ſich ſtets in den Vordergrund, und das
iſt die Erkenntnis, daß uns die Grundlage für die Sicherung von Erzeugung und
Abſatz entzogen wird und kein Ausgleich dafür geſchaffen werden kann.
Zum Schluſſe möchten wir noch im Intereſſe unſerer Arbeiter darauf hinweiſen,
daß eine große Menge alter, arbeitsunfähiger und kranker ehemaliger Beamten und
Arbeiter unſerer Werke vorhanden ſind, deren Penſionen oder Unterſtützungsmittel
in Franken weder bei den Penſionskaſſen und den Krankenkaſſen, noch bei den Firmen
zur Verfügung ſtehen.
Die Firmen ſelbſt wüßten nicht, woher ſie die erheblichen Betriebsmittel beſchaffen
könnten, wenn fie für die Bezahlung ihrer Arbeiter und Materialien Franken auf—
wenden müßten.
f. Schlußfolgerungen anderer Gutachten.
J. Das Gutachten des Arbeitgeberverbandes für das Baugewerbe und
die verwandten Betriebe im Saargebiet kommt zu folgendem Schluß: »Wir
ſprechen uns daher entſchieden gegen eine zunehmende Durchſetzung des Franken im
ſaarländiſchen Wirtſchaftsleben aus «.
2. Das Gutachten des Arbeitgeberverbandes für die Transport-,
Handels⸗ und Verkehrsgewerbe im Saargebiet ſpricht ſich dahin aus, daß der
erweiterte Umlauf des Franken kataſtrophale Folgen für die einzelnen Zweige des
Verbandes nach ſich ziehen müſſe.
3. Das Gutachten des Vereins der Holzintereſſenten an der Saar
erklärt, daß die Umſtellung der ſaarländiſchen Holzinduſtrie und des Holzhandels auf
Frankenentlohnung und auf Verkauf zu Frankenpreiſen nach einſtimmiger Anſicht der
Mitglieder keine wirtſchaftlichen Vorteile, ſondern Nachteile bringen wuͤrde.
4. Das Gutachten des Verbandes der Brauereien des Saargebiets
erwartet von dem erweiterten Frankenumlauf Vermehrung der Selbſtkoſten, Verteuerung
der Materialbeſchaffung und der Lebenshaltung, ſowie Verluſt der Abſatzmärkte ſo—
wohl außerhalb wie innerhalb des Saargebiets ohne die Möglichkeit eines Erſatzes.
5. Das Gutachten der Schloßbrauerei Neunkirchen bringt ernſtliche Be—
denken gegen eine Erweiterung des Frankenumlaufs zum Ausdruck.
6. Das Gutachten des Vereins der Spediteure des Saargebiets erklärt: »Im
Speditionsgewerbe wird ein erweiterter Frankenumlauf als direkt ruinös bezeichnet«.
7. Das Gutachten des Vereins ſaarländiſcher Zigarettenfabriken
ſchließt mit folgenden Worten: »Aus allen vorgenannten Gründen müſſen wir eine
derzeitige Einführung der Frankenentlohnung ganz entſchieden ablehnen «.
Nr. 176.
Abänderung des Handelsgeſetzbuchs.
Verordnung, betreffend Aufſtellung der Bilanz.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets Nr. 5 vom 15. März 1921.)
Die Regierungskommiſſion des Saargebiets verordnet auf Grund des $ 32 der
Anlage zum Abſchnitt 4 (Teil 3) des Friedesvertrages von Verſailles und gemäß des
Beſchluſſes in ihrer Sitzung vom heutigen Tage:
Die Aufſtellung der Bilanz im Sinne des § 40 Abf. 1 des Handelsgeſetzbuches
des deutſchen Reiches!) kann entweder in der Währung des deutſchen Reiches oder
in der Währung der franzöſiſchen Republik erfolgen.
Saarbrücken, den 5. März 1921.
Im Namen der Regierungskommiſſion
Der Präſident
gez. V. Rault, Staatsrat.
1) § 40 Abf. 1 des deutſchen Handelsgeſetzbuches lautet: »Die Bilanz iſt in Reichswährung aufzuſtellen«
8
N. 177.
Einführung des Franken bei Eiſenbahn und Poſt.
Verordnung, betreffend die Einnahme der Eiſenbahn ſowie der Poſt—
und Telegraphenverwaltung in Franken.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets Nr. 5 vom 15. März 1921.)
Auf Grund der §§ 19 und 32 des Kapitels 2 der Anlage zum Abſchnitt IV
(Teil 3) des Friedensvertrags hat die Regierungskommiſſion in ihrer Sitzung vom
16. März 1921 folgendes beſchloſſen:
§ 1.
Vom J. Mai 1921 ab werden ſämtliche Einnahmen, gleichviel welcher Art,
der Eiſenbahn⸗ ſowie der Poſt- und Telegraphenverwaltung in Franken erhoben.
§ 2. |
Vom gleichen Tage ab wird das Perſonal der Eiſenbahn ſowie der Poſt- und
Telegraphenverwaltung in Franken beſoldet bzw. entlohnt.
§ 3.
Der Regierungskommiſſar für öffentliche Arbeiten, Eiſenbahn⸗, Poſt⸗ und Tele⸗
graphenweſen iſt mit dem Vollzug dieſer Verordnung beauftragt. |
Saarbrücken, den 16. März 1921.
Im Namen der Regierungskommiſſion
Der Präſident
gez. V. Rault.
Nr, 78.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 18. April 1921.
Auswärtiges Amt Berlin, den 18. April 1921.
Nr. II S. G. 743.
Herr Präſident!
Die Regierungskommiſſion des Saargebiets hat am 16. März eine Verordnung
erlaſſen, wonach vom 1. Mai d. J. ab alle Gebühren im Eifenbahn-, Poſt⸗, Tele⸗
graphen⸗ und Telephonverkehr in Franken erhoben und vom gleichen Tage ab die
Gehälter und Löhne des Perſonals der Eiſenbahn und der Poſt- und der Tele-
graphenverwaltung in Franken bezahlt werden ſollen.
Dieſe Verordnung verſtößt gegen den Vertrag von Verſailles. Die Währungs⸗
verhältniſſe im Saargebiet ſind durch § 32 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des
Vertrags feſtgelegt. In dieſer Beſtimmung iſt der Grundſatz aufgeſtellt, daß der
Umlauf des franzöſiſchen Geldes im Saargebiet nicht verboten und nicht beſchränkt
werden darf. Dieſer Grundſatz beruht auf der Vorausſetzung, daß die Mark die
alleinige geſetzliche Währung im Saargebiet bleibt; jedoch wird es dem Belieben von
Gläubiger und Schuldner freigeſtellt, ſich in gegenſeitiger Abereinkunft neben der
Mark des Franken zu bedienen, und in dieſer Beziehung iſt eine Einſchränkung der
Vertragsfreiheit verboten. Die Mark iſt alſo das einzige geſetzliche Währungsgeld,
der Frank nur ein geſetzlich geduldetes Umlaufsgeld im Saargebiet. Nur ausnahms⸗
weiſe räumt der Vertrag dem Franken dieſelben bevorrechteten Eigenſchaften ein wie
der Mark, nämlich Geldverbindlichkeiten tilgen zu können, ohne daß es des Ein-
verſtändniſſes zwiſchen Gläubiger und Schuldner über die Zahlung in dieſer Währung
— 287 —
bedarf. Dies gilt aber gemäß dem erwähnten $ 32 nur inſoweit, als der fran-
zöſiſche Staat das Recht hat, ſich bei Käufen, Zahlungen und Verträgen über die
Ausbeutung der Kohlengruben und ihrer Nebenanlagen des franzöſiſchen Geldes zu
bedienen. Die Gleichſtellung mit der Mark genießt der Frank alſo nur in einem
Umfang, der ſubjektiv und objektiv genau begrenzt iſt; ſubjektiv gilt die Gleichſtellung
nur für Geldverbindlichkeiten, bei denen der franzöſiſche Staat beteiligt iſt, und ob—
jektiv greift ſie nur Platz, ſoweit es ſich um Verbindlichkeiten handelt, die aus der
Ausbeutung der Gruben und ihrer Nebenanlagen herrühren. Es muß beſonders
betont werden, daß dieſe Beſtimmung eine Ausnahme darſtellt; deshalb bleibt für
alle anderen Beziehungen der allgemeine Grund ſatz des § 32 beſtehen, wonach nur
der Mark die Eigenſchaft als geſetzlicher Währung im Saargebiet zukommt.
Mit dieſen vertraglich feſtgelegten Grundſätzen ſetzt ſich die Verordnung der
Regierungskommiſſion vom 16. März in Widerſpruch. Dieſe Verordnung will für
eine große Zahl von Geldverbindlichkeiten im Saargebiet an Stelle der geſetzlichen
Währung eine andere ſetzen, und zwar für Verbindlichkeiten zwiſchen der Regierung
und der Bevölkerung. An dieſen Verbindlichkeiten iſt weder der franzöſiſche Staat
beteiligt, noch ſteht die Ausbeutung der Gruben und ihrer Nebenanlage in Frage.
Deshalb wären hier Zahlungen in Franken nur bei freier Vereinbarung zwiſchen
Gläubiger und Schuldner zuläſſig. Tatſächlich aber will die Verordnung einen ge—
ſetzlichen Zwang zur Zahlung in Franken einführen derart, daß die Leiſtungen der
Eiſenbahn und Poſt nur gegen Entrichtung der Gebühren in Franken bewirkt werden
ſollen. Hierdurch wird alſo dem Franken die Eigenſchaft eines geſetzlichen Währungs—
geldes beigelegt, und zwar nicht etwa nur neben der Mark, wie es der Vertrag
ſogar bei dem erwähnten Ausnahmerecht des franzöſiſchen Staats vorſieht, ſondern
unter voller Ausſchaltung der Mark, des einzigen geſetz ichen Zahlungsmittels.
Die Verordnung der Regierungskommiſſion vom 16. März bedeutet daher eine
Abänderung des Vertrags von Verſailles in einer Frage von grundlegender Be—
deutung. Die Deutſche Regierung erhebt mit allem Nachdruck Einſpruch gegen dieſe
Verordnung und verlangt ihre Aufhebung.
Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker—
bundes zugehen laſſen.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. Simons.
An
die Regierungskommiſſion des Saargebiets,
zu Händen des Präſidenten,
Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
(Die Note iſt ohne Antwort geblieben.)
Nr. 179.
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 18. April 1921.
Auswärti 1 a ö
Nr. II 5 Berlin, den 18. April 1921.
Herr Generalſekretär!
Ich beehre mich, Ihnen anbei eine Abſchrift eines Schreibens an die Regierungs—
kommiſſion des Saargebiets zu überſenden, in dem ich namens der Deutſchen Regierung
Einſpruch erhoben habe gegen eine Verordnung der Regierungskommiſſion, wonach
.
vom 1. Mai d. J. ab die Bahn-, Poſt⸗, Telegraphen- und Telephongebühren in Franken
erhoben und die Gehälter und Löhne des Perſonals der betreffenden Verwaltungen
in Franken ausbezahlt werden ſollen.
Auch dem Völkerbunde gegenüber legt die Deutſche Regierung Verwahrung ein
gegen dieſe Verordnung, durch die wichtige Grundſätze des Vertrags von Verſailles
verletzt werden.
Ich bitte Sie, den Mitgliedern des Völkerbundes von dieſem Schreiben und
ſeiner Anlage Kenntnis zu geben und eine Entſcheidung des Bundes in der Ange—
legenheit herbeizuführen. |
Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung).
gez. Simons.
An
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes,
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond,
K. C. M. G. C. B.
Genf.
Nr. 180.
Note des Völkerbundes an die deutſche Regierung vom 25. Juni 1921.
| (Überfeßung.)
Völkerbund. Genf, den 25. Juni 1921.
3/13555/12247.
Herr Minifter! |
Mit Beziehung auf mein Schreiben vom 2. Mai 19212) und Ihre Mitteilung
vom 18. April (nebſt Anlage), betreffend den Gebrauch franzöſiſchen Geldes bei den
Behörden des Saargebiets, habe ich die Ehre Ihnen mitzuteilen, daß der Völker⸗
bundsrat in ſeiner Sitzung vom 20. Juni 1921 erklärt hat, die Entſcheidung die die
Regierungskommiſſion hierüber durch Verordnung vom 16. März 1921 getroffen hat,
gebe keine Veranlaſſung zu irgendwelcher Bemerkung ſeitens des Völkerbundsrats.
Abſchriften Ihrer Schreiben in dieſer Frage werde ich den Mitgliedern des Völkerbundes
zur Information mitteilen.
Ich bitte Eure Exzellenz die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung
genehmigen zu wollen. |
gez. Eric Drummond, Generalſekretär.
Seiner Exzellenz
dem deutſchen Herrn Miniſter des Auswärtigen,
Berlin.
1) Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 178 wiedergegebenen Note beigefügt worden.
2) Mit dieſem Schreiben war der Empfang der Note der deutſchen Regierung vom 18. April
beſtätigt worden.
Fee
u.
Nr. 181
Bericht der Regierungskommſſion des Saargebiets an den Völker—
bundsrat vom 12. Mai 1921.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 2. Jahrgang, Heft 5/6, S. 624 ff.)
| (berſetzung.)
J. Allgemeine Lage.
Ich habe wiederum die Befriedigung feſtzuſtellen, daß im Laufe der letzten drei
Monate kein ernſtes Ereignis eingetreten iſt. Es gab weder Unruhen noch Streiks.
Die Wirtſchaftslage iſt zwar nicht glänzend, kann aber nicht als ſchlecht angeſehen
werden. Die Wirtſchaftskriſis, die der größte Teil Europas durchmacht, hat be—
gonnen, das Saarbecken in Mitleidenſchaft zu ziehen. Die Zahl der Arbeitsloſen iſt
von 2000 auf 2600 geſtiegen (gegen etwa 1 400 in normalen Zeiten). Die franzöſiſchen
Staatsgruben haben aus den Gründen, die ich in meinem letzten Bericht angegeben
habe, die Förderung einſchränken und ihren Arbeitern in den Monaten Februar, März
und April einige Feierſchichten auferlegen müſſen. Immerhin ſind die Ausſichten für
den Monat Mai beſſer, währenddeſſen die Arbeit ſehr wahrſcheinlich nur an den
Sonn- und Feiertagen unterbrochen werden wird.
Der Grubenverwaltung iſt es gelungen, ſich neue Abſatzgebiete zu verſchaffen,
und die von ihr angenommene Preisherabſetzung wird die Abbeförderung der Kohle
erleichtern. Dieſe Preisherabſetzung hat erſt nach einer Herabſetzung der Löhne vor—
genommen werden können. Letztere hat einige Beſchwerden ſeitens der Arbeiter hervor—
gerufen, iſt aber von ihnen mit einer Selbſtverleugnung und einem Verantwortlichkeits—
gefühl angenommen worden, denen die Anerkennung zu verſagen ungerecht wäre. Die
Regierungskommiſſion hat auch ihrerſeits den Verkauf der Saarkohle erleichtert und
folglich zur Beendigung der Arbeitsloſigkeit der Bergleute beigetragen, indem ſie vom
1. April ab den Satz der Kohlenſteuer von 20 auf 10% herabſetzte.
Eine gewiſſe Anzahl von induſtriellen Unternehmungen, namentlich bei der Eiſen—
induſtrie, waren wegen Mangels an Aufträgen zu Arbeiterentlaſſungen genötigt.
Immerhin iſt die Lage im Saarbecken beſſer als in den meiſten Nachbargegenden.
Ich muß indes hinzufügen, daß die Arbeitgeber der Eiſeninduſtrie eine baldige
Lohnherabſetzung ins Auge faſſen; dieſe iſt bisher vermieden worden, namentlich auf
Grund der im Stillen bewirkten dringlichen Vorſtellungen meiner Behörden. Sie wird
vermutlich nach einigen Wochen in Kraft treten.
Im März d. J. hat eine vom Internationalen Gewerkſchaftsbund in Amſterdam
ernannte Studienkommiſſion das Saargebiet beſucht und ſich über die Lage der
Arbeiterklaſſe unterrichtet. Sie beſtand aus einem deutſchen, einem engliſchen, einem
franzöſiſchen und einem ſchweizeriſchen Mitglied. Sie konnte in voller Freiheit ihre
Ermittelungen vornehmen.
II. Die Währungsfrage.
In meinem vorhergehenden Bericht hatte ich die Ehre, mit einigen Einzelheiten
das Problem auseinanderzuſetzen, das ſich im Saarbecken ergibt.
Im Lauf der vorbereitenden Arbeiten für die Aufſtellung des Budgets für das
Finanzjahr 1921/22 iſt klar zutage getreten, daß für die Ausbeutung der großen
Betriebe einigermaßen lohnende Bedingungen ſolange nicht geſichert werden können, als
die Mark, eine entwertete Währung, beibehalten wird.
5
In der Sitzung vom 16. März 1920 hat der Präſident im Einvernehmen mit
ſeinem mit den öffentlichen Arbeiten betrauten Kollegen der Regierungskommiſſion
folgenden Bericht unterbreitet: | a
»Im Augenblick der Aufſtellung des Budgets für das Jahr 1921/22, das nicht
mehr eine einfache Rechnung über Einnahmen und Ausgaben, ſondern ein endgültiges
Budget ſein ſoll, hat die Regierungskommiſſion die Pflicht zu unterſuchen, unter
welchen Bedingungen es möglich iſt, ihre Finanzen zu ſanieren und die Stabilität und
das Gleichgewicht des Budgets ficherzuftellen. Das Jahr 1920/21 war gekennzeichnet
durch häufige und plötzliche Kreditanforderungen; es ſchienen ſogar die Grundlagen
des Finanzgebäudes zu ſchwanken. Man muß der Wurzel des Übels nachſpüren, um
vom Beginn des neuen Finanzjahrs ab ein Heilmittel anwenden zu können.
Das ſtärkſte Defizit, das der Regierungskommiſſion im Lauf dieſes Jahres ent-
ſtanden iſt, und die größten finanziellen Schwierigkeiten, die ihr erwachſen find, er-
geben ſich aus der Ausbeutung der Eiſenbahnen ſowie von Poſt, Telegraph und
Telephon. Mehr als zwei Drittel der in dem allgemeinen Budget des Gebiets ent-
haltenen Ausgaben entfallen auf dieſe beiden Verwaltungszweige. Solange dieſe nicht
dazu gelangen, ihr Betriebsdefizit auf mäßige Verhältniſſe zu beſchränken, iſt es müßig,
auf eine Beſſerung der Finanzlage des Gebiets zu ſinnen. Br
Die Prüfung des Budgets der Eiſenbahnen ergibt nun, daß trotz energiſcher
Einſchränkung der Ausgaben das Gleichgewicht ſolange nicht hergeſtellt werden wird,
als das Budget in einer ſo unſtabilen Währung wie der Mark aufgeſtellt iſt. Die
Transportgebühren, d. h. alle Einnahmen der Eiſenbahn, werden in Mark erhoben,
Was die Ausgaben betrifft, ſo müſſen drei Arten unterſchieden werden: 1. Ankauf
von Kohlen, 2. Ausgaben für Bauten und für Ankauf von Material, 3. Entlöhnung
des Perſonals. b ie
Seit dem Monat Auguſt v. J. wird die Kohle von den franzöſiſchen Staatsgruben
in Franken verkauft; deshalb müſſen die Eiſenbahnen, obwohl ſie ſelbſt nur Mark
einnehmen, mehrere Zehner von Millionen Franken ausgeben. 8
Im Lauf des nächſten Budgetjahres müſſen gewiſſe Ankäufe von Material, nament⸗
lich von Lokomotiven und Waggons, ins Auge gefaßt werden. Mit Frankreich ſind
Verhandlungen eingeleitet worden, um zu erreichen, daß dem Saargebiet deutſches
Material, das auf Grund des Waffenſtillſtandsabkommens an Frankreich geliefert
worden iſt, von dieſem aber nur ſchwer verwertet werden kann, überlaſſen wird,
Frankreich ſcheint geneigt, das Material an das ſaarländiſche Eiſenbahnnetz zu beſonders
günſtigen Bedingungen zu verkaufen; aber der Vertrag wird nur in Franken ab⸗
geſchloſſen werden können. Ferner werden die ſaarländiſchen Eiſenwerke für die
Lieferung von rollendem Material oder von Streckenmaterial, das bei ihnen wird
beſtellt werden müſſen, Bezahlung in Franken verlangen. | 2
Was die Ausgaben für das Perſonal betrifft, ſo betragen fie bekanntlich 50
bis 55 v. H. der Ausgaben der Eiſenbahnen. Man kann hiernach leicht die rieſige
Laſt ermeſſen, die die Gehälter und Löhne im Laufe des Jahres 1920/21 auf die
Ausbeutung der Eiſenbahnen des Saargebiets gelegt haben. In viermaligen Zahlungen
ſind mehr als 80 Millionen Mark an das Perſonal ausgegeben worden, ungerechnet
die in Deutſchland bewilligten und im Saargebiet eingeführten Erhöhungen, die ſich
aufeinander folgten. Trotz dieſer ausnahmsweiſen Zuwendungen iſt die Lage der
Eiſenbahner mißlich geblieben; ſie haben neue Eingaben an die Regierungskommiſſion
gerichtet. f
Die Not der Eiſenbahner und die Forderungen, die ſie hervorruft, haben keinen
anderen Urſprung als die Entwertung der Mark und die daraus ſich ergebende Ver-
teuerung der Lebenshaltung. Die Eiſenbahnverwaltung erhält nur Mark, ein entwertetes
Geld. Die Tarife können nicht unaufhörlich umgeändert werden, d. h. ſie halten nicht
Schritt mit der Entwertung der Mark, und der Unterſchied zwiſchen Ausgaben und
Einnahmen wächſt dauernd. Dieſe kurze Prüfung genügt, um zu zeigen, daß ein auf
me
der Markbaſis ruhender Eiſenbahnbetrieb dazu verurteilt iſt, dauernd eine Defizitwirt—
ſchaft zu bleiben.
Außerdem iſt es hierbei unmöglich, für ein geſamtes Budgetjahr ernſthafte Vor’
anſchläge zu machen. Alle Berechnungen können durch die Schwankungen der Mark
über den Haufen geworfen werden. Von dieſen Schwankungen hangt das Gleich—
gewicht des Budgets nicht nur bei den Eiſenbahnen, ſondern auch beim Saargebiet
ab. Die Staatsfinanzen ſind alſo der Spekulation preisgegeben Beiſpielsweiſe würde
eine neue Baiſſe nicht nur die Kohle verteuern, ſondern auch neue Zugeſtändniſſe an
die Beamten und Arbeiter nötig machen, deren Elend die Regierungskommiſſion nicht
verkennen kann. Neue Millionen müßten dann in den Abgrund geworfen werden.
Eine von der Abteilung der öffentlichen Arbeiten verfaßte beſondere Note wird
angeben, in welcher Weiſe es möglich iſt, in Franken ein wirklich ordnungsmäßiges
Budget für Eiſenbahn, Poſt und Telegraphen aufzuſtellen. Die Stabilität dieſer
Währung geſtattet, vernünftige Voranſchläge zu machen. Sobald man das Budget
der Eiſenbahnen und von Poſt und Telegraphen in Franken aufſtellt, wird man die
Finanzlage des Gebiets weſentlich verbeſſert haben. In der Tat wird eine der Haupt-
einnahmen des allgemeinen Budgets, die Kohlenſteuer, ſchon jetzt in Franken erhoben.
Da die Sonderbudgets der Eiſenbahnen und der Poſt für ſich allein zwei Drittel des
allgemeinen Budgets ausmachen, iſt erſichtlich, daß von dem Tage an, an dem ſie in
Franken aufgeſtellt werden, das Moment der Ungewißheit bei der Aufſtellung der
nehmen und Ausgaben des Gebiets in ſehr ſtarkem Maß eingeſchränkt fein
wird.
Eine Beibehaltung der Mark bei Eiſenbahn und Poſt würde dieſe Betriebe dazu
verurteilen, Defizitbetriebe zu bleiben, und den leitenden Perſönlichkeiten verbieten,
irgendeinen ernſthaften Voranſchlag zu machen; die Regierungskommiſſion würde dem—
nach für das Jahr 1921/22 vor dieſelben Schwierigkeiten geſtellt werden, die ſie im
Lauf des zu Ende gehenden Finanzjahres gehabt hat.
Zugleich würde man damit auch das Saargebiet einen regelrechten Tribut an
Deutſchland zahlen laſſen und ihm im Widerſpruch mit den Beſtimmungen des
Friedensvertrags einen Teil der Reparationen aufbürden. Nur durch unbegrenzte
Ausgabe von Papiergeld hält nämlich Deutſchland ſein Budget im Gleichgewicht,
bediacht feine Schulden gegenüber den Alliierten, hält künſtlich niedrige Produktions-
bedingungen aufrecht und vergeudet in demagogiſcher Abſicht große Gehälter an ſeine
Beamten. Dieſe Geldinflation hat die Entwertung der Mark und der in Mark aus-
gedrückten Werte zur Folge. Der ganze Vorteil dieſer Politik, die für das öffentliche
und private Vermögen und für die Finanzen des Saargebiets die vernichtendſten
Folgen hat, kommt Deutſchland zugute. Jeder von der Reichsbank ausgegebene
Schein bedeutet die Erhebung einer Steuer vom Saarbecken und erſchwert die Aus—
| ſeiner öffentlichen Betriebe.
Es erſcheint hiernach unerläßlich, aus Gründen rein budgetärer Art das mit
den 1 Arbeiten betraute Mitglied der Regierungskommiſſion zu ermächtigen,
vom 1. Mai ab den Franken als einzige Währung in dem Budget der Eifenbabn-,
Poſt⸗, Telegraphen⸗ und Telephonverwaltung einzuführen. Von dieſem Tage ab
würden die Tarife der Eiſenbahn und der Poſt in Franken aufzuſtellen ſein.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine derartige Entſcheidung durch die Be—
ſtimmungen des Friedensvertrages gerechtfertigt iſt. Der § 32 der Anlage zu Abſchnitt IV
(Teil III) beſtimmt, daß dem Umlauf des franzöſiſchen Geldes im Saargebiet keinerlei
Verbot oder Beſchränkung entgegengeſtellt werden darf. Die Ausdrucksweiſe dieſes
Paragraphen iſt ſehr allgemein; es handelt ſich um den Umlauf des Franken ſchlecht
hin; die Sonderrechte der Gruben bilden den Gegenſtand des zweiten Abſatzes des
Artikels 32. Unbeſtreitbar würde dem Umlauf des Franken eine Beſchränkung auf
erlegt 8 wenn die Regierung nicht das Recht hätte, den Gebrauch dieſes Geldes
292
bei den Behörden vorzufchreiben, wo fie doch dieſe Maßnahme im Intereſſe der Be
völkerung für erforderlich hält.
Ferner hat die Regierungskommiſſion volle Freiheit in der Verwaltung Me
Ausbeutung der Eiſenbahnen, Kanäle und ſonſtigen öffentlichen Betriebe (§ 19 der
Anlage). Dieſe Freiheit wäre in auffallender Weiſe beſchränkt, wenn ſie nicht das
Recht haben ſollte zu beſtimmen, in weſcher. Währung das Budget dieſer öffentlichen
Betriebe aufgeſtellt werden ſoll.
Wenn übrigens der Regierungskommiſſion dieſes Recht beſtritten werden ſollte,
jo hätte fie ſelbſt die Tragweite ihrer Befugniſſe zu beſtimmen (§ 33 der Anlage).
Über die Rechtsfrage kann alſo kein Zweifel beſtehen. Auf Grund der Unab⸗
hängigkeit, die ihr der Friedensvertrag überträgt, und in dem Bewußtſein ihrer
Verantwortlichkeit gegenüber der Bevölkerung, für deren Wohlergehen zu ſorgen ſie
beauftragt iſt, wird die Regierungskommiſſion das Budget der großen öffentlichen
Betriebe in der Währung aufſtellen, die kraft ihrer Stabilität ernſthafte Voran⸗
ſchläge und eine ordnungsmäßige Verwaltung ermöglicht.
Die Ergebniſſe dieſes Berichts wurden nach reiflicher Prüfung von der Re—
gierungskommiſſion einſtimmig angenommen.
Demgemäß und entſprechend den techniſchen Vorſchlägen von Herrn Lambert,
dem mit den öffentlichen Arbeiten betrauten Mitglied der Regierungskommiſſion, hat
die Kommiſſion beſchloſſen, daß vom 1. Mai ab die Tarife der Eiſenbahn ſowie die
Gebühren der Poſt-, Telegraphen und Telephonverwaltung in franzöſiſchen Franken
und Centimes aufzuſtellen ſeien. Die Eiſenbahntarife find im Laufe des Monats
April nach Befragung der intereſſierten Kreiſe des Handels und der Induſtrie,
namentlich der Handelskammer in Saarbrücken, feſtgeſetzt worden. Sie nähern ſich
den in Elſaß⸗Lothringen geltenden Tarifen, immerhin ohne ſie zu erreichen.
Vom 1. Mai ab wird auch das Perſonal der Eiſenbahnen und der Poſt⸗, Tele
graphen- und Telephonverwaltung in Franken beſoldet werden. Die Berechnung der
neuen Gehälter und Löhne iſt einer Sonderkommiſſion übertragen worden, die den von
dem Beamtenbund des Saargebiets vorgebrachten Bemerkungen weitgehend IR
getragen bat.
Als die am 16. März von der Regierungskommiſſion gefaßten Beſchlüſſe bei den
Beamten der Zentralverwaltung bekannt wurden, verlangten die Gendarmen, die Polizei⸗
beamten von Saarbrücken und das Perſonal der Waſſerbauverwaltung Bezahlung in
Franken. Ihrem Antrag iſt vom 1. Mai ab entſprochen worden.
Im allgemeinen entſprechen die Gehälter und Löhne in Franken einem Drittel
der am J. April 1921 in Mark bezogenen Gehälter und Löhne, jedoch unter Abzug
gewiſſer neuer Erhöhungen der Teuerungszulagen.
Übrigens find dieſe Gehälter und Löhne nur vorläufig feſtgeſetzt worden. Die
Regierungskommiſſion hat eine Kommiſſion beauftragt, eine neue Einteilung und eine
neue Beſoldungsordnung für die Beamtenſchaft vorzubereiten; hierbei wird ae
den beſonderen Bedingungen des Gebiets Rechnung getragen werden.
Als die Kommiſſion in ihrer Sitzung vom 16. März die vorſtehend geſchilbetteg
Beſchlüſſe faßte, verkannte ſie nicht, daß ſie eine Verallgemeinerung des Frankenumlaufs
im Saargebiet zur Folge haben würden. Daß dieſer Umlauf für einen Teil der Be⸗
völkerung ſchwere Folgen haben werde, hatte der Präſident der Regierungskommiſſion in
einer in der Sitzung vom 1. Dezember 1920 vorgelegten Note, die unverändert in den
Bericht aufgenommen worden iſt, den ich am 25. Januar d. J. an Sie zu richten die
Ehre hatte auseinandergeſetzt. Es erſchien angezeigt, geeignete Mittel zu erwägen, um
für die Bewohner, die außerſtande ſind, ſich Einkünfte in Franken zu verſchaffen,
d. h. für Rentner, Penſionäre und K Kriegsbeſchädigte den Währungsumſchwung, der
ih im Saargebiet abſpielt, fo wenig empfindlich wie möglich zu geſtalten. Fre
— 293 —
Die Regierungskommiſſion hat daher in ihrer Sitzung vom 16. März eine Kom—
miſſion eingeſetzt, die mit der Prüfung der Lage dieſer Klaſſe von Bewohnern und
mit der Prüfung, in welchem Maße und auf welchem Wege ihnen Hilfe gewährt
werden kann, beauftragt iſt. Dieſe Kommiſſion ſteht unter dem Vorſitz des Herrn
Dr. Hector, dem mit der Volkswohlfahrt beauftragten ſaarländiſchen Mitglied der
Regierungskommiſſion, und hat ihre Arbeiten begonnen, die zur Stunde noch nicht be—
endet ſind.
Die Regierungskommiſſion hatte die Pflicht, ſich mit dem Währungsproblem zu
befaſſen, das im Saargebiet ſowohl durch die Beſtimmungen des Friedensvertrags wie
durch das freie Spiel der wirtſchaftlichen Tatſachen auftauchte. Sie hat ſich gezwungen
geſehen, in den öffentlichen Finanzen von den Währungen, die im Saarbecken um—
laufen, der geſündeſten und ſtabilſten einen immer größeren Platz einzuräumen. Die
Beſchlüſſe, die ſie am 16. März gefaßt hat, ſind ihr eingegeben worden von dem Ver—
antwortlichkeitsgefühl gegenüber der Bevölkerung, die fie verwaltet. Sie hat zugleich
gezeigt, daß ſie ſich keineswegs an dem Los ſolcher Bewohner desintereſſierte, die durch
einen erweiterten Frankenumlauf Gefahr laufen, in eine ſchwierige Lage zu geraten.
III. Verwaltungsmaßnahmen.
1. Zentralverwaltung.
AÜGber die Zentralverwaltung iſt wenig zu melden. Die Regierungskommiſſion
= auch weiterhin den Beamten Beweiſe ihres Wohlwollens gegeben, indem fie ihnen
ie Wohltaten gewiſſer kürzlich in Deutſchland ergangener Geſetze zuͤkommen ließ, die
ſich vornehmlich auf Teuerungs- und Familienzulagen bezogen.
Sie hat eine Nachprüfung der Ortsklaſſeneinteilung des Gebiets vorgenommen,
die als Grundlage für die Berechnung der Teuerungs- und Ortszulagen dient; durch
dieſe Nachprüfung ſollten dieſe Zulagen mit den beſonderen Verhältniſſen im Saar—
gebiet in Einklang gebracht werden. Nach Zuſammenſtellung der erforderlichen ſta—
tiſtiſchen Unterlagen erkannte ſie, daß es »der Billigkeit entſpräche, die Mehrzahl der
Gemeinden in die höchſte Klaſſe einzuſtufen«. Sie hat die Wohltaten dieſer Einteilung
auch den Staatsarbeitern zugute kommen laſſen.
Die Regierungskommiſſion hat das Statut der Beamten der Zentralverwaltung
ergänzt und eine Verordnung über die Zuſtändigkeit und das Verfahren des Ver—
waltungsgerichtshofs angenommen.
Die Aufmerkſamkeit der Regierungskommiſſion iſt insbeſondere auf die ſchlechte
Finanzlage der Kommunen gelenkt worden, denen die deutſche Regierung während
des Krieges, um ihr eigenes Budget zu entlaſten, Laſten aufgebürdet hatte, die außer
Verhältnis zu ihren Hilfsquellen ſtanden. Auf einem kürzlich in Köln abgehaltenen
deutſchen Städtetag iſt anerkannt worden, daß die Geſamtſchulden der 50 größten
preußiſchen Städte um 250 und die Ausgaben um 400 v. H. geſtiegen ſind. Im
Saargebiet liegen die Dinge ebenſo. Die Regierungskommiſſion hat Maßnahmen
getroffen, um die Kommunen zu einer Einſchränkung ihrer Ausgaben, namentlich be—
züglich der Beſoldung der Kommunalbeamten, und zu einer Begrenzung der den
Steuerpflichtigen auferlegten finanziellen Laſten zu veranlaſſen. Durch eine Verord—
nung iſt eine Grenze für die Steuerzuſchläge feſtgeſetzt worden, die die Kommunen
zu erheben berechtigt ſind.
Der Beamtenkörper der Kommunen des Saargebiets iſt vervollſtändigt worden.
Die Stadt Saarbrücken hat einen neuen Bürgermeiſter und neue Beigeordnete gewählt.
Die Wahl iſt von dem Präſidenten der Regierungskommiſſion beſtätigt worden.
2. Finanzen.
Herr R. D. Waugh, das mit den Finanzen betraute Mitglied der Regierungs
kommiſſion, konnte der Regierungskommiſſion das Budget des Saargebiets mit Ein—
ſchluß des Budgets der Eiſenbahnen für das erſte Finanzjahr 1920/21 vorlegen;
es weiſt einen Überſchuß von ungefähr 25 Millionen Mark auf.
Bu er
Der Satz der Kohlenſteuer ift vom 1. April 1921 ab von 20 auf 10 v. H.
herabgeſetzt worden. Dieſe Maßnahme wurde ergriffen, um den Abſatz der Saarkohle
zu ermöglichen und um der Induſtrie des Saarbeckens die Konkurrenz mit den Nachbar⸗
ländern zu geſtatten. Eine neue Art der Vereinnahmung dieſer Steuer — durch den
Bergwerksunternehmer — iſt am 1. März angenommen worden.
Die Regierungskommiſſion hat die Vorſchläge der Finanzabteilung zwecks Ein—
richtung einer ſtrengen Kontrolle der Ausgaben angenommen. Die Kontrollbehörde
wird binnen kurzem ihre Arbeiten beginnen. Die Finanzabteilung hat die Steuer—
ämter für die indirekten Steuern reorganiſiert, um die regelmäßige Erhebung der
Abgaben ſicherzuſtellen. Die Alkoholſteuer iſt erhöht worden.
Die Verwaltung der direkten Steuern hat ebenfalls den Gegenſtand eingehender
Prüfung gebildet. Sie war ebenſo wie die der indirekten Steuern ſeit dem Kriege
ſtark vernachläſſigt worden, und die Arbeit bei ihr ließ viel zu wünſchen übrig.
Während der letzten drei Monate iſt die Reorganiſation dieſer Verwaltungen
beträchtlich gefördert worden. Neue Amter ſind errichtet, und ihre Bezirke ſind ſo
abgegrenzt worden, daß ſie die Beziehungen zur Bevölkerung und die Erhebung der
Steuern erleichtern.
Im Hinblick auf das kommende Finanzjahr iſt der Tarif der Einkommenſteuer
umgeändert worden; ſehr erhebliche ſteuerliche Entlaſtungen find den niedrigen Ein-
kommen gewährt worden, um der Entwertung der Mark Rechnung zu tragen.
Sehr verwickelte Fragen wie die der Beſteuerung der Beamten der franzöſiſchen
Staatsgruben, des Perſonals der franzöſiſchen Zollämter und der fremden Beamten,
ſowie der Bergleute, die ſich auf die ihnen vom preußiſchen Staat bewilligten Privi⸗
legien beriefen, haben den Gegenſtand eingehenden Studiums ſeitens der Finanzabteilung
und der Regierungskommiſſion gebildet. Das gleiche war der Fall für die Beſtimmung
des Kurſes der Umwechſlung von Frank in Mark für ſolche Steuerpflichtige, die ihr
Gehalt oder ihren Lohn in Franken erhalten. Alle dieſe Fragen ſind nach dem
Grundſatz der Billigkeit geregelt worden. |
Nach mehreren Beratungen iſt faft in allen Fragen, die zwiſchen der Forſtver⸗
waltung und der Verwaltung der franzöſiſchen Staatsgruben zu regeln waren, eine
befriedigende Löſung erzielt worden.
F , PETER RM ie oe
Nr. 182.
Abänderung des Bürgerlichen Geſetzbuchs, des Handelsgeſetzbuchs,
der Konkursordnung und der Grundbuchordnung.
Vet dag, betreffend Abänderung der Juſtizgeſetze und der Maße
ſtehend genannten Einzelgeſetze. |
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 11
vom 3. Auguſt 1921.)
Auf Grund der §s 19 und 23 der Anlage zum Abſchnitt IV (Teil 3) des
Friedensvertrages von Verſailles und gemäß ihrem Beſchluſſe vom 2. Auguſt 1921
verordnet die Regierungskommiſſion was folgt:
33
Artikel J.
Die nachbenannten, im Saargebiet in Geltung befindlichen Geſetze werden ab—
weinen, wie nachſtehend im einzelnen angegeben iſt.
T e ene in nne
TS , eee
8 $ 244 erhält Abſ. 1 folgende Faſſung ):
3 »Iſt eine in fremder Währung ee Geldſchuld im Saargebiet
zu zahlen, ſo kann die Zahlung in Landeswährungen dieſes Gebiets er—
folgen, es ſei denn, daß Zahlung in fremder Währung ausdrücklich be—
dungen iſt.«
9 § 40 Abſ. 12) wird das Wort „Reichswährung⸗ durch die Worte »in einer
der Landeswährungen⸗ erſetzt.
In 8 195 Abſ. 3 Satz 33) werden die Worte »in deutſchem Gelde, in Reichs—
kaſſenſcheinen ſowie in geſetzlich zugelaſſenen Noten deutſcher Banken« durch die Worte
»in Landeswährungen« erfetzt.
ee t t eee eee a e eee „e „e „
e eee eee eee eee eee me
In $ 695) wird das Wort »Reichswährung« durch die Worte »in einer der
Landeswährungen⸗ erſetzt.
I D eee
) Bisherige Faſſung: »Iſt eine in ausländiſcher Währung ausgedrückte Geldſchuld im Julande
zu zahlen, jo kann die Zahlung in Reichswährung erfolgen, es ſei denn, daß Zahlung in ausländiſcher
Währung ausdrücklich bedungen iſt.«
9) Vgl. Nr. 176.
) Bisherige Faſſung: »Als Barzahlung (d. h. des eingeforderten Betrags auf Aktien) gilt nur die
Zahlung in deutſchem Gelde, in Reichskaſſenſcheinen ſowie in geſetzlich zugelaſſenen Noten deutſcher Banken.«
) Bisherige Faſſung: »Forderungen, welche nicht auf einen Geldbetrag gerichtet ſind, oder deren
Geldbetrag unbeſtimmt oder ungewiß oder nicht in Reichswährung feſtgeſetzt iſt, ſind nach ihrem
Schaͤtzungswerte in Reichswährung geltend zu machen. «
) Bisherige Faſſung: »In der Eintragı ungsbewilligung oder, wenn eine ſolche nicht erforderlich
iſt, in dem Eintragungsantrag iſt das Grundſtück übereinftimmenb mit dem Grundbuch oder durch Hin,
en auf das Grundbuchblatt zu bezeichnen. Einzutragende Geldbeträge ſind in Reichswährung an—
zugeben. «
20
| 2
Nr. 183.
Runderlaß der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom
15. Juli 1921, betreffend Verbot der Bewilligung von Ausgleichs⸗
zulagen durch die Kommunalverwaltungen in Mark.
Regierungskommmiſſion des Saargebiets. . |
Direktorium des Innern. | Saarbrücken, den 15. Juli 1921.
J. C. VIII. A. B. 516.
Aus vorgebrachten Anträgen erſehe ich, daß einzelne Gemeinden und Körper⸗
ſchaften in Erwägung gezogen haben, ihren Beamten und Angeſtellten Ausgleichs-
zulagen zu bewilligen in der Weiſe, daß Zuſchüſſe in Höhe der Differenz zwiſchen
ihrem jetzigen und einem in Franken gerechneten Gehalt gewährt werden ſollen.
Es bedarf keiner Erörterung, daß die Finanzlage aller Gemeinden ohne eine
tiefgehende Anderung eine ſolche Belaſtung des Etats zur Zeit nicht zuläßt, ſo daß es
unter keinen Umſtänden angängig erſcheint, Ausgaben zu bewilligen, für deren Deckung
keinerlei Sicherheit beſteht. Zum anderen bedarf die Frage einer einheitlichen Prüfung,
und es liegt nicht im Intereſſe der Gemeindeverwaltungen, wenn einzelne Gemeinden
unabhängig und ohne Rückſicht auf die allgemeine Lage Regelungen dieſer Art be-
ſchließen.
Es wird daher angeordnet, daß bis auf weiteres ohne die Genehmigung der
Behörde keine Gemeinde und andere Körperſchaft ſolche Ausgleichszulagen bewilligen
ſoll. Sofern Anträge von Beamtengruppen oder Verbänden vorgelegt werden, iſt
der Aufſichtsbehörde darüber zu berichten.
Ich erſuche, die unterſtellten Dienſtſtellen von dieſer Anordnung in Kenntnis
zu ſetzen.
Der Präſident der Regierungskommiſſion.
gez. V. Rault, Staatsrat.
Nr. 184.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗
bundsrat vom 1. Auguſt 1921.
(Vgl. Druckſachen des Völkerbundes, C. 264. M. 195. 1921. I, S. 3, 8f., 14.)
(berſetzung
Allgemeine Lage.
Das Saarbecken iſt im Lauf der letzten drei Monate von der Wirtſchaftskriſis,
deren Folgen die meiſten europäiſchen Staaten verſpüren, ſtark in Mitleidenſchaft ge-
zogen worden.
Immerhin haben die Staatsgruben wieder eine normale Förderung aufnehmen
können. Nicht eine Feierſchicht iſt den Arbeitern auferlegt worden; man hat ihnen
ſogar die am 1. April eingeſtellte Bezahlung der Urlaubszeit wieder bewilligt. Die
Förderung iſt ziemlich mühelos abgefahren worden, und die Haldenbeſtände haben ſich
leicht verringert. Immerhin wird die Wiederaufnahme der Arbeit in den engliſchen
Gruben ohne Zweifel den Verkauf der Saarkohle in den nächſten Wochen trotz der
nachhaltigen Bemühungen der Gruben verwaltung, ſich regelmäßige Abſatzgebiete zu
ſichern, beeinträchtigen.
— 297 —
Hingegen hat ſich die Lage der Eiſeninduſtrie verſchlimmert. Die Beſtellungen
waren ſehr ſelten und die gebotenen Preiſe in keiner Weiſe lohnend. Im Monat
Mai d. J ſahen ſich die großen Hüttenwerke des Beckens gezwungen, dem von den
Gruben einige Wochen vorher gegebenen Beiſpiel zu folgen und eine Herabſetzung der
Löhne um etwa 20 v. H. anzukündigen. Die Arbeiter haben ſich damit nicht ohne
12 wiſſe Schwierigkeiten abgefunden, und bei einigen Unternehmen iſt es in den letzten
gen des Mai zum Streik gekommen. Auf Grund eines Schiedsſpruchs iſt Einigkeit
darüber erzielt worden, daß die Herabſetzung der Löhne auf drei Monate verteilt
e ſollte; die Arbeit iſt überall wieder aufgenommen worden. Trotz der Herab—
der Unkoſten für Arbeiterlöhne ſteht die Schwerinduſtrie vor beängftigenoen
n. Die verhältnismäßig hohen Kohlenpreiſe geſtatten ihr kaum, ſich
in angeſtammten Abſatzgebiete zu erhalten. Ihre Zukunft erſcheint bedroht, wenn
nicht in kurzer Friſt geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um ſie in die Lage zu
verſetzen, die Konkurrenz der Nachbarländer auszuhalten. Die Regierungskommiſſion
wird nicht verfehlen, ſich das Wohlergehen einer Induſtrie angelegen ſein zu laſſen,
die für 40000 Arbeiter Lebensunterhalt ſchafft. Die weiterverarbeitenden Induſtrien
(Eiſenkonſtruktion und Maſchinenbau, Glas- und keramiſche Induſtrie) ſind auch nicht
verſchont geblieben. Die geringe Zahl der Beſtellungen und ihre hohen Geſtehungs—
koſten haben es ihnen bisher nicht geſtattet, die von ihren Arbeitern dringend gefor—
derten Lohnerhöhungen zu bewilligen. Ihre Arbeiter werden in Mark entlohnt,
während die Bergleute und die Arbeiter der Schwerinduſtrie und der Eiſenbahn in
Franken bezahlt werden; der ſoeben eingetretene jähe Sturz der Mark hat ihre Lage
ſehr mißlich geſtaltet. Ende Juli iſt das Perſonal einer großen Zahl von Werken
in den Streik getreten. Gegenwärtig haben im Saarbecken 12 000 Arbeiter die Arbeit
eingeſtellt, und man kann das Ende des Konflikts ſchwer vorausſagen. Das Los der
Arbeiter iſt des größten Intereſſes wert; ſie ſind die Opfer der Entwertung der Wäh—
rung, in der ſie entlohnt werden; aber auf der anderen Seite kann man die bedroh—
liche Kriſis, die ihre Arbeitgeber durchmachen, nicht verkennen.
Die Regierungskommiſſion verfolgt dieſe Ereigniſſe mit äußerſter Aufmerkſamkeit
und wird ſich bemühen, ſobald ſie die Möglichkeit dafür bemerkt, die Wiederaufnahme
der Arbeit herbeizuführen.
Aus Anlaß des Streiks iſt kein Zwiſchenfall vorgekommen, und im allgemeinen
war im Laufe dieſes Vierteljahrs die Ordnung in keinem Augenblick geſtört. Der
1. Mai iſt ruhig verlaufen. Wie im letzten Jahre haben ſich impoſante, von den
ſozialiſtiſchen und den freien Gewerkſchaften veranſtaltete Umzüge durch die Straßen
Saarbrückens und der ſonſtigen Hauptorte des Gebiets bewegt.
u. 0, 0 . ‚‚ ‚⏑‚‚‚οο Er DE EL ER mr re Br u u
ZT eee
Maßnahmen auf dem Gebiete der Verwaltung.
A. Allgemeine Verwaltung.
Im Laufe des verſtrichenen Zeitabſchnittes ſind alle noch offenen Bürgermeiſter—
ſtellen beſetzt worden; hierdurch war es möglich, eine beſſere Verwaltung durch ein
Perſonal, in das die Regierungskommiſſion Vertrauen ſetzen kann, ſicherzuſtellen.
Beſonders große Bemühungen ſind zwecks Geſundung der Finanzen der Kommunen
unternommen worden, die ſich infolge des Krieges zumeiſt in einer beklagenswerten
Lage befinden. Den Kommunalverwaltungen ſind namentlich genaue Weiſungen erteilt
worden, um ſie zu einer Herabſetzung der wirklich übermäßig großen Zahl ihrer An⸗
geſtellten und zu beträchtlichen Erſparniſſen zu veranlaſſen. Außerdem iſt eine Höchſt—
grenze feſtgeſetzt worden, über die hinaus die Kommunen Steuerzuſchläge nicht mehr
erheben dürfen.
20*
— 298 —
Die Regierungskommiſſion hat einen Beſchluß gefaßt, demzufolge es den Ver⸗
bänden und Kommunen des Gebiets unterſagt iſt, Unterſtätzungen von Behörden an—
zunehmen, die ihren Sitz außerhalb der Grenzen des Gebiets haben ).
B. Finanzen.
Eine große Zahl von Verordnungen iſt im Laufe der letzten drei Monate auf
Anregung der Finanzabteilung erlaſſen werden. Es mag genügen, die Verordnungen
über die Veranlagung zu den für Rechnung der Kommunen erhobenen Steuer⸗
zuſchlägen, über die Aufſtellung eines Tarifs für die progreſſive Beſteuerung, über
Anderung der Beſtimmungen über die Anlegung des Vermögens von Minderjährigen
und Handlungsunfähigen, über Anderung des preußiſchen Kommunalabgabengeſetzes, über
Vermeidung von Doppelbeſteuerung im Saargebiet und in Deutſchland und über die
Beſteuerung der Geſellſchaften mit beſchränkter Haftung anzuführen.
Beſondere Abgaben ſind für Kraftfahrzeuge eingeführt worden.
Die Forſtverwaltung hat mit der Direktion der Staatsgruben Verträge über
die Beſetzung gewiſſer Grundſtücke und den Bau von Kanaliſationsanlagen abgeſchloſſen.
Der Finanzkontrolldienſt iſt nunmehr in Tätigkeit. Hierfür ſind von dem mit
den Finanzen betrauten Mitglied der Regierungskommiſſion allgemeine Inſtruktionen
verfaßt und von der Regierungskommiſſion genehmigt worden.
Die Reorganiſation der Finanz und Forſtverwaltung, die durch die Errichtung
des Saargebiets erforderlich geworden iſt, iſt jetzt beendet. N
Die Einheitlichkeit der Verwaltung der bisher preußiſchen und bayeriſchen Teile
des Saargebiets iſt, was das Budget und die indirekten Steuern betrifft, verwirklicht.
Bezüglich der übrigen Zweige der Finanzverwaltung ſind vorbereitende Maßnahmen
ins Auge gefaßt, deren Durchführung ebenfalls zu einem Einheitsregime führen wird.
Auf dem Gebiet der direkten Steuern werden gewiſſe befondere Beſtimmungen ſchon
für dieſes Jahr ermöglichen, ein gleichartiges Syſtem zu erzielen. f
Die Regierungskommiſſion iſt im allgemeinen der Anſicht, daß die Klaſſen der
Bevölkerung, die ein geringes Einkommen beſitzen, aus ſozialen Gründen Anſpruch auf
beträchtliche Steuerbefreiungen haben.
Um die Einnahmen aus den direkten und indirekten Steuern zu erhöhen, mußte
eine gewiſſe Anzahl neuer Behörden geſchaffen werden. Dieſe Aufgabe iſt heute, von
einigen Ausnahmen abgeſehen, vollſtändig beendet. Schon jetzt iſt eine beträchtliche
Erhöhung der Einnahmen feſtzuſtellen, bie einer beſſeren Erfaſſung der Steuerquellen
zu verdanken iſt.
Die benötigten Beamten für dieſe neuen Behörden ſind vorzugsweiſe aus Ein⸗
wohnern des Saargebiets entnommen worden; Abweichungen von dieſem Grundſatz
ſind nur erfolgt, wenn in dem Gebiet keine Bewerber mit den erforderlichen Fach⸗
kenntniſſen und der nötigen Erfahrung gefunden werden konnten.
C. Offentliche Arbeiten, Eiſenbahn, Poſt und Telegraph.
J. Eiſenbahn. Die in der Sitzung vom 13. März beſchloſſene Einführung
des Franken für Tarife und Löhne iſt am 1. Mai vorgenommen worden.
Da alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen worden waren, um die Kaſſen mit
franzöſiſchem Gelde und mit Kleingeld zu verſehen, hatte das Publikum an den Schal⸗
tern keinerlei üben zu erdulden.
9 Dieſer Beſchluß iſt im Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Scarabiets Mr. 9 vom
25. Juni 1921) veröffentlicht. Er lautet:
Auf Grund des § 19 der Anlage zu Abſchnitt IV Teil 3 des Friedensvertrages und
des Beſchluſſes der Regierungskommiſſion vom 11. Mai 1921 wird folgendes beſtimmt:
Cs iſt den Gemeinden ſowie allen öffentlichen Anſtalten und Körperfchaften des Saar⸗
gebiets verboten, Unterſtützungen oder Zuſchüſſe des Deutſchen Reichs, des preußiſchen oder
bayerifchen Staates oder einer Dienſtſtelle dieſer Regierungen ohne Genehmigung der Re
gierungskommiſſion zu beantragen oder anzunehmen. 17
Saarbrücken, den 23. Mai 1921.
Der Präſident der Regierungskommiſſion:
gez. V. Rault, Staatsrat.
29
Man kann ſchon jetzt die glücklichen Wirkungen dieſer Reform erkennen. Sie hat
neuen Lohnforderungen, die mit dem Zurückgehen des Markkurſes unfehlbar geſtellt
worden wären, vorgebeugt.
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Der Regierungskommiſſion iſt der Entwurf eines Budgets für die Eiſenbahnen
in Franken vorgelegt worden. Er weiſt ein Defizit von 20 Millionen auf, das man
noch verringern zu können hofft. Durch die Einführung des Franken, die die Finanzen
der Eiſenbahnen ſtabiliſierte, iſt es möglich geworden, ſicherere Voranſchläge für die
Ausgaben zu machen, ſelbſt was die tätſächlich in Mark zu bewirkenden Ausgaben
betrifft. Übrigens beſteht Hoffnung, daß mit Rückſicht auf den günſtigen Wechſelkurs
die für Materialankäufe auf der Grundlage von 1 Fr. - 1 eingeſetzten Kredite
wirt voll in Anspruch genommen zu werden brauchen.
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0% 2, Poſt. ‚Der: Budgetentwurf für dieſe Verwaltung iſt der Regierungskommiſſion
vorgelegt worden. Er weiſt ein Defizit von ungefähr 6 400 000 Fr. auf. Dieſes
erklärt ſich durch die umfangreichen Arbeiten, die zur Verbeſſerung der während des
Krieges ungenügend unterhaltenen Telegraphen- und Telephoneinrichtungen, die übrigens
auch einen ſteigenden Verkehr zu bewältigen haben, ausgeführt werden müſſen.
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Schluß. |
Aus dem vorliegenden Bericht wird man ohne Zweifel erkennen, daß die Auf⸗
gabe der Regierungskommiſſion im Laufe der letzten drei Monate beſonders ſchwer
war. Auf dem Gebiet der Geſetzgebung und Verwaltung find große Leiſtungen voll-
bracht worden; wichtige Fragen ſind im Verhandlungswege geregelt worden. Im
übrigen hat die Lage ziemlich düſtere Ausſichten gezeigt und zeigt ſie noch. Die Wirt—
ſchaftskriſis, auf deren baldiges Ende zu hoffen unklug wäre, ſcheint dem Saarbecken
nicht erſpart bleiben zu ſollen. Ihre Wirkungen ſind für ein reines Induſtrieland, in
dem faſt die ganze Bevölkerung zur Arbeiterklaſſe gehört, beſonders beſorgniserregend.
Aber die Regierungskommiſſion hat eine große Rückenſtärkung erhalten. Ihr
Präſident hatte die Ehre, ihr Mitteilung zu machen von den Glückwünſchen, die der
Rat des Völkerbundes in ſeiner Sitzung vom 20. Juni d. J. ihm auszuſprechen die
Güte hatte. Die Entſcheidungen des Rates haben ihre Autorität gefeſtigt und ſie
überzeugt, daß ſie bisher die ihr anvertraute Aufgabe getreulich erfüllt hat; ſie bilden
für ſie die koſtbarſte aller Ermutigungen.
Nr. 185.
Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die Kom⸗
munalverwaltungen des Saargebiets, betreffend Einführung des
Franken in den Kommunalverwaltungen, vom 1. September 1921.
een dee Innen Saarbrücken, den 1. September 1921.
J. C. VII. 595.
In zahlreichen Eingaben ſind im Laufe der letzten Monate und insbeſondere der
letzten Wochen die Beamten, Angeſtellten und Arbeiter der Kommunalverwaltungen
bei der Regierungskommiſſion vorſtellig geworden, unter Hinweis auf die außer
ordentliche Notlage, in die ſie die Unzulänglichkeit ihrer Gehälter und Löhne verſetzt.
Hierbei haben ſie auf den erheblichen Unterſchied zwiſchen ihren Einkommen und dem
jenigen der ſtaatlichen Beamten, Angeſtellten und Arbeiter hingewieſen.
EA
Die Regierungskommiſſion hat diefe Beſchwerden geprüft und fie im wefentlichen
als unbedingt gerechtfertigt gefunden. Geleitet von der Abſicht, dieſer Lage unter
Wahrung der Selbſtverwaltungsrechte der Gemeinden abzuhelfen, habe ich mit den
übrigen Mitgliedern der Regierungskommiſſion die in Betracht kommenden Maß⸗
nahmen eingehend erwogen. Hierbei ſind wir übereinſtimmend zu der Erkenntnis
gelangt, daß mit einer Erhöhung der Gehälter in Mark, ſei es durch die Gewährung
einmaliger oder zeitweiliger Zulagen oder durch eigentliche Gehaltserhöhungen, das
Problem nicht gelöſt werden kann. Die ſtändigen Schwankungen des Markkurſes
und die völlige Ungewißheit, wie das Verhältnis der beiden Währungen in Zukunft
ſich geſtalten wird, machen es zur Unmöglichkeit, auf dieſem Wege die Gleichſtellung
der Kommunalbeamten mit den Staatsbeamten zu erzielen, die mit Recht von den
erſteren erſtrebt wird.
Nach längeren Beratungen iſt daher die Regierungskommiſſion zu der Über⸗
zeugung gelangt, daß den fraglichen Anſprüchen nur in der Weiſe Folge gegeben
werden kann, daß die Beamten und Angeſtellten der Kommunalverwaltungen in
gleicher Weiſe wie diejenigen des Staates beſoldet werden, d. h. in der gleichen
Währung.
Es wird nicht verkannt, daß eine ſolche Gehaltsform vorausſetzt, daß die
Kommunalverwaltungen über die erforderlichen Frankeneinnahmen verfügen. Im Laufe
des vorliegenden Rechnungsjahres iſt jedoch eine derartige Umgeſtaltung der Erhöhung
der Gemeindeeinnahmen nicht angängig. Erſt vom 1. April 1922 ab, dem Beginne
des neuen Rechnungsjahres an, wäre deren Durchführung möglich. |
Die Notlage der Beteiligten ift jedoch derart, daß ihnen nicht zugemutet werden
kann, noch weitere ſieben Monate zu warten. Die Regierungskommiſſion hat daher
in ihrer geſtrigen Sitzung beſchloſſen, ſogleich diejenigen Kommunalverwaltungen
entſprechend zu unterſtützen, die angeſichts der Lage ihrer Beamten, Angeſtellten und
Arbeiter dieſen die Frankenbeſoldung bewilligen. Demgemäß wird die Regierungs⸗
kommiſſion den einzelnen Kommunalverwaltungen auf Antrag nach entſprechender
Beſchlußfaſſung der Kommunalvertretungen die Frankenbeſoldung für die Zeit vom
1. Oktober 1921 bis 1. April 1922 ermöglichen durch die Gewährung einer finanziellen
Beihilfe in folgender Geſtalt:
1. Die Landeskaſſe wird die im Haushaltsplan für Löhne und Gehälter des
Perſonals (Beamten, Angeſtellte und Arbeiter) für den fraglichen Zeitraum
vorgeſehenen Beträge zu dem günſtigen Kurs von 1 Franken für je 5 Mark
umwechſeln. N
2. Die Regierungskommiſſion gewährt weiter den betreffenden Kommunal⸗
verwaltungen unentgeltlich einen entſprechenden Frankenzuſchuß, der die
Kommunalverwaltungen in die Lage verſetzt, dieſelben Gehälter und Löhne
zu bezahlen, wie ſie die Beamten, Angeſtellten und Arbeiter des Staates
erhalten, denen ihre Tätigkeit gleichgeſtellt werden kann.
Dieſe außerordentliche Unterſtützung kann ſelbſtverſtändlich nur für die letzten
ſechs Monate des laufenden Rechnungsjahres gewährt werden. Den Kommunal⸗
verwaltungen erwächſt daher die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, daß für die künftige
Zeit ihren Frankenausgaben entſprechende Frankeneinnahmen gegenüberſtehen, namentlich
bei ihren gewerblichen Betrieben (Gas, Waſſer, Elektrizität, Straßenbahn).
Ich erſuche ergebenſt, dieſe Entſchließung zur Kenntnis der beteiligten Kommunal⸗
verwaltungen zu bringen und insbeſondere darauf hinzuweiſen, daß die Beſchlüſſe der
Kommunalvertretungen, welche der erwähnten beſonderen Vorteile teilhaftig zu werden
wünſchen, mir in kürzeſter Zeit, und zwar tunlichſt bis zum 20. September d. J.
mitgeteilt werden. Weiter erſuche ich zu ihrer Kenntnis zu bringen, daß die Regierungs⸗
kommiſſion, ſo ſehr ſie auch den Beamten, Angeſtellten und Arbeitern der Kommunal⸗
verwaltungen entgegenzukommen wünſcht, außerſtande iſt, eine andere Form der
Beihilfe zu genehmigen. Die Achtung vor den Rechten der Selbſtverwaltung kann
nicht dazu führen, die Pflichten außer acht zu laſſen, welche die Aufſicht über die
— 301 —
Kommunalverwaltungen mit ſich bringt. Dieſe macht es der Regierungskommiſſion
aus den bereits angeführten Gründen zur Pflicht, darüber zu wachen, daß nicht die
Finanzen der Kommunalverwaltungen durch unbedachte Gehaltserhöhungen in Mark
verhängnisvolle finanzielle Nachteile erleiden.
Der Präſident der Regierungskommiſſion:
gez. Rault, Staatsrat;
begl. Delfau.
Nr. 186.
Rundſchreiben des Vereins zur Wahrung der gemeinſamen wirt-
ſchaftlichen Intereſſen im Saargebiet an die Kommunalverwaltungen,
betreffend die Einführung der Frankenbeſoldung in den
Kommunalverwaltungen.
Saarbrücken, den 16. September 1921.
Der Verein zur Wahrung der gemeinſamen wirtſchaftlichen Intereſſen im Saar—
gebiet, der mit feinen verſchiedenen Fachgruppen alle ſaarländiſchen Induſtrie- und
Handelszweige umfaßt und in berufenſter Weiſe vertritt, hat in der Sitzung ſeines
Vorstandes vom 15. d. Mts. erneut Stellung zu dem mehr als je brennend ge—
wordenen Problem der Erweiterung des Frankenumlaufs im Saargebiet genommen.
Anlaß dazu bot die durch das bekannte Schreiben vom 1. September an alle ſaar—
ländiſchen Kommunalverwaltungen gerichtete Aufforderung der Regierungskommiſſion,
eine Gehaltserhöhung der Beamten, Angeſtellten und Arbeiter der Kommunalver—
waltungen durch die Einführung der Frankenbeſoldung mit ſofortiger Wirkung ins
Auge zu fallen, mit aller Beſchleunigung entſprechende Beſchlußfaſſungen der Kom—
munalverwaltungen herbeizuführen und das Ergebnis bis ſpäteſtens den 20. d. Mts.
der Regierungskommiſſion kundzutun.
Der Vorſtand unſeres Wirtſchaftlichen Vereins, der ſich eingehend mit den
wirtſchaftlichen Folgewirkungen beſchäftigt hat, die die mit dieſem Schreiben ange—
ſtrebte Einführung der Frankenbeſoldung bei den Kommunen notwendigerweiſe aus—
löfen muß, kam bei ſeinen Beratungen zu dem Ergebnis, daß ihn fein Verant—
wortlichkeitsgefühl vor der Geſchichte ſowohl wie auch der Saarbevölkerung gegen—
über verpflichte, noch in letzter Stunde ſeine warnende Stimme zu erheben. Schon
im Februar 1921 haben wir der Regierungskommiſſion gegenüber in ernſter und
eindringlicher Weiſe die Folgen gekennzeichnet, die einer Erweiterung des Franken—
umlaufs entſpringen müßten. Trotz der ablehnenden Haltung, die die am Wirt—
ſchaftsleben beteiligten Kreiſe der damaligen Rundfrage der Regierungskommiſſion
gegenüber einnahmen, hat die Regierungskommiſſion geglaubt, ſich über die Auf—
faſſung gerade dieſer Wirtſchaftskreiſe hinwegſetzen zu dürfen. Wir ſtellen feſt, daß
die Wirkungen, die wir ſchon damals bei einer Erweiterung des Frankenumlaufs auf
Grund unſerer Einſicht in die wirtſchaftlichen Zuſammenhänge vorausgeſagt haben,
ſich leider als im vollen Umfange zutreffend erwieſen. Heute laſtet auf dem Wirt—
ſchaftsleben des Saargebiets eine jo ſchwere und erdrückende Kriſis, daß die verant—
wortlichen Führer des Wirtſchaftslebens nur mit den lebhafteſten Beſorgniſſen der
künftigen Entwicklung gegenüberſtehen. Wir ſind uns angeſichts der ſchweren Be—
laſtung, die unſer Wirtſchaftsleben ſchon unter den heutigen Verhältniſſen zu tragen
hat, durchaus darüber klar, nur nüchtern und ſachlich zu urteilen, wenn wir die
Erklärung abgeben, daß die mit der Befolgung des Schreibens der Regierungs—
kommiſſion verwirklichte abermalige Erweiterung des Frankenumlaufs die weitere
wirtſchaftliche Betätigung einem allmählichen Stillſtand entgegenführen muß. Das
wirtſchaftlich ſo hoch entwickelte Saargebiet iſt zum Zuſammenbruch verurteilt, wenn
es nicht gelingt, eine Umkehr auf den bisherigen Wegen herbeizuführen. Die ſteuer—
— 302 —
lichen Erträgniſſe müſſen in der empfindlichſten Weiſe zurückgehen, wenn es nicht
gelingt, die ſchon jetzt einer regen und erfolgreichen wirtſchaftlichen Betätigung ent⸗
gegenſtehenden Schwierigkeiten zu beſeitigen. Keinesfalls aber iſt das ſchwer um ſeine
Exiſtenz ringende ſaarländiſche Wirtſchaftsleben in der Lage, noch weitere ungeheuer⸗
liche Belaſtungsproben zu ertragen, wie wir ſie in der Verwirklichung des Schreibens der
Regierungskommiſſion erblicken müſſen. Der uns naheſtehenden Kreiſe hat ſich bereits eine
ſtarke Entmutigung bemächtigt, Unternehmungsluſt und Arbeitsfreudigkeit, die für die
Führer unſeres Wirtſchaftslebens unerläßliche Vorausſetzung zum Erfolge ſind, drohen
völlig zu ſchwinden. Die Kommunalverwaltungen tragen der in verſchiedenen Schichten
ſchon darbenden und verzweifelten Bevölkerung des Saargebiets gegenüber eine un—
geheure Verantwortung, wenn ſie nicht in ernſter Prüfung verſuchen, einen anderen
gangbaren und erträglichen Weg aus der jetzigen Lage zu finden. Nach unſerer Auf⸗
faſſung ſollte verſucht werden, die Regierungskommiſſion um eine Verlängerung der
am 20. September ablaufenden Friſt um etwa ſechs Wochen zu bitten. Wir haben
uns unſererſeits bereits geſtattet, in dieſem Sinne bei der Regierungskommiſſion vor⸗
ſtellig zu werden. Weiter müßte der Regierungskommiſſion mit allem Nachdruck die
Bitte unterbreitet werden, die erforderlichen Erhöhungen der in Frage ſtehenden Be—
züge zum mindeſten bis zum 1. April 1922 in Mark vornehmen zu können. Viel⸗
leicht ſehen wir alle in einigen Monaten klarer und können dann einen Ausweg vor⸗
ſchlagen, der wenigſtens nicht unmittelbar zur Lähmung der wiriſchaftlichen Betätigung
führen muß. Daß eine Befolgung der Anregung der Regieruugskommiſſion, ſich
ſchon jetzt Franken von der Landeskaſſe zur Verfügung ſtellen zu laſſen, zur finanziellen
Abhängigkeit und damit auch zur allmählichen Vernichtung der Selbſtverwaltung führen
muß, erwähnen wir nur nebenbei, da wir es für überflüſſig erachten, die in der Selbft-
verwaltung ſtehenden und von deren Notwendigkeit überzeugten Perſönlichkeiten auf
die nach dieſer Richtung drohenden Gefahren beſonders aufmerkſam machen zu müſſen.
Wir wären Ihnen aufrichtig dankbar, wenn Sie die Güte hätten, bei den in
Ausſicht ſtehenden Beratungen über das Schreiben der Regierungskommiſſion unſeren,
einer eingehenden Kenntnis der wirtſchaftlichen Verhältniſſe des Saargebiets entjprin-
genden Warnruf ernſtlich zu beachten. Vom Standpunkt des Wirtſchaftslebens aus
glauben wir unſere Pflicht getan zu haben. Die ſchwerwiegende Verantwortung für
die unvermeidlichen Folgewirkungen, die ſich ergeben müſſen, wenn unſere heutige
Mahnung in den Wind geſchlagen wird, fällt nicht uns zu, ſondern gegebenenfalls
denjenigen Kreiſen, die glauben, blindlings über wirtſchaftliche Notwendigkeiten zur
Tagesordnung übergehen zu können.
Verein zur Wahrung der gemeinſamen wirtſchaftlichen Intereſſen im Saargebiet.
9 8
Der Generalſekretär:
(Unterſchrift.)
Nr. 187.
Beſchlüſſe verſchiedener Kommunalverwaltungen zur Frage der
Frankenbeſoldung der Kommunalbeamten.
a. Beſchluß des Stadtrats St. Ingbert vom 13. September 1921.
Der Stadtrat nimmt Kenntnis von der Verfügung der Regierung, betreffend
Gehaltszahlung in Franken. Der Stadtrat iſt ſich bewußt, daß den Arbeitern und
Beamten geholfen werden muß. Der Stadtrat erkennt an, daß nur die eine Möglich-
keit beſteht, wie fie die Regierungsverordnung hier anregt, und daß die Stadtver-
waltung ſich gleichzeitig die Vorteile, die hier geboten werden, zunutze machen will.
Der Stadtrat iſt ſich der Tragweite nicht voll bewußt und wünſcht genauere Unter⸗
lagen ſeitens der Regierung ). |
) Nach Einziehung näherer Erkundigungen lehnte der Stadtrat in einer ſpäteren Sitzung die
Frankenbeſoldung ab.
— 303 —
b. Beſchluß des Bürgermeiſtereirats Völklingen vom 15. September 1921.
Die von der Regierungskommiſſion angeregte Beamtenbeſoldung der Kommunal—
beamten und »angeftellten ab 1. Oktober 1921 ..... wird einſtimmig abgelehnt. Die
Bürgermeiſtereivertretung beſchließt jedoch, die Notlage der Beamten nd Angeſtellten
anerkennend, Vorſchüſſe zu bewilligen, und zwar follen erhalten...... . ......
c. Beſchluß der Stadtverordnetenverſammlung Merzig vom
16. September 1921.
Der Vorſchlag der Regierungskommiſſion wurde einſtimmig abgelehnt mit dem
Beſchluß, der Ablehnung als Begründung folgende, von der Zentrumsfraktion ein—
gebrachte Reſolution beizugeben:
»Die Zentrumsfraktion erkennt an, daß durch die Gewährung der Franken—
zahlung an die Staatsbeamten ſich mit Recht bei den in Mark beſoldeten Kommunal—
beamten eine große Unzufriedenheit laut gemacht hat. Sie iſt deshalb auch grund—
ſätzlich nicht abgeneigt, durch eine Erhöhung der Gehälter in Mark einen gewiſſen
Ausgleich zu ſchaffen. Dagegen iſt die Fraktion nicht in der Lage, das Gehalt der
Kommunalbeamten und Angeſtellten in Franken zu bewilligen; dies könnte ſie nur
dann, wenn der Stadt genügend Einnahmequellen in Franken zur Verfügung ſtünden.
Dies iſt aber nicht der Fall. ... Die Stadtverwaltung müßte alſo dazu übergehen,
die Steuern ganz oder doch wenigſtens zum großen Teile in Franken zu erheben.
Dies wäre allerdings bei denen, die bereits Frankenempfänger ſind, ohne weiteres
möglich; die Zahl dieſer iſt jedoch in der Stadt Merzig gering, abgeſehen davon,
daß ſie zum größten Teile im Genuß des Steuerprivilegs ſich befinden. Verhängnis—
voll wäre dagegen die Steuererhebung in Franken ſeitens derjenigen, deren Einnah—
men auf Mark abgeſtellt ſind. Sie wären, ſoweit ſie überhaupt dazu in der Lage
ſind, gezwungen, ſich Frankeneinnahmequellen zu verſchaffen; hierdurch würde aber
die ſchon für viele äußerſt harte Teuerung ins Unerträgliche geſteigert, und zwar be—
ſonders für diejenigen, die nicht in der Lage ſind, Franken zu verdienen. Die Zahl
dieſer iſt aber in der Stadt Merzig ſehr groß. . . . Eine Verelendung der breiten
Maſſe der Bevölkerung wäre die unvermeidliche Folge. Die Fraktion iſt nicht gewillt,
die Verantwortung hierfür zu übernehmen.
Vorſtehende Erwägungen veranlaſſen auch die Zentrumsfraktion, das Angebot
der Saarregierung, die bis zum 1. April 1922 zur Frankenbeſoldung erforderlichen
Franken zu einem niedrigeren Kurſe bzw. umſonſt zur Verfügung zu ſtellen, abzulehnen,
da die Folgen der Annahme eines ſolchen Angebots ſich zur Zeit nicht überſehen laſſen.«
d. Beſchluß des Bürgermeiſterei- und Gemeinderats Neunkirchen
vom 16. September 1921.
Der Bürgermeiſterei- bzw. Gemeinderat ſieht ſich nach Lage der Verhältniſſe
gezwungen, der ſofortigen Frankenbeſoldung der Bürgermeiſterei- (Gemeinde-) Beamten,
Angeſtellten und Arbeiter zuzuſtimmen, weil dieſe Zuſtimmung das einzige Mittel
zur Linderung der augenblicklichen Not der betreffenden Kategorien und damit ein
Gebot der ſozialen Gerechtigkeit darſtellt. Die Zuſtimmung erfolgt jedoch unter
Proteſt gegen die Maßnahmen, unter denen die Saarregierung die Gemeinden indirekt
dazu zwingt, der Frankenwährung im Saargebiet die Wege zu ebnen. Der Bürger—
meiſtereirat (Gemeinderat) iſt ſich keinen Augenblick im Unklaren über die Tendenz
der betreffenden Regierungsmaßnahme und überläßt der Regierung die Verantwortung
für die unabſehbaren wirtſchaftlichen Folgen der Währungsänderung. (Stimmen—
verhältnis: 21 gegen 5.)
e. Beſchluß des Kreisausſchuſſes Saarlouis vom 17. September 1921.
Der Kreisausſchuß iſt der Anſicht, daß die Angeſtellten und Beamten ſofort
entſprechend aufzubeſſern ſeien, und zwar in Mark. Eine Gehaltszahlung in Franken
— 304 —
würde notwendigerweiſe nach dem 1. April 1922 die Einziehung der Steuern uſw. in
Franken nach ſich ziehen, was in weiterer Folge die allgemeine Einführung des Franken
mit ſich bringen würde. Die Folgen dieſer allgemeinen Einführung des Franken find
aber ſo tief eingreifend und von ſolcher Tragweite für das geſamte Wirtſchaftsleben
an der Saar, daß es gründlichſter Prüfung bedarf. Dazu reicht die von der
Regierungskommiſſion geſetzte Friſt nicht aus. Der Kreisausſchuß beſchließt daher,
da unter dieſen Umſtänden eine Verantwortung für die Bewilligung der Gehälter in
Franken ohne dieſe Prüfung nicht angenommen werden kann, den Antrag zu vertagen.
(Einſtimmig angenommen gegen die Stimme des Landrats.) i
f, Beſchluß des Bürgermeiſtereirats Namborn vom 17. September 1921.
Da die Regierungskommiſſion eine Erhöhung der Gehälter in Mark abgelehnt
hat, erklärt ſich der Bürgermeiſtereirat in Anbetracht der wirtſchaftlichen Notlage der
Beamten und Angeſtellten mit der Beſoldung in Franken für die Zeit vom
1. Oktober 1921 bis 31. März 1922 und nur für dieſen Zeitraum einverſtanden.
Eine finanzielle Mehrbelaſtung der Bürgermeiſterei darf in keiner Weiſe erfolgen.
Der Bürgermeiſtereirat betont, daß er ſich hierdurch nicht für die allgemeine Franken⸗
währung ausſpricht. (Stimmenverhältnis: 5 gegen 5.)
g. Beſchluß des Bürgermeiftereirats Illingen vom 19. September 1921.
Die Bürgermeiſtereivertretung iſt auch heute noch einſtimmig gegen die Ein—
führung des Franken und die Beſoldung der Gemeindebeamten in Franken. In
Anbetracht der Verfügung der Regierungskommiſſion und nach Kenntnisnahme der
weiteren Erklärungen zu dieſer Verfügung ſieht fie ſich direkt gezwungen, dem Willen
dieſer Verfügung nachzukommen und in die Bezahlung der Beamten, Angeſtellten
und Arbeiter der Bürgermeiſterei und Gemeinden in Franken einzuwilligen, damit
der Notlage der Beamten Rechnung getragen wird und Ungleichheiten vermieden
werden. Sie ſieht es aber als ihre heiligſte Pflicht vor ihren Wählern an, nad)-
drücklichſt Einſpruch zu erheben gegen dieſen Zwang der Regierungskommiſſion, der
das Selbſtverwaltungsrecht der Gemeinden völlig ausſchaltet und mißachtet. Sie
erklärt ausdrücklich, daß ſie aus freien Stücken niemals zugeſtimmt hätte und lehnt
alle Verantwortung für die Folgen ab. Die Vertretung verlangt, daß der Beſchluß
wörtlich der Saarregierung vorgelegt wird.
h. Bericht über den Beſchluß des Bürgermeiſtereirats Brebach vom
19. September 1921.
Obwohl die Bürgermeiſtereivertretung in ihrer Mehrzahl die Notlage der
Kommunalbeamten, angeſtellten und „arbeiter anerkannte, konnte fie doch in dem
von der Regierungskommiſſion gemachten Vorſchlage nicht den richtigen Weg für
eine Verbeſſerung der Beamtenbeſoldung erblicken. Sie hält vielmehr die Bewilligung
einer Beſoldungserhöhung in Markwährung für angebracht und war hierzu auch
bereit, ohne zunächſt beſtimmte Beträge feſtzuſetzen. Die Einführung der Franken⸗
beſoldung wurde daher mit allen gegen zwei Stimmen abgelehnt.
i. Beſchluß des Stadtrats Homburg vom 19. September 1921.
Wir erkennen die Notwendigkeit einer Einkommensaufbeſſerung für die ſtädtiſchen
Beamten, Angeſtellten und Arbeiter an. Deshalb ſind wir bereit, die Mittel dafür
zu bewilligen, können uns aber nicht dazu entſchließen, der Beſoldung in Franken⸗
währung zuzuſtimmen. Wir müſſen insbeſondere das der Stadt durch das Geſetz
zuſtehende Recht der freien Selbſtverwaltung hochhalten und dieſes Recht auch für
die Beſtimmung der Bezahlung der ſtädtiſchen Beamten, Angeſtellten und Arbeiter
in Anſpruch nehmen.
— 305 —
k. Beſchluß der Stadtverordnetenverſammlung Saarbrücken
vom 20. September 1921.
J. Erklärung der liberal-demokratiſchen Arbeitsgemeinſchaft:
Die liberal demokratiſche Arbeitsgemeinſchaft erkennt an, daß die ſteigende
Teuerung im Saargebiet eine in gleicher Weiſe ſteigende Beſoldung der Beamten
und Angeſtellten der Stadt erfordert. Sie lehnt aber die Einführung der Franken⸗
beſoldung ab.
| Begründung:
In einem Lande können nicht zwei gleichberechtigte ſelbſtändige Währungen mit
ſtark ſchwankenden Wertverhältniſſen nebeneinander beſtehen, ohne daß die wirtſchaftliche
Struktur des Landes zugrunde geht. Dies zeigt ſich deutlich im Saargebiet, wo
die Einführung der Frankenlöhnung im Bergbau, welche nicht notwendigerweiſe eine
Folge des Friedensvertrages war, den Beginn und die Urſache des wirtſchaftlichen
Zerfalls bedeutet.
Dieſe Frankenlöhnung hat die Bevölkerung, ſoweit ſie feſt beſoldet iſt, in zwei
Schichten geſpalten.
Die eine, Franken empfangende Schicht iſt gegenüber der Mark empfangenden
privilegiert. Erſtere kauft ihren Lebensbedarf nicht in Franken, ſondern in Mark
und verfügt daher bei ſteigendem Frankenkurs über ſteigende Einnahmen, während
ſich die Einnahmen der Markempfänger den Kursſteigerungen nicht fo ſchnell anpaſſen
können. Infolgedeſſen leiden zur Zeit große Teile der markverdienenden Bevölkerung
Not. Schuld hieran trägt die teilweiſe Einführung der Frankenlöhnung. Die
Frankenlöhnung hat preisverteuernd gewirkt, einmal durch Erhöhung der Kaufkraft
der privilegierten Schicht und das andere Mal durch Erhöhung der Produktions-
und Verwaltungskoſten des Bergbaus, der Induſtrie und des Verkehrs Es iſt zu
verſtehen, daß derjenige Teil der Bevölkerung, welcher auf feſte Markbezüge angewieſen
iſt, ebenſo geſtellt zu werden verlangt wie derjenige, welcher Franken empfängt. Er—
klärlich iſt es auch, daß die Geſuche von Markempfängern um Einführung von
rankenbeſoldung immer dringender werden, weil derjenige, welcher die mit dem
uno verbundene höhere Beſoldung als letzter empfängt, kein Privilegium mehr
genießt.
Die Teuerung im Saargebiet hat naturgemäß eine unaufhörliche Reihe von
Lohnkämpfen herbeigeführt und die Durchſchnittslohnhöhe über diejenige des deutſchen
Produktions- und Abſatzgebietes hinaus geſteigert. Hierdurch iſt das Saargebiet auf
dem deutſchen Markt, welcher ſein bisheriges Abſatzgebiet war, konkurrenzunfähig
geworden, ohne daß es gelang, andere gleichwertige Abſatzgebiete zu erſchließen. Die
Stillegung von früher blühenden Induſtrieanlagen und die zunehmende Arbeitsloſig—
keit im Saargebiet ſind die ſichtbaren Folgen.
Je weiter die Frankenbeſoldung unter deu gegenwärtigen Verhältniſſen um ſich
greift, deſto teurer wird die Lebenshaltung, zugleich aber auch deſto größer die
Arbeitsloſigkeit.
Die Frage der Frankenbeſoldung der kommunalen Beamten uſw. kann daher
nicht lediglich nach der vorübergehenden Einkommenſteigerung beurteilt werden, welche
die Kommunalangeſtellten erlangen würden. Vielmehr muß die Wirkung auf die
wirtſchaftliche Lage des Saargebiets ins Auge gefaßt werden. Dieſe Wirkung iſt
kataſtrophal. Die nächſte Folge wird vorausſichtlich die Einführung der Steuer—
zahlung in Franken ſein. Der immer kleiner werdende Teil der Bevölkerung, der
auf Markeinnahmen angewieſen ift, wird die Steuern und ſonſtigen erhöhten Laſten
nicht tragen können, ohne ſelbſt Einnahmen in Franken zu fordern und zu erhalten.
Damit gelangt das Saargebiet nach einer gewiſſen Übergangszeit zu dem Punkte,
wo die allgemeine Einführung der Frankenwährung vollzogen iſt.
Wenn auch dieſe völlige Einführung der Frankenwährung zweifellos den not-
wendigen Intereſſenausgleich innerhalb der Bevölkerung des Saargebiets, wie er vor—
her bei der Markwährung beſtand — mit Ausnahme der notleidenden Markrentner —
u DE
zurückbringt, alſo eine Privilegierung einzelner Schichten beſeitigt, jo werden aber
die Intereſſen der Geſamtheit durch die für das Induſtriegebiet unerträgliche Steigerung
der Produktionskoſten empfindlich geſchädigt. Das Saargebiet iſt Induſtriegebiet und
auf den Verkauf ſeiner Erzeugniſſe insbeſondere nach Süddeutſchland angewieſen.
Durch Einführung der Frankenwährung ſägt die Bevölkerung den Aſt ab, auf dem
ſie ſitzt. Solange der gegenwärtige Zuſtand der ſchwankenden Valuten beſteht, wird
daher eine dauernd fortſchreitende Verarmung und Abwanderung der Bevölkerung des
ganzen Gebietes die unausbleibliche Folge ſein. Erſt wenn einmal eine Stabiliſierung
der Mark und Frankenwährungen erreicht fein wird, können beide Währungen in
dem Wirtſchaftskörper des Saargebiets nebeneinander ohne erhebliche wirtſchaftliche
Nachteile exiſtieren.
Wir vermögen daher die Verantwortung für die derzeitige weitere Ausdehnung
der Frankenwährung im Saargebiet durch Einführung der Frankenbeſoldung der
ſtädtiſchen Angerellten nicht zu übernehmen.
Auch der durch die Regierungskommiſſion angebotene Vorteil für die Gemeinden,
daß die Landeskaſſe die Mehrleiſtung bis zum 1. April 1922 übernimmt, ändert die
Sachlage nicht, denn die Entlaſtung der Gemeinden bedeutet eine Belaſtung des Etats
des Saargebiets und damit auch der Steuerzahler, welche die Koſten zu tragen haben.
Die liberal⸗demokratiſche Arbeitsgemeinſchaft iſt bereit, die bei ſteigender Teuerung
erf orderliche Einkommensverbeſſerung der Kommunalangeſtellten in Mark in der.
Form von Teuerungszulagen zu bewilligen, ſoweit die Steuerkraft der Bevölkerung
dies zuläßt. |
2. Gemeinſame Erklärung der ſozialdemokratiſchen und der Zen:
trumsfraktion:
Die unterzeichneten Fraktionen der Stadtverordnetenverſammlung erkennen die
große wirtſchaftliche Not der ſtädtiſchen Beamten, Angeſtellten und Arbeiter an. Die
ins Ungeheure ſteigende Teuerung gebietet ſchleunige Hilfe. Die Fraktionen ſind
bereit, die dazu nötigen Mittel zu bewilligen. Sie können ſich aber nicht entſchließen,
dieſe Aufbeſſerung der Gehälter und Löhne dadurch zu leiſten, daß ſie den Frank in
das Gemeindebudget einführen. Nach dem Friedensvertrag iſt die Währungsmünze
im Saargebiet die deutſche Mark. Die Fraktionen find überzeugt, daß die teilweife
Einführung des Franken und der dadurch herbeigeführte Dualismus zwiſchen Frank
und Mark die ungeheuren wirtſchaftlichen Schwierigkeiten und Nöte des Saargebiets
mit herbeigeführt hat. Welche Folgen die Einführung des Franken im Gemeinde—
budget zeitigen würde, läßt ſich zur Stunde noch nicht überſehen. Soviel ſteht aber
feſt, daß dadurch eine unerſchwingliche Erhöhung der Gemeindelaſten bewirkt wird.
Als gewählte Vertreter der Bevölkerung haben aber die Fraktionen auch auf das
Wohl der geſamten Bevölkerung des Saargebiets Rückſicht zu nehmen. Es liegt
auf der Hand, daß der Teil der Bevölkerung, der keine Frankeneinnahmen hat, wirt—
ſchaftlich immer ſchlechter geſtellt wird, je ſtärker der Frank als Zahlungsmittel auf
tritt. Bisher ſind von der Regierungskommiſſion keine Maßnahmen getroffen worden,
um dieſem Übelſtand entgegenzuwirken. Die Fraktionen ſind deshalb der Anſicht,
daß die Aufbeſſerung, die den ſtädtiſchen Beamten, Angeſtellten und Arbeitern ge
währt werden muß, nur in Mark gewährt werden kann. Dazu geben ſie ihre
Zuſtimmung. Die Bedenken, welche die Regierungskommiſſion für die Ablehnung
der Gehaltsaufbeſſerung in Mark anführt ſind nicht einleuchtend und werden von
den Fraktionen der Stadtverordnetenverſammlung nicht geteilt.
3. Nach anſchließender Debatte wurde der Vorſchlag der Regierungskommiſſion mit
allen gegen zwei Stimmen abgelehnt.
J. Beſchluß der Bürgermeiſtereiverſammlung Dudweiler
vom 20. September 1921.
Die Bürgermeiſtereiverſammlung erkennt die Notlage der Beamten und An—
geſtellten an, iſt aber nicht gewillt, den Franken zu fordern. Da es aber der
307 —
Bürgermeiſterei verſagt iſt, die wirtſchaftliche Notlage der Beamten uſw. in anderer
Weiſe zu beheben, nimmt die Verſammlung mit allen Stimmen die Verfügung der
Regierungskommiſſion vom 1. September 1921 an und bittet, den Beamten und
Angeſtellten vom 1. Oktober 1921 ab ihre Gebührniſſe in Franken zu zahlen. Die
Bürgermeiſtereiverſammlung ſtimmt jedoch der Zahlung in Franken nur für die Zeit
vom 1. Oktober 1921 bis 31. März 1922 zu.
m. Beſchluß des Gemeinderats Sulzbach vom 21. September 1921.
Die wirtſchaftliche Notlage der Gemeindebeamten, angeſtellten und arbeiter
wird nicht verkannt. Die Gemeindevertretung iſt auch bereit, durch Gewährung
weſentlicher Gehaltsaufbeſſerungen in Mark zu helfen, wie ſie das früher ſchon be—
ſchloſſen hat. Im Hinblick auf die ſchweren, nachteiligen Folgen für das Wirtſchafts⸗
leben kann ſie ſich indeſſen nicht damit einverſtanden erklären, die Gehälter in Franken
nach Maßgabe der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 1. September 1921
aufzubeſſern!).
Nr. 188.
Entſchließungen verſchiedener Verbände über die Frankenfrage.
a. HenHöliehung de8 Schußverbandes für Handel und Gewerbe und des
Gewerbevereins Homburg vom 17. September 1921.
Die am 17. September 1921 im Karlsbergſaale zu Homburg verſammelten
Bürger und Bürgerinnen von Homburg und feinen Annexen Beeden Schwarzenbach
erblicken! in der erweiterten Einführung des Franken im Saargebiet, ſpeziell in Homburg,
eine ungeheure Schädigung des wirtſchaftlichen Lebens. Die Schädigung trifft das
ganze Sgargebiet, vor allem aber feine öſtlichſte Grenzſtadt Homburg. Die Ver—
ammlung erſucht den Herrn Bürgermeiſter und die Herren Stadträte dringend, die
em Homburger Handel, dem Gewerbe und der Induſtrie und damit der Arbeiter—
ſchaft drohende Gefahr wirtſchaftlicher Vernichtung durch Verweigerung der Beſoldung
der ſtädtiſchen Beamten und Angeſtellten in Franken abzuwenden, da dieſe Gehälter—
zahlung in Franken zur unausbleiblichen Folge die Einforderung aller ſtädtiſchen Ge-
fälle in Franken haben würde. Die als notwendig zu erkennende Aufbeſſerung
wolle in Mark vom Stadtrate beſchloſſen werden. Die Verſammlung macht Bürger⸗
meiſter und Stadtrat darauf aufmerkſam, daß der am 19. September in Homburg
zu faſſende Stadtratsbeſchluß ein Markſtein in der Geſchichte Homburgs und des
Sodrgebiets ſein wird. Jeder einzelne Stadtrat wird ihn vor ſeiner Wählerſchaft
und der Gefchichte Homburgs zu verantworten haben. Handel und Gewerbe, Arbeit—
nehmer und Arbeitgeber der Induſtrie, Vertreter aller ſchaffenden Stände haben ihre
Stimme erhoben, um die Stadt Homburg und das Saargebiet vor dem drohenden
wirtſchaftlichen Untergang zu bewahren. Die Wucht der Verantwortung tragen
nunmehr Bürgermeiſter und Stadtrat?).
b. Entſchließung des Schutzvereins für Handel und Gewerbe und des
| Gewerbevereins St. Ingbert vom 25. September 1921.
Der Schutzverein für Handel und Gewerbe und der Gewerbeverein St. Jugbert
ſind in ihrer heutigen gemeinſamen Verſammlung zu der Überzeugung gelangt, daß
eine Erweiterung des Frankenumlaufs mit Sicherheit den wirtſchaftlichen Zuſammen—
2 des Saargebiets zur Folge haben muß, weil Induſtrie, Handel und Gewerbe
0 Die Mehrzahl der Kommunalverwaltungen hat die Vorſchläge der Regierungskommiſſion ab—
gelehnt. Zugeſtimmt haben eine geringe Anzahl kleinerer Kommunen, meiſt aber unter Proteſt und nur
mit gewiſſen Vorbehalten.
2) Vgl. Nr. 1871.
nur auf der Markbaſis lebensfähig find. Die Verſammlung richtet daher die dringende
Bitte an die Regierungskommiſſion, von einer Erweiterung des Frankenumlaufs Ab—
ſtand zu nehmen. Die Verſammlung erkennt die Notwendigkeit einer finanziellen
Beſſerſtellung der ſtädtiſchen Beamten und Arbeiter durchaus an, glaubt allerdings,
daß dies aus den oben angeführten Gründen nur durch Erhöhung der Markbezüge
geſchehen darf.
o. Entſchließung der Freien Bauernſchaft des Saargebietes
vom 1. Oktober 1921.
Der am 1. Oktober 1921 zu Saarbrücken tagende Landesausſchuß der Freien
Bauernſchaft des Saargebietes iſt mit den Vertretern der Induſtrie der Anſicht, daß
die gegenwärtige ſaarländiſche Wirtſchaftskriſe auf den ſtändig zunehmenden Franken⸗
umlauf zurückgeführt werden muß. Die Freie Bauernſchaft iſt mit der Induſtrie
weiterhin der Überzeugung, daß nur eine Beſeitigung des Währungsdualismus, eine
Wiedereinführung des reinen Markumlaufes die notwendige Beſſerung hervorrufen
kann. Auch die ſaarländiſche Landwirtſchaft iſt infolge des ggenwärtigen Zuſtandes
vor große Schwierigkeiten geſtellt, die in fortwährendem Wachſen begriffen ſind. Die
Landwirtſchaft hat ebenſo wie die Induſtrie ein Intereſſe an dem Fortbeſtande des
ſaarländiſchen Wirtſchaftslebens und vor allem daran, daß die Ernährung der ſaar—
ländiſchen Bevölkerung ſichergeſtellt bleibt. Bei dem gegenwärtigen Währungs-
dualismus aber müſſen für die bäuerlichen Betriebe, deren Einnahmen ſich ausſchließlich
aus dem entwerteten Gelde deutſcher Währung zuſammenſetzen, überaus ſchädliche
Folgen entſtehen. Die Freie Bauernſchaft erwartet, daß die Regierungskommiſſion
unverzüglich die Schwierigkeiten beſeitigt, die der Schaffenskraft der Induſtrie und
Landwirtſchaft entgegenſtehen. Die Freie Bauernſchaft müßte die Regierungskommiſſion
verantwortlich machen für die Folgen, die aus einer ablehnenden Haltung der
Regierungskommiſſion ſich unweigerlich ergeben. Der Landesausſchuß bittet die
Regierungskommiſſion um gütige Rückäußerung bis zum 15. Oktober 1921, ob die
Regierungskommiſſion gewillt iſt, den Forderungen der Induſtrie und der Landwirt⸗
ſchaft entgegenzukommen.
Nr. 189.
Stellungnahme der Regierungskommiſſion des Saargebiets
zur Frage der Frankenbeſoldung der Kommunalbeamten.
Preſſemeldungen:
a) Saarbrücken, 6. Oktober 1921. Wie der Vertreter der Abteilung des Innern
der Regierungskommiſſion, Herr Delfau, in einer Verſammlung der Bürgermeiſter
des Saargebiets verlauten ließ, iſt die Gleichſtellung der Gemeindebeamten mit den
Staatsbeamten des Saargebiets in Kürze auf dem Verordnungswege zu erwarten.
b) Saarbrücken, 6. Oktober 1921. Ein Bürgermeiſter aus dem Saargebiet, der
den Angeſtellten und Arbeitern der Gemeinde angeſichts der drückenden Notlage aus
eigenem Entſchluß eine Gehaltszulage, und zwar entgegen dem Verbot der Regierungs—
kommiſſion, die ſolche Zahlungen in Franken vorſchreibt, in Mark bewilligt hatte,
wurde von der Regierungskommiſſion aufgefordert, ſich deshalb zu verantworten,
überdies wurde gegen ihn ein Difziplinarverfahren eingeleitet.
5
. 5
Zollfragen.
Nr. 190.
Note der deutſchen Botſchaft in Paris vom 22. Auguſt 1921, betreffend
Zollfreiheit der aus dem übrigen Deutſchland in das Saargebiet
kommenden Waren.
Deutſche Botſchaft in Frankreich.
Nr. 3349.
Herr Miniſterpräſident!
Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich folgendes zur Kenntnis Euerer
ellenz zu bringen:
Die franzöſiſchen Zollbehörden im Saargebiet erkennen die im Vertrag von
Verſailles der deutſchen Einfuhr nach dem Saargebiet zugeſicherte Zollfreiheit nur
ſolchen Waren zu, die deutſchen Urſprungs ſind.
Die Deutſche Regierung iſt der Anſicht, daß dieſes Verhalten der franzöſiſchen
Zollbehörden den Beſtimmungen des Vertrages von Verſailles nicht gerecht wird.
Nach § 31 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrages ſollen die aus dem
Saargebiet ſtammenden, von dort ausgeführten Erzeugniſſe fünf Jahre lang zollfreie
Einfuhr in Deutſchland genießen. Umgekehrt ſoll während derſelben Zeit die deutſche
Einfuhr (»importation d' Allemagne, „articles imported from Germany) für
Gegenſtände des örtlichen Verbrauchs von Zollabgaben befreit bleiben. Der Vertrag
begrenzt alſo die Zollfreiheit für die Ausfuhr aus dem Saargebiet mit genauen und
klaren Worten auf ſolche Waren, die aus dieſem Gebiet ſtammen und von dort aus—
geführt werden, während er anderſeits bei der deutſchen Einfuhr eine entſprechende
Einſchränkung unterläßt und ganz allgemein von der »Einfuhr aus Deutfchland«
ſpricht. Dieſe verſchiedene Ausdrucksweiſe iſt ſo auffällig, daß es ſchon aus dieſem
Grunde nicht angängig erſcheint, die einſchränkende Beſtimmung für die Ausfuhr aus
dem einen Gebiet auf die Ausfuhr aus dem anderen Gebiet zu übertragen. Der
Vertrag läßt aber auch in anderer Weiſe erkennen, daß er die beiden Ausfuhren nicht
gleichſtellen wollte. Die Zollbefreiungen ſind in beiden Fällen nach verſchiedenen
Geſichtspunkten begrenzt. Die zollfreie Einfuhr aus dem Saargebiet iſt beſchränkt
auf die aus dieſem Gebiet ſtammenden und von dort ausgeführten Waren, während
die zollfreie Einfuhr aus Deutſchland inſoweit begrenzt iſt, als die eingeführten
Gegenſtände für den örtlichen Verbrauch des Saargebiets beſtimmt ſein müſſen. Daß
dieſe Einfuhr aus Deutſchland außerdem noch auf Gegenſtände deutſchen Urſprungs
beſchränkt werden ſollte, kann hiernach nicht angenommen werden.
Aus dieſen Gründen iſt die Deutſche Regierung der Anſicht, daß die im § 31
der erwähnten Anlage feſtgeſetzten Zollerleichterungen auf alle Waren Anwendung
. die aus Deutſchland kommen und für den örtlichen Verbrauch im Saargebiet
eſtimmt ſind. Sie bittet die Franzöſiſche Regierung, die Angelegenheit einer Prüfung
zu unterziehen und die Zollbehörden im Saargebiet mit der erforderlichen Weiſung
zu verſehen.
Genebmigen Sie, Herr Miniſterpräſident, den Ausdruck meiner ausgezeichnetſten
Hochachtung.
Seiner Exellenz
dem Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten
Herrn Briand .
Paris, den 22. Auguſt 1921,
gez. v. Hoeſch.
Paris.
— 8
Nr 191.
Note der deutſchen Botſchaft in Paris vom 24. Auguſt 1921, betreffend
Zollfreiheit von Reparatur- und Rückwaren.
Rn Botſchaft in Frankreich. 4 24. 2 192
J. Ar. A. 3350, Paris, den . Auguſt 1921.
Herr Miniſterpräſident!
Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich Euerer Exzellenz folgendes mit⸗
zuteilen:
Nach § 31 Abſ. 4 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrages von Ver⸗
ſailles iſt die Einfuhr aus Deutſchland in das Saargebiet für Gegenſtände, die zum
örtlichen Verbrauch beſtimmt ſind, während eines Zeitraums von 5 Jahren von
Zollabgaben befreit.
Von dieſer Vergünſtigung werden von den franzöſiſchen Zollbehörden im Saar⸗
gebiet Waren, die zu einem beſtimmten Zweck, wie z. B. zum Färben, Reinigen oder
Reparieren, aus dem Saargebiet in das deutſche Zollgebiet geſandt und alsdann
wieder in das Saargebiet zurückgeleitet werden, ausgeſchloſſen.
Der Deutſchen Regierung ſcheint dieſes Verfahren der franzöſiſchen Zollbehörden
nicht in Einklang zu ſtehen mit den Beſtimmungen des Vertrages von Verfailles.
Wie ich in anderem Zuſammenhange bereits näher auszuführen die Ehre hatte,
erſtreckt ſich die Zollfreiheit nach dem Wortlaut des Vertrages auf die geſamte Einfuhr
aus Deutſchland. Eine Einſchränkung iſt nur inſoweit vorgeſehen, als die Gegen—
ſtände für den örtlichen Verbrauch beſtimmt ſein müſſen. Daß dieſe Einſchränkung
auf Waren von der in Rede ſtehenden Art zutrifft, unterliegt keinem Zweifel.
Andere Einſchränkungen ſieht der Vertrag für die Einfuhr aus Deutſchland aber
nicht vor. Nach dem Wortlaut des Vertrages erſcheint alſo die Erhebung von Zoll—
gebühren von derartigen Waren nicht gerechtfertigt.
Dieſe Zollerhebung entſpricht nach Anſicht der Deutſchen Regierung auch nicht
dem Geiſt der Beſtimmungen des Vertrages. Wenn der Vertrag die Zollfreiheit
ſogar den zum erſtenmal aus Deutſchland in das Saargebiet eingeführten Waren
gewährt, ſo muß dieſe Befreiung erſt recht ſolchen Waren zugute kommen, die aus
dem Saargebiet ſelbſt kommen und nach vorübergehendem Aufenthalt im deutſchen
Zollgebiet in das Saargebiet zurückkehren. Da der Vertrag ſolchen Waren Zoll⸗
freiheit zuſichert, wenn ſie in das deutſche Zollgebiet eingeführt werden, kann es
nicht ſeinem Geiſte entſprechen, wenn dieſe Waren bei der Wiedereinfuhr in ihr
eigenes Urſprungsland einer Zollabgabe unterworfen werden.
Mit Rückſicht auf vorſtehende Erwägungen bittet die Deutſche Regierung die
Franzöſiſche Regierung, ihre Zollbehörden im Saargebiet anweiſen zu wollen, daß
ſie von der Erhebung von Zollgebühren auf Waren der erwähnten Art Abſtand
nehmen.
Genehmigen Sie, Herr Miniſterpräſident, den Ausdruck meiner ausgezeichnetſten
Hochachtung.
gez. v. Hoeſch.
Sr. Exzellenz
dem Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten
Herrn Briand
Paris.
— 311 —
Nr. 192.
Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris vom 28. Auguſt 1921,
betreffend die Erhebung einer Ausfuhrabgabe auf Thomasmehl.
Deutſche Botſchaft in Frankreich.
J. Nr. A: 3352.
Verbalnote.
Die Deutſche Botſchaft beehrt ſich im Auftrage ihrer Regierung dem Miniſterium
der Auswärtigen Angelegenheiten folgendes mitzuteilen:
Die Düngerfabrik Neumühle in Kuſel hat im März d. J. 227,7 Tonnen
Thomasſchlacke aus dem Saargebiet bezogen. Die franzöſiſche Zollbehörde in Hom—
burg erhob auf dieſe Sendung eine Ausfuhrabgabe von rund 12000 Mark, teilte
aber zugleich mit, daß dieſer Betrag zurückvergütet werden würde, wenn der Emp-
fänger Fuel 4 Wochen durch beglaubigte Beſcheinigung nachweife, daß die Ware
in ſeine Hände gelangt ſei. Der Empfänger iſt dieſem Verlangen ſofort nachgekom—
men, doch iſt eine Rückzahlung des Betrages an ihn nicht erfolgt, vielmehr hat ihm
die Zollbehörde in Homburg mit einem Schreiben vom 28. Mai d. J. mitgeteilt, der
Betrag müſſe einbehalten bleiben, bis die Generaldirektion der Zölle in Paris ent—
ſchieden habe, ob die Erhebung der Ausfuhrabgabe zu Recht erfolgt ſei oder nicht.
Vor einiger Zeit hat nun die Generaldirektion der Zölle dieſe Frage bejaht.
Soviel der Deutſchen Regierung bekannt, beruht die Erhebung der Abgabe auf
einem ſpäter wieder aufgehobenen Dekret der Franzöſiſchen Regierung vom 4. Februar
d. J., durch das eine Ausfuhrabgabe auf phosphorhaltige Schlacke in Höhe von 150
Franken für 100 Kilogramm brutto eingeführt wurde. Dieſes Dekret iſt nach An—
ſicht der Deutſchen Regierung mit dem Vertrage von Verſailles nicht vereinbar. Nach
§ 31 Abſ. 2 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 bes Vertrages darf von Erzeugniſſen der
Hütteninduſtrie, die aus dem Saargebiet nach dem deutſchen Zollgebiet ausgeführt
werden, feine Ausfuhrabgabe erhoben werden. Da Thomasmehl ein Nebenprodukt
des Verhüttungsprozeſſes iſt, iſt dieſe Beſtimmung im vorliegenden Falle anwendbar.
Außerdem hat die franzöſiſche Zollbehörde, offenbar mit Rückſicht auf dieſe Beſtimmung
des Verſailler Vertrages, die Rückvergütung der erhobenen Abgabe ausdrücklich zugeſagt.
Aus dieſen Gründen wäre die Deutſche Regierung der Franzöſiſchen Regierung
dankbar, wenn ſie die Rückzahlung des erhobenen Betrages anordnen wollte.
Paris, den 28. Auguſt 1921.
An
das Miniſterium der Auswärtigen Angelegenheiten
| Paris.
Nr, 193.
Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris vom 12. September 1921,
betreffend Zollſyſtem und Markenſchutz.
Deutſche Botſchaft in Frankreich.
J. Nr. A. 3636.
Verbalnote.
Die Deutſche Botſchaft beehrt ſich im Auftrage ihrer Regierung folgendes zur
Kenntnis des Miniſteriums der Auswärtigen Angelegenheiten zu bringen:
Es haben ſich bereits wiederholt Schwierigkeiten daraus ergeben, daß die fran
zoͤſiſchen Zollbehörden im Saargebiet den Artikel 15 des franzöſiſchen Geſetzes vom
11. Januar 1892 bei der Einfuhr deutſcher Waren in das Saargebiet zur An—
wendung bringen.
21
— 312 —
Das Saargebiet iſt zwar nach § 31 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Ver-
ſailler Vertrages dem franzöſiſchen Zollſyſtem eingeordnet worden. Jedoch ergibt
ſich hieraus die Anwendbarkeit des Artikels 15 des franzöſiſchen Geſetzes vom
11. Januar 1892 nach Anſicht der Deutſchen Regierung nicht ohne weiteres. Dieſer
Artikel gehört der Zollgeſetzgebung nur inſofern an, als die Zollbehörden mit ſeiner
Durchführung betraut ſind. Materiell bildet er einen Teil der Geſetzgebung über
den Markenſchutz. Mit Rückſicht hierauf hat ſeine Anwendung die Geltung des
franzöſiſchen Markenſchutzrechts zur Vorausſetzung. Nun gilt aber im Saargebiet
nicht das franzöſiſche, ſondern gemäß § 23 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des
Verſailler Vertrages das deutſche Markenſchutzrecht, insbeſondere das Geſetz zum
Schutze der Warenbezeichnungen vom 12. Mai 1894. Ob eine Warenbezeichnung
im Saargebiet Schutz genießt oder nicht, iſt demnach nach den Beſtimmungen dieſes
Geſetzes zu beurteilen. Die Anwendung des Artikels 15 des franzöſiſchen Geſetzes
vom 11. Januar 1892 führt aber dazu, daß gerade die Waren, deren Bezeichnungen
im Saargebiet geſetzlich geſchützt ſind, von der Einfuhr ausgeſchloſſen und umgekehrt
Waren mit geſetzwidriger Bezeichnung zugelaſſen werden. Der innere Widerſpruch,
der hierin liegt, beweiſt, daß für die Anwendung des Artikels 15 des franzöſiſchen
Geſetzes vom 11. Januar 1892 im Saargebiet kein Raum iſt.
Aus dieſen Gründen bittet die Deutſche Regierung die Franzöſiſche Regierung,
die franzöſiſchen Zollbehörden im Saargebiet anweiſen zu wollen, daß ſie den
Artikel 15 des franzöſiſchen Geſetzes vom 11. Januar 1892 bei der Einfuhr von
Waren in das Saargebiet nicht mehr in Anwendung bringen.
Paris, den 12. September 1921.
An
das Miniſterium der Auswärtigen Angelegenheiten
Paris.
XV.
Schule und Sprache.
Nr. 194.
Die einſchlägigen Beſtimmungen des Vertrages von Verſailles.
Teil III, Abſchnitt IV, Anlage zu Artikel 45 bis 50.
$ 14.
Der franzöſiſche Staat kann jederzeit als Nebenanlagen der Gruben Volksſchulen
oder techniſche Schulen für das Perſonal und die Kinder des Perſonals gründen
und unterhalten und den Unterricht darin in franzöſiſcher Sprache nach einem von
ihm feſtgeſetzten Lehrplan durch von ihm ausgewählte Lehrer erteilen laſſen.
8 28.
Die Einwohner behalten unter der Überwachung der Regierungskommiſſion ihre
örtlichen Vertretungen, ihre religiöſen Freiheiten, ihre Schulen und ihre Sprache.
, ser Be EN rt
1
Nr. 195.
Verordnungen der Regierungskommiſſion des Saargebiets über den
Beſuch der Schulen der franzöſiſchen Grubenverwaltung.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 7 vom 24. Juli 1920.)
a. Verfügung betreffend Schulen der Berg verwaltung.
Auf Grund der SS 14, 19 und 23 der Anlage zum Abſchnitt IV (Teil III) des
Friedens vertrags und gemäß ihrem Beſchluſſe vom 7. Juli 1920 verfügt die Re—
gierungskommiſſion was folgt:
Einziger Artikel.
| Die Kinder des Perſonals der Bergverwaltung, welche die gemäß § 14 der er—
wähnten Anlage des Friedensvertrags von der Bergverwaltung gegründeten Schulen
beſuchen — ohne Rückſicht auf die Staatsangehörigkeit —, genügen damit den Vor-
ſchriften des preußiſchen Geſetzes vom 14. Mai 1825 und des bayeriſchen Geſetzes
vom 4. Juni 1903 über die Schulpflicht.
Saarbrücken, den 10. Juli 1920.
Der Präſident der Regierungskommiſſion.
gez. V. Rault, Staatsrat.
b. Verordnung betreffend Benutzung der Schulen der Berg verwaltung,
Auf Grund der SS 14, 19 und 23 der Anlage zum Abſchnitt IV (Teil III)
des Friedensvertrags, gemäß der Verfügung der Kgl. Regierung in Trier vom
13. Juni 1892 und gemäß dem Beſchluſſe der Regierungskommiſſion in der Sitzung
vom 7. Juli 1920 verordnet die Regierungskommiſſion was folgt:
Artikel 1.
Die Schulbehörde kann denjenigen Eltern, die darum einkommen, die Erlaubnis
erteilen, ihre Kinder in die gemäß § 14 der erwähnten Anlage des Friedensvertrags
von der Bergverwaltung gegründeten Schulen zu ſchicken, auch wenn die Eltern nicht
zum Perſonal der Bergverwaltung gehören.
Artikel 2.
Die diesbezüglichen Geſuche find unmittelbar an die Regierungskommiſſion (Ab—
teilung für Kultus und Schulweſen) zu richten.
Saarbrücken, den 10. Juli 1920.
Der Präſident der Regierungskommiſſion.
gez. V. Rault, Staatsrat.
Nr. 196.
Motivenbericht zu den unter Nr. 191 wiedergegebenen Verordnungen.
(Überſetzung.)
I. Nach § 14 des Kapitels 1 der Anlage zu Aſchnitt IV (Teil III) des Friedens-
vertrags vom 28. Juni 1919 »kann der franzöſiſche Staat jederzeit als Nebenanlagen
der Gruben Volksſchulen oder techniſche Schulen für das Perſonal und die Kinder des
Perſonals gründen und unterhalten und den Unterricht darin ın franzöſiſcher Sprache nach
einem von ihm feſtgeſetzten Lehrplan durch von ihm ausgewählte Lehrer erteilen laſſen«.
Dieſes Recht erſtreckt ſich nicht nur auf das franzöſiſche Perſonal, ſondern auch
auf das Perſonal jeder anderen Staatsangehörigkeit. Wenn es ſich nur um das
franzöſiſche Perſonal handeln 3 würde der Text des Vertrags nicht beſonders
21*
SIE
betonen, daß der franzöſiſche Staat den Unterricht in franzöſiſcher Sprache erteilen
laſſen kann. |
Um die vollſtändige Anwendung des Vertrags in dieſem beſonderen Punkt zu
ermöglichen, wird es alſo genügen, durch eine Verordnung bekanntzugeben, daß der
Beſuch der franzöſiſchen Schulen für alle zum Grubenperſonal gehörenden Eltern die
Erfüllung der geſetzmäßigen Schulpflicht bedeutet.
II. In dem Vertrag iſt nur von dem Grubenperſonal die Rede. Es erhebt ſich
aber die Frage, ob nicht auch andere Schüler die franzöfifchen Schulen beſuchen
können. In Saarlouis insbeſondere hat eine Anzahl von Einwohnern, die nicht bei
den Gruben beſchäftigt ſind, den Wunſch geäußert, ihre Kinder in die dort errichtete
franzöſiſche Schule zu ſenden. Die Gründe, die fie anführen, find u. a. der Wunſch,
ihren Kindern den Unterricht in beiden Sprachen zu ermöglichen, wie er in den
franzöſiſchen Schulen gehandhabt wird, und der Wunſch, ſie nach der franzöſiſchen
Kultur zu bilden.
Iſt es vom rechtlichen Standpunkt aus möglich, ihren Wünſchen ſtattzugeben?
Das preußiſche Recht, durch eine ſtändige Rechtſprechung beſtätigt, verpflichtet
die Kinder preußiſcher Staatsangehörigkeit zum Beſuch der preußiſchen Schulen.
Aber aus einer Verfügung der Königlichen Regierung in Trier vom 13. Juni 1892
(vgl. Flügel S. 349) ergibt ſich, daß die Schulbehörden die Ermächtigung zum Beſuch
anderer Schulen erteilen können.
Die Rechtsfrage könnte alſo zur Not im bejahenden Sinn entſchieden werden.
Allerdings ſcheint dieſe Ermächtigung in Preußen eine ganz ausnahmsweiſe ge⸗
weſen zu ſein. n | |
III. Aber bei der beſonderen Lage, in der ſich das Saarbecken befindet, kann
die Frage nicht lediglich vom Rechtsſtandpunkt aus entſchieden werden. | |
Man muß den Geiſt des Vertrags in Betracht ziehen. Dieſer Geift beſteht
darin, den Bewohnern unter der Aufſicht des Völkerbundes das größtmögliche Maß
von Freiheiten zu gewähren und die Intereſſen und das Wohlergehen der Bevölkerung,
ſowohl das moraliſche wie das materielle, zu wahren. Unter dieſem Geſichtspunkt
erfordert das Geſuch einiger Bewohner, für ihre Kinder frei den Unterricht in einer
franzöſiſchen Schule wählen zu dürfen, ſeitens der Regierung eine grundſätzliche Ent-
ſcheidung, deren Bedeutung zu unterſtreichen ſich erübrigt. | a] mi
Eine günftige Entſcheidung der Regierungskommiſſion, die geeignet ift, neue der-
artige Geſuche um Ermächtigung hervorzurufen, darf die Intereſſenten nicht im un⸗
klaren laſſen über die praktiſchen Nachteile, die ſich für ſie daraus ergeben können.
Es wird erforderlich ſein, die Intereſſenten hierüber ordnungsmäßig zu ver⸗
ſtändigen. | 8
Immerhin erſcheinen die Vorteile, die ſich für fie und ihre Kinder daraus er-
geben, entſcheidender als die Nachteile: Ein materieller Vorteil liegt in der prak⸗
tiſchen Kenntnis der beiden Sprachen in einem Grenzland, ferner in der höheren
Befähigung, eine Verwendung auf den im Friedensvertrag vorgeſehenen internatio⸗
nalen Poſten ſowie bei der Verwaltung der Gruben, Zölle uſw. des Saarbeckens
verlangen zu können.
Es beſteht alſo kein Anlaß, ſich grundſätzlich dagegen auszuſprechen, daß den
Eltern, die ein mit Gründen verſehenes Geſuch um Erlaubnis zum Beſuch der fran⸗
zöſiſchen Schulen durch ihre Kinder einreichen, dieſe Erlaubnis erteilt wird; man kann
nur fragen, auf welchem Wege man ihnen im Rahmen der Geſetze und der Recht⸗
ſprechung des Landes ſowie des Friedensvertrags entſprechen kann. |
Die Ermächtigung zum Beſuch der franzöſiſchen Schulen, die von der Regierungs⸗
kommiſſion auf Grund der ihr durch den Friedensvertrag übertragenen Vollmachten
erteilt wird, hat auf der anderen Seite aber natürlich für die Schulen die Ver⸗
pflichtung zur Folge, den Schulvorſchriften des Saarbeckens in Bezug auf das
Lehrprogramm, auf die Dauer des ſchulpflichtigen Alters und die Regelmäßigkeit des
Schulbeſuchs Genüge zu leiſten. | |
— 315 —
Antragsformular für die Eltern. |
(berſetzung.)
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als regelmäßigen Schüler in die franzöſiſche Schule iinns.
eröffnet gemäß § 14 der Anlage zu Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensvertrags,
A zu dürfen, um dort der Schulpflicht zu genügen.
Er hat von der in dieſer Schule geltenden Schulordnung Kenntnis genommen
und wird ſich nach den darin enthaltenen Vorſchriften richten.
Er beſtätigt, über die Folgen ), die ſich aus der vorliegenden Ermächtigung
ergeben können, unterrichtet worden zu ſein.
Unterſchrift: Ermächtigung:
) Im allgemeinen ſteht die Ausbildung in den Elementarſchulen in der franzöſiſchen Schule auf
derſelben Stufe wie in einer deutſchen Schule. Es iſt aber anzunehmen, daß ein Schüler, der eine
franzöſiſche Schule beſucht hat, weder ſeine Ausbildung in den höheren deutschen Lehranſtalten fortſetzen
noch eine Anſtellung bei einer deutſchen Behörde erlangen können wird. Umgekehrt wird er ſich, da er
ſowohl das Deutſche wie das Franzöſiſche erlernen wird, um Anſtellungen bewerben können, bei denen
die Kenntnis beider Sprachen erforderlich iſt. (Dieſe Fußnote ſteht im Formular).
Nr. 197.
Werbeſchreiben der Vereinigung der Elſaß⸗Lothringer des Saar—
beckens für den Beſuch der franzöſiſchen Bergſchulen.
9 0 nn een N Saarbrücken, den 26. Januar 1921.
Herrn Präſident der Vereinigung der Elſaß-Lothringer
PPP
Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß auf Wunſch mehrerer Saarländer 5
die Bergwerksdirektion ſich entſchloſſen hat, franzöſiſche Schulen in allen bedeutenden
ften zu eröffnen. Zweck dieſes gegenwärtigen Schreibens iſt, Sie zu bitten,
mir in kürzeſter Zeit die Anzahl und das namentliche Verzeichnis der Kinder zukommen
zu laſſen, deren Eltern Wunſch es wäre, ſie in eine franzöſiſche Schule zu ſchicken.
Auf dieſem Verzeichnis muß bemerkt ſein, ob die Kinder Franzoſen oder Saarländer
ſind. Abrigens werden alle, gleich welcher Nationalität ſie ſeien, bereitwilligſt auf—
genommen.
Der Unterricht in dieſen Schulen iſt unentgeltlich, wie auch die Belieferung von
Büchern an bedürftige Kinder. Der Unterricht erſtreckt ſich auf die franzöſiſche und
deutſche Sprache ſowie auf die wiſſenſchaftlichen Studien. Das Lehrperſonal ſetzt
ſich aus ſaarländiſchen und franzöſiſchen Lehrern zuſammen. Der Religionsunterricht
wird durch die Feldgeiſtlichen der verſchiedenen Konfeſſionen erteilt, unterſtützt von
den Ortsgeiſtlichen. Die geſundheitliche Fürſorge dieſer Schulen ſichert die Geſund—
heitsabteilung der Bergwerksdirektion.
Es erübrigt ſich zu erwähnen, daß die Gründer dieſer Schulen von dem
Wunſche beſeelt ſind, der ſaarländiſchen Bevölkerung und beſonders der Vereinigung
der Elſaß⸗ Lothringer einen wertvollen Dienſt zu erweiſen. Damit iſt gleichzeitig ge—
— 316 —
ſagt, daß alle vernünftigen Wünſche, die eingebracht werden, berückſichtigt werden.
Insbeſondere können Sprachenkurſe für Erwachſene ins Leben gerufen werden und
an den für die Teilnehmer bequemſten Stunden ſtattfinden. f
Ich bitte Sie, Herr Präſident, ſich der Wichtigkeit dieſer meiner Mitteilung
bewußt zu ſein und ſie ſobald als möglich zur Kenntnis Ihrer Mitglieder zu bringen
und mir ſodann die vorſtehend erwähnte Liſte zukommen zu laſſen.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner vorzüglichen Hoch⸗
achtung. |
Association des Alsaciens-Lorrains.
(Unterſchrift)
Nr. 198.
Abänderung des Bürgerlichen Geſetzbuchs.
Verordnung betr. Abänderung der Juſtizgeſetze und der nachſtehend
bezeichneten Einzelgeſetze)).
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets Nr. 11 vom 3. Auguſt 1921).
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Nr. 199.
Berichte der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗
bundsrat.
a. Bericht vom 12. Mai 1921. |
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 2. Jahrgang, Heft 5/6, S. 630 f.)
(Aberſetzung.)
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Unterrichtsweſen.
Die Regierungskommiſſion hat eine Verordnung angenommen, durch die die
für Übertretung der Geſetze über den Schulbeſuch vorgeſehenen Geldſtrafen erhöht
wurden. Dieſe Maßnahme war nötig, um einer ſeit dem Kriege feſtgeſtellten Nach⸗
läſſigkeit, deren Folgen unfehlbar verderblich geweſen wären, ein Ende zu machen.
Die Anträge von Eltern deutſcher Staatsangehörigkeit auf Erteilung der Er-
laubnis, ihre Kinder in den von den franzöſiſchen Staatsgruben eröffneten Schulen,
die im Friedensvertrag (§ 14 der Anlage zu Abſchnitt IV Titel III) vorgeſehen find,
einzuſchreiben, werden immer häufiger. Die Erleichterungen, die ihnen durch die Ver⸗
ordnung vom 10. Juli 1920 gewährt worden ſind, ſcheinen einem wirklichen Be⸗
dürfnis der Bevölkerung zu entſprechen. In einem Grenzlande wie im Saargebiet
verſchafft ja auch tatſächlich die Kenntnis beider Sprachen eine offenſichtliche Über⸗
legenheit und ſtellt einen wirklichen Vorteil dar. Die Tatſache, daß gewiſſe Kom⸗
munalverwaltungen die Einführung des Unterrichts im Franzöſiſchen in den ſtaatlichen
Volksſchulen beantragt haben, beſtätigt dieſe Anſicht. Die Abteilung für Unterrichts⸗
1) Vgl. Nr. 182.
2) Dieſer Paragraph lautet: »Über die Errichtung des Teſtaments muß ein Protokoll in deutſcher
Sprache aufgenommen werden.
— 317 —
weſen beabſichtigt, in dieſem Punkte dem von der Bevölkerung ausgedrückten Wunſche
ſtattzugeben und vom Herbſt ab freiwillige Kurſe im Franzöſiſchen für Volksſchüler
von 10 bis 13 Jahren einzurichten. |
Was den Lehrkörper der Volksſchulen betrifft, jo find zwei wichtige Maßnahmen
von der Regierungskommiſſion getroffen worden:
a) die Bezüge der Lehrer ſind beträchtlich aufgebeſſert worden;
b) die Befugniſſe der Rektoren, d. h. der Leiter von Volksſchulen, ſind zum
Gegenſtand einer Neuregelung gemacht worden.
Der Widerſtand, dem letztere bei der Ausübung ihres Amtes ſeitens der Lehrer
begegneten, war ſeit mehreren Jahren latent, hatte während des Krieges zugenommen
und war ſeit der Revolution unerträglich geworden. Der Grundſatz der Autorität
war ſchwer gefährdet. Mit der Neuregelung der Befugniſſe der Rektoren hat die
Regierungskommiſſion die Intereſſen der Schule und der Diſziplin gewahrt und dabei
gleichwohl gewiſſe berechtigte Forderungen zugelaſſen. Die große Mehrzahl der Lehrer
ſcheint mit dem Beſchluß der Regierungskommiſſion zufrieden zu ſein. Im Oktober
1920 iſt eine beſondere Kommiſſion eingeſetzt worden, um ein allgemeines Programm
für eine Schulreform aufzuſtellen. Unter Ausſcheidung extremer Löſungen wie der
der »Einheitsſchule« hatte fie ſich u. a. von folgendem Grundſatz leiten zu laffen:
Anderung des geſamten gegenwärtigen Schulſyſtems derart, daß die begabteſten Schüler
der Volksſchulen im Lauf ihrer Schulzeit ſich zu einem ihrer Veranlagung entſprechen—
den Studium (Univerſitäts⸗ oder techniſches Studium) vorbereiten und fo leichter zu
einer höheren Laufbahn gelangen können.
Dieſe Kommiſſion hat ſoeben ihre Arbeiten beendet. Sie werden unter Leitung
der Abteilung für Unterrichtsweſen überprüft und vervollſtändigt werden. Dieſe wird
ſpäter in einem eingehenden Bericht über die erzielten Ergebniſſe Rechnung legen.
Als natürliche Ergänzung der geplanten Reform wird die Gründung einer techniſchen
Hochſchule ins Auge gefaßt. Preußen hatte die Errichtung einer ſolchen Schule ſyſte—
matiſch hinausgeſchoben, um die Jugend des Saargebiets zum Beſuch der Anſtalten
im Innern Preußens zu zwingen !). Mit der Errichtung einer derartigen, für dieſe
1 und induſtrielle Gegend unentbehrlichen Anſtalt wird den Wünſchen faar-
ländiſcher Kreiſe entſprochen werden, die ihre berufliche Ausbildung im Lande ſelbſt
beendigen zu können wünſchen.
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| b. Bericht vom 1. Auguſt 1921.
(Vgl. Druckſachen des Völkerbundes, C. 264. M. 195. 1921. I, S. 10f.)
(berſetzung.)
Eger en nie He ie ea re rue
Unterrichtsweſen, Juſtiz und Kultus.
1. Der Zuſtrom von Schülern zu den Schulen der Staatsgruben ſowie die
Anträge, mit denen die Abteilung für Unterrichtsweſen befaßt worden iſt, haben den
Herrn Grafen von Moltke⸗Huitfeldt, das mit dieſem Zweig der Verwaltung betraute
Mitglied der Regierungskommiſſion, in der Anſicht beſtärkt, daß ein beträchtlicher Teil
der Bevölkerung die Einführung des Unterrichts im Franzöſiſchen bei den Volksſchulen
wünſcht, wie es in dem ihm vorgelegten Bericht der vollſtändig aus Bewohnern des
Saargebiets zuſammengeſetzten Kommiſſion für Schulreformen auseinandergeſetzt war.
Er hat daher beſchloſſen, vom Herbſt ab in einer gewiſſen Zahl von Ortſchaften
fakultative Kurſe im Franzöſiſchen für Volksſchüler von 10 bis 13 Jahren einzu—
) Bekanntlich iſt Aachen Sitz einer Preußiſchen Techniſchen Hochſchule.
318 —
richten. Um das für dieſe Kurſe nötige Perſonal vorzubereiten, iſt zunächſt folgende
Maßnahme ergriffen worden: Etwa 40 Lehrer und Lehrerinnen ſind zu den Ferien⸗
kurſen in Boulogne-ſur-Mer und Nancy entſandt worden, um ſich dort in ihrer
Kenntnis des Franzöſiſchen zu vervollkommnen. Man hatte zu dieſem Zweck ſolche
Perſonen ausgeſucht, die auf Grund einer ſchriftlichen und mündlichen Prüfung als
die Geeignetſten erſchienen. Dieſe Prüfungen waren natürlich freiwillig und bei den
Bewerbern war vorher angefragt worden, ob ſie gegebenenfalls bereit wären, Kurſe
in Frankreich mitzumachen. Ferner werden vom Herbſt ab Kurſe zur Vervollkomm⸗
nung im Franzöſiſchen für Lehrer und Lehrerinnen in verſchiedenen Orten des Saar⸗
gebiets eingerichtet werden, um ſo allmählich die Zahl der Lehrer, die Unterricht im
Franzöſiſchen erteilen können, zu vermehren.
2. Vom 1. Auguſt 1921 ab werden die Beamten der Unterrichtsverwaltung und
der Juſtiz in Franken beſoldet werden. Die ganz überwiegende Mehrzahl wartete auf
dieſe Löſung, und bei den Abteilungen für das Unterrichtsweſen und für die Juſtiz
waren Schritte in dieſem Sinne unternommen worden. Die Regierungskommiſſion
hatte beſchloſſen, grundfätzlich die Bezahlung des Gehalts in Franken den Beamten⸗
klaſſen zu bewilligen, die dies amtlich beantragen würden. Ein Antrag dieſer Art iſt
der Abteilung für Unterrichtsweſen im Laufe des Monats Mai für den Lehrkörper von
zwei Gymnaſien zugegangen. Dies Beiſpiel hat Nachahmung gefunden. Die ermäch⸗
tigten Vertreter der übrigen höheren Lehranſtalten und der Mittelſchulen und ſodann
der Lehrer und Lehrerinnen der Volksſchulen haben einen entſprechenden Schritt unter⸗
nommen, indem ſie ſich dafür verbürgten, daß keiner ihrer Auftraggeber Widerſtand
leiſten würde. Demgemäß iſt die Beſoldung der Lehrerſchaft in Franken beſchloſſen
worden.
Schließlich hat auch der Präſident des Landgerichts in Saarbrücken dem Direktor
der Juſtizabteilung ein Schreiben übermittelt, worin er im Namen der Juſtizbeamten
dieſelben Verſicherungen abgab. Es ergibt ſich alſo hieraus, daß gegenwärtig alle
Staatsbeamten im Saargebiet, ausgenommen ungefähr 50, in Franken beſoldet
werden. |
3. Im letzten Bericht war die Neuregelung der Volksſchulleitung erwähnt worden.
Andere Maßnahmen auf dem Gebiet der Schulreform ſind im Laufe des verfloſſenen
Vierteljahrs getroffen worden. Die Zahl der Schulinſpektoren iſt vermehrt worden.
Eine gewiſſe Vernachläſſigung, die dem Krieg und ſeinen Folgen zuzuſchreiben iſt,
machte nämlich häufigere Inſpektionen nötig. Die durch Geiſtliche ausgeübte Schul⸗
inſpektion iſt aufgehoben worden. Dieſe ſehr alte Einrichtung, in Deutſchland durch
die Einſetzung weltlicher Kreisſchulinſpektoren ſchon ſtark durchlöchert, hat bis zur Re⸗
volution als Ortsſchulinſpektion fortbeſtanden. Sie war im Saarbeckengebiet nicht be-
ſeitigt worden; in einer gewiſſen Anzahl von Kirchenſprengeln waren proteſtantiſche
und katholiſche Geiſtliche vom Staat noch mit der Überwachung der Schulen und der
Kontrolle des darin erteilten Unterrichts betraut. Die Regierungskommiſſion hat ge⸗
glaubt, den Geiſtlichen dieſe Befugniſſe nicht belaſſen zu ſollen. Die überwältigende
Mehrheit der Lehrer verlangte ſchon lange, und zwar ohne Unterſchied der Konfeſſion,
nur der Überwachung durch Fachleute, die aus ihren eigenen Reihen hervorgegangen
waren, unterſtellt zu werden. Da andererſeits die Religion ein Pflichtfach im Unter⸗
richt iſt, ſind im Einvernehmen mit den Bistümern Trier und Speyer alle erforder⸗
lichen Maßnahmen ergriffen worden, um die berechtigten Intereſſen der chriſtlichen
Konfeſſionen hinſichtlich der Erteilung des Religionsunterrichts in der Schule zu wahren.
Um ferner die Gewiſſensfreiheit zu gewährl eiften, iſt die Frage der Befreiung
vom Religionsunterricht zum Gegenſtand einer beſonderen Regelung gemacht worden.
Mit Ausnahme der Schüler der Mittelſchulen kann jedes Kind vom Religionsunter⸗
richt befreit werden, wenn beide Eltern dies gemeinſam bei der Schulbehörde bean⸗
tragen. Um dieſe wichtige Entſchließung mit den wünſchenswerten Garantien zu um⸗
geben, iſt beſtimmt, daß dem Antrag erſt dann endgültig ſtattgegeben wird, wenn er
im Laufe eines Monats erneuert wird.
— 319 —
Im letzten Bericht war erwähnt, daß die Kommiſſion für Schulreformen ihren
Geſamtplan, mit deſſen Ausarbeitung ſie beauftragt worden war, beendet hatte. Die
Unterkommiſſion, die die Reform des Lehrplans für die Volksſchulen überprüfen ſoll,
iſt ſoeben eingeſetzt worden und hat ihre Arbeiten begonnen. Sie ſetzt ſich aus un—
gefähr vierzig Mitgliedern zuſammen, die nach den Hauptfächern des Volksſchulunter—
richts in ſieben Gruppen eingeteilt worden ſind.
Ich bemerke ſchließlich, was die Juſtiz betrifft, daß eine Kommiſſion für Gnaden—
ſachen eingeſetzt worden iſt und daß die Gerichtsgebühren erhöht worden ſind, um der
Geldentwertung Rechnung zu tragen.
Da die Aufmerkſamkeit der Regierungskommiſſion auf die ungünſtige materielle
Lage des Klerus gelenkt worden war, hat ſie ihm, ohne daß er darum nachgeſucht
hätte, eine Erhöhung der Bezüge bewilligt.
eee
XVI.
Beſchwerden der Regierungskommiſſion des Saargebiets
über angebliche Einmiſchungen der deutſchen Regierung.
Nr. 200. |
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an
die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 21. Dezember 1920.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 21. Dezember 1920.
des Saargebiets.
S. No. 3071.
Herr Präſident!
8 Die Regierungskommiſſion des Saargebiets hat in letzter Zeit mehrere Bürger-
meiſter und andere Kommunalbeamte ihres Amtes enthoben und der deutſchen
Regierung zur Verfügung geſtellt. Dieſe Maßnahme iſt den Beamten gegenüber
der d
in der Form erfolgt, daß ihnen mitgeteilt wurde, fie feien von ihren Dienſtgeſchäften
entbunden oder ſie könnten zur Eidesleiſtung nicht zugelaſſen werden. Ein Grund
für ſolche Erklärungen iſt meines Wiſſens in keinem Falle angegeben worden. Ins—
beſondere iſt das Vorgehen der Saarregierung nicht darauf geſtützt worden, daß dem
Betreffenden Vorwürfe wegen der Art ſeiner Amtsführung zu machen ſeien. Im
Gegenteil ſcheint es ſich bei dieſen Maßregelungen vorwiegend um ſolche Beamte zu
handeln, die ihren Dienſt durchaus einwandfrei verſahen und vor allem auch das
Vertrauen ihrer Gemeinde oder des Kommunalverbandes beſaßen. Ich erwähne als
Beiſpiel nur den Fall des Bürgermeiſters Pint der Bürgermeiſterei Merzig-Land.
Ohne unterſuchen zu wollen, ob der von der Saarregierung als Grundlage ihres
Vorgehens angezogene § 19 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50 des Friedens-
vertrags ihr das Recht geben würde, gegen unmittelbare Staatsbeamte in der
beſchriebenen Weiſe zu verfahren, ſehe ich mich im Intereſſe der betroffenen
Perſonen und Kommunalverbände veranlaßt, die Regierungskommiſſion darauf hin—
zuweiſen, daß nach dem auch im Saargebiet gültigen Kommunalbeamtenrecht dieſe
Beamten Angeſtellte des Kommunalverbandes find und nur mittelbar und beſchränkt
der Gewalt der Landesregierung unterſtehen. Dieſes Verhältnis beſteht und erſchöpft
ſich in dem der Regierung zuſtehenden Recht der Beſtätigung und der dißziplinariſchen
— 320 —
Aufſicht, und zwar in dem Sinne, daß ein einmal beſtätigter Beamter nur im Wege
des Diſziplinarverfahrens vor Ablauf ſeiner Wahlzeit aus ſeinem Amte entfernt
werden kann. Eine Zurücknahme der ſtaatlichen Beſtätigung als reine Verwaltungs-
maßnahme kennt das maßgebende Beamtenrecht nicht. |
Steht hiernach die mehrfach getroffene Maßnahme der Regierungskommiſſion
mit dem beſtehenden Recht nicht in Einklang, ſo entſtehen weiterhin in ihrem Gefolge
ſchwere Unzuträglichkeiten, ja Schädigungen für den Kommunalverband und für den
Beamten. Erſterer wird vorzeitig einer manchmal ſchwer erſetzlichen Arbeitskraft
beraubt, anderſeits aber von ſeiner geſetzlichen Verpflichtung, dem abgeſetzten Beamten
ſeine Dienſtbezüge zu gewähren, fürs erſte nicht befreit, jo daß er ohne Vermögens⸗
einbuße nicht in der Lage iſt, deſſen Stelle wieder zu beſetzen. (Hiervon kann ihn auch
eine etwaige Sperrverfügung der Regierung, da ſie ungeſehlich wäre, nicht entbinden.)
Der Beamte ſeinerſeits, der unerwartet aus ſeinem Wirkungskreis geriſſen wird, ſieht
ſich genötigt, ſich um eine andere Stelle zu bemühen und gewöhnlich mit Familie
nach einem anderen Orte überzuſiedeln, was in heutiger Zeit nicht ohne große
Schwierigkeiten und geldliche Opfer möglich iſt. Die meiſten Kommunalbeamten, die
das Saargebiet mehr oder weniger unfreiwillig verlaſſen, wenden ſich nach dem Rheinland
und ſuchen, ſoweit ſie Preußen ſind, in der Rheinprovinz durch meine Vermittlung
eine neue Anſtellung zu erhalten. Bei dem großen Andrang, der ohnehin heutzutage
zu dieſer Laufbahn beſteht, ſehe ich mich aber nur ſelten in der Lage, den Bewerbern
aus dem Saargebiet entſprechend ihren Wünſchen behilflich zu ſein, zumal infolge der
innerpolitiſchen Entwicklung die Selbſtändigkeit der Kommunalverbände in der
Auswahl ihrer Beamten eine weitere Stärkung erfahren hat.
Bei dieſer Lage der Dinge wird es den entlaſſenen Beamten nicht zu verdenken
ſein, wenn fie ihre geſetzlichen Anſprüche gegen den Kommunalverband des Saar⸗
gebietes, der ſie angeſtellt hat, bis zum äußerſten geltend machen. Den in Anſpruch
genommenen Kommunalverbänden, die etwa nicht gewillt wären, den Schaden zu
tragen, würde aber der Weg des zivilrechtlichen Regreſſes an den Fiskus des Saar⸗
gebietes offen bleiben. |
Wenn ich mich darauf beſchränke, die Aufmerkſamkeit der Regierungskommiſſion
auf dieſe materielle Seite der Angelegenheit zu lenken, ſo geſchieht es, weil ich an⸗
nehme, daß die Regierungskommiſſion ſchon bei näherer Würdigung der finanziellen
Tragweite ihrer Handlungsweiſe geneigt fein dürfte, mit Amtsenthebungen der ge-
dachten Art innezuhalten. Für den Fall, daß ich mich in dieſer Annahme täuſchen
ſollte, müßte ich mir und meiner Regierung weitere Vorſtellungen vorbehalten.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ange Hoch⸗
achtung.
gez. von Groote.
An
den Präſidenten der Regierungskommiſſion, Herrn Staatsrat Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
— 321 —
Nr. 201.
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Reichs—
kommiſſar für die Übergabe des Saargebiets vom 7. Januar 1921.
(Aberſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 7. Januar 1921.
Generalſekretariat.
S. R. 2523.
Vertraulich!
Herr Präſident!
Ich beehre mich, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 21. Dezember 1920
zu beſtätigen und kann nicht umhin, Ihnen die Überraſchung auszudrücken, mit der
ich davon Kenntnis genommen habe.
»Was die darin behandelte Sache ſelbſt anlangt, fo beſchränke ich mich darauf,
Sie an den Wortlaut der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 16. März 1920
zu erinnern, der folgendermaßen lautet: 9
»Artikel I. Als Vertreterin des Völkerbundes im Saargebiet behält die Regierungs—
kommiſſion die Beamten und Angeſtellten, welche von der deutſchen, preußiſchen und
bayeriſchen Regierung ernannt oder beſtätigt waren und zur Zeit im Saargebiet im
Dienſt ſind, in ihren Amtsſtellungen bei. Indeſſen ſteht es ſchon jetzt und während
eines Verlaufes von 6 Monaten vom Tage an gerechnet, an dem die Verhandlungen
mit Deutſchland abgeſchloſſen ſein werden, der Regierungskommiſſion frei, auf ihre
Dienſte zu verzichten und ſie ihren urſprünglichen Regierungen zur Verfügung zu ſtellen.«
Aus dieſem formellen Wortlaut geht hervor, daß der Regierungskommiſſion das
Recht zuſteht, die Bürgermeiſter und Kommunalbeamten, die unter die Kategorie der
von der deutſchen, preußiſchen und bayeriſchen Regierung ernannten oder beſtätigten
1 und Angeſtellten fallen, ihren urſprünglichen Regierungen zur Verfügung
zu ſtellen.
Dies vorausgeſchickt, habe ich die Pflicht, darauf hinzuweiſen, daß es weder der
deutſchen Regierung noch dem Herrn Reichskommiſſar für die Übergabe des Saar—
gebietes zuſteht, der Regierungskommiſſion gegenüber die Vertretung oder die Ver—
teidigung der Intereſſen der Gemeinden oder Kommunalverbände des Gebietes zu über—
nehmen. Die Regierungskommiſſion allein hat für dieſe Vertretung und für dieſe
Verteidigung 1 ſorgen: Die Reichsregierung ſowie die preußiſche oder bayeriſche
Regierung ſind von jeder Verantwortlichkeit gegenüber den Gemeinden oder den
Kommunalverbänden entbunden, auf deren Verwaltung ſie durch die Unterſchrift des
Friedensvertrages von Verſailles verzichtet haben.
Die Regierungskommiſſion erhebt daher formellen Proteſt gegen die unzuläſſige
Einmiſchung in die Verwaltung des Saargebietes, welche Ihr Schreiben vom
21. Dezember 1920 darſtellt.
Des weiteren ergreift ſie dieſe Gelegenheit, um der deutſchen Regierung durch
Ihre Vermittlung das Erſtaunen auszudrücken, womit ſie von einem am 28. September v. J.
von der deutſchen Regierung erlaſſenen Beſchluß Kenntnis genommen hat, welcher
Gegenſtand eines Rundſchreibens des Herrn Reichsminiſters des Innern vom
13. Oktober iſt.
Dieſe Urkunde, deren Echtheit keinem Zweifel unterliegt, enthüllt eine unerträg—
liche Einmiſchung Deutſchlands in die Regierung des Saarbeckens. Die Regierungs—
kommiſſion wird nicht verfehlen, dem Völkerbund damit zu befaſſen und macht alle
Vorbehalte hinſichtlich der Folgen, die ſich aus dem Beſchluß der deutſchen Regierung
vom 28. September v. J. ergeben.
Die deutſche Regierung hat darin in der Tat ihren Willen bekundet, trotz der
formellen Beſtimmungen des Friedensvertrags von Verſailles eine unmittelbare Auto—
rität über die im Dienſte des Saargebiets ſtehenden Beamten zu behalten.
Be
Sie läßt ihren Beamten ein beſonderes Aufrückungsſyſtem angedeihen, ergäugt
in gewiſſen Fälle ihre Bezüge, legt dem von ihnen der Regierungskommiſſion ge⸗
leiſteten Eid keinerlei Wert bei, fie erklärt die von Regierungskommiſſion dieſen Be
amten gegenüber ergangenen Maßregelungen für unwirkſam und unterhält auch
weiterhin noch unmittelbare Verbindungen mit den örtlichen Beamtenvereinigungen.
Die deutſche Regierung hat »aus naheliegenden Gründen« von einer Ver⸗
öffentlichung des Rundſchreibens des Herrn Reichsminiſters des Innern Abſtand ge-
nommen; jedoch hat ſie, ohne Vorwiſſen der Regierungskommiſſion, deſſen Wortlaut
den im Dienſte des Saargebiets ſtehenden Beamten zugeſtellt; ja, ſie hat ihn ſogar
darüber hinaus noch bei verſchiedenen Verſammlungen von Beamtenvereinigungen
verleſen laſſen.
»Ich habe den Herrn Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets«, ſo
ſagt der Herr Reichsminiſter des Innern, »gebeten, dieſen Beſchluß in geeigneter
Weiſe zur Kenntnis der nach dem Saargebiet beurlaubten Reichsbeamten zu bringen.
Ich bitte Sie dringend, ihn den Beamten Ihres Reſſorts bekanntgeben zu wollen,
ſobald ſich dazu eine paſſende Gelegenheit bietet.«
Die Regierungskommiſſion beſitzt mithin den Beweis, daß die deutſchen Behörden
und insbeſondere der Herr Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebietes ohne
ihr Vorwiſſen unmittelbare Beziehungen zu den im Dienſte der Regierungskommiſſion
ſtehenden Beamten unterhalten, ihnen Anweiſungen erteilen und ihnen Beſchlüſſe der
Reichsregierung mitteilen, die geheim gehalten werden ſollen.
So bekundet ſich alſo in unwiderleglicher Weiſe der Wille dieſer Regierung,
durch Vermittlung der Beamten und mittels eines geheimen Schriftwechſels noch
fortdauernd die Verwaltung eines Gebiets auszuüben, auf deſſen Regierung ſie ver⸗
zichtet hat. Die Regierungskommiſſion ſtellt dieſe Verletzung des Friedensvertrags
von Verſailles feſt und behält ſich vor, alle Maßnahmen zu treffen, die ſich infolge
der durch den Beſchluß vom 28. September 1920 enthüllten Haltung der Deukihtik:
Regierung als notwendig erweiſen.
Schließlich habe ich die Pflicht, Herr Präſident, dagegen Einſpruch zu W e
daß Herr Fuchs, Regierungspräſident in Trier, am 31. Oktober 1920 unmittelbar
an die Handelskammer Saarbrücken ein Schreiben gerichtet hat, worin er um Aus⸗
kunft über die Lage des Arbeitsmarkts hinſichtlich des Baugewerbes und insbeſondere
bezüglich einer etwaigen Auswanderung der Arbeiter dieſes Gewerbes nach Frankreich
erſuchte. Auch hier ſtelle ich wiederum die Abſicht eines hohen deutſchen Beamten
feſt, die Regierungskommiſſion zu übergehen und unmittelbar in die Bieren des
Gebiets einzugreifen. f
Die Regierungskommiſſion, entſchloſſen, die ihr vom Völkerbund übertragene
Aufgabe zu erfüllen und den Beſtimmungen des Friedensvertrags von Verfailles
Geltung zu verſchaffen, proteſtiert gegen die Einmiſchung, von der ſie vorſtehend drei
Beiſpiele angeführt hat. Sie bittet Sie, dieſen förmlichen Proteſt zur Kenntnis der
deutſchen Regierung zu bringen.
Genehmigen A Herr Präſident, die Verſicherung meiner Guähejölläneten
Boll e ! | | 1 7
gez. V. Rault.
An
Herrn von Groote,
Oberpräſidenten der Rheinprovinz,
enn für die Übergabe des Shi gebiens
Go benz
— 323 —
Nr. 202.
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an
die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 24. Januar 1921.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz 5 b u
als Reichskommiſſar für die Übergabe Koblenz, den 24, Januar 192],
des Saargebiets.
J. Nr. S. 192.
Herr Präſident!
Ich beehre mich, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 7. Januar 1921
— S. R. Nr. 2523 — zu beſtätigen. Ihrem Wunſche gemäß habe ich es zur
Kenntnis der deutſchen Regierung gebracht.
Scoweit das Schreiben ſich mit meiner Vorſtellung vom 21. Dezember 1920
— S. 3071 — befaßt, und ſoweit es gegen mich wu den Regierungspräſidenten
in Trier Vorwürfe erhebt, ſehe ich mich veranlaßt, ſchon ſelbſt auf ſeinen Inhalt
einzugehen.
Die Antwort, die mir auf mein Eintreten für die ihres Amtes enthobenen
Gemeinde⸗ und Kommunalbeamten zuteil geworden iſt, läßt ein Eingehen auf den
Kern meiner Ausführungen vermiſſen. Dem Hinweis auf die Verordnung der
Regierungskommiſſion vom 16. März 1920 kann ich eine durchſchlagende Wirkung
nicht zuerkennen, zumal, wie ich in meinem weiteren Schreiben vom 30. Dezem—
ber 1920 — S. 3119 — ausgeführt habe, die Sechsmonatsfriſt des Artikels I jener
Verordnung zur Zeit der Dienſtenthebung der letzthin entlaſſenen Beamten bereits
abgelaufen war. 3
Mit Erſtaunen habe ich von der Beurteilung Kenntnis genommen, die meine
Hervorhebung der Intereſſen der Gemeinden und Kommunalverbände erfahren hat.
In dieſem Punkte iſt die Auffaſſung der R'gierungskommiſſion jedenfalls irrig. Wenn
ich erwähnt habe, daß es auch den Intereſſen der Gemeinden und Kommunalverbände
widerſpreche, wenn ihre Beamten durch Machtſpruch der Regierung abgeſetzt würden,
ſo geſchah dies nicht, um die Intereſſen der Gemeindeverbände gegenüber der Re—
gierungskommiſſion zu vertreten, ſondern vielmehr, um die Regierungskommiſſion in
ihrem eigenen Intereſſe auf die geſetzlichen Bedenken und die ſchädigenden Folgen
ihrer Handlungsweiſe aufmerkſam zu machen. Mit meiner Aufgabe, die Verwaltung
des Saargebiets der Regierungskommiſſion zu übergeben, würde es meines Erachtens
nicht zu vereinigen ſein, jedenfalls aber ſcheint es mir gegen eine Anſtandspflicht
gegenüber der Regierungskommiſſion zu verſtoßen, wenn ich derartige Hinweiſe unter—
laſſen wollte. Eine unzuläſſige Einmiſchung in die Verwaltung des Saargebiets und
die Befugniſſe der Regierungskommiſſion habe ich alſo nicht beabſichtigt. Sie kann
in meinen Ausführungen bei unvoreingenommener Prüfung auch nicht gefunden werden.
Was ſodann meine Beteiligung an der Bekanntgabe des Reichskabinettsbeſchluſſes
vom 28. September 1920 anbelangt, ſo beſchränkt ſie ſich darauf, daß ich gelegentlich
einzelnen Beamten, die meine Referenten mündlich um Auskunft baten, den Inhalt
des Beſchluſſes habe mitteilen laſſen. Ein Briefwechſel zwiſchen Beamtenverbänden
des Saargebiets und mir hat dagegen nicht ſtattgefunden. Noch viel weniger habe
ich den Beamten des Saargebiets Anweiſungen erteilt oder den Beſchluß in ihren
Verſammlungen verleſen laſſen.
Ich vermeide es vielmehr peinlichſt, mit den im Dienſte der Regierungskommiſſion
ſtehenden Beamten unmittelbare Beziehungen zu unterhalten. Dabei gewinne ich
allerdings immer mehr die berzeugumg, daß gerade dieſes Verhalten der Heritellung
vertrauensvoller Beziehungen zwiſchen der Regierungskommiſſion und ihren Beamten
eher hinderlich als förderlich iſt, da es mir die Gelegenheit nimmt, nach beiden Seiten
aufklärend und vermittelnd zu wirken.
a
„In der ſchließlich von Ihnen beanſtandeten Tatfache, daß der Regierungspräſident
von Trier eine unmittelbare Anfrage an die Handelskammer in Saarbrücken gerichtet
habe, um Auskunft über die Lage des Arbeitsmarktes zu erhalten, kann ich ebenfalls
nicht einen Verſuch erblicken, in die Verwaltung des Gebietes einzugreifen. Derartige
unmittelbare Auskunftserſuchen pflegen meines Wiſſens ſelbſt die Vertreter fremder
Nationen an die Handelskammern des Landes, bei deſſen Regierung ſie beglaubigt
ſind, zu richten, ohne daß letztere Anſtoß daran nimmt. Um ſo mehr muß es zuläſſig
ſein, daß eine deutſche Behörde eine deutſche Handelskammer in einer wirtſchaftlichen
Frage unmittelbar um Auskunft bittet, wenn das deutſche Gebiet, in dem die Handels—
kammer ihren Sitz hat, unter einer neutralen Regierung ſteht. |
Im übrigen kann ich nicht unterlaſſen zu bemerken, daß gerade der Regierungs⸗
präſident Fuchs durch ſein entgegenkommendes Verhalten viel dazu beigetragen hat,
um es der Regierungskommiſſion zu erleichtern, die Verwaltung des Saargebiets zu
organiſieren.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
| gez. von Groote.
An
den Präſidenten der Regierungskommiſſion
für das Saargebiet, Herrn Staatsrat Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
Nr. 203.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 22. April 1921.
Auswärtiges Amt. 58 5
4 Berlin, den 22. April 1921.
Herr Präſident!
Der Herr Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets hat mir Kenntnis
von Ihrem an ihn gerichteten Schreiben vom 7. Januar gegeben, worin Sie gegen
drei Fälle von angeblichen Einmiſchungen deutſcher Behörden in die Verwaltung des
Saargebiets Einſpruch erheben. 0
Ich beehre mich, Ihnen zu erwidern, daß die Deutſche Regierung Ihre Aus⸗
führungen ſorgfältig geprüft hat, jedoch Ihre Beſchwerden nicht als begründet an⸗
erkennen kann. 8
Soweit in Ihrem Schreiben Vorwürfe gegen den Herrn Reichskommiſſar erboben
ſind, hat dieſer bereits ſelbſt in ſeiner Antwort vom 24. Januar die Regierungs⸗
kommiſſion darüber aufgeklärt, daß ſie ſein Schreiben vom 21. Dezember, das er an⸗
läßlich der Amtsenthebung von verſchiedenen Gemeinde- und Kommunalbeamten an
die Regierungskommiſſion gerichtet hatte, nicht zutreffend auffaſſe. Die Deutſche Re⸗
gierung iſt derſelben Anſicht. Sie kann in dieſem Schreiben nicht die Abſicht erblicken,
ſich in die Rechte der Regierungskommiſſion einzumiſchen, ſondern nur den Wunſch,
die Regierungskommiſſion über die rechtlichen Folgen der Amtsenthebungen aufzuklären.
An der Angelegenheit iſt die Deutſche Regierung übrigens inſofern unmittelbar inter⸗
eſſiert, als ſie für die ihres Amtes enthobenen Beamten ſorgen muß.
Der weitere Einſpruch, den Sie erheben, weil der Herr Regierungspräſident in
Trier unmittelbar eine Auskunft von der Handelskammer in Saarbrücken erbeten
hat, iſt ebenſowenig begründet. Bei den preußiſchen Handelskammern gehen häufig
unmittelbare Anfragen von fremden Konſulaten des In- und Auslandes, von anderen
ge
fremden Behörden, ja ſogar von fremden Regierungen ein. Das auch für die
Saarbrücker Handelskammer geltende preußiſche Handelskammergeſetz verbietet den
Handelskammern die Beantwortung derartiger Anfragen nicht. Übrigens iſt ein ein-
faches Erſuchen um Auskunft noch nicht eine Einmiſchung in die Verwaltung.
Über den Beſchluß, den die Reichsregierung am 28. September v. J. hinſichtlich
der Beamten im Saargebiet gefaßt hat, iſt folgendes zu bemerken:
Die Deutſche Regierung hat von Anfang an die beſonderen Schwierigkeiten vor—
ausgeſehen, die die Frage der Sicherſtellung der Beamten für das Saargebiet mit
ſich bringen muß. Die deutſchen Reichs- und Staatsbeamten ſind durch die heimiſche
Beamtengeſetzgebung, insbeſondere die Geſetze über die Ruhegehälter und die Witwen—
und Waiſengelder, an eine ſehr weitgehende Sicherſtellung ihrer und ihrer Hinter—
bliebenen Zukunft gewöhnt. Da das Saargebiet nach dem Friedensvertrag voraus—
ſichtlich nur eine auf 15 Jahre beſchränkte Lebensdauer hat, kann es der Natur der
Sache nach den Beamten nicht dieſelbe Sicherung gewähren. Aus dieſer Erkenntnis
heraus hatte die Deutſche Regierung in Übereinſtimmung mit den Wünſchen der Be—
amtenſchaft die Abſicht, dieſer mangelnden Sicherheit durch einen Vertrag zwiſchen dem
Deutſchen Reich und der Regierungskommiſſion abzuhelfen. Darauf iſt leider die
Regierungskommiſſion nicht eingegangen, ſondern fie hat verſucht, die Fragen ein-
ſeitig durch Erlaß eines Beamtenſtatuts zu löſen. Dieſe Löſung war aber unvoll-
ändig und mußte unvollſtändig fein, weil, wie geſagt, das Saargebiet als ein
vorübergehendes Gebilde nicht dieſelben Bürgſchaften wie das Deutſche Reich
gewähren kann. i g
So wurden nun das Deutſche Reich und der Preußiſche und Bayeriſche Staat
gezwungen, auch ihrerſeits einſeitig vorzugehen. Es handelt ſich um Beamte, die mit
Rückſicht auf ihre teilweiſe ſchon langjährigen, dem Reiche und den Ländern geleiſteten
Dienſte wohlerworbene Rechte beſaßen.
Bei den deutſcherſeits erlaſſenen Richtlinien iſt aber peinlichſt darauf Bedacht
genommen worden, die beiden Seiten in der eigentümlichen Rechtslage der deutſchen,
in den Dienſt des Saargebiets übergetretenen Beamten ſtreng auseinanderzuhalten: die
Rechte gegenüber der Regierungskommiſſion und die Rechte gegenüber der deutſchen
Heimatregierung.
Einzig und allein die Rechtsverhältniſſe der letzteren Art werden durch die
Beſchlüſſe der Regierungen des Reichs, Preußens und Bayerns geregelt. Deutlich
kommt dies zum Ausdruck in der Beſtimmung, daß die Ablegung des Eides gegen—
über der Regierungskommiſſion die Rechtsſtellung der Beamten gegenüber ihrer
Heimatregierung nicht berühre, und daß daher eine Eidesverweigerung nicht als
begründet angeſehen werden könne. Hierin kann in keiner Weiſe auch nur eine Ab—
ſchwächung der Bedeutung des der Regierungskommiſſion geleiſteten Eides erblickt
werden. Auch alle übrigen Beſtimmungen des Beſchluſſes der Reichsregierung berühren
die Rechte der Regierungskommiſſion in keiner Weiſe, ſondern beziehen ſich nur auf
das Verhältnis der Beamten zur Reichsregierung.
Im übrigen ſind derartige Beſtimmungen bei Beurlaubung von Beamten in die
Dienſte einer fremden Regierung häufiger getroffen worden, ohne daß dies jemals
Anlaß zu einem Einſpruch dieſer fremden Regierung gegeben hätte. Üblich ſind ins—
beſondere die Beſtimmungen über die Garantie des nach deutſchem Reichsrecht fälligen
Dienſteinkommens und über die Berechnung des Ruhegehalts-Dienſtalters. Dieſe
Punkte ſind in Ihrem Schreiben irrtümlich als »beſonderes Beförderungsſyſtem« und
»Ergänzung der Dienſtbezüge« bezeichnet; tatſächlich iſt hiervon an keiner Stelle des
Beſchluſſes der Reichsregierung die Rede, weshalb ich vermute, daß Ihnen eine un—
genaue Überſetzung dieſes Beſchluſſes vorgelegen hat. Daß die diſziplinariſchen Maß—
nahmen der Regierungskommiſſion für die Rechtsſtellung der Beamten zu ihrer
Heimatregierung nicht ohne weiteres als maßgeblich anerkannt werden können, iſt
ſelbſtverſtändlich.
Wenn die Reichsregierung von einer Veröffentlichung ihres Beſchluſſes abgeſehen
hat, ſo geſchah es lediglich mit Rückſicht darauf, daß die Deutſche Regierung die
Hoffnung auf ein ſchließliches Zuſtandekommen eines Beamtenvertrages mit der
Regierungskommiſſion noch nicht endgültig aufgegeben hat und natürlich ihre Stellung
in dieſen Verhandlungen nicht durch Bekanntwerden ihrer einſeitigen Zugeſtändniſſe
an die Beamtenſchaft ſchwächen wollte. Dagegen enthält der Beſchluß nichts, was
das Licht der Offentlichkeit zu ſcheuen braucht.
Es lag ſomit keinerlei Anlaß vor, in dieſem lediglich durch die Fürſorge für
ihre alte Beamtenſchaft diktierten Vorgehen der Deutſchen Regierung geheime Pläne
und Abſichten auf eine Verwaltung des Saargebiets durch Vermittlung der Beamten
und mit Hilfe einer geheimen Korreſpondenz zu vermuten. a
Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker⸗
bundes überſandt. | |
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch⸗
achtung. | 057
gez. Simons.
An
die Regierungskommiſſion des Saargebiets,
zu Händen des Präſidenten,
Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
Nr. 204.
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 22. April 1921.
Auswärtiges Amt. 8 5 1
Nr. II S. G. 345. Berlin, den 22. April 1921.
Herr Generalſekretär!
Der Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets hat an den Herrn
Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets am 7. Januar d. J. ein Schreiben
gerichtet, worin er wegen angeblicher Einmiſchung der Deutſchen Regierung in die
Verwaltung des Saargebiets Einſpruch erhebt. x |
Ich beehre mich, Ihnen anbei eine Abſchrift dieſes Schreibens zugehen zu laſſen
zugleich mit einer Abſchrift meines Antwortſchreibens, aus dem hervorgeht, daß der
Einſpruch der Regierungskommiſſion unbegründet iſt. N
Indem ich eine franzöſiſche Überſetzung dieſes Schreibens und meines Schreibens
an den Herrn Präſidenten der Regierungskommiſſion beifüge, bitte ich Sie, Herr
Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung entgegennehmen
zu wollen ). a
| gez. Simons.
An
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes,
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond,
KO. M. G., GB.
Genf.
) Der Note ſind Abſchriften der unter Nr. 201 und 203 wiedergegebenen Noten beigefügt worden.
Nr. 205.
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche
Regierung vom 29. Januar 1921.
(Überſetzung.)
gier iſſion des Saargebiets. 8 |
a a 9 Saarbrücken, den 29. Januar 1921.
Pr Herr Minifter!
Der Herr Reichsminiſter des Innern hat an die Polizeiverwaltung in Saarbrücken
folgende Erlaſſe gerichtet:
I. am 22. Januar ein Telegramm an die »Staatliche Polizeiverwaltung Saar—
brücken« mit der Weiſung, den zur Volksabſtimmung in Oberſchleſien reiſenden Per—
ſonen unentgeltlich Ausweiskarten auszuſtellen;
2. am 25. Januar ein Telegramm an die » Polizeidirektion Saarbrücken«, worin
der Inhalt eines Abkommens zwiſchen der deutſchen und der polniſchen Regierung
über den Verkehr der polniſchen Kuriere wiedergegeben wurde, die die Verbindung
zwiſchen den in verſchiedenen Orten Deutſchlands gegründeten polniſchen Vereinigungen
und Oberſchleſien herſtellen; dieſes Telegramm wies die Polizeidirektion in Saarbrücken
an, alle geeigneten Maßnahmen für die Kontrolle und die Schließung des Gepäcks
dieſer Kuriere zu treffen;
3. ein Zirkularſchreiben vom 25. Januar — 08 159 —, gerichtet an »Alle
ſtaatlichen Polizeiverwaltungen«, worin der vollſtändige Text des in dem obigen
Telegramm erwähnten deutjch-polnifchen Abkommens mitgeteilt und die in dieſem
Telegramm enthaltenen Weiſungen beſtätigt wurden.
Namens der Regierungskommiſſion des Saargebiets erhebe ich in nachdrücklichſter
Form Einſpruch dagegen, daß der Herr Reichsminiſter des Innern den Polizeibehörden
des Saargebiets Weiſungen erteilt, noch dazu auf unmittelbarem Wege. Der Anlaß,
aus dem dieſe Weiſungen erteilt worden find, iſt noch ſeltſamer, da es ſich um ein
Abkommen zwiſchen der deutſchen und der polniſchen Regierung handelt, alſo eine
Angelegenheit, die das Saargebiet in keiner Weiſe berührt.
Ich wäre Eurer Exzellenz dankbar, wenn Sie Ihren Kollegen, den Herrn Miniſter
des Innern, daran erinnern wollten, daß im Saargebiet die Regierungskommiſſion
allein alle Befugniſſe ausübt, die bisher dem Deutſchen Reich, Preußen und Bayern
zuſtanden, und daß es für die der Regierungskommiſſion unterſtellten Polizeiver—
waltungen oder andere Behörden nicht in Frage kommen kann, von deutſchen, folglich
fremden Behörden, irgendeine Anweiſung entgegenzunehmen.
Ich werde es nicht unterlaſſen, den Rat des Völkerbundes von dieſer neuen, ſich
an eine ſchon recht lange Reihe anſchließenden Verletzung der Beſtimmungen des
Vertrages von Verſailles über das Saargebiet in Kenntnis zu ſetzen, auch mache ich
alle Vorbehalte bezüglich der Folgen, zu denen dieſer Zwiſchenfall Anlaß bieten kann.
Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
gez. V. Rault.
Seiner Exzellenz
Herrn Dr. Simons, Miniſter des Auswärtigen,
Berlin.
— 328 —
Nr. 206.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 17. Februar 1921. |
Auswärtiges Amt. Berlin, den 17. Februar 1921.
Nr. II. S. G. 315. |
Herr Staatsrat!
Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 29. Januar
zu beſtätigen, worin Sie namens der Regierungskommiſſion Einſpruch dagegen er⸗
heben, daß der Herr Reichsminiſter des Innern den Polizeibehörden im Saargebiet
Weiſungen erteile.
Bei den drei Fällen, die Sie in Ihrem Schreiben erwähnen, handelt es ſich in
der Tat um bedauerliche Verſehen, die ich zu entſchuldigen bitte. Ich habe das Er-
forderliche veranlaßt, um der Wiederholung derartiger Verſehen vorzubeugen.
Zur Erklärung der vorgekommenen Verſehen muß ich einige erläuternde Worte
hinzufügen. Die in Ihrem Schreiben angeführten drei Anweiſungen an die Polizei⸗
behörde in Saarbrücken, die übrigens nicht von dem Reichsminiſterium, ſondern von
dem Preußiſchen Miniſterium des Innern ausgegangen ſind, ſtellen Runderlaſſe dar,
die an alle Regierungspräſidenten und an alle ſtaatlichen Polizeiverwaltungen in
Preußen gerichtet waren. Bei derartigen Erlaſſen wird, wie übrigens aus dem
Rundſchreiben vom 25. Januar — O. S. 159 — zu erſehen iſt, von den verant⸗
wortlichen Beamten lediglich eine Sammeladreſſe, wie z. B. »An alle ftaatlichen
Polizeiverwaltungen« oder »An alle Polizeipräſidenten« angegeben, während die
Adreſſierung im einzelnen von Kanzleibeamten an der Hand von Adreſſenliſten er⸗
folgt. In den vorliegenden Fällen iſt, wie die Ermittelungen ergeben haben, eine
alte Adreſſenliſte verwendet worden, in der die Polizeiverwaltung in Saarbrücken
noch nicht geſtrichen war.
Es handelt ſich alſo nicht, wie Sie in Ihrem Schreiben anzunehmen ſcheinen,
um einen abſichtlichen Verſtoß gegen die Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles,
ſondern um ein ohne Kenntnis eines leitenden Beamten untergelaufenes büro—
techniſches Verſehen.
Wenn Sie am Schluſſe Ihres Schreibens von einer langen Lifte von Vertrags⸗
verletzungen ſprechen zu ſollen glauben, ſo kann ich dieſen Vorwurf nur mit aller
Entſchiedenheit zurückweiſen. Falls wirklich einzelne Behörden Maßnahmen getroffen
haben ſollten, die mit dem Vertrag von Verſailles nicht vereinbar ſind, ſo kann es
ſich, wie im vorliegenden Falle, nur um einfache Verſehen oder Mißverſtändniſſe
handeln, die übrigens bei der beſonders verwickelten Regelung, die der Vertrag von
Verſailles für das Saargebiet getroffen hat, nicht unerklärlich find. Wie die vor⸗
liegende Angelegenheit beweiſt, bin ich gern bereit, derartige Verſehen abzuſtellen.
Nachdrücklich muß ich aber gegen den Verſuch der Regierungskommiſſion Stellung
nehmen, ſo geringfügige, als bloße Verſehen leicht erkennbare Vorkommniſſe wie das
vorliegende zu Vertragsverletzungen zu ſtempeln. Von einer langen Reihe von Ver⸗
tragsverletzungen iſt mir zudem nichts bekannt, auch hat die Regierungskommiſſion
ſolche Verletzungen bei mir nicht zur Sprache gebracht, abgeſehen von einem Schreiben
an den Herrn Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets vom 7. Januar,
auf das ich noch zurückkommen werde!). N
) Vgl. Nr. 201, 202 und 203.
nr EEE TR,
=
Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker—
bundes zugehen laſſen.
Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
In Vertretung
gez. von Haniel.
An
die Regierungskommiſſion des Saargebiets,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
Nr. 207.
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund
vom 17. Februar 1921.
Auswärtiges Amt. Berlin, den 17. Februar 1921.
Nr. II S. G. 315.
Herr Generalſekretär!
Der Herr Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets hat am 29. Januar
ein Schreiben an mich gerichtet, in dem er Beſcherde darüber erhebt, daß der Herr
Reichsminiſter des Innern die Polizeibehörde in Saarbrücken mit Weiſungen verſehe.
Eine Abſchrift dieſes Schreibens ſowie meiner Antwort, die ich dem Herrn
Präſidenten der Regierungskommiſſion erteilt habe, beehre ich mich Ihnen anbei nebſt
einer Überſetzung in franzöſiſcher Sprache zu überſenden ).
Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
In Vertretung
gez. von Haniel.
An
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes,
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond,
m eM, ., C. B,,
Genf.
Nr. 208.
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker—
bundsrat vom 25. Januar 1921.
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 2. Jahrgang, Heft 2, S. 206f.)
(berſetzung.)
Einmiſchungen der deutſchen Regierung.
eee
Die Beſchlüſſe der Regierungskommiſſion, über die vorſtehend berichtet worden
iſt, haben ſeitens des Herrn von Groote, Oberpräſidenten der Rheinprovinz und
Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets, eine Einmiſchung hervorgerufen,
die hier erwähnt zu werden verdient. Übrigens iſt bereits die Aufmerkſamkeit des
) Der Note find Abſchriften der unter Nr. 205 u. 206 wiedergegebenen Noten beigefügt worden.
22*
Herrn Generalſekretärs des Völkerbundes auf dieſe Einmiſchung durch ein Schreiben
vom 11. Januar gelenkt worden, womit ich die Ehre hatte, ihm Abſchrift des Schrift-
wechſels mit Herrn von Groote zu überſenden. e
Der Herr Reichskommiſſar hat der Regierungskommiſſion das Recht beſtritten,
ihrer Urſprungsregierung unmittelbare oder mittelbare (d. h. im vorliegenden Falle
Bürgermeiſter oder Bürgermeiſterſekretäre) Beamte zur Verfügung zu ſtellen, die die
Regierungskommiſſion nicht in ihren Dienſten behalten zu ſollen glaubte. Es konnte
ihm leicht erwidert werden, daß die Regierungskommiſſion dieſes Recht auf Grund
des Friedensvertrags von Verſailles und der Beſtimmungen in ihren Verordnungen
vom 16. März und 29. Juli 1920 beſitzt. Der Präſident iſt ferner genötigt geweſen,
in einem Schreiben vom 7. Januar, deſſen Wortlaut die Kommiſſion einſtimmig
genehmigt hat, Herrn von Groote darauf hinzuweiſen, daß er ſich, indem er die
Beamten aufreize, die Beſchlüſſe der Regierungskommiſſion nicht anzuerkennen, und
indem er ihre Verteidigung gegenüber der Regierungskommiſſion übernehme, ſich im
Namen der deutſchen Regierung in die Regierung des Saargebiets einmiſche.
Dieſer Einſpruch war um ſo notwendiger, als die Regierungskommiſſion ſeit
einigen Tagen im Beſitz einer Urkunde war, die ich meinem angezogenen Schreiben
vom 11. Januar in Abſchrift beizufügen die Ehre hatte. Es handelt ſich um ein
vertrauliches Rundſchreiben des Herrn Reichsminiſters des Innern, datiert vom
13. Oktober, worin ein von dem Reichskabinett am 28. September gefaßter Beſchluß
wiedergegeben iſt.
Dieſes Rundſchreiben ſagt, daß die in Dienſten der Regierungskommiſſion ſtehenden
deutſchen Beamten »deutſche Beamte« bleiben, daß ſie ohne Beteiligung der Regierungs⸗
kommiſſion von der deutſchen Regierung befördert werden ſollen, daß ſie keinesfalls
der Regierungskommiſſion den Eid verweigern dürfen, daß aber dieſer Eid in keiner
Weiſe ihr Verhältnis gegenüber Deutſchland ändert, daß die von den ſaarländiſchen
Behörden getroffenen diſziplinariſchen Maßnahmen ohne Wert ſind, daß die im Saar⸗
gebiet verbrachte Dienſtzeit den Beamten befondere Vorteile einbringe uſw. Das
Rundſchreiben bekundet den Willen Deutſchlands, feine Autorität über die im Saar—
gebiet in Dienſt ſtehenden Beamten zu betonen und durch deren Vermittlung das
Gebiet zu verwalten.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Haltung der deutſchen Regierung, ſo wie
ſie durch dieſe Urkunden enthüllt wird, eine flagrante Verletzung der Beſtimmungen
des Friedensvertrages von Verſailles darſtellt. Der Herr Reichsminiſter des Innern
erkennt dies übrigens mittelbar ſelbſt an, indem er ſchreibt, daß er »aus naheliegenden
Gründen« auf eine Veröffentlichung des Beſchluſſes des Reichskabinetts verzichtet habe,
aber er hat ſich nicht gefürchtet, hinzuzufügen, daß er den Herrn Oberpräſidenten und
Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets auffordere, den Beſchluß »in
geeigneter Weiſe« zur Kenntuis der Beamten des Saargebiets zu bringen, und
daß er die Reſſortchefs auffordere, die im Saargebiet wohnenden Beamten ihres
Geſchäftsbereichs bei jeder ſich bietenden günſtigen Gelegenheit von dem Beſchluß
in Kenntnis zu ſetzen.
So beſitzt die Regierungskommiſſion den Beweis, daß durch Vermittlung des
Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets ihren Beamten geheime An⸗
weiſungen gegeben werden. Sie hat übrigens erfahren, daß der Wortlaut des Rund—
ſchreibens im Saargebiet verteilt und auf verſchiedenen Zuſammenkünften der Beamten⸗
vereinigungen verleſen worden iſt. Gleichlautende Beſchlüſſe, wie die der Reichs—
regierung, ſind von der preußiſchen und bayeriſchen Regierung gefaßt worden. Die
Regierungskommiſſion beſitzt ein Rundſchreiben der preußiſchen Regierung vom
23. Oktober, deſſen Wortlaut, von einigen Anderungen abgeſehen, derſelbe iſt wie der
des Rundſchreibens des Reichsminiſters des Innern vom 13. Oktober. 5
Es ſteht alſo feſt, daß die deutſche Regierung ſich heimlich in die Regierung
eines Gebietes einmiſcht, auf deſſen Verwaltung ſie durch die Unterzeichnung des
Friedensvertrags von Verſailles für 15 Jahre verzichtet hat. Das am 7. Januar
an Herrn von Groote gerichtete Schreiben erwähnte noch eine andere Einmiſchung
eines hohen preußiſchen Beamten, nämlich des Herrn Regierungspräſidenten in Trier,
der am 31. Oktober v. J. unmittelbar an die Handelskammer in Saarbrücken ein
Schreiben gerichtet und darin um Auskunft über den Arbeitsmarkt bezüglich des
Baugewerbes und insbeſondere über eine etwaige Abwanderung von Arbeitern dieſes
Gebietes nach Frankreich gebeten hatte. Ich habe ſo nochmals die von einem hohen
preußiſchen Beamten bekundete Abſicht feſtſtellen müſſen, die Regierungskommiſſion
zu umgehen.
Dieſe konnte nicht darauf verzichten, einen formellen Proteſt gegen dieſe Ein—
miſchung der deutſchen Behörden in das Saargebiet zu erheben; fie hat alle Vor-
behalte hinſichtlich der Folgen gemacht, die derartige Zwiſchenfälle mit ſich bringen.
Bisher iſt auf ihr Schreiben vom 7. Januar noch keine Antwort eingegangen.
Seit dieſer Zeit hat der preußiſche Herr Miniſter des Innern geglaubt, unmittel—
bar und auf telegraphiſchem Wege dem Polizeidirektor der Stadt Saarbrücken An—
weiſungen bezüglich der den Bewohnern des Saargebiets, die zur Teilnahme an der
Volksabſtimmung in Oberſchleſien berechtigt waren, zu gewährenden Erleichterungen
erteilen zu können. Dieſe Erleichterungen werden natürlich durch meine Behörden
gewährt werden, aber es iſt unzuläſſig, daß der preußiſche Miniſter des Innern ohne
Wiſſen der Regierungskommiſſion den Behörden des Gebiets Anweiſungen erteilt.
Ich erinnere endlich, wie ich ſchon die Ehre hatte, in einem am 16. Oktober v. J.
an den Herrn Generalſekretär gerichteten Schreiben zu erwähnen, daß Herr von Groote
ſich ſtändig des Titels »Saarkommiffar«') bedient. Dieſe Abkürzung ſeines richtigen
Titels »Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets« iſt geeignet, die pein—
lichſten Mißverſtändniſſe hervorzurufen. Sie iſt gleichſam das Symbol des Willens
der deutſchen Regierung, die der Regierungskommiſſion übertragenen Rechte nicht an—
zuerkennen.
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Nr. 209.
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Reichskommiſſar
für die Übergabe des Saargebiets vom 19. Januar 1921.
(berſetzung.)
Regierungskommiſſion des Saargebiets.
Generalſekretariat. Saarbrücken, den 19. Januar 1921.
Nr. 2793.
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets,
an
Herrn von Groote, Oberpräſidenten der Rheinprovinz,
Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets,
Coblenz.
Herr Präſident!
Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 12. Januar,
Nr. 63, zu beſtätigen und beeile mich darauf ſofort zu antworten, um jedes Miß—
verſtändnis zu rermeiden.
) Es handelt ſich nicht um einen Titel, ſondern um eine aus Erſparnisgründen gewählte Tele
grammadreſſe. Eine andere Telegrammadreſſe als »Saarkommiſſar« kam nicht in Frage, da das Wort
»Reichskommiſſar« bereits als Telegrammadreſſe für den ebenfalls in Coblenz tätigen Reichskommiſſar für
die beſetzten rheiniſchen Gebiete verwendet wurde. — In ihrem Bericht vom 1. Juni 1920 an den
Völkerbund bezeichnet die Regierungskommiſſion Herrn von Groote als »Reichskommiſſar für das Saar—
gebiet« (Commissaire d' Empire pour le Territoire de la Sarre); vgl. Journal Officiel des Völker
bundes, 1. Jahrgang, Heft 5, S. 279.
x 5 02
— 332 —
Durch mein Schreiben vom 29. Dezember 1920, S. R. 2416, hatte ich Sie
gebeten, mir gefälligſt die auf die Aufſtellung einer Ortsklaſſeneinteilung bezüglichen
Arbeiten des Preußiſchen Statiſtiſchen Amtes mitteilen zu wollen.
Sie antworten mir nun hierauf, daß das Statiſtiſche Amt im Begriff ſtehe,
eine neue Ortsklaſſeneinteilung herauszugeben.
Die Regierungskommiſſion kann es natürlich nicht zulaſſen, daß das Statiſtiſche
Amt ſich mit der Einteilung der Ortſchaften des Saargebiets befaßt; ſie legt ſchon
im voraus gegen die Veröffentlichung einer ſolchen Liſte Verwahrung ein. Es ſteht
allein den Behörden der Regierungskommiſſion zu, Maßnahmen dieſer Art zu treffen.
Die Einreihung der Ortſchaften zwecks Feſtſtellung der Wohnungsgeldzuſchüſſe und
Teuerungszulagen ſtellt unzweifelhaft einen Akt der Regierung bzw. Verwaltung dar.
Die preußiſche Regierung hat daher in keiner Weiſe das Recht, ſich mit dieſer Ein⸗
reihung zu befaſſen.
Mein Schreiben vom 29. Dezember verfolgte lediglich den Zweck, um Mitteilung
der von dem Statiſtiſchen Amt vor dem Inkrafttreten des Vertrages geſammelten
Unterlagen zu bitten, um hierdurch meine Behördeg in die Lage zu ſetzen, eine für
das Saargebiet beſtimmte Ortsklaſſeneinteilung vorzunehmen.
Ich benutze die Gelegenheit, um Sie davon in Kenntnis zu ſetzen, daß ich die
Überfendung des Rundſchreibens des Herrn Präſidenten des Preußiſchen Statiſtiſchen
Amtes vom 23. Dezember 1920 (Nr. 5905) an die Herren Landräte des Saargebiets
nicht genehmigt habe; Sie hatten dieſes Rundſchreiben am 29. Dezember (Nr. 3192)
an den Herrn Regierungspräſidenten in Trier weitergegeben und dieſer hatte es am
7. Januar (Nr. I. A. 16) den Herren Landräten des Saargebiets durch Ver⸗
mittelung der Regierungskommiſſion zugehen laſſen. Der Herr Regierungspräſident
in Trier hatte die Herren Landräte erſucht, ihm bis zum 20. Januar eine Antwort
einzureichen. |
Ich bin der Anficht, daß er den Herrn Landräten keinen Befehl diefer Art zu
erteilen hat. Aus den oben angeführten Gründen kann ich nicht zulaſſen, daß das
Statiſtiſche Amt ſich heute noch mit der Einreihung der Ortſchaften des Saar—
gebiets befaßt.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
Für den Präſidenten der Regierungskommiſſion:
Der Generalſekretär
gez. Morize.
Nr. 210.
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an
die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 18. April 1921.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz
als Reichskommiſſar für die Über⸗ Coblenz, den 18. April 1921.
gabe des Saargebiets. 55
Nr. S. 1388.
Herr Präſident!
In Ihrem Schreiben vom 19. Januar haben Sie Einſpruch dagegen erhoben,
daß das Preußiſche Statiſtiſche Landesamt ſich mit der Klaſſifizierung der Orte des
Saargebiets befaſſe, und haben erklärt, daß eine ſolche Handlung, die einen Verwal⸗
tungsakt darſtelle, allein den Dienſtſtellen der Regierungskommiſſion zuſtehe.
— 333 —
Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich zu erwidern, daß in Ihrem
Schreiben anſcheinend Sinn und Zweck der Arbeiten des Preußiſchen Statiſtiſchen
Landesamts verkannt wird. Es liegt den deutſchen Behörden vollkommen fern, der
Regierungskommiſſion irgendwie das Recht zur Aufſtellung eines Ortsklaſſenverzeich⸗
niſſes für das Saargebiet ſtreitig zu machen. Ein von der Regierungskommiſſion
aufgeſtelltes Verzeichnis dieſer Art könnte jedoch natürlich nur für die von der Re—
gierungskommiſſion beſoldeten Beamten Geltung haben. Tatſächlich leben aber im
Saargebiet eine Anzahl von Beamten und Penſionären, die ihr Einkommen nicht von
der Regierungskommiſſion, ſondern von der deutſchen Regierung oder von anderen
deutſchen Stellen außerhalb des Saargebiets beziehen. Für dieſe Perſonen muß die
Deutſche Regierung erklären, in welcher Ortsklaſſe ſie ihren im Saargebiet gelegenen
Wohnſitz einzureihen gedenkt, da die Höhe ihrer Bezüge von dieſer Einreihung ab-
hängig iſt. Ein Eingriff in die Rechte der Regierungskommiſſion liegt aber darin
nicht. Ich erlaube mir in dieſem Zuſammenhang darauf hinzuweiſen, daß es bisher
ſchon ſogar bei Orten außerhalb des Deutſchen Reichs üblich war, fie in das deutſche
Ortsklaſſenverzeichnis einzureihen, wenn deutſche Beamte dort ihren dienſtlichen Wohnſitz
hatten; ich verweiſe dieſerhalb auf § 30 Abſatz 2 des Reichsbeſoldungsgeſetzes vom
5. Juli 1909, wo es heißt: »Welcher Ortsklaſſe ein außerhalb des Deutſchen Reichs
gelegener Ort zuzuweiſen iſt, beſtimmt der Reichskanzler«, ferner auf § 2 Abſatz 5 des
preußiſchen Geſetzes vom 25. Juni 1910, wo geſagt it: »Welcher Ortsklaſſe ein
außerhalb Deutſchlands gelegener Ort, an dem preußiſche Beamte ihren dienſtlichen
Wohnſitz haben, zugewieſen wird, wird durch den beteiligten Reſſortminiſter im Ein-
vernehmen mit dem Finanzminiſter beſtimmt.«
Sollte die Regierungskommiſſion aus praktiſchen Gründen Wert darauf legen,
daß die von ihr beabſichtigte Ortsklaſſeneinteilung mit der deutſchen übereinſtimmt,
ſo wäre meine Regierung gern bereit, die Ortsklaſſeneinteilung im Einvernehmen mit
der Regierungskommiſſion feſtzuſetzen. Bejahendenfalls wäre ich für eine möglichſt
baldige Antwort dankbar. Die gemeinſamen Beſprechungen könnten ſich allerdings
nur auf das endgültige Ortsklaſſenverzeichnis beziehen, da die Herausgabe des vor—
läufigen Verzeichniſſes keinen Aufſchub mehr zuläßt.
Was ſchließlich die Aushändigung der bis zum Inkrafttreten des Vertrags von
Verſailles geſammelten Unterlagen betrifft, ſo werde ich mir erlauben, Ihnen ſo bald
als möglich eine endgültige Mitteilung zugehen zu laſſen. Nach einer vorläufigen
Auskunft meiner Regierung iſt allerdings zu bezweifeln, ob ſich einſchlägiges Material
vorfinden wird, da die Unterlagen in der Hauptſache erſt nach Inkrafttreten des
Verſailler Vertrags geſammelt worden ſind.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Goch
achtung.
- gez. von Groote.
An
die Regierungskommiſſion des Saargebiets,
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
XVII.
Regierungskommiſſion des Saargebiets und
beſetztes Rheinland.
Nr. 211.
Schreiben des Präſidenten der interalliierten Rheinlandkommiſſion
an den Reichskommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete vom
7. Januar 1921. |
(berſetzung.)
Interalliierte Rheinlandkommiſſion. i
Nr. Auen it Coblenz, den 7. Januar 1921.
Der Präſident der Interalliierten Rheinlandkommiſſion
an
den Herrn deutſchen Kommiſſar für die beſetzten Gebiete,
Coblenz.
Die Aufmerkſamkeit der interalliierten Rheinlandkommiſſion iſt durch den Präſi⸗
denten der Regierungskommiſſion des Saargebiets auf den Fall des früheren Bürger⸗
meiſters von Weiskirchen namens Th. . . . gelenkt worden. |
Kurz nach dem Waffenſtillſtand hat Th. . . . verſucht, die Angliederung feiner
Bürgermeiſterei an das Saargebiet zu erreichen. Seitdem iſt er nach den Mitteilungen
des Präſidenten der Saarregierung an die Rheinlandkommiſſion der Gegenſtand von
Quälereien ſeitens ſeiner Vorgeſetzten. Um ihn in ſchlechten Ruf zu bringen, ſollen
dieſe eine alte und längſt erledigte Beſchwerde ausgegraben haben, die ſich gegen ſeine
Amtsführung während des Krieges richtete. Sogar ein gerichtliches Verfahren iſt
gegen ihn eröffnet worden, und der Regierungspräſident in Trier hat ihn im Monat
Juni 1920 ſeines Amtes enthoben.
Nachdem Th. . . . an die Kommiſſion des Saargebiets ein Geſuch um Verwendung
als Bürgermeiſter gerichtet hatte, hielt es die Regierungskommiſſion für notwendig,
in Trier um Überſendung der Akten zu erſuchen. Die Akten ſind ihr nicht über⸗
ſandt worden, dagegen iſt Th. . . . am 18. Dezember auf Anordnung des Unterſuchungs⸗
richters in Trier verhaftet worden.
Wegen des Zuſammenhangs, der zwiſchen dem Erſuchen der Regierungskom⸗
miſſion und der Verhaftung des Th. . . . zu beſtehen ſcheint, wünſcht die Nheinland-
kommiſſion über dieſe Angelegenheit aufgeklärt zu werden. Sie hat mich beauftragt,
Sie um möglichſt baldige Mitteilung aller Auskünfte zu erſuchen, die Sie hierüber
beſitzen, und Ihnen mitzuteilen, daß ſie ihrem Delegierten in Trier den Auftrag er⸗
teilt hat, von den deutſchen Behörden alle geeigneten Auskünfte zu verlangen.
Der Präſident der interalliierten Rheinlandkommiſſion.
(Unterſchrift.)
Nr. 212.
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des
Saargebiets vom 25. Februar 1921.
Auswärtiges Amt. Berlin, den 25. Februar 1921.
II. S. G. 308.
Herr Präſident!
Durch den Herrn Reichskommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete erhalte
ich Kenntnis davon, daß die Regierungskommiſſion des Saargebiets ſich an die
— 335 —
interalliierte Rheinlandkommiſſion gewandt hat, um eine Auskunft der deutſchen
Behörden über den früheren Bürgermeiſter Th. . .. von Weiskirchen zu erhalten.
Dieſe Anfrage gibt mir Veranlaſſung, die Regierungskommiſſion darauf auf—
merkſam zu machen, daß für den Verkehr mit fremden Regierungen in Bezug auf
das beſetzte Gebiet die Rechte der Reichsregierung in vollem Umfang aufrechterhalten
und nicht etwa der interalliierten Rheinlandkommiſſion übertragen worden ſind.
Derartige Angelegenheiten ſind alſo keinem anderen Verfahren unterworfen als
Angelegenheiten des unbeſetzten Gebiets. Wenn die Regierungskommiſſion des Saar—
gebiets Auskunft über Vorkommniſſe oder Verhältniſſe des beſetzten Gebiets zu
erhalten wünſcht, ſo wird ſie ihre Anfragen an das Auswärtige Amt oder an den
Herrn Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets zu richten haben, es ſei
denn, daß es ſich um Beſchwerden gegen Maßnahmen der Beſatzungstruppen oder
der interalliierten Rheinlandkommiſſion handelt.
Dies vorausgeſchickt, beehre ich mich, Ihnen über die vorliegende Angelegenheit
folgendes mitzuteilen:
Gegen den Bürgermeiſter Th. . . ſchwebte im Jahre 1919 ein Diſziplinarverfahren
wegen Unterſchlagung. Wegen ungenügender Beweiſe und mit Rückſicht auf die
Verordnung über die Gewährung von Straffreiheit und Strafmilderung in Diſziplinar—
ſachen vom 12. Februar 1919 wurde das Verfahren am 2. November 1919
eingeſtellt.
Anfang 1920 Re von dritter Seite Anzeige gegen Th. . .. wegen Unterfchlagung.
Die Ermittlungen in der auf Antrag der Staatsanwaltſchaft eröffneten Vorunter—
ſuchung ergaben alsbald eine Anzahl von Unterſchlagungen und Fälſchungen von
Ausgabebelegen. Nachdem im Mai 1920 der Unterſuchungsrichter erklärt hatte, daß
es zur Erhebung der Anklage kommen werde, wurde Th. . . . durch den Herrn Re—
gierungspräſidenten in Trier am 1. Juni 1920 gemäß § 20 des Diſziplinargeſetzes
vom 21. Juli 1852 vom Amte ſuspendiert. Die Anwendung der erwähnten Ver—
ordnung vom 16. Februar 1919 war nunmehr unzuläſſig, da nach Lage der Dinge
die Annahme gerechtfertigt war, daß die endgültige Entſcheidung auf Dienſtentlaſſung
lauten würde.
Mit Rückſicht auf das eingeleitete Strafverfahren mußte der Regierungskommiſſion,
als fie im Oktober 1920 um Überlaſſung der Perſonalakten gebeten hatte, geant—
wortet werden, daß dieſe Akten nicht überſandt werden könnten, da ſie ſich noch
beim Unterſuchungsrichter befänden und die Unterſuchung noch nicht abgeſchloſſen ſei.
Im weiteren Verlauf der Vorunterſuchung wurde Th. . . . im Dezember 1920
durch den Unterſuchungsrichter verhaftet, aber bald wieder entlaſſen, nachdem eine
Sicherheit für ihn hinterlegt worden war.
Ein Zuſammenhang zwiſchen dem Erſuchen der Regierungskommiſſion und der
Verhaftung Th. .. . s beſteht nicht. Die Verhaftung ſowie die Freilaſſung war
das Ergebnis freier richterlicher Entſchließung, wie überhaupt Th. . . . bis zum Ab—
ſchluß des gerichtlichen Verfahrens jeder Einwirkung ſeiner Vorgeſetzten entzogen iſt.
6 Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. von Haniel.
An
die Regierungskommiſſion des Saargebiets
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
— 336 —
Nr. 213.
Schreiben des Reichskommiſſars für die beſetzten rheiniſchen Gebiete
an den Präſidenten der interalliierten Rheinlandkommiſſion
vom 21. März 1921.
Der Reichskommiſſar Coblenz, den 21. März 1921.
für die beſetzten rheiniſchen Gebiete. a | R
Tab. Nr. I. 463. |
Der Reichskommiſſar für die beſetzten rheinischen Gebiete
an
den Herrn Vorſitzenden der Interalliierten Rheinlandkommiſſion,
Coblenz.
Auf das gefällige Schreiben vom 7. Januar 1921 2496/HCITR beehre ich mich
folgendes zu erwidern:
Gegen den Bürgermeiſter von Weiskirchen, Reſtkreis Merzig, Th. ..., ſchwebte im
Jahre 1919 ein Diſziplinarverfahren wegen Unterſchlagung. Wegen ungenügenden
Beweismaterials und im Hinblick auf die Verordnung über die Gewährung von
Straffreiheit und Strafmilderung in Diſziplinarſachen vom 12. Februar 1919 (Ge⸗
ſetzſammlung S. 27) wurde das Verfahren unter dem 2. November 1919 eingeſtellt.
r e
Schließlich beehre ich mich noch zu bemerken, daß der Herr Reichsminiſter des
Auswärtigen in Berlin der Regierungskommiſſion des Saargebiets die gewünſchte
Auskunft bereits unmittelbar erteilt hat.
gez. v. Starck.
XVIII.
Entſchädigung eines franzöſiſchen Kaufmanns für Tumult⸗
Schreiben des Generals Andlauer an den Bürgermeiſter von Saar⸗
brücken vom 18. November 1919.
(berſetzung.)
Oberſte Militärverwaltung des Saargebiets. n 18 - 1919.
Generalſtab, I. Büro Nr. 185% 07 2 PA@Ebrügen den e enen e
S. C. 4970 19. 11. 19.
General Andlauer, Oberſter Militärverwalter .
an
den Herrn Bürgermeiſter von Saarbrücken.
Betrifft: Verluſte und Schäden in Saar—
brücken, hervorgerufen durch die Unruhen
im Oktober 1919.
Ich habe die Ehre, Ihnen amtlich die Verluſte der franzöſiſchen Truppen an
Menſchenleben und die materiellen Schäden von Angehörigen franzöſiſcher Natio—
nalität zur Kenntnis zu bringen, die in der Stadt Saarbrücken infolge des Streiks
im Anfang Oktober 1919 verurſacht worden ſind.
— 337 —
3 Militärperſonen ſind unter den nachfolgend aufgeführten Umſtänden getötet
worden, ſei es durch die Ausführung von Dienſtbefehlen, ſei es durch Unfälle, die
eine Folge der Straßenunruhen waren.
J. Bataillons-Chef Perrault bei der oberſten Militärverwaltung der Saar.
Dieſer Offizier befand ſich um 7 Uhr in ſeinem Zimmer im erſten Stockwerk
des Hotels Meßmer; er ſtand am Fenſter und ſprach mit ſeiner Frau, als eine von
einem Wachhabenden Anamiten abgeſchoſſene Kugel ihn in das Geſicht traf und
durch ſeine Hirnſchale ging. Der Tod trat augenblicklich ein.
Dieſer bedauerliche Unfall wurde dadurch hervorgerufen, daß die militäriſchen
Wachpoſten oder Patrouillen in den Straßen Befehl hatten, auf Schatten, die ſich
an den Fenſtern zeigten, zu ſchießen, um zu verhindern, daß auf Truppen geſchoſſen
werde, wie es häufig vorgekommen iſt. Mehrere Perſonen, die in der Nähe des
Hotels anweſend waren, bezeugten, daß aus den Fenſtern einige Augenblicke vorher
mit einem Revolver geſchoſſen worden iſt. Die Tat konnte allerdings nicht mit
Gewißheit feſtgeſtellt werden.
II. Jäger Olivier, Henri Louis, der erſten Kompagnie des 29. Jäger-Batl.,
wohnhaft in Le Havre (S. Inf.) Rue de la Halle 34; Familienverhältniſſe:
Sohn einer Witwe, hat noch einen entlaſſenen Bruder und einen jüngeren
Bruder; die Familie benötigt ihn ſehr.
Der Jäger wurde unter folgenden Umſtänden erſchoſſen: Er war kommandiert
zur Poſtkontrolle. Am 7. Oktober um 7 Uhr rief ein Artillerie-Unterleutnant 5 oder
6 Ordonnanzen der Poſtkontrolle zur Hilfe, um die Läden zu ſchützen, die man anfing
zu plündern. a
Jäger Olivier ging mit einer Gruppe, die die Plünderer nach dem dunklen
Leinpfad an der Saar unter der Brücke an der Dudweiler Straße zu verfolgen hatte.
Als er eine Mauer überklettern wollte, um den Flüchtlingen den Rückweg abzu—
ſchneiden, ſchoß einer der Soldaten unglücklicherweiſe aus ſeinem Gewehr. Die Kugel
traf den Jäger, der ſchwer getroffen niederfiel. Sofort in das Lazarett eingeliefert,
erlag er dort alsdann feinen Verletzungen.
III. Jäger Tiſſier, Roger, der 5. Kompagnie des 29. Jäger-Batl., wohnhaft in
Saiſy bei Monmorency (S. u. O.) Rue Blanche 28; Familienverhältniſſe:
Vater und Mutter leben noch.
Er wurde am 7. Oktober durch eine Revolverkugel eines Plünderers erſchoſſen.
Der Jäger gehörte zu der Theatermannſchaft der 127. J. D. Er begab ſich allein zu
einem Lieferanten der Diviſion, um eine Rechnung zu begleichen, als er in der Bahn—
hofſtraße durch einen Revolverſchuß in den Hals tödlich getroffen wurde. Da der
Jäger in dieſem Augenblick allein war, konnten die näheren Umſtände durch Zeugen
nicht bewieſen werden, aber da er erſt einige Tage nach ſeiner Verwundung geſtorben
iſt, konnte er noch Angaben machen und ausſagen, daß die Kugel von einem Ziviliſten
abgeſchoſſen worden iſt.
Verwundete.
Außerdem wurde eine große Anzahl von Militärperſonen verwundet. Bis jetzt
wurde ihr Zuſtand nicht als gefährlich betrachtet. Trotzdem muß Vorſorge
getroffen werden für den Fall, daß ſich eine Arbeitsunfähigkeit für ſie daraus ergibt,
da es ſich um Verwundungen in Ausübung des Dienſtes handelt.
Geplünderte franzöſiſche Läden. |
I. Der in der Kaiſerſtraße 25 befindliche Laden des Herrn M. Hirſch, wohnhaft
in Paris, Rue Etienne Marcel 27.
Der Laden wurde am 7. Oktober zwiſchen 6 und 7 Uhr geplündert. Am
8. Oktober hat die örtliche Zivilverwaltung die Siegel an dem Laden angebracht, und
ein Inventar der zurückgebliebenen Waren wurde aufgenommen. Der Betrag der
geſtohlenen Waren (Tuchwaren, Leinen und Seide) beläuft ſich auf 629 783 Franken.
Die Summe wurde aufgeſtellt an Hand der in dem Laden verbliebenen Waren und
der Buchhaltung dieſes ufmanns
— 338 —
Übrigens hatten noch zwei franzöſiſche Kaufleute N. James und Ferd. Hertz in
dem Laden von Hirſch Material (Kleidungsſtücke) untergebracht. Dieſe Waren ſind
ebenfalls geſtohlen worden; der Schaden beläuft ſich wie folgt: | |
Für, M. Jam 5ꝛĩ?i 19384 Franken,
. Meir, ,, 5.303 »
II. Der in der Dudweiler Straße 52 befindliche Laden des Herrn Simon Levy,
Mitgliedes der Vereinigung der Elſaß-Lothringer in Saarbrücken.
Dieſes Manufakturwarengeſchäft iſt am 7. Oktober um 730 Uhr abends geplündert
worden. Der Schaden beläuft ſich auf 484 167,50 Mark.
Beiliegend die Erklärungen dieſes Kaufmanns an den Miiitärverwalter von
Saarbrücken.
Folglich nehme ich an, daß die tödlichen Unfälle und die Materialſchäden eine
Entſchädigungspflicht für die Stadtverwaltung von Saarbrücken zur Folge haben, die
für die Bezahlung der Folgen aus dem Streik und der daraus hervorgegangenen
Plünderungen mit bewaffneter Macht, die die ſtädtiſche Polizei nicht unterdrücken konnte,
verantwortlich iſt.
Was die getöteten Militärperſonen betrifft, ſo mache ich keinen Unterſchied zwiſchen
denen, die durch die Kugel eines Plünderes getroffen worden ſind, und denen, die eine
verirrte Kugel eines franzöſiſchen Soldaten getroffen hat, da die Soldaten in dieſem
Falle von ihrer Waffe nur Gebrauch machten, um die öffentliche Ordnung wieder—
herzuſtellen.
Ich halte es für notwendig, der Stadt Saarbrücken folgende iz auf-
zuerlegen:
I. für Kommandant Perrault, verheiratet und Vater eines we
Kindes, Frau und Kind ohne Verdienſt zurücklaſſend, die Summe von
250 000 Franken,
II. für Jäger Olivier, unverheiratet, Sohn einer Witwe, hat noch Brüder
in jüngerem Alter, die Summe von 100 000 Franken.
Was die Kaufleute Hirſch, Hertz und Levy anbetrifft, nehme ich an, daß fie ent-
ſprechend ihrem Verluſt entſchädigt werden, den ſie ſchon bei der Stadtverwaltung
angemeldet haben, im ſelben Maße, wie die hieſigen Kaufleute, die von der Plünderung
betroffen wurden. Im Streitfall hat mich die franzöſiſche Regierung beauftragt, als
ihr bevollmächtigter Vertreter im Saarbecken zu Gunſten der franzöſiſchen Kaufleute
zu vermitteln.
gez. Andlauer.
Nr. 215.
Rechtsſtreit zwiſchen der Stadtgemeinde Saarbrücken und dem
franzöſiſchen Kaufmann Hirſch.
(Aus einem amtlichen Bericht.)
Bei den Unruhen im Oktober 1919 waren in Saarbrücken auch einige franzöſiſche
Geſchäfte geplündert worden, u. a. die Geſchäftsräume der Firma Hirſch aus Paris.
General Andlauer, der damalige Militärbefehlshaber der Beſatzungstruppen in Saar⸗
brücken, ordnete durch Befehl vom 20. Oktober 1919 an, daß die Stadt Saarbrücken
an Hirſch auf die geltend gemachte Tumultſchadensforderung vorſchußweiſe 2536500 Mark
zahle. Die Zahlung iſt auf Grund dieſes Befehls unter ausdrücklichem Vorbehalt
und ohne Anerkennung der Berechtigung des Anfpruches erfolgt. Inzwiſchen haben
die Zivilkammern des Landgerichts in Saarbrücken in mehreren Prozeſſen, die von
anderen Geſchädigten gegen die Gemeinden ihres Bezirks angeſtrengt waren, entſchieden,
daß eine Verpflichtung der Gemeinden zum Erſatz der bei den Oktoberunruhen ent⸗
ſtandenen Schäden nicht beſtehe, da es ſich nicht um Schäden im Sinne des alten
preußiſchen Tumultgeſetzes handele.
— 339 —
Die Stadtgemeinde Saarbrücken hatte nun beim Amtsgericht in Saarbrücken
gegen Hirſch den Erlaß eines Arreſtes in Höhe der nach ihrer Anſicht zu Unrecht
geforderten und gezahlten 2 536 500 Mark nebſt Koſten beantragt und dabei geltend
gemacht, es ſei zu befürchten, daß der Schuldner mit Rückſicht auf die erwähnten
Vorentſchädigungen ſeine Niederlaſſung in Saarbrücken aufgeben und ſein Warenlager
daſelbſt veräußern oder über die Grenze ſchaffen werde. Auf den am 14. Juni 1920
eingegangenen Antrag machte das Amtsgericht durch Beſchluß vom 15. Juni den Exlaß
des beantragten Arreſtes von einer Sicherheitsleiſtung in Höhe von 50000 Mark
abhängig. Nachdem die Stadt die Sicherheitsleiſtung nachgewieſen hatte, erließ das
Amtsgericht dann am 22. Juni den beantragten Arreſtbefehl mit der Begründung,
der Schuldner ſei Ausländer und habe ſeine Hauptniederlaſſung in Paris, auch ſei zu
befürchten, daß er ſeine in Saarbrücken lagernden Warenvorräte räumen oder über
die Grenze ſchaffen werde.
Am 26. Juni wurde Widerſpruch eingelegt, am 3. Juli ſtand Termin zur
mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht an. Unmittelbar vor dem Termin
ging bei dem Gericht eine Verfügung der »Regierungskommiſſion, Präſidialbüro« vom
2. Juli, unterzeichnet von Präſident Rault, ein, worin dieſer erklärte, hiermit den
Kompetenzkonflikt zu erheben. Es heißt dann weiter:
»Ich erſuche, das Erforderliche zur einſtweiligen Einſtellung des Ver—
fahrens zu veranlaſſen. Der Rechtsweg wird für unzuläſſig erachtet und
eine weitere Begründung vorbehalten.
Ich erſuche, die Akten dem Oberſten Gerichtshof des Saargebiets, deſſen
Einrichtung als Kompetenzgerichtshof vorgeſehen iſt, durch die Juſtizabteilung
der Regierungskommiſſion einzureichen.«
Das Amtsgericht hat darauf durch Beſchluß das Verfahren eingeſtellt. . . . . . ..
Nr. 216.
Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den kom—
miſſariſchen Bürgermeiſter von Saarbrücken vom 28. Juni 1920.
(Überſetzung.)
Regierungskommiſſion des ine 2 wo
Saargebiets. Saarbrücken, den 28. Juni 1920.
Auf Grund eines von der Stadt beim Amtsgericht Saarbrücken erwirkten Arreſt—
befehls wurde das Warenlager des Herrn Hirſch, eines franzöſiſchen Staatsangehörigen,
Kaiſerſtraße 31 in Saarbrücken, gepfändet.
Das durch die Stadt alſo eingeleitete Verfahren bezweckt, obwohl dasſelbe gegen
einen Privatmann gerichtet iſt, rechtlich und tatſächlich die Nichtigkeitserklärung einer
Entſcheidung, welche im Namen eines fremden Staates durch die ihn vertretende
Militärbehörde in dieſem damals beſetzten Gebiete getroffen worden iſt. Ohne daß
es erforderlich iſt, zu unterſuchen, ob nach deutſchem Recht die ordentlichen Gerichte
zuſtändig geweſen wären, ein Verfahren mit dem Ziel der Nichtigkeitserklärung einer
derartigen, im Frieden und von der damaligen Regierung getroffenen Entſcheidung
einzuleiten, kann kein Zweifel darüber beſtehen, daß dieſe Gerichte nicht zuſtändig ſind,
die 1 einer von der Beſatzungsbehörde getroffenen Entſcheidung nach—
zuprüfen.
Die in Frage ſtehende Entſcheidung iſt vor dem Inkrafttreten des Friedensver—
trages gefallen, zu einer Zeit alſo, wo nach internationalen Rechtsgrundſätzen das
Saargebiet als ein noch von dem Feinde beſetztes Gebiet zu gelten hatte; es handelt
ſich infolgedeſſen um eine Willensäußerung der damals höchſten Gewalt im Saargebiet,
die lediglich durch einen Gnadenakt des franzöfifchen Staates, dem die Beſatzungstruppen
unterſtanden, in ihren Folgen hätte abgeſchwächt werden können, und zwar vor ihrer
Ausführung.
„
Ich bin deshalb der Anſicht, daß die Stadt, die, ohne durch die Regierungs-
kommiſſion hierzu ermächtigt zu ſein, das Gerichtsverfahren eingeleitet hat, das die
Verfügung des Amtsgerichtes zur Folge gehabt hat, ihre Befugniſſe überſchritten und
die Geſetzesvorſchriften verletzt hat.
In Gemäßheit des § 83 der rheiniſchen Städteordnung fordere ich Sie deshalb
hiermit auf, die Ausführung des Beſchluſſes der Stadt oder ihrer geſetzlichen Vertreter
auf Grund deſſen das Verfahren eingeleitet worden iſt, zu verhindern und m
einer Friſt von 6 (ſechs) Stunden nach Zuftellung dieſer Entſcheidung:
J. dem Amtsgericht mitzuteilen, daß die Stadt ihren Klageantrag zurückzieht und
nunmehr die Aufhebung des ergangenen Arreſtbefehles beantragt,
2. Herrn Hirſch zu benachrichtigen, daß die Stadt die gegen ihn erhobene Klage
zurückgezogen hat.
Der Präſident der Regierungskommiſſion.
gez. Rault, Staatsrat.
An
den Herrn kommiſſariſchen Bürgermeiſter,
zu Händen des Herrn erſten Beigeordneten der Stadt
Saarbrücken.
„
Schreiben des kommiſſariſchen Bürgermeiſters der Stadt Saarbrücken
an die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 9. Juli 1920.
Der komm. Bürgermeiſter. i 8 1195
Tgb. Nr. 74888. Saarbrücken, den 9. Juli 1920.
An
die Regierungskommiſſion des Saargebiets,
hier.
Betrifft:
Schadenſache Kaufmann Hirſch-Saarbrücken.
Verfügung vom 28. Juni 1920.
Mit Schreiben vom 28. Juni 1920 nahmen Sie Stellung zu dem zwiſchen dem
franzöſiſchen Kaufmann Hirſch und 175 Stadt Saarbrücken ſchwebenden Gerichts—
verfahren und forderten mich gemäß § 83 der rheiniſchen Städteordnung auf, die
Ausführung des Beſchluſſes der Stadt "oh ihres geſetzlichen Vertreters, auf Grund
deſſen das Verfahren eingeleitet worden iſt, zu verhindern und innerhalb einer Friſt
von 6 Stunden nach Zuſtellung ihrer Entſcheidung:
1. dem Amtsgericht mitzuteilen, daß die Stadt ihren Klageantrag zurückzieht
und nunmehr die Aufhebung des ergangenen Arreſtbefehls beantragt,
Herrn Hirſch zu benachrichtigen, daß die Stadt die gegen ihn erhobene Klage
e hat.
Ich nehme zunächſt Bezug auf die telephoniſche Beſprechung des Herrn Bei⸗
geordneten Dr. Bauer mit Herrn Dr. Carrieère, in welcher letzterem mitgeteilt wurde,
daß der Prozeßbevollmächtigte der Stadt, Rechtsanwalt Dr. Wenderoth, bereits ohne
Kenntnis von dem Schreiben der Regierungskommiſſion an die Stadt den Gerichts—
vollzieher angewieſen hatte, die Vollſtreckung des Arreſtes auszuſetzen. Nachdem
inzwiſchen die Regierungskommiſſion bezüglich des von der Stadt beantragten Arreſts
den Kompetenzkonflikt erhoben und das Gericht das Arreſtverfahren bis zur Ent-
ſcheidung über den Kompetenzkonflikt ausgeſetzt hat, ſehe ich die mir von der
Regierungskommiſſion gegebene Aufforderung, bei Gericht die Aufhebung des Arreſt—
befehls zu beantragen, als erledigt an.
— 341 —
Was die weitere Aufforderung an mich betrifft, auch den gegen Hirſch bean—
tragten Klageantrag zurückziehen, ſo nehme ich auch dieſerhalb Bezug auf die tele—
phoniſche Unterredung des Herrn Beigeordneten Dr. Bauer mit Herrn Dr. Carriere,
in der ſich letzterer damit einverſtanden erklärte, daß die endgültige Entſcheidung über
eine Zurücknahme der Klage bis zu meiner Rückkehr und bis zur nächſten Stadt—
verordnetenverſammlung verſchoben werden könne. Ich habe der Stadtverordneten—
verſammlung in der Sitzung vom 6. d. M. von der Beanſtandung ihres Beſchluſſes
Kenntnis gegeben. Die Stadtverordnetenverſammlung hat beſchloſſen, die von der
Stadt eingeleitete Widerklage nicht zurückzunehmen und wegen der Beanftanduug
emäß § 83 der Städteordnung die Klage im Verwaltungsſtreitverfahren zu erheben.
Öleichzeitig bin ich beauftragt worden, Ihnen die Gründe für dieſen Beſchluß und
die einmütige Anſicht der Stadtverwaltung zu der Angelegenheit mitzuteilen.
Was zunächſt die Weigerung der Klagezurücknahme betrifft, ſo hat die Bean—
ſtandungserklärung zwar die rechtliche Folge, daß der beanſtandete Beſchluß mit auf—
ſchiebender Wirkung außer Kraft geſetzt und damit der frühere Zuſtand wieder—
hergeſtellt wird, wobei aber wohlerworbene Rechte, auch wenn dieſe auf dem
beanſtandeten Beſchluß ruhen, erhalten bleiben. Ich halte mich deshalb wohl für
verpflichtet, die Weiterausführung des Beſchluſſes, alſo auch die Weiterführung der
Klage bis zur Entſcheidung über die Rechtmäßigkeit der Beanſtandung, zu verhindern
und habe dahingehende Anweiſungen gegeben. Dagegen halte ich mich nicht für be—
rechtigt, die Klage zurückzuziehen, zudem dadurch vermögensrechtliche Entſcheidungen
getroffen würden, die mich unter Umſtänden der Stadt gegenüber haftbar machen
könnten. Dazu kommt noch, daß die Klage an ſich von Hirſch ausgegangen iſt und
die Stadt nur in der bereits von Hirſch angeſtrengten Klage die Widerklage erhoben
hat. Würde ſie die Widerklage heute zurückziehen, ſo wäre ſie nicht mehr in der
Lage, in Zukunft ihren Anſpruch gegen Hirſch geltend zu machen, während letzterer
ſeine Anſprüche gegen die Stadt weiter verfolgen könnte.
In der Sache ſelbſt ſtehen Stadtverwaltung und Stadtverordnetenverſammlung
auf dem Standpunkt, daß es ſich ſowohl bei der Erhebung des Kompetenzkonfliktes
wie auch bei dem Verlangen der Klagezurücknahme um einen durchaus unberechtigten
Eingriff in die ſtädtiſche Selbſtverwaltung und die Rechtſprechung handelt. Die An—
ſicht der Regierungskomuiſſion, daß die Frage der Haftpflicht der Stadt für die
Plünderungsſchäden ſeinerzeit durch eine Willensäußerung der damals höchſten Gewalt
im Saargebiet entſchieden worden ſei, kann nicht geteilt werden. Es handelte ſich
bei den Plünderungsſchäden um rein zivilrechtliche Anſprüche. Weder das Völker—
recht noch die Waffenſtillſtandsbedingungen gaben dem oberſten Befehlshaber
des damals beſetzten Saargebietes die Befugnis, über zivilrechtliche Anſprüche
Entſcheidungen zu treffen, zu denen allein die ordentlichen Gerichte zuſtändig
waren. Tatſächlich haben die oberſten Befehlshaber auch während der Be—
ſetzung ſich eines Eingriffes in die Rechtspflege enthalten. Die Anordnungen
der Herren Andlauer und Wirbel bezüglich der Plünderungsſchäden können
nur ſo verſtanden werden, daß die Stadt die geſchädigten ausländiſchen Kaufleute
gegen weitere finanzielle Nachteile durch vorläufige Zahlungen ſichern ſollte, ohne indeſſen
über die endgültige Haftpflicht der Stadt eine Entſcheidung zu treffen. Eine ſolche
Entſcheidung wäre einſeitig e der ausländiſchen Kaufleute ergangen, während
die deutſchen Kaufleute auf die gerichtliche Verfolgung ihrer Anſprüche angewieſen
geblieben wären. Auch hätte es einer ſolchen Entſcheidung an der nötigen Beſtimmt—
heit über die Höhe der von der Stadt endgültig zu leiſtenden Entſchädigungsſummen
gefehlt; dieſe Summen ſind von dem Herrn oberſten Militärverwalter nie genannt
worden; fie konnten auch nicht genannt werden, da die von den ausländiſchen Kauf:
leuten geltend gemachten Erſatzanſprüche auch bezüglich ihrer Höhe noch nicht geprüft
und von der Stadt deshalb auf ihre Richtigkeit hin angezweifelt wurden. Tatſäch—
lich haben denn auch die ausländiſchen Kaufleute die ihnen auf Anordnung der
Militärverwaltung gezahlten Summen unterſchriftlich ſtets als Darlehn anerkannt
— 342 —
und auch gegenüber der Militärverwaltung hat die Stadt ſtets betont, daß ihre
Zahlungen nur Darlehn ſeien, während die Entſcheidung über die endgültige
Zahlungsverpflichtung der Stadt den ordentlichen Gerichten vorbehalten bleiben müſſe.
Die Stadt hat ſeinerzeit an die ausländiſchen Kaufleute insgeſamt
501000 Franken gezahlt, die fie zum Teil zu außerordentlich hohem Kursſtande
kaufen mußte. Allein für die im Falle Hirſch gezahlten 450 000 Franken mußte
die Stadt 2 536 500 Mark aufwenden! Als nun eine Anzahl deutſcher Kaufleute
inzwiſchen die Stadt auf Zahlung der Plünderungsſchäden verklagte und das Land-
gericht Saarbrücken dieſe Klage abwies, teilte die Stadt den ausländiſchen Kauf⸗
leuten, an die ſie die erwähnten Darlehen gezahlt hatte, dieſe Rechtslage mit und
forderte ſie auf, die gezahlten Darlehen zurückzuzahlen oder zu verzinſen. Auf dieſes
Schreiben hat keiner der ausländiſchen Kaufleute geantwortet, vielmehr ſind letztere
dazu übergegangen, ihrerſeits die Stadt auf Zahlung der Reſtſummen zu ver⸗
klagen. Der franzöſiſche Kaufmann Hirſch verklagte die Stadt Mitte April 1920,
und in dem bereits anhängigen Prozeßverfahren erhob die Stadt dann Widerklage
auf Zahlung der Darlehen. Da es ſich um einen Ausländer handelte und die Stadt
bei dem Hirſch bekannten Urteil des Landgerichts befürchten mußte, daß Hirſch ſein
greifbares Vermögen ins Ausland verbringen und die Stadt im Falle ihres Obſiegens
leer ausgehen würde, beantragte ſie gegen Hirſch den dinglichen Arreſt, dem das
Landgericht auch ſtattgab. Wie berechtigt die Befürchtung der Stadt war, ergibt ſich
daraus, daß Hirſch bereits am 12. Februar ſein geſamtes hieſiges Bankguthaben ab⸗
gehoben hatte! Die anderen von der Stadt entſchädigten ausländiſchen Kaufleute
find bereits in ihre Heimat zurückgekehrt und haben keinerlei Vermögen zurückgelaſſen.
Die weiteren Vorgänge ſind der Regierungskommiſſion bekannt. Nach der ge⸗
ſchilderten Sachlage war das Eingreifen der Regierungskommiſſion in das ſchwebende
Prozeßverfahren durchaus unberechtigt. Die Hinderung der Ausführung des Arreſt⸗
verfahrens, die rechtlich unhaltbare Erhebung des Kompetenzkonfliktes und die damit
zuſammenhängende Verzögerung des Prozeßverfahrens werden die Stadt zweifellos
finanziell ſchwer ſchädigen. Für dieſe Schäden muß die Stadt die Regierungs⸗
kommiſſion ſchon heute voll und ganz verantwortlich machen, was hiermit geſchieht.
gez. Hobohm.
XIX.
Entſchädigung einer deutſchen Familie wegen Ermordung
eines Familienmitgliedes.
Nr. 218.
Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung
vom 16. Februar 1920. |
Deutſche Botſchaft in Frankreich. Paris, den 16. Februar 1920.
Herr Präſident!
Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich, folgenden Fall zur Kenntnis
Euerer Exzellenz zu bringen. 3
Fräulein Maria Schnuer, die in Marburg ſtudierte, war am 19. Dezember 1918
nach Heinitz bei Saarbrücken gekommen, um dort bei ihren Eltern die Weihnachtsferien
zu verbringen. Am Tage nach ihrer Ankunft begab ſie ſich zum Beſuch einer Freundin
nach Friedrichsthal. Unterwegs begegnete ſie einem franzöſiſchen Soldaten, der ihr
unſittliche Anträge machte, auf ſie eindrang, und als ſie ſich wehrte, ihr mit dem
Seitengewehr mehrmals über den Kopf ſchlug. Dann ſtach er fie mit dem Seiten—
— 343 —
gewehr in die Oberſchenkel und den Unterleib, daß die Eingeweide herausdrangen.
Danach floh er, offenbar in der Meinung, daß ſein Opfer tot ſei. Wieder zu ſich
gekommen, ſchleppte ſich Fräulein Schnuer bis zu einem Fahrweg, wo ſie aufgefunden
Sie wurde nach Hauſe geſchafft und iſt am folgenden Tage ihren Verletzungen
erlegen. Kurz vor ihrem Tode hat ſie dem franzöſiſchen Kommandanten von Heinitz
der zu ihr gerufen wurde, den Hergang erzählt. Dieſer äußerte ſein Bedauern und
verſprach ſtrenge Beſtrafung.
Wie ſich aus dem anliegenden Telegramm der deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion
vom 27. März 1919 ergibt, hatten gleichwohl noch am 21. März weder Herr General
ayolle noch der Landrat des Kreiſes Saarbrücken Herr von Halfern davon Kenntnis,
daß ein jo ſchweres Verbrechen in der Nähe von Saarbrücken begangen worden war.
Es hat daher den Anſchein, als ob von irgendeiner Seite Schritte getan worden
ſind, um die Unterſuchung zu unterdrücken. .
Die Deutſche Regierung iſt erſt vor kurzem in den Beſitz näherer Nachrichten über
den Vorfall gelangt. Eine Erklärung des Vaters der Ermordeten vom 1. Dezember 1919
und eine Außerung des Knappſchaftsarztes Dr. Trittelvitz vom 29. November 1919
ſind hier angeſchloſſen.
Das Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten darf ich bitten, ſeine Ver—
mittlung eintreten za laſſen, damit, ſoweit es nicht ſchon geſchehen fein ſollte, der
Fall vollſtändig aufgeklärt wird, der ruchloſe Täter die verdiente Strafe findet und
auch diejenigen, die etwa verſucht haben ſollten, die Unterſuchung zu unterdrücken, zur
Verantwortung gezogen werden.
Für eine baldige Mitteilung über den Stand der Angelegenheit würde ich dank—
bar ſein.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung.
gez. Dr. Mayer.
Seiner Erzellenz
dem Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten
Herrn Millerand.
Anlage 1.
Telegramm der Deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion in Spa vom
27. März 1919 an das Auswärtige Amt, Berlin.
Nudant übergab:
(Überſetzung.)
»Genexal Fayolle ſchreibt mir unter Nr. 6357 vom 21. März folgendes:
Ich habe die Ehre, Ihnen die Abſchrift eines Auszuges aus einem Nauener
Funkfpruch vom 12. März vormittags zu überreichen. |
Obſchon ich keinen Zweifel über die Natur der darin enthaltenen Behauptungen
hatte, habe ich doch nicht verfehlt, eine Unterſuchung bei den mir unterſtellten Armeen
vornehmen zu laſſen. Die Unterſuchung hat es ermöglicht, amtlich feſtzuſtellen, daß
die Behauptungen der Nauener Preſſemeldung lügenhaften Charakter haben. Der
deutſche Landrat in Saarbrücken hat dies außerdem in dem hier beigefügten Schreiben
an den Verwalter von Saarbrücken⸗Stadt beſtätigt.
Die Urheber derartiger Mitteilungen konnten ſich über deren Unverſchämtheit nicht
im Unklaren befinden; ſie haben ſich wiſſentlich eine gehäſſige Beſchimpfung der fran—
zöſiſchen Armeen zuſchulden kommen laſſen, um dieſe in den Augen der neutralen
oder alliierten Mächte herabzuſetzen.
Ich habe die Ehre, Sie zu bitten, an die deutſche Delegation der Kommiſſion in
Spa einen nachdrücklichen Proteſt und die Forderung ſtrenger Beſtrafung der Schul—
digen richten zu wollen.“ 5
23
Buy: Shen
(Unteranlage 1.) Auszug aus dem Nauener Nachrichtendienſt vom
12. März vormittags:
»Die Bevölkerung der beſetzten Gebiete wird durch die von den Beſatzungstruppen
begangenen Ausſchreitungen mehr und mehr zur Verzweiflung getrieben. Jetzt erfährt
man, daß kürzlich in Saarbrücken ein franzöſiſcher Soldat eine Studentin aus Heidel-
berg, Fräulein Schütz, vergewaltigt hat, und daß ſie infolge dieſer Mißhandlungen
geſtorben iſt. Ebenſo wurde eine 22jährige Lehrerin durch Franzoſen vergewaltigt
und durch einen Bajonettſtich ſo ſchwer verwundet, daß ſie daran geſtorben iſt.«
(Unteranlage 2.)
(Überſetzung.)
2 »Saarbrücken, den 16. März 1919.
An
den Kommandanten Herrn d' Abrantes.
Saarbrücken,
Schloßplatz 15.
Nach den von mir vorgenommenen Erkundigungen exiftiert Saarbrücken weder
ein Fräulein Schütz noch eine Lehrerin, die das Opfer von Vergewaltigungen durch
franzöſiſche Soldaten geworden wären, die den Tod zur Folge gehabt haben. Das
Nauener Telegramm entſpricht nicht der Wahrheit.
gez. von Halfern, Landrat.«
Anlage 2.
Am 19. Dezember 1918 kam meine Tochter von der Univerſität Marburg in
die Weihnachtsferien nach Hauſe. Am anderen Tage fuhr ſie um 1 Uhr mittags
mit der Poſt von Heinitz nach Friedrichsthal, um eine Freundin, Fräulein Ella Sch.,
welche mit ihr das Oberlyzeum I der Urſulinerinnen in Saarbrücken abſolviert hatte,
zu beſuchen. In der Hälfte des Weges zwiſchen Heinitz und Friedrichsthal führt von
der Hauptſtraße ein Waldweg nach der Kolonie Friedrichsthal. Dieſen Weg, den meine
Tochter ſchon ſehr oft gegangen war, benutzte ſie auch an dieſem Tage. Als ſie un—
gefähr 400 m gegangen war, kam ihr ein franzöſiſcher Soldat entgegen, ſprach fie
gleich in unſittlicher Beziehung an. Meine Tochter, welche 12 Jahre lang in einem
Kloſter erzogen wurde und von den Schlechtigkeiten der Welt keine Ahnung hatte,
konnte nicht verſtehen, was der Soldat von ihr wollte; ſie glaubte, er hätte ſich
verlaufen und wollte den Weg nach Elversberg ſuchen. Darauf ging ſie mit ihm in
den Wald nach der Elversberger Straße. Kaum 50 m im Walde wurde er zudring⸗
licher, und als ſie ſich wehrte, ſchlug er mit ſeinem Seitengewehr ihr mehrmals auf
den Kopf, daß ſie beſinnungslos hinfiel; damit nicht genug, weil er ſein Vorhaben nicht
ausführen konnte, ſchlug und ſtach er in beſtialiſcher Weiſe auf ſie ein. Dann verließ
er den Schauplatz ſeiner Schandtat in der Meinung, meine Tochter ſei tot.
Nach ungefähr / Stunde kam fie durch die übergroßen Schmerzen wieder
zu ſich, raffte ſich auf und ſchleppte ſich in dieſem elenden Zuſtande unter
Weinen und Jammern nach der Heinitzer Straße. Dort brach ſie bewußtlos
zuſammen. Hier fand ſie ein von Heinitz kommender Bergmann, gleichzeitig kam auch
die Poſt wieder von Friedrichsthal zurück. Der Arbeiter machte den Kutſcher auf
die Verletzte aufmerkſam. In der Poſt ſaß der penſionierte Einfahrer Donie aus
Saarbrücken. Als er die Verletzte ſah, erkannte er in ihr meine Tochter. Nun
wurde ſie von dem Kutſcher und dem Bergmann in den Wagen gehoben und nach
meiner Wohnung in Heinitz gebracht. Dort angekommen, eilten die Nachbarinnen,
Frau Oberſteiger Groß und Frau Fahrſteiger Jung, herbei und brachten ſie noch in
bewußtloſem Zuſtande ins Bett. Nach einigen Belebungsverſuchen kam ſie wieder
— 345 —
zu ſich; ſie erzählte dann den Damen den ganzen Hergang. Darauf wurde ſie von
Blut und Schmutz gereinigt. In welch elendem Zuſtande fand ich das arme Kind,
das vor kaum 1½ Stunden geſund und munter mich verlaſſen hatte. Die Augen
dick, ſchwarz verſchlagen, die Lippen durch Schläge angeſchwollen, der Kopf voller
Beulen, der eine Oberſchenkel war mit dem Seitengewehr durch und durch geſtochen,
mehrere Stiche im Unterleib, ſo daß an einer Stelle die Därme ausdrangen. Der
herbeigerufene Arzt, Dr. Trittelvitz, legte einen Notverband an und ordnete die ſo—
fortige Aberführung der Verletzten nach dem Krankenhaus St. Joſef in Neunkirchen zur
Operation an. Während der Krankenwagen beſtellt wurde, brachte Herr Dr. Trittelvitz
den franzöſiſchen Kommandanten von Heinitz, dem er den Fall mitgeteilt hatte, an das
Krankenbett meiner Tochter. Hier frug der Kommandant meine Tochter in franzöſiſcher
Sprache, wie ſich alles zugetragen habe, und auch, wie der Soldat bekleidet war, welche
Größe ungefähr uſw. Nach dem Verhör ſprach er mir ſein Bedauern über den Fall
aus mit dem Bemerken, nach dem Täter zu recherchieren und gründlich zu beſtrafen.
Dann wurde die Verletzte nach Neunkirchen gebracht und abends noch von den Arzten
Dr. Engelken und Schlaf operiert. Tags darauf iſt ſie dann wegen der allzuſchweren
Verletzungen und des überaus großen Blutverluſtes abends gegen 11 Uhr geſtorben.
Erwähnen will ich noch, daß der Kommandant andern Tags, während ich im Lazarett
war, in meine Wohnung kam und meiner Haushälterin ſagte, er habe feſtgeſtellt, daß
es von ſeinen Soldaten keiner geweſen ſei, er wolle auch durch den Elversberger Kom—
mandanten recherchieren laſſen, auch habe er erfahren, daß an dem fraglichen Tage,
mittags gegen ½2 Uhr, zwei Soldaten von Friedrichsthal nach dem Walde gegangen
ſeien. Gegen 1 Uhr kamen vier franzöſiſche Offiziere in meine Wohnung und erklärten,
von der Beſatzung Heinitz und Elversberg ſei der Täter nicht geweſen. Mein Sohn
Aloys, der zugegen war, unterhielt ſich mit den Herren in franzöſiſcher Sprache und
ſagte ihnen, daß Fräulein Sch. an dieſem Morgen im Lazarett bei meiner Tochter
geweſen ſei. Sie ließ ſich den Soldaten beſchreiben und da ſtellte ſich heraus, daß
der Betreffende ungefähr 10 Minuten vor der Tat im Gebüſch an dem Wege, der
von Elversberg nach Friedrichsthal führt, ſtand und auf jemand lauerte. Fräulein Sch.,
welche zur Zeit Lehrerin in Elversberg war, ging dieſen Weg nach Hauſe, hatte Be—
gleitung bei ſich, ſonſt wäre ſie wahrſcheinlich überfallen worden. 14 Tage ſpäter
erhielt ich von der Kommandantur Friedrichsthal eine Aufforderung, mich dort vorzu—
ſtellen. Dort wurde mir ein Schriftſtück zur Unterſchrift vorgelegt; der Sinn desſelben
iſt mir heute noch nicht ganz klar. Der Kommandant war nicht anweſend. Um
jedem ferneren Verhör auszuweichen, unterſchrieb ich das Schriftſtück. Weiter habe
ich über die Sache nichts mehr gehört.
J. Dezember 1919.
gez. Schnuer, Fahrſteiger.
Anlage 3.
Elversberg, den 29. November 1919.
Am 20. Dezember 1918 abends wurde ich nach Heinitz zu Herrn Fahrſteiger
Schnuer beſtellt, weil ſeine Tochter verunglückt ſei.
Ich fand Fräulein stud. phil. Maria Schnuer im Bett liegend vor, ihr Geſicht
war in entſetzlicher Weiſe entſtellt, blutunterlaufen und geſchwollen. Ich ſtellte bei
Fräulein Schnuer außerdem zwei Stichwunden feſt, eine ins Geſäß, die andere in den
Bauch; aus letzterem hing ein Stück des Eingeweidennetzes hervor.
Fräulein Schnuer war vollſtändig bei Beſinnung. Sie gab an, auf dem Wege
von Heinitz nach Friedrichsthal im Walde von einem franzöſiſchen Soldaten angehalten
worden zu ſein. Derſelbe habe ſie angeſprochen und von ihr Dinge gewünſcht, die
ſie nicht verſtehen konnte, da ihr die »Vokabeln« fehlten. Sie habe dann den Verſuch
gemacht, zu fliehen. Der Soldat packte ſie von hinten, würgte ſie, ſchlug ſie mit den
Fäuſten in ihr Geſicht und ſtach ſie mit dem Meſſer.
23*
— 346 —
Ich veranlaßte die Überführung des Fräulein Schnuer in das Krankenhaus zu
Neunkirchen (Saar). |
Vor dem Abtransport ſuchte ich den Kommandanten der franzöſiſchen Truppen
in Heinitz auf und nahm ihn mit zu Fräulein Schnuer.
Fräulein Schnuer wiederholte in franzöſiſcher Sprache den Vorgang des Überfalls.
Der franzöſiſche Offizier äußerte ſein Bedauern und ſein Entſetzen über die abſcheuliche
Tat. Er wiederholte immer wieder das Wort »un mauvais soldat« und verſprach
ſtrenge Beſtrafung. |
Fräulein Schnuer iſt an ihren Verletzungen im Krankenhaus geſtorben.
gez. Dr. med. Trittelvitz, Knappſchaftsarzt.
Nr. 219.
Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche
Regierung vom 27. Mai 1920.
Deutſche Botſchaft in Frankreich.
J. Nr. 559.
| Verbalnote. 9
Durch Note vom 16. Februar d. J. hat die deutſche Botſchaft die am 19. De⸗
zember 1918 erfolgte Ermordung des Fräulein Maria Schnuer in Heinitz bei Saar⸗
brücken durch einen franzöſiſchen Soldaten zur Kenntnis des Miniſteriums der aus-
wärtigen Angelegenheiten gebracht und um baldige Mitteilung des Standes der
Angelegenheit gebeten. |
Da bisher keine Mitteilung erfolgt iſt, beehrt ſich die deutſche Botſchaft dem
Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten dieſe Angelegenheit in Erinnerung zu
bringen und ſieht einer Nachricht mit Dank entgegen.
Paris, den 27. Mai 1920.
An
das Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten,
Paris.
Nr. 220.
Note der franzöſiſchen Regierung an die deutſche Botſchaft in Paris
vom 25. September 1920.
(berſetzung.)
Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten. | ER
Abteilung für Verwaltungs- Paris, den 25. September 1920.
und techniſche Angelegenheiten.
Herr Geſchäftsträger!
Durch Ihre Noten vom 16. Februar und 27. Mai d. J. haben Sie meine Auf⸗
merkſamkeit auf das Verbrechen gelenkt, deſſen Opfer am 20. Dezember 1918 in
Heinitz die deutſche Staatsangehörige Fräulein Maria Schnuer geworden iſt.
Die ſehr eingehende Unterſuchung durch den Oberbefehlshaber der Truppen des
Saargebiets, die der Herr Kriegsminiſter veranlaßt hat, hat zu nachſtehenden Ergeb—
niſſen geführt:
1. Die Anhäufung von Truppen, die zu jener Zeit in der Gegend einquartiert
waren, war beträchtlich. In Friedrichsthal lag das 162. Infanterieregiment und das
268. Feldartillerieregiment. Das 169. Infanterieregiment lag in dem Raume Neun—
kirchen-Heinitz-Elversberg. Alle Truppen gehörten zur 69. Infanteriediviſion. Schließlich
— 347 —
lag in St. Ingbert das 8. Jägerbataillon der 42. Infanteriediviſion. Da der Überfall
zwiſchen Friedrichsthal-Elversberg und Heinitz ſtattgefunden hat, war es ſchwer, die
Nachforſchungen auf den richtigen Weg zu leiten.
2. Zu Be Zeitpunkt, als das Verbrechen begangen wurde, wurde eine gründliche
Unterſuchung durch das Kriegsgericht der 69. Infanteriediviſion und durch die deutſche
Polizei in Neunkirchen angeſtellt, von der das Ergebnis an den Staatsanwalt in
Saarbrücken und an das Kriegsgericht der 69. Infanteriediviſion in Neunkirchen mit—
geteilt wurde.
3. Das Dementi, das der General Fayolle dem Nauener Funkſpruch vom
12. März 1919 entgegengeſtellt hat und das durch den Landrat von Saarbrücken
beſtätigt worden iſt, erklärt ſich aus den erheblichen Ungenauigkeiten, die der Funk—
ſpruch enthielt. Denn dieſer ſprach a
a) von einem in Saarbrücken begangenen Überfall (während er 15 km davon
entfernt und im Kreiſe Ottweiler begangen war), :
b) ſagte er »kürzlich«, während die Geſchehniſſe 3 Monate zurücklagen,
e) meldete er zwei Opfer, während es nur eins war.
4. Eine zweite Unterſuchung über dieſes Verbrechen iſt auf Anordnung des
Oberſten Verwalters des Saargebiets, Herrn Generals Wirbel, anfangs 1920 von
der Gendarmerie in Neunkirchen vorgenommen worden.
5. Eine dritte Unterſuchung iſt jetzt vorgenommen worden. Auch ſie hat nicht
zur Entdeckung des Schuldigen geführt, was nicht überraſchen kann; die Schwierig—
keiten, zu einem Ergebnis zu kommen, waren ſchon zu der Zeit, als das Verbrechen
begangen wurde, infolge der Anhäufung von Truppen, die in jener Gegend im
Quartier lagen, und infolge der Ungenauigkeit der Beſchreibung des Soldaten, den
man in Begleitung des Fräulein Schnuer geſehen hatte, beträchtlich. Gegenwärtig
beſteht keinerlei Ausſicht, zum Ziele zu kommen.
6. Aus der geſamten Unterſuchung ergibt ſich, daß keine Behörde, weder von
franzöſiſcher noch von deutſcher Seite, verſucht hat, der Entdeckung der Wahrheit
Hinderniſſe in den Weg zu legen. 5
Genehmigen Sie, Herr Geſchäftsträger, die Verſicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.
An
den Deutſchen Geſchäftsträger in Paris,
Herrn Dr. Mayer.
gez. Maurice Herbette.
Nr. 221.
Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung
vom 8. März 1921.
e e e Paris, den 8. März 1921.
Herr Miniſterpräſident!
Unter Bezugnahme auf Euerer Exzellenz Note vom 25. September v. J. beehre
ich mich im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz mitzuteilen, daß dieſelbe
davon Kenntnis genommen hat, daß trotz der durch den Herrn Kriegsminiſter ange—
ordneten Unterſuchung der Angehörige der franzöſiſchen Beſatzungstruppen, der im
Dezember 1918 bei Heinitz die Studentin Marie Schnuer überfallen und mit dem
Seitengewehr geſtochen hat, ſo daß ſie bald darauf ihren Verletzungen erlag, nicht
hat ermittelt werden können.
Wenn der Täter infolgedeſſen nicht zur Verantwortung gezogen werden kann,
ſo dürfte doch die völkerrechtliche Haftung der Franzöſiſchen Regierung für die Hand—
lungen von Angehörigen ihrer Beſatzungstruppen fortbeſtehen. Dementſprechend beehre
3
ich mich den Wunſch meiner Regierung Euerer Exzellenz ergebenſt zu übermitteln, die
Franzöſiſche Regierung möge zur Sühne für das begangene Verbrechen den Hinter—
bliebenen des Fräulein Marie Schnuer eine angemeſſene Entſchädigung gewähren.
Die Feſtſetzung der Höhe derſelben glaubt die Deutſche Regierung dem billigen Ermeſſen
der Franzöſiſchen Regierung überlaſſen zu ſollen.
Bezüglich des Punktes 3 der Note Euerer Exzellenz, betreffend den in ſeinen
Angaben nicht genauen Funkſpruch der Station Nauen vom 12. W 1919, beehre
ich mich auftragsgemäß noch folgendes zu bemerken:
Der Funkſpruch enthielt die Angabe, daß in Saarbrücken eine Studentin aus
Heidelberg namens Schütz ermordet worden ſei und daß ein anderes Mädchen ſo
ſchwere Mißhandlungen erlitten habe, daß es nachträglich daran geſtorben ſei. Der
Landrat in Saarbrücken hat in ſeiner Eigenſchaft als Polizeidirektor auf eine von
dem General Fayolle an ihn gerichtete Anfrage damals lediglich erklärt, daß nach
den von ihm eingezogenen Erkundigungen es in Saarbrücken ein Fräulein Schütz,
welches von franzöſiſchen Soldaten mißhandelt und getötet worden ſei, nicht gäbe,
und daß demgemäß die Angaben des Funkſpruchs den Tatſachen nicht entſprechen
könnten. Dieſe Erklärung bezog ſich offenbar nur auf die Stadt Saarbrücken und
konnte ſich nur auf dieſe beziehen, mithin konnten aus ihr keinerlei Schlußfolgerungen
darüber gezogen werden, ob im Kreiſe Saarbrücken Gewalttaten überhaupt nicht vor⸗
gekommen ſeien, wie es die Franzöſiſche Regierung zur Belegung des von ihr der
Preſſe mitgeteilten Dementis getan hat. Wenn die Deutſche Regierung auch bedauert,
daß durch den Funkfpruch, für den ſie nicht verantwortlich iſt, unrichtige Angaben ver⸗
breitet worden ſind, ſo vermag ſie doch den Ausführungen der angeführten Note
darin nicht vollſtändig zu folgen, daß dieſem Funkſpruch für die Frage der Auf-
klärung und der weiteren Behandlung des Falles der Ermordung von Fräulein
Schnuer irgendeine Bedeutung zukommen könnte.
Genehmigen Sie, Herr Miniſterpräſident, den Ausdruck meiner ausgezeichnetſten
Hochachtung.
gez. Dr. Mayer.
Seiner Exzellenz
dem Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten,
Herrn Briand,
Paris.
Nr. 222.
Note der franzöſiſchen Regierung an die deutſche DONE in Paris
vom 25. April 1921.
(berſetzung.)
Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten.
Politiſche Abteilung.
Betrifft:
Überfall auf Fräulein Maria Schnuer
bei Saarbrücken.
Herr Botſchafter! | |
Durch ein Schreiben vom 8. März d. J. haben Sie den Wunſch ausgeſprochen,
die Franzöſiſche Regierung möge der Familie des Fräulein Maria Schnuer, die am
20. Dezember 1918 bei Heinitz von einem die franzöſiſche Militäruniform tragenden
Individuum angegriffen und am folgenden Tage an den Folgen ihrer Verwundungen
geſtorben iſt, eine Entſchädigung gewähren.
Paris, den 25. April 1921.
— 349 —
Gleich nach dem Überfall wurde eine Unterſuchung ſeitens der franzöſiſchen
Militärbehörde im Dezember 1918 eingeleitet; ſie führte nicht zur Entdeckung der
Schuldigen; eine zweite Unterſuchung im Januar und Februar 1920 hatte ebenſo wie
die Nachforſchungen der deutſchen Polizei kein beſſeres Ergebnis; der Urheber des
Verbrechens iſt unbekannt geblieben. Immerhin iſt, da es nicht bewieſen werden
konnte, daß der Angreifer kein franzöſiſcher Soldat geweſen iſt, die Regierung der
Republik bereit, eine Summe von 40 000 Mark als Entſchädigung an die Familie des
Opfers jenes Verbrechens zu bewilligen.
Genehmigen Sie, Herr Botſchafter, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten
Hochachtung.
Für den Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten.
Der ee Miniſter und Direktor der politſchen und Handelsabteilung.
gez. E. de Peretti della Rocca.
An
Seine Exzellenz Herrn Dr. Mayer,
Deutſcher Botſchafter,
Paris.
Nr. 223.
Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung
vom 22. Mai 1921.
Deutſche Botſchaft in Frankreich. Paris, den 22. Mai 1921.
J. Nr. 2023.
Herr Miniſterpräſident!
In Beantwortung Ihres Schreibens vom 25. April 1921 in der Angelegenheit
des verſtorbenen Fräuleins Marie Schnuer beehre ich mich Euerer Exzellenz mitzuteilen,
daß meine Regierung davon Kenntnis genommen hat, daß die Franzöſiſche Regierung
bereit iſt, der Familie der erwähnten jungen Deutſchen die Summe von 40000 Mark
als Entſchädigung zu bewilligen.
Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich Euere Exzellenz zu bitten, die
zuſtändigen Behörden gütigſt anweiſen zu wollen, das Geld zwecks Weiterleitung an
die Angehörigen des Opfers an die Deutſche Botſchaft zu zahlen.
Genehmigen Sie, Herr Miniſterpräſident, den Ausdruck meiner ausgezeichnetſten
Hochachtung.
gez. Dr. Mayer.
Seiner Exzellenz
dem Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten,
Herrn Briand,
Paris.
XX.
Verſchiedenes.
Nr. 224.
Erlaß des franzöſiſchen Militärverwalters im Saargebiet über den
Ausdruck „Boche“ uſw.
(berſetzung.)
Saarbrücken, den 10. Mai 1919.
Seit der Veröffentlichung der Friedensbedingungen werden die Bewohner des
Saargebiets nicht mehr als Feinde betrachtet. Infolgedeſſen erſtreckt ſich
J. die Bezeichnung »Boches« nur auf die Preußen und die Deutſchen, die
außerhalb des Saargebiets wohnen.
2. Das Verhalten des Militärs auf den Straßen muß korrekt bleiben und
aufhören anſpruchsvoll zu ſein.
3. Die Weiden in der Umgebung der Garniſonen dürfen nicht mehr im Wege
der Requiſition benutzt werden.
4. Das für Offiziere beſtehende Verbot, an Eſſen bei den Einwohnern teilzu⸗
zunehmen oder Beſuche zu machen, wird aufgehoben.
gez. Andlauer.
Nr. 225.
Ausweiſung des preußiſchen Landrats von Saarbrücken.
a. Note des Generals Nudant vom 7. Dezember 1919.
(berſetzung.)
„ Köln, den 7. Dezember 1919.
Nr. 2083/6.
General Nudant, Präſident der interalliierten Waffenſtillſtandskommiſſion
an
den Präſidenten der deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion.
Der Oberbefehlshaber der alliierten Armeen Marſchall Foch drahtet am 7. De-
zember unter Nr. 5594:
»Mit Rückſicht auf ihre Haltung während der Unruhen in Saarbrücken
im Monat Oktober habe ich folgende Strafmaßnahmen gegen Beamte des
Saargebiets ergriffen:
1. Entfernung aus dem Amt und Ausweiſung aus dem beſetzten Gebiet
gegen den Landrat von Saarbrücken von Halfern und den ihm zugeteilten
Aſſeſſor von Salmuth;
2. Verbot der Einreiſe in das beſetzte deutſche Gebiet ohne Genehmigung
bei Strafe der Verhaftung gegen Braun von Stumm;
3. Herr Eſſer iſt dazu beſtimmt worden, an die Stelle von Halfern als
Landrat von Saarbrücken-Land zu treten. Ihm wird das Agreément
als Verwaltungspräſident erteilt werden, wenn die deutſche Regierung
es vorſchlägt«.
Ich bitte Sie, mir baldmöglichſt die Antwort der deutſchen Regierung hinſichtlich
des §3 mitzuteilen.
Im Auftrage
(L. S.) gez. Daniel.
— 351 —
b. Note der deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion vom 4. Januar 1920.
Deutſche Waffenſtillſtandskommiſſion.
Der Vertreter der Deutſchen Regierung
an
den Vorſitzenden der interalliierten Waffenſtillſtandskommiſſion.
Die Deutſche Regierung hat aus der Note vom 7. Dezember entnommen, daß
es der Oberſtkommandierende der alliierten Heere für nötig befunden hat, den Ver—
waltungspräſidenten in Saarbrücken von Halfern und den ihm zugeteilten Regierungs—
aſſeſſor von Salmuth von ihren Poſten zu entfernen und aus dem beſetzten Gebiet
auszuweiſen. Weiter hat er dem Herrn Braun von Stumm bei Strafe der Ver-
haftung verboten, ohne Genehmigung in das beſetzte deutſche Gebiet einzureiſen. Als
Grund für dieſe Maßregeln hat Marſchall Foch die Haltung dieſer Herren während
der Unruhen in Saarbrücken in den erſten Tagen des letzten Oktobers angegeben.
Die Deutſche Regierung vermag nicht anzuerkennen, daß die Beſtimmungen des
Waffenſtillſtandsvertrages dem Militärbefehlshaber der alliierten und affoziierten Mächte
überhaupt ein Recht dazu geben, deutſche Beamte von ihrem Poſten zu entheben oder
Reichsangehörige aus den beſetzten Gebieten auszuweiſen. Davon abgeſehen, muß die
Deutſche Regierung aber beſonders ihrem Befremden darüber Ausdruck geben, daß
der Oberſtkommandierende der alliierten Heere auf Ereigniſſe zurückkommt, die bereits
Monate lang zurückliegen und ein Verhalten mißbilligt, das — inſofern die Herren
von Halfern und von Salmuth in Frage kommen — von dem bisherigen Leiter der
franzöſiſchen Militärverwaltung in Saarbrücken, der jene Ereigniſſe aus eigener An—
ſchauung kannte, nicht nur nicht getadelt, ſondern als richtig anerkannt worden iſt.
Das Vorgehen gegen den Verwaltungspräſidenten erſcheint um weniger verſtändlich,
als Herr von Halfern ſich des uneingeſchränkten Vertrauens aller Bevölkerungskreiſe,
aller politiſchen Parteien im Saargebiete erfreut und ſtets im beſten Einvernehmen
mit den Beſatzungsbehörden geſtanden hat. f
Dazu kommt noch, daß er aus den rheiniſchen Gebieten ſelbſt ſtammt und daß
keine Perſönlichkeit vorhanden iſt, die neben dem Vertrauen der Bevölkerung die
langjährige Erfahrung des Herrn von Halfern und ſeine genaue Kenntnis der Be—
dürfniſſe und aller Verhältniſſe des Saarbeckens beſitzt. Ein vollwertiger Erſatz für
Herrn von Halfern kann nicht gefunden werden, und ſeine Entfernung ſchädigt ſomit
auf das ſchwerſte die Intereſſen der Saarbevölkerung, deren ſorgfältige Wahrung
die alliierten und aſſoziierten Mächte ausdrücklich verſprochen haben.
Was den Herrn Braun von Stumm anbelangt, ſo hat ſich dieſer in Begleitung
ſeiner Gattin aus rein privaten Gründen nach dem Saargebiet begeben, wo ſein ge—
ſamtes Vermögen inveſtiert iſt. Die vorſchriftsmäßige Genehmigung zur Einreiſe in
das beſetzte Gebiet hatte er vorher eingeholt und erhalten. Mit den in Saarbrücken
ausgebrochenen Unruhen hat er nicht das Geringſte zu tun gehabt.
Die Deutſche Regierung muß feierlich Verwahrung gegen die angeordneten
Maßregeln einlegen und gibt der Erwartung Ausdruck, daß die Angelegenheit einer
neuen Prüfung unterzogen wird und daß die getroffene Verfügung zurückgenommen
werden wird.
Die Deutſche Regierung kann weiter die Art und Weiſe nicht mit Stillſchweigen
übergehen, in der die Ausweiſung der Herren von Halfern und von Salmuth zur
Ausführung gebracht worden iſt. Beide ſind um 5 Uhr morgens aus den Betten
geholt und nach Gewährung einer kaum zweiſtündigen Friſt zur Ordnung ihrer Ange—
legenheiten über den Rhein abgeſchoben worden. Ein derartiges ſchroffes Vorgehen
erſcheint der Deutſchen Regierung durch nichts gerechtfertigt. Sie legt auch hiergegen
Verwahrung ein und gibt in der beſtimmten Annahme, daß das eingeſchlagene Ver—
fahren nicht den Abſichten des Marſchalls Foch entſpricht, der Überzeugung Ausdruck,
daß die verantwortlichen Stellen auf die unangebrachte Rückſichtsloſigkeit ihres Vor—
gehens werden hingewieſen werden.
— 352 —
Die Deutſche Regierung glaubt endlich auch dieſen Anlaß nicht vorübergehen
laſſen zu dürfen, ohne erneut und ernſtlich auf die ſchwere Schädigung hinzuweiſen,
die der deutſchen Verwaltung der beſetzten rheiniſchen Gebiete durch die fortgeſetzten
Entfernungen von wichtigen Beamten zugefügt wird, ein Verfahren, das binnen
kurzem zu einem völligen Zuſammenbruche dieſer Verwaltung führen muß. Die
Deutſche Regierung behält ſich vor, auf dieſe Verhältniſſe in einem anderen Zu-
ſammenhange zurückzukommen. |
Die Preußiſche Regierung hat mitgeteilt, daß fie ſchon deshalb nicht in der
Lage iſt, den Miniſterialdirektor Eſſer zum Landrat und Verwaltungspräſidenten in
Saarbrücken zu ernennen, weil ſie die Verwendung dieſes Beamten auf einem anderen
Poſten in Ausſicht genommen hat. Sie rechnet mit einer Reviſion der Verfügung
des Marſchalls Foch und behält ſich die Entſcheidung über die zeitweilige Verwaltung
des Landratsamtes Saarbrücken-Land vor.
Es verſteht ſich im übrigen nach Anſicht der Deutſchen Regierung von ſelbſt,
daß die Verfügung des Marſchalls Foch, wenn ſie etwa jetzt nicht ſchon wieder auf—
gehoben werden ſollte, ihre Wirkſamkeit mit dem Inkrafttreten des Friedensvertrages
verlieren würde.
Düſſeldorf, den 4. Januar 1920.
gez. Weiß.
(Die Note iſt ohne Antwort geblieben.)
Nr. 226.
Wortlaut eines nach Inkrafttreten des Friedensvertrags erlaſſenen
Ausweiſungsbefehls der Militärbehörde.
Oberſte Militärverwaltung der Saar.
Etat Major, 2 Büro O. G., den . . . . Februar 1920.
Men.
In Anbetracht, daß der genannte. ...... „wohnhaft inn 1 ſtraße ...,
ſich aktiv beteiligt in einer Werbung gegen die öffentliche Ordnung.
Geſehen die Note 562 I C. R. vom Marſchall und Chef der Verbündeten Armee
iſt beſchloſſen in der Konferenz
Verordnung.
Artikel Li, Der genannte iſt ausgewieſen aus dem Gebiet der ver—
bündeten Armeen.
Artikel II. Der Kommandant der Prévöôté und der Militärverwalter von
i ſind beauftragt beim Eintreffen dieſer Verordnung dieſelbe zu vollſtrecken.
gez. Wirbel.
Nr. 227.
Belagerungszuſtand zwecks Sicherung des Eiſenbahnbetriebs.
a. Verordnung, betreffend Sicherung des Eiſenbahnbetriebs. |
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets Nr. 2 vom 1. Mai 1920.)
Die Regierungskommiſſion des Saargebiets verordnet gemäß der Verfügung vom
28. Februar 1920, betreffend die Eiſenbahn⸗Direktion in Saarbrücken (vgl. Amtsblatt
Stück 1, Nr. 16), in Anbetracht der Notwendigkeit, das wirtſchaftliche Leben im Saar⸗
gebiet ſicherzuſtellen,
auf Grund des Artikels 7 der Anlage zu Abteilung IV (Teil III) des Friedens-
vertrags,
— 353 —
mit Rückſicht auf die Notwendigkeit, jederzeit die Verbindungslinien der interalliierten
Heere zu ſichern, was nur vermittels der Eiſenbahn des Saargebiets geſchehen kann:
.
Der Belagerungszuſtand kann verhängt werden, um den normalen Betrieb der
Eiſenbahn zu ſichern.
8 2.
In dieſem Falle übernimmt die Eiſenbahnkommiſſion von Saarbrücken unter dem
Militärkommiſſar im Namen der Regierung die Direktion der Eiſenbahnen.
Das Zivilperſonal der Eiſenbahn wird requiriert und unterſteht allen Befehlen
und Anordnungen derjenigen Behörde, die im Falle des Belagerungszuſtandes mit der
Aufrechterhaltung der Ordnung beauftragt iſt.
Saarbrücken, den 23. April 1920.
Im Namen der Regierungskommiſſion des Saargebiets:
gez. V. Rault, Staatsrat.
b. Note des Reichskomiſſars für die Übergabe des Saargebiets an die
Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 11. Mai 1920.
Der Oberpräſident der Rheinprovinz
als Reichskommiſſar für die Übergabe
des Saargebiets.
Nr. S. 321.
| Herr Präſident!
Die Regierungskommiſſion hat unter dem 23. April d. J. eine Verordnung
erlaſſen, die die Verhängung des Belagerungszuſtandes zur Sicherung des normalen
Betriebes der Eiſenbahn vorſieht. Dieſe Verordnung iſt geſtützt auf Artikel ($) 7 der
Anlage zu Abſchnitt IV Teil III des Friedensvertrags, wo beſtimmt iſt, daß das für
die Forträumung und Beförderung der aus den Bergwerken und ihren Nebenanlagen
gewonnenen Erzeugniſſen ſowie das für die Beförderung der Arbeiter und Angeſtellten
erforderliche Material und Perſonal von der Eiſenbahnverwaltung des Beckens geſtellt
wird. Trotzdem die Verordnung ſich ausdrücklich auf dieſe Beſtimmung des Friedens—
vertrags bezieht, iſt ihr Zweck nicht etwa die Sicherſtellung des Güter- und Perſonen—
verkehrs der Gruben, ſondern, wie ausdrücklich ausgeſprochen wird, die Sicherung der
Verbindungslinien der interalliierten Heere, alſo eine militäriſche Maßnahme.
Ich glaube, keine Ausführungen darüber machen zu brauchen, daß die gewählte
geſetzliche Grundlage weder mit dem verfolgten Zweck noch mit dem in Ausſicht ge—
nommenen Mittel, der Verhängung des Belagerungszuſtandes, in Einklang ſteht, und
daß daher die erwähnte Verordnung ſchon aus dieſem Geſichtspunkte rechtlich nicht
haltbar iſt. Die Verordnung ſieht aber weiter im § 2 für den Fall des Belagerungs—
zuſtandes die Übernahme der Leitung der Eiſenbahnen durch die Eiſenbahnkommiſſion
von Saarbrücken unter dem Militärkommiſſar und die Requirierung des Zivilperſonals
der Eiſenbahn vor. Da eine andere geſetzliche Grundlage. als die oben erwähnte hier—
für nicht ausgeführt iſt, auch meines Wiſſens nicht in Frage kommen en zumal
nach Ihren eigenen Erklärungen in der Beſprechung zu Trier am 22. März d. J. die
militäriſche Beſetzung und Verwaltung des Saargebiets von Rechts wegen aufgehört
hat zu beſtehen, ſo entbehren auch dieſe weiteren Anordnungen der geſetzlichen Be—
gründung und Rechtswirkſamkeit.
In meiner Eigenſchaft als Kommiſſar für die Übergabe des Saargebiets darf
ich nicht unterlaſſen, Sie darauf aufmerkſam zu machen, daß jedenfalls eine Inanſpruch—
nahme der Eiſenbahnbeamten im Sinne der Verordnung der Regierungskommiſſion
mit den für ihre Rechtsverhältniſſe maßgebenden deutſchen Geſetzen nicht zu verein—
baren iſt, da dem deutſchen Recht eine Requirierung von Perſonen überhaupt un—
bekannt iſt. Die deutſcherſeits für den Kriegszuſtand getroffenen Ausnahmebeſtimmungen
Coblenz, den 11. Mai 1920.
— 354 —
finden gemäß § 23 Abf. I der Anlage zu Artikel 50 des Friedensvertrags auf das
Saargebiet keine Anwendung, und gemäß § 30 der Anlage findet im Saargebiet
keinerlei Militärdienſt ſtatt.
Ich ſehe mich daher veranlaßt, gegen die gegebenenfalls beabſichtigte Verwendung
des Eiſenbahnperſonals und ſeine Unterſtellung unter eine fremde Militärgewalt nach—
drücklichſt Einſpruch zu erheben.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch—
achtung.
gez. von Groote.
An |
den Präſidenten der Regierungskommiſſion für das Saargebiet,
Herrn Staatsrat Rault,
Hochwohlgeboren,
Saarbrücken.
(Die Note iſt ohne Antwort geblieben.)
Nr. 228. |
Grundſätze für die Berichterſtattung der Regierungskommiſſion des
Saargebiets an den Völkerbundsrat.
a. Schreiben des Präſidenten der Regierungskommiſſion des
Saargebiets an den Generalſekretär des Völkerbundes.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 5 vom 26. Juni 1920.)
Herr Generalſekretär! ei; |
In dem vom Rat des Völkerbundes am 13. Februar 1920 angenommenen und
für die Regierungskommiſſion des Saargebiets beſtimmten Inſtruktionen, wird die
Regierungskommiſſion gemäß § 8 erſucht, dem Rate des Völkerbundes Vorſchläge zu
machen in bezug auf Form und Umfang der zu erſtattenden Berichte.
Die Regierungskommiſſion teilt die Anſicht, daß ſie voll und ganz dem Wunſche
des vollziehenden Rates entſpricht, wenn ſie ihm periodiſche Berichte erſtattet mit dem
Geſamtbild der wirtſchaftlichen und politiſchen Lage des Saargebiets mit den ſeitens
der Regierungskommiſſion ergriffenen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung
und Wohlfahrt der ihr anvertrauten Bevölkerung.
So würde der vollziehende Rat ſtets über das von der Regierungskommiſſion
Geleiſtete unterrichtet ſein und ſich von dem Geiſt überzeugen können, der ſie beſeelt.
Dieſe Berichte würden weder die Einzelheiten der Verhaltung noch die allgemeinen
Fragen berühren, über die zu entſcheiden, nur der Präſident und die Regierungs-
mitglieder berufen ſind in Anbetracht ihrer ſteten Berührung mit der Bevölkerung
und ihrer Verantwortung.
Die Regierungskommiſſion erachtet es für notwendig, zu Beginn eines jeden
Monats, einen Bericht zu verfaſſen, wenigſtens während der Einrichtungsperiode der
Regierungskommiſſion und ſolange das Saargebiet keine feſte Verwaltung hat. In
Zukunft wird man ſich wohl auf einen vierteljährlichen Bericht beſchränken können ).
Sollte es ſich einmal um ein außerordentliches Ereignis oder um einen wichtigen
Entſchluß handeln, ſo würde die Regierungskommiſſion unverzüglich eine beſondere Note,
in dringenden Fällen telegraphiſch, an den Generalſekretär des Völkerbundes richten.
Schließlich wird vielleicht die Erfahrung es zur Notwendigkeit machen, die Berichte
auch mündlich zu vervollſtändigen, ſei es durch den Präſidenten, ſei es durch ein dazu
beſtimmtes Mitglied der Regierungskommiſſion, das ſich dann zum Sitze des Völker—
1) Die erſten 4 Berichte der Regierungskommiſſion find monatlich, die ſpäteren vierteljährlich erſtattet
worden. Die bis Anfang Oktober 1921 veröffentlichten Berichte datieren vom 25. März 1920, 1. Mai 1920,
1. Juni 1920, 1. Juli 1920, 25. Oktober 1920, 25. Januar 1921, 12. Mai 1921 und 1. Auguſt 1921.
„ 4
bundes begeben würde. Dies find die Vorſchläge, welche die Regierungskommiſſion
ſich durch ihre Vermittlung dem Vollziehenden Rat des Völkerbundes zu unterbreiten
beehrt, mit der Bitte, eine diesbezügliche Beratung herbeiführen zu wollen.
Bitte Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär den Ausdruck meiner vorzüglichen
Hochachtung.
Saarbrücken, den 26. Februar 1920.
Im Namen der Regierungskommiſſion.
Der Präſident:
gez. V. Rault, Staatsrat.
b. Schreiben des Generalſekretärs des Völkerbundes an den Prä—
fidenten der Regierungskommiſſion des Saargebiets.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 5 vom 26. Juni 1920.)
Sunderland Houſe Curzon Street, W I, 25. Mai 1920.
Herr Präſident!
In Beantwortung Ihres Briefes vom 26. Februar 1920, betreffend Form und
und Umfang der Berichte, die die Regierungskommiſſion an den Rat des Völker—
bundes zu richten hat, beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß eine Abſchrift Ihres
Briefes den Mitgliedern des Rates des Völkerbundes zugegangen iſt. Dieſer Abſchrift
aM als Projekt anliegender Brief beigegeben, der die Billigung der Ratsmitglieder
fand.
Im großen ganzen ſtimme ich Ihren Vorſchlägen bei.
Geſtatten Sie, daß ich nachträglich einige Bemerkungen mache.
Der Organiſierende Ausſchuß des Völkerbundes hat in ſeiner Sitzung vom
9. Juni 1919 in Paris folgenden Beſchluß gefaßt:
»Es wird von weſentlicher Bedeutung ſein, daß der Völkerbund möglichſt genau
und möglichſt ſchnell von allen politiſchen, wirtſchaftlichen, finanziellen, ſozialen und
anderen Ereigniſſen, die auf der ganzen Welt von Intereſſe für Sie ſein können in
Kenntnis geſetzt und auf dem Laufenden gehalten wird.« Dieſer Beſchluß gilt für
das Saarbecken.
Die Berichte der Kommiſſion würden nicht nicht nur den Rat auf dem Laufenden
halten, ſondern weiter zur Bildung einer für das Internationale Sekretariat ſehr wert—
volle Dokomentierung beitragen. Zu dieſem Zwecke erachte ich es für notwendig, daß
dieſen Berichten der authentiſche Text der Beſchlüſſe der Regierungskommiſſion beige—
fügt würden, in bezug auf politiſche, wirtſchaftliche, finanzielle, ſoziale und andere
Ereigniſſe, die für den Völkerbund von Intereſſe fein können; es könnten auch alle
offiziellen Bekanntmachungen der Regierungskommiſſion beigegeben werden.
Alle Berichte der Regierungskommiſſion ſind an den Generalſekretär des Völker—
bundes zu richten. Die periodiſchen Berichte werden durch den Generalſekretär zur
Kenntnis der Mitglieder des Völkerbundes gebracht. Was die Beilagen betrifft, ſo
werden ſie zum Teil oder ganz bekanntgegeben, wenn die Regierungskommiſſion es
ausdrücklich wünſcht oder wenn der Generalſekretär es für nützlich erachtet. Die für
die Beilagen in Anwendung kommende Regel wird auch auf alle ſonſtigen Berichte
der Regierungskommiſſion übertragen werden.
Beim Verfaſſen der Regierungsberichte muß ſtets einer möglichen Veröffentlichung
Rechnung getragen werden. Falls die Regierungskommiſſion die Anſicht vertreten
ſollte, ein Fall oder ein Meinungsausſpruch dürfte nicht ſofort der Offentlichkeit preis-
gegeben werden, ſo könnte die Regierungskommiſſion dieſe Tatſache oder Meinung in
einem Sonderberichte zum Ausdruck bringen, der als »Vertraulich« vermerkt würde.
Trotzdem könnte der Völkerbund dieſen Bericht veröffentlichen, wenn er es für gut fände.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſichekung meiner vorzüglichen Hoch—
achtung.
gez. Erik Drummond, Generalſekretär.
— 356 —
Nr. 229.
Schreiben des Generalſekretärs des Völkerbundes an den Präſidenten
der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die Behandlung
von Eingaben von Bewohnern des Saargebiets an den Völkerbund.
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 5 vom 26. Juni 1920.)
Sunderland Houſe, Curzon Street,
League of Nations. London, den 25. Mai 1920.
Herr Präſident!
Der Anwaltsverein von Saarbrücken hat an mich ein Geſuch gerichtet, das für
den Rat des Völkerbundes beſtimmt war. Ich erlaube mir, Ihnen eine Abſchrift
dieſer Zuſchrift zukommen zu laſſen.
In Befolgung der Vorſchriften des Rates des Völkerbundes erlaube ich mir,
der Regierungskommiſſion mitzuteilen, daß ſämtliche Geſuche der Saarländer an den
Völkerbund der Regierungskommiſſion unterbreitet werden müſſen. Die Regierungs⸗
kommiſſion wird ſie dann mit oder ohne Bemerkung an den Generalſekretär zur
Vorlage an den Rat übermitteln.
Ich bitte Sie, Vorſtehendes zur Kenntnis des Anwaltsvereins von Saarbrücken
bringen zu wollen.
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner Hochachtung.
gez. Erik Drummond, Generalſekretär.
Nr. 230.
Auszug aus einem Bericht des franzöſiſchen Abgeordneten Fernand
Engerand über den Erwerb der Kohlengruben des Saargebiets durch
Frankreich.
Am 27. Dezember 1919 hat die franzöſiſche Regierung
in der franzöſiſchen Kammer einen Geſetzentwurf über die
Schaffung eines „Office des mines domaniales de la Sarre“
eingebracht. Dieſer Entwurf hat zu verfchiedenen, eingehen-
den Berichten in der franzöſiſchen Kammer Anlaß gegeben.
Der ausführlichſte Bericht iſt erſtattet worden von dem Ab—
geordneten Fernand Engerand, dem Vizepräſidenten der zur
Prüfung des Geſetzentmurfs eingeſetzten Sonderkommiſſion.
Aus dieſem Bericht (Druckſachen der franzöſiſchen Kammer
außerordentliche Seſſion 1920, Nr. 1535) ſind im folgenden
einige Seiten wiedergegeben.
(berſetzung.)
(S. ff.) Das Saargebiet iſt für Frankreich einer der anſehnlichſten Vorteile des
Vertrags von Verſailles. Elſaß-Lothringen iſt eine Rückgabe. Wenn wir nicht wieder
in den Beſitz dieſes Saarkohlenbeckens geſetzt worden wären, das vom Jahre 1806
ab unſere franzöſiſchen Ingenieure geologiſch aufnahmen und erſchloſſen, wenn der
lothringiſche Teil des Saargebiets nicht zum Gegenſtand eines fein künftiges Schickſal
vorbehaltenden Statuts gemacht worden wäre, ſo hätte ſich das ſiegreiche Frankreich
von 1919 hinſichtlich ſeiner Grenzen gezwungen geſehen, ein zweites Mal ſeine Unter⸗
ſchrift unter die Verträge von, 1815 zu ſetzen und die Minderungen ſeiner Grenzen
zuzugeſtehen, die ihm im Jahre 1815 als eine Strafe auferlegt wurden.
Der Vertrag von Verſailles vom 28. Juni 1919 bezeichnet mit dem Wort
»Saarbecken« die von preußiſchem Gebiet abgetrennte Gegend Lothringens und ſtellt
— 357 —
in ſeinem Artikel 45 den Grundſatz auf, daß »Deutſchland als Erſatz für die Zerſtörung
der Kohlengruben in Nordfrankreich und als Anzahlung auf die von ihm geſchuldete
Reparation der Kriegsſchäden das volle und unbeſchränkte, völlig ſchulden- und laſten—
freie Eigentum an den Kohlengruben im Saarbecken mit dem ausſchließlichen Aus—
beutungsrecht an Frankreich abtritt«.
Wir haben das Recht und die Pflicht, ſowohl dieſe Bezeichnung wie den für
die Abtretung des Eigentums angegebenen Grund zu beſtreiten.
Die Bezeichnung »Saarbecken«, die dem Saarſtaat gegeben wird, iſt eine fla—
grante Ungenauigkeit; das Kohlenbecken umfaßt weniger als die Hälfte des Gebiets
des Saarſtaats und ſetzt ſich jenſeits ſeiner Grenzen in dem desannektierten Lothringen
bis Pont⸗äà⸗Mouſſon fort. Wie konnte man einen ſolchen Fehler im Ausdruck begehen,
der der Vorſtellung Raum geben kann, als ob die Gruben als die Hauptſache und
die Bevölkerung als die Nebenſache angeſehen wurden?
Nicht weniger beſtreitbar iſt der angegebene Grund für die Abtretung des Eigen—
tums an den Saarkohlengruben an Frankreich: »Ein Erſatz für die Zerſtörung der
Kohlengruben in Nordfrankreich«. Wir können hierin nur einen politischen Vorwand
erblicken, um unſere Verbündeten zu dieſer Entſcheidung zu bringen; in Wirklichkeit
hatten und haben wir geſchichtliche Rechte, die die Ratifikation des Friedensvertrags
nicht vernichten kann und die das franzöſiſche Parlament nicht verjähren laſſen darf.
Der Hauptzweck dieſes Berichts iſt, dieſe Rechte ausdrücklich in Erinnerung zu
bringen.
Die Saargegend bildet einen Teil unſeres Lothringens; ein Teil davon war ſogar
zwei Jahrhunderte lang franzöſiſch. Saarlouis wurde von Ludwig XIV. gegründet.
Es war die Geburtsſtadt des Marſchalls Ney. Im Jahre 1815 gab die Loslöſung
dieſer grundfranzöſiſchen Gebiete von Frankreich Veranlaſſung zu pathetiſchen und
tragischen Zwiſchenfällen, und wenn nach 1815 ein Deroulĩde ſich gefunden hätte,
um die Verjährung dieſer moraliſchen Rechte zu verhindern, ſo hätte die Rückgabe
des Saargebiets nicht aufgehört, eine unſerer größten nationalen Forderungen zu ſein.
Im Saarbecken ſelbſt kann Frankreich ganz beſtimmte materielle und juridiſche
Rechte geltend machen, deren wichtigſte das Recht des Entdeckers iſt. Es waren
Ingenieure des franzöſiſchen Staats, die für den franzöſiſchen Staat die wahren
Entdecker des Kohlenbeckens an der Saar waren, und es erſcheint nicht überflüſſig zu
erwähnen, daß bis auf unſere Tage das deutſche Recht die Bodenſchätze dem Ent—
decker zuſprach. f
Das Saarkohlenbecken iſt außerordentlich reich; deutſche Techniker haben ſeine
Reſerven ſogar auf das Doppelte unſerer Kohlengruben im Département du Nord
und im Departement Pas-de-Calais geſchätzt; ſicherlich liegt in dieſen Annahmen eine
Übertreibung, trotz allem aber kann man ſagen, daß das Saarbecken in bezug auf
den Beſitz an Kohle ein ausgeſuchtes Stück darſtellt.
Es iſt von dem preußiſchen Fiskus, dem es faſt vollſtändig gehörte, nur wenig
ausgebeutet worden, auch hat dieſer die Ausbeutung nur auf einem kleinen Teil be—
trieben. Die Ausbeutung wird alſo notwendigerweiſe ausgedehnt werden, und das
für das Saarbecken vorgeſehene Statut muß dieſe Ausdehnung ermutigen und begünſtigen.
Die preußiſche Ausbeutung des Saarbeckens war mittelmäßig und, wie wir ſehen
werden, mit Willen mittelmäßig, wahrſcheinlich in der Abſicht, die Konzentration einer
zu ſtarken Hütteninduſtrie in einem Grenzgebiet zu verhindern, eine Konzentration, die
doch durch das Nebeneinander von Eiſen, Erz, Kohle und Flußverkehrswegen wie
Moſel und Saar, deren Kanaliſierung den Zugang zum Rhein ermöglicht hätte, er—
leichtert worden wäre.
Hier wird alſo vom franzöſiſchen Standpunkt aus eine wirtſchaftliche Sonder:
politik zu beginnen und zu verfolgen ſein.
Das Saarbecken kann eine große Zukunft haben. Wenn die Saargruben unſeren
Hüttenwerken in Lothringen den benötigten Koks liefern, müſſen ſie eine bemerkenswerte
Senkung des Selbſtkoſtenpreiſes und demnach des Preiſes für Gußeiſen und Stahl
— 358 —
herbeiführen. Als Verſorger des Saargebiets, der umliegenden Gebiete, des linken
Rheinufers und zum Teil auch der Schweiz beſitzen dieſe Gruben eine politiſche
Bedeutung und ſind berufen, eines der wirkſamſten und legitimſten Mittel des franzöſiſchen
Einfluſſes in den Rheinlanden zu bilden.
Dieſe doppelte Erwägung bezeichnet die ganze Bedeutung des Entwurfs, der
Ihnen vorgelegt iſt; in einer Frage dieſer Art darf man nicht leichthin Geſetze erlaſſen,
noch ſie zum Gegenſtand ſozialer oder wirtſchaftlicher Verſuche machen. 5
Es darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß von dem Regime, das den
Saargruben gegeben werden wird, und von der Politik, die wir dort befolgen werden,
zum großen Teil der Ausfall der Volksabſtimmung abhängen wird, durch die die
Bevölkerung im Jahre 1934 ſich über ihr Schickſal ausſprechen ſoll.
Mit einem tiefen und immer wahren Wort hat Albert Sorel den Charakter
dieſer Länder der rheiniſchen Mark gekennzeichnet: »Sie beurteilen die Regierungen nach
ihren Taten; die Macht, die ihr Los verbeſſert und ſie am günſtigſten behandelt, wird
ihre Sympathien beſitzen.«
(S. 64.) Das Saargebiet iſt, wie wir wiederholen wollen, einer der größten
Vorteile, die wir durch den Vertrag von Verſailles erhalten haben. Es iſt ein köͤſtlicher
Biſſen, der wirtſchaftlich Frankreich ergänzt und in einem Zeitraum, den zu verkürzen
in unſerer Hand liegt, unſere Abhängigkeit von England in bezug auf die Kohle
beträchtlich vermindern und vielleicht ſogar beſeitigen kann.
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(S. 94 ff.) Die Zuteilung der Saarkohlengruben an den franzöſiſchen Staat
mit der Möglichkeit eines Rückkaufs nach 15 Jahren durch Deutſchland für den Fall,
daß die Volksabſtimmung zu ſeinen Gunſten ausfallen ſollte, ergibt ſowohl unmittelbar
zu löſende Fragen materieller Art wie nationale Fragen, die das Endgeſchick dieſes
Gebiets ſelbſt betreffen. Dieſe Fragen liegen nicht nur eng nebeneinander, ſondern
durchdringen ſich gegenſeitig.
Es iſt klar, daß von der durch uns befolgten Art der Ausbeutung nicht nur die
Zukunft des Unternehmens, d. h. ein mehr oder weniger ſtarken Ertrag, ſondern auch
und vor allem die Zukunft des Saarbeckens abhängen wird, d. h. eine Heranziehung
ſeiner Bevölkerung zu Frankreich oder im gegenteiligen Falle eine Abneigung für die
franzöſiſche Ausbeutung und Verwaltung. Hier iſt die ganze Schwere des Problems
erſichtlich, vor das ſich das Parlament geſtellt ſieht. Das Saarbecken hat eine poli-
tiſche Berufung ebenſo und noch mehr als eine wirtſchaftliche. Die Gruben ſind der
Hauptfaktor für das Wohlergehen dieſes Gebiets; ſie ſind berufen, eins der großen
Einflußmittel Frankreichs im Saarlande zu werden.
Das zu errichtende Regime muß alſo vor allem dem franzöſiſchen Intereſſe
Rechnung tragen, das mit dem des Saargebiets zuſammenfällt. 5
Die Saargruben find an den franzöſiſchen Staat abgetreten worden. Der fran-
zöſiſche Staat muß die Oberhand über ihre Geſchäftsführung haben, denn hier liegt
ein nationales Intereſſe, das nur er wahrnehmen, und eine heikle Politik, die nur er
verfolgen und leiten kann. Es handelt ſich im wahren Sinne des Worts um eine
Staatsfrage.
Die Kürze des Zeitraums von 15 Jahren würde privater Initiative eine erſprieß⸗
liche Entfaltung nicht geſtatten, denn ſchon die Möglichkeit, enteignet zu werden, ſelbſt
unter Rückkaufsrecht, würde die Bemühungen und die Unternehmungsluſt von Privat⸗
perſonen lähmen. Könnte man nicht angeſichts eines ſolches Rückkaufs in beſter Ab-
ſicht Kombinationen zuſtande bringen, die nicht immer Gefahr laufen würden, als
nationale Frage behandelt zu werden? Man mag ſich dabei an die Verhältniſſe im
Becken von Briey vor dem Kriege erinnern. Die Privatintereſſen ſind die eine, das
Nationalintereſſe iſt die andere Seite der Frage. |
Eine Beteiligung des franzöſiſchen Staats iſt erforderlich, mag fie auch nur zu
dem Zweck erfolgen, um die Regierungskommiſſion des Saargebiets zu einer genauen
—
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73
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Brefolgung der Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles anzuhalten, wonach »die
Beiträge der Gruben und ihrer Nebenanlagen zu dem örtlichen Haushalt des Saar—
gebiets unter gebührender Berückſichtigung des Verhältniſſes des Wertes der Gruben
zu dem geſamten ſteuerpflichtigen Vermögen des Saarbeckens feſtgeſetzt werden.“ Dieſe
Beſtimmung kann nur durch eine Erörterung von Staat zu Staat verwirklicht werden;
private Konzeſſionsinhaber wären dabei ohnmächtig.
Die Gruben müſſen intenſiv ausgebeutet werden; ſie müſſen im Laufe des
15jährigen Zeitraumes auf das Höchſtmaß ihrer Extragsfähigkeit gebracht werden.
Es darf hier keine Politik der Zurückhaltung betrieben werden, denn jede Erhöhung
der im Saargebiet geförderten Tonnenzahl wird einer Verminderung unſerer Einfuhr
an ausländiſcher Kohle entſprechen. Die Bedeutung der Kohle kann geringer werden,
und man kann geradezu von einer in Vorbereitung befindlichen Politik in der Welt
ſprechen, die der Kohle ihren Rang als einziges Brennmaterial zu nehmen beſtrebt iſt;
ſchon gibt es Erſatzmittel, und es wird deren immer mehr geben.
Das Saarkohlenbecken vervollſtändigt das lothringiſche Eiſenerzbecken; es erſcheint
vor allem berufen, der lothringiſchen Hütteninduſtrie ihren Hüttenkoks zu liefern.
Der Koks ſpielt die Hauptrolle bei den Geſtehungskoſten für franzöſiſches Guß—
eiſen; weil der Koks teuer war, iſt in Frankreich das Gußeiſen teuer geworden.
Wenn der Preis für Hüttenkoks dadurch vermindert wird, daß er in großen Mengen
vorhanden iſt, ſo wird auch der Preis für Gußeiſen herabgemindert.
Oben iſt von den Behauptungen über die angebliche mangelnde Eignung der
Saarkohle zur Herſtellung von Hüttenkoks geſprochen worden. Dieſen Behauptungen
ſind die bewundernswerten Verſuche von Herrn Chapy gegenübergeſtellt worden, durch
die Hüttenkoks von jeder Kohle erzielt worden iſt. Dieſe Verſuche müſſen vor allem
im Saarbecken fortgeführt und induſtriell verwertet werden.
Im Jahre 1913 beſaß das Saargebiet allein ebenſo viel Koksöfen wie ganz Frank—
reich und erzeugte gleichwohl nur 2 Millionen Tonnen Hüttenkoks, während man in
Frankreich auf vier Millionen kam. Hier liegt eine beträchtliche Produktionsmöglichkeit.
Die oben wiedergegebene Note des Miniſteriuus der öffentlichen Arbeiten beweiſt, daß
die Produktion an Hüttenkoks im Saargebiet bereits 65 000 Tonnen im Monat beträgt.
Es se hierin ein intereſſanter Fingerzeig, in dem wir aber nur einen Anfang ſehen
wollen.
Das Saargebiet ſollte zum Schauplatz des Fortſchreitens der Kohlenwiſſenſchaft
werden, um der Bevölkerung zu zeigen, weſſen das franzöſiſche Genie fähig iſt. Für
dieſe Politik müſſen die öffentlichen Körperſchaften alle Mittel bereit ſtellen, denn es
handelt ſich hierbei um ihre eigene Verantwortlichkeit.
Die Note, die das Miniſterium der öffentlichen Arbeiten uns über die Ergebniſſe
der franzöſiſchen Ausbeutung der Saarkohlengruben mitgeteilt hat, iſt zweifellos er—
mutigend, und wir ſind glücklich, die von unſeren Ingenieuren — noch dazu unter
ausnahmsweiſe ungünſtigen Bedingungen — ſchon geleiſtete Arbeit feſtſtellen zu können.
Einen Tag vor den franzöſiſchen Truppen ergriff Herr Loucheur, Miniſter für
den Wiederaufbau der Induſtrie, in Saarbrücken im Namen Frankreichs Beſitz von
den Saarkohlengruben, und wenige Tage darauf waren etwa 100 von unſeren In—
enieuren zur Stelle; fie waren unter der Elite ausgewählt worden, namentlich aus
en zerſtörten Gruben von Nordfrankreich. Sie wurden ſchlecht empfangen, ließen ſich
aber dadurch nicht aus der Faſſung bringen. Nicht nur, daß die deutſchen Ingenieure
ſich weigerten, ihnen die erforderlichen Angaben zu machen, ſondern ſie führten ſie ſogar
oft irre und trieben manchmal ihre Böswilligkeit noch weiter. So wurde ihnen —
wovon die Note des Miniſteriums nicht ſpricht — eine in einem OQuerſtollen abgelagerte
Anſammlung von ſchlagenden Wettern von 3500 ebm nicht angegeben, und es war
ein reines Wunder, daß daraus nicht eine furchtbare Kataſtrophe entſtand. Unſere
Ingenieure machten ſich ſofort an die Arbeit, und noch vor der tatſächlichen Über—
nahme der Ausbeutung wußten ſie über die Kohlenlagerungen ebenſo gut Beſcheid wie
die deutſchen Ingenieure und noch beſſer.
24
RR
Eine große und glückliche Aufgabe iſt fo gelöft worden. Gegen die Ausbeutung
der Kohlenſchätze des Saargebiets durch den franzöſiſchen Staat kann man nicht die
übliche Kritik erheben, die man gewöhnlichen Staatsbetrieben angedeihen läßt und die
ſich hauptſächlich auf die tatenloſe Unintereſſiertheit des Perſonals an einer Ausbeutung BT
erſtrecken, an deren Fortſchritt es kein Intereſſe hat, da es Beamte find, die eine
Aufgabe lediglich zur Befriedigung ihres Gewiſſens und ohne Hoffnung, ihre Ber
mühungen bei günſtigen Ergebniſſen belohnt zu ſehen, erfüllen.
Bei unſeren Ingenieuren im Saargebiet war die edelſte und erhabenſte Triebkraft 2
vorhanden, das Bewußtſein, an einem nationalen Werk zu arbeiten, daß 0 Bemühungen
zum Vorteil Frankreichs ſein würden, daß ſie ſein Preſtige erhöhen und ihrem Lande
die Achtung und vielleicht die Sympathien der Bevölkerung erwerben würden, die ſie
an der Arbeit ſehen und die jetzt ſchon ſich darüber Rechnung legen können, daß ſie
ihre Aufgabe e gut und ſogar noch beſſer verſtehen als die Preußen. Dieſer
patriotiſche Eifer muß ermutigt und auf ſeine höchſte Höhe gebracht werden.
Im Jahre 1913 förderten die Saargruben 13 Millionen Tonnen, im Jahre 1918
förderten ſie nur 9 Millionen. Im Jahre 1919, dem erſten Jahre des franzöſiſchen
Betriebes, erreichte die Förderziffer trotz der im Anfang unvermeidlichen Schwierig⸗
keiten und V zerfuche und trotz der beſorgniserregenden Einführung des Achtſtunden—
tages annähernd 9 Millionen und im Jahre 1920 9½½ Millionen Tonnen.
Die Zukunftsausſichten ſind groß; die Kohlenſchätze des Saargebiets ſind leicht
auszubeuten, und unſere Ingenieure verſprechen einmütig eine beträchtliche und raſche
Steigerung der Produktion.
Das iſt bereits ein ſchöner bergbaulicher Erfolg, der ſicher ſchon feine Einwirkung
auf die von der Bergverwaltung abhängige Bevölkerung ausgeübt hat. Es iſt nur
gerecht, die Namen der Leiter anzuführen, die mit dem Geſamtperſonal die Haupt⸗
organiſatoren dieſes wirtſchaftlichen Sieges waren: Herr Deflinne, Generaldirektor,
Herr Saint⸗Claire Deville, techniſcher Direktor für die Ausbeutung, Herr Denis, Ver⸗
waltungsdirektor, und Herr Daum, Direktor der Perſonalabteilung. Sie alle haben
vollkommen das Vertrauen gerechtfertigt, das die franzöſiſche Regierung in ſie ſetzte,
und haben ſich mit vollem Bewußtſein der ſchwierigen Aufgabe entledigt, die ihnen
übertragen war. Nach Anſicht aller, die wir im Laufe eines kurzen Aufenthalts im
Saargebiet hören konnten, muß ganz beſonders der Direktor der Perſonalabteilung,
Herr Daum, erwähnt werden wegen ſeine Taktes und ſeiner Geſchicklichkeit, die er
auf einem äußerſt ſchwierigen Poſten und in äußerſt ſchwierigen Augenblicken bewieſen
hat; im Saargebiet hat es keine beträchtlichen Streits gegeben.
Die Regierung muß unter allen Umſtänden im Saargebiet ein ſolches Eliteperſonal
beibehalten können, und wir ſind überzeugt, daß der Patriotismus unſerer franzöſiſchen
Bergwelt in Erkenntnis der nationalen Bedeutung des Werkes ſich bemühen wird,
dem Staat dieſe Aufgabe zu erleichtern. Dieſen Ingenieuren, die man in das Saar⸗
gebiet geſandt hat, müſſen mindeſtens dieſelben Vorteile gewährt werden wie die, die
ſie in der Privatinduſtrie finden könnten, und mit Beunruhigung haben wir in der
Note des Miniſteriums das Fehlen von Nachſchub aus unſeren jungen Ingenieuren
für die Saargruben feſtgeſtellt; hierin zeigt ſich ein Geiſt, den es zu bekämpfen gilt,
eine nationale Pflicht, auf die das Augenmerk gerichtet werden muß, und ein neuer
Sieg, der zu gewinnen iſt.
Im allgemeinen hat das vorläufige Regime für die Saargruben ſehr ermutigende
Ergebniſſe gezeitigt, und es erſcheint zu wünſchen, daß das endgültige Regime ſich
nicht zu ſehr von dieſem vorläufigen unterſcheidet, ſondern dieſes vielmehr feſtigt und
verſelbſtändigt, es von den zu engen Banden behördlicher Buchführung befreit und
ihm eine finanzielle und ſogar eine Verwaltungsautonomie gibt, die es von einem
die Handlungsfreiheit ausſchließenden Formalismus entlaſtet.
Die Grubenverwaltung hat ein Programm aufgeſtellt, deſſen Verwirklichung in
10 Jahren die gegenwärtige Förderung verdoppeln würde. Hierfür würden
240 Millionen e die Verwaltung hat aber, da ſie keine Anleihen aufe
„das der Regierung zur Genehmigung zu unterbreitende Arbeitsprojekt auf
Millionen beſchränken müſſen. Welches Geld könnte indes beſſer angelegt ſein
s dieſes, da die Tonnenzahl der Kohlenförderung uns in gleichem Maße von der
fremden Kohle unabhängig machen würde? '
Das zu erlaſſende Geſetz muß vor allem dieſe Erhöhung der Produktion ermög—
lichen und das freieſte Feld der Initiative laſſen, die bereits ſo vorzügliche Ergebniſſe
* rn hat und in der Zukunft die Folgen haben ſoll, die bekannt find.
Be. Um zum Schluß das Wort eines berühmten großen Soldaten zu wiederholen,
kann geſagt werden, daß im Saargebiet unſere Ingenieure die beſten Botſchafter
derr franzböſiſchen Republik find und zu ſein berufen ſind.
ni 1
u Ken
Nr. 231.
Be 3 | Werbeſchreiben der „Union Frangaise“).
=“ (berſetzung.)
Union Frangaise
Association Nationale Paris VII,
pour Expansion Morale et Materielle Boulevard Saint Germain 286
* de la France. ö
* | den Mai 1920.
Ehrenpräfidenten :
Emile Boutroux Ernest Lavisse
von der Academie francaise von der Académie
und der Académie des scien- francaise.
ces morales et politiques.
Henri Bergson
von der Académie frangaise und der Académie
des seiences morales et politiques.
Be Präſident:
N Jean Aicard
von der Académie frangaise.
Vorſtandsmitglieder:
2 | Louis Barthou Georges Hersent
> P- p. p.
Imbart de la Tour Georges Leeomte— - - -
PP: p. p.
Generalſekretär:
a N „285 0 0 — 1 aan
Paul Gaultier. Der Präſident der Union Francaise
. Schatzmeiſter: an
> i Mare el Le Roy-Dupre. Herrn
= in
De Die Union Frangaise, der Nationalverband für die moraliſche und materielle
Expanſion Frankreichs, erlaubt ſich, Ihre Aufmerkſamkeit auf das von ihr unter
nommene Werk zu lenken.
Kr: Die Druckſache, die wir unſerem Schreiben beifügen), wird Sie in die Lage
pberſetzen, ſich über die Bedeutung der Union francaise und ihre Ziele, die fie ſeit
ihrer ins Jahr 1916 zurückgehenden Gründung verfolgt, ein Bild zu machen.
Unter dem Patronat aller führenden Perſönlichkeiten der ganzen Welt ſtehend,
gefördert und unterſtützt durch die Mitarbeit zahlreicher Induſtrieller, Kaufleute, Kredit.
ninſtitute uſw., verfügt fie über einen bedeutenden Einfluß.
3 0 ) Das Schreiben iſt einer größeren Zahl von Deutſchen im Saargebiet zugeſandt worden.
3 2) Dem Schreiben iſt eine 8 Seiten ſtarke Druckſache beigegeben, die über das Comité de Patro-
nage, über die Organifation, über die Ziele und über die Tätigkeit der Union Francaise Auskunft gibt.
e
n
4 * .
— 362 —
Seit Abſchluß des Friedens hat ſie ihr Hauptaugenmerk auf die franzöſiſche
Propaganda im Ausland gerichtet.
Im Einvernehmen mit dem Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten will
die Union francaise eine beſſere Kenntnis Frankreichs vermitteln und auch die von
Deutſchland gegen unſer Land gerichtete Propaganda der Verleumdung und Verun⸗
glimpfung bekämpfen.
Rückſichten auf das Budget erlauben der Regierung nicht, für dieſe Zwecke alle | |
erforderlichen Summen zu bewilligen. Es muß der privaten Initiative all derer,
denen das Wohl Frankreichs am Herzen liegt, überlaſſen bleiben, im Hinblick auf das
Allgemeinintereſſe unſerer Vereinigung ihren Beiſtand im größtmöglichen Maße zu
widmen, damit ſie imſtande iſt, ihre Propaganda durch Vorträge und Verbreitung
von Schriftſtücken fortzuſetzen und zu vergrößern.
Indem wir hoffen, daß auch Sie, geehrter Herr, uns in unſerem patriotiſchen
Werk unterſtützen werden, bitten wir Sie, die Verſicherung unſerer vorzüglichſten Hoch—
achtung entgegennehmen zu wollen. .
gez. Paul Gaultier.
Nr. 232.
Exterritorialität und Steuerbefreiungen.
(Aus einem Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Direktion der Finanzen
und Forſten, vom 1. April 1921, Nr. 1412. II.)
Die Mitglieder der Regierungskommiſſion, und zwar die Herren Präſident Rault,
Miniſter Waugh, Miniſter Lambert und Graf Moltke⸗Huitfeldt ſowie Herr General⸗
ſekretär Morize und deſſen Stellvertreter Herr Pierrotet, genießen nach dem Friedens⸗
vertrag das Recht der Exterritorialität und dürfen daher zu den direkten Steuern im
Saargebiet nicht herangezogen werden. % |
Alle übrigen ausländiſchen Beamten der Regierungskommiſſion find dagegen ſteuer⸗
pflichtig, jedoch gelten 40 v. H. ihres Dienſteinkommens als ſteuerfreie Teuerungszulage.
4391. 21. IIa 3.
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