Skip to main content

Full text of "Weissbuch über das Saargebiet"

See other formats


. u un nz 


+ 


eee, 


Sa: 
1 A 
7; 


Weißbuch 
über das Saargebiet 


Inhalt. 


I. Nr. 1. Die Entſtehung der Beſtimmungen des Vertrages von Verſailles 
i über das Saarbeckengebiet (Teil III, Abſchnitt IV); nach den Berichten 
von André Tardilee nen ntenscnhenssnenessene 
II. Nr. 2. Hiſtoriſche Beleuchtung der franzöſiſchen Anſprüche auf das 
Saarbecken; Artikel von Prof. Hermann Oncken 

III. Einige Urkunden aus der erſten Hälfte der Waffenſtillſtandszeit. 
Nr. 3. Der Einzug der franzöfifchen Truppen in Saarlouis. 
Nr. 4. Kundgebung der Saarbrücker Buͤrgerſchaft vom Dezember 1918s 
Anlage: Ein Beſchluß der Bürgerſchaft von Saarbrücken und 
% œq %⅛69w.z! N RT I ER 
Nr. 5. Rede des Generals Garnier-Dupleſſis in Saarbrücken am 22. Januar 1919. 
Nr. 6. Verfuche, die Bevoͤlkerung des Kreiſes Saarlouis von den Wahlen zur deutſchen 
et abzuhalten und für den Anſchluß an Frankreich zu beein⸗ 
T.. en cc 
Nr. 7. Eingriffe der franzoͤſiſchen Militärverwallung in die Verwaltung des Kreiſes 
Saarlouis und Beeinfluſſung der Bevölkerung 
Nr. 8. Werbung für den Anſchluß an Frankreich im Kreiſe Saarlouis 
Nr. 9. Kundgebung der Vorſtände ſämtlicher politiſcher Parteien, Arbeiterorganiſationen 
und Vereine in Stadt und Kreis Saarlouis vom 7. März 1919 N 
Nr. 10. Im Saargebiet im März 1919 verteilte Flugſchrifft a. 
Nr. 11. Im Saargebiet im März 1919 verbreitetes Gedicht „ ee 
Nr. 12. Beſuch des Majors Delévaque und des Leutnants Fabvier in der nähen 
höheren Mädchenſchule in Saarlouis ...u-srsceererseesenennnenhi nen 
Nr. 13. Vorbereitungen zu einem Empfang des Marſchalls Joch in RE TER 1 
Nr. 14. »Was wird die Stadt Saarlouis tun, wenn fie franzöſiſch wird?. 
Nr. 15. Amtsenthebung des Oberbürgermeiſters von Saarbrücken 8 
Nr. 16. Kundgebung des Kreistages Saarlouis vom 31. März 19199 5 
Nr. 17. Die Geſchenke König Ludwigs XIV. an die Stadt Saarlouis 
Nr. 18. Verſuche, die Haltung der Stadt Saarlouis zu beeinfluſſen - fie zur Entſendung 
einer Abordnung nach Paris zu veranlaſſe sss... 
Nr. 19. Reife einiger Perſonen aus dem Kreiſe Saarlouis nach Paris n 1 
Nr. 20. Tätigkeit des Militärverwalters de Job in Saarlouis... ꝶ342422* **⁵ 
Nr. 21. Verhaftungen, Ausweiſungen und ähnliche Maßnahmen im Saargebiet in den 
April, Dei 1919. 6 
Nr. 22. Werbung für Anſchluß des Saargebiets an Frankreich in Bergarbeiterkreifen . 
Nr. 23. Bürgermeiſterwahl in Saarlouis... ........seneuerensnneenenene — 
Nr. 24. Kundgebung der Abgeordneten des Saargebietꝶs s. 
IV. Der Notenwechſel über das Saargebiet in der Zeit zwiſchen Bekannt- 


gabe und Unterzeichnung der Friedens bedingungen. 


Nr. 25. 
Nr. 26. 
Nr. 27. 
Nr. 28. 
Nr. 29. 


Nr. 30. 


„Nr. 31. 


Dentſche Note dom 13. Mai 1910o0000ĩ·.e een n 
Deutſche Note vom 16. Mai 1919 nebſt Anlagen.. r 
Note der alliierten und aſſoziierten Mächte vom 24. Mai 1919 N.. 
Deutſche Mantelnote vom 29. Mai 191199999 


er der deutſchen Friedensdelegation zu den Friedensbedingungen vom 
„„ M sae ns nenn once 


Mantelnote zur Antwort der alliierten und aſſoziierten Mächte auf die Be 
8 der deutſchen Delegation zu den Friedensbedingungen, vom 16. Juni 
191 „„ ENT 955524 „„ „ 


Antwort der alliierten und aſſozitierten Mächte auf die Bemerkungen der deut⸗ 
ſchen Delegation zu den Friedensbedingungen, vom 16. Juni 1919 ........ 


1* 


19 
22 


IV 


V. 


VI. 


Seite 
Nr. 32. Verſuche, die Grenzen des Saargebiets zu erweitern............ 60 
Ernennung und Dienſtantritt der Regierungskommiſſion des Saar 
gebiets. 5 
Nr. 33. Bericht über die Sitzung des Völkerbundsrats vom 13. Februar 1920 .. . 65 


Nr. 34. Inſtruktion des Völkerbundsrats für die Regierungskommiſſion des Saargebiets 70 
Nr. 35. Proklamation der Regierungskommiſſion des Saargebiets anläßlich . Dienſt⸗ 


51 antritts , ñ ? x x 71 
Nr. 36. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Bolkerbundsrat an⸗ 
a vv: Läßlich ihres Renft us au en 73 
Nr. 37. Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Sarge vom 27. Februar 
| 1920, betr. Anzeige über feine Ernennung VVV 73 
Nr. 38. Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets vom 27. Februar 
5 1920, betr. Amneſtie und Vorſchläge über Verwaltungsfragen .... „„ 75 
Nr. 39. Note der deutſchen Regierung vom 4. März 1920, betr. die Ernennung eines 
N Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets e 75 
Nr. 40. Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 10. März 1920 (Ant. 
eee ef ,,... en 76 
Nr. 41. Note der Regierungskommiſſi on des Saargebiets vom 11. März 1920 (Antwort 
f kuf Nr. t ß 77 


. Nr. 42. Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets vom 10. März 1920, 


betr. Vorſchläge für die Form von Verhandlunge·e nn 78 


Nr. 43. Note des we e für die 8 des Saargebiets vom 15. i 


vn. 


(Antwort auf Ni. . 79 


Staatsangehörigteit und 1 


Nr. 44. Schreiben des franzöſiſchen Militärverwalters von Homburg an ben Bezirks⸗ 


15 amtmann von Homburg vom 8. März 19h are 81 

Nr. 45. Schreiben des Bezirksamtmanns von Homburg an 50 franzöſiſchen Militär⸗ 
5 verwalter von Homburg vom 10. März 1920 ᷣ : 81 

Nr. 46. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion bes Scargehiet 
1 nom N. Mär; 1 - . 82 

Nr. 47. Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche Regierung 
vom 6. Apr. 1 . „ 82 

Nr. 48. Note der ns Botſchaft in Berlin an die deutſche Regie vom 
5 9; Autzuſt 1929999 83 

Nr. 49. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
vom 23. Auguſt 19000; 83 

Nr. 50. Note der franzöſiſchen Botſchaft in Berlin an die deutſche Regierung vom 
25 September 19”. ee 84 

Nr. 51. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat vom 
nn 25. Oktober dd ̃ 86 

Nr. 52. Note der deutſchen Re ern an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
vom 31. Dezember 1920 ee 87 

Nr. 53. Note der deutſchen Regierung an die franzöſiſche Botſchaft in Berlin vom 
31. Dezenber 199....... ᷑ [ 88 

Nr. 54. Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung vom 
7. März 1911112122 I SI 89 

Nr. 55. Verordnung der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 15. Juni 1921 
über die »Eigenſchaft als Saareinwoh neren — 90 

Nr. 56. Denkſchrift der Regierungskommiſſion des Saargebiets zur Begründung der 
Verordnung, betr. die »Eigenſchaft als Saarbewoh ne“... 94 

Nr. 57. Beſchluß des Kreistages Saarbrüden-Land über den Entwurf der Verordnung, 
betr. die Faſſung des Begriffs »Saarbewohner« (vom 30. April 1921)..... 95 

Nr. 58. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
vom 23, Auguſt 193 nn 95 
Nr. 59. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 23. Auguft 1921.. 97 


Nr. 60. 7 der 1 eee des . an den Völterbunderat 
vom 1. Auguſt 190... 98 


r 


vn. 


1 


V 
Seite 
Weltpoſtverein, Welttelegraphenverein, internationales Abkommen 
über den Eiſenbahnfrachtverkehr. 
Nr. 61. Note der ſchweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche Wein 
, / Ne die 
Nr. 62. Note der deutſchen Regierung an die ſchweizeriſche e in 3 
S r . ern ne 102 
Nr. 63. Note der ſchweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche Regierung 
RL / 103 
Nr. 64. Verbalnote der portugieſiſchen Regierung an die deutſche Geſandtſchaft in 
0 een een 104 
Nr. 65. Verbalnote der deutſchen Geſandtſchaft in Liſſabon an die portugieſiſche Re- 
7 — / ᷣ ⁰ c ˙ -k ̃ ˙à 104 
Nr. 66. Verbalnote der deutſchen Geſandtſchaft i in Bern an die ſchweizeriſche n, 
/ > Ride keinen nie ann ee aa 
Nr. 67. Verbalnote der Nn Regierung an die deutſche Sende en 
TR TEN EEE TERN 107 
Nr. 68. Note der ſchweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche Regierung 
J ß 108 
Nr. 69. Note der deutſchen Regierung an die ſchweizeriſche Geſandtſchaft in Berlin 
,,,, d SD 111 
Nr. 70 Note der 1 ertihen Geſandtſchaft in Berlin an die beutfche Regierung 
%% FTT!!! 112 
Nr. 71. Note der ae e Geſandtſchaft in Berlin an die asche Regierung 
JT d TE 113 
Einſetzung und Ausweiſung der »Deutſchen Bergwesiätemmillien 
Saarbrüden« und der »Preußiſchen 3 (Abwicklungs⸗ 
ſtelle) in Saarbrüden«. 
Nr. 72. Note der deutſchen Friedensdelegation an die Friedenskonferenz vom 28. No 
vg kn a EEE „ 114 
Nr. 73. Note der deutſchen Regierung an die Regierungstommiffion des Snargebict 
— AIR ee 115 
Nr. 74. Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche Megierung 
5 De en ĩ . c ĩ˙ UA. 116 
Nr. 75 Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Vorſthenden der Ab⸗ 
wicklungeſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion in Saarbrücken vom 1. Juli 1920 116 
Nr. 76. Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Vorſitzenden der 
Abwicklungsſtelle der Berzischen Er ver in Sanne vom 
... „ 4 117 
Nr 77. Schreiben des Vorſitzenden der Abwitklungsſtele der Preußiſchen Sendet 
direktion in Saarbrücken an die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 
RT, KERN 47 
Nr. 78. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
i d e 118 
Nr. 79. Note der deutſchen Regierung an die e e e be des Saargebiets 
. 1 ⅛·Ledl.. 2: 130 (wöR 1. GesRne BE SE 120 
Nr. 80. Note der r er des Saargebiets an die deutſche Regierung 
/ ——U—̃ ͥͤ— aan ae ran ,,) ↄ m ² W 121 
Nr. 81. Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Vorſitzenden der 
Deutſchen Bergwerksdirektion in Saarbrücken vom 14. Auauft 19.0 122 
Nr. 82. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſi ion des Saargebiets 
f , 122 
Nr. 83. Note der deutſchen Friedensdelegation an die Friedenskonferenz vom 
„„ 0ͤauÄ ̃˙²ð.ꝗM .. ñ ] xĩi?v e es an nen one en 123 
Nr. 84. Note des Botſchafterrats an die deutſche Friedensdelegation vom 4. Oktober 1920 124 
Nr. 85. Bemerkungen über die weitere Entwicklung n 125 
Franzöſiſche Truppen, franzöſiſche Kriegsgerichte, franzöſiſche 
Gen darmerje. 
Nr. 86. Die einſchlägigen Beſtimmungen des Vertrags von Verſaille s 129 


Nr. 87. Erklärungen des Präſidenten der Regierungskommiſſi on des Saargebiets an 
die Vorſtände der politiſchen Parteien nden Truppen, Kriegsgerichte, Belagerungs— 
suftanb uſcd Ende März 10 eee 


VI 


El. 


Pr. 108. 


Seite 
Nr. 88. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat 
vom 25. NM f 0” r TE 130 
Nr. 89. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat 
en . M e T ̃ ß 130 
Nr. 90. Mitteilung eines deutſchen Redakteurs über ſeine kriegsgerichtliche Verfolgung 131 
Nr. 91. Angaben der franzöſiſchen Budgets über die franzöſiſchen Truppen im Saargebiet 132 
Nr. 92. Bemerkungen in der franzöſiſchen Preſſe über die franzöſiſchen Truppen im 
Saargebiet e ũ U — ana 133 
Nr. 93. Verordnung der eee des Saargebiets über die franzöſiſche 
Gendarmerie vom 7, ui T8 135 
Nr. 94. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat 
vom 25. Dftober 197) a ne 136 
Nr. 95. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
vom 12. Jebraar 1911. ae re 137 
Nr. 96. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 12. Februar 1921 .. 139 
Nr. 97. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 7. April 1921. 139 
Nr. 98. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
r ⁰y a a ee Te 141 
Nr 99. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 23. April 1921 nebſt 
Anlage u ee 141 
Nr. 100. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
vom 23. Apel 111. 143 
Nr. 101. Note der Regierungskommiſſion des TREO an die deutſche Regierung 
vom 14, April 911 ae 143 
Nr. 102. Note der deutſchen Regierung an die Regierungstommilfion des Saargebiets 
vom 4 Na f a BE in Een ee 144 
Nr. 103. Note der deutſchen Regierung au den Völkerbund vom 4. Mai i 145 
Nr. 104. Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche Regierung 
vom Il. % . ᷑œ / ß 146 
Nr. 105. Note des Generalſekretärs des Völkerbundes an die deutſche Regierung vom 
25. Juni 1921 nebſt Anlage (Bericht über die Sitzung des Völferbundsrats 
dom 20 J f oe ae er 146 
Nr. 106. Verordnung der een des Saargebiets über die Zuſtändig⸗ 
keiit der Gerichte über Zivil- und Militärperſonen vom 28. Juni 1921. 151 
Nr. 107. Sai der eee des Saargebiets an den Völkerbundsrat 
„Vom k. , · e ·˙ ···· x A 152 
Sante 9 Röffebe ns tun 
Verfügung der r e neitiion dat Saargebiets über die Beamten im 5 
Ssargebiet ven 18. Win 100 ae 152 
Nr. 109. Bericht über Verhandlungen zwiſchen dem Reichskommiſſar für die Übergabe 
ö des Saar ebiets und der Regierungskommiſſion des Saargebiets über Beamten⸗ 
fragen vom 24. April 19 ES ae ee 154 
Nr. 110. Erklärung der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die Beamtenfrage 
vom A. 1 o RE er 158 
Nr. 111. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat vom 
1. Mai 19) FRE RR 1 N 158 
Nr. 112. Bericht des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiebs über die 
Beamteufrage vom . Nai I ũ 160 
Nr. 113. Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die Beamtenorgani⸗ 
ſationen des Saargebiets vom 8. Mai 19211 UU... 161 
Nr. 114. Note des Reichskommiſſars fur die Übergabe des Saargebiets an die Re 
gierungskommiſſion des Saargebiets vom 11. Mai 1921114. 162 
Nr. 115. Note der Regierungskommiſſion des u an den Reichstommi ar für 
| die Übergabe des Saargebiets vom 22. Mai 192ᷣᷣ0b0b0 . 163 
Nr. 116. Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an die Re⸗ 
gierungskommiſſion des Saargebiets vom 29. Mai 192000000000 164 
Nr. 117. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat 
un 1. Juni 00 F e Era 165 
Nr. 118. Bericht des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets über den 
Vorentwurf des Beamtenſtatu ts 167 


Nr. 119. 
Nr. 120. 
Nr. 121. 


Nr. 122. 


Nr. 123. 
Nr. 124. 
Nr. 125. 
Nr. 126. 
Nr. 127. 
Nr. 128. 
Nr. 129. 
Nr. 130. 


Nr. 131. 
Nr. 132. 
Nr. 133. 
Nr. 134. 


Nr. 135. 
Nr. 136. 
Nr. 137. 


138. 
139. 
140. 
141. 

142. 
143. 
144. 
145. 
146. 

. 


148. 


149. 


Nr. 150. 


Nr. 151. 
Nr. 152. 
Nr. 153. 


Nr. 154. 
Nr. 155. 
Nr. 156 


Nr 157. 
Nr. 158. 
Nr. 159. 


VII 


Seite 
Vorentwurf der Regierungskommiſſion des Saargebiets zu dem Beamtenſtatut 168 
Gegenvorſchläge der Beamten zu dem Beamtenſtat uur... 174 


Eingabe der politiſchen Parteien des Saargebiets an den Völkerbund in der 
, r̈% mitm N Wkre Drache a a DER 


Protokoll über eine Beſprechung der 5 zwiſchen Vertretern der 


183 


beteiligten Miniſterien in Berlin am 5. Auguſt 1920 ))) . 186 
Aufruf der Beamtenſchaft vom 6. Auguſt 19200ꝝ:ʒ . 187 
Verhängung des Belagerungszuſtandes im Saargeb ite 190 
Verordnung des Generals Brifjaud-Desmaillet über den Belagerungszuſtand. 190 
Erklärungen der Gewerkſchaften zu dem Beamtenſtreil kk 191 
Erklärung der Hauptſtreikleitung vom 8. Auguſt 190ꝶ 9 194 
Zeitungsverbote im Saarge bie e en 195 
Sympathieſtreik der Bergbeamten TTT. NIE 196 
Erklärung der Führer der Arbeiterorganiſationen aller Richtungen vom 

%% ͤ WQ .. en T 197 
Proklamation des Generals Briſſaud⸗Desmaillet vom 9. Auguſt 1920 197 


Proklamation der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 9. Auguſt 1920 198 


Erklärung der Hauptſtreikleitunnn gg ernennen 199 
Erklärung des Gewerkſchaftsrings der Arbeiter und Angeſtelltenorganiſationen 

%%% ͤ c ĩ˙·»²§i⅛½ẽ; ] ˖˙»-• . 200 
Bekanntmachung des Generals Briſſaud⸗Desmaillet vom 11. Auguſt 1920.. 200 
Verhandlungen zwecks Beilegung des Streiks. 201 
Mitteilung der Regierungskommiſſion des Saargebiets bezüglich des Streiks 

!!! we ie re nie ER Sn he sanken ee 202 
Vorſchläge der Arbeitervertreter zur Beendigung des Streiks 202 


Weiterer Verlauf der Verhandlungen zwecks Beilegung des Streiks; Generalſtreik 203 
Bekanntmachungen des Generals Briſſaud⸗Desmaillet vom 13. Auguſt 1920 204 
Beendigung des Streiks; Aufhebung des Belagerungszuſtandes (14. Auguſt 1920) 205 


Endgültige Faſſung des Beamtenſtatuts . P 205 
Bericht über den Verlauf des Beamtenſtreiks und die . 213 
Bericht ausgewieſener Bürgermeiſteeenrnrr·tk ee channenenn 216 
Wortlaut eines Ausweiſungsbefeh ls 217 
Schreiben eines geflüchteten Eiſenbahnbeamte n 217 


Note der deutſchen Regierung an die 1 des Saargebiets 


vom 14. Auguſt u 218 


220 


Bericht über die Ausweiſung von Mitgliedern der deutſchen Bergwerks- 
fommiffion Saarbrücken und der ee g der preußiſchen Bergwerks 
— . ⅛ͤ ͤ˙ôℳn]ͤ n! 3 ͤ — w- 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungs kommiſſion des Saargebiets 
%% ¶ / W 


Geſuch ausgewieſener Perſonen an den Reichskommiſſar für die beſetzten 
. ꝓ⁵Bi.,,,̃ ½ m ¼ d, ²m = een en ae nn 


Schreiben des Reichskommiſſars für die beſehten 0 en Gebiete an die 


221 


223 


224 


interalliierte Rheinlandkommiſſion vom 6. September 1920). 225 
Schreiben der interalliierten Rheinlandkommiſſion an 2 Reichstommiſſar für 

die beſetzten rheiniſchen Gebiete vom 2. November 192) .......- 226 
Protokollariſche Ausſagen von Ausgewieſ enen. 227 
Eingabe der Beamtenſchaft des Saargebiets an den Völkerbunds ratet 232 


Bericht über die Sitzung des Völkerbundsrats vom 20. September 1920 in 


7 u re 23 
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völterbundsrat 
,,, yy INTDIE et essnr en 23 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völterbundsrat 
. % Il(l(ß I 222322 
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
f // 240 


VIII 


XII. 


XIII. 


Seite 
Nr. 160. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 31. März 1921. . 242 


Nr. 161. Note des Völkerbundes an die Re 1 vom 24. Sum 1921 nebſt 
Ange ? “d,, ]èÜũw—l 7 243 


Beteiligung ber gemänksen Vertreter der Bevölkerung an der Re⸗ 
gierung. 
Nr. 162. Die einſchlägigen Beſtimmungen des Vertrages von Verſailless .. 245 


Nr. 163. Erklärungen des Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saargebiets an 
die Vorſtände der politiſchen Parteien über die Verfaſſung des ee 


(Eide Marz 19 d ee 36 245 
Nr. 164. Bericht der En des Saargebiets an den Völkerbundsrat 
vom E , d . NER 246 


Nr. 165. Eingabe der politiſchen Parteien an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 246 
Nr. 166. Schreiben der, Wesen des Saargebiets an die n 


E Parz enn aan aa ee un a ee 247 
Nr. 167. Verordnung, betr. Volksvertretung rum. u. 2 248 
Nr. 168. Bericht der Regierungskommiſſion des e an den Vöͤlkerbundsrat 

vom 25 Oktober 190ĩ̃...... 249 


Nr. 169. Statiſtiſche Angaben über die den Kreis und e des e 
und der Stadtverordnetenverſammlung Saarbrücken vorgelegten Entwürfe... 252 


Wirtſchafts- und Währungsfragen. 
Nr. 170. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Voͤlkerbundsrat vom 


1. Juni 1900 ne ARE er 254 

Nr. 171. Bericht der e des Saargebiets an den Völkerbundsrat 
vom „ i ff Rees era 254 

Nr. 172. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat vom 
einn e Er. 256 

Nr. 173. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbundsrat 
voin d een ee A TE DEERE 259 

Nr. 174. Rundſchreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 17. Januar 1921 
über die Erweiterung des Frankenumlauft . 265 

Nr. 175. Gutachten der wiriſchaftlichen Verbände des Saargebiets über den erweiterten 
FJrankenumlauu d mn ⁊ʃĩ i xx; 266 
Nr. 176. Abänderung des Handelsgeſetzbuchss U UU KERLE 285 
Nr. 177. Einführung der Franken bei Eiſenbahn und Poft........ 3 r 286 


Nr. 178. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
vom 18. Apeitk 19111111 eV Te 286 


Nr. 179. Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 18. April 1921... . 287 


Nr. 180. Note des Völkerbundes an die deutſche Regierung vom 25. Juni 1921... . 288 


Nr. 181. Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbunderat 


vom 12, Mai: 1 ÜÄ 289 
Nr. 182. Abänderung des Bürgerlichen Geſetzbuchs, des benzelsgekckbuge, der Konturs 
ordnung und der Grundbuchordnung 294 
Nr. 183. Runderlaß der Regierungstommiffion des Saargebiets vom 19. Juli 1921, 
betr. Ausgleichszulagen in Mar; a ae ae 296 
Nr. 184. ng der —o. des Saargebiets an den Völker 
vom 1. Auguſt 19ĩ111·· 8 296 


Nr. 185. Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die Kommunal, 
verwaltungen des Saargebiets, betr. Einführung des Franken bei den Kommunal: 
verwaltungen, vom 1. September 1921.........s2rs2sasoonnsennnn en 299 

Nr. 186. Rundſchreiben des Vereins zur Wahrung der gemeinſamen wirtſchaftlichen 
Intereſſen im Saargebiet an die Kommunalverwaltungen, betr. die Einführung 


der Frankenbeſoldung in den Kommunalverwaltunge·e nnn 301 

Nr. 187. Beſchlüſſe verſchiedener Kommunalverwaltungen zur Frage der Franken⸗ 
e beſoldung der Kommunalbeam ten.. 302 
Nr. 188. Entſchließungen verſchiedener Verbände über die Franken fragen 307 


Nr. 189. Stellungnahme der Regierungskommiſſion des Saargebiets zur Frage der 305 


Frankenbeſoldung der Kommunalbeamte nnn. 


XV. 


XVI. 


XVII. 


XVIII. 


Seite 
Zollfragen. 
Nr. 190. Note der deutſchen Botſchaft in Paris vom 22. Auguſt 1921, betr. gobffrel. 
heit der aus dem übrigen Deutſchland in das Saargebiet kommenden Waren 309 
Nr. 191. Note der deutſchen Botſchaft in Paris vom 24. Auguſt 1921, betr. Zollfrei- 
heit von Reparatur⸗ und Rück waren 310 
Nr. 192. Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris vom 28. Auguſt 1921, betr. Er⸗ 
hebung einer Ausfuhrabgabe auf Thomasmehhll .. 311 
Nr. 193. Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris vom 12. September 1921, betr. 
c REES 311 
Schule und Sprache. 
Nr. 194. Die einſchlägigen eee des Vertrags von Verſailles. 312 
Nr. 195. Verordnungen der Regierungskommiſſion des Saargebiets über den Beſuch 
der Schulen der franzoſiſchen Grubenverwaltun 1 313 
Nr. 196. Motivenbericht zu den unter Nr. 195 wiedergegebenen Verordnungen nebſt 
i . ⁵ /// c ĩð 0 een 313 
Nr. 197. Werbeſchreiben der Vereinigung der Elſaß-Lothringer des Saarbeckens für den 
Beſuch der franzöſiſchen Bergſchule nnn 315 
Nr. 198. Abänderung des Bürgerlichen Geſetzbuchss e 316 
Nr. 199. Berichte der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Voͤlkerbundsrat . 316 


Beſchwerden der Regierungskommiſſion des Saargebiets über angeb— 
liche Einmiſchungen der deutſchen Regierung. 


Nr. 210. 


Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an die Re— 
gierungskommiſſion des Saargebiets vom 21. Dezember 1920 U.. 319 
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Reichskommiſſar für 
die Übergabe des Saargebiets vom 7. Januar 19211. 321 
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an die Re— 
gierungskommiſſion des Saargebiets vom 24. Januar 19211. 323 
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
%%% ĩ⁰²⁰˙ꝗ ... 324 
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 22. April 1921 ... . 326 
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche EEE 
J RE {| 
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
%%% % ¼ᷣ—. ̃⁵ . 328 
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 17. gar 1921. 329 
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völkerbund vom 
—. ᷣ O ſAtAG.Affſdſ kennen une & 329 
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Reichstommiſſar 

für die Übergabe des Saargebiets vom 19. Januar 192111... 331 
Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an die Ne 
gierungskommiſſion des Saargebiets vom 18. April 19221111111... 332 


Regierungskommiſſion des Saargebiets und beſetztes Rheinland. 


Nr. 211. 
Nr. 212. 


Nr. 213. 


Schreiben des Präfidenten der interalliierten Rheinlandkommiſſſon an den 
Reichskommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete vom 7. Januar 1921 334 
Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
J %%% ↄ ———T—ͥ[—[—k p 334 
Schreiben des Reichskommiſſars für die beſetzten rheiniſchen Gebiete an die 
interalliierte Rheinlandkommiſſion vom 21. März 19211. 336 


Entſchädigung eines franzöſiſchen Kaufmanns für Tumultſchäden. 


Nr. 214. 
Nr. 215. 
Nr. 216. 


Nr. 217. 


Schreiben des Generals Andlauer an den Buͤrgermeiſter von Saarbrücken 
% -Q—T—B! m 336 
Rechtsſtreit zwiſchen der Stadtgemeinde Saarbrücken und dem franzöſiſchen 
— ů A...... . „ 338 
Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den kommiſſariſchen 
Bürgermeiſter von Saarbrücken vom 28. Juni 1920. 339 


Schreiben des kommiſſariſchen Bürgermeiſters der Stadt Saarbrücken an die 
Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 9. Juli 19200. 340 


r 


XIX. 


XX. 


Entſchädigung einer deutſchen Familie wegen Ermordung eines Fa⸗ 
milienmitgliedes. 


Seite 


342 
346 
346 
347 
348 
349 
350 
350 


352 
352 


354 


356 


356 
361 
362 


Nr. 218. Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung vom 
En, SE a /// / ¾ ˙ .;. p 
Nr. 219 Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung 
em ,, . .. ß ̃]ĩê y., 
Nr. 220. Note der franzöſiſchen Regierung 8 die deutſche Botſchaft in Paris vom 
25. September ß FT in 
Nr. 221. Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung vom 
8. Mat: ß 008 
Nr. 222. Note der N Regierung an die deutſche Botſchaft in Paris vom 
m m . 8 
Nr. 223. Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung vom 
22. Mai 1911... u 
Verſchiedenes. 
Nr. 224. Erlaß des franzöſiſchen Militärverwalters über den Ausdruck »Boche« ufw. 
Nr. 225. Ausweiſung des preußiſchen Landrats von Saarbrücke enn. 
Nr. 226. Wortlaut eines nach Inkrafttreten des Friedensvertrags erlaſſenen Aus- 
1 weiſungsbefehls der Militärbehrdde un. cuenecneeneneneen 
Nr. 227. Belagerungszuſtand zwecks Sicherung des Eiſenbahnbetriebe ss 
Nr. 228. Grundſätze für die Berichterſtattung der Regierungskommiſſion des Sage en 
g an den Völlerbuinbärak .. „une: d 
Nr. 229. Schreiben des Generalſekretärs des Völkerbundes an den Präſidenten der 
Regierungskommiſſion des Saargebiets über die Behandlung von Eingaben 
von Bewohnern des Saargebiets an den Völkerbunꝭ s. 
Nr. 230. Auszug aus einem Bericht des franzöſiſchen Abgeordneten Fernand Engerand 
über den Erwerb der Kohlengruben des Saargebiets durch Frankreich. 
Nr. 231. Werbeſchreiben der »Union Frangaise«............... F 
Nr. 232. Exterritorialität und Steuerbefreiunge n 


Nr. 1. 


Die Entſtehung der Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles 
über das Saarbeckengebiet. 


Über die Entſtehung der das Saargebiet betreffenden 
Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles hat ein an 
ihrer Abfaſſung hervorragend Beteiligter, Andre Tardieu, 
in ſeinem Buche »La Paix« Mitteilungen gemacht. Dieſe 
Mitteilungen bedürfen zwar in vielem der Ergänzung, bieten 
aber doch mancherlei Aufſchluß. Im folgenden iſt daher 
ein Auszug daraus wiedergegeben 


Die urſprünglichen franzöſiſchen Anſprüche ſind den Verbündeten Fraukreichs im 
Januar und Februar 1919 mitgeteilt und erläutert worden. Ihre Begründung iſt 
aus einer Denkſchrift erſichtlich, die Tardieu veröffentlicht. Sie lautet in Über— 
ſetzung: | 

Denkſchrift der franzöſiſchen Delegation. 
J. Rückgabe des Landes unter rechtlichen Geſichtspunkten !). 


Das Gebiet, um das es ſich handelt, hat während vieler Jahrhunderte zu Frankreich gehört und 
iſt nur durch Gewalt von ihm getrennt worden. 


J. Zugehörigkeit zu Frankreich. 

a) Landau iſt im Jahre 1684 an Frankreich abgetreten worden?). Saarlouis iſt von Ludwig XIV. 
erbaut worden. Beide Städte find zur Zeit der franzöſiſchen Revolution auf dem Bundesfeſt vertreten 
geweſen und baben ihre Zugehörigkeit zu der einen und unteilbaren Republik proklamiert. 

Im Jahre 1793 hat Landau heldenhaft eine Belagerung ausgehalten, bei deren Beendigung der 
Nationalkonvent erklärte, daß die Stadt »ſich um das Vaterland wohlverdient gemacht habe« 

Der ganze Reſt des Saarbeckens iſt von 1792 bis 1795 franzöſiſch geworden, inmitten der von 
Goethe beſchriebenen Begeiſterung der Bevölkerung, deren Willenskundgebung, niedergeſchrieben in 
1 Petitionen, die im Nationalarchiv aufbewahrt ſind, ihre Vereinigung mit Frankreich »zu 
einer einzigen und gleichen Familie« urkundlich feſtgelegt hat. 

b) All dieſe Petitionen verdienten wiedergegeben zu werden. Wir begnügen uns indes, nur 
einige anzuführen: 

Die Petitionen der Bezirke der Queich, der Blies und der Saar ſprechen einmütig »den glühendſten 
Wunſch, mit der franzöſiſchen Republik vereinigt zu werden, aus. 

Gewiſſe Petitionen, wie die von Impflingen, betonen, daß »dieſer Wunſch nicht der iſt, eine un— 
begrenzte Freiheit zu genießen, ſondern daß er nur hervorgeht aus Liebe zum Vater lande 

Andere Petitionen, wie die von Zweibrücken, formulieren einen Wunſch, dem die ſpäteren Ereig⸗ 
niſſe ſeine wahre Bedeutung gegeben haben, nämlich »bewahrt zu werden vor Kriegen, die die 
Deſpoten Deutſchlands alle zwanzig Jahre in ihrem Lande entfeſſeln, zumeiſt für Ziele, die ihnen 
vollkommen fremd ſind«. 

Die Einwohner von Neunkirchen hoffen, daß Frankreich »die Großmut haben wird, ſie ſo glücklich 
zu machen als es möglich iſt, indem ſie ihre Wiedervereinigung mit der erſten der Republiken aus 
ſprechens, und fie fügen hinzu: »Wir werden beſtrebt ſein, uns dieſer Wohltat würdig zu erweiſen« 


) Vgl. hierzu Nr. 2 


2) Landau hat keinen Zuſammenhang mit dem Saargebiet; es liegt annähernd 80 km öſtlich der Saar 
) 5 1 9 ! U 


Der En der aus dem Saargebiet kommt, iſt kennzeichnend. Die Bewohner wünſchen, daß 
»Frankreich geruhe, ſie in die Reihe ſeiner geliebten Kinder aufzunehmen, und ſein Werk vollende, in⸗ 
dem es ihnen den ruhmreichen Titel „Franzoſen“ gebe, den fie fo lange ſchon im Herzen tragen und 
den zu verdienen fie nie aufhören werden «. 

Die Bevölkerung von Saarbrücken faßt dieſe Gefühle in folgenden Satz zuſammen: »Möge unſere Wieder- 
vereinigung, ebenſo rein wie unverletzlich, uns an die Seite Frankreichs, unſeres Vaterlandes, 
ſtellen; wir werden hinfort nur denſelben Geiſt, denſelben Willen und ein einziges Intereſſe haben. « 0 


c) Dieſer leidenſchaftliche Wunſch der Vereinigung mit Frankreich fand ſeine Rechtfertigung in 
der durch uns geführten weiſen Verwaltung des Landes. Große öffentliche Arbeiten knüpften die Bande 
des Gefühls feſter. Frankreich war es, das ſich zuerſt damit befaßte, die Kohlengruben in die Höhe zu 
bringen. Eine Bergſchule wurde von Napoleon in Geislautern auf dem linken Ufer der Saar, ſüdlich 
von Völklingen, gegründet, und die erzielten Ergebniſſe trugen dazu bei, die Begehrlichkeit der preußiſchen 
Hütteninduſtri llen zu wecken, von denen ein Agent, Böcking, im Jahre 1814 und 1815 für Rechnung 
ſeiner Auftraggeber den Kampf für die Annexion an Preußen führen ſollte. 


Frankreich hat das noch heute beſtehende Syſtem des Staatsbetriebs der Kohlengruben eingeführt. 
Die Ausbeutung der Gruben iſt übrigens erfolgt auf der Grundlage der Studien unſerer Ingenieure; 
unſer Nationa archiv beſitzt eine Empfangsbeſtärigung Preußens über »die Pläne und Verzeichniſſe be⸗ 
treffend die Konzeſſionen von Kohlenfeldern in den Departements der Saar und der Roer«. 


2. Seit der Trennung. 
0 Nur durch Gewalt iſt das Gebiet von Frankreich getrennt worden. 
Der Vertrag von Paris vom 30. Mai 1814 hatte nicht gewagt, dieſe Trennung zu vollziehen, 


Sie wurde erſt im Jahre 1815 auf das Drängen Preußens gewährt, ohne Befragung der Bevölkerung, 
nur um Frankreich unter der ſtändigen Drohung mit einem Überfall zu halten. 


Anfangs widerſprachen einige Mächte, darunter Großbritannien, der »Abtretung von Gebieten, 
die zu Frankreich gehören und deren Verluſt Entrüſtung in allen franzöſiſchen Herzen wachrufen würde«. 
Das preußiſche Drängen trug aber ſchließlich den Sieg davon. | 

Metternich hat über die Operation ein Urteil gefällt, indem ex ſchrieb: »Preußen hat im feiner 
Weiſe auf die Grundſätze der Gerechtigkeit oder auch nur des Anſtands Rückſicht genommen«. 


b) Viele Bewohner wanderten aus. Die anderen, bedrückt durch die preußiſche Verwaltung und 


die preußiſche Koloniſation, bezeichneten ſich als »Mußpreußen «). 


Im Jahre 1859, während des italieniſchen Krieges, war die Stimmung dieſelbe. Lebhafte Kund- 
gebungen für Frankreich fanden in Landau ſtatt. Noch im Jahre 1865 wurde Wilhelm I. bei einer 
Reiſe durch das Gebiet ſehr kalt aufgenommen. b 


Im Jahre 1866 ſchrieb der Fürſt Chlodwig von Hohenlohe in ſeinen . »Die Bayern 


der Pfalz (d. h. die Gegend von Landau und weiter nördlich) würden alle den Übergang an Frankreich 
gern ertragen.« Die preußiſchen Beamten bezeichnen im Jahre 1870 Saarlouis als »Das Franzoſenneſta. 


e) Die deutſchen Geſchichtsforſcher haben das Gefühl der »Mißehe«, das ſich nach der Vereinigung 
mit Preußen ein halbes Jahrhundert lang bei der Bevölkerung erhielt, nicht zu leugnen verſucht. Sie 


ſehen ſogar einen Beweis für den germanifchen See der Rheinländer in ei Tren; zu 


den franzöſiſchen Erinnerungen. N 
Die Lektüre von Treitſchke iſt in dieſer Beziehung beluſtigend und bezeichnend. Aus ſeiner Dar⸗ 


ſtellung ergibt ſich, daß, wenigſtens bis 1848, die Rbeinländer ihren deutſchen Patriotismus dadurch 


bewieſen haben, daß fie... mit Hartnäckigkeit ihre franzöſiſchen Einrichtungen gegen Berlin verteidigten und 


einen unüberwindlichen Abſcheu zur Schau trugen, den ihnen ihre neuen preußiſchen Landsleute 


einflößten. 


d) Noch heute gibt es im Saarbecken bein Bürgern und Landleuten einen beträchtlichen Teil, der. 


leidenſchaftlich der franzöſiſchen Tradition ergeben iſt. In der Gegend von Saarlouis bildet dieſer Teil 


die gewaltige Mehrheits). Dieſe Stadt hat die franzöfifchen Truppen bejubelt!) und ein begeiſtertes 


Telegramm an den Präſidenten der Republik gerichtet). Das Gefühl hat alſo die Zeiten überdauert. 


»Die Sympathien von Saarlouis für Frankreich «, ſchreibt ein Gewährsmann, venthüllen. ſich viel 


lebhafter, als man zu hoffen wagte. Sie würden ſich ohne jedes Zögern kundtun, wenn die Bevölkerung 
nicht durch die Furcht vor preußiſchen Vergeltungsmaßnahmen für den Fall, daß die Grenze nicht 


geändert wird, zurüd.ehalten würde .. In Saarlouis waren viele willens, an den letzten Wahlen zur 


e eee nicht teilſinehmen . 
0 Vgl. hier Nr. 4, Anlage. 
2) Vgl. hierzu Nr. 6, Anlage. 
3) Vgl. hierzu Nr. % 8,9; 18, 14, 16. 
) Vgl. hierzu Nr. B: 


) Die Stadt Saarlouis Geh kein derartiges e an den Präſidenten der franzöſiſchen 


Republik geſandt. Es kann nur vermutet werden, daß das Telegramm von einzelnen, ohne amtlichen 
Auftrag handelnden Perſonen abgeſandt worden iſt. 
) Vgl. hierzu Nr. 6. 


2. 


»Der Stadtrat von Saarlouis hat die Abſicht, eine geheime Entſchließung zu faſſen, um die 
Angliederung an Frankreich zu verlangen). Er wäre bereit, eine Abordnung nach Paris zu ſenden, 
wenn man es wünſcht2). Schon heute kann man die Gewißheit haben, daß Saarlouis einen Abgeord— 
neten mit franzöſiſchen Gefühlen in die Kammer entſenden würde.« 

a Im ganzen hat alſo dieſes Land, das ſich niemals über die franzoͤſiſche Herrſchaft beklagt hat, 
das von Frankreich gewaltſam ohne Berragung der Bewohner losgeriſſen worden iſt, trotz der preußiſchen 
Einwanderung die Erinnerung an die Vergangenheit bewahrt und iſt, ungeachtet der aufeinander 
folgenden Teilungen, die an die Teilungen Polens erinnern, im Herzen franzöſiſch geblieben, wenigſtens 
zum Teil. 

3 Moͤgliche Einwendungen. 
a) Ohne Zweifel ſind zwei Einwendungen erhoben worden: 


Die Trennung, mag ſie auch gewaltſam und ungerecht geweſen ſein, liegt ein Jahrhundert zurück. 
Wäre es nicht ein fruchtloſes Unternehmen, hundert Jahre Ge ſchichte auslöſchen zu wollen? 


Muß man ferner nicht der breiten deutſchen Einwanderung Rechnung tragen, die während dieſer 
hundert Jahre ſyſtematiſch befolgt worden iſt und die Zuſammenſetzung der Bevölkerung von Grund auf 
verändert hat? 


b) Auf den erſten Einwand kann man antworten, daß nach dem Standpunkt der Konferenz die 
vergangene Zeit nicht genügt, um die Rechtsanſprüche verjähren zu laſſen. Polen erlebt ſeine Auferſtehung 
- mehr als einem, Böhmen nach mehr als vier Jahrhunderten. 

Dem zweiten Einwand kann die franzöſiſche Regierung ebenfalls einige der Entſcheidungen — und 
zwar der beſtbegründeten — der Konferenz entgegenhalten. 

Die ſyſtematiſche Koloniſation eines mit Gewalt eroberten Landes iſt keine Entſchuldigung, ſondern 
eine Erſchwerung des gegen das Land gerichteten Übergriffs. 

Die preußiſche Koloniſation in Polen, die deutſche in Böhmen, die magyariſche in Transſylvanien 
hat die Mächte nicht gehindert, die Wünſche der bisher Beſiegten en gegenzunehmen und ſie wieder in 
ihre Rechte einzuſetzen. 

Frankreich glaubt, daß es die gleiche Behandlung beanſpruchen kann 


4. Schlußfolgerung aus dem Grundſatz der Rückgabe. 

Das Mindeſte, was Frankreich auf Grund dieſes Titels beanſpruchen muß, iſt die Grenze von 1814. 

Der Verlauf dieſer Grenze iſt folgender: 

Ausgehend vom Rhein ſüdlich Germersheim ſchließt ſie Landau ein und erreicht bei Weißenburg 
die Grenze von 1815, der ſie bis zur Höhe von Saargemünd folgt. Von dieſem letzteren Punkt ab 
verläßt fie die Grenze von 1815, um zwei vorſpringende Bogen nördlich von Saarbrücken und Saarlouis 
zu bilden, die bei Frankreich belaſſen werden, und erreicht die Grenze von 1815 wieder ungefahr 6 km 
ſüdöſtlich von Merzig. 

Es iſt bekannt, daß dieſer Grenzverlauf im einzelnen beeinflußt worden iſt durch das Beſtehen von 
Fürſtentümern aus der Feudalzeit, die inzwiſchen verſchwunden ſind. Er würde alſo bei der Feſtlegung 
noch etwaigen Berichtigungen zu unterwerfen ſein; in ſeiner Geſamtheit aber ſtellt er einen Grundſatz 
dar, der nicht beſtritten werden kann. 

Dies iſt der Grundſatz, auf den ſich zu berufen Frankreich ein Recht hat. 


ö II. Wirtſchaftliche Reparation. 

Das Gebiet, das nördlich von Elſaß-Lothringen deſſen geographiſche Fortſetzung bildet und ſich 
über die Grenze von 1814 hinaus erſtreckt, iſt ein Gebiet des Bergbaus und der Induſtrie, das ſich als 
eine tatſächliche Einheit darſtellt; dies Gebiet wird mit dem Namen Saarbecken bezeichnet. 


1. Geſamtbeſchreibung des Gebiets. 


a) Das Saarbecken, das die Geſtalt eines Dreiecks beſitzt, deſſen Baſis der Saar zwiſchen Saar- 
brüden und Saarlouis parallel läuft und deſſen Scheitel ſich bei Frankenholz (9 km nordweſtlich von 
Homburg) befindet, beſitzt eine wirtſchaftliche Einheit, die es der Kohle verdankt. 

Die Kohlengruben umfaſſen drei Hauptgruppen: die erſte im Saartal von Saarlouis flußaufwärts 
bis Saarbrücken, die zweite um Neunkirchen, die dritte in der Gegend von St. Ingbert. 

In der unmittelbaren Umgebung der Kohlenvorkommen hat ſich ein Induſtriegebiet gebildet. Drei 
Induſtrien haben ſich dort entwickelt, nämlich, in der Reihenfolge ihrer Bedeutung, Hütteninduſtrie, Glas- 
induſtrie, Steingut und Tonwareninduſtrie. 

b) Das ganze Gebiet, ſowohl das des Bergbaus wie das der Induſtrie, iſt bewohnt von VBerg- 
leuten und Arbeitern der induſtriellen Werke. Faſt alle ſtammen aus dem Lande ſelbſt. Viele beſitzen 


1) Eine ſolche Abſicht hat nicht beſtanden. 
2) Dieſe Frage iſt an den Stadtrat erſt ſpäter herangetreten; über ſeine Stellung zu ihr vgl. Nr. 18. 


3 


ein kleines Haus und bewirtſchaften ein Stück Land. Im Jahre 1912 waren 39 v. H. der Arbeiter auf 
den Staatsgruben Grundeigentümer, 65 v. H. waren verheiratet. Die Unverheirateten waren meiſt Söhne 
von Bergleuten und wohnten bei ihren Eltern. 

Dieſe Arbeiter, deren Zahl 72 000 beträgt, können dank eines ſehr entwickelten Verkehrsnetzes 
(normalſpurige Eiſenbahnen, ſchmalſpurige Linien, elektriſche Bahnen und Automobillinien) ziemlich weit 
weg von den Kohleagrahen wohnen, die das Lebenszentrum des Gebiets ſind. Dies trifft auf mehr 
als 40 v. H. zu. 

Mit anderen Worten, das Saarbecken iſt ein Ganzes, deſſen drei Beſtandteile die folgenden find; 
die bergbauliche Zone, noch ſehr unvollkommen entwickelt; ſodann die Induſtriezone, aus der erſteren 
hervorgegangen; ſchließlich die Arbeiterzone, die über die beiden anderen hinausgreift und mit ihnen durch 
Eiſenbahnlinien verbunden iſt, deren wichtigſten Knotenpunkt Homburg bildet. 


e) In dieſem Becken, von dem alle Teile miteinander zuſammenhängen, wäre jede künſtlich errichtete 
Trennung vernichtend. 

Eine Grenze, die das Becken und die zur Verſorgung des Beckens beſtimmten Bahnlinien von- 
einander trennen würde, würde den nichtfranzöſiſchen Abſchnitt in eine nachteilige Lage bringen, denn 
er würde deutſcherſeits dem Wettbewerb der weſtfäliſchen Werke ausgeſetzt und franzöſiſcherſeits von dem. 
Erz von Briey iſoliert werden, das die notwendige Ergänzung der Saarkohle bildet. 


Die Lage im Währungsweſen wäre nicht weniger ſchlecht; denn ſofern nicht die Mark ihre Parität 
mit dem Franken wieder erhält, wäre die Entlohnung derſelben Arbeit infolge des Kurſes in beiden 
Abſchnitten verſchieden. 

Schließlich wäre die Lage für die Arbeiterſchaft ebenfalls widerwärtig. Sie wäre dies unter dem 
Geſichtspunkt des Verkehrs, da viele Arbeiter eine Grenze zwiſchen ihrem Wohnort und ihrer Arbeits⸗ 
ſtätte haben würden. Sie wäre es unter dem Geſichtspunkt der Löhne aus den verſchiedenen, vorſtehend 
angeführten Gründen; weiter unter dem Geſichtspunkt der Geſtehungspreiſe, unter dem Geſichtspunkt der 
Arbeitsregelung, der ſozialen Geſetzgebung und der Aufrechterhaltung der Ordnung in Fällen von Streik. 


d) Neuere Ereigniſſe haben übrigens die tiefbegründete Einheit des Gebiets ins rechte Licht geſetzt. 


Einerſeits haben mehrere der preußiſchen Großinduſtriellen, von wirtſchaftlichen Beſorgniſſen geleitet, 
bei den franzöſiſchen Behörden bezeichnende Schritte zwecks Aufrechterhaltung dieſer Einheit unternommen 1). 


Anderſeits haben die ſeit dem Waffenſtillſtand mit der Kontrolle der örtlichen Verwaltung be- 
auftragten franzöſiſchen Offiziere einmütig die Unmöglichkeit einer Trennung der bergbaulichen, induſtriellen 
und Arbeiterzone voneinander anerkannt. Alle weiſen auf die Gefahr hin, die, ſelbſt während der 
Übergangszeit des Waffenſtillſtands, entſtehen würde, wenn man zwiſchen den verſchiedenen Bezirken, die 
das Becken bilden, eine Grenze aufrichten wollte. Die militäriſche Organiſation iſt daher, wenn auch 
nur vorübergehend, auf der Grundlage der wirtſchaftlichen Einheit des Gebiets errichtet worden. Die 
Ergebniſſe ſind ausgezeichnet geweſen. N 


2. Sonderanſpruch Frankreichs auf eine Reparation im Saarbeden. 


a) Bekanntlich haben ſich die von Deutſchland in Frankreich begangenen induſtriellen Zerſtörungen 
vornehmlich auf die Kohlen- und Induſtriegegend des Norddepartements und des Departements Pas de 
Calais erſtreckt. Zwei Drittel dieſer Gegend, ſowohl hinſichtlich der Oberfläche wie hinſichtlich der 
Produktion, ſind von dem Eindringling planmäßig zerſtört worden. 


) Hiermit find vermutlich Schritte gemeint, die von Wirtſchaftskreiſen im Hinblick auf die damalige 
augenblickliche Wirtſchaftslage unternommen wurden. Dieſe Schritte ſind am 8. März 1919 in einer 
Sitzung der Induſtriellen des Saargebiets und der drei pfälziſchen Nachbarkreiſe im Rathaus in Saar- 
brücken beſprochen worden. In dem Protokoll über dieſe Sitzung heißt es: 


r EN Direktor S., der namens der weſtpfälziſchen Eiſeninduſtrie ſprach, wies auf die 
Schwierigkeiten hin, in welche die von ihm vertretene Gruppe durch die Beſatzung geraten ſei, ferner 
auf die ſehr erſchwerte Unterſtützung, welche ſie bei der zwar zuſtändigen, aber nicht leicht erreichbaren 
Handelskammer in Ludwigshafen erfahren habe, und wünſchte eine Unterſtellung unter den von den 
franzöſiſchen Beſatzungsbehörden eingerichteten Wirtſchaftsdienſt des Saargebietes. Er verlas dann eine 
Erklärung, die einſtimmig angenommen wurde und wörtlich wie folgt lautet: 

»Die Handelskammer zu Saarbrücken ſowie die Induſtriellen der bayeriſchen Bezirks- 
ämter Zweibrücken, St. Ingbert und Homburg würden es im Hinblick auf die günſtigen 
Verbindungsmöglichkeiten mit Saarbrücken ſowie in Würdigung der mannigfachen wirtſchaftlichen 
Beziehungen begrüßen, wenn für die Dauer des Waffenſtillſtandes die Zuſtändigkeit der 
Saarbrücker Verwaltungsſtellen — ſoweit wirtſchaftliche und induſtrielle Fragen in Betracht 
kommen — auch auf die Bezirksämter Zweibrücken, St. Ingbert und Homburg ausgedehnt 
würde. Selbſtverſtändlich entſpringt der Wunſch lediglich wirtſchaftlichen Erwägungen. « 

Direktor S. faßte ſeine Betrachtungen noch in die Bemerkung zuſammen, daß aus der erſtrebten 
Regelung naturgemäß politiſche Folgerungen irgendwelcher Art nicht abgeleitet werden dürften. Der 
Großkaufmann B. erklärte, daß auch die Handelskammer Saarbrücken ſich durchaus anf den Boden 
dieſer Erklärung ſtelle. 


8 


1 Die Ereigniſſe haben ſich in folgender Reihenfolge abgeſpielt: 
Zuerſt Überflutung des Beckens von Lens, woraus ſich ein Verluſt von 8 Millionen Tonnen 
ergibt. | 


Hierauf Zerſtörung der Becken von Eourriered und Dourges, was einen Verluſt von 4 Millionen 
Tonnen jährlich zur | 

Endlich allgemeine Verwüſtung der Kohlengruben im Norddepartement, hier entſteht ein jährlicher 
Verluſt von 8 Millionen Tonnen. 

b) Dieſe Zerſtörung iſt nicht das Ergebnis des Zufalls oder der kriegeriſchen Operationen. Sie 


8 einen weſentlichen Beſtandteil des wirtſchaftlichen Plans des deutſchen Generalſtabs gebildet. 


er Plan, auf Befehl des deutſchen Generalquartiermeiſters im Februar 1916 in München gedruckt, 
auf den Arbeiten von 200 Sachverſtändigen und erſtreckt ſich auf 4031 Unternehmungen; er 
im einzelnen die Vorteile dar, die ſich Deutſchland aus dem Verſchwinden der franzoͤſiſchen Gruben 


und Induſtrien errechnet. Die vorbedachte Abſicht ſteht alſo feſt 


Dieſe Abſicht erklärt ſich übrigens, was unſere Becken in den Departements du Nord und Pas de 
Calais betrifft, durch den lebhaften Wettbewerb, den es dem weſtfäliſchen Becken machte. 


e) Wenn man die Ergebniſſe des von Deutſchland methodiſch durchgeführten Werkes zuſammenfaßt, 
findet man folgendes: 
220 Schächte für mehrere Jahre unbenutzbar gemacht. 
Alle Anlagen über Tage vollkommen zerſtoͤrt. 
Eine Produktion von 20 Millionen Tonnen, d. h. 50 v. H. der Geſamtproduktion, dem Lande 


en. 
Eine Produktion von entſprechenden Nebenprodukten ebenfalls bejeitigt, nämlich: 
V „ . 2 243 000 t, 
) ͤ ᷣ AA ĩ ᷣ nn 1674 000 » 
Schwefelſaures Ammoniak.. „„ 23 200 
%%% ̃ͤ TTT... rk 13 000 
% /// V TE 61000 » 


Eine Arbeiterbevölferung von 100 000 Arbeitern zum Feiern verurteilt und ihre Familien dem 
Elend überlaſſen. 5 
Insgeſamt ein materieller Schaden von mindeſtens 2 Milliarden, dem man noch für 10 Jahre 
den Produktionsausfall während des Wiederaufbaus hinzurechnen muß. 

Es genügt der Hinweis auf dieſe Tatſachen, um Frankreichs Recht auf eine vollſtändige Reparation 
klarzuſtellen. 

3. Frankreich und die Nachkriegszeit. 

a) Wenn Frankreich beim Friedensſchluß nicht in den Beſitz des Saarbeckens gelangen ſollte, würde 
ſeine wirtſchaftliche Lage verhängnisvoll ſein. 

Frankreich braucht dieſes Becken, nicht nur für Elſaß-Lothringen, das 7 Millionen Tonnen mehr 
verbraucht, als es erzeugt, ſondern auch für ſich ſelbſt. 

Vor dem Kriege führte Frankreich 23 Millionen Tonnen jährlich ein. Vergroͤßert durch Elſaß— 
Lothringen, müßte es alſo ohne die Saarkohle ſelbſt nach Wiederherſtellung feiner Gruben in Nord- 
frankreich 30 Millionen Tonnen und bis zu dieſer Wiederherſtellung 50 Millionen bei einem Geſamt— 

von 75 Millionen einführen. 

b) Dieſe Lage ergibt ſich genauer aus nachſtehender Überſicht, zu der Erläuterungen entbehrlich ſind. 


Millionen Tonnen 


Verbrauch von Kohle von Frankreich (191377 7· ꝶ·e· .. 63 
» 8 „ Daß ⸗-Sethringen (19133) 12 
insgefamt..... 75 
Kohlenſörberung in Frankreich (1913)... ..-..c.uenncennneneeneriee 40 
Zerſtörung der franzoͤſiſchen Gruben während des Krieges 20 
Gegenwärtige Kohlenförderung in Frankreichh . Z Me. 20 
» „ „ Elſaß Lothringen A 4 
insgefamt.... 24 
„e, nennen 51. 


e) Mit anderen Worten, Frankreich wäre wirtſchaftlich von Deutſchland abhängig, das vermittels 
der Kohle die Preiſe unſerer ganzen Kütteninduftrie im Oſten kontrollieren und fo unſere ganze Politik 
würde. 


Ubrigens haben die deutſchen Induſtriellen ſelbſt in einer Denkſchrift an den Reichskanzler vom 
20. Mai 1915 geſchrieben: »Die Kohle iſt eins der entſcheidendſten Mittel politiſchen Einfluſſes. Die 


Br I 


neutralen Staaten find genötigt, demjenigen der Kriegführenden zu gehorchen, der ihnen ihren Bedarf 
an Kohle verſchaffen kann.« . 


Man würde alſo Deutſchland das wirtſchaftliche Übergewicht laſſen, wenn man ihm gegenüber 
Frankreich ohne Kohle laſſen würde. 8 


Man würde Frankreich nach dem Siege im Kriege die Niederlage im Frieden auferlegen. 


4. Die Abtretung des Saarbeckens als Reparation iſt unerläßlich 
aus einem allgemeineren Geſichtspunkt. 


a) Nicht nur die Reparation mit Rückſicht auf den den franzöſiſchen Gruben zugefügten Sonder⸗ 
ſchaden ſteht in Frage, ſondern das ganze Problem der Schuld Deutſchlands gegenüber Frankreich. 

Die Reparationen, zu denen Deutſchland Frankreich gegenüber verpflichtet iſt wegen der Ver⸗ 
wüſtungen, die es begangen hat, ſtellen ein ſchwieriges Finanzproblem dar, das ſich durch die berechtigten 
Anſprüche anderer alliierter Mächte verwickelt geſtaltet. 4 

Es ift zu bezweifeln, daß die Zahlungsmittel, über die Deutſchland gegenwärtig oder über die es 
im Lauf der nächſten Jahre verfügen wird, auch nur entfernt die für dieſe Reparationen, die insgeſamt 
1000 Milliarden betragen, nötigen Zahlen erreichen können. | 

b) Es iſt fo'glich unerläßlich, daß Deutſchland fich ſowohl im Intereſſe feiner Gläubiger wie in 
ſeinem eigenen Intereſſe unter den mannigfaltigſten Formen ſeiner Schulden entledigen kann. 


Es muß hierbei an folgendes erinnert werden: 


Deutſchland iſt einer der größten Kohlenproduzenten der Welt. Seine Förderung überſteigt ſeinen 
Verbrauch (es förderte vor dem Kriege 191 Millionen Tonnen und verbrauchte davon 137), ohne die 
87 Millionen Tonnen Braunkohle zu rechnen, was für 1914 eine Geſamtförderung von 278 Millionen 
Tonnen ergibt. N 

Die Kohlengruben ſtellen eine ſichere Einnahmequelle dar und ergeben ein leicht verwertbares 
Produkt. | 

Die Kohle hat, wie alle Rohſtoffe, ihren Wert in fich jelbit, unabhängig vom Wert der deutfchen 
Deviſe, was eins der ſchwierigſten Probleme der finanziellen Regelung ausſcheidet. a 

Unter dieſen Umſtänden gelangt man dazu, die Abtretung des deutſchen Teiles des Saarkohlen⸗ 
beckens als ein notwendiges Mittel für die Reparation zu betrachten, die Deutſchland Frankreich ſchuldet. 

e) Im Saarbecken find im Jahre 1912/13 gefördert worden: . 


Preußiſche Gruben „„ 12 730 000. 
Bayeriſche Grub unn 77FCC0 an Fee 896 000 t 
Lothringiſche runden 2.5.2. ru re 3 846 000 t 


Insgeſamt ... . 17 472 000 t. 


Die Produktion des im Norden der Grenze von Elſaß⸗Lothringen gelegenen Teiles des Beckens 
beträgt alſo 13 626 000 t. 55 5 


Es ift ſchwer, den Wert dieſer Gruben zu berechnen, ein Wert, der natürlich von dem Geſtehungs⸗ 
preis der Kohle, von dem Verkaufspreis, der Ausbeutungsdauer der Gruben uſw. abhängt. 


Immerhin ſchätzt man den Kohlenreichtum des Beckens für die in weniger als 1000 m Teufe 
ausgebauten Schichten auf 3 660 Millionen Tonnen. N 


Es handelt ſich alſo um eine beträchtliche Einnahmequelle, die in die allgemeine Reparations⸗ 
rechnung einzuſtellen klug und gerecht iſt. * 


5. Dieſe notwendige Reparation iſt eine leichte Reparation. 
a) Die Saargruben gehören faſt in ihrer Geſamtheit dem preußiſchen und bayeriſchen Fiskus. 


Geſamt fläche: 116 000 ha 
Preußiſche Stantögenben se. 110 000 » 
Bayeriſche Staatsgrube n 4000 » 


Die Bewerkſtelligung der Abtretung von Staat zu Staat bietet keinerlei Schwierigkeit; die wenigen 
Privatgruben können von Deutſchland ihren Beſitzern abgekauft und an den franzöſiſchen Staat abge⸗ 
treten werden. f 

Wie oben angeführt iſt, wird das Saarbecken durch dieſe Abtretung an das Land zurückkommen, 
das es entwickelt hat und das, nachdem es das Land entwickelt hatte, gewaltſam feiner beraubt worden iſt. 

b) Die Abtretung wird keinerlei wirtſchaftlichen Bruch zur Folge haben. 3 

Nach dem Süden iſt nämlich der wirtſchaftliche Abſatz dieſer Gruben gerichtet: denn im Norden 
machen ihnen die weſtfäliſchen Kohlen Konkurrenz, denen gegenüber Preußen ſie immer zurückgeſetzt hat. 

Es genügt, daran zu erinnern, daß aus dieſer Abſicht heraus Deutſchland ſich ſtändig einer Kanali⸗ 
ſation der Saar von Saarbrücken abwärts und der Moſel bis zum Rhein widerſetzt hat. Die einzige 


Waſſerverkehrsſtraße, die es dem Saarbecken zu gewähren bereit war, war der Kohlenkanal, der gegen- 
weärtig Endpunkte nur auf franzoͤſiſchem Gebiet hat, nämlich in Nancy einerſeits und in Straßburg 
anderſeits. Man kann alſo ſagen, daß Deutſchland ſelbſt, um die Intereſſen des konkurrierenden weſt— 
faliſchen Beckens zu fördern, dem Saarbecken den Abſatz in der Richtung auf Frankreich oder Elſaß— 
Lothringen auferlegt und aufrechterhalten hat. 
MMNMNoch bevor fie im Jahre 1793 franzöfiiche Bürger wurden, führten die Notabeln des Gebiets in 
deiner Denkſchrift an die Vertreter des Volkes an, daß »der Handel, der Austauſch unſeres Eiſens, unſeres 
Holzes und unſerer Kohle gegen die Erzeugniſſe der franzöſiſchen Fabrikanten die Anhänglichkeit der 
Naſſauer für die Franzoſen gekittet und erhalten hat«. 

Gegenwärtig find Elſaß⸗Lothringen, Frankreich, Italien und die Schweiz wichtige Käufer für das 
N Die Rückkehr Elſaß⸗Lothringens an Frankreich und die Orientierung, die Deutſchland dem 
n freiwillig gegeben hat, können in einer nahen Zukunft dieſe Lage nur weiter entwickeln. 


) Schließlich wird auch der Schaden, den Deutſchland erleidet, nicht fo ſtark fein, daß er fein 
wWirtſchaftliches Gleichgewicht in Frage ſtellt. Nachſtehende Überſicht läßt dies erkennen: 
| Geſamtförderung Deutſchlands an Brennſtoff im Jahre 1913 


eee ärssneineness rn eneneen 278 000 000 t, 
/ / 2 essen na 13 626 000 » 
Reſt . 264374000 ı. 
Geſamtverbrauch im Jahre 19122. 197 000 000 » 
Überſchuß nach Abtretung des Saarbedend....2...2......... 67 374 000 t. 


6. Schlußfolgerung aus dem Grund ſatz der Reparation. 


9 Sowohl als beſondere Reparation wegen der Zerſtörung ſeiner Gruben wie als notwendiges Mittel 
für die Geſamtreparation iſt Frankreich berechtigt, das Saarbecken zu beanſpruchen. 


Unter Saarbecken iſt zu verſtehen: 
a) die ausgebeuteten Gruben, 
b) die nicht ausgebeuteten Kohlenvorkommen; 


e) die Induſtriegegend (Fabriken, Stahlwerke, Hochofen ufw.), die nur von dem Saarbecken 
lebt und mit ihm eine Einheit bildet. 


Auf die tiefbegründete Einheit dieſes Gebiets iſt vorſtehend hingewieſen worden. 
Dias Gebiet in mehrere Stücke zu zerlegen, wäre ſein Untergang und eine Quelle unzähliger 
Beelaſtigungen für die Bewohner. 
5 Aus dieſen Gründen erſtreckt ſich der Mindeſtanſpruch Frankreichs unter dem Geſichtspunkt der 
Reparation auf das durch folgende Linie begrenzte Gebiet: 


Ausgehend von der Grenze von 1815 an dem Punkt, wo fie durch die franzöfifche Nied geſchnitten 
wird, ſchließt dieſe Linie das Tal und die Dörfer der franzöſiſchen Nied ins Saarbecken ein, läuft über 
Beckingen (ausſchließlich), Duppenweiler, Bettingen, Tholey, St. Wendel, Werſchweiler, Kubelberg, 

2m öſtlich Homburg, Kirrberg, Einöd (alle genannten Ortſchaften einſchließlich) und erreicht die 
Grenze von 1814/1815, indem fie der Kammlinie zwiſchen den Tälern der Blies und des Bickenhall folgt . 


— 5 » = 
* * * 


Ar Am 28. März 1919 wurde die Angelegenheit zwifchen Clemenceau, Lloyd George 
und Wilſon erörtert. Tardieu berichtet darüber: 


Lloyd George wollte Frankreich zwar das Eigentum an den Kohlengruben zu— 
geſtehen, war auch mit einer autonomen Organiſation für das Geſamtkohlenbecken ein— 
verſtanden, widerſprach aber der Forderung nach der Grenze von 1815 mit den 
Worten: »Laſſen Sie uns den von Deutſchland im Jahre 1871 namens eines angeb— 
lichen geſchichtlichen Rechtes begangenen Fehler nicht erneuern. Laſſen Sie uns keine 
neuen Elſaß-Lothringer ſchaffen.« 


* 


2 


. ) Dieſe Grenze, die ungefähr nach der Grenze des Kohlenvorkommens gezogen iſt, iſt in der 
Brenzfeſtſetzung, wie fie im Artikel 48 des Vertrags von Verſailles enthalten iſt, erheblich — um etwa ein 
Achtel des jetzigen Saargebiets — überſchritten worden. Die Mitteilungen Tardieus geben keinen Auf— 

ſchluß darüber, wie dieſe Grenzerweiterung zuſtande gekommen iſt. Zeitungsnachrichten zufolge iſt am 
” 7. April 1919 eine Kommiſſion, beſtehend aus Aubert und Oberſtleutnant Requin für Frankreich, 
Headlam Morley für England und Haskins für die Vereinigten Staaten in Saarbrücken eingetroffen 
und hat Erweiterungen der Grenze in der Gegend von Mettlach und Homburg beſchloſſen. Wenn dies 
richtig iſt, muß ſchon vorher eine Erweiterung der Grenze beſchloſſen worden ſein, namentlich in der 


85 Gegend von Merzig. — Vgl. im übrigen Nr. 32. 


4 K! 2 
* > 

vr 

1 9 


BE RER 
Wilſon lehnte ſowohl die Grenze von 1814 wie das Eigentum Frankreichs an 
den Kohlengruben ab und wollte Frankreich nur das Recht auf eine feinem Förderungs— 


ausfall entſprechende Kohlenmenge zugeſtehen. Er gab ſeinem Standpunkt in folgenden 
Worten Ausdruck: »Niemals, in keiner einzigen Urkunde, hat Frankreich die Grenze 


— 


von 1814 verlangt. Die Friedensgrundlagen, die Frankreich angenommen hat, 


ſprechen von der Wiedergutmachung des Unrechtes, das Frankreich im Jahre 1877 
erlitten hat, nicht aber im Jahre 1815. Die Alliierten ſind durch dieſe Grundlagen 

gebunden. Das geſchichtliche Argument, das Deutſchland gegen Frankreich benutzte, 
um ihm Elfaß-Lothringen zu ſtehlen, iſt ein gefährliches Argument. Laſſen Sie uns 


davon abſehen, uns ſeiner zu bedienen. Übrigens entſpricht die Grenze von 1814 


in keiner Weiſe den gegebenen wirtſchaftlichen Verhältniſſen. Sie würde das Becken 


vernichten, indem ſie es in zwei Teile zerſchneiden würde, ohne damit Frankreich die 


Kohle zu verſchaffen. Eine Gebietsabtretung ohne ſofortige Volksabſtimmung wäre 
unter dieſen Umſtänden unzuläſſig. | 


Es gibt keine klügere Nation als die franzöſiſche. Wenn ich ihr freimütig 
meinen Standpunkt auseinanderſetze, ſo fürchte ich ihr Urteil nicht. Ich habe eine 


ſo hohe Vorſtellung von dem Geiſt der franzöſiſchen Nation, daß ich glaube, daß 
ſie jederzeit ein auf die Gerechtigkeit gegründetes und mit Unparteilichkeit angewen⸗ 
detes Prinzip annehmen wird. 5 


Ich glaube nicht, daß man dieſes Problem dem von ElſaßLothringen gleich— 
ſtellen kann. Während eines halben Jahrhunderts waren die Augen der Welt auf 
Elſaß⸗Lothringen gerichtet. Während eines halben Jahrhunderts hat die Welt niemals 


an Elſaß⸗Lothringen als an ein deutſches Land gedacht. Die Frage der Grenze von 


1814 hat nicht denſelben Charakter. Ich bin bereit, Frankreich die Nutzung der 
Kohlengruben für eine begrenzte Zeit zuzuerkennen. Da aber keine Rede davon ſein 


kann, den örtlichen Induſtrien die Kohle zu entziehen, ſcheint mir die Frage des a 


Eigentums an den Kohlengruben als eine reine Gefühlsfrage. 


Ich bedaure, daß ich dieſe Einwendungen mache, und bitte deshalb um Ent- 5 


* 1 


ſchuldigung. Es iſt mir peinlich, mich Frankreich zu widerſetzen. Aber ich konnte 8 


nicht anders handeln, ohne meine Pflicht zu vernachläſſigen.« 


Clemenceau antwortete hierauf folgendermaßen: »Ich habe einen gewichtigen a 


Vorbehalt zu machen: Sie ſchalten das Gefühl und die Erinnerung aus. Die 


Welt wird nicht von bloßen Prinzipien geleitet. Sie erklären ſich bereit, uns be- 
züglich des wirtſchaftlichen Geſichtspunktes Gerechtigkeit werden zu laſſen, und ich 
danke Ihnen dafür. Aber die wirtſchaftlichen Notwendigkeiten ſind nicht alles. Die 


Geſchichte der Vereinigten Staaten iſt eine ruhmreiche Geſchichte, doch iſt ſie kurz. 
120 Jahre ſind für Sie eine ſehr lange Periode. Für uns iſt es wenig. Wir 
haben unſere eigene Auffaſſung von der Geſchichte, die nicht vollkommen dieſelbe ſein 


kann wie die Ihrige. | 


Die Prüfungen, die wir durchgemacht haben, haben bei uns das tiefe Gefühl 
der Reparationen, die uns geſchuldet werden, hervorgerufen. Es handelt ſich nicht 
nur um materielle Reparationen. Das Bedürfnis moraliſcher Reparationen iſt nicht 
weniger groß 


Ich kenne alles, was Sie für den Sieg getan haben. Aber ich glaube, daß 


Sie nichts verlieren würden, wenn Sie in dieſer Frage ein Gefühlsmoment anerkennen 


würden, das etwas an eres iſt als Ihre Prinzipien, das aber nicht weniger tief iſt. 


Als damals die jungen Leute, La Fayette und Rochambeau, den Amerikanern 
zu Hilfe eilten, die um ihre Unabhängigkeit kämpften, waren es nicht die kalte Ver⸗ 
nunft noch die immerhin etwas Gewöhnliches bedeutenden kriegeriſchen Taten, die 
das Gedachtnis geſchaffen haben, das ſich an ihr Eingreifen knüpft. Es iſt ein tiefer 
Eindruck, ein tiefes Gefühl, das für immer unfere beiden Nationen verbunden hat. 


zu bin a7 in REN Monaten werde ich für immer das politiſche Leben 
verlaffen haben. Meine Unintereſſiertheit iſt abſolut. Ich werde vor dem Parlament 
die Ergebniſſe vertreten, zu denen wir gemeinſam gelangen werden. Wenn Sie mich 
— aber r heute nicht anhören, dann werden Sie eine Gelegenheit verſäumen, ein Glied 
mi 1 28 ae gegenfeitiger Zuneigung hinzuzufügen, die Frankreich und Amerika 


bt in der Gegend dort wenigſtens 150 000 Menſchen, die Franzoſen ſind ). 
ge, die im Jahre 1918 Adreſſen an den Präſidenten Poincaré ge— 
42 haben für ſich Anſpruch auf Gerechtigkeit. Sie wollen die Rechte der 
Bi achten; ich auch. Berückſichtigen Sie aber das Recht dieſer Franzoſen, 
25 njo wie Sie dem geſchichtlichen Recht Böhmens und Polens Rechnung zu tragen 
haben werden. 


Wir werden die Erörterung bald wieder aufnehmen. Für den Augenblick bitte 

1 Sie, wenn Sie allein ſein werden, an das zu denken, was ich ſoeben geſagt 

* babe, und Nulenbaft zu prüfen, ob es nicht einen großen Teil Wahrheit 
a ©" thält.« 


2 Am Nachmittag desſelben Tages traten Clemenceau, Loucheur und Tardieu zu— 
25 ce um die Bilanz aus dieſer Beſprechung zu ziehen. Der Anſpruch auf die 
Grenze von 1814 ſei, berichtet Tardieu, hoffnungslos geweſen. Bezüglich des Eigen- 
* Krane an den Kohlengruben und der Schaffung eines ſelbſtändigen Staates habe 
zwar die Unterſtützung Englands vorgelegen, jedoch nicht mit ausreichenden Garantien 
e die Ausbeutung der Gruben wie für die »Befreiung der Saarländer franzöſiſcher 
ſſes. Bei Wilſon ſei der Widerſtand nur bezüglich des wirtſchaftlichen Geſichts— 
punk s geringer geweſen. Deswegen ſei beſchloſſen worden, zunächſt bei dieſem 
m unkt anzulegen und zugleich zwei weitere Grundſätze zu betonen, nämlich einmal, 
daß die Ausbeutung der Gruben ein politiſches Sonderregime für das Saarbecken 
verlange, und ferner, daß, falls die Verbündeten wegen der Deutſchen im Saarbecken 
die ſofortige Vereinigung mit Frankreich für unmöglich halten ſollten, Frankreich 
rel des Gebiets unter preußischer Herrſchaft nicht zuſtimmen könne, weil 
5 zu viele Franzoſen nach Urſprung und Gefühl gebe. Dieſe drei Prinzipien 
ſeien 1 zum Gegenſtand dreier Noten vom 29. März, I. und 5. April gemacht worden. 
3 A veröffentlicht nur die erſte. Sie lautet in Überſetzung: 


Note über die Saarfrage. 


. 
* verlangt zunächſt, daß die Friedenspräliminarien ihm für die Dauer garantieren: 
a) das ſtändige Eigentum an allen Kohlengruben des Saarbeckens, 
* ein wirtſchaftliches und politiſches Regime, das auf der Oberfläche die Ausbeutung des Boden— 
inhalts geſtattet. 
Wenn die Saarkohle ſich unter dem Boden der Ruhr befände, würde Frankreich nichts weiter als 
die Keohle verlangen. 
1 Wir verlangen mehr, weil der Boden der Saar franzöſiſch geweſen iſt. 
Fur einen Teil faſt zwei Jahrhunderte lang. 
Fiür einen Teil mehr als zwanzig Jahre lang. Und zwar ift dieſer Boden zur Zeit der Revolution, 
% au einer Zeit, in der das Selbſtbeſtimmungsrecht der Volker zum erſtenmal angewendet wurde, 


. dig dem einen und unteilbaren Frankreich durch den frei zum Ausdruck gekommenen Wunſch der 
Be einverleibt worden. 


Er iſt von Frankreich gegen den Willen ſeiner Bewohner losgeriſſen worden. Es war dies die 
ſte Be i 3 des militäriſchen und e e r Preußens, ſobald es unſer Nachbar 


Ai 
W 


Be" 
2 
. 
. 


"N 


ER 5 Die: Bevölkerung des Saargebiets, einſchließlich der Gegend von Saarlouis, 10 rein deutſch. 
Die Zahl der nichtdeutſchen Elemente iſt verſchwindend gering. Die Zahl 150 000, d. h. etwa ein 
1 Bee! der kanns, iſt unerklärlich. 


2* 


2 


a 5 
. 


— 10 — 

Allerdings iſt auf dieſem ſeit 100 Jahren germaniſierten Boden die Mehrheit der Bevölkerung 
germaniſch, weil ſie eingewandert iſt. 

Dieſen Sachverhalt erkennen wir an, indem wir nicht die Annexion verlangen. Andererſeits 


beſtehen wir auf einer Löſung, die, wenigſtens teilweiſe, die unverjährbaren Rechte Frankreichs auf ein 
Land anerkennt, das zu einem franzöſiſchen Lande durch den Willen feiner Bewohner geweiht worden ift. 


Dies Land war franzöſiſch. Dieſe Tatſache ſchafft eine Vermutung, daß es gern wieder franzöſiſch 


werden wird. Das Beiſpiel Elſaß-Lothringens beweiſt es. Schon heute wiſſen wir, daß die Mehrheit 
der Bevölkerung von Saarlouis bereit iſt, ihre Wiedervereinigung mit Frankreich zu verlangen. 


Um die Zeit in voller Billigkeit das rückgängig machen zu laſſen, was vor einem Jahrhundert durch N 


Gewalt begangen worden iſt, iſt es angezeigt, die Frage der Souveränität über dies Gebiet gegen— 
wärtig nicht anzuſchneiden. f 

Vorübergehend ſoll das Gebiet weder unter die Souveränität Deutſchlands noch unter die 
Souveränität Frankreichs geſtellt werden. Es ſoll unter der Obhut des Völkerbundes ſtehen. 

Die Deutſchen des Gebiets ſollen ihre Staatsangehörigkeit behalten. Aber als Deutſche, die im 
Ausland leben, ſollen ſie nicht an den Wahlen zu den deutſchen Vertretungen teilnehmen. 

Sie ſollen für die örtlichen Vertretungen (Kreistage, Stadtverordnetenkollegien) das Stimmrecht 
ausüben dürfen. 

Die von der Zentralbehörde ernannten deutſchen Beamten ſollen beſeitigt werden. 

Den Deutſchen, die ihr Land verlaſſen wollen, ſollen alle Erleichterungen und Garantien für die 
Flüſſigmachung ihres Beſitzes gewährt werden. 5 

Frankreich ſoll vom Völkerbund ein zweifaches Mandat erhalten: 

1. Militäriſche Beſetzung; I 2 
2. Aufficht über oder Vetorecht in der Lokalverwaltung (einfchließlich Unterrichtsweſen). Ernennung 
der Bürgermeiſter und Beigeordneten. 5 

Die franzöſiſche Staatsangehörigkeit ſoll individuell und nach Prüfung des Falles den Perſonen 
verliehen werden, die darum nachſuchen. 

An dem Tage, an dem in jedem der hauptſächlichſten Verwaltungsbezirke die Mehrzahl der Wähler 
die franzöſiſche Staatsangehörigkeit erworben haben wird, oder einfach an dem Tage, an dem der Kreistag 
die Annexion an Frankreich verlangen wird, ſoll dieſe Annexion rechtsgültig werden nach Bewilligung 
durch den Völkerbund. 

Nach Ablauf von 15 Jahren ſollen alle Bewohner, die nicht bereits ihren Willen kundgegeben 
haben, befragt werden. Vor dieſem Datum ſoll kein Antrag auf Vereinigung mit Deutſchland in 
Erwägung gezogen werden, da dieſe Friſt von 15 Jahren gerade deshalb vorgeſehen iſt, um die Zeit 
handeln zu laſſen und die Bevölkerung in die Lage zu verſetzen, gerecht und frei über die Souveränität 
zu entſcheiden. Preußen hat für ſich 100 Jahre gehabt, um ſein Werk der Gewalt zu befeſtigen. | 


Die vorſtehend umſchriebene Löſung ermöglicht die Antwort auf die beiden Einwendungen, die dem 


Verlangen Frankreichs gegenüber gemacht worden ſind. 
Erſte Einwendung: Es iſt dies ein neuer Anſpruch Frankreichs, das bisher nur vom Elſaß 
und von Lothringen geſprochen hat. 


Es handelt ſich auch hier ſehr wohl um das Elſaß und um Lothringen; denn es handelt ſich um 


deren Grenze. Das franzöſiſche Lothringen, im Jahre 1871 amputiert, war ſchon im Jahre 1815 
amputiert worden. Ohne Zweifel hat die verfloſſene Zeit die ältere Grenze gegenüber der ſpäteren in den 
Hintergrund treten laſſen. Die vorgeſchlagene Löſung trägt aber dieſer Verſchiebung Rechnung, 


Das Lothringen von Metz und Thionville wird ſofort desannektiert; dem Saarbrücker Lothringen 
wird Zeit gelaſſen, zu entſcheiden, welchem der beiden Länder, die es beſeſſen haben, es endgültig ange⸗ 


gliedert werden will, in Berückſichtigung des Umſtandes, daß ſeine Angliederung an Preußen das Werk 
der Gewalt war. 


Zweite Einwendung: Es wird eine Breſche in das Prinzip des Selbſtbeſtimmungsrechtes 
der Völker gelegt. 

Nein! Nichts Endgültiges, nichts Unverbeſſerliches wird beſchloſſen. Es iſt im Gegenteil eine 
Verbeugung vor dieſem Prinzip, vor den möglichen Bedenken, die der doppelte hiſtoriſche Titel 
Frankreichs und Deutſchlands hervorruft, wenn man die Bevölkerung in die Lage verſetzt, über etwas 
zu entſcheiden, worüber Deutſchland — im Gegenſatz zu Frankreich — ſie niemals befragt hat: über 
die Souveränität, unter der ſie endgültig leben wollen. N 

Wenn alſo, um es zuſammenzufaſſen, einerſeits die Rechte Frankreichs auf das Saargebiet unſeren 
Verbündeten nicht ausreichend erſcheinen, um eine ſofortige Rückannexion zu rechtfertigen, ſo erſcheinen 
andererſeits diefe Rechte in den Augen Frankreichs zu bedeutſam, als daß es ſich damit einverſtanden 
erklären könnte, daß die Souveränität über das Saargebiet durch den Vertrag endgültig für Deutſchland 
bekräftigt wird. Ein Zwiſchenregime muß alſo geprüft werden. 


Im Anſchluß an dieſe Darlegungen wurden nach dem Bericht von Tardieu die 
Beſtimmungen über die Kohlengruben erörtert. Am 31. März ſtimmte Wilſon dem 


Am 
1 


Br ar N 
gang des Eigentums 
orſchlag: 

»ees beſteht grundſätzliches Einverſtändnis über folgendes: 

I. Das volle Eigentum an den Kohlengruben des Saarbeckens ſoll an Frankreich übergehen und 

Deutſchland auf Reparationskonto gutgebracht werden. 

2. Für die Ausbeutung dieſer Kohlengruben ſollen Frankreich die weiteſtgehenden Erleichterungen 

hrt werden, namentlich: 

a) Befreiung von Abgaben ſeitens Deutſchlands, einſchließlich Ein» und Ausfuhrabgaben; 

u b) abſolute Bewegungsfreiheit für die Arbeiterſchaft, ſowohl fremde als örtliche; 

0) Freiheit für die Entwickelung der Verkehrsmittel auf dem Schienen- und dem Waſſerwege, 
dd) Prüfung der notwendigen politiſchen und adminiſtrativen Abmachungen, um die vorerwähnten 
Etrgebniſſe ſicherzuſtellen.« N 

Auf dieſen Vorſchlag hin, zu dem Clemenceau zunächſt keine Stellung nahm, 

| wurde, wie Tardieu weiter berichtet, ein Ausſchuß gebildet, worin Frankreich durch 

Tardieu mit Unterſtützung von Aubert und Deflinne, die Vereinigten Staaten dur 

Er; f 9 

Prof. Charles H. Haskins und England durch Headlam Morley vertreten waren. 

Nach 10 Sitzungen war Einigkeit über die Ausbeutung der Kohlengruben erzielt; 

die franzöſiſchen Vorſchläge hierüber wurden mit gewiſſen Ergänzungen angenommen. 

Dies genügte aber Tardieu nicht. Er erreichte ſchließlich von feinen Mitarbeitern die 

Unterſchrift unter folgender Erklärung: 

»Die Unterzeichneten ſtimmen darin überein, daß, wenn die vorerwähnten Artikel, deren Be— 

ſtimmungen aus wirtſchaftlichen und ſozialen Geſichtspunkten notwendig erſcheinen, ohne Errichtung eines 

 adminiftcativen und politiſchen Sonderregimes ang wandt werden ſollten, ernſte Schwierigkeiten und Kon— 
flikte unvermeidlich entſtehen würden. 


an den Kohlengruben an Frankreich zu. Er machte folgenden 


gew 


gez. André Tardieu, 
Charles H. Haskins. 
Hendlam Morley«. 


entweder die Errichtung eines unabhängigen, mit Frankreich durch eine Zollunion 
verbundenen Staates oder die Souveränität des Völkerbundes mit Mandat für 
Frankreich und Volksabſtimmung nach 15 Jahren vorſchlug, machte Lloyd Georges 
zwei ähnliche Vorſchläge. Er gab feiner Meinung folgendermaßen Ausdruck: 
ch möchte dem Saargebiet die Unabhängigkeit unter der Autorität des Völker— 
bundes geben. Eine Zollunion würde das Becken mit Frankreich verbinden. In 
der Tat exiſtiert kein natürliches wirtſchaftliches Band zwiſchen dieſem Gebiet und 
Dieutſchland. Es hat nur Beziehungen mit Elſaß Lothringen). Wir dürfen ferner 


32 7 


) Die wirtſchaftlichen Beziehungen des Saargebiets zu Deutſchland einerſeits und Elſaß Lothringen 
andererſeits find erſichtlich aus folgenden, für das Jahr 1913 geltenden ſtatiſtiſchen Angaben, die ſich 
auf das ungefähr dem heutigen Saargebiet entſprechende Gebiet, jedoch mit Ausſchluß des pfälziſchen 
Teiles, beziehen: 

* Ausfuhr: Von dem Abſatz an Steinkohle entfiel 


%%% ĩ ͤ— . ne de 44,5 v. H., 
c ĩ i 25,2 „ 
t aa a a u et 12,7 » 
TE RE N RE ER 8,0 „ 
/ ⁰ũmĩmꝛFm2 6,2 » 
// c De 30 » 

Von der Kokserzeugung wurden abgeſetzt: 

6 , ˙ . aan Se De Free 89,4 v. H., 
671 ̃ in . ²ꝑ̃ n ae wich alte 098 „ 
% AAA •˙-a ] ·.m ee 8,5 » 
ande rr ð ß cn ae aan 122 


Teer, Pech, Aſphalt und Harz hatten ihren Abſatz faſt ausſchließlich in Deutſchland. 
9 Die (verhältnismäßig geringe) Ausfuhr von Roheiſen (Luppen und rohe Blöcke) ging faſt 
3 ganz nach Deutſchland. 
5 Bei Stab» und Formeiſen, Eiſenbahnſchienen, Eiſenbahnſchwellen, eiſernen Röhren und Säulen 
betrug der Anteil Deutſchlands an der Ausfuhrmenge ¼ bis ¼ 
Von der Ausfuhr an Thomasmehl entfielen auf Deutſchland 80,0 v. H. 


auch nicht vergeſſen, daß dieſes Land zum großen Teil franspſe Ae iſt bis 
zum Anfang des 19. Jahrhunderts, und daß es Frankreich mit Gewalt und trotz 
des Widerſpruchs der engliſchen Staatsmänner weggenommen iſt. % 
Wir find gegen jede Annexion. Aber wir glauben nicht, daß man dieſe 
Gegend lebensfähig erhalten kann, wenn man ſie nicht zu einer politiſchen Einheit 
geſtaltet. | 
Ich bin überzeugt, daß, wenn nach einigen Jahren eine Volksabſtimmung! 
. würde, die Bevölkerung nicht verlangen würde, zu Deutſchland zurück 
zukehren.« 
Wilſon wurde in dieſer Sitzung durch Oberſt Houſe vertreten. Dieſer erklärte, 
die vorgeſchlagenen Löſungen ſeien »in jeder Weiſe intereſſant und einer ſorgfältigen 
Prüfung werte, Am Nachmittag des gleichen Tages erneuerte aber Wilſon ſeine 
Einwendungen, indem er zwar den wirtſchaftlichen Vorſchlägen, nicht aber einer 
Anderung oder auch nur einer Suspendierung der Souveränität zuſtimmte und ebenſo 
den Gedanken eines Mandats verwarf In einer Note ſchlug er eine ſchiedsgericht⸗ 
liche Kommiſſion vor, die die Schwierigkeiten zwiſchen den franzöſiſchen Gruben und 
der Deutſchen Regierung entſcheiden ſollten. Da Clemenceau dieſen Vorſchlag ab⸗ 
lehnte und Wilſon dabei verharrte, kam eine Einigung nicht zuſtande. 5 
Am Abend des 8. April fand eine neue Beratung zwiſchen Clemenceau, | ouch; 
und Tardieu ſtatt, in der beſchloſſen wurde, nicht weiter nachzugeben. Der franzöſiſche a 
Standpunkt wurde in folgender, von Tardieu noch in der Nacht N Rz 
‚niedergelegt: . 


Antwort auf die Note des Herrn Präſidenten Wilſon vom 8. April. 


I Vorbemerkungen. 


Die von dem Herrn Präſidenten Wilſon Herrn Clemenceau am 31. März überreichte Note lautete 
folgendermaßen: Br. 
Es beſteht grundſätzliches Einverſtändnis über folgendes: ö 
1. Das volle Eigentum an den Kohlengruben des Saarbeckens ſoll auf Frankreich abergehen and 
Deutſchland auf Reparationskonto gutgebracht werden. 
2. Für die Ausbeutung dieſer Kohlengruben ſollen e die weitgehendſten wirtſchaftlichen er- 8 
leichterungen gewährt werden, nämlich: N 5 
a) Befreiung von Abgaben ſeitens Deutſchlands, einſchließlich Ein⸗ und Ausfuhrabgabe; 
b) abſolute Bewegungsfreiheit für die Arbeiterschaft, ſowohl fremde als örtliche; ee 
c) Freiheit für die Entwicklung der Verkehrsmittel auf dem Schienen- und Waſſerwege; 8 
d) Prüfung der notwendigen politiſchen und adminiſtrativen Abmachungen, um die vorerwähnten f 
Ergebniſſe ſicherzuſtellen. * 


Von ber Ausfuhr an Glas und Glaswaren, Tonwaren und Porzellan entfielen auf deu 
land 80 bis 90 v. H. N 

Die weiterverarbeitenden Induſtrien ſetzten ihre Erzeugniſſe zu 80 bis 100 v. H. auf dem 5 = 5 
deutſchen Markte ab, wovon 60 bis 80 v. H. auf die rechte Rheinſeite entfielen. Per 


Einfuhr: Von der Einfuhr an Eiſenerz entfielen: 


auf Elfaß⸗Loth ringen 83,0 v. H., 1 

e Deiiſchlanun rere A 3,0 » e 

„ f. re ee 95 f N 

„ freinde Nandendd ee 10,4 » e 
An der Einfuhr von Roheiſen waren beteiligt: N 

Deutſchland md er ee ee 17,0 v. H., 

Elſaß⸗Lothringen mit ....... 222 7 

Luxemburg mii Maenner 80 „ 

andere Länder mit er 58,0 '» 


Die Einfuhr an Koks und Braunkohlenbriketts erfolgte faſt ausſchließlich aus Deutſchland. 

Bei den ſonſtigen wichtigeren Einfuhrgütern (Weizen, Roggen, Hafer, Kartoffeln, Mehl, 8 8 
Müllereierzeugniſſe, Kleie, Teer, Rundholz, Nutzholz, Brennholz, Eiſenbahnſchwellen, 1 
Grubenholz, Petroleum und anderen Mineralölen, Naphthalin, Steinkohlen⸗ und Teeröbl, 
Schwefelſäure, Chem kalien, gebranntem Kalk, Zement) überwog die Zufuhr aus Deutſch⸗ 5 
land erheblich; ungefähr / dieſer Erzeugniſfe ſtammten aus Deutſchland einzelne, wie 
3: B. Chemikalien kamen ganz aus Deutſchland, nur wenige, wie z. B. gebrannter Kalk, HER ; 
ganz aus Elfaß⸗Lothringen. 182 

Vgl. im übrigen Nr. 175. 


8 2 3 40 
Sach verſtän digen haben f lächelt abi geäußert, daß ihres Erachtens einige von dieſen 

gen in der Pragis unvermeidliche Reibungen und Konflikte verurſachen würden, wenn nicht 

ſches und adminiſtratives Sonderregime eingeführt würde. 

die von dem Herrn Präſidenten Wilſon am 8. April überreichte Note nimmt vorbehaltlich gewiſſer 
Abänderungen den Entwurf für die wirtſchaftlichen Beſtimmungen an, enthält aber keinerlei politiſche 
un adminiſtrative Beſtimmungen. 

Be: 9505 ſieht die Schaffung eines Schiedsgerichts vor, das über Konflikte entſcheiden ſoll, aber ſie 

n nichts für die Vermeidung derartiger Konflikte. 

anderen Worten, die Note vom 8. April erkennt an, daß Konflikte entſtehen werden und 

t ſich darauf, eine Gerichtsbarkeit einzuſetzen, die in jedem Einzelfall zwiſchen Frankreich und 
den. wird. So wird das Saarbecken in letzter Linie durch einen Gerichtshof ver 


in Letartiges Regime ſtändiger Prozeſſe ſcheint unannehmbar nicht nur für Frankreich und 
lan, ſondern ach im Intereſſe der Bevölkerung des Saarbeckens und im Intereſſe des Welt— 


2 II. Beiſpiele für ſichere Konflikte. 

Saß Konflikte ſicher ſind, beweiſt die Prüfung der Artikel. Beiſpiele: 

Artikel 9. Wenn die Souveränität Deutſchlands und die deutſche Verwaltung beſtehenbleiben, 

= e ſoll es dann möglich ſein, die franzöſiſche Geſetzgebung über Arbeitsweſen, Ergänzung der Arbeiterſchaft, 
Löt ung Nie. auf einen Teil der Arbeiter des Saargebiets anzuwenden? 


ö . Ausübung der Polizeigewalt und der Gerichtsbarkeit in Einklang bringen? 
% 1 14. Wie ſoll Frankreich ſeine Aufſicht über die Regelung des Bergweſens, der Induſtrie 
d der ſozialen Verhältniſſe ausüben können, wenn ihm keinerlei Souveränitäts⸗ oder Verwaltungs 
ugniſſe übertragen werden? Angenommen, daß durch die in Weimar beſchloſſenen Geſetze der Arbeitstag 
r eine die Kohlengruben verſorgende elektriſche Kraftzentrale auf 6 Stunden herabgeſetzt werden ſollte, 
e ſollten die Gruben nach dem dem franzöſiſchen Recht entſprechenden Regime J Stunden arbeiten? 
Artikel 16. Wie ſoll das Saargebiet dem franzöſiſchen Zollſyſtem unterworfen werden, wenn 
kreich dort keine Verwaltungsbeamten und keine anderen Rechte als das Eigentum an den Kohlengruben 
Es gibt keine Zölle ohne Zollbeamte. 
Alle dieſe Artikel ſind wirtſchaftlich notwendig und gerecht, erfordern aber eine adminiſtrative und 
ſche Ergänzung, wie fie die Sachverſtändigen verlangt haben, wie fie aber die Note vom 8. April 
cht n Man könnte die Beiſpiele vermehren. 


III. Allgemeine Folgen des vorgeſchlagenen Syſtems. 
Nach dem Inhalt der von dem Herrn Präſidenten Wilſon angeregten Löſung ſoll die Sachlage 
* 


F Die Bewohner ſollen im Reichstag vertreten fein, wo Zwiſchenfälle künſtlich werden hervor— 
eruf t werden können. 

* Die ganze deutſche und preußiſche Verwaltungsorganiſation, die das Gebiet ſeit hundert Jahren 
tet, ſoll aufrechterhalten werden. N 
3. Jede von der franzöſiſchen Regierung getroffene wirtſchaftliche Maßnahme wird, auch wenn ſie 
ſo unentbehrlich iſt, von den deutſchen Behörden unbegrenzt verſchleppt werden können, da es für 

f örden hierfür genügen wird, einen Prozeß vor dem Schiedsgerichtshof anzuſtrengen. 
3 Wenn die dem franzöſiſchen Arbeitsrecht unterſtellten 72 000 Arbeiter in den Streik treten, 
welch Geſetzgebung ſoll anwendbar ſein? 

Man wird ſo dahin gelangen, in dem Gebiet die franzöſiſch⸗deutſchen Reibungen zu vervielfältigen, 
ie ie dann ihre Rückwirkung auf die geſamten Beziehungen der beiden Länder ausüben werden; ein drt- 
es Sondergericht iſt nicht das Mittel, wodurch das jo geſchehene Übel wieder gut gemacht werden kann. 
1 Saarbecken wird unter einem derartigen Regime ein europäiſches Marokko werden mit allen 

* dinge der Algeciras⸗Akte, noch dazu in erſchwerter Form. Es wird ein Kampfplatz und ein Nähr- 
= on für einen beſtändigen deutſch⸗franzöſiſchen Konflikt werden. 


* 


IV. Vereitelung der beiden weſentlichen Intereſſen Frankreichs. 


Die vorgeſchlagene Kombination befriedigt außerdem keines der beiden weſentlichen Intereſſen, die 
sg vertreten muß. 
ffs der Bodenſchätze: Das Eigentum an den Kohlengruben für ſtändige Dauer iſt durch 
Präſidenten Wilſon an Herrn Clemenceau vom 31. März feſtgeſtellt worden. Frankreich 
gt, daß dieſe Kohle, auf die es zwecks Reparation Anſpruch hat, ihm unentbehrlich iſt für 
reich ſelbſt und für Elſaß⸗Lothringen. Die Note vom 8. April faßt nun die glatte und einfache 
retung dieſes Eigentumsrechtes nach 15 Jahren ins Auge. Dies kann Frankreich nicht unterſchreiben. 
2 2 Betreffs des Gebiets in ſeiner Oberfläche: Auf den erſten franzöſiſchen Antrag hat der Prä— 
at der Vereinigten Staaten eingewandt, es gäbe in dieſem, zum großen Teil franzöſiſchen Gebiet zu 
wanderte Deutſche, als daß eine ſofortige Vereinigung mit Frankreich annehmbar ſei. Die 
Regierung hat ſich am 29. März einverſtanden erklärt, eine andere Loͤſung zu prüfen. Sie 
e erklärt, daß es in dieſem ſelben Gebiete zu viele ſchon jetzt nach Frankreich gerichtete 


EL 


franzöſiſche Elemente gäbe, als daß Frankreich darauf verzichten könnte, ihnen für die Zukunft ihr Recht 


auf Vereinigung mit Frankreich zu ſichern. Damit nun dieſe Vereinigung in 15 Jahren das Ergebnis 
der freien Willensäußerung der Bevölkerung ſein kann, iſt die Mindeſtbedingung, daß man die Bevölkerung 
bis dahin der Bedrückung durch die preußiſche Verwaltung entzieht, die ſie ſeit 100 Jahren erduldet. 

Dieſe Verwaltung (Wahlen, Beamte uſw), deren Aufrechterhaltung die Note vom 8. April vorſieht, 
wird in der Tat den Deutſchen den Vorteil des Terrors ſichern, mit dem ſie immer regiert haben, und 
wird den Bewohnern das fair chance der Befreiung entziehen, das Frankreich ihnen verſchaffen will. 
Frankreich ſtimmt zu, daß alle Garantien, ſelbſt die der Staatsangehörigkeit, den einzelnen Bewohnern 
gegeben werden, aber es kann nicht zugeben, daß das ihm übertragene wirtſchaftliche und ſoziale Mandat 
jede Minute belaſtet wird durch die Ausübung der preußiſchen Souveränität und Verwaltung. 


V. Schluß. 
Um es zuſammenzufaſſen, ſo iſt die franzöſiſche Regierung nach aufmerkſamer Prüfung der Note des 
Herrn Präſidenten Wilſon vom 8. April der Anſicht, daß dieſe Note 
1. nicht die adminiſtrativen und politiſchen Klauſeln enthält, die der Bericht der Sachverſtändigen 
vom 5. April zwecks Vermeidung von Konflikten für unerläßlich hält, 
2. daß ſie deswegen eine große Gefahr für örtliche und allgemeine Verwickelungen in ſich birgt; 
3. daß ſie Deutſchland ein ſtändiges Mittel der Obſtruktion gegen die franzöſiſche Ausbeutung 
der Kohlengruben des Beckens liefert; 
4 
5 


daß ſie nach Ablauf von 15 Jahren das durch die Note des Präſidenten Wilſon vom 


31. März gebilligte Eigentumsrecht Frankreichs an den Kohlengruben völlig in Frage jtellt; 
daß ſie der Bevölkerung im Hinblick auf die vorgeſchlagene Volksabſtimmung nicht die nach 
100 Jahren preußiſcher Bedrückung unerläßlichen Garantien gewährt. 
Die franzöſiſche Regierung wünſcht demnach ſich an einen der Vorſchläge von Herrn Lloyd George 
zu halten, die den von ihr ſelbſt formulierten entſprechen. 5 a 
Sie iſt bereit, ſie entſprechend den Anregungen des Herrn Präſidenten Wilſon zu ergänzen: 
a) durch eine Volksabſtimmung nach 15 Jahren, 
b) durch einen Schiedsgerichtshof, der den Auftrag hat, die bei der Anwendung der einen oder 
anderen dieſer drei Löſungen möglichen Meinungsverſchiedenheiten zu entſcheiden. f 
In der Sitzung vom 9. April vormittags ſtimmte Lloyd George dem franzö⸗ 
ſiſchen Vorſchag vollkommen zu. Wilſon leiſtete noch Widerſtand und machte am 
ſelben Nachmittag einen neuen Vorſchlag, wonach ohne Übertragung eines Mandats 
an Frankreich die von ihm vorher angeregte ſchiedsgerichtliche Kommiſſion zu einer 
Verwaltungskommiſſion umgewandelt werden ſollte. Tardieu ſtellte hierbei dem 
Präſidenten Wilſon folgende drei Grundfragen: 
1. Wird die deutſche Souveränität in der Schwebe gelaſſen werden? 
2. Wird die Kommiſſion alle Befugniſſe haben einſchließlich des Rechts, Be- 
amte abzuberufen? 
3. Werden die Wahlen zum Reichstag unterbunden werden? 


Wilſon bejahte alle drei Fragen. Hierauf wurden Tardieu, Haskins und Morley 
mit der Ausarbeitung des Vertragstextes beauftragt. Am 10. April war der Text 
fertiggeſtellt. 


Tardieu knüpft hieran noch ein Wort der Verteidigung gegen die an den Be⸗ 
ſtimmungen über das Saarbecken geübte Kritik, ſowohl derer, die dieſe Beſtimmung 
unzureichend finden, wie derer, die ſie als mißbräuchlich, gehäſſig, heuchleriſch und 
beleidigend für die Freiheit der Völker bezeichnen. »Herr Keynes hat«, ſchreibt 
Tardieu, »Wort für Wort die von dem Grafen Brockdorff-Rantzau in ſeiner Note 
vom 29. Mai 1919 entwickelten Argumente wiedergegeben, und bei franzöſiſchen 
Sozialiſten hat er ein Echo gefunden. Auf dieſe ſchlechten Gründe gibt der Augen- 
ſchein ſelbſt die Antwort. Iſt die Löſung des Saarproblems „imperialiſtiſch“? 
Vielleicht wäre dies bei einer glatten und einfachen Rückannexion an Frankreich der 
Fall geweſen. An Stelle dieſer Rückannexion ſetzt aber der Vertrag die Volt. 
abſtimmung, die das Recht der Einwohner achtet. Ohne die Volksabſtimmung hätte 
es nur folgende zwei Möglichkeiten gegeben: entweder die Annexion an Frankreich, 
wobei der deutſchen Bevölkerung das Recht auf freie Abſtimmung entzogen worden 
wäre, oder die Aufrechterhaltung des status quo, wobei annähernd 150 000 Saar⸗ 
länder — nach Herz und Willen ebenſo Franzoſen wie die Elſäſſer und Lothringer — 
auf immer unter dem deutſchen Stiefel geblieben wären. Die Friedenskonferenz hat 
weder die erſte noch die zweite dieſer beiden Löſungen gewollt, und indem fie weder 


| Be ES 8 2 

die eine noch die andere wollte, iſt ſie durch ihre eigenen Bedenken zu der Löſung 
gelangt, die der Vertrag enthält. Man ſage nicht, daß es, um die Schwierigkeiten 
zu vermeiden, genügt hätte, alsbald eine Volksabſtimmung vorzunehmen, denn unter 
der Laſt eines Jahrhunderts preußiſcher Bedrückung hätte eine ſofortige Abſtimmung 
ein falſches Bild ergeben, und die Saarfranzoſen wären geopfert worden.« 
Tardieu ſchließt ſeinen Bericht mit folgenden Worten: 


Br; Er »Dies iſt die Löſung des Vertrags. Gewiß verwickelt, weil das Problem ver- 


wickelt war, weil Frankreich es zu tun hatte mit Verbündeten, die durch ehrenhafte 
ar Bedenken zurückgehalten wurden und oft unfähig waren, die Dinge von demfelben 
Standpunkte aus zu beurteilen wie Frankreich; aber auch eine gerechte Löſung, weil 
ſſie, auch in dieſer Komplexität, allen auf dem Spiele ſtehenden Intereſſen Rechnung 


trägt... Anfang Juli 1919 iſt der Bürgermeiſter von Saarlouis in Begleitung 
einer Delegation erſchienen, um Herrn Clemenceau die Dankbarkeit feiner Mitbürger 
zum Ausdruck zu bringen. Am 10. Januar 1920 haben unſere Ingenieure Beſitz 


= von den Gruben des Kohlenbeckens ergriffen. Einige Tage ſpäter hat ſich die 
En» Regierungskommiſſion unter dem Vorſitz eines Franzoſen in Saarbrücken nieder: 
gelaſſen und dort in einigen Monaten für das Wohl der Bewohner gute und nütz— 
liche Arbeit verrichtet. Dies muß man feſthalten, mehr als die gleisneriſchen Proteſte 
der Deutſchen. Solange dieſe ſich als Sieger gefühlt haben, beabſichtigten ſie, Belgien 
und fünf franzöſiſche Departements zu annektieren.« 

* 

* 


= II. 
Nr. 2. 


25 Hiſtoriſche Beleuchtung der franzöſiſchen Anſprüche auf das Saarbecken. 
I Von Profeſſor Hermann Oncken 


(Abgekürzte Wiedergabe eines in der »Woche« Nr. 10 vom 8. März 1919 
erſchienenen Artikels.) 


a Die franzöſiſche Publiziſtik hat den hiſtoriſchen Rechtstitel ins Feld geführt; 
dDieſen gilt es, in feinen entſcheidenden Poſitionen nachzuprüfen. Ich laſſe dabei 
bpoöllig die hiſtoriſchen Antiquitäten beiſeite, die ſich mit den Sitzen des alten Kelten- 
. tums in dieſer Gegend, mit dem Rhein als Grenze Galliens oder mit den karo— 
llingiſchen Teilreichen des 9. Jahrhunderts beſchäftigen. Wir haben auch bei uns 
patriotiſche Narren gehabt, die mit ähnlichen Reminiſzenzen aus einer toten Ver: 
gangenheit einen beliebigen unberechtigten Eroberungsanſpruch zu begründen ver— 
meinten. Wir haben ſie zum Schweigen gebracht, aber lehnen es ebenſo ab, die 
ihnen wahlverwandten Narren im Feindeslager ernſt zu nehmen. Daher begnügen 
wir uns mit der jedem Hiſtoriker hüben und drüben vertrauten Feſtſtellung, daß ſeit 
dem Ausgang des 9. bzw. ſeit der Mitte des 10. Jahrhunderts auch die Gebiete, 
zu denen das Saarbecken zu rechnen iſt, Teile des Deutſchen Reiches ſind und ſeit— 
5 dem mit ihrer Bevölkerung und ihren Einrichtungen, mit ihrer Arbeit und ihrer 
Kultur dem deutſchen Staat und dem deutſchen Volkstum zugehört haben. 

Mit zwei ganz kurzen Unterbrechungen. Denn innerhalb dieſer Periode von faſt 
eeinem Jahrtauſend, die wir überblicken können, gibt es zwei begrenzte und epiſodenhafte 
A3 wiſchenſpiele, die die Franzoſen heute in einen hiſtoriſchen Nechtstitel zu verwandeln 
9 bemüht find. Nur in den Jahren 1680 bis 1697 und in den Jahren 1801 bis 
13815 hat Saarbrücken überhaupt (Saarlouis auch in der dazwiſchenliegenden Periode) 
zum franzöſiſchen Staat gehört. Dieſe beiden hiſtoriſchen Intermezzi fallen beide 
Male in die Gipfelpunkte einer hegemoniſchen Eroberung, die nach allen Seiten, über 
| die franzöſiſchen Sprachgrenzen hinaus, in Europa um ſich griff: unter Ludwig XIV. 
und unter Napoleon I. Beide Intermezzi find von der bewaffneten Gegenwehr des 


er 9 b * 4 > * „ t Wer FE Te De ee | R . 
5 5 t en 15 2 V 
y * 7 4 h 82 * 3 Rn“ 1 * N 
1 u“ N * 


„ 


bedrohten Europa nach kurzer Friſt wieder der völkerrechtlichen Reviſion unter Her⸗ 8 


ſtellung des alten Rechtszuſtandes unterworfen worden. Würdigen wir dieſe beiden 8 


Epiſoden im einzelnen, ob ſich aus ihnen irgendein Recht herleiten läßt, ſie in der 
heutigen Welt gewaltſam zu erneuern. 


Der erſte Verſuch der Franzoſen, ſich im Saargebiet feſtzuſetzen, fällt in die 


Zeit nach dem Frieden von Nymwegen. In den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts 


verſuchte Ludwig XIV. mitten im Frieden das Gebiet an ſich zu reißen, und als die mil 
9 d / 


täriſche Gewalt von deutſchen Reichstruppen wieder hinausgeworfen worden war, verfiel 
man in Paris auf den Ausweg des »Rechtes«, wie ihn dieſe grundſätzliche Exoberungs— 
politik damals verſtand. Die Metzer Reunionskammer vom 17. Oktober 1680 legte 
der Gräfin Eleonore Klara von Naſſau-Saarbrücken die Verpflichtung auf, ihr Land 


als ehemaliges Lehen des Metzer Bistums von der Krone Frankreich zu Lehen zu 5 


nehmen, und am 9. Januar 1681 mußte die Bedrohte, der Macht ſich beugend, ſich 
dem franzöſiſchen Anſinnen fügen. Über die Methoden dieſer Reunionspolitik, deren 
Sprüche aus der Macht ein Recht zu machen ſuchten, hören wir zunächſt die all⸗ 
gemeinen Urteile der Franzoſen von damals und heute. In den Werken einer der 
edelſten Erſcheinungen des geiſtigen Frankreichs, des Erzbiſchofs Fenelon, finden ſich 
darüber folgende Sätze, die er an König Ludwig XIV., der Wahrheit die Ehre gebend, 
geſchrieben haben ſoll: »Mitten im Frieden haben Sie Krieg geführt und wunder 


ſame Eroberungen gemacht. Sie haben eine Reunionskammer eingeſetzt, um Richter 2 


und Partei zugleich zu ſein; das hieß: Kränkung und Hohn der Rechtsanmaßung 
und Gewalttätigkeit hinzufügen . . . . Ein ſolches Benehmen hat ganz Europa gegen 
Sie geeinigt und in Erregung verfeßt.« ((Euvres choisies de Fénélon, Bd. 2, 416). 
Unabhängige Franzoſen denken heute nicht anders. Noch im Jahre 1906 ſchrieb 
einer der angeſehenſten Hiſtoriker Frankreichs, Erneſte Laviſſe, in ſeiner vielgeleſenen 


großen »Histoire de France« (Bd. VII, 373) das Urteil nieder: »Niemals hat ſich 
Ludwig XIV. durch einen Vertrag gebunden erachtet. Er hat in feinen Memoires 
ſeinem Sohn die Meinung ausgeſprochen, daß die Worte der Verträge den Komplimenten 
gleichen, die man in der großen Welt macht, und nur eine im Verhältnis zu ihrem 


Klange ganz untergeordnete Bedeutung beſitzen. Er hat beinahe jedes Wort gebrochen, 
das er gegeben hat. Er hat beim Tode des Königs von Spanien Advokatenkniffe 
als Kriegsgründe ausgeſucht und ähnliche Kriegsgründe nach dem Frieden von Nym⸗ 


wegen gefunden, um die Reunionen zu unternehmen. Niemand konnte ſich auf ihn ver 


laſſen.« »Chicanes de procureurs«: Dieſes allgemeine Urteil über die Reunionen gilt auch 
im beſonderen über den obenerwähnten Fall des Saargebietes, von dem hier allein die 
Rede iſt: es iſt Gewalt unter dem ſchlechten Schein eines Rechtsverfahrens. Daher 
erübrigt es ſich auch, die Fiktionen dieſes Gerichtshofes einer Nachprüfung im einzelnen 
zu unterziehen und etwa auseinanderzuſetzen, weshalb eine Urkunde Kaiſer Heinrichs IV. 
von 1065, die das Schloß Saarbrücken (nur diefes) an das (damals dem Deutſchen 
Reich unterſtehende) Bistum Metz verliehen hat, für das Rechtsverfahren des 17. Jahr⸗ 
hunderts keine Beweiskraft hat. Mit Recht hat der Münchener Völkerrechtslehrer 


Reinhard Frank darauf hingewieſen, daß eine vorübergehende lehnsrechtliche Verbindung 


im feudalen Staat vor faſt einem Jahrtauſend als Rechtsgrundlage für die Verhält⸗ 
niſſe im modernen Staatsleben überhaupt nicht angeſprochen werden kann. 


Aber ſchon das alte Europa des 17. Jahrhunderts iſt ſich einig darüber ge⸗ 
weſen, wie dieſe Reunionspolitik völkerrechtlich und ethiſch zu bewerten ſei, und es 


verſtand zu handeln. Denn das Syſtem der Übergriffe, denen auch das Saargebiet 
zum Opfer fiel, gab den Anlaß, daß in den folgenden Jahren unter der Führung 


des deutſchen Kaiſers und des Königs Wilhelm III. von Großbritannien ſich die große 
»Allianz« bildete, die das verletzte Völkerrecht mit den Waffen wiederherſtellte. Im Frieden 
von Ryswyk von 1697 mußte Ludwig XIV. ſeinen Raub, darunter auch faſt das 
ganze Saargebiet, wieder herausgeben; mit dieſer völkerrechtlichen Entſcheidung ſind 
übrigens auch alle etwa vorhandenen früheren Rechtstitel hinfällig geworden. Allein 


die Feſtung Saarlouis, die der König inzwiſchen in dem geraubten Gebiet an Stelle 


x en r e , PN ee Fr 
* 8 =. DL Br 8 7 Te Er ur . * 7 1 
„ * r “X Fe Vor u n 


Ausfallstor gegen die Pfalz zu behaupten; wenn die Franzoſen heute auf dieſen 
Namen gefliſſentlich hinweiſen, fo ſei ihnen erwidert, daß fie ihn ſelber während der 
Revolutionszeit pietätlos in »Sarrelibre« umgetauft haben. Saarbrücken ſelbſt aber 


und der Kern des Saargebiets wurden wieder deutſch und blieben das ganze 18. Jahr— 
hundert hindurch deutſch. 5 15 

Auf die erſte franzöſiſche Epiſode iſt eine zweite Epiſode in dem napoleoniſchen Zeit— 
alter olgt. Sie war die Frucht des gleichen Eroberungsdranges und ſie iſt nach kurzer 
Dauer dem gleichen Geſchick durch den Willen Europas verfallen. In d m Frieden von 
uneville im Jahre 1801 iſt auch das Saargebiet mit den anderen Teilen des linken 
Rbeinufers an Frankreich abgetreten worden, und damit begann für anderthalb Jahr— 
ze eine engere Verbindung dieſer deutſchen Lande mit dem franzöſiſchen Staat, als ſie 
f m 17. Jahrhundert möglich geweſen war. Die Selbſtbeſtimmung der Bewohner des 
Saarbeckens iſt dabei ebenſowenig geachtet worden wie in den übrigen deutſchen 
Gebieten. Noch im Jahre 1798 — nach mehrjähriger Beſetzung — ſollen es im ganzen 
nur 48 Bürger von Saarbrücken und 13 von St. Johann geweſen ſein, die ſich für 
die Vereinigung mit Frankreich ausſprachen. Wenn aber die heutige ſranzöſiſche 
Eroberungspubliziſtik ſich darauf beruft, die Bewohner des Saargebiets hätten an 
den Plebiſziten der Jahre 1802 und 1804 teilgenommen und dadurch ihren politiſchen 
Willen als Angehörige des franzöſiſchen Empire manifeſtiert, ſo darf man erſtens 
die Franzoſen daran erinnern, wie ſie ſelber heute als gute Republikaner dieſe 
napoleoniſchen Plebiſzite und ihre Einſchüchterungsmethoden zu bewerten pflegen, 
zweitens die hiſtoriſche Tatſache feſtſtellen, daß in dieſen Plebiſziten allein die Frage 
8 we wurde, ob Napoleon Bonaparte auf Lebenszeit Konful und (beim zweitenmal) 
Kaiſer fein ſolle. Dieſe Frage allein und nichts anderes iſt in den in üblicher Weiſe 
erzwungenen Abſtimmungen in allen damals zu Frankreich gebrachten Gebieten beantwortet 
wo den. Wer heute aus jenen Abſtimmungen einen Rechtstitel für eine neue Eroberung 
herleiten will, kann ſich ebenſogut auf die piebilzitären Voten von Brüſſel und 
Antwerpen, von Köln und Mainz, von Genf und Turin berufen: Belgier, Schweizer 
und Italiener werden ihm ſchon die richtige Antwort geben! Denn dieſe ungeheure 
Ausdehnung des Kaiſerreichs, die die Traditionen Ludwigs XIV. aufnahm und 
überbot, iſt damals die Urſache geworden, daß in immer neuen Anläufen Europa 
ſich unter Führung Englands zuſammenfand, um ſchließlich die napoleoniſche Gewalt— 
heerrſchaft in Stücke zu ſchlagen und das Recht der Völker wieder herzuſtellen. 


r 

* ie.» 

„" 35 
Be 
Sa 


 gewilfen Grenzlinien gegen die Niederlande, das Deutſche Reich, die Schweiz und Piemont 
einige Gebietserweiterungen über jene Grenzen von 1792 hinaus bei Frankreich be— 
2 53 laſſen, darunter auch das Saargebiet. Erſt, als Frankreich ſich dem von Elba zu— 
rückgekehrten Napoleon noch einmal angeſchloſſen und wiederum mit Waffengewalt 
von den Verbündeten hatte zum Frieden zurückgeführt werden müſſen, entſchloſſen 
ſſich die Mächte, auch dieſe Grenzſtreifen wieder an ſich zu ziehen und den Anliegern 
in den Niederlanden, Preußen, der Schweiz und Piemont zu überweiſen. Das iſt 
die Korrektur, die die Großmächte nach der erneuten Erfahrung mit der franzöſiſchen 
Kriegsluſt im Jahre 1815 an den Beſchlüſſen von 1814 vornahmen, das iſt der 
kümmerliche Reſt eines Rechtstitels, den die Franzoſen von heute gegen das curo— 
päiſche Urteil von damals hervorholen, um auf ein ihnen angeblich zugefügtes »Un— 
kxecht« den bequemen Begriff der »réparation« anzuwenden. Erwägen wir deshalb 
eernſthaft, was fie zu ſagen haben. Hören wir, um das »Unrecht« von 1815 in 
Aunparteiiſcher Beleuchtung vorzuführen, erſtens — wie es ſich gebührt — die Fran⸗ 
zꝛxͤoſen von damals, zweitens die führende Macht der Verbündeten, die Engländer, die 


nn: 


Ta Wa Bir a 


ihr damaliges Votum auch heute nicht werden preisgeben können, und ſchließlich noch 
die Saarbrücker von 1815 — wenn ihre Stimme im Zeitalter der Kabinettspolitik 
zu Worte kam, darf ſie dann heute, im Zeitalter der Selbſtbeſtimmung der Völker, 
ungehört verhallen? | : 


Zunächſt die Franzoſen ſelbſt. Am 21. Septemper 1815 haben Talleyrand und 
die übrigen franzöſiſchen Bevollmächtigten ſich in Beantwortung der Forderungen der 
Verbündeten zu gewiſſen Rückgaben über die im Vertrage vom 30. Mai 1814 vor⸗ 
geſehene Grenze hinaus erboten, und zwar erhoben fie keine grundſätzlichen Einwen⸗ 
dungen gegen Abtretungen von Gebiet, das nicht zu dem Frankreich von 1792 ge— 
hört hatte. Zu dieſen Abtretungen gehörte Saarbrücken. In dieſen »cessions 
territoriales sur ce qui n’etait pas Pancienne France“ — die nicht zu dem alten 
Frankreich vor der Revolution gehört hatten — erblickten die franzöſiſchen Staats⸗ 
männer nicht im geringſten ein »Unrecht«. Die unheilvollen Folgen weitergehender 
Abtretung malten ſie allerdings beweglich aus. Das ganze Aktenſtück verrät, wie 
froh man in Paris war, ſo billigen Kaufes davonzukommen und nicht für den 
Krieg von 1815 mit einer ganz anderen Koſtenrechnung von »Desannexionen« und 
»Reunionen« beſtraft zu werden. 


Daß ſolche Entwürfe damals unter den Gegnern Frankreichs auftauchten, läßt 
ſich nach den bitteren Erfahrungen, die man gemacht hatte, wohl begreifen. Auch 
die engliſchen Staatsmänner, um die zweite Zeugenbank aufzurufen, haben ſich über die 
moraliſche Berechtigung der Verbündeten, ſich ſtärker gegen Frankreich zu ſichern, ſehr 
beſtimmt ausgeſprochen. Am 15. Juli 1815 ſchrieb der Premierminiſter Lord 
Liverpool an den auswärtigen Miniſter Lord Caſtlereagh: »Die überwiegende Meinung 
in England iſt, daß wir vollkommen berechtigt ſind, uns den gegenwärtigen Moment 
zunutze zu machen, um von Frankreich die hauptſächlichſten Eroberungen Ludwigs XIV. 
zurückzunehmen (to take back from France the principal conquests of Louis XIV.). 


Es wird mit vielem Nachdruck geltend gemacht, daß Frankreich niemals die 


Demütigung, die es empfangen hat, vergeſſen, ſondern die erſte Gelegenheit wahr⸗ 
nehmen wird, um ſich zu bemühen, feinen militäriſchen Ruhm zurücdzugewinnen.« 
(Letters of Castlereagh X, 431.) Wenn trotzdem die engliſche Politik ſich ſchließ⸗ 
lich auf ſo geringfügige Gebietsänderungen beſchränkte, ſo geſchah es allein, um die 
Rückſicht auf die Sicherheit der Nachbarn Frankreichs möglichſt in Einklang zu ſetzen 
mit der Rückſicht auf die Befeſtigung des neuen Regimes der Bourbonen und auf 
einen dauernden Friedenszuſtand. Es war die Schonung und nicht die Härte, 
die dieſe Bedingungen diktierte. Daß auch die Engländer in dieſem Ausgang 
nur den Schlußakt des Prozeſſes ſahen, der unter Ludwig XIV. begonnen hatte, geht 
aus dieſer Stelle und mancher anderen in den Papieren Caſtlereaghs und Wellingtons 
deutlich hervor. 


Und nun zu den Saarbrückern ſelbſt. Trotzdem ſie anderthalb Jahrzehnte ge⸗ 
zwungen unter Napoleon geſtanden hatten, ſandten ſie in den kritiſchen Wochen 
eine Deputation nach Paris, um aus der Zugehörigkeit zu Frankreich herausgelöſt 
zu werden. 343 Bürger aus einer Geſamteinwohnerzahl von 5000 hatten die Ein⸗ 
gabe unterzeichnet, und der Führer der Deputation, Böcking, erklärt, neun Zehntel 
der Bevölkerung habe hinter ihnen geſtanden. Eben dieſes Auftreten mag es auch 
Talleyrand erleichtert haben, in den Verzicht zu willigen und den Stimmen einer 
verſchwindenden Minorität kein Gehör zu ſchenken. Es handelte ſich im Jahre 1815 
eben nicht um einen Vertrag zwiſchen Potentaten, die — um mit Wilſon zu reden — 
ihre Untertanen wie ihr Eigentum verſchenken, ſondern um den freiwilligen Akt eines 
ſich ſelbſt beſtimmenden Volkes. Man darf ſogar ſagen, wie W. Windelband in der 
Frankfurter Zeitung vom 7. Februar 1919 bemerkt, daß unter den vielen Erwerbungen, 
die Preußen im Laufe ſeiner Geſchichte gemacht hat, die Saarbrücker faſt die einzigen ſind 
die — wie ihre Deputation nach Mainz an Juſtus Gruner beweiſt — dieſen Anfall 
vorher und freiwillig beantragt haben. Sie wurden eben nicht erobert, ſie kamen von 
ſelbſt, als ſie im Jahre 1815 in den Schoß des deutſchen Vaterlandes zurückkehrten. 


— 


a 


Soll dieſe vor hundert Jahren dokumentierte Selbſtbeſtimmung heute, wo fie 
im Notfall mit überwältigender Einſtimmigkeit ſich genau fo äußern würde, wieder 
25 vernichtet werden? Denn das iſt die ſchwerwiegende hiſtoriſche und ſittliche Ver— 
antwortung, die vor allem an den Präſidenten Wilſon herantritt: ob er einen 
J weimal, in den Jahren 1697 und 1815, gefällten europäiſchen Rechtsſpruch heute 
| in Unrecht verwandeln will. Wir haben heute keine Verbündeten und Fürſprecher, 
wir können von unſern nächſten Feinden nicht den Gemeinſinn jenes alten Europa 
erwarten, wir haben nur die Gerechtigkeit unſerer Sache für uns und die Hoffnung, 

daß Präſident Wilſon, der der Welt ein Zeitalter der Gerechtigkeit zu ſchenken gelobt 
hat, nicht hinter der Kabinettspolitik des 17. und 19. Jahrhunderts wird zurück— 
ſtehen wollen. 

er Zu ihren hiſtoriſchen »Rechtstiteln« haben die Franzoſen noch einen modernen 

8 gefügt. Er heißt: »Wiedergutmachung des ihnen in dieſem Kriege zugefügten Un— 
rechts« — eben deswegen verlangen fie das Kohlenbecken von Saarbrücken. Aber 
it dieſer Grund jo wahr, wie der Hinweis auf zerſtörte eigene Kohlengruben er— 
ſcheinen läßt, oder iſt es nur ein Vorwand für ein Verlangen, das auch ohne die 
Gruben von Lens immer in der franzöſiſchen Seele geſchlummert hat? Aus den 
Antworten, die die Geſchichte des 19. Jahrhunderts auf dieſe Frage gibt, nur eine 
einzige Epiſode. Als nach der Schlacht bei Königgrätz Preußen und Oſterreicher ſich 
der Möglichkeit des Friedensſchluſſes näherten, erſchien am 18. Auguſt 1866 im 
preußiſchen Hauptquartier der franzöſiſche Botſchafter Benedetti, um eine franzöſiſche 
Kompenſationsforderung vorzulegen. Sie hieß — wie heute — Landau und Saar— 
brücken. Für Saarbrücken hieß das Schlagwort damals noch nicht Reparation, 
ſondern Kompenſation. Der Name war anders, aber die Sache war die gleiche: 
es handelte ſich um nichts als Eroberung, um reine Machtpolitik. Dieſes Begehren 
Napoleons III. enthüllt den Sinn jenes Wortes, das Ranke im Jahre 1870 zu 
Ad. Thiers gebrauchte: Wir führen jetzt Krieg gegen Ludwig XIV. — auch wenn 
die Welt heute vergeſſen zu haben ſcheint, daß wir Deutſche es ſind, die auf einer 
langen hiſtoriſchen Linie in der Defenſive geſtanden haben. 

1 Im Jahre 1866 ſchlug der Erpreſſungsverſuch fehl, er half nur Deutſchland 
nach dem Bürgerkrieg zu einigen, aber er wurde zu einer der Wurzeln des Krieges 
von 1870. Dieſe Erinnerung mag auch für Wilſon eine Mahnung geweſen ſein, 

keine Löſung der Friedensfrage zuzulaſſen, die im Moment eine Vergewaltigung 
ſchafft. Er würde ſonſt ſeinen eigenen Idealen des Völkerbundes den Todeskeim 
eeinpflanzen und fein Wort vom 6. April 1918 widerrufen: »Wir ſind bereit, bei 
der Schlußabrechnung gerecht gegen das deutſche Volk zu ſein und mit Deutſchland 
ehrlich zu verfahren wie mit anderen Mächten. Irgend etwas anderes vorzuſchlagen 
als Gerechtigkeit, unparteiiſche und leidenſchaftsloſe Gerechtigkeit gegenüber Deutſch— 
land, wie immer der Krieg ausgehen mag, hieße unſere eigene Sache im Stiche 
laſſen und entehren.« 


III. 


Einige Urkunden aus der erſten Hälfte der Waffenſtillſtandszeit. 


. Nr. 3. 
RER Der Einzug der franzöſiſchen Truppen in Saarlouis. 
(Aus amtlichen Berichten.) 


Am Vormittag des 21. November 1918 marſchierten die letzten deutſchen Truppen 
durch die Stadt Saarlouis, die ihnen zu Ehren mit Fahnen, Girlanden und Ehren— 
pforten geſchmückt war. Unmittelbar nach dem Durchmarſch wurde der Schmuck ab— 


Te 


genommen. Gegen Mittag rückte der franzöſiſche Vortrupp ein und erklärte die Stadt 
für beſetzt. Jede Begrüßung und Kundgebung ſeitens der Bevölkerung unterblieb. 


Auf den Straßen hatte ſich nur eine gewiſſe Anzahl Neugieriger eingefunden, 1 7 
ſchweigend dem Einzug der franzöſiſchen Dragoner zuſahen. Es wird erzählt, ein > 


einzelner habe »Vive la France« gerufen, worauf er verprügelt worden fei. 


Die Franzoſen wollten fofort auch den nördlich der Stadt und jenſeits der 


Saar gelegenen Bahnhof beſetzen. Da ſich dort noch deutſche Truppen befanden, 


proteſtierte der Bürgermeiſter dagegen und erreichte nach langem Verhandeln, daß 


den deutſchen Truppen eine Abzugsfriſt bis zum 22. November 3 Uhr mittags eingeräumt 
wurde. Der Major Tuffrau, mit dem der Bürgermeiſter dieſerhalb verhandelte, 


erwähnte bei dieſer Gelegenheit ſelbſt die kühle Aufnahme der franzöſiſchen Truppen 


ſeitens der Bevölkerung. 
Am Abend des 22. November verlangte Major Tuffrau von dem Bürgermeiſter, 


er ſolle am nächſten Tage, an dem der franzöſiſche General Lecomte ſeinen feierlichen 


Einzug in die Stadt halten werde, dieſen an der Stadtgrenze empfangen, ferner ſolle 
die Bürgerſchaft die franzöſiſchen Fahnen und Offiziere begrüßen. Der Bürgermeiſter 
lehnte das erſte Verlangen ſofort ab und erklärte wegen des zweiten, er müſſe ſich 
darüber erſt mit den Stadtverordneten beſprechen. 

Bald darauf überſandte Major Tuffrau dem Bürgermeiſter folgendes Schreiben: 


(Überſetzung.) 
22. November 1918, 19 Uhr (deutſche Zeit). 


Major Lazard an den Bataillonschef Tuffrau. 

Ich erhalte folgende telephoniſche Mitte lung: Der General Lecomte wünſcht zu 
erfahren, ob die Stadtverwaltung von Saarlouis ihn mit den franzöſiſchen Truppen frei⸗ 
willig und ohne Druck von unferer Seite (volontierement et sans pression de notre part) 
am Eingang der Stadt empfangen will. 

Ich muß Ihre Antwort ſchleunigſt mit Boten an E. M. in Überherrn ſchicken. 


gez. Lazard. 


Die in ſpäter Abendſtunde zuſammengerufenen Stadtverordneten lehuten ſowohl 
das mündlich wie das ſchriftlich vorgebrachte Erſuchen einſtimmig ab. Um der Ab⸗ 


ſage jede Spitze zu nehmen, wurde ihr folgende ſchriftliche Begründung gegeben: | 


22. November 1918, 9:30 Uhr. 
Die Stadtverordnetenverſammlung von Saarlouis bedauert lebhaft, den Herrn General 
Lecomte mit ſeinen Truppen nicht amtlich empfangen zu können, weil deutſche Generäle und 
deutſche Truppen bisher niemals amtlich empfangen worden ſind. 

Nach der Stadtverordnetenverſammlung erſchien Major Tuffrau wieder bei dem 
Bürgermeiſter und erklärte, nachdem ihn dieſer von der Antwort der Stadtvexord⸗ 
neten in Kenntnis geſetzt hatte: »Ich befürchte, das wird Schwierigkeiten geben. « 
Dieſe Schwierigkeiten traten aber nicht ein, vielmehr erklärte Major Tuffrau dem 


Bürgermeiſter am nächſten Morgen (23. November), der General werde die ſtädtiſchen 


Vertreter nachmittags bei ſeinem Einzuge im Rathaus empfangen. Dies wurde auch 
dem Bürgermeiſter durch folgendes Schreiben angezeigt: N 
(Überſetzung.) 


sr Hauptquartier Creutzwald, den 22. November 1918. 


Herr Bürgermeiſter! 


Ich habe die Ehre, zu Ihrer Kenntnis zu bringen, daß ich am 23. November, 121, uhr 


(franzöſiſche Zeit), an der Spitze der Truppen, die in die Stadt gelegt werden ſollen, mein 
Einzug in Saarlouis halten werde 

Im Anſchluß an die Zeremonie werde ich im Rathaus den Herrn Landrat und ſodann 
die Stadtverordneten empfangen, die ich Sie bitte mir vorſtellen zu wollen. 

Genehmigen Sie, Herr Bürgermeiſter, die Verſicherung meiner vorzüglichen Hochachtung. 


Der Kommandierende General des 33. A. K. 


Am 23. November nachmittags 3 Uhr zogen die franzöſiſchen Truppen ein und 
nahmen auf dem Großen Markt vor dem Rathaus parademäßige Aufſtellung. Die 
Zahl der Zuſchauer war gering. Kundgebungen unterblieben. Nach der Aue 


r Truppen erſchien der General im Rathaus und hielt eine kurze Rede; er ſprach 
den »Schandtaten der Deutſchen« und kündigte der Stadt »Befreiung vom 
eutſchen Joch durch die Franzoſen« an. Der Bürgermeiſter erwiderte kurz in 

. eutſcher Sprache, die Bevölkerung werde ſich ruhig und loyal verhalten, und er 


boffe, daß das Verhältnis zwiſchen der Bürgerſchaft und den Franzoſen während der 
55 Dauer der Beſetzung ungeſtört bleiben werde. b 


g Darauf nahm der General die Parade ab. 


zu 5 

Der Bevölkerung von Saarlouis war der feierliche Einzug der franzöſiſchen 
Truppen durch folgende, in den Zeitungen vom 23. November erſchienenen Bekannt— 
machung angekündigt worden: 


G 


Bekanntmachung. 


In Anbetracht des höflichen Empfanges, den die Stadt Saarlouis den franzöſiſchen 
Truppen bereitet hat, hat ſich das franzöſiſche Kommando entſchloſſen, heute, den 23. November, 
nachmittags einen feierlichen Einzug in Saarlouis zu halten. Bei den einziehenden Truppen 
befindet ſich die Fahne eines Infanterieregiments. 


Alle Fahnen, gleich welcher Nation ſie angehören, müſſen geachtet werden wie alle 
diejenigen, die für ſie geſtorben ſind, weil ſie viel vergoſſenes Blut und Opfer verſinnbild— 
lichen. Alle Nationen haben jedoch nicht dieſelbe Art, ihre Achtung zu bezeugen In 
Frankreich iſt es Sitte, den Hut abzunehmen, wenn die Fahne eines Regiments vorbeizieht. 


Der unterzeichnete Platzkommandant hofft, daß die Bevölkerung von Saarlouis dieſe 
franzöſiſche Sitte von heute ab mitmacht, indem fie beim Vorbeimarſch auch die Fahne grüßt. 
Die franzöſiſchen Soldaten, die die Gewohnheiten in Deutſchland nicht kennen, würden in 
der Unterlaſſung dieſer Sitte eine beabſichtigte Feindſeligkeit erblicken, die ſicherlich nicht 
gewollt iſt Dies könnte gleich zu Anfang zu unliebſamen Mißverſtändniſſen führen Dieſe 
Ehrenbezeugung mag vielen, die ſie nicht kennen, ſeltſam erſcheinen, aber ihre Berechtigung 
wird ſicherlich allgemein verſtanden werden. 


Saarlouis, den 23. November 1918. 


Der Platzkommandant: 
Tuffrau, 
Major und Bataillonskommandeur. 


7 . In dem »Saarlouiſer Tageblatt« (Nr. 273 vom 25. November 1918) findet 
5 ſich über den Einzug der franzöſiſchen Truppen folgender Bericht: 


. 


' Zur Durchführung der Waffenſtillſtandsbedingungen rückten am Samstag nachmittag 
8 der Kommandierende General des 33. franzoͤſiſchen Armeekorps und der Kommandierende 
D General der 2 franzöſiſchen Infanteried viſion an der Spitze von Truppen verſchiedener 
Gattungen (Dragoner, Pionicre, Infanterie, Feldartillerie, Autokanonen und Jägern z Pf.) 
in Saarlouis ein. Der Einzug begann 2:30 Uhr auf dem Wege über Lisdorfer Straße, 
Kl. Markt, Franzöſiſche Straße, Marktplatz, wo Aufſtellung genommen wird. Darauf wurden 
ihm die üblichen militäriſchen Ehren von den Truppen erwieſen ſowie auch dem Diviſions- 
kommandeur, den drei Fahnen und den Standarten. Landrat, Bürgermeiſter und die drei 
Stadtverordneten waren zum Empfang der franzöſiſchen Befehlshaber im Gobelinſaal des 
Rathauſes. Um 3¼ Ubr ließ der Kommandierende General anfragen, ob er mit Gefolge 
empfangen werde. Das wurde zugeſagt. Der General begrüßte den Landrat, betonte, ihm 
mitteilen zu konnen, daß die Truppen nicht als Feinde hierhergekommen find, ſondern um 
gemeinſchaftlich mit den deutſchen Behoͤrden de Ordnung aufrechtzuerhalten; er hoffe auf 
Unterſtützung. Bürgermeiſter Dr. Gilles betonte, er ſei ſeit tags vorher Bürgermeiſter der 
Stadt Saarlouis und begrüße als ſolcher namens der Stadt den General und fein Gefolge. 
Redner könne erklären, daß die Bürgerſchaft loyal und ruhig iſt. Er hoffe, daß zwiichen 
Beſatzung, Behörden und Bürgerſchaft für die Dauer der Beſetzung ein gutes Einvernehmen 
herrſchen werde. Der Kommand erende General dankte und bemerkte, es ſei ihm bekannt, 
daß in Saarlouis einer der größten franzöſiſchen Generale, Marſchall Ney, geboren ift, und 
daß es in der franzöfiichen Armee noch viele fran zöſiſche Offiziere q bt, die in Saarlouis und 
Umgegend geboren find. Schließlich ſicherte er der Stadtverwaltung beim Vorhandenſein 
von Wünſchen Entgegenkommen zu, man möge ſich vertrauensvoll an den Platzkommandanten 

wenden. — Zum Einzug der franzöfiıhen Truppen waren die Bewohner der lothringischen 
a 3 5 in groß r Zahl eingetroffen. Bemerkt ſei, daß ſich die Stadtbevölkerung würdig und 

korrekt benommen hat.« 


. 


Nr. 4. 


Kundgebung der Saarbrücker Bürgerſchaft. 
(Dem Präſidenten Wilſon überſandt.) 


Unſer Wille zum Deutſchen Reich. 
Ein Bekenntnis der Saarbrücker Bürgerſchaft. 


Wir Einwohner des Stadt- und Landkreiſes Saarbrücken, eines rein deutſchen 
Gebietes, erheben feierlichſt Einſpruch gegen das in verſchiedenen franzöſiſchen Zeitungen 
hervorgetretene Verlangen, uns von unſerem deutſchen Vaterlande zu trennen und 
uns Frankreich, einem uns innerlich völlig fremden Staate, einzuverleiben. Wir ſind 
Deutſche nach Abſtammung, Geſchichte, Sprache und Geſinnung. Wir wollen auch 
jetzt in der Zeit des tiefen Unglücks mit unſern deutſchen Brüdern und Schweſtern 
weiter vereint bleiben. Neun Jahrhunderte hindurch war das Saarbrücker Land ein 
ſelbſtändiges deutſches Fürſtentum, es wurde 1801, zur Zeit der franzöſiſchen 
Revolution, Frankreich einverleibt, kam aber durch den Pariſer Kongreß 1815 wieder 
an Deutſchland, und zwar an die preußiſche Rheinprovinz, entſprechend dem lebhaft 
und einmütig bekundeten Willen der Bürgerſchaft von Saarbrücken und St. Johann, 
der in dem anliegenden Beſchluſſe vom 11. Juli 1815 niedergelegt iſt. Eine noch⸗ 
malige Angliederung des Saarbrücker Gebietes an Frankreich würde unvereinbar fein 


mit den Grundſätzen des Präſidenten Wilſon, die nicht nur von Deutſchland, ſondern 


auch von unſern Gegnern als Grundlage für die Friedensverhandlungen angenommen 
worden ſind. Wir bitten den Herrn Präſidenten und alle, die einen Frieden der 
Gerechtigkeit und der Verſöhnung herbeiführen wollen, nicht zu dulden, daß wir von 
Deutſchland losgeriſſen werden. 


Saarbrücken, im Dezember 1918. 


Im Auftrage von Tauſenden wahlfähiger Einwohner des Stadt- und Land⸗ 
kreiſes Saarbrücken: 


(Es folgt eine größere Anzahl von Unterſchriften.) 
Anlage. 


Ein Beſchluß der Bürgerſchaft von Saarbrücken und St. Johann aus dem Jahre 1815. 


Von ſämtlichen Cinwohnern der Städte Saarbrücken und St. Johann geht nur 
die eine Stimme aus: Befreiung vom Franzoſenjoche, Wiedervereinigung mit dem 
deutſchen Vaterlande. 

Damit aber dieſe Stimme nicht ungehört verhalle und unſere tätigen Feinde 
außerſtand geſetzt werden, auf dem gewöhnlichen Wege der Schlauheit und Ränke, 
ihr verräteriſches Flüſtern zu unſerm Verderben geltend zu machen, und uns zum 
zweiten Male das unabſehbare Unglück der Abtretung an eine fremde Nation und 
eine ewige Trennung vom deutſchen Vaterlande herbeizuführen, ſo haben ſich ſämt⸗ 
liche Einwohner dieſer Städte aufs feierlichſte verbunden, auf jedem rechtlichen Wege 
ihre Trennung von Frankreich und ihre Wiedervereinigung mit Deutſchland nachzu⸗ 
ſuchen und jeder Intrigue gegen den allgemeinen Wunſch und das Intereſſe dieſer 
Städte aufs kräftigſte entgegenzuwirken. > 

Damit aber auch bei dem Umſtande, daß noch heute gegen den allgemeinen, 
laut ausgeſprochenen Willen die willkürlich aufgedrungene fremde Verwaltungsbehörde 
dieſer Städte, deren beſonderes Intereſſe mit dem allgemeinen der Einwohner in 
Widerſpruch ſteht, ihre Amtsverrichtungen fortſetzt, nichts verſäumt werden möge, 
was den Zweck der Verbindung ſichern kann — eine jedesmalige Verſammlung 
ſämtlicher Einwohner und die Verhandlung der Gegenſtände in öffentlicher Beratung 


er zu Zeitverluſt und ſelbſt zu ſchädlichen Offenkundigkeiten führen würde, fo haben 
mich Einwohner beſchloſſen: 

I. Nachgenannte Einwohner, nämlich die Herren: Lauckhard, Böcking, Heinr. 
Eichacker, Chriſtian Köhl, Carl Zimmermann und Ph. Karcher, ſind als Kommiſſarien 
2 beſtellt, um das Wohl der Städte, was ihre politiſchen Verhältniſſe, die Wieder— 
u vereinigung mit Deutſchland, die Abſtellung der fremden, unnatürlichen Verwaltungs- 
behörde, und überhaupt alles dasjenige betrifft, was zu ächt deutſcher Reinheit, 
Harmonie, Ordnung und Einheit führen kann, aufs kräftigſte zu beſorgen. 


2. Gedachten Herren Lauckhard, Böcking, Heinrich Eichacker, Chriſtian Köhl, 
% 7 Luar Zimmermann und Ph. Karcher wird hiermit von ſämtlichen unterzeichneten 
Sr 2 Einwohnern volle Macht und Gewalt geden, nicht allein auf jedem rechtlichen Wege, 
durch Vorſtellungen, Promemorien, Korrefpondenzen und Deputationen den Zweck 
gegenwärtiger Verbindung zu ſichern, ſondern überhaupt durch Anwendung aller 
Mittel, die ihnen zu Gebote ſtehen, den Wünſchen der Einwohner Genüge zu leiſten, 
und den verderblichen Abſichten unſerer Feinde kraftvoll entgegenzuwirken, indem 
. b unterzeichneten Einwohner, jeder insbeſondere, geloben, alles zu tun und zu 
u iften, was den Umſtänden nach der guten Sache zum Frommen und Gedeihen von 
ihnen gefordert werden wird. — Urkundlich deſſen haben ſich ſämtliche Einwohner 


unterſchrieben. 


. Saarbrücken, den 11. Juli 1815. 

5 (Es folgt eine größere Anzahl von Unterſchriften.) 

175 Nr. 5. 

5 Rede des Generals Garnier⸗Dupleſſis 0 Saarbrücken 
* am 22. Januar 1919. 


(Bericht der »Saarbrücker Zeitung). 


2 Am 22. Januar 1919 ließ der Kommandierende General des 9. Armeekorps, 
General Garnier -Dupleſſis, die Vertreter der Behörden von Saarbrücken zuſammen— 

. rufen und hielt bei dieſer Gelegenheit folgende Anſprache: 

ae Meine Herren! 
er: Sobald es mir möglich wurde, habe ich Sie gebeten, ſich hier zuſammenzufinden, 
damit wir Bekanntſchaft machen, da fie berufen find, mit der franzöſiſchen Militär- 
* verwaltung zuſammen zu arbeiten, mit mir, dem Kommandeur des 9. Armeekorps, 
ſowie mit Herrn General Andlauer, den fie bereits kennen und dem die oberſte Kon— 
trolle über die deutſche Verwaltung obliegt, und zwar im ganzen von der Armee 
Mangin beſetzten Teil des Bezirks Trier. 
an > Dieſes Zuſammenarbeiten kann nur dann aufrichtig, freimütig und infolgedeſſen 
fruchtbar ſein, wenn es auf ein vollkommenes Verſtändnis der Lage begründet iſt, 
Auund dieſes Verſtändnis ſelbſt muß auf genauer Kenntnis der vergangenen Tatſachen 
beruhen, aus welchen ſie hervorgeht. 

232 Wie geſtaltete ſich die Vergangenheit? 

ER Vor vier und einhalb Jahren wurde über ganz Europa, ja über die ganze 
Welt ein verhängnisvoller Sturm durch die deutſche kaiſerliche Regierung, mit der 
die geſamte deutſche Nation durch ihren unverkennbaren Eroberungs- und Beherr⸗ 
ſchungsdrang Hand in Hand ging, erregt. Dieſe unbeſtreitbare Tatſache ſteht feſt. 
m Der Krieg wurde durch Verletzung des feierlichften Vertrags, durch die Invafion 
8 das neutrale Belgien, eröffnet. 

Der Angreifer führte dieſen Krieg unter Verachtung aller göttlichen und menjc 
lichen Rechte, mit einem Zerſtörungsdrang, der einen jeden mit Grauen erfüllen 
mußte, der nicht weiß, daß der Spruch der Alten »Quos vult perdere« in jedem 
Zeitalter der Menſchheit Geltung behält. 


a 


Alle Härten und Barbareien: Totſchlag, Brandſchatzung, organiſierter und rück⸗ En. 8 


ſichtsloſer Diebſtahl, ſyſtematiſche, durch den Krieg nicht gerechtfertigte Verwüſtung 
von Städten, Dörfern, Kirchen (denn das Göttliche ſelbſt wurde nicht geſchont), von 
Schätzen der Kunſt und der Geſchichte, treten uns entgegen. 5 

Und Schande über Schande! Selbſt Frauen wurden gefangengenommen und, 
wie in Lille, junge Mädchen der Obhut ihrer Mütter entriſſen! Die Kultur ſchritt 
um 15 Jahrhunderte zurück! 

Inzwiſchen nahm der Kampf feinen Gang und wogte abwechſelnd hin und ber. 

Aber ſchon ſeit dem zweiten Kriegsmonat wußte Frankreich, geſtützt auf ſeine 
treuen Verbündeten, daß es ſiegen würde, weil es ſiegen wollte, und weil ſich ſein 
Gegner vor Gott und vor den Menſchen des Sieges unwürdig erwieſen hatte. 

In erneuter Weiſe iſt, getreu ſeiner Geſchichte, Frankreich der Vorkämpfer der 
dauernden Wahrheit: für Recht, Gerechtigkeit und Freiheit geblieben. 

Und am 18. Juli 1918, der vom Armeechef feſtgeſetzten Stunde, fielen die ver⸗ 
bündeten Armeen über den Feind her. | | | 

Vier Monate hämmerten fie ihn wie das Eifen auf dem Amboß und fügten 
ihm täglich Niederlagen bei, bis zum Tage, wo ihm das Schwert aus den Händen 
entfiel und er um einen Waffenſtillſtand flehte, der ihm von den verbündeten Regie⸗ 
rungen bewilligt wurde und der einer Kapitulation gleichkam. 

Ein überwältigender Sieg, wie er bisher noch nie erreicht wurde, indem der 
Beſiegte den letzten Kampf für die Ehre auf ſeinem heimatlichen Boden nicht aufnehmen 
konnte noch wollte. 

So geſtaltete ſich die Vergangenheit in ihrer unverblümten Wahrheit; ſie iſt in 
ihrer nackten Wirklichkeit, ohne verſteckte Umwege und ohne zyniſche oder einfach 
kindiſche Lügen, hart anzuhören. 

Und jetzt, meine Herren, mögen Sie dieſe unermeßliche materielle und moraliſche 
Verſchuldung erwägen, die die deutſche Nation auf ſich lud, weil ſie blindlings ihrer 
Regierung folgte. | 
Fragen Sie ſich, ob Sie bei aller Gerechtigkeit nicht von einem Sieger, dem jo 
furchtbare Klagegründe, dem ein fo zu Recht beſtehender Groll zur Seite ftehen; 
nicht alles zu fürchten hätten? ; 

Sie wiſſen bereits, eine ſolche Furcht war grundlos. 

Dem franzöſiſchen Empfinden iſt es zuwider, einen beſiegten und entwaffneten 
Feind zu ſchlagen, ſelbſt wenn ſeine Waffen gegen das allgemeine Recht waren. 

Sie ſelbſt und Ihr Eigentum ſind in unſerer ſicheren Obhut, und abgeſehen 
von den Gefühlen, die man für die hegen kann, die ſie ſich erworben haben, oder 
die beſtrebt ſind, ſie zu verdienen, können Sie auf unſere Gerechtigkeit rechnen, feſt, 
aber voll auf unſere Humanität, auf unſere Großmut. | 

Bedenken Sie jedoch, daß Ihre Haltung unſere Haltung diktieren wird. | 

Sollten Sie der Pflichten vergeſſen, die Ihnen die jetzige Lage auferlegt, und 
von ihnen abweichen, ſollten Sie die gebotene und höfliche Haltung gegenüber den⸗ 
jenigen, die das Recht ſowie die Macht haben, zu befehlen und Gehorſam zu ver⸗ 
langen, nicht beachten, dann würden Sie nicht mehr auf das Wohlwollen des Siegers 
rechnen können. Sie hätten dann nur noch einzig und allein mit ſeiner Gerechtig⸗ 
keit zu tun, und dieſe wäre unmittelbar und unbeugſam. 

So iſt die Gegenwart. i 

Über die Zukunft zu verfügen, iſt nicht Ihre Sache und auch nicht meine Sache. 
Ich wünſche nur, daß ſie ſich mit den wahren Intereſſen des Saargebiets in Ein⸗ 
klang ſetzt und deſſen Entwickelung fördert. 

Sie werden, meine Herren, Ihre Amter weiter verwalten, unter der Führung, 
der Aufſicht und dem Schutze der franzöſiſchen Militärverwaltung, mit dem Eifer 
der Gewiſſenhaftigkeit, die ſie von Ihnen verlangt, zur Aufrechterhaltung der guten 
Ordnung und zum Beſten der Bevölkerung. 


Luis. 


der. Wera 


Nr. 6. 


Verſuche, die Bevölkerung des Kreiſes Saarlouis von den Wahlen 
zur Deutſchen Nationalverſammlung abzuhalten und für den Anſchluß 
RR an Frankreich zu becinfluſſen: 

3 | (Aus amtlichen Berichten.) 


Die erſten Nachrichten über die Abſicht, das Saargebiet an Frankreich anzu— 
gliedern, tauchten im Kreiſe Saarlouis Ende Dezember 1918 und Anfang Januar 1919 
auf. Sie gingen auf Mitteilungen von Angehörigen der Familie Fabvier zurück. 


R Anfang Januar 1919 erſchien bei verſchiedenen Geſchäftsleuten ein gutgekleideter, 
fließend deutſch und franzöſiſch ſprechender Herr, der Unterſchriften gegen die Abhaltung 
der Wahlen zur Nationalverſammlung ſammeln wollte und im Anſchluß daran 
R Stimmung für einen Anſchluß an Frankreich zu machen fuchte, indem er behauptete, 
das Saargebiet würde nach der Abtretung von Elſaß-Lothringen wirtſchaftlich ruiniert 
ſein, wenn es ſich nicht an Frankreich anſchlöſſe. Die Liſte gegen die Abhaltung der 
Wahlen ſoll Mitte Januar 1919 etwa 50 Namen aufgewieſen haben. Der Unter: 
ſchriftenſammler erklärte, die Lifte werde dem franzöſiſchen Deputierten Franklin 
überſandt werden. 


Dieſe Perſon wurde ſpäter als der aus Metz ſtammende, in Niedaltdorf anſäſſige 
Karl Bier feſtgeſtellt, der kurz zuvor als Dolmetſcher bei der franzöſiſchen Militär— 
verwaltung angeſtellt worden war. 


In denſelben Tagen (Mitte Januar 1919) wurde unter den Bewohnern des 
Kreiſes Saarlouis der in der Anlage wiedergegebene Aufruf verbreitet, in dem zur 
Wahlenthaltung aufgefordert wurde. Der Aufruf war unterzeichnet »Der Vertrauens 
ausſchuß« Namen fehlten. Dieſe Flugblätter wurden am 17. Januar morgens mit \_ 
dem von dem franzöſiſchen Militärverwalter requirierten Kraftwagen des preußiſchen Land— 
rats in mehreren Paketen im Geſamtgewicht von 20 Zentnern vom Bahnhof Dillingen, 
wohin ſie vermutlich aus Metz gekommen waren, abgeholt und auf die Kommandantur 
Saarlouis gebracht. Nach kurzer Seit erſchien ein Offizier der Kommandantur in 
Begleitung des erwähnten Karl Bier; ſie fuhren in verſchiedene Ortſchaften des 
Kreiſes weſtlich der Saar, wo die Pakete mit den Flugblättern in gewiſſen Häuſern 
abgeladen oder auch aus dem Wagen geworfen wurden. Auf dieſe Weiſe wurden 
die Flugblätter in den Bürgermeiſtereien Saarwellingen, Lebach, Bettingen, Nalbach 
And Dillingen verteilt. In der Stadt Saarlouis beteiligten ſich an der Verbreitung 
der Flugblätter außer Karl Bier noch der Inhaber des Wäſche-, Manufaktur und 
Modewarengeſchaͤfts Mayer & Hanau, der Fahrradhändler Felix Hanau, franzöſiſche 
Soldaten und einige übelbeleumundete Perſonen. 


Lebhafte Anteilnahme an der Agitation für den Anſchluß an Frankreich nahm 
auch der dem franzöſiſchen Militärverwalter beigegebene Leutnant Fabvier. Er ſuchte 
— ebenfalls Mitte Januar — verſchiedene Geſchäftsleute auf und verſprach ihnen 
zZꝛſßhollfreie Lieferung benötigter und in Deutſchland nicht oder nur zu übermäßigen 
Preiſen erhältlicher Waren, wenn fie ſich für den Anſchluß an Frankreich ausſprächen. 


E In der Gemeinde Lisdorf wurde ungefähr Mitte Januar bei dem Friſeur 
Kleinbauer eine Lifte ausgelegt, in die die Perſonen ſich eintragen ſollten, die den 
Anſchluß an Frankreich wünſchten. Bis zum 25. Januar hatte ſich nur ein einziger 
Bewohner von Lisdorf eingetragen, der auch gegen Bezahlung die Verteilung der 
erwähnten Flugblätter in der Bürgermeiſterei Lisdorf übernommen hatte ). 


) Die Agitation zwecks Wahlenthaltung hatte keinen Erfolg. Im Kreiſe Saarlouis beteiligten 
ſich an den Wahlen zur Nationalverſammlung am 19. Januar 1919 von 60062 Wahlberechtigten 
4509860 Perſonen, d. h. 83,0 v. H. Die Wahlbeteiligungsziffer für das ganze Deutſche Reich betrug 
ebenfalls 83,0 v. H. 


3* 


5 

Anlage. ss = 
Mitbürger und Mitbürgerinnen des Be = 
Kreises Saarlouis, a Sr 


wahret Eure heiligsten Rechte! 


In diesen schw eren, entscheidenden Stunden, von denen die Zukunft unseres ganzen lieben 
Saargebietes abhängt, hat sich ein aus allen Volksschichten und Parteien bestehendes Komitee 
gebildet, um die gefährdeten Interessen unserer Heimat zu schützen. 

Wir wollen nicht mehr den gewissenlosen Machthabern und Männern folgen, deren 
unverantwortliche Politik uns und viele Millionen Menschen ins Unglück stürzte. N 


Wir wollen uns nicht von preußischen e und Bankerottpolitikern, gleich 
welchen Namens, terrorisieren lassen. 


Also: Los von Berlin! 


Wir wollen nicht länger dem Lande angehören, das uns vor 100 Jahren nee * 
annektierte und mit seinen unglücklichen Völkern ins Elend brachte. 


Rheinländer! Zu lange waren wir Mußpreußen! 


Wir wollen keine Trennung von Lothringen, mit dem uns tiefe kulturelle und wirtschaft- 
liche Bande verküpfen. 


Wir wollen zu dem Lande zurückkehren, in dessen Schoß unsere Väter or 
zufrieden und glücklich gelebt haben. Zu dem Lande, das unsere Kreishauptstadt gegründet. Zu 
dem Lande, mit dessen glorreicher Geschichte unsere liebe Heimat aufs engste verbunden ist. 


Wir gehören zu ihm wirtschaftlich, rechtlich, geschichtlich! 


Das neue, ruhmreich erstandene Frankreich wird uns ebenso liebevoll aufnehmen, wie es 
unsere lothringrischen Brüder aufnahm. Bei ihm werden unsere Rechte und religiösen Institutionen 
besser geschützt sein als bei den religionsfeindlichen Revolutionären Berlins. 


Mitbürger und Mitbürgerinnen! Ver 


Der Augenblick unserer Befreiung ist da! 
Wir wollen ihn benutzen! 
Frankreich muß unseren Willen sehen! 


Wenn- wir uns am Sonntag der Abstimmung enthalten, so werden wir der Friedens- 
konferenz beweisen, daß wir keine Vertreter nach Berlin entsenden wollen. 

Enthalten wir uns also am Sonntag der Wahl, oder geben wir einen weißen Zettel ab, 

Nur so wird man unsern klaren Willen erkennen. 

Es geht um unsere Zukunft, um unsere heiligsten Güter! 


Unsere Parole heißt daher: Wahlenthaltung! 
Der Vertrauensausschuß ). 


u 


9 4 Die ang ee Verteilung dieſes Flugblatts wurde durch folgende > fee 


Confidentiel. 
Ne pas s’opposer à la distribution ou à l’affichage de cette proclamation faite par a. 
frangaise. — Au besoin, empécher la population de la detruire, 
17 janvier 1919. | 
p. le Ct du Canton: (Unterſchrift in Anfangsbuchitaben). 


(Überſetzung). 
Vertraulich. 


Der Verteilung oder dem Ankleben dieſes von der franzöſiſchen Behörde veranlaßten Flugblatts 
darf kein Widerſtand geleiſtet werden. Nötigenfalls iſt die Bevölkerung zu hindern, es zu vernichten. 


17. Januar 1919. 
Für den Kommandanten der Bürgermeiſterei: (Unterſchrift in Anfangsbuchſtaben). 


Ba 5 RL. 7 


fe der franzöſiſchen NE in die Verwaltung des 
e Saarlouis und Beeinfluſſung der Bevölkerung. 
(Aus amtlichen Berichten.) 


Mitte ° ar 1919 erließ der franzöſiſche Militärverwalter des Kreiſes Saar⸗ 
uis folgend machung: 


»der Herr Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis ſowie die Herren Offiziere der 
Br Militärverwaltung machen der Bevölkerung des Kreiſes Saarlouis hiermit bekannt, daß fie 
in jeder Angelegenheit die Bürger zu empfangen bereit ſind. 

2 Empfangsſtunden: 


Vormittags von 9 bs 11 Uhr, 
Nachmittags von 2 bis 6 Uhr. 


Der Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis.« 


- Auf dieſe Weiſe wurde ein Denunziantentum großgezogen. Leute, die dem 
Ane erwünſchtes Material zutrugen, erhielten als Gegenleiſtung von 
ſem kleine Gefälligkeiten, die ſich gegen die Verwaltung richteten und deren An— 
rdnungen durchkreuzten. Namentlich wurden für ſolche Dienſte den Leuten auf 
unſch Lebens⸗ und Futtermittel aus den Beſtänden des deutſchen Proviantamts 


3 


gegeben. Als der Landrat deswegen beantragte, daß den Geſuchſtellern Furtermittel 
nur verabfolgt werden ſollten, wenn ſie einen von ihm gezeichneten Schein vorlegten, 
damit ihre Bedürftigkeit nachgeprüft und vermieden werden könnte, daß einzelne 
pelt Futtermittel erhielten, während andere leer ausgingen, erhielt er von dem 
eso folgende Antwort (Überſetzung): g 


»Indem ich Ihnen den Empfang Ihres Schreibens 965 Mb vom heutigen Tage be— 
ſtätige, beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß ich Ihnen nicht das Recht zuerkenne, gegen 
Entſcheidungen zu proteſtieren, die ich über die Beſtände des Proviantamts, die Ihnen nicht 
gehören, treffe, wie dies ein für allemal durch die Schreiben, die ich Ihnen unter Nr. 98 am 
13. Dezember und unter Nr. 127 am 16. Dezember geſandt habe, feſtgeſtellt worden iſt. 

Wir haben nur als außerordentliche Vergünſtigung die Futtermittel, um die es ſich 
handelt, an die Zioilbevölkerung Ihres Kreiſes verabfolgt und haben nur aus Gefälligkeit 

Ihnen gegenüber die Verabfolgung bis beute nur an ſolche Landleute vorgenommen, die uns 
einen n gezeichneten Schein brachten. 

In Zukunft behalten wir uns das Recht vor, Futtermittel zu verabfolgen, ohne uns 
Ihrer vollkommen nutzloſen Vermittlung zu bedienen. Dies wird Ihnen lächerliche Proteſte 
erſparen, die übrigens jeder genaueren Angabe entbehren. 


i Dieſes Verhalten der Militärverwaltung führte dazu, daß wiederholt Landwirte, 
. beim Landrat um Ermäßigung oder Befreiung von ihren Ablieferungspflichten 
vorſtellig geworden, aber abſchlägig beſchieden worden waren, ſich an den Militär⸗ 
2 verwalter wandten, der ihnen ihre Wünſche ohne weiteres erfüllte. 
Am 27. Januar 1919 wohnte der Mililärverwalter der Sitzung der Stadtver- 
|  onöneten bei. Das »Saarlouiſer Tageblatt« vom 28. Januar berichtete hierüber: 


»Der Vorſitzende, Herr Bürgermeiſter Dr. Gilles, teilte vor Eintritt in die Verhandlung. 
der Tagesordnung mit, der Herr Militärverwalter habe den Wunſch, die Stadtverordneten 
perſönlich tennenzulernen. Dazu habe er die jetzige Sitzung der Stadtverordnetenverſamm⸗ 
lung vorgeſehen und den Herrn Militärverwalter dann eingeladen. Darauf erfolgte die 
Vorſtellung. Nun führte der Vorſitzende aus, daß die Bevölkerung der Stadt loyal und 
ruhig ſich verhalte und daß Stadtverwaltung und Stadtverordneten ihr möglichſtes dazu tun, 
damit das bisherige gute Verhältnis zwiſchen den Beſatzungstruppen und der Bevölkerung 
erhalten bleibt. Der Herr Oberſt hielt ſodann eine längere Anſprache in franzöfticher 
Sprache, die Herr Leutnant Fabvier in Umriſſen in deutſcher Sprache wiedergab. Frankreich 
habe den Krieg nicht gewollt. Viele Deutſche wollten dies nicht glauben. Daß Frankreich 
den Krieg mit abſcheulichen Mitteln geführt habe, das dürfe man ihm glauben, ſei Deutſchland 
ſchuld. Deutſchland habe die Mittel zuerſt erfunden. Deutſchland habe zuerſt Gas gebraucht. 
pe Stadtverordnetenverſammlung dürfe ihm auch glauben, daß das franzöſiſche Militär nicht 
dier ſei, um alles zu zerſtöͤren. Die franzoͤſiſche Militärverwaltung wolle Ordnung bringen. 

Sie wolle die Lebensmittelverſorgung ganz beſonders verbeſſern. Der Herr Militarverwalſer 
hoffe e daß zwiſchen Beſatzung und Bevölkerung das beſtehende gute Verhältnis erhalten 


— 28 — 


bleibt. Weiter überſetzte Herr Leutnant Fabvier, daß die Orders, welche oft als hart emp⸗ 
funden werden, nicht von dem Herrn Oberſt kommen, ſondern auf Anordnung des Herrn 
Generalfel marſchalls erlaſſen werden. Darauf teilte der Dolmetſcher mit, daß von beute ab 
das Saargebiet einſchließlich der Kohlengruben bis St Wendel zum Lebensmittelverſorgungs— 
gebiet Elſaß⸗Lothringen gehöre. Der Herr Bürgermeiſter könne jetzt Lebensmittel beſtellen, 
ſoviel wie er für die Bevölkerung nötig habe. 

Darauf wurde in die Tagesordnung einget'eten. 

Vom Herrn Stadtverordneten Hauſen iſt ein Schreiben eingelaufen, in dem er für den 
großen Ausfall, der dem Erwerbsleben Saarlouis durch das Fehlen der Garniſon erwädft, 
Erſatzmaßnahmen fordert. Er regt zur Ausnutzung der leer ſtehenden Kaͤſernen zunächſt die 
Gründung einer landwirtſchaftlichen Schule und eines Technikums an und erſucht, für Wieder, 
laſſung von induſtriellen Unternehmungen Schritte zu tun. Einerlei wie ſich die politische 
Zukunft Saarlouis geſtaltet, würde die Stadt zweifellos feine fo ſtarke Garniſon mehr erh Iten 
als bisher. Um für den Bedarfsfall vorbereitet zu ſein, müßten aus den Stadtverordneten 
unter Hinzuziehung von Sachverſtändigen aus der Bürgerſchaft einſchlägige Kommiſſionen 
gebildet werden. 

Herr Oberſt Poulet ließ mitteilen, daß Saarlouis nach dem Frieden entweder eine deutſche 7 
oder eine franzeſiſche Garniſon erhalten werde Er hoffe feſt daß es eine franzöͤſiſche ſei, 
glaube aber kaum, daß die Garniſon in Zukunft fo ſtark fein werde als die bisberige. Man 
hoffe in Zukunft keinen Krieg mehr führen zu müſſen. Die Männer würden jetzt viel not⸗ 
wendiger in Induſtrie, Handel und Landwirtſchaft gebraucht. Es werde nach dem zu ſchaffenden 
Frieden nicht mehr notwendig ſein, ſoviel Menſchen auf beiden Seiten unter den Fahnen zu 
halten. Wenn Saarlouis an Frankreich falle, wurde die Stadt für den finanziellen Verluſt 
an den Kaſernen entichädiat werden. Frankreich ſei Seger und habe als ſolcher auch die 
wirtſchaftlichen Vorteile auf ſeiner Seite. Das möge man bedenken. 

Herr Duroy wünſchte im Intereſſe des Handwerks eine Erleichterung des geſchäftlichen 
Verkehrs, vor allem im Briefverkehr mit der rechten Rheinſeite. f 

Herr Oberſt Poulet ſagte weiteſtgehende Unterſtützung zu beim Herrn General Andlauer 
in Saarbrücken, dem Bevollmächtigten des Generalfeldmarſchalls Joch für das ganze Saarrevier. 


In derſelben we der Stadtverordnetenverſammlung gab der Militär⸗ 
verwalter bekannt, daß ſpäteſtens vom 15 Fehruar ab in den Volksſchulen franzö⸗ 
ſicher Unterr cht einzuführen ſei; wenn hierfür nicht genügend einheimische Lehrkräfte 
vorhanden ſeien, werde er Soldaten zur ung ſtellen. Dem Kreisſchulinſpektor 
erklärte der Militärverwalter am 28. Januar, da die Beſatzungstruppen im Saar⸗ 
gebiet noch lange, vielleicht Jahrzehnte lang, und wie er wörtlich hinzufügte »in 
Saarlouis für immer« bleiben würden, müſſe de Bevölkerung in die Lage verſetzt 
werden, ſich mit ihnen zu verſtändigen. Der Kommandierende General der X. Armee 
habe daher angeordnet, daß ſofort in allen Schulen des Kreiſes, auch in den Volks— 
ſchulen, franzöſiſcher Unterricht einzurichten ſei, und habe bis zum 15. Februar Be⸗ 
richt darüber verlangt, daß der franzöſiſche Unterricht begonnen habe. 

Am 28. Januar eröffnete der Militärverwalter dem Landrat, daß in nächſter 
Zeit für den Kreis Saarlouis mit Ausnahme der Bürgermeiſtereien Saarwellingen, 
Nalbach, Lebach und Bettingen die Grenze nach Lothringen geöffnet werden würde. 
Auf die Frage des Landrats, weshalb die erwähnten vier Bürgermeiſtereien ausge⸗ 
ſchloſſen bleiben ſollten, erwiderte der Militärverwalter, daß Frankreich begründete 
Hoffnung habe, im Friedensvertrag das ihm 1815 entriſſene Saargebiet zurück⸗ 
zuerhalten. 


Am 28. Januar richtete der Militärverwalter folgendes Schreiben an das Saar⸗ 
louiſer Tageblatt: 


»Le Lieutenant Colonel Poulet, Administrateur Militaire du cerele de Sarrelouis 
à Saarlouiser Tageblatt, Sarrelouis. 
Bitte folgenden Auszug aus dem ‚Echo de Paris“ in Ihre Zeitung aufzunehmen. 
Le Lieuten int Colonel Poulet. 
Administrateur Militaire du cerele de Sarrelouis. 
Pour Administrateur militaire du cerele des Sarrelouis 
Le Capıtain adjoint. 
(Unterſchrift).« 


Der Auszug aus dem »Echo de Paris« trug die Überſchrift »Vergangenes und 
gegenwärtiges Leiden der vom Feinde beſetzten Länder in Frankreich« und war die 
Wiedergabe einer Rede des Erzbiſchofs Chollet von Cambrai. 


wi 


Er Am ſelben Tage wurde der Verleger der Zeitung auf der Militärverwaltung 


. erregt ung I 
noch mündlich aufgefordert, auch weiterhin Artikel, die ihm zugehen würden, zu ver- 
öffentlichen. 


Sämtliche Zeitungen von Saarlouis ließen die Aufforderung, den Auszug aus 
dem »Echo de Paris« zu veröffentlichen, zunächſt unbeachtet. Am folgenden Tage 
erhielten ſie jedoch folgendes Schreiben des Militärverwalters (Überfegung): 


»Militärverwaltung 8 0 95 
des Kreiſes Saarlouis. en 30. Januar 


Oberſtlt. Poulet, Verwalter des Kreiſes Saarlouis, 
an den Herrn Direktor des Saarlouiſer Tageblatts. 


Am 29. Januar habe ich Ihnen zwecks Veröffentlichung eine Erklärung des Marſchalls 
Joch an amerikaniſche Journaliſten überſandt. 

Am 28. Januar habe ich Ihnen zum gleichen Zweck eine Rede des Erzbiſchofs von 
Cambrai über das Elend der Bevölkerung in den beſetzten Gebieten in Frankreich zugehen 
laſſen. 

Bisher iſt keiner der beiden Artikel in Ihrer Zeitung erſchienen. 

Sie werden gebeten, ſie morgen aufzunehmen, widrigenfalls das Erſcheinen Ihrer 
Zeitung bis auf weiteres verboten werden wird. 


Der Oberſtlt. Poulet, 
Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis. 
gez. Poulet. « 


Unter dieſer Drohung mußten ſich die Zeitungen dem Befehl fügen. Das 
Kreisblatt wollte den Auszug aus dem »Echo de Paris« mit folgender Einleitung 
veröffentlichen: »Seitens der franzöſiſchen Militärverwaltung geht uns nachſtehendes 
zur Veröffentlichung zu«, doch wurden dieſe Worte von der Zenſur geſtrichen. Die 
Zeitungen erhielten im Anſchluß hieran Zenſuranweiſungen, in denen es unter Ziffer C 
hieß (Überſetzung): 


„Artikel oder Informationen, die der Preſſe von einer amtlichen Stelle zugehen, dürfen 
nicht mit der Vorbemerkung ‚amtlich‘, aus ‚amtlicher Quelle“ oder mit Einleitungen wie ‚von 
amtlicher Stelle erfahren wir“ uſw. veröffentlicht werden. Dieſes Verbot erſtreckt ſich natürlich 
nicht auf die von den Zeitungen bekanntgegebenen Maßnahmen der Behoͤrden oder auf amt 
liche Bekanntmachungen; für derartige Veröffentlichungen bleiben die erwähnten Kenntlich 
machungen vorbehalten. 


Der Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis. 
gez. Cdt. Delevaque.« 


| Ende Januar 1919 fand bei dem Daftor in Hauſtadt eine Zuſammenkunft 
benachbarter Pfarrer ſtatt. Hierzu erſchien auch einer der Adjutanten des Militär- 
verwalters, der aus Dillingen gebürtige Capitaine Collong, in Begleitung des Ober— 
lehrers Camille David aus Dillingen und des Bürgermeiſters oder Bürgermeiſterei— 
verwalters von Hauſtadt. Collong und ſeine Begleiter verſuchten, die anweſenden 
4 Geiſtlichen für den Anſchluß des Saarkohlengebiets an Frankreich zu beeinfluſſen, 
hatten aber damit keinerlei Erfolg; ſie wieſen hierbei namentlich darauf hin, daß 
Frankreich, wenn das Saargebiet franzöſiſch werde, den katholiſchen Geiſtlichen ihre 
Bezüge, die bei den in Deutſchland herrſchenden Verhältniſſen keineswegs ſichergeſtellt 
ſeien, unbedingt gewährleiſte. 

In einem zuſammenfaſſenden Bericht über die Vorgänge im Kreiſe Saarlouis 
im Januar 1919 heißt es: »Mit allen Mitteln wird verſucht, die Bevölkerung der 
Stadt Saarlouis dem Deutſchtum zu entfremden und einer Vereinigung mit Frankreich 
geneigt zu machen. Dieſem Zweck dienen insbeſondere auch die täglichen Audienzen, 


in denen der Kommandant oder Militärverwalter Petenten und Beſchwerdeführer 
bereitwillig empfängt und je nach ihrer Gefügigkeit die Berückſichtigung ihrer Anliegen 


a zuſagt oder verweigert !). Ein Offizier aus der ſchon vor dem Kriege in der Nähe 


) Der Militärverwalter gewährte insbeſondere Befreiungen von der Ablieferungspflicht für Getreide, 
Milch und Butter und nahm den deutſchen Behörden gegenüber Perſonen in Schutz, die wegen ver— 
botener Viehſchlachtungen verfolgt wurden. — Die amtlichen Schreiben des Militärverwalters tragen 
den Vordruck »République Francaises und links darunter das Wappen der Stadt Saarlouis. 


von Saarlouis begütert geweſenen Familie Fabvier trat, allerdings vergeblich, an 


das Saarlouiſer Tageblatt, das amtliche Organ der deutſchen Behörden, mit dem 
Anſinnen heran, das Blatt in franzöſiſcher und in deutſcher Sprache erſcheinen zu 


laſſen und darin auch Artikel im Sinne der Annexion zu veröffentlichen; für den 
Weigerungsfall wurde die Herausgabe einer eigenen franzoſenfreundlichen Zeitung in 


Ausſicht geſtellt. Ferner wurde in den letzten Tagen eine Umbenennung der ſtädtiſchen 
Straßen verfügt, ſie erhielten alle Namen, die großenteils aus der Geſchichte Frank. 


reichs entnommen ſind.« 


Nr. 8. 


Werbung für den Anſchluß an Frankreich im Kreiſe Saarlouis. 
(Aus einem amtlichen Bericht vom 26. Februar 1919.) 


Auf den 23. Februar 1919, nachmittags 3 Uhr, hatte der anſcheinend dem 


Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis, Oberſtleutnant Poulet, weiter zu Agitations 


zwecken zugeteilte Leutnant Collong in den ſtädtiſchen Saalbau Einwohner aus den 


verſchiedenſten Teilen des Kreiſes zu einer Beſprechung eingeladen. Neben Leuten 


mit franzöſiſch klingenden Namen hatten auch ſolche mit ganz deutſchen Namen und 
ferner Perſonen, die franzöſiſche Neigungen beſitzen oder von denen derartiges er- 
wartet werden kann, ſowie Leute Einladungen erhalten, die gut deutſcher Geſinnung 
ſind und aus dieſer Geſinnung auch in der Offentlichkeit nicht das geringſte Hehl 


machen. Zutritt zu der Beſprechung hatten nur diejenigen, die ſich durch eine ſchrift⸗ 
liche Einladung ausweiſen konnten. Wie im Verlaufe der Sitzung erwähnt wurde, 


waren 160 Einladungen ergangen; erſchienen waren davon etwa 60 bis 70. 


Zu Beginn der Beſprechung führte der Einberufer der Verſammlung, Leutnant 


Collong, etwa folgendes aus: Durch den Raub von 1815 ſei die ganz franzöſiſche 
Stadt Saarlouis mit ihrer franzöſiſchen Umgebung und Bevölkerung an Preußen 
gekommen. Trotz der inzwiſchen vergangenen 104 Jahre habe ſich indeſſen Preußen 
hier ſo wenig Sympathien zu erwerben verſtanden, daß noch jetzt ein großer Teil 
der Bewohner des Kreiſes ſich zu Frankreich hingezogen fühle. Dazu komme, daß 


Preußen durch den Krieg völlig beſiegt und finanziell und wirtſchaftlich zugrunde 


gerichtet ſei, während Frankreich glorreich und geſtärkt aus dem Kriege hervorgehe 
und denjenigen Gebieten, die ſich ihm anſchließen, nicht nur eine Gewähr für die 
bisherige Blüte, ſondern auch für ein weiteres Erſtarken von Handel, Induſtrie und 
Landwirtſchaft biete, da der bevorſtehende unerträgliche Steuerdruck und die bolſche⸗ 
wiſtiſchen Unruhen Deutſchlands in Frankreich nicht vorhanden ſeien. Aufgabe der 
heutigen Beſprechung ſei es, Maßnahmen zu beraten, um die im Kreiſe Saarlouis 


vorhandenen Freunde Frankreichs zu ſammeln und ihnen zu dem von ihnen erſtrebten 


Ziele der Wiedervereinigung mit Frankreich zu helfen. Vorgeſchlagen wurde zu 
dieſem Zwecke, in jeder Gemeinde, und zwar noch in dieſer Woche, einen Ausſchuß 
von 2 bis 3 Freunden Frankreichs zu beſtellen, die die individuelle Werbung inner⸗ 
halb des Ortes von Haus zu Haus für den Anſchluß an Frankreich übernehmen. 
Die Ausſchüſſe ſämtlicher Gemeinden einer Bürgermeiſterei ſollen aus ihrer Mitte 
einen Vertrauensmann wählen, der die Verbindung mit Leutnant Collong aufrecht⸗ 
erhalte und von dieſem die erforderlichen Weiſungen zur Weitergabe an die Aus⸗ 
ſchüſſe empfange. Dadurch wäre ein einheitliches und planmäßiges Vorgehen im 
ganzen Kreiſe erzielt. Auch in anderer Beziehung biete der Vorſchlag Vorteile. Bei 


den vorgenommenen Ausweiſungen aus Elſaß Lothringen habe ſich nachträglich er⸗ 


geben, daß nicht immer ganz gerecht verfahren wurde, weil die franzöſiſchen Be⸗ 
hörden auf ſich ſelbſt angewieſen waren. Derartige Härten und Ungerechtigkeiten 
würden durch das Volk ſelbſt verhindert, wenn ſich die franzöſiſchen Behörden bei 
ihren Maßnahmen der Mitarbeit der Ausſchüſſe zu bedienen vermögen. 

Der erſte Redner, der ſich zum Wort meldete, erklärte u. a., er könne unter den 


obwaltenden Verhältniſſen in einer Entſcheidung, die dem Pflichtempfinden und Ger 


. 
« 


fen dis einzelnen überlaffen bleibe) keinen Landesverrat erblicken. Auch beleuchtete 
Nationalitätenwechſel vom idealen und realen Standpunkt aus und kam zu 
ü Be daß der Idealismus beim abſterbenden Alten, der Realismus bei dem 
855 lebenden Jungen geſucht werden müſſe. 

Von den weiteren wenigen Rednern iſt nur noch erwähnenswert der Kaufmann 
Karl Bier aus Niedaltdorf, der darauf hinwies, daß diejenigen, welche für die Sache 
Frankreichs einträten, nichts zu fürchten hätten, da Frankreich Preußen und Deutſch— 
land in der Hand habe und diejenigen ſchützen könne, die ſich ſeiner Sache an— 
nähmen ). Auch ſchlug er vor, daß man Wanderredner zur Unterſtützung der Auf— 
rn gsarbeit im Kreiſe anſtellen möge. Leutnant Collong erwiderte ihm hierauf, daß 
man für dieſe Zwecke bereits eine Anzahl Elſaß⸗Lothringer gewonnen habe, die beider 
Siyprachen mächtig ſeien und ihre Tätigkeit demnächſt aufnehmen würden. 

48 Das Schlußergebnis der Beſprechung war angeblich, daß folgende Perſonen 
erſucht werden ſollten, ſofort die Bildung der Ausſchüſſe in den dabei bezeichneten 
5 Bürgermeiſtereien in die Wege zu leiten: 


Ber; 4 für die Stadt Saarlouis: 


„ 


= Fahrradhändler Felig Hanau, Kaufmann Meyer Hanau, Seifenfabrifant 
RN; Kurt Alff, Kaufmann Heinrich Cahn (ſoll nachträglich abgelehnt haben); 
8 f für die Bürgermeiſterei Dillingen: 

8 Oberlehrer David in Dillingen; 


für die Bürgermeiſterei Wallerfangen: 
Metzger Mouget in Wallerfangen; 


* 


für die Bürgermeiſterei Buß: 
ga Angeſtellter der Mannesmannröhrenwerke Becker in Buß; 
. für die Bürgermeiſterei Saarwellingen: 


* 
* 


F 72 
BT 7. , 3 


Bauunternehmer Dechmann in Saarwellingen; 
für die Bürgermeiſterei Biſten: 

Metzger Guldner in Überherrn; 
für die Bürgermeiſterei Lebach: 

Müller Wieſen in Lebach. 

Jedenfalls ergibt ſich, daß die Einwohnerſchaft des Kreises Saarlouis unter 
a amtlicher franzöſiſcher Stellen in ganz ſyſtematiſcher Weiſe bearbeitet 
und durch die Zuſicherung aller möglichen Vorteile beeinflußt werden ſoll, ihr Vater 
land zu verraten und ſich für den Anſchluß an Frankreich zu erklären. Einem der- 
artigen Vorgehen ſteht die Bevölkerung ſchutzlos gegenüber. Nicht nur, daß jede 
. a deutſcher Geſinnung, geſchweige denn jegliche Gegenkundgebung zwangs— 
RS weiſe unterdrückt wird, auch die Preſſe ſteht unter ſchärfſter Zenſur und darf nur 
farbloſe Artikel bringen oder wird gezwungen, im Sinne Frankreichs gehaltene Auf— 
ſäatze zu veröffentlichen. 


” 


Nr. 9. 


Kundgebung der Vorſtände ſämtlicher politiſcher Parteien, Arbeiter- 

nen und Vereine in Stadt und Kreis Saarlouis vom 

| 7. März 1919. 

(Mit den Unterſchriften der Nationalverſammlung in Weimar vorgelegt.) 

5 Wir unterzeichneten Vorſtände in Stadt und Kreis Saarlouis vertretener politiſcher 

Parteien, Arbeiterorganiſationen und Vereine bekunden namens der geſamten Ein— 
25 nere des Kreiſes einmütig und feierlich den unabänderlichen Willen der 


Bevölkerung, am deutſchen Vaterlande feſtzuhalten. Wir fühlen uns unlöslich mit 
* dem Deutſchen Reiche verbunden und erheben namens der hinter uns ſtehenden Wähler 


dr N ) Leutnant Collong ſicherte den Teilnehmern an der Verſammlung auf Anfrage ausdrücklich zu, 
1 
2 
ir 


daß Frankreich den Willen und die Macht habe, fie gegen jedes Einfchreiten der deutſchen Behörden 
789 * * Landessenats unter allen Umſtänden zu ſchützen. 


„ 


und Mitglieder nachdrücklichſt Einſpruch gegen das immer mehr hervortretende und 
nicht nur von der franzöſiſchen Preſſe, ſondern auch von amtlichen franzöſiſchen 
Stellen offen verkündete Verlangen, uns Frankreich, einem uns innerlich fremden 
Staate, einzuverleiben. Wenn auch Teile des Kreiſes Saarlouis durch die Politik 
Ludwig XIV. von Frankreich ihrem Stammlande vorübergehend entriſſen wurden, 
wenn auch die Stadt Saarlouis eine franzöſiſche Gründung iſt und erſt 1815 zum 
Mutterlande zurückkehren konnte, fo handelt es ſich dabei doch um geſchichtlich kern⸗ 
deutſches Gebiet, deſſen Bewohner nach Abſtammung, Sprache, Kultur und Geſinnung, 
von wenigen Ausnahmen abgeſehen, Deutſche ſind und auch jetzt in der Zeit tiefen 
Unglücks ihres Vaterlandes mit ihren deutſchen Brüdern und Schweſtern vereint 
bleiben wollen. Eine nochmalige Angliederung unſeres Kreiſes oder Teilen davon 
an Frankreich würde eine Vergewaltigung unſeres Rechts auf Selbſtbeſtimmung be⸗ 


deuten und von uns und unſeren Nachkommen als das größte Unglück empfunden 


werden, von dem ein ſeine Freiheit und ſein Vaterland liebendes Volk betroffen 
werden könnte. Ä 

Wir erheben weiter ſchärfſten Einſpruch dagegen, daß durch einen Teil der den 
Beſatzungstruppen angehörigen franzöſiſchen Offiziere und im Solde Frankreichs 
ſtehende Agenten mit allen Mitteln ſyſtematiſch verſucht wird, die Bewohner des 
Kreiſes Saarlouis ihrem Stammlande abtrünnig zu machen. Weder die zwangsweiſe 
Einführung des franzöſiſchen Unterrichts in allen Schulen, w der die Zuſicherung 
finanzieller und wirtſchaftlicher Vorteile, weder die franzöſiſcherſeits veranſtalteten 
Propagandaverſammlungen und Werbungen von Haus zu Haus, weder die gewaltſame 
Unterdrückung von Außerungen deutſcher Geſinnung, noch die Knebelung unſerer 


Preſſe, die nur farbloſe Artikel bringen darf, ja gezwungen wird, Aufſätze im Sinne 


Frankreichs zu veröffentlichen, werden uns in unſerer Anhänglichkeit und Treue gegen 
das Deutſche Reich wankend machen und zum Anſchluß an Frankreich zu bewegen 
vermögen. Dieſe von Frankreich unternommenen Machenſchaften werden nur das 
eine erreichen, daß die deutſchen Einwohner des Kreiſes Saarlouis ſich noch enger 
zuſammenſchließen und um ſo feſter zu dem Gelöbniſſe ſtehen, das im Jahre 1815 
bei der Rückgewinnung des alideutſchen Kreiſes der Magiſtrat der Stadt Saarlouis 
einſtimmig ablegte: »Durch Treue, Unterwürfigkeit und Liebe werden wir uns be⸗ 


ſtreben, des Glückes würdig zu ſein, uns Preußen nennen zu dürfen«, einem Gelöbnis, 


das unſere Väter und wir über 100 Jahre getreulich gehalten haben. 

Allen aber, die mit uns einen Frieden der Gerechtigkeit und Verſöhnung wünſchen, 
rufen wir zu: »Helft uns und duldet nicht, daß wir von unſerem deutſchen Vater⸗ 
lande losgeriſſen werden!« 


Saarlouis, den 7. März 1919. 
Nr. 10. 
Im Saargebiet im März 1919 verteilte Flugſchrift. 


(Motto: Schickt euch in die Zeit.) 
Das Saargebiet deutſch, franzöſiſch oder autonom? 


Flugſchrift von einem Volksfreund. 
Preis 0,50 , Saarbrücken 1919. 


Vorwort. 


In den letzten Wochen wurde im lieben Saartal häufig die Frage aufgeworfen 
»wird Saarbrücken franzöſiſch?« 

Nach den Friedensgrundſätzen des Präſidenten Wilſon zu urteilen, wäre dieſe 
Frage mit einem glatten »Nein« zu beantworten. 8 

Da aber ein tätiges Volk zum Leben Arbeit, Licht und Luft benötigt, bringe ich 
in nachſtehenden Zeilen meine Meinung zum Ausdruck, wie die Bewohner des Saartales 

Arbeit und damit Leben 

erlangen können 


„ 
N 


15 


* 


nr 
2 


8 a Ich habe die ſchwierige Frage vorläufig nur in flüchtigen Zügen behandelt. 


Der eigentliche Zweck dieſer Broſchüre ſoll nur der fein, berufenen Führern des 


rn 
3 
en 


. 


Er 
* 


Fr - 
br - 


ee, 
u 1 


vw 
u 
24 


Saartales ihre wahre Meinung zu entlocken. Auch die Maſſe des Volkes hat ein 
Intereſſe daran, bald Näheres zu erfahren. 


Der Verfaſſer. 
Delahaye in der franzöſiſchen Kammer: 
»Was das Saargebiet angelangt, ſo hat ſich dies ſchon lange an Frankreich 
angeſchloſſen.« 
Dieſe Worte wirkten wie der Blitz aus heiterem Himmel. Mit einer Angſtlichkeit 


wird dieſe wichtige Frage behandelt, die einem freien Volke nicht gut anſteht. Das 


Thema müßte ſeit Wochen ſchon die Zeitungen des Saartales beſchäftigen; es iſt zu 


K 
„ 
2 * 


Br: 


ernſt und zu wichtig, um ſpäter vor nackte Tatſachen geftellt zu werden. 


Das Saargebiet hat ſich in den letzten 50 Jahren gewaltig geändert. Aus 
kleinen Dörfern ſind Städte, aus kleinen Fabriken mächtige Hütten geworden. Die 
Einwohnerzahl hat ſich faſt verdreifacht. 

Wem verdanken wir dies? 

Zunächſt der Mutter Natur, die uns in ihrem Schoße die koſtbare Kohle dar— 


nr reicht. Dann aber nicht minder dem Nachbarlande Lothringen, das uns mit feinen 


. 


reichen Erzfeldern das gab, was zur Erzeugung von Werten erforderlich iſt. 
Kohle und Erz ſind unzertrennlich. 
Tüchtige Kaufleute und Unternehmer haben es verſtanden, aus dieſen Mineralien 
ein kräftiges Leben zu geſtalten. Die meiſten Bewohner des Saartales leben — bild— 
lich geſprochen — von Kohle und Erz. Lothringen wird franzöſiſch, das 


dürfte wohl jeder wiſſen. Saarbrücken als Grenzſtadt — wie vor 1870 — iſt 
aber nicht mihr denkbar. Mit dieſen Gedanken muß ſich — wohl oder übel — jeder 


vertraut machen. | 

Saarbrücken ohne Lothringen, d. h. ohne feine Lebensader, wäre in 
wenigen Jahren eine tote Stadt. Tauſende von Arbeitern würden brot— 
los! Soll dieſer Zuſtand kommen? Nein und wieder nein. Die Tren— 
nung der Staaten nach Sprache und Sitte iſt gewiß recht ſchön, wichtiger aber iſt 
unſere Zukunft. Unſere Zukunft liegt im Weſten, das ſei hiermit öffentlich 
geſagt; alle Theorien verſagen, wenn dem Bewohner des Saartales die Luft aus— 
geht. Wir brauchen Arbeit, nichts als Arbeit. Dieſe bringt Lohn und da— 
mit Leben. Nach dem Weſten haben wir gute Schiffahrtsſtraßen, gute Eiſenbahnen 
und, was die Hauptſache iſt, ein gutes Abſatzfeld. Aus Liebe zum Vaterlande 
können wir nicht darben. Der Staat Preußen oder Deutſchland — auch das 
ſei offen geſagt — hat dem Saartal nicht immer die Berückſichtigung zu— 
kommen laſſen, die es verdient hatte. Die niederrheiniſche Induſtrie mit 
ihrem Bergbau war ſtets das Lieblingskind des Preußiſchen Staates. Die 
Perlen der Saar wurden kaum beachtet; gerechte Anſprüche wurden jahrelang.glatt abge— 
lehnt. Ich erinnere nur an die Kanaliſation der Saar und Moſel. Nur mit 
großer Mühe iſt es der Induſtrie an der Saar möglich geweſen, ſich zu entwickeln. 
Der Geiſt der induſtriellen Führer und die gediegene Arbeit der Arbeiter haben es 
fertiggebracht, gewaltige Aufträge aus dem Auslande zu holen. Der Kampf war 
ſchwer. Bei der neuen Staatenbildung muß die Vernunft, das Natürliche mit— 
ſprechen. Jede gewaltſame Trennung bedeutet Tod. Gefühls duſelei bringt 
kein Brot. Noch jetzt beſtehen vielfach enge Familienbeziehungen zwiſchen dem 


’ 5 Saargebiet und Frankreich. Dies ſei offen geſagt. Leider gehörte es zum guten 


Ton, darüber zu ſchweigen. Laßt uns jetzt frei ſein und unſere wahre 
Meinung äußern. Das Saartal ohne Lothringen bedeutet den Tod des blühenden 
Lebens an der Saar, wir aber wollen leben, leben, leben! Lothringen und das 
Saargebiet ſind nicht mehr zu trennen, wohl wären beide als ſelbſtändiger Staat mit 
Teilen der Pfalz (bis Landau) und im Anſchluß an Frankreich ſehr lebensfähig. 


Der kommende Völkerbund kann und muß dazu beitragen, daß die Landes 
grenzen nicht verriegelt, ſondern zu aller Völker Wohl möglichſt offen ſind. Jedes 
Volkes Sitte, Sprache und Eigenart muß bewahrt werden. Jeder ſoll ſeine Heimat 
behalten. Obige § eibeit darf nicht nur auf das wirtſchaftliche Leben angewandt 8 


ſein; auch Kunſt und Literatur können ſich gegenſeitig befruchten, wie es früher ſo 
ſchön der Fall war. Paſſeun folgende Worte Goethes an Eckermann vom Jahre 1827 


nicht auch für die heutige Zeit? »Es iſt ſehr artig, daß wir jetzt bei dem engen DR 
Verkehr zwifchen Franzoſen, Engländern und Deutſchen in den Fall kommen, uns ENT. 
einander zu korrigieren. Das iſt der größte Nutzen, der bei einer Weltliteratur heraus ĩ 


kommt und der ſich immer mehr zeigen wird.« 


Bei dem bevorſtehenden Friedensſchluß müſſen die Lebensintereſſen des = 


Saartales gewahrt werden; feine Bewohner verdienen es, denn es iſt ein tüchtiges, 
ein ſt ebſames Volk! In den letzten 50 Jahren war das Wort »Haß« die Parole, 


die kommende muß »Liebee lauten, denn »nicht mitzuhaſſen, mitzulieben 5 


ſind wir da!« Getragen von der Parole Liebe (von ſeinem öſtlichen und weſt⸗ 
lichen Nachbar) kann das liebe Saartal einer glänzenden Zukunft entgetzsugee 9. 


| RT. EL: | 
Im Saargebiet im März 1919 verbreitetes Gedicht’). 


Ihr Kinder! 


Ihr Kinder! Was ſoll denn nur all Euer Schrei'n, 
Euer Konſpirieren und Intrigieren? 

Beſeht Euch die Sache bei ruhigem Licht! 

Ihr alle wollt große Politiker ſein, 

Möchtet machtvoll führen und merkt eines nicht: 

Daß die Anſichten Stärkrer Euch nur erfüllen, 

Mit denen Ihr kurz vorher geſprochen — 

Und ich höre Euch weisheitsvoll ſelbſtbewußt brüllen: 
»Los von den Preußen! Mit Berlin wird gebrochen!« 
Die Andern ſchrei'n: »Wir ſtehn als Deutſche feſte! 
Wer zu Frankreich will, iſt das Deutſchſein nicht wert!« 
Oder: »Rheinrepublik iſt das Einzigbeſte! 

Denn in Preußen geht's nur ſpartakidenverkehrt!« 

Ihr glaubt Euch alle ſtark zum Herrſchen 

Und tanzt doch nur alle nach Andrer Geige. 

Ein jeder tut, was ein Stärkerer ſpricht, 

Möchtet alle herrſchen und laßt Euch beherrſchen. 

Und jeder, ſtatt daß er weiſe ſchweige, 

Redet dumm und beherrſcht ſelbſt ſich noch nicht! 

Oh, Ihr Kinder, die ſich herrſchaftſtark ſchon wähnen, 
Euch packt noch die Reue, wenn Ihr Euch befreit. 

Ihr folliet Euch glaubend an Stärkere lehnen — 

Nur ein ſtarker Freund beſchützt Euch vor Leid. 

Nun — ſo trefft Eure Wahl — welches Land ſcheint Euch's wert? 
Seid gewarnt und gebt nie Eure Hand Spartakiden, | 
Nur ein einiges Land ſchützt Euch Heim und Herd 

Und — man hat ja auch — fertige Republiken! 


0 Eine ähnliche Flugſchrift, betitelt »Ein Mahnruf an die Bevölkerung des Saargebiets« und 
unterzeichnet »Ein Freund der Menſchheit«, iſt in der gleichen Zeit im Saargebiet verbreitet worden. 


2) Das Gedicht iſt auf den Straßen und in den Schulen verteilt worden. 


Nr. 12. 


Bieſuch des Majors Delévaque und des Leutnants Fabvier in der 
. ſtädtiſchen höheren Mädchenſchule in Saarlouis. 
(Aus einem amtlichen Bericht.) 


"a Am 13. März 1919 kamen der franzöſiſche Major Delevaque und der franzöſiſche 
Leutnant Fabvier in die ſtädtiſche Mädchenſchule in Saarlouis, ließen die Lehrperſonen 
ins Konferenzzimmer rufen und ſie ſich vorſtellen. Nachdem der Kommandant Delévaque 
ſſich vergewiſſert hatte, daß alle Damen mit einer Ausnahme Franzöſiſch verſtünden, 
erklärte er ihnen, er ſei gekommen, um ihnen mitzuteilen, daß die Lage ſich vollkommen 
8 e Saarlouis werde ganz beſtimmt franzöfifch werden. Die Bevölkerung 
der Stadt und der Umgebung ſei ja auch franzöſiſcher Abſtammung. 80 v. H. der 
Bewohner ſeien dem Mutterlande Frankreich treu geblieben, und Treue finde man 
in Deutſchland nur auf dem linken Rheinufer unter der Bevölkerung franzöſiſchen 
Urſprungs. Daran ſchloß er wörtlich: »Das linke Ufer iſt weiß, das rechte ganz 
ſchwarz. Deutſchland iſt ein Nichts, das Chaos, der Bolſchewismus, ein tönerner 
Koloß Es hat immer nur Geld verdienen wollen. Jetzt, wo die Magnaten gefallen 
ſind, iſt es zermalmt. Deutſchland beſteht nicht mehr. In Frankreich iſt man im 
gegenwärtigen Augenblick viel weniger vergnügt; in Deutſchland tanzt man, in 
Frankreich tanzt man nicht, abgeſehen von Paris, weil Paris mondän iſt. Aber 
Saarlouis iſt franzöſiſch, und der geringſte Widerſtand wird Ausweiſung auf das 
rechte Rheinufer zur Folge haben.« 
75 Gegen feine weitere Bemerkung: »Sie haben den Haß gegen Frankreich gepredigt, 
ei erhoben alle Lehrperſonen mit Ausnahme von Fräulein David lauten Proteſt. 
Fräulein David bemerkte: »Was iſt es denn ſchließlich anderes als Haß gegen Frank 
reich, wenn die Kinder, die ſich zur Teilnahme an den Empfangsfeierlichkeiten der 
Franzoſen bereit erklärt haben, öffentlich vor der Klaſſe verhöhnt und verſpottet 
werden?« Dieſe Behauptung wurde von den anderen Lehrperſonen als unwahr 
zurückgewieſen. Das wiederholte Verlangen, die Kinder darüber zu befragen, lehnte 
der Kommanndant ab mit der Begründung, daß er auf Kinderausſagen nicht viel gebe. 
Es folgten weitere Herabſetzungen Deutſchlands durch den Kommandanten. 
So ſagte er, von Deutſchland ſeien ſämtliche Revolutionen ausgegangen, von der 
0 erſten ab. Dieſe Behauptung rief natürlich großes Erſtaunen hervor, worauf er 
bemerkte: »Jawohl, meine Damen, denn die erſte Revolution war die lutheriſche. 
Auch alle Revolutionen in den Ententeländern, in Irland und Rußland, auch der 
Bolſchewismus in Rußland werden mit deutſchem Gelde bezahlt. « 
Als der Kommandant weiterhin nochmals bemerkte, Saarlouis ſei bereits 
franzöſiſch, wurde gefragt, ob dies eine amtliche Mitteilung ſei! Darauf antwortete 
der 1 »Amtlich oder nicht amtlich, wenn ich es Ihnen ſage, dann iſt 
es wahr. « 
Fräulein Schäfer fragte nunmehr, ob auch Saarbrücken annektiert werde, worauf 
Leutnant Fabvier erwiderte: »Warum glauben Sie denn, daß wir 5 Jahre Krieg 
geführt haben? Das ganze linke Rheinufer wird franzöſiſch werden.« Sofort fügte 
er aber hinzu, wenn es nicht franzöſiſch werde, ſo werde es doch beſetzt bleiben, was 

ungefähr auf dasſelbe hinauskomme. In höhniſchem Tone fragte er dann: »Wiſſen 

Sie vielleicht, Fräulein, was im gegenwärtigen Augenblick in Saarbrücken vor ſich 

geht e, und der Kommandant Deleévaque fügte hinzu, am nächſten Tage werde eine 
Delegation unter Führung des Herrn Klein, des erſten Beigeordneten der Stadt 
Saarbrücken, nach Paris fahren, um den Anſchluß Saarbrückens an Frankreich zu 
beantragen. Fräulein Schäfer verbeſſerte ihn ſofort dahin, daß der erſte Beigeord— 
nete von Saarbrücken Schloſſer heiße und nicht Klein. Auf ihre Frage, ob etwa 
Herr Klein im amtlichen Auftrage der Stadt Saarbrücken handele, erfolgte keine Ant— 
wort. Sie bemerkte dann über Herrn Klein, ſo viel ſie wiſſe, habe dieſer ſehr wertvolle 
Beſitzungen in Lothringen, feine Zuneigung zu Frankreich ſei alſo leicht begreiflich. 


1 ER re Du * nu 1 
EL. 0 a 
2 6 1 
. 4 0 x 


Sa 


Fräulein Schäfer wurde ſodann nach einem Gedicht gefragt, das ſie verfaßt 
haben ſollte. Sie legte zwei Gedichte vor, bekannte ſich als Verfaſſerin des erſten 
und erklärte, das zweite ſei ihr von unbekannter Hand zugeſchickt worden. Einer 
der franzöſiſchen Offiziere bemerkte dazu: »Ich weiß nicht, welche Fliege Sie da ſticht.« 
Fräulein Schäfer ſagte dann zu Herrn Fabvier: »Ich ſtamme aus einer deutſchen 
Beamtenfamilie. Reich waren wir nicht, aber wir hielten auf die Ehre, und die 
will ich retten.“ Darauf entgegnete Herr Fabvier: »Ihre Meinung iſt ſehr ehren— 
wert«. Zum Kommandanten Delevaque ſagte Fräulein Schäfer: »Wenn Sie mich 
wegen dieſer Sachen da beſtrafen wollen — man kann mich nicht beſtrafen, aber 
wenn Sie mich beſtrafen wollen, dann ziehe ich das Gefängnis vor.« ä 

Es kam weiter die Rede auf Wilſon und ſeine 14 Punkte, auf deren Einhaltun 
gehofft werde. Hierzu meinten die franzöſiſchen Offiziere, die deutſche Hoffnung auf 
Uneinigkeit zwiſchen den Alliierten werde ſich als trügeriſch erweiſen. Über den Ver⸗ 
lauf der Friedensverhandlungen erklärten ſie, Frankreich hätte nur Anſpruch auf 
Elſaß⸗Lothringen erhoben, worauf ein Vertreter Englands erklärt hätte, das Saar⸗ 
gebiet von Trier bis St. Wendel ſei das mindeſte, was Frankreich verlangen könne. 

Zum Schluß erklärte der Kammandant Delevaque nochmals, Saarlouis ſei 
franzöſiſch, er äußerte ferne Verwunderung, daß dies den Lehrerinnen nicht längſt be- 
kannt ſei. Hierzu bemerkte Fräulein David: »O, ich habe es ihnen recht häufig ge- 
ſagt, aber ſie glauben es mir nicht.« | 

Der Kommandant machte alsdann abermals auf die Folgen aufmerkſam, die 
ſich aus den geringſten Widerſtand ergeben könnten, und ging hierauf weg, nachdem 
er Fräulein David die Hand gereicht und ihren Dank empfangen hatte. 


Nr. 13. 


Vorbereitungen zu einem Empfang des Marſchalls Foch in Saarlouis. 
| (Aus amtlichen Berichten vom 9. und 18. März 1919.) 


Am 18. März fol Marſchall Foch oder Marſchall Pétain nach Saarlouis 
kommen. Sein Empfang ſoll auf Veranlaſſung des Militärverwalters mit gewiſſen 
Feierlichkeiten umgeben werden, die den Eindruck hervorrufen, als ob die Einwohner 
der Stadt überwiegend zu Frankreich hinneigen. Geplant iſt u. a., daß em Schul⸗ 
mädchen auf dem Marktplatz die in der Anlage 1 verzeichneten Begrüßungsworte 
ſpricht. Nachdem alle in Frage kommenden Schülerinnen ſich geweigert haben, 
dieſen Empfangsgruß aufzuſagen, wird er nunmehr von der Tochter des Direktors 
des Eiſenwerks Fraulautern, A. G., Meier, deren Mutter eine geborene Franzöſin iſt, 
geſprochen werden. Auch ſoll ein Chor das in der Anlage 2 aufgeführte Lied vor⸗ 

tragen. Verfaſſer des Textes des Liedes und der vorerwähnten Begrüßungsworte 
iſt die Lehrerin Aline David ). 

Der erſte Adjutant der Militärverwaltung in Saarlouis, Major Delevaque, 
iſt mit dem Bürgermeiſter und dem Dirigenten des katholiſchen Kirchenchors in 
Verbindung getreten, um fie zur Bildung eines Chors zu veranlaſſen, der bei einer 
demnächſt ſtattfindenden feſtlichen »Gelegenheit« mehrere franzöſiſche Lieder, darunter 
die Marſeillaiſe, ſingen ſoll. Auf den Hinweis des Bürgermeiſters, es ſei doch eine 
eigenartige Zumutung, Leute, die ſelbſt im Felde gegen Frankreich geſtanden, die 
ſelbſt geblutet, Söhne, Väter, Brüder im Kriege verloren oder noch beute in Ge 
fangenſchaft hätten, die Marſeillaiſe fingen zu laſſen, ſagte Major Delevaque, die 
Marſeillaiſe könne fallengelaſſen werden. Bei der »occasion« werde die Muſik die 
Marſeillaiſe ſpielen; es ſeien ja dann auch Soldaten zum Singen da, und die alten 
Saaxlouiſer könnten fie ja auch noch, und wer fie nicht fingen könnte, könnte fie ja 
mitſummen. Der Bürgermeiſter hat dann mit den Vorſtänden der verſchiedenen 

) Frl. David hat im Sommer 1921 von der Académie frangaise einen Preis von 5000 Franken 


erhalten, weil ſie, wie franzöſiſche Zeitungen berichteten, ihrer Arbeit »trotz der zuweilen ſehr gröblichen 
Beläſtigungen ſeitens gewiſſer Deuiſcher« nachgegangen ſei. 


5 Br, 
GOeeſangvereine verhandelt, die ſich in ablehnendem Sinne ausgeſprochen haben. Man 
kam zu dem Schluffe, die Sache den Sängern vorzutragen und ſchließlich durch eine 
* tungsanzeige »ſtiimmbegabte Damen und Herren, die bei einer Gelegenheit auf 
Wounſch der franzöſiſchen Militärverwaltung deutſche Lieder fingen follen«, ſich melden 
* zu laſſen. Bisher hat ſich noch niemand gemeldet. 
. v 


Bi: N Anlage 1. 


. 
— 


Pe Geplanter Empfangsgruß für den in Saarlouis einziehenden 
a franzöſiſchen Marſchall. 


Hranzoſiſcher Text: 

* Monsieur le Marechal de France, Cdt. en chef des Armees 
* francaises. 

Nous venons au nom de toutes les petites Sarrelouisiennes pour 

x vous presenter nos hommages et l’expression de notre amour pour 

la France. Nous desirons devenir de bonnes petites Francaises et 


Deutſche Überſetzung: 
Herr Marſchall, Höchſtkommandierender der franzöſiſchen Armeen! 


Wir kommen im Namen aller kleinen Saarlouiſerinnen, um Ihnen 
unſere Ergebenheit und den Ausdruck unſerer Liebe für Frankreich darzu— 
bringen. Wir wollen gute kleine Franzöſinnen werden und bitten Sie, 
unſere ſüßeſten Küſſe entgegenzunehmen und fie allen unſren kleinen Schweſtern 
drüben in Frankreich zu übermitteln. 

. ' Es lebe Frankreich und das Land der Saar! 


Anlage 2. 


Franzöſiſcher Text: 
Le beau pays de la Sarre, dest mon pays natal: 
Paime bien ma patrie, j'aime bien mon joli val. 
C’est mon foyer, que j'aime, qui seule me rend heureux. 
C'est lui qui nous ramene en France au pays des aieux. 
Oh! Jour heureux! oh! temps, plein d’allegresse, 
Que vous voyez, oh! peres du haut des cieux. 
Que beni soit, le jour de votre arrivee! 
Qui nous rend le passe, 
La douce France! La Sarre a la France! 
Vive la France! 


Deutſcher Text: 


Das ſchöne Land an der Saar, das iſt mein Heimatland; 

Ich liebe ſehr mein Vaterland, ich liebe ſehr mein hübſches Tal. 
8 Meinen häuslichen Herd liebe ich, der allein mich glücklich macht, 
5 Denn er führt mich zurück nach Frankreich, in das Land meiner Väter. 
O Tag des Glücks, o Tag der Freude, 
Den ihr nun ſeht, ihr Väter von den Himmelshöhen. 
Geſegnet ſei der Tag deiner Ankunft, 
Der uns die Vergangenheit wiedergibt 
Und das fühe Frankreich. 
Die Saar gehöre Frankreich! 
Es lebe Frankreich! 


Fr! 


„Was wird die Stadt Saarlouis tun, wenn fie franzöfifch wird?“ 
(Aus amtlichen Berichten.) = R 


Am 14. März 1919 erſchien der erſte Adjutant des Militärverwalters, Major 
Delevaque, beim Bürgermeiſter und ſagte zu ihm: »Sie wiſſen, daß Saarlouis 
franzöſiſch iſt« Darauf der Bürgermeiſter: »Nein, ich weiß nur, daß ſie es franzöſiſch 
machen wollen.« Delevaque: »Nun, dann ſage ich Ihnen hiermit, Sie find franzöſiſch.« 
Der Bürgermeiſter: »Aus den Zeitungen weiß ich, daß noch immer verhandelt wird, 
und daß etwas Endgültiges noch nicht veröffentlicht ift.« Delevaque: »Es iſt Tat⸗ 
ſache, aber Frankreich iſt zu höflich (trop poli), um es zu veröffentlichen, bis ſeine 
Freunde es unterſchrieben haben. Nun zur Sache: Wenn die Tatſache vollzogen iſt, 
wird einer der Marſchälle, Foch oder Pétain, hierher kommen, um die Proklamation 
vorzunehmen. Der Herr Militärverwalter (Oberſtleutnant Poulet) ruft ſchon den 
ganzen Tag: Wo bleiben die Fahnen! (Major Deleévaque hat vorige Woche in Metz 
Fahnen uſw. ſelbſt eingekauft). Ich will nun wiſſen: Was wird die Stadt tun, 
wenn fie franzöſiſch wird? Es müſſen doch Vorbereitungen getroffen werden.« 
Der Bürgermeiſter: »Auf dieſe ſchwerwiegende Frage kann ich Ihnen jetzt keine Antwort 
geben, da muß ich mich erſt mit den Herren Stadtverordneten befprechen.« Delévaque: 
»Recht ſo, die Herren von der Stadtverordnetenverſammlung ſind zur größeren 
Hälfte für uns, aber die Kleinen, die Knaben und Mädchen, und die Bauern ſind 
uns zuwider, ſie wollen nicht. Auch die Geiſtlichen, katholiſche und evangeliſche, 
ſchaden uns ſehr.« Der Bürgermeiſter: »Ich werde Montag nachmittag eine Stadt⸗ 
verordnetenſitzung abhalten und ihr die Frage vorlegen.« Delevaque: »Gut, ich 
werde erſcheinen.⸗ 


Die Einladung iſt erfolgt, und Samstag, Sonntag und Montag haben Vor⸗ 
beſprechungen ſtattgefunden, in denen jedesmal mindeſtens 23, am letzten Tage 25 
von 29 Stadtverordneten erſchienen waren. Drei der fehlenden Stadverordneten waren 
verreiſt, einer krank. Nach eingehenden Verhandlungen, in denen natürlich ſanfte 
und ſcharfe Vorſchläge gemacht wurden, nahmen die verſammelten Stadtverordneten 
einſtimmig!) die in der Anlage niedergelegte Entſchließung an, die dem franzöſiſche 
Stadtkommandanten als Antwort auf ſeine Frage erteilt werden ſollte. | 


Am 17. März, nachmittags ¼5 Uhr, als die Stadtverordneten ſchon nahezu 
vollzählig erſchienen waren und ſich in und vor dem Sitzungsſaal ſchon eine Zu⸗ 
hörermenge von über 300 Menſchen verſammelt hatte, ließ der Kommandant, der 
inzwiſchen ſicherlich ſchon Kenntnis von der ablehnenden Haltung der Stadtverord- 
neten erlangt hatte, den Bürgermeiſter zu ſich bitten und eröffnete ihm, er habe 
nichts von der Einberufung der Verſammlung gewußt. Sein Adjutant, Major Dele- 
vaque, habe ohne ſein Wiſſen und Einverſtändnis gehandelt, und er verböte hiermit 
die Sitzung. Wie der Bürgermeiſter nach ſeiner Rückkehr der wartenden Menge 
den Beſchluß des Kommandanten mitteilte, antworteten die Saarlouiſer mit mehr⸗ 
ee lautem »Hurra« und ſtimmten das Lied »Deutſchland, Deutſchland über 
alles« an.?) 


) Die Stadtverordneten Dr. Hector und Henry Cahn hatten ſich anfangs gegen die Faſſung der 
Entſchließung ausgeſprochen. 


2) Unmittelbar nach den Ereigniſſen des 17. März erſchien der oberſte Militärverwalter des Saar⸗ 
gebiets, General Andlauer, an mehreren Tagen in Saarlouis und hatte Beſprechungen mit den Offi⸗ 
zieren der dortigen Militärverwaltung, in deren Verfolg der Major Delévaque und der Leutnant Collong 
entfernt wurden. General Andlauer hatte auch Unterredungen mit dem Bürgermeiſter und dem Landrat. 
Kurze Zeit darauf wurde auch der Militärverwalter von Saarlouis, Oberſtleutnant Poulet, durch den 
Bataillonschef de Job erſetzt. N 


Er — ww; 
* 5 


. eine andere Anſtellung bekommen habe. Von dem Oberbürgermeiſter darauf auf— 


merkſam gemacht, daß dieſer Weg ſchon der allgemeinen Rechtslage nach nicht gangbar 


0 
* > * 
u, 


e. . 
r 


1 \ . 
A 
6 . — 
7 5 “ A 
22 


N 


Anlage. 


Entwurf einer Entſchließung der Stadtverordnetenverſammlung in 


Saarlouis. 85 
Saarlouis, den 17. März 1920. 


Das franzöſiſche Volk hat während der furchtbaren Kriegsjahre ein nationales 
Bewußtſein, eine nationale Liebe und nationale Kraft gezeigt, die alle Welt be— 


wundern muß. Frankreich hat mit ſeinen Verbündeten ſtets erklärt, für Recht und 


Freiheit aller Völker der Welt einzutreten. 


Als Deutſche ſind wir einſichtig genug, das klar zu erkennen, und auch gerecht 
genug, das offen zu ſagen. 


Aber ebenſo klar iſt es uns, und ebenſo frei glauben wir es ausſprechen 
zu müſſen: 

Die verehrten Vertreter einer ſolchen Nation müßten uns deutſche Bürger der 
Stadt Saarlouis geringſchätzen, wenn nicht tief verachten, wenn wir in der Schickſals— 
ſtunde unſeres ſchwergeprüften Vaterlandes eine unklare und undankbare Stellung 


einnehmen würden. 


Erſt wenn das Saarvolk über ſein Schickſal endgültig entſchieden hat, könnte 
uns die Frage erneut vorgelegt werden. 


Nr. 15. 


Amtsenthebung des Oberbürgermeiſters von Saarbrücken. 
(Aus einem amtlichen Bericht.) 


Am 4. März 1919 eröffnete der franzöſiſche oberſte Militärverwalter des Saar— 
gebietes, General Andlauer, dem Oberbürgermeiſter Mangold von Saarbrücken in 
einer mündlichen Ausſprache, der Armeeführer, General Mangin, habe mit Befremden 
geleſen, daß der Oberbürgermeiſter die Kölner eee in der die Oberbürger- 
meiſter und Abgeordneten des linken Rheinufers erklären, die ganze Bevölkerung des 


linken Rheinufers ſei deutſch und wolle deutſch bleiben, unterſchrieben habe. Es werde 


ihm weniger zur Laſt gelegt, daß er ſich an der Faſſung dieſes Beſchluſſes beteiligt 
habe, als daß er, ein leitender deutſcher Beamter des franzöſiſch beſetzten Saar— 
gebietes, dieſe Erklärung unterſchrieben habe. Der Oberbürgermeiſter erwiderte darauf, 
er habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß er ſelbſt wie die ganze Bevölkerung des 
Saargebietes deutſch bleiben wolle. Er glaube, daß er dies genau fo wie alle 
anderen Oberbürgermeiſter des linksrheiniſchen Gebietes auch in der Offentlichkeit er— 
klären dürfe. Dabei habe er aber ſtets in voller Loyalität bisher mit den franzöſiſchen 


Beſatzungsbehörden zuſammen gearbeitet. General Andlauer erkannte das durchaus 


harmoniſche Zuſammenwirken mit dem Oberbürgermeiſter ausdrücklich an, betonte 
aber, daß es für die franzöſiſchen Behörden nicht maßgebend fein konne, wenn die 
engliſchen und amerikaniſchen Beſatzungsbehörden ſolche Erklärungen der ihnen unter— 


ſtellten Oberbürgermeiſter zuließen. Er legte darauf dem Oberbürgermeiſter »Re- 


vokation« der Erklärung nahe. Der Oberbürgermeiſter erwiderte, es könne ihm nicht 
zugemutet werden, eine Erklärung, die er für wahr und recht erkenne, zu widerrufen. 
General Andlauer ließ auch gleich den Vorſchlag fallen und riet dem Ober— 
bürgermeiſter, Urlaub zu nehmen, bis er von dem Oberpräſidenten oder der Regierung 


ſei, da er nicht angeſtellt, ſondern von der Saarbrücker Bürgerſchaft gewählt ſei, 


forderte General Andlauer ihn auf, ſeinen Abſchied einzureichen. Darauf erklärte 


der Oberbürgermeiſter: »Ich würde es als Fahnenflucht anſehen, wenn ich in dieſer 


) Vom 1. Februar 1919. 


— 40 — 


ernſteſten Zeit die Saarbrücker Bürgerſchaft, durch deren Vertrauen ich zu meiner 
Stellung berufen bin, freiwillig verlaſſen würde. Es iſt mir darum unmöglich, auf 
dieſen Vorſchlag einzugehen.« Dann, fuhr Andlauer fort, bliebe nichts anderes übrig, 
als daß er dem General Mangin vortrüge, er möchte die Abſetzung des Oberbürger⸗ 
meiſters ausſprechen. General Mangin werde vorausſichtlich die Angelegenheit noch 
mit dem Herrn Oberpräſidenten in Coblenz beſprechen; die Abſetzung würde dann 
wohl in etwa 14 Tagen ausgeſprochen werden. Das Ganze ſei eine Warnung für 
/ alle Oberbürgermeiſter und Landräte. | | 
Im Anſchluß an die Beſprechung fragte der Oberbürgermeiſter General Andlauer, 

/ ob er ermächtigt ſei, von dieſer Unterredung Gebrauch zu machen, worauf General 

Andlauer erwiderte: »Geſprächsweiſe ja, aber nicht in der Preſſe.« 


Anlage. 
(Überſetzung.) 
Oberkommando 
der alliierten Armeen. Großes Hauptquartier, den 18. März. 


Großer Generalſtab. 
D. G. C. R. a. 


Verwaltung 
der rheiniſchen Gebiete. 
Nr. 8186. 


Der Marſchall von Frankreich, Oberkommandierender der alliierten Armeen, 
an 
General Fayolle, Kommandierender der Armeegruppe 
in Kaiſerslautern. 


Ich habe Kenntnis genommen von Ihrem an mich gerichteten Bericht über den 
Bürgermeiſter von Saarbrücken. Im Hinblick auf die Haltung dieſes Beamten und 
ſeine politiſchen Kundgebungen, die mir mit ſeinem Amt unvereinbar erſcheinen, habe 
ich beſchloſſen, die Abberufung des Herrn Mangold zu genehmigen. 

Die Geſchäfte des Bürgermeiſters ſind bis auf weiteres von Herrn Stadtrat 
Klein wahrzunehmen. 


gez. Foch. 5 
(Vorſtehendes Schreiben iſt dem Oberbürgermeiſter Mangold am 28. März 191 
zugeſtellt worden.) 


| Nr. 16. 
Kundgebung des Kreistages Saarlouis vom 31. März 1919. 


Am 31. März 1919 faßte der in Saarlouis zuſammengetretene Kreistag des 
Kreiſes Saarlouis einſtimmig und unter lautem Beifall der Anweſenden folgenden 


Beſchluß: 

»Der heute verſammelte Kreistag des Kreiſes Saarlouis als die geſetzlich 
berufene Vertretung der Kreiseingeſeſſenen ſieht es als vornehmſte Ehrenpflicht 
an, in der jetzigen Schickſalsſtunde das Gelöbnis unwandelbarer Treue zum 
deutſchen Vaterlande zu erneuern und das Bekenntnis abzulegen, daß der 
Kreis Saarlouis und ſeine Bewohner ſich unlöslich mit dem Deutſchen Reiche 
vereint fühlen. In Glück und in Not auf immer feſt zum Deutſchen Reiche 
ſtehend, gibt der Kreistag der beſtimmten Erwartung Ausdruck, daß die 
Reichsregierung bei den bevorſtehenden Friedensverhandlungen die in Ab- 
ſtammung, Geſchichte und Kultur begründeten Rechte der Einwohner des 
Kreiſes nachdrücklichſt wahrt.« 


7 


n 
N 


ug a NR. DENE? ai, A 
. 5 — 


Ga E } Nr. 17. 
die Geſchente König Ludwigs XIV. von Frankreich 
E an die Stadt Saarlouis. 
(berſetzung.) 
Militärverwaltung 
des Kreiſes Saarlouis. Saarlouis, den 14. April 1919. 
8/1212/4A. 
Der Bataillonschef de Job, Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis, 
an 


den Herrn Bürgermeiſter von Saarlouis. 


Ich erteile Ihnen den Befehl’), die 18 mit Gobelins bezogenen Stühle aus 
der Zeit Ludwigs XIV., die von dieſem Herrſcher der Stadt Saarlouis geſchenkt 
worden ſind, in mein Amtszimmer bringen zu laſſen. 

Ich werde dieſe Möbel am 15. April übernehmen und Ihnen darüber eine 
Quittung ausſtellen. Sie werden gebeten, zu prüfen und mir für Sonnabend zu 
berichten, über welche Mittel Sie verfügen, um mir auch die Wan aus 
derſelben Zeit auszuhändigen, die Ihr Amtszimmer ſchmücken. 

Sie haben mir unter denſelben Bedingungen die Medaillen nebſt Schrein, 
Archiven und Bücher der franzöſiſchen Kirche auszufolgen, die Sie etwa in Ihrem 


1 haben. Ich werde Ihnen darüber ebenfalls eine Empfangsbeſcheinigung aus— 
ſtellen. 


Der Bataillonschef de Job, 


Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis. | 
(Stempel.) | 147 
gez. de Job. 


Der Bürgermeiſter Saarlouis, den 15. April 1919. 
der Stadt Saarlouis. 


An 
den Herrn Militärverwalter, 
Saarlouis. 


Zu meinem Bedauern bin ich genötigt, Ihrem Befehl, die ſtädtiſchen Gobelin— 


ſtühle abzuliefern, nachzukommen, die die Stadt Saarlouis nicht nur in franzöſiſcher 


Zeit, ſondern auch unter deutſcher Herrſchaft / Jahrtauſend als ihren wertvollſten 
Schatz gehütet und geſchätzt hat. 
Ich tue es unter Proteſt, da in der mir amtlich zugegangenen Genie 


über Beitreibungen (X. Armee, Generalſtab, 4. Bureau, Nr. 204%) unter Ziffer 11 


geſagt iſt: 
»Die Beitreibungen (Requiſitionen) müſſen ſtreng auf die für den Bedarf 
der Truppen wirklich erforderlichen Gegenſtände oder Waren beſchränkt 
werden. 


1) Der Text lautete urſprünglich: »ich bitte Sie«. Nach Empfang des Schreibens begab ſich der 


Burgermeiſter ſofort zu dem Militärverwalter und lehnte die Erfüllung der Bitte ſchon aus dem Grunde, 


weil er gar nicht das Recht habe, eigenmächtig über ſtädtiſches Vermögen zu verfügen, ab. Der Militär— 
verwalter berief ſich jedoch auf einen hoheren Befehl, nachdem alles, was von franzöſiſcher Kunſt in 
öffentlichem Beſitz ſei, unter franzöfiichen Schutz genommen werden müſſe; die Deutſchen hätten im 
Kriege bewieſen, daß fie franzöſiſche Kunſt für nichts achteten. Er ließ ſich darauf das Schreiben noch 
mals geben und änderte die Worte »ich bitte Sie« um in »ich erteile Ihnen den Befehl«. 


4* 


Ferner unter A 3: 


»Die Requiſition iſt eine . Art des Erwerbs, fie darf alſo | 


nur zur Befriedigung ſofortiger und daher beſchränkter Bedürfniſſe ausgeübt 
werden. « 


Schließlich erlaube ich mir noch darauf hinzuweiſen, daß nach den Waffen⸗ 2 
ſtillſtandsbedingungen die preußiſchen Geſetze weiter gelten, alſo auch die Tpeinüfche 
Städteordnung vom 15. Mai 1856, deren $ 45 fagt: 


»Die Stadtverordnetenverſammlung ed über die se des 
Gemeindevermögens. « | 


$ 53 lautet: 
»Der Bürgermeiſter hat 
(1.—4.) 
5. das Eigentum der Stadtgemeinde zu verwalten, die Gemeinde in Progefen 
zu vertreten und ihre Rechte zu wahren«. 


Die Einhaltung der beiden vorſtehenden e wird durch den borlrgede, | 
Befehl unmöglich gemacht. 


Was die Wandgobelins angeht, jo kann eine Ablieferung durch die Stadt nicht 
erfolgen, da mir keine Leute bekannt And, die die Gobelins Bacher nz | 
könnten. 


Einen Schrein mit t Medaillen beſitzt die Stadt nicht. Die ie wiederholt franzöſiſ 155 
Herren gezeigten Medaillen ſind Eigentum des Herrn Oberſtadtſekretärs Schellenberg. 
Auch beſitzt die Stadt kein Archiv; einige intereſſante alte Bilder und Urkunden hat 
die Stadt vor einigen Jahren in Paris gekauft. Die alten Standesamtsregiſter 
(Kirchenbücher) hat die Stadt täglich nötig, um die jederzeit gewünſchten Auszüge 
zu machen. Von den zuletzt genannten Sachen werde ich ein Verzeichnis einreichen. 


gez. Dr. Gilles. 


Der Bürgermeiſter | % | 
der Stadt Eaarlouiß. / Saarlouis, den 28. April 1919. 


An 
den Herrn Militärverwalter des Kreiſes Saarlouis. 


Heute Mittag wurden, wie mir ein Bote bzw. Dolmetſcher erklärte, auf a 
Befehl die Wandbekleidungen aus meinem Arbeitszimmer weggenommen. Ich habe 
auch dieſe Fortnahme, ebenſo wie die der Gobelinſtühle am 15. April, unter Proteſt 
zugegeben und gebe dazu dieſelben Erklärungen ab wie in meinem Schreiben vom 15. April. 


Gleichzeitig erlaube ich mir darauf hinzuweiſen, daß mir bis heute die Requiſitions⸗ 
bzw. Empfangsſcheine über die 18 Seſſel und 3 Wandbehänge noch nicht zugegangen ſind. 


gez. Dr. Gilles. 


* 
— 


2 


1 


* . 
4 
* 


folgende Antwort ein: 


x 
+ 
ur 
9 
N 


* 
be 
. 
N 
er 
* 


% Auf eine Note der Deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion vom 5. Mai 1919, in 
r gegen die Wegnahme der Kunſtgegenſtände Einſpruch erhoben worden war, ging 


5 
— Y 3: 
Be 


a (Überſetzung.) 
Spa, den 20. Mai 1919. 


ee; General Nudant, 
Präſident der Interalliierten Waffenſtillſtandskommiſſion, 
| an General von Hammerſtein, 


Er je Vorſitzenden der Deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion. 


Antwort auf die Note Nr. 21046 vom 5. Mai 1919: 

Der Kommandant de Job, Verwalter von Saarrlouis, hat bei ſeinem Eintreffen 
dort erfahren, daß die von Ludwig XIV. der Stadt Saarlouis geſchenkten 18 Gobelin— 
ſtühle und 3 Gobelinbehänge vor und im Kriege Gegenſtand von Verkaufsangeboten 


ſeitens der ſtark verſchuldeten Stadtverwaltung von Saarlouis geweſen ſind. 

Einer franzöſiſchen Familie des Landes und dem Sachverſtändigen Sternheim in 
Paris waren feſte Angebote gemacht worden. Nur der zu hohe Preis, der verlangt 
wurde, hatte das Zuſtandekommen des Verkaufs verhindert. Der Kommandant 
de Job hat außerdem Kenntnis erhalten von der Abſicht der Stadtverwaltung, die 
Möbel demnächſt nach Coblenz zu ſchaffen. 

Unter dieſen Umſtänden hat er die Möbel an den Sitz der Militärverwaltung 
bringen laſſen, um ſie der Stadt Saarlouis zu erhalten und ihren Abtransport über 
den Rhein zu verhindern. 

Er hat unter dieſen Umſtänden die einzig richtige Haltung eingenommen ). 


gez. Nu dant. 


Nr. 18. 


Verſuche, die Haltung der Stadt Saarlouis zu beeinfluſſen und ſie 
zur Entſendung einer Abordnung nach Paris zu veranlaſſen. 
| (Aus einem amtlichen Bericht.) 


Am 16. April 1919 erſchien der Stadtverordnete Dr. Hector bei dem Bürgermeiſter 
von Saarlouis und erklärte ihm, es ſei Zeit, die von der Stadt zu vertretende 
Politik endlich anders zu orientieren. Er habe den Eindruck, daß nach den Vorgängen 
vom 17. März?) das Verhaltnis zwiſchen Beſatzung und Stadt getrübt ſei. Es ſei ein 
großer Fehler geweſen, damals den Regierungspräſidenten und Landrat zu der Stadt— 
verord netenverſammlung kommen zu laſſen; die damaligen Fragen gingen dieſe Herren 
gar nichts an uſw. Der Bürgermeiſter erwiderte, das perſönliche Verhältnis zwiſchen 
ihm und der Militärverwaltung ſei, wie ſtets, formell einwandfrei und freundlich. 
Sachlich wiſſe man freilich nie, was man von den Franzoſen zu erwarten habe. Daß 
ſeinerzeit Landrat und Regierungspräſident benachrichtigt worden ſeien, halte er für 


ſelbſtverſtändlich, denn eine ſo wichtige Frage wie damals werde der Stadt Saarlouis 


Ef ) Längere Zeit vor dem Kriege waren in der Tat unverbindliche Preisangebate für die Gobelin- 


* möbel eingeholt worden, doch war ein Verkauf, den die Bevölkerung nicht zugelaſſen haben würde, ernſt— 
— Fe beabſichtigt geweſen, auch war die Angelegenheit längſt vergeſſen, und niemand dachte mehr an einen 
auf. 


Ein Abtransport nach Coblenz war nie geplant. — Die Möbel find in der Folgezeit auf einer 
Ausſtellung in Saarbrücken gezeigt worden. Ein ſpäteres Erſuchen der Regierungskommiſſion des Saar— 
gebiets, ihr die Möbel zur Verfügung zu ſtellen, wurde von der Stadt Saarlouis abgelehnt. Heute 
ſtehen die Möbel wieder im Rathaus in Saarlouis. 5 


2) Vgl. Nr. 14. 


AA 


nicht fobald wieder vorgelegt werden. Dr, Hector meinte, Saarlouis gelte noch als 
deutſche Stadt, habe aber ſtarke Vorlſebe für Frankreich. Die deutſche Stimmung 
werde hauptſächlich von den Zugewanderten gemacht, während die eingeſeſſene Be 
völkerung mit der probeutfchen Geſinnung nicht einverſtanden ſei. Wenn die Ent— 
ſcheldung zugunſten Frankreichs ausfalle, werde in 10 bis 15 Jahren kein Menſch 
merken, daß Saarlouis einmal deutſch geweſen ſei. Zum Schluß erklärte er: »Ich 
habe die Überzeugung, daß Sie zum Nachteil von Saarlouis die Stadt regieren, « 
Der Bürgermeiſter entgegnete: »Ich habe nicht dieſe Überzeugung wenn ich fie Hätte 


würde ich abdanken.« Mit den Worten: „Daun iſt es zu ſpät«, entfernte ſich x 


Dr. Hector, 

In den nächſten na erſchlen Dr. Hector nochmals bei dem Bürgermeiſter und 
verlangte von ihm die Einberufung eines Ausſchuſſe von Stadtverordneten zwecks 
Wahl einer Kommiffion, die fofort nach Paris fahren ſolle. Dieſe Kommiffion ſolle 


für den Fall, daß Saarlouis franzöſiſch würde, in Paris für möglichſt großes Ent⸗ 
gegenkommen Don der neuen Regierung wirken, für den Fall, daß Saarlouis 


»neutral« werden follte (worüber damals Gerüchte gingen), follte die Kommiſſton in 
Paris dahin wirken, daß die Stadt kanal werde, denn während der 10 bis 
15 Jahre Neutralität werde das wirtſchaftliche Leben der Stadt abfterben; ſollte etwa 
nach dem Friedensvertrag Saarlouis deutſch bleiben, fo brauche die Kommiſſton nicht 
in Tätigkeit zu kreten. FR 

Der Birgermeifter erklärte den von Dr, Hector vorgeſchlagenen Weg für falſch, 
ungehörig, überflüſſig und verfrüht. Er könnte ez verſtehen, wenn die Entfendung 


einer Kommiffion an die eigene, d. h. die deutſche bzw. preußifche Regierung borge 
ſchlagen würde eine ſolche Kommiſſton habe aber leider keine Ausſicht auf Reiſe⸗ 


genehmigung. Der Vorſchlag von Dr. Hector fei überfluffig, da die Frledenskonferenz 
ſich um eine unlegitimierte Kommiſſion aus Saarlouis nicht kümmern könne, verfrüht 
fei er, da ez noch Zeit zum Handeln ſei, wenn über das Schickſal der Stadt end» 
gültig entſchieden ſel. Im übrigen würde ein von dem Bürgermeiſter berufener Aus 


ſchuß einfeitig zuſammengeſetzt fein, und die Nichtzugezogenen würden ſich mit Recht 


beſchweren. Der Bürgermeiſter ſchlug deshalb Dr. Hector vor, er möge feine Anfichten 
einmal in der Stadtverordnetenverſammlung vortragen. Dies wollte Dr. Hector 
nicht, fo daß ihm der Bürgermeiſter ſchließlich zuſagte, die Angelegenheit am Nach— 
mittag mit den Beigeordneten zu beſprechen, 

In der Nachmittagsſitzung mit den Beigeordneten vertrat Dr. Hector ſeine Unficht 
und erfuhr, wie vorauszuſehen war, von den Herren H. und L vollftändige Ab, 
ſehnung. Nur Herr F. war elaſtiſch. Froſtig entfernte ſich Dr, Hector, 

In der nächſten Zeit gingen in der Stadt e daß der Bürgermeiſter und 
die Beigeordneten Bea würden, weil ſie die Mittel für die Entſendung einer 
Kommiſſton nach Paris abgelehnt hätten. Um dieſelbe Zeit war tatſächlich eine 
nichtamtliche Kommiffion nach Paris gefahren und von Clemenceau empfangen worden!). 


Nr. 19. 


Reiſe einiger Perſonen aus dem Kreiſe Saarlouis nach Paris. 
| (Aus amtlichen Berichten.) 


Auf Einladung der franzöſiſchen Regierung reiſten am 19. April 1919 folgende 
Perſonen nach Paris?): Oberlehrer Camille David aus Dillingen, Photograph Stolz 


) Dal, Nr. 19, N 

) Die Perſonen, die die Entſendung der Aborbnung betrieben, hatten kurz vorher eine Be 
ſprechung im „Rheiniſchen Hofe in Sagarloultz gehabt. Hierbei war u, a, erklärt worden, da bie 
Stabtverorbnetenverfammlung auf die Frage dez Maſorsz Delévaque ihren bekannten Beſchluß gefaßt 


habe (vgl, Nr. 12), könne bie Abordnung niterben Kreiſen der Stabtverordneten entnommen werben, 


man milſſe vielmehr andere Honoratioren ausſuchen. Den Teilnehmern an der Relſe wurde auch elne 
beſtimmte Summe von ſhranken zu einem Vorzugskurſe ausgehändigt, 


Militarbehbrden beſonderes Entgegenkommen anbefohlen war, da die Neifenden „die 
Wuünſche des Kreiſes und der Stadt Saarlouis« der franzöfifchen Regierung vor— 
Fisutragen beabſichtigen von und bis Metz ſtand ihnen auf der Hin- und Rückreiſe 
ein Sonderwagen zur Verfügung. 
ann Paris hatten die Genannten mehrfach Zufammenkünfte mit Tardieu, Godin 
und Maurice Barretz, die auf das genaueſte über alle Vorgänge, die maßgebenden 
bdeutſchen Merſönlichkeiten uſw. im Saargebiet unterrichtet waren und täglich tele— 
graphiſche Berichte der franzöſiſchen Beſatzungsbehörden erhielten. Auch von Cle— 
menceau, der bei ihrem Kommen Freudentränen vergoſſen haben ſoll, wurden die 
RNeſſenden in einer 22 Minuten langen Audienz empfangen. Clemenceau hat feiner 
großen Freude über die »Rücktehr der vor 100 Jahren verlorenen Tochter Saarlouis 
um Mutterlaude« Ausdruck gegeben und u. a, geäußert: »Meine Herren, Sie find 
franzöſiſch und können in 15 Jahren nicht franzöſiſcher fein als heute,« Weiter hat 
Cilemenceau bemerkt, daß, ſobald der Friedensvertrag unterzeichnet ſel, alle deutſchen 
Beamten (Landräte, Bürgermeiſter uſw.), Lehrer, Gendarmen u, dgl. durch Franzoſen 
oder Anhänger der Franzoſen erſetzt würden. Daß für die Stadt Saarlouis beſondere 
ö . men zugeſagt wurden, bedarf keiner beſonderen Hervorhebung. Namentlich 
wurde in Ausſicht geſtellt, daß Saarlouis Sitz eines Biſchofs und einer Handels 
kammer würde, daß es ein Prieſterſeminar und große Garnſſon erhalten ſolle uſw.!) 


* Mr, 20, 
ALlaütigteit des Militärverwalters de Job in Saarlouis. 
1 (Aus einem amtlichen Bericht.) 


Der neue Kommandant de Job ſucht die Bevölkerung mit allen Mitteln für 
1 zu gewinnen. Er ift vor allem — im Gegenſatz zu feinem Vorgänger - 
ht, das Vertrauen der Arbeiterkreiſe zu erwerben. 104 babe für fein Vor, 
gehen i „baß er fortgeſetzt die induſtriellen Betriebe beſucht, dabei ſich die Arbeiter. 
pertretungen rufen läßt, fie nach ihren Wünſchen in bezug auf das Arbeitsverhältnis 
ar nee die Ernährung fragt und ohne weitere Prüfung und ohne Anhörung der 
BBetriebsleſtung diefen Wünſchen tatkräftigſte Förderung zuſagt. Auch ſucht er regel— 
mäßig bei Streitigkeiten zwiſchen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu vermitteln und 
ift ſtets beſtrebt, den Forderungen der Arbeiter, mögen fie auch noch fo weitgehend 
und unberechtigt fein, Geltung zu verſchaffen; wenn es gar nicht anders geht, mit 
dem Hinweſs, daß ihm durch die Erfüllung der Arbeſterwünſche eine erfönfiche Ge— 
flälligkeit erwleſen werde, einem Hinweiſe, dem ſich faſt kein Arbeitgeber unter den 
beſtehenden eo ie zu entziehen vermag. Zumeiſt verteilt er außerdem im 
Anſchluſſe an 9 Beſprechungen zur 175 der notleidenden Arbeiter 
9 Geldbeträge Summen von mehreren Taufend Mark waren mehrfach zu ver— 
Bu" Fe Den Vertretern der Bergarbeiter hat de Job verſprochen, mit allem Nach— 
E. fi) der Begnadigung ihrer bei dem letzten Streit von General Andlauer be, 
ſtraften Kameraden anzunehmen, mit der Begründung, er könne verſtehen, daß die 


= a 4 
Die Aborbnung kehrte am 26, April nach Saarlouis zurlick. Nach ihrer Rückkehr wurden 
wieder Unterſchriften für ben Anſchluß an Frankreich geſammelt. Man ſprach von 70 Unterſchriften 
Auf Anmeld 


geworben. 


bei einem der Mitglieder ber Aborbnung erhielten Perſonen, bie ein Schriftſtäck unter, 
ahlebensmitte! in berſelben Welfe wie Elſaß Lothringer, In der erſten Hälfte bes Monats 
ch abermals eine Abordnung aus Saarlouis nach Paris, näheres hierüber iſt nicht bekannt 


e 


Leute den Befehlen nicht gefolgt ſeien und halte die verhängten Strafen für viel zu 
hart; vielleicht hätten die deutſchen Behörden der franzöſiſchen Verwaltung lediglich 
ihnen unliebſame Elemente zur Beſtrafung angezeigt. Auch hat er ihnen zugeſagt, 
ſich für die ſofortige Freilaſſung und Rückſendung ihrer kriegsgefangenen Angehörigen 
einzuſetzen. Dem Leiter der elektriſchen Kreisbahnen, der mehrere Wagenführer nach 
voraufgegangenen ſchweren anderen Pflichtverletzungen mit der geſetzlichen Friſt ge— 
kündigt hatte, weil ſie eines Sonntags lieber einem Tanzvergnügen beiwohnen wollten 
und deshalb einfach nicht zum Dienſt erſchienen, ſchickte er den ſchriftlichen Befehl, 
die Kündigung ſofort zurückzunehmen. Ahnliche Vorfälle ereignen ſich faſt täglich 
und de Job benutzt dabei mit befonderer Genugtuung jede ſich bietende Gelegenheit, 
die deutſchen Verhältniſſe und namentlich die deutſchen Behörden mit abfälligen Be- 
merkungen zu bedenken. Einem Arbeiter, der vor einigen Tagen bei ihm erſchien 
und auf eine gegen ihn verhängte Strafe von 1000 / den Betrag von 500 M 


bezahlen wollte, mit dem Hinzufügen, daß das fein letztes Geld ſei und nun feine | 


Familie hungern müſſe, ſoll de Job erwidert haben: »Da haben Sie Ihre 500 % 
zurück; ich erlaſſe Ihnen die Strafe und wenn Sie einmal in Not ſind, kommen 


Sie ruhig zu mir, damit ich Ihnen helfe. So handeln wir Franzoſen, trotz der 


Greuel, die die Deutſchen in unſerem Lande verübt haben.« 7 

In gleicher Weiſe wie auf die Arbeiter ſucht der Militärverwalter auf andere 
Bevölkerungskreiſe Einfluß zu gewinnen. Den Landwirten iſt bereits erklärt, daß 
ſie zur Schlachtviehabgabe nicht mehr herangezogen werden dürften und für die 
Fleiſchverſorgung nur noch diejenigen Tiere abzuliefern brauchten, die ſie freiwillig 
abliefern wollen. Auch dürften ſie in der Fettverſorgung nicht ſchlechter geſtellt 
werden wie die Verſorgungsberechtigten und könnten daher, nachdem den Verſorgungs⸗ 
berechtigten 200 g Speck und Schmalz wöchentlich geliefert werden, eine gegen früher 
entſprechende größere Menge Milch und Butter für ſich zurückbehalten. Daß unter 
ſolchen Verhältniſſen im Kreiſe kein Schlachtvieh aufkommt, daß die Verſorgung der 
Kinder mit Milch und Butter direkt kataſtrophal wird und daß die landwirtſchaft⸗ 
5 Erzeugniſſe ſchlimmer denn je den Weg des Schleichhandels gehen, iſt kein 

under. 

Die deutſchen Beamten ſtehen dieſen Zuſtänden machtlos gegenüber und werden 

mehr und mehr ausgeſchaltet. 


Nr. 21. 


Verhaftungen, Ausweiſungen und ähnliche Maßnahmen im Saar⸗ 
gebiet in den Monaten März, April, Mai 1919. 
(Aus amtlichen Berichten.) 


Im Kreiſe Saarlouis wurden Ende März 1919 einige ſtädtiſche Beamte von 
dem franzöſiſchen Militärverwalter ihres Amtes enthoben, weil ſie eine franzoſen⸗ 
feindliche Geſinnung bekundet hätten. 

Zu umfaſſenden Maßnahmen kam es anläßlich eines Bergarbeiterſtreiks, der am 
26. März 1919 ausbrach und außer einer Lohnerhöhung namentlich die Einführung 
des Achtſtundentages zum Ziele hatte. Da die Inſtandhaltung der Gruben bedroht 
war, befahlen die ſranzöſiſchen Militärbehörden die Wiederaufnahme der Arbeit und 
ſchritten, als dem Befehl nur zum Teil Folge geleiſtet wurde, zu Verhaftungen 
ſtreikender Arbeiter. In Verhandlungen des Generals Andlauer mit den Arbeitern 
am 28., 29. und 30. März kam zwar über die Lohnfrage eine Einigung zuſtande, 
nicht aber über den Achtſtundentag. Über die Durchführung des Achtſtundentags, 
mit dem die deutſchen Bergbehörden ſich ſchon lange einverſtanden erklärt hatten, 
hatte am 28. März die aus Vertretern aller Arbeitgeber und Arbeiter der Privatinduſtrie 
zuſammengeſetzte ſogenannte »Arbeitsgemeinſchaft« unter Zuziehung der ſtaatlichen 


Behörden beraten; die franzöſiſchen Behörden aber wollten erſt die Zuſtimmung 


des franzöſiſchen Handelsminiſters einholen. Deshalb brach am Nachmittag des 


5 


ec März der Streik wieder in vollem Umfange aus; hierbei ftellten die Arbeiter 
als neue Forderung die ſofortige Freilaſſung ihrer verhafteten Kameraden. General 
Andlauer erließ daraufhin am 5. April eine Proklamation, in der es hieß: da 


Frankreich die Aufgabe übernommen habe, für die Ordnung und für die geſamten 


Wirtſchaftsintereſſen des Saargebiets zu ſorgen, werde jedes Fernbleiben von der 
Arbeit als feindlicher Akt betrachtet; alle Belegſchaften ſeien requiriert und unmittelbar 
den Befehlen des Generals Andlauer unterſtellt; die Arbeit müſſe am 7. April 
wieder aufgenommen werden, widrigenfalls Verhaftung erfolgen werde. Als am 7. 
und 8. April nur etwa ein Fünftel der Belegſchaften anführen, wurden zahlreiche 
Ber leute verhaftet und 21 von ihnen durch ein franzöſiſches Kriegsgericht zu 
Gefängnisſtrafe von 2 bis 5 Jahren verurteilt. Ungefähr 400 Bergleute (250 aus 


* 


u Saarbrücken und Umgegend, 700 aus dem Kreiſe Saarlouis und 50 aus dem Kreiſe 
Ottweiler) wurden in Eiſenbahnzügen nach der rechten Rheinſeite abgeſchoben. Am 


9. April fuhr etwa die Hälfte der Belegſchaften an, und in den folgenden Tagen wurde 
allmählich die Arbeit wieder aufgenommen. Über den Achtſtundentag erging zunächſt 
keine Entſcheidung der franzöſiſchen Behörden. Sie erklärten ſich indes damit ein— 
verſtanden, daß Arbeitsleiſtungen über 8 Stunden als Überſtunden bezahlt würden, 
und daß der Achtſtundentag ſo weit beſtehenbleibe, als er durch freiwillige Verein— 
barung zwiſchen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ſchon eingeführt ſei; die allgemeine 
Einführung des Achtſtundentags wurde aber unterſagt, ebenſo die Einrichtung von 
Angeſtelltenausſchüſſen und die Durchführung der Beſtimmungen über Sonntagsruhe. 
Erſt am 12. April erklärte ſich die franzöſiſche Militärbehörde mit der Einführung 


des Achtſtundentags einverſtanden. 


Anläßlich des Bergarbeiterſtreiks wurden auch Maßnahmen gegen andere Kreiſe 
der Bevölkerung getroffen. Ende März und Anfang April wurden bei mehreren 
führenden Perſönlichkeiten aller politiſchen Parteien Hausſuchungen vorgenommen 
und die Betreffenden verhaftet; ſie wurden etwa eine Woche einzeln in kleinen, un— 
geheizten Militärarreſtzellen in Haft gehalten, ohne überhaupt vernommen zu werden. 
Einige Tage darauf wurden verhaftet: der Syndikus der Handelskammer, weil er 
den Achtſtundentag zu einer Zeit, in der die franzöſiſchen Behörden noch darüber 
verhandelten, in der Arbeitsgemeinſchaft der Privatinduſtrie zur Annahme gebracht 
und ſo die franzöſiſchen Behörden getäuſcht habe, ferner der Generaldirektor der 
Dillinger Hütte und der Syndikus der Burbacher Hütte mit der Begründung, ſie 
ſeien Elemente, die die öffentliche Ruhe und Ordnung zu ſtören geeignet ſeien, ſowie 
15 andere Herren, darunter führende Bergbeamte, Gymnaſialdirektoren, Oberlehrer, 
Richter, Rechtsanwälte, Stadtverordnete. Faſt alle wurden in das rechtsrheiniſche 
Gebiet ausgewieſen. In Saarlouis wurden in der Nacht vom 8 zum 9. April ein 
proteſtantiſcher Pfarrer, der Führer der Zentrumspartei, und der Verleger des 
Saarlouiſer Tageblatts verhaftet und ſpäter ausgewieſen. Auch die vorher ihres 
Amtes enthobenen ſtädtiſchen Beamten erhielten Ausweiſungsbefehle. Der abgeſetzte 
Oberbürgermeiſter von Saarbrücken wurde gleichfalls plötzlich ausgewieſen und erhielt 
nicht einmal 24 Stunden Zeit, um ſeine häuslichen Angelegenheiten zu ordnen. Am 
12. April wurde der über 60 Jahre alte, von ſchwerer Krankheit eben geneſene 
frühere Reichstagsabgeordnete Herwig verhaftet, während der Nacht in einer ver— 
ſchmutzten Militärarreſtzelle in Haft gehalten und folgenden Tags ohne Verhör über 
den Rhein abgeſchoben; man hatte auch ihm lediglich einen vom General Andlauer 
unterzeichneten Befehl vorgelegt, in dem er als ein Element bezeichnet war, das ge— 
eignet ſei, die öffentliche Ordnung zu ſtören. (Längere Zeit vorher waren bereits 
wei Abgeordnete nach langer Einzelhaft in ſchmutzigen und ungeheizten Zellen ohne 

echtsverfahren, ohne Verteidigung und ohne Zuſtellung eines Ausweiſungsbefehls 
abgeſchoben worden.) 

Im Kreiſe Saarlouis wurden am 12. Mai 17 Perſonen ausgewieſen, darunter 


der Landrat und Bürgermeiſter von Saarlouis. (In den nächſten Monaten fanden 
weitere Verhaftungen und Ausweiſungen im Saargebiet ſtatt.) 


9 r T 
* ee N r e ji 8 
N 2 A 


e 


48 — 


Nr. 22. 


Werbung für Anſchluß des Saargebiets an Frankreich in 
Bergarbeiterkreiſen. 


(Aus einem amtlichen Bericht.) 


In der Oſterzeit iſt in Bergmannskreiſen mit einem Trick für den Anſchluß 
des Saargebiets an Frankreich geworben worden. Unter den Bergleuten ſind 
Unterſchriften für eine Petition zur Begnadigung ihrer aus Anlaß des letzten Aus- 
ſtandes beſtraften Kameraden geſammelt worden. Während die erſten Sätze der 
Petition dieſem Zwecke gewidmet waren, wurde im Anſchluß daran der Freude 
darüber, daß die Arbeiterſchaft durch Frankreich von dem preußiſchen Joch befreit 
werde, und dem Wunſche Ausdruck gegeben, daß das Saargebiet zu Frankreich 
komme. Die Bergarbeiter wurden nach dem Schichtwechſel aufgefordert, dieſe Petition 
zu unterſchreiben; die meiſten von ihnen haben ſich durch den Hinweis, daß es ſich 
lediglich um ein Gnadengeſuch für die Beſtraften handele, und in dem Drange, nach 
Hauſe zu kommen, verleiten laſſen, ihre Unterſchrift zu geben, ohne Wortlaut der 
Eingabe ſelbſt näher zu leſen. Nur wenige haben ſich Zeit genommen, den am 
Kopf der Unterſchriftsliſte ſtehenden Text durchzuſehen, und ihre Unterſchrift verweigert. 


Nr. 23. 


Bürgermeiſterwahl in Saarlouis. 
(Saarlouiſer Tageblatt vom 14. Mai 1919.) 


»Bürgermeiſterwahl. Die Stadtverordnetenverſammlung war geſtern zu 


einer Sitzung einberufen, die wegen ihrer Dringlichkeit mit abgekürzter Friſt angeſetzt 
worden war. Es handelte ſich um die Wahl eines Bürgermeiſters an Stelle des 
ausgewieſenen bisherigen Bürgermeiſters, Herrn Dr. Gilles. Der proviſoriſche Bürger⸗ 
meiſter, Herr Dr. med. Hector, leitete die Verſammlung, zu der 22 Stadtverordnete 
erſchienen waren. Er wies in ſeiner Anſprache darauf hin, daß er vom Herrn 
Kommandanten erſucht worden ſei, die Geſchäfte des Bürgermeiſters ſtellvertretend 


zu führen, bis ein neuer Bürgermeiſter gewählt iſt, und er habe infolgedeſſen dieſe 


Sitzung einberufen mit dem einzigen Punkt der Tagesordnung: Wahl des Bürger⸗ 
meiſters. Herr Leutnant Fabvier, als Vertreter des Herrn Militärverwalters, teilte 
mit, die Verſammlung ſei auf Veranlaſſung des Herrn Generals Andlauer einberufen 
worden, um, wie Herr Dr. Hector ſchon geſagt habe, einen neuen Bürgermeiſter zu 
wählen an Stelle des Seren Dr. Gilles, der von der Militärbehörde Frankreichs 
ausgewieſen worden iſt. Der Herr General wünſche, daß Herr Hector als Bürger⸗ 
meiſter von Saarlouis gewählt werde. Herr Dr. Hector erklärte, die Wahl anzu- 
nehmen, wenn ſie in geheimer Sitzung geſchehe. In dem nun folgenden Wahlakt 
lauteten von 22 Stimmzetteln zwanzig auf Herrn Dr. Hector, einer auf Adolf Hetzler 
und ein Zettel war weiß. Herr Dr. Hector erklärte, die Wahl anzunehmen, und 
gelobte, ſeine ganze Arbeitskraft dafür einzuſetzen, damit die Zukunft Saarlouis' ſich 
glücklich geſtalte, zum Beſten der Bürgerſchaft. Herr Leutnant Fabvier beglückwünſchte 


im Namen des Herrn Generals Andlauer die Stadtverordneten zu ihrer Wahl. 
Redner gab dann der Hoffnung Ausdruck, daß unſere Stadt, der er auch zugehöre, 


der er hier geboren ſei, endlich wieder die Ruhe finden werde, die ſie verlangt und 
auch braucht. Er hoffe, daß es dem neuen Herrn Bürgermeiſter gelingen werde, 
nie wieder eine ſolche Unruhe aufkommen zu laſſen, in der wir hier ſeit Februar 
gelebt haben. Herr Dr. Hector betonte, er wolle beſtrebt ſein, die Wünſche des 


SR 


ah 
1 
— 

= 


Ee “ . re 
n . Bi i . — E un 
a ** 8 4 
. 5 e 2 . 
n . 


Be ee | 


1 Herrn Generals Andlauer zur Ausführung zu bringen, wie er und ebenſo die Stadt- 
verordnetenverſammlung dafür ſorgen würden, daß die Bevölkerung wieder in ruhige 
Bahnen kommt. Im Intereſſe der Bürgerſchaft liege ein gutes Einvernehmen mit 


der franzöſiſchen Behörde. Damit war der Gegenſtand der Tagesordnung erſchöpft.« 


In einem amtlichen Bericht wird hierzu bemerkt, daß der Zeitungsbericht die 


| Vorgänge bei der Wahl annähernd wahrheitsgetreu jchildere und den von franzöſiſcher 


Seite ausgeübten Zwang klar erkennen laſſe. Unter den gegebenen Umſtänden ſei 
es nicht zu verwundern, daß die Stad tverordnetenverſammlung in Saarlouis auf 


3 | den franzoſiſchen Befehl ohne Widerſtand eingegangen ſei. 


Nr. 24. 
Kundgebung der Abgeordneten des Saargebiets. 


Neun Abgeordnete des Saargebiets haben am 20. Mai 1919 folgende Erklärung 
an die deutſche Friedensdelegation in Verſailles gerichtet: 


»Die Friedensbedingungen der alliierten und aſſoziierten Mächte ſehen eine Ab— 
trennung des Saarbeckens von Deutſchland und die Gründung eines unter dem 
Schutze des Völkerbundes ſtehenden Staates auf die Dauer von 15 Jahren vor. 
Infolge des ſcharfen Verbotes der politiſchen Betätigung iſt die Saarbevölkerung 
nicht in der Lage, ſelbſt zu den Friedensvorſchlägen Stellung zu nehmen. Wir, die 
gewählten Vertreter des Saarlandes, halten es deshalb für unſere Pflicht, namens 
der Saarbevölkerung gegen die beabſichtigte Loslöſung des rein deutſchen Saarbeckens 


vom Mutterlande laut und feierlich unſere Stimme zu erheben. Die Bevölkerung 


in dem abzutretenden Landſtrich an der Saar iſt nach Abſtammung, Sprache, Er- 
ziehung und Geſinnung deutſch. Die geplante Errichtung des Saarſtaates ohne An- 
ſchluß an Deutſchland verſtößt gegen den einmütigen Willen der Bewohner. Sie 
wird als hartes Unrecht und Verſtoß gegen die 14 Punkte Wilſons empfunden, die 
allein von allen beteiligten Mächten die anerkannte Grundlage des bevorſtehenden 
Friedens bilden ſollen. Die Bevölkerung des Saargebiets lehnt es ab, als Handels— 
ware behandelt zu werden. Wir vermögen auch nicht die in den Friedensbedingungen 
angeführte Begründung für zutreffend zu halten: »Die deutſche Regierung hat ſich 
bereit erklärt, die zerſtörten franzöſiſchen Kohlengruben wiederherzuſtellen und die 
ſeit der en bis zur vollſtändigen Wiederherſtellung der Kohlenminen aus— 
fallende Kohlengewinnung Frankreich zu erſetzen, ſowie dafür die nötigen Garantien 
zu bieten.« Die Anſprüche der alliierten und aſſoziierten Mächte auf das Saar⸗ 
ebiet ſelbſt kann die Saarbevölkerung in Übereinſtimmung mit dem Völkerrecht und 
em Friedensvertrag Wilſons nicht anerkennen. 

Namens der Saarbevölkerung widerſprechen wir daher der beabſichtigten Los, 
trennung des Saarbeckens von Deutſchland mit aller Entſchiedenheit, zumal ſie die 
Annäherung Frankreichs an Deutſchland verhindern würde. Wir drücken damit den 
Willen der ganzen Bevölkerung aus. Wir richten an die Friedenskonferenz die 
eindringliche Bitte, dem Saarlande und ſeiner Bevölkerung Gerechtigkeit widerfahren 
zu laſſen. Die Saarbevölkerung war deutſch und will deutſch bleiben.« 


* 


— 


Der Notenwechſel über das Saargebiet in der Zeit zwiſchen 
Bekanntgabe und Unterzeichnung der Friedensbedingungen. 


Nr. 25. 


Deutſche Note vom 13. Mai 1919 über die Fragen, betreffend die 
weſtlichen Gebiete Deutſchlands. 


Deutſche Friedensdelegation. Verſailles, 13. Mai 1919. 


Herr Präſident! 


Die deutſche Friedensdelegation hat aus dem Schreiben Eurer Exzellenz vom 
10. d. M. entnommen, daß ſich die alliierten und aſſoziierten Regierungen bei Ab⸗ 
faſſung der Bedingungen des Friedensvertrags ſtändig von den Grundſätzen haben 
leiten laſſen, nach denen der Waffenſtillſtand und die Friedensverhandlungen vor⸗ 
geſchlagen worden ſind. Die deutſche Delegation will ſelbſtverſtändlich dieſe Grund⸗ 
lage nicht in Zweifel ziehen, ſie muß ſich aber das Recht vorbehalten, auf die Be— 


dingungen hinzuweiſen, die nach ihrer Auffaſſung mit der Abſicht der alliierten und 


aſſoziierten Regierungen in Widerſpruch ſtehen. 

Ein ſolcher Widerſpruch ſpringt beſonders in die Augen bei den Bedingungen 
des Vertragsentwurfs, die ſich auf die Abtretung verſchiedener von deutſcher Be⸗ 
völkerung bewohnter Teile des Reichsgebiets beziehen w —æ 


Die Bereitſchaft der deutſchen Regierung (d. h. zu einer Verſtändigung über | 
eine neue, dem Prinzip der Nationalitäten entſprechende Grenze) erſtreckt ſich aber 


nicht auf jene Gebiete des Reichs, die nicht unzweifelhaft von einer Bevölkerung 
fremden Stammes bewohnt ſind. Vor allen Dingen hält ſie es für unzuläſſig, daß 
durch den Friedensvertrag zu dem Zwecke, finanzielle oder wirtſchaftliche Forderungen 
der Gegner Deutſchlands zu ſichern, deutſche Bevölkerungen und Gebiete von der 


bisherigen Souveränität zu einer anderen verſchachert werden, als ob fie bloße Gegen- 


ſtände oder Steine in einem Spiel wären. 


Dies gilt insbeſondere von dem Saarbecken. Daß hier eine rein deutſche Be⸗ 


völkerung wohnt, benreitet niemand. Trotzdem ſieht der Friedensentwurf einen 
Übergang der Herrſchaft über dieſes teils preußiſche, teils bayeriſche Gebiet auf 


Frankreich vor, die zu einer völligen Verſchmelzung im Hinblick auf Zollverhältniſſe, 


Münzweſen, Verwaltung, Geſetzgebung und Rechtſprechung führen muß, zum mindeſten 
aber die Verbindung des Saargebiets mit dem übrigen Reiche in allen dieſen Be⸗ 
ziehungen völlig aufhebt. Daß die ganze Bevölkerung ſich gegen eine ſolche Los⸗ 
trennung von der alten Heimat mit aller Entſchiedenheit wehrt, wird den Okkupations⸗ 
behörden nicht unbekannt ſein. Die wenigen Perſonen, die anders zu denken vor⸗ 
geben, weil ſie entweder der Macht ſchmeicheln oder ungerechte Gewinne zu ſichern 
hoffen, kommen nicht in Betracht. 

Vergebens würde man einwenden, daß die Beſetzung für nur 15 Jahre gedacht 
iſt und daß nach Ablauf dieſer Friſt eine Abſtimmung des Volkes über die künftige 
Zugehörigkeit entſcheiden ſoll, denn der Rückfall des Gebiets an Deutſchland iſt 
davon abhängig gemacht, daß die deutſche Regierung dann in der Lage ſein wird, 
binnen kurzer Friſt die ſämtlichen Kohlenbergwerke des Gebiets der Frangöfifchen 
Regierung gegen Gold abzukaufen, und falls die Zahlung nicht geleiftet werden kann, 
ſoll das Land endgültig an Frankreich fallen, ſelbſt wenn die Bevölkerung ſich ein— 
ſtimmig für Deutſchland ausgeſprochen hätte. Nach den finanziellen und wirtſchaft⸗ 
lichen Bedingungen des Vertrags erſcheint es ausgeſchloſſen; daß Deutſchland in 


i 
* a Be 

x 

2 rn Tr 2 


"x 15 Jahren über die entſprechende Menge Gold wird verfügen können. Überdies 


würde vorausſichtlich, wenn das Gold in deutſchem Beſitz vorhanden wäre, die Ent— 


ſchädigungskommiſſion, die dann Deutſchland noch beherrſchen würde, eine ſolche 
Verwendung des Goldes ſchwerlich geſtatten. Es dürfte in der Geſchichte der neueren 
Zeit kein Beiſpiel dafür geben, daß eine ziviliſierte Macht die andere veranlaßt hat, 


ihre Angehörigen als Gegenwert für eine Summe Goldes unter fremde Herrſchaft 
zu bringen. 

In der öffentlichen Meinung der feindlichen Länder wird die Abtretung als 
Entſchädigung für die Zerſtörung nordfranzöſiſcher Bergwerke hingeſtellt. Die 
deutſche Delegation erkennt an, daß Frankreich für dieſe Zerſtörungen entſchädigt 


werden muß. Sie gibt auch zu, daß eine Entſchädigung in Geld allein der Ver— 
. eng der Wirtſchaftslage Frankreichs nicht entſprechen würde. Wenn alſo 


e Forderung einer Naturalentſchädigung als begründet anerkannt werden ſoll, ſo 
muß und kann die Naturalentſchädigung auf einem anderen Wege geſucht werden 
als dem einer Fremdherrſchaft, die auch bei den menſchlichſten Abſichten der Regierungen 
immer gehäſſig bleibt. 

Die deutſche Delegation iſt bereit, alsbald mit den alliierten und aſſoziierten 
Regierungen in Verhandlungen darüber einzutreten, wie der Ausfall in der Kohlen— 
förderung der ehemals von Deutſchland beſetzten Gebiete bis zur Herſtellung der 
zerſtörten Gruben, zu der ſie ſich verpflichtet hat, erſetzt werden kann. Dabei würde 
ſie vorſchlagen, an Stelle des rohen und unangemeſſenen Erſatzes durch die Über— 
weiſung des Saarkohlenbeckens und die Übereignung der dortigen Kohlengruben einen 
billigeren Ausgleich zu ſuchen. An Stelle der ausfallenden nordfranzöſiſchen Kohlen 
würden deutſche Kohlen, und zwar nicht nur Saarkohlen, ſondern auch Ruhrkohlen 
zu liefern ſein. Abgeſehen davon, daß es verkehrspolitiſch unzweckmäßig wäre, 
gerade die Saarkohlen, die bisher ein ganz anderes natürliches Abſatzgebiet hatten, 
ausſchließlich für jene Erſatzzwecke zu benutzen, erſcheint die Heranziehung des Ruhr- 
RN auch deshalb unentbehrlich, weil die geſchädigten Bezirke auf die Erzeugniſſe 

es Ruhrgebiets mehr als auf die des Saargebiets angewieſen ſind. 

Die deutſche Delegation iſt überzeugt, daß ſich über eine ſolche Kohlenlieferung 
unſchwer ein Abkommen treffen ließe, das allen berechtigten Forderungen Frankreichs 
Genüge täte. Vorausſetzung wäre nur, daß die Sachverſtändigen beider Parteien 
ſich unmittelbar miteinander in Beziehung ſetzten und die Bedingungen der Lieferung 
auf geſchäftlicher Baſis in mündlichen Verhandlungen ausarbeitete nnn 
Genehmigen Sie, Herr Präſident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung. 


gez. Brockdorff-Rantzau. 


An Seine Exzellenz 
den Präſidenten der Friedenskonferenz uſw. 
u Herrn Clemenceau. 


Nr. 26. 
Deutſche Note vom 16. Mai 1919 über das Saargebiet nebſt Anlage. 
Deutſche Friedensdelegation. Verſailles, den 16. Mai 1919. 
Herr Präſident! 

In meiner Note vom 13. d. M. über die territorialen Beſtimmungen des 
Friedensentwurfs, betreffend den Weſten Deutſchlands, habe ich im Namen der 

chen Friedensdelegation darauf hingewieſen, daß die Garantien, die insbeſondere 
für die Wiedergutmachung der den nordfranzöſiſchen Kohlenbergwerken zugefügten 
Schaden gefordert werden, am zweckmäßigſten durch wirtſchaftliche Vereinbarungen 


geboten würden, die zwiſchen den beiderſeitigen Sachverſtändigen mündlich zu erörtern 
wären. Es erſcheint der deutſchen Friedensdelegation nicht empfehlenswert, mit ſolchen 


Vereinbarungen jo lange zu warten, wie es der Paragraph 38 des Annexes der 
Artikel 45 bis 50 der Friedensbedingungen vorſieht, nämlich bis zum Ablauf der 
15 jährigen Beſetzungsfriſt, die für das Saarbecken in Ausſicht genommen iſt. 

In dieſem Zuſammenhange überſende ich Euerer Exzellenz in der Anlage einen 
„Vorſchlag, den die Sachverſtändigen der deutſchen Delegation ausgearbeitet haben, 
mit dem Erſuchen, ihn den Sachverſtändigen der alliierten und affoziierten Regierungen 

zur Prüfung vorzulegen und mich mit einer Anwort darüber zu verſehen, ob eine 

mündliche Erörterung des Vorſchlags in Ausſicht genommen werden kann. 

Die deutſche Delegation würde nur dann beabſichtigen, den Vorſchlag der Sach— 
verſtändigen zu veröffentlichen, wenn die alliierten und aſſoziierten Regierungen ihrer⸗ 
ſeits darauf Wert legen ſollten. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 

Hochachtung. 

gez. Brockdorff-Rantzau. 


An Seine Exzellenz 
den Präſidenten der Friedenskonferenz uſw. 
Herrn Clemenceau. 


Anlage. 


Die Vorſchläge der deutſchen Sachverſtändigen. 


Die in Teil III, Sektion IV, des Friedensvertrags vorgeſchlagenen Maßnahmen, 
betreffend das Saargebiet, haben nach Artikel 45 zum weſentlichen Zweck, Erſatz zu 
leiſten für die zerſtörten Kohlengruben in Nordfrankreich und die von Deutſchland 
verſchuldeten Kriegsſchäden. Nach Artikel 46 ſoll die volle Freiheit der Ausbeutung 
durch die im Kapitel 2 des Annex vorgeſehenen Maß nahmen geſichert werden. 

Es handelt ſich alſo darum, wirtſchaftliche Intereſſen Frankreichs zu befriedigen 
und ſicherzuſtellen. In dieſem Sinne könnte auch der § 38 des Annex aufgefaßt 
werden, vorausgeſetzt, daß bei den dort erwähnten Abkommen zwiſchen Frankreich 
und Deutſchland an Wirtſchaftsverträge gedacht iſt. Wir ſind der Meinung, daß 
dieſer Zweck durch andere als die oben erwähnten Mittel erreicht werden könnte, 
und zwar durch Mittel, die geeignet ſind, die beiderſeitigen Intereſſen in Einklang 
zu bringen. Wir ſchlagen demnach folgendes vor: 


1. Vom Standpunkt der Notwendigkeit, Frankreich mit Kohlen zu beliefern, 
erſcheint es nicht zweckmäßig, die Saargebietsfrage ohne Rückſicht auf die im 
Teil VIII Annex 5 erwähnten Kohlenlieferungen an Frankreich und einige ſeiner 
Bundesgenoſſen zu behandeln. Um den in Frage kommenden Intereſſen möglichſt 
vollſtändig Rechnung tragen zu können, iſt es notwendig, daß die folgenden Fragen 
beantwortet werden: 

a) Welche Mengen der verſchiedenen Sorten kommen für die geſamte Kohlen⸗ 
lieferung zur Deckung des Inlandsbedarfs Frankreichs und Belgiens in 
Betracht? 

b) Mit welchen Kohlenmengen follen die einzelnen Gebietsteile, insbeſondere 
Frankreichs, beliefert werden? 

Wir ſind bereit, ſofort feſtzuſtellen, wieweit wir die verlangten Mengen liefern 
können, und zu dieſem Zweck einen Lieferungsplan aufzuſtellen. Dabei wird zu be⸗ 
rückſichtigen ſein, daß bei der langen Dauer der einzugehenden Lieferungspflicht der 
Transport zur See mehr und mehr in Betracht kommen wird. Die Einzelheiten der 
Lieferung müßten in mündlichen Verhandlungen zwiſchen den Sachverſtändigen 
der intereſſierten Staaten feſtgeſetzt werden. | | 


r 


— 2 7 - 
2 N * 


8 2. Was die Wiedergutmachung von Kriegsſchäden an Kohlengruben betrifft, 


“ „> 
„ 
4 * 


meinſam geregelt. 
3. Die im Artikel 49 und im Kapitel 2 des Annex zu Teil III Sektion IV 


5 Maßnahmen, betreffend das Saargebiet, ſollen ebenſo wie die in 


eil XIV Sektion I erwähnte Beſetzung des linksrheiniſchen Gebiets und der 
rückenköpfe die Einhaltung der Leiſtungen ſichern, zu denen ſich Deutſchland ver— 
ten wird. N 
Dieſe Maßnahmen ſowie die von den alliierten und aſſoziierten Regierungen 
bisher ausgeführten und in Ausſicht genommenen Kontrollmaßnahmen, die eine Ein— 


ſchränkung oder Aufhebung der Freiheit des deutſchen Wirtſchaftslebens bedeuten, 


würden, abgeſehen von der ſchweren politiſchen Gefahr, auch die deutſche Produktions- 
fähigkeit lähmen, deren volle Erhaltung auch für ſeine Nachbarn von höchſter 
Wichtigkeit iſt. An Stelle dieſer Maßnahmen find wir bereit, ein Syſtem völlig 
gleichwertiger Garantien von wirtſchaftlichem Charakter vorzuſchlagen. Soweit es ſich 


um Rohlelieferung handelt, laſſen wir uns von folgenden Grundſätzen leiten: 


Die gewünſchten Garantien für die Regelmäßigkeit der Produktion und der 


Lieferungen können in folgender Weiſe gegeben werden: 


a) durch die unter 2 erwähnte Beteiligung franzöſiſcher Unternehmungen, welche 
in einer Höhe erfolgen ſoll, die ihnen einen weſentlichen Einfluß auf die 

Verwaltung der betreffenden deutſchen Unternehmungen ſichert; 

b) durch Gewährung eines Vorzugsrechts auf den Überſchuß der geſamten 
deutſchen Kohlenproduktion über den Inlandsbedarf. Genügt dieſer Über- 
ſchuß nicht zur Erfüllung der vereinbarten Liefermengen, ſo wird der Ver— 

brauch von Kohlen aus Deutſchland, Frankreich und Belgien gleichmäßig 
rationiert; zur Überwachung der Ausführung der vorgenannten Maßregel 
wird eine Kommiſſion aus Vertretern Deutſchlands, Frankreichs und 
Belgiens eingeſetzt. 
Die Intereſſen Italiens würden bei dieſer Abmachung zu berückſichtigen ſein. 


Nr. 27. 


Note der alliierten aſſoziierten Mächte vom 24. Mai 1919 
über das Saargebiet. 


(Überſetzung.) 
Friedenskonferenz. 


Der Präſident Paris, den 24. Mai 1919. 


Herr Präſident! 

Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihrer Schreiben vom 13. und 16. Mai 
1919 zu beſtätigen. Da ſie denſelben Gegenſtand betreffen, ſo habe ich es für gut 
gehalten, nur eine einzige Antwort darauf zu erteilen. 

Mit Beziehung auf die in Ihrem erſten Schreiben enthaltene allgemeine Be: 
merkung ſtelle ich im Namen der alliierten und aſſoziierten Regierungen ausdrücklich 
in Abrede, daß in dem Friedensvertrag »die deutſchen Gebiete«, wie Sie es zu ver— 
ſtehen geben wollen, »der Gegenſtand von Schachergeſchäften von einer Staatsgewalt 


55 anderen ſeien, ganz, als ſeien ſie Steine in einem Spiel«. Tatſächlich werden 


ie Münſche der Bevölkerung aller der ins Auge gefaßten Gebiete berückſichtigt 
werden, und die näheren Ausführungsbeſtimmungen dieſer Volksbefragungen ſind 
im Hinblick auf die örtlichen Verhältniſſe ſorgfältig feſtgelegt worden. 


ae ET, 


Hinfichtlich. der Bewohner des Saarbeckens, iſt die »Herrſchaft«, die in Ihrem 1 


Schreiben als »gehäflig« bezeichnet wird, die Verwaltung des Völkerbundes. Die 
Regierungsform, wie fie im Abſchnitt, IV des Vertrags beſchrieben wird, iſt ſorg⸗ 
fältig ausgearbeitet worden, nicht nur in der Abſicht, eine Entſchädigung für die 
Zerſtörung der Kohlenbergwerke in Nordfrankreich zu finden, ſondern auch, um die 
Rechte und das Wohlergehen der Bevölkerung ſicherzuſtellen. Der Vertrag ſichert 
den Einwohnern die Aufrechterhaltung aller ihrer gegenwärtigen Freiheiten zu und 
verbürgt ihnen auf fiskaliſchem und ſozialem Gebiet eine Reihe von Sondervorteilen; 
überdies ſieht er nach einer 15 jährigen Friſt eine Volksabſtimmung vor, die dieſer 
Bevölkerung von ſo zuſammengeſetzter Art erlauben wird, in voller Freiheit und nicht 
notwendigerweiſe zum Vorteil Frankreichs oder Deutſchlands die endgültige Rechts⸗ 
ordnung für das Gebiet, in dem ſie lebt, zu beſtimmen. 


Da der größte Teil Ihrer beiden Noten der Rechtsordnung für das Saarbecken 
gewidmet iſt, fo muß ich erklären, daß die alliierten und affoziierten Regierungen 
dieſe beſondere Form der Reparation gewählt haben, weil ſie der Meinung geweſen 


ſind, die Zerſtörung der Bergwerke in Nordfrankreich ſei eine Handlung von ſolcher 


Art geweſen, daß eine beſondere und exemplariſche Reparation gefordert werden 
müſſe; die einfache Lieferung einer beſtimmten oder unbeſtimmten Menge Kohlen kann 
dieſe nicht erſetzen. Der Entwurf in ſeinen allgemeinen Linien muß alſo aufrecht- 
erhalten bleiben; die alliierten und aſſoziierten Mächte find nicht geneigt, einen anderen 
ins Auge zu faſſen. 


Aus dieſem Grunde kann die Anregung in Ihrem erſten Schreiben üher die 
verſchiedenen Mittel, dem Kohlenmangel abzuhelfen, die Sie in der Anlage zu Ihrem 


zweiten Briefe mit größerer Genauigkeit auseinanderſetzen, nicht angenommen werden. 
Keine Abmachung dieſer Art würde insbeſondere Frankreich dieſelbe Sicherheit und 
Gewißheit geben können, die ihm das volle Eigentum und die freie Ausbeutung der 
Kohlengruben des Saarbeckens gewähren werden. 


Die vorgeſchlagene Abtretung von Beteiligungen an Kohlengruben, die auf 
deutſchem Gebiete liegen und deutſcher Ausbeutung unterſtellt ſind, wäre für die fran⸗ 


zöſiſchen Aktionäre von zweifelhaftem Wert. Sie würde eine Vermiſchung franzöſiſcher 
und deutſcher Intereſſen ſchaffen, die gegenwärtig nicht ins Auge gefaßt werden kann. 

Die vollſtändige und ſofortige Übertragung der nahe der franzöſiſchen Grenze 
belegenen Bergwerke an Frankreich ſtellt eine ſchnellere, wirkſamere und klarere Löſung 
des Problems der Entſchädigungen für die zerſtörten franzöſiſchen Kohlengruben dar; 
dieſe Löſung hat auch noch den Vorzug, dieſe Gruben voll und ganz als Zahlungs⸗ 
mittel auf das allgemeine Reparationskonto zu benutzen. 


Gewiſſe Stellen Ihres Schreibens vom 13. ſcheinen eine ungenaue Auffaſſung 
des Sinnes und der Abſicht mehrerer Artikel zu verraten. 

In dem Vertrag beſteht keinerlei Vermengung der Frage der Lieferungsverträge, 
deren Gegenſtand die Ruhrkohle bilden fol (Anlage V zu Teil VIIJ), mit der Frage 
der Abtretung der Saargruben; beide Fragen ſind weſentlich voneinander verſchieden. 


Ihre Auslegung des 8 36 der Anlage unterſtellt als gewiß, daß dieſe Beſtimmung 


ein Ergebnis zur Folge haben wird, das die alliierten und aſſoziierten Regierungen 


niemals ins Auge gefaßt haben. Um jede Möglichkeit eines Irrtums zu beſeitigen 
und um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die Sie für Deutſchland hinſichtlich ſeiner 
Fähigkeit, die in dieſer Beſtimmung vorgeſehene Zahlung in Gold zu leiſten, befürchten, 


haben die alliierten und aſſoziierten Regierungen entſchieden, dieſe Beſtimmung teil⸗ 


weiſe abzuändern; ſie ſchlagen vor, den letzten Abſatz dieſer Beſtimmung durch fol⸗ 
gende Faſſung zu erſetzen: 


„Deutſchlands Verpflichtung zu dieſer Zahlung wird von der Reparatious⸗ 
kommiſſion in Erwägung gezogen werden; zu dieſem Zweck kann Deutſchland 
in jeder von der Reparationskommiſſion gebilligten Art eine arne Sypothek 
an ſeinem Kapital oder ſeinen Einkünften beſtellen. 


— 35 — 
5 Sollte indes Deutſchland die Zahlung ein Jahr nach dem dafür feſt— 
sgeſetzten Zeitpunkt nicht geleiſtet haben, jo wird die Reparations kommiſſion 


2 57 


in Übereinſtimmung mit den ihr vom Völkerbund erteilten Weiſungen, 
nötigenfalls durch Liquidation des in Frage ſtehenden Teils der Gruben, 
die Angelegenheit ordnen.« | 
2 Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 

7 gez. Clemenceau. 


Te; 
Seine Exzellenz den Herrn Grafen Brockdorff-Rantzau, 
te Präſidenten der deutſchen Delegation, 
8 Verſailles. 
5 . 1 4 


Be Nr. 28. 
Deutſche Mantelnote vom 29. Mai 1919. 


Verſailles, den 29. Mai 1919. 
Herr Präſident! 

Ich habe die Ehre, Ihnen in der Anlage!) die Bemerkungen der deutſchen Dele— 
gation zu dem Entwurfe des Friedensvertrags zu überreichen. Wir waren nach 
Verſailles in der Erwartung gekommen, einen auf der vereinbarten Grundlage auf— 

gebauten Friedensvorſchlag zu erhalten. Wir hatten den feſten Willen, alles zu tun, 
was in unſeren Kräften ſtand, um den ſchweren von uns übernommenen Verpflich— 
tungen nachzukommen. Wir hofften auf den Frieden des Rechts, den man uns 
verheißen. Wir waren entſetzt, als wir in jenem Dokument laſen, welche Forde— 
rungen die ſiegreiche Gewalt des Gegners an uns ſtellt··· !VU 
Das rein deutſche Saargebiet ſoll von unſerem Reiche gelöſt und ſeine ſpätere 
eee an Frankreich vorbereitet werden, obgleich wir Frankreich keine Menſchen, 
e ũ So 2 . ³ĩ 
Dieutſchland weiß, daß es Opfer bringen muß, um zum Frieden zu kommen. 
Dieutſchland weiß, daß es ſolche Opfer vertragsgemäß zugeſichert hat, und will darin 
an die äußerſte Grenze deſſen gehen, was ihm möglich iſ ü ·ĩUͤ—! 
In territorialen Fragen ſtellt ſich Deutſchland rückhaltlos auf den Boden des 
s ͤ u —.. df 
Deutſchland iſt bereit, die wirtſchaftliche Verſorgung Frankreichs mit Kohlen, 
4 aus dem Saargebiet, bis zur Wiederherſtellung der franzöſiſchen Bergwerke 
zu fihern. ..... „%% T AP PE E ETTAEER x 
Genehmigen Sie, Herr Präſident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 
gez. Brockdorff-Rantzau. 
An Seine Exzellenz 
den Präſidenten der Friedenskonferenz uſw. 
Herrn Clemenceau. 


Nr. 29. 
Bemerkungen der deutſchen Delegation zu den Friedensbedingungen. 
Saargebiet. 
Über die Frage des Saargebiets hat bereits ein Schriftwechſel ſtattgefunden. 
Die deutſche Regierung hat mit ihren Noten vom 13. und 16. Mai die Hand 


zu einer Löſung geboten, die auf der einen Seite Frankreich Entſchädigung für ſeine 
zerſtörten Kohlengruben mit allen berechtigten Sicherheiten gewährt, auf der andern 


1) Vgl. Nr. 29. 


r a N 
en 

51 1 „ 

5 Wen 2 

56 a 5 


Seite es Deutſchland ermöglicht, ſeine Zuſtimmung zu einer Regelung zu geben, die 
mit dem abgeſchloſſenen Vorvertrag über die Grundlagen des Friedens in Einklang 
ſteht. Die deutſche Regierung präziſiert noch einmal ihren Standpunkt in der Saar⸗ 
frage wie folgt: 8 

Die Grenzen des Gebiets, deſſen Staatszugehörigkeit »en compensation de la 
destruction des mines de charbon dans le Nord de la France« in Frage geſtellt 
wird, ſind ſo gezogen, daß es weit über das Kohlenvorkommen hinausgreift und 
außer dieſem umfangreiche Forſten, zahlreiche Kalkwerke, Glashütten und ſonſtige ſehr 
lohnende, zum Teil weltberühmte Induſtrien umfaßt. Dieſe würden durch die neuen 
Zollgrenzen in den Wirtſchaftsintereſſenkreis Frankreichs einbezogen, ſo daß andere, 
mit der Entſchädigung für die zerſtörten Gruben in keinerlei Zuſammenhang ſtehende 
Zwecke erreicht werden. Aber auch wenn nur die Abtretung der Kohlengruben an 
den franzöſiſchen Staat gefordert würde, ſo ſtünde auch das in keinerlei Verhältnis 
zu dem Zweck der Entſchädigung für die zerſtörten franzöſiſchen Bergwerke. Die 
deutſche Regierung iſt, wie fie bereits in ihren Noten vom 13. und 16. Mai erklärt 
hat und wie in der vorliegenden Denkſchrift an anderer Stelle nochmals ausgeführt 
ift, bereit, durch Lieferungsverträge und Beteiligungen den in Rede ſtehenden Kohlen 
bedarf ſicherzuſtellen. | 


Auch nach der von den alliierten und aſſoziierten Regierungen in ihrer Note 
vom 22. Mai über die Wirtſchaftslage zum Ausdruck gebrachten Überzeugung wäre 
es ein grundlegender Irrtum, zu glauben, es ſei notwendig, in einem Lande politiſche 
Oberhoheit auszuüben, um ſich dadurch einen angemeſſenen Teil der Erzeugung ſichern 
zu können. Eine ſolche Auffaſſung gründet ſich auf kein wirtſchaftliches und 
politiſches Geſetz. | a 


Die Abtretung wäre eine zwar ſchnelle, aber ungerechte Löſung dieſes Problems. 
Der Wiederaufbau der nordfranzöſiſchen Bergwerke wird allerhöchſtens nach 10 Jahren 
beendet ſein. Der jährliche Förderausfall, zu deſſen Deckung Deutſchland verpflichtet 
iſt, wird nach den Angaben der franzöſiſchen Regierung ſelbſt in den erſten Jahren 
äußerſten Falles 20 Millionen Tonnen pro Jahr erreichen. Die Kohlenvorräte der 
nordfranzöſiſchen Gruben ſind durch die Zerſtörung überhaupt nicht vermindert worden. 
In den Saargruben ſind mit Sicherheit über 11 Milliarden Tonnen Kohlen nach⸗ 
gewieſen, eine Menge, die ungefähr für 1000 Jahre ausreicht. 


Frankreich würde alſo durch die Eigentumsübertragung dieſer Bergwerke das 
Hundertfache deſſen erreichen, was es ſelbſt als das Höchſtmaß ſeiner berechtigten 
Forderungen bezeichnet. Um dies durchzuführen, ſtellt der Friedensentwurf eine 
Forderung, durch die rein deutſches Gebiet vom Deutſchen Reiche losgeriſſen, wirt⸗ 
ſchaftlich Frankreich überantwortet und der Verſuch gemacht wird, es auch politiſch 
Frankreich anzugliedern. 


Es gibt keinen Induſtriebezirk in Deutſchland, deſſen Bevölkerung ſo boden⸗ 
ſtändig, jo einheitlich und jo wenig »komplex« ift wie die des Saarreviers. Unter 
den mehr als 850 000 Einwohnern waren 1918 noch nicht 100 Franzoſen. Seit 
mehr als 1000 Jahren (ſeit dem Vertrage von Merſen im Jahre 870) iſt das 
Saargebiet deutſch. Vorübergehende Beſitznahme durch kriegeriſche Unternehmungen 
Frankreichs fanden durch die Rückgabe des Landes im Friedensſchluß nach kurzer Zeit 
ſtets ein Ende. In einem Zeitraum von 1 048 Jahren hat Frankreich das Land im 
ganzen noch nicht 68 Jahre beſeſſen. Als im erſten Pariſer Frieden 1814 ein kleiner 
Teil des jetzt begehrten Gebietes bei der Grenzfeſtſetzung für Frankreich behalten 
wurde, erhob die Bevölkerung dagegen ſchärfſten Widerſpruch und verlangte »die 
Wiedervereinigung mit ihrem deutſchen Vaterlande«, mit dem »ſie durch Sprache, 
Sitten und Religion verwandt« ſei. Nach 1½ jähriger Beſetzung wurde dieſem 
Wunſche in dem zweiten Pariſer Frieden 1815 Rechnung getragen. Seitdem iſt 
das Land ununterbrochen bei Deutſchland geblieben und verdankt dieſem Anſchluß 
ſeine wirtſchaftliche Blüte. 


ER 


x 
vB 
Erw) 
r 
3 
R u, 
1 
* 


* 


* ae 
BEER, 


\ 
* 


9 


. 81 3 57 rag 


Bl Auch heute ift die Geſinnung der Bevölkerung ebenſo deutſch wie vor hundert 


Jahren. Die Arbeiterorganiſationen, die Bürger und Handwerker, die Induſtrien 
und alle politiſchen Parteien find einig in dem Beſtreben, Glieder ſelbſt eines ver- 
armten und geſchlagenen Deutſchlands zu bleiben. Sie haben, da ihnen jede freie 


Meinungsäußerung ſeitens der beſetzenden Macht unmöglich gemacht wird, durch die 
aus dem Gebiet gewäh ten Abgeordneten und berufenen Vertreter dieſen Willen 
wiederholt und nachdrücklich öffentlich bekundet. Dieſe ſo geartete Bevölkerung ſoll 
wegen ihres Zuſammenhanges mit Steinkohlenbergwerken einer beſonderen Regierungs— 
form des Völkerbundes unterſtellt werden, ohne daß ſie irgendwelche Rechte gegenüber 
der vom Völkerbund eingeſetzten Fünf-Männer-Kommiſſion erhält. Die Kommiſſion, 


die nicht einmal ihren Sitz im Saargebiet haben muß, iſt der Bevölkerung für ihre 
Handlungen nicht verantwortlich. Nur eines ihrer Mitglieder ſoll im Saargebiet 
geboren und dort wohnhaft ſein, wobei in keiner Weiſe ſichergeſtellt iſt, daß es nicht 


einer der wenigen im Lande wohnenden Ausländer iſt. Dieſes Mitglied wird nicht 
von der Bevölkerung gewählt, ſondern vom Völkerbundsrat auf Widerruf ernannt. 
Mit vier Vertretern anderer Staaten zuſammen herrſcht es über das Schickſal der 
Bevölkerung mit praktiſch unumſchränkter Gewalt. Eine Volksvertretung mit legis 
lativer Befugnis beſteht nicht. Alle ſtaatsbürgerlichen Freiheiten gehen 25 Bevölke 
rung verloren; ſie iſt politiſch rechtlos. 


Der Gebrauch der deutſchen Sprache, die Schule, das religiöſe Leben werden 
unter Kontrolle geſtellt, dem franzöſiſchen Staat iſt die Einrichtung von Volks- und 
techniſchen Schulen mit franzöſiſcher Unterrichtsſprache durch Lehrer ſeiner eigenen 
Wahl geſtattet Die Zukunft aller Beamten und Angeſtellten wird völlig unficher. 
Es beſteht die Gefahr, daß die Arbeitergeſetzgebung im Saargebiet nach anderen 
Grundſätzen entwickelt wird als im übrigen Deutſchland. Der Saarbewohner hat 
als Hauptrecht das der Auswanderung, dabei keinen Schutz gegen Ausweiſung— 


Dieſe Beſtimmungen treffen eine Bevölkerung, die, zu einem erheblichen Teil durch 


Kleinbeſitz an die Scholle gebunden, mit Liebe an ihrem Lande hängt So haben 


von 52 000 Bergleuten über 20 000 eigenes Land und Haus. Die Einführung 
fremder Arbeiter darf unbegrenzt erfolgen, wodurch die Intereſſen der deutſchen Arbeiter 
gefährdet werden. Der Erwerb einer fremden Nationalität wird erleichtert. Dies 
alles eröffnet zuſammen mit unbeſtimmten Vorſchriften über Zollverhältniſſe, Münz— 
weſen, Verwaltung, Eiſenbahnweſen und dergleichen alle Möglichkeiten, um die 
Verbindung des Saargebietes mit dem übrigen Reich vollends aufzuheben. Die 
während des Waffenſtillſtandes gemachten Erfahrungen haben gezeigt, was die Be— 
völterung des Saargebietes künftig durchzumachen haben wird Vom Tage ihres Er— 
ſcheinens an haben die franzöſiſchen Oktupationsbehörden kein Mittel unverſucht ge— 
laſſen, um ſie für die Angliederung an Frankreich reif zu machen Es wird verſucht, 
die durch die Hungerblockade und durch die Anſtrengungen des Krieges geſchwächte 
Bevölkerung mit allen Mitteln fo weit zu bringen, daß ſie ſchon jetzt die franzoͤſiſche 


Staatsangehörigkeit erwirbt. Viele, die nicht nur im Herzen zum alten Vater— 


lande halten, ſondern ſich zu ihm bekennen, werden ausgewieſen. 


Alles dies wird gefordert »en compensation de la destruction des mines 
de charbon dans le Nord de la France, et à valoir sur le montant de la 
reparation des dommages de guerres düs par l’Allemagne«. Glauben die 
alliierten und aſſoziierten Regierungen. daß die deutſche Regierung einem ſolchen 


Vorſchlage zuſtimmen kann? Die Entſchädigungsfrage für die nordfranzöſiſchen 


Gruben kann auf anderer als auf wirtſchaftlicher Baſis nicht gelöſt werden. 


Der Verſuch, zu rein materiellen Zwecken durch vorläufige Unterſtellung unter 
den Völkerbund ein national nicht ſtrittiges Gebiet vom Vaterlande loszureißen, zieht 
die Idee des Völkerbundes herab. 


Die Beſtimmungen über das Saargebiet haben nach der Note vom 24. Mai 


den Zweck einer exemplariſchen Wiedergutmachung. Die deutſche Regierung lehnt es 


E. 
5* 


ab, irgendeine Wiedergutmachung als Strafe zu leiſten. Sie muß es noch vielmehr 4 


ablehnen, die der Geſamtheit zugedachte Strafe in Geſtalt nationaler Leiden auf 
einzelne Bevölkerungsteile abzuwälzen. 


Würde ſo das Saargebiet an Frankreich gebracht, ſo beginge man damit das nee 
gleiche Unrecht, deſſen Wiedergutmachung man von Deutſchland in bezug auf Elſaß. 
Lothringen verlangt: man trennte die Bevölkerung eines Teilgebiets von ihrem | 


Vaterlande trotz des feierlichen Proteſtes ihrer Vertreter. Wer Frankreich und Deutſch⸗ 
land eine ſolche Löſung empfiehlt, trägt einen neuen 8 e in die Beziehungen 
zwiſchen dem deutſchen und franzöſiſchen Volk. 

Der in der letzten Note vom 24. Mai gemachte Vorſchlag, von einem Zwange 
zur Goldzahlung für den Fall des Rückkaufs der Kohlengruben abzuſehen, trifft 
nicht den Kern des Problems. Die deutſche Regierung, die nunmehr die Geſamtheit 
ihrer ſehr weitgehenden Vorſchläge zur Wiedergutmachung überreicht hat, gibt daher den 


alliierten und aſſoziierten Regierungen zur ernſteſten Erwägung anheim, die vorgeſchlagene 


Löſung der Saarfrage nochmals einer eingehenden Unterfuchung zu unterziehen.... 


Nr. 30. 


Mantelnote zur Antwort der alliierten und aſſoziierten Mächte auf | 


die Bemerkungen der deutſchen Delegation zu den Friedensbe⸗ 


dingungen. Vom 16. Juni 1919. 
| (berſetzung.) Ber. 
Friedenskonferenz. 1 3 
Der Präſident. Paris, den 16. Juni 19397 


Herr Präſident! 


Die alliierten und aſſoziierten Mächte haben den von der deutſchen Delegation 
über die Friedensbedingungen vorgebrachten Bemerkungen die ernſthafteſte Beachtung 
zuteil werden laſſen. 


Die deutſche Antwort proteſtiert gegen den Frieden, zunächſt als in Widerſpruch 
mit den Bedingungen ſtehend, die als Grundlage für den Waffenſtillſtand vom 
11. November gedient haben, ſodann, da es ein Gewalt- und nicht ein Rechtsfrieden 
ſei. Der Proteſt der deutſchen Delegation beweiſt, daß dieſe die Lage, in der ſich 
Deutſchland heute befindet, gänzlich verkennt. Die deutſche Delegation ſcheint zu 
denken, Deutſchland habe nur »Opfer zu bringen, um zum Frieden zu gelangen «, als 
ob dieſer Frieden einzig und allein nur der Abſchluß eines Kampfes um Land- oder 
Machtgewinn wäre. ee 


Das von den alliierten und aſſoziierten Mächten für das Saarbecken vorge⸗ 


fchlagene Regime ſoll 15 Jahre dauern. Die Mächte haben dieſe Regelung für er- 
ſorderlich gehalten, ſowohl als Teil des allgemeinen Plans der Reparationen als 
auch, um Frankreich eine ſofortige und ſichere Entſchädigung für die planmäßige Ser- 
ſtörung ſeiner im Norden belegenen Kohlengruben zu verſchaffen. Das Gebiet wird 
nicht unter die Souveränität Frankreichs geſtellt, ſondern unter die Kontrolle des 
Völkerbundes. Dieſe Regelung hat den Vorteil, daß hierdurch keine Annexion voll⸗ 
zogen wird, während gleichzeitig das Eigentum an den Kohlengruben an Frankreich 
übertragen und die wirtſchaftliche Einheit des Gebietes aufrechterhalten wird, die für 
die Intereſſen der Einwohner von ſolcher Wichtigkeit iſt. Nach Ablauf der 15 Jahre 
wird die gemiſchte Bevölkerung, die in der Zwiſchenzeit die Kontrolle über ihre 
eigenen örtlichen Angelegenheiten unter der regierenden Aufſicht des Völkerbundes 
beſitzen wird, volle Freiheit haben, um darüber zu entſcheiden, ob ſie die Vereinigung 


m bnd oder die ahn mit Frankreich oder die Fortſetzung des im 


Bertrag vorgeſehenen Negimes vorziehtt . 
2% Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 

. gez. Clemenceau. 

Bi An 


. 5 ne Exzellenz den Herrn Grafen Brockdorff Rantzau, 


enten der deutſchen Delegation, 
71 Verſailles. 


1 Br. Nr. 31. 
Antwort der alliierten und aſſoziierten Mächte auf die Bemerkungen 


der deutſchen Delegationen zu den Friedensbedingungen. Vom 
16. Juni 1919. 


(Überſetzung.) 
Teil II und III, Abſchnitt IV. 
Saarbecken. 


Die Frage des Saarbeckengebiets iſt bereits Gegenſtand eines Notenwechſels mit 
der deutſchen Delegation geweſen. Die neuen Bemerkungen, die in der deutſchen 
Mitteitung enthalten find, ſcheinen Sinn und Abſicht dieſes Abſchnitts des Vertrags 
vollſtändig zu verkennen. 

Die Abſicht und der Wille der Alliierten ſind an zwei Stellen ausgeſprochen 
worden: einmal in dem Vertrag ſelbſt, in dem es (Artikel 45 und 46) heißt, daß 
Deutſchland die getroffenen Beſtimmungen annimmt »als Ausgleich für die Zerſtörung 
der Kohlenbergwerke in Nordfrankreich unter Anrechnung auf den Betrag der Re— 
paration der Kriegsſchäden, für die Deutſchland verantwortlich iſt. . . . . . .. und um 
die Rechte und das Wohlbefinden der Bevölkerung zu ſichern«, ferner in der Note 
vom 24. Mai, in der es hieß: »Die alliierten und aſſoziierten Regierungen haben 
dieſe beſondere Form der Reparation gewählt, weil ſie der Meinung waren, daß die 
Zerſtörung der Kohlenbergwerke Nordfrankreichs eine derartige Handlung war, daß 
fie eine beſondere und exemplariſche Reparation erforderte. Dieſes Ziel würde durch 
bloße Lieferung einer beſtimmten oder unbeſtimmten Menge von Kohlen nicht erreicht 
werden. Deshalb muß der aufgeſtellte Entwurf in ſeinen allgemeinen Beſtimmungen 
aufrechterhalten werden, und die alliierten und aſſoziierten Mächte find zu keiner Er- 
örterung über dieſen Punkt geneigt.« 

Die deutſche Delegation erklärt nun, daß »die deutſche Regierung es ablehnt, 


irgendeine Wiedergutmachung zu leiſten, die den Charakter einer Strafe haben würde«. 


Der deutſche Begriff der Gerechtigkeit ſcheint alſo eine Vorſtellung auszuſchließen, die 
für jede gerechte Regelung weſentlich iſt und eine notwendige Grundlage für jede 


ſpätere Verſöhnung bildet. 


5 Die alliierten und aſſoziierten Regierungen haben, als ſie die Art der aufzu— 
erlegenden Reparationen beſtimmten, den Wunſch gehabt, eine Form zu wählen, die 


in ihrer außergewöhnlichen Art, übrigens für eine begrenzte Zeit, ein ſichtbares und 
klares Symbol darſtellt. Sie haben gleichzeitig beabſichtigt, für die Reparation ein 


ſofort greifbares Pfand zu ſichern, das den in der deutſchen Denkſchrift ſelbſt hervor— 
gehobenen Unſicherheiten ent ogen iſt. 

Sie haben aber auch die größte Sorgfalt darauf verwendet, den Bewohnern 
des Gebietes ſelbſt jeden materiellen oder moraliſchen Schaden zu erſparen. Ihre 
Intereſſen find in jeder Hinſicht ſorgfältig beachtet worden, und ihre Rechtslage wird 
verbeſſert werden. 


ENT EEE 


Die Grenzen des Gebietes find ausgeſprochenermaßen derart beſtimmt worden, 
daß ſie ſo wenig wie möglich die beſtehenden Verwaltungseinheiten und die täglichen 
Gewohnheiten dieſer Bevölkerung gemiſchten Charakters berühreu. Mau hat Sorge 
getragen, das ganze Syſtem der Verwaltung in Beziehung auf Zivil- und Straf⸗ 
geſetzgebung und auf das Steuerweſen ausdrücklich aufrechtzuerhalten. Die Ein- 


wohner behalten ihre örtlichen Vertretungen, ihre religiöſen Freiheiten, ihre Schulen 


und den Gebrauch ihrer Sprache. Alle beſtehenden Bürgſchaften zum Schutze der 
Arbeiter werden aufrechterhalten, und die neuen Geſetze werden den vom Völker— 
bunde angenommenen Grundſätzen entſprechen. Allerdings ſoll die Regierungs⸗ 


kommiſſion, der die oberſte Gewalt zuſteht, nicht unmittelbar einer parlamentariſchen 


Verſammlung verantwortlich ſein, immerhin aber iſt dieſe Kommiſſion nicht der fran⸗ 
zöſiſchen Regierung, ſondern dem Völkerbunde verantwortlich, was genügende Bürg⸗ 
ſchaften gegen jeden Mißbrauch der ihr anvertrauten Macht bietet; außerdem wird 
die Kommiſſion gehalten ſein, die Anſicht der gewählten Vertreter des Gebiets zu 
hören, bevor ſie zu irgendeiner Geſetzesänderung oder zur Erhebung einer neuen Steuer 
ſchreitet. Der Steuerertrag ſoll insgeſamt dem örtlichen Bedarf dienen, und zum 
erſten Male ſeit der Annexion dieſes Gebietes durch Preußen und Bayern, die eine 
gewaltſame geweſen iſt, werden die Einwohner eine Regierung an Ort und Stelle 
haben, die keine andere Aufgabe und keine anderen Intereſſen haben wird als die Sorge 
für das Wohlbefinden dieſer Bevölkerung. Die alliierten und aſſoziierten Regierungen 
haben volles Vertrauen, daß die Einwohner des Gebietes keinen Grund haben werden, 
die neue Verwaltung als eine ihnen fernerſtehende zu betrachten als es die von Berlin 
und München war. 


Die deutſche Note berückſichtigt an keiner Stelle die Tatſache, daß die ganze 


vorgeſehene Regelung nur eine zeitweilige iſt und daß die Einwohner nach Ablauf 
von 15 Jahren in voller Freiheit das Recht haben werden, zu wählen, unter welcher 
Souveränität ſie zu leben wünſchen. . 


V. 
Nr. 32. 


Verſuche, die Grenzen des Saargebiets zu erweitern. 
(Aus amtlichen Berichten.) 


Am 21. Mai 1919 ließ der Militärverwalter des Kreiſes St. Wendel die 
5 Bürgermeiſter des Kreiſes, deren Bezirke nicht in das projektierte Saargebiet fallen 
ſollten, ohne Wiſſen des Landrats kommen, befahl ihnen, die Stimmung der Be- 
völkerung nach der Richtung auszukundſchaften, ob ſie nicht auch ſchleunigſt einen 
Antrag auf Aufnahme in das Saargebiet ſtellen wollten. Er verlangte bis zum 
26. Mai über das Ergebnis Bericht, damit dieſer durch einen beſonderen Kurier ſo⸗ 
fort nach Paris weitergegeben werden könnte. 


Die Bürgermeiſter erteilten darauf dem Militärverwalter am 25. Maj folgend 
Antwort: 
a) Bürgermeiſterei Oberkirchen: 7 
Einer Anordnung des Herrn Militäradminiſtrators folgend, waren heute 
Vertreter der Gemeinden Gebweiler, Reitſcheid, Grügelborn, Oberkirchen, 
Haupersweiler und Leitersweiler auf dem Bürgermeiſteramt Oberkirchen in 
St. Wendel erſchienen, um eine Erklärung über die Stimmung der Bevölfe- 
rung für einen Anſchluß an den durch den Friedensvertrag zu gründenden 
Saarſtaat abzugeben. 
Die zehn Anweſenden betonten zunächſt die Zugehörigkeit der geſamten 
Bevölkerung zum Deutſchen Reich. Die deutſche Nationalität wolle die Be- 


r 


1 


völkerung beibehalten. Nur mache ſich eine gewiſſe Beſorgnis in der Ein- 
en wohnerſchaft um ihre wirtſchaftliche Zukunft geltend. Da jedoch die Frage 
des Saarſtaates noch nicht endgültig gelöſt ſei und namentlich über die 
Regelung der wirtſchaftlichen Beziehungen zwiſchen dem Saarſtaat und dem 
übrigen Deutſchland noch große Unklarheit herrſche, vertraten die Verſammelten 
in ihrer überwiegenden Mehrheit den Standpunkt, daß über die Frage der 
Notwendigkeit eines Anſchluſſes aus wirtſchaftlichen Gründen erſt nach Ab— 
ſchluß des Friedensvertrages Stellung genommen werden könne, zumal der 
Entwurf des Friedensvertrags die Berückſichtigung wirtſchaftlicher Intereſſen 
bei der endgültigen Grenzfeſtlegung des Saarſtaates vorſieht. 
Re 2, Nur zwei Vertreter ſprachen ſich für einen ſoſortigen Anſchluß an den 
Be, Saarſtaat aus. 
* b) Bürgermeiſterei Berſchweiler: 
| Auf Veranlaſſung des Herrn Militäradminiſtrators in St. Wendel 
haben ſich heute 15 Gemeindevorſteher und 12 Bürgermeiſtereivertreter der 
Bürgermeiſterei Burglichtenberg verſammelt, um ſich über die zukünftige 
politiſche Zugehörigkeit der Bürgermeiſterei Burglichtenberg auszuſprechen. 
Nach gegenſeitiger Ausſprache geben die anweſenden 15 Gemeindevorſteher 
und 12 Bürgermeiſtereivertreter der 16 Gemeinden der Bürgermeiſterei Burg— 
lichtenberg einmütig ihren Willen dahin kund, daß die Bevölkerung der 
Bürgermeiſterei Burglichtenberg mit Rückſicht auf ihre deutſche Abſtammung, 
ihre deutſche Sprache, ihre deutſche Erziehung und ihre deutſche Geſinnung 
den Anſchluß an Deutſchland behält und einer Angliederung an den beab— 
ſichtigten Saarſtaat mit aller Entſchiedenheit widerſpricht. 
e) Bürgermeiſterei Baumholder: 
Die Einwohner unſerer Gemeinden haben nicht den Wunſch, an den 
Saarſtaat angeſchloſſen zu werden, da ſie der Anſicht ſind, auch ohne dieſen 
Anſchluß wirtſchaftlich leiſtungsfähig zu bleiben. Sie wollen ihre deutſche 
Nationalität beibehalten. 
d) Bürgermeiſterei Weierbach: 
Der Vorſteher von Schmidthachenbach teilt mit, daß die Gemeinde nicht 
ans Saarbecken angeſchloſſen werden will. 
Der Vorſteher von Nahbollenbach teilt mit, daß man gegen einen 
Anſchluß an das Saarbecken iſt. i 
Der Vorſteher von Dickesbach teilt mit, daß die Hälfte der Gemeinde 
mit dem Saarbecken verbunden bleiben möchte, wenn die neuzugründende 
Republik deutſch bleibt. Die andere Hälfte will unter allen Umſtänden beim 
Reich bleiben. 
Der Vorſteher von Oberreidenbach teilt mit, daß die Gemeinde keinen 
Anſchluß an das Saargebiet wünſcht. 
Der Vorſteher von Wickenhoff teilt mit, daß kein Anſchluß an das 
Saarbecken gewünſcht wird. 
Der Gemeindevorſteher von Zaubach teilt mit, daß im Orte die 
Stimmung in der Hauptſache gegen einen Anſchluß an das Saarbecken iſt. 
Der Gemeindevorſteher von Sienerhöfe teilt mit, daß im Orte über— 
wiegend die Stimmung für einen Anſchluß ans Saarbecken ſei. 
Der Gemeindevorſteher von Sienhachenbach teilt mit, daß die Orts— 
eingeſeſſenen keinen Anſchluß ans Saargebiet wünſchen. 
Der Gemeindevorſteher von Kefersheim teilt mit, daß die Ortseinge— 
ſeſſenen in der Mehrheit für einen Anſchluß ans Saargebiet ſind. 
Der Gemeindevorſteher von Wieſelbach teilt mit, daß die Leute deutſch 
bleiben, aber auch wirtſchaftlich vom Saarbecken nicht getrennt ſein wollen. 


. 


Gemeindevertretung Weierbach hält ſich nicht für Entſcheidung für den 
ganzen Ort zuſtaͤndig. Eigene Meinung des Gemeinderats ift: Zugehörigkeit 5 
zum Saarbezirk nur, wenn er deutſch bleibt. 

Der Gemeindevorſteher von Sien teilt telephoniſch mit, daß Sien blelbeg a 
will, wie es jetzt ift, und daß es nicht dem Saarbecken angeſchloſſen werden will. 


Der ſtellvertretende Gemeindevorſteher von Mittelreidenbach teilt mit, 


daß die Einwohner von Mittelreidenbach nach dem Saarbecken wollen. 


Der Gemeindevorſteher von Ehlenbach teilt mit, daß die Gemeinde keinen 
Anſchluß ans Saarbecken wünſcht. 


Der Vorſteher von Kirchenbollenbach teilt mit, daß die Gemeinde in 
der Mehrzahl keinen Anſchluß an das Saarbecken wünſcht. 


Der Vorſteher von Mittelbollenbach teilt mit, daß die Gemeinde mit 
weit überwiegender Mehrheit keinen Anſchluß ans Saarbecken wünſcht. 


e. Bürgermeiſterei Grumbach: 


Gemäß der am Donnerstag, den 22. d. M. mir mündlich erteilten 
Inſtruktion habe ich bezüglich der Frage des Anſchluſſes von Gebietsteilen 
der Bürgermeiſterei Grumbach an das projektierte Saarbecken mit verſchiedenen 
Kreiſen der Bevölkerung, insbeſondere mit den Gemeindevorſtehern und den 
Mitgliedern der geſetzlichen Bürgermeiſtereivertretung in einer beſonderen 
Sitzung des Bürgermeiſtereirates Fühlung genommen. Danach glaube ich 
folgendes als den maßgeblichen Willen und die maßgebliche Anſicht der 
Bürgermeiſterei feſtgeſtellt zu haben: Infolge der langjährigen Zugehörigkeit 
der hieſigen Bürgermeiſterei zum Kreiſe St. Wendel und der durch die 
Kriegswirtſchaft geförderten Bezugs- und Abſatzmöglichkeiten von und nach 
dem Saargebiet beſtehen wohl wirtſchaftliche Beziehungen nach dem oberen 
für das Saargebiet in Anſpruch genommenen Teile des Kreiſes St. Wendel 
wie auch nach dem Saargebiet ſelbſt. Dem ſteht aber der Umſtand gegen⸗ 
über, daß die größere Nähe des Gebiets der unteren Nahe (Kreuznach und 
Umgegend) und des anſchließenden Rheingebietes weit ſtärkere wirtſchaftliche 

Beziehungen in Richtung Nahe und Rhein geſchaffen hat, die allenfalls durch 
die Kriegszwangswirtſchaft und die Beſetzung des linken Rheinufers eine 
vorübergehende Abſchwächung erfahren haben. Wie ſtark die Beziehungen 
gerade der hieſigen Geſchäftsleute zum Rheine und darüber hinaus gehen, 
zeigte beſonders die große Zahl von Anträgen auf Freigabe der Waren⸗ 
einfubr aus dem unbeſetzten Gebiet an die zuftändige franzöſiſche Behörde. 
So ſehr an ſich eine nach Inkrafttreten der politiſchen Abgrenzung des 
Saargebietes etwa eintretende Erſchwerung oder auch Unterbindung des 
Verkehrs nach und von der Saar bedauert würde, glaubt die hieſige Be⸗ 
völkerung ihre geſamten Intereſſen im Wirtſchaftsverkehr mit dem unteren 
Nahe⸗ und Rheingebiet vollkommen wahren zu können. Den Gedanken, 
durch eine Angliederung an das Saargebiet möglicherweiſe in den Vorteil 
der Befreiung von Kriegslaſten zu kommen, wies die Verſammlung in dem 
Gefühl, deutſch zu ſein und es bleiben zu wollen, zurück. 


Nach dieſer Antwort ließ der Militärverwalter die Gemeindevorſteher der ſieben 
außerhalb des projektierten Saargebiets liegenden Gemeinden der Bürgermeiſterei 
Oberkirchen und die der geſamten Bürgermeiſterei Berſchweiler ohne Wiſſen des 
Landrats und der Bürgermeiſter zu ſich kommen und befahl ihnen, in ihren Gemeinden 
eine Abſtimmung über den Anſchluß an das Saargebiet vorzunehmen. Die Ab⸗ 
ſtimmungen fanden am 8. und 9. Juni ſtatt. Ungefähr zwei Drittel der Stimm⸗ 
berechtigten blieben der Abſtimmung fern. Das Ergebnis war, daß weniger als ein 
Fünftel der ſtimmberechtigten Bevölkerung ſich für den Anſchluß an das Saarbecken 
ausprach. Der amtliche Bericht bemerkt zu dieſem Ergebnis: »Es iſt ohne weiteres 
anzunehmen, daß alle diejenigen, die ſich nicht an der Wahl beteiligt haben, gegen 


Sy IN * 0 
une N 
as 25 ee . 
5 7 — 63 — 
Br, J « 


52 
2 
R 
. 


den Anſchluß ſind; ſie haben ſich nur ferngehalten, da jederman weiß, daß er den 
größten Schikanen ausgeſetzt iſt, wenn er ſich in . den Franzoſen nicht 
beliebten Weiſe betätigt. Auch diejenigen, die für den Anſchluß geſtimmt haben, 
ſind nicht für die Gründung eines Saarſtaates als ſolchen. Es find zum über— 
wiegenden Teile Bergarbeiter, die an einer Saarſtaatgründung ſelbſt keinerlei Intereſſe 
haben, die aber für den Fall einer Gründung Trennung von Wohnſitz und 
im Saarſtaat liegender Arbeitsſtätte befürchten und wohl lieber außerhalb des Saar— 
Er: nn blieben, wenn ihnen in dieſem das Recht auf Arbeit unbedingt ſichergeſtellt 
würde. « 

In einem amtlichen Bericht vom 31. Mai 1919 heißt es: »Bevor der Plan 
flür die Errichtung einer ſelbſtändigen pfälziſchen Republik zum vorläufigen Scheitern 
gekommen war, hatten die Franzoſen im nördlichen Teile des Kreiſes St. Wendel 
ſchon ihre Fühler ausgeſtreckt, wie die Bevölkerung ſich zum Anſchluß an die Pfalz 
ſtellen werde. Für beide Fälle, ſowohl den Anſchluß an die Pfalz als auch den an 

den Saarſtaat, arbeiteten fie mit dem Argument, Preußen werde ſelbſtverſtändlich 

verarmen und die Hauptlaſt des Krieges zu tragen haben... ... Für das Projekt 
des Anſchluſſes an den Saarſtaat iſt ihnen der Umſtand günſtig, daß der aus der 
vorläufigen Abgrenzung des Saargebiets herausgelaſſene Teil des Kreiſes St. Wendel, 
wenigſtens in ſeinen weſtlichen Dörfern, in denen zur Hauptſache noch Bergleute 
der Saarbergwerke wohnen, im wirtſchaftlichen Zuſammenhang mit dem Saargebiet 
„„ 22 Ganz ähnlich liegen die Verhältniſſe in Birkenfeld. . . . .. Die ſüd⸗ 
lichſte Bürgermeiſterei Nohfelden hat ebenſo wie die an das Saargebiet ſich an— 
ſchließenden St. Wendeler Dörfer faſt ausſchließlich bergmänniſche Bevölkerung. Der 
franzöſiſche Militärbefehlshaber von Birkenfeld, Major Baſtiani, hat ſchon in ver- 
ſchiedenen öffentlichen Verſammlungen unter der üblichen Herabſetzung Preußens für 
den Anſchluß an die Pfalz oder das Saargebiet geworben und ſoll dabei nicht ge— 
ringes Entgegenkommen gefunden haben. Auch im Kreiſe Merzig ſind die Franzoſen 
dabei, in den vorläufig noch aus dem Saargebiet herausgelaſſenen Bürgermeiſtereien 
Losheim, Wadern und Weiskirchen für den Anſchluß an das Saargebiet zu werben. 
ür dieſe früheren Teile des Erzbistums Trier, die wirtſchaftlich in Verbindung mit 
em Saargebiet ſtehen, kommt der Anſchluß an die Pfalz nicht in Frage. In dieſem 

Gebiet wohnt eine Bergarbeiterbevölkerung von ungefähr 12 000 Köpfen, und die 

landwirtſchaftliche Bevölkerung, die etwa 8 000 Köpfe zählt, iſt auf den Abſatz im 

Saargebiet angewieſen. In der Bevölkerung iſt der von den Franzoſen lancierte 

Gedanke des Anſchluſſes an das Saargebiet ſchon von verſchiedenen Seiten auf— 

gegriffen worden. Beſonders die organiſierten Arbeiter haben ſich mit der Frage 

beſchäftigt und haben eine Abordnung nach Saarbrücken geſchickt, um durch die 
Bergwerksdirektion ihre Wünſche auf Anſchluß anbringen zu laſſen. Die Abſicht 
der Franzoſen, im ganzen Kreis Merzig mehr Boden zu gewinnen und ihn womög— 
lich ganz an das neue Saargebiet anzuſchließen, erhellt unter anderem auch aus der 

Tatſache, daß die allgemeine Verwaltung beim Landratsamt, die bisher ſehr wenig 

* wurde, jetzt ſeit einiger Zeit durch alle möglichen Schikanen erſchwert 

R 4 


Ein Bericht vom 11. Juni 1919 meldet: »Auch in den Gebieten des Kreiſes 
Merzig, die noch aus der bisherigen Grenzprojektierung des Saarſtaates herausge— 
laſſen ſind, äußert ſich der franzöſiſche Druck. Von dort aus ſoll eine Deputation 
nach Paris geſandt werden, die den Wunſch auf Anſchluß an das Saargebiet vor— 
bringen fol ..... Die Abſicht der Franzoſen, den Saarſtaat zum mindeſten um 
die Wohngebiete der geſamten Bergarbeiterſchaft zu vergrößern, iſt unverkennbar . . . . .« 
| Ein weiterer Bericht vom 15. Februar 1920 beſagt: »Infolge der durch den 
Friedensvertrag feſtgelegten Grenzverſchiebung befürchtete ein Teil der Bürgermeiſtereien 
Weiskirchen, Losheim und Wadern, insbeſondere der unmittelbaren Grenzgemeinden 
Britten und Bachem, deren Arbeiterſchaft und Gewerbetreibende auf den Verkehr mit 
Merzig angewieſen ſind, eine Abſchnürung von ihrer wirtſchaftlichen Baſis und eine 


. 


Abſchnürung ihrer Lebensbedingungen. Aus rein wirtſchaftlichen, alſo nicht politiſchen 
Beweggründen beantragte im Laufe des vergangenen Sommers ein Bruchteil der 
Bewohner der Gemeinden Bergen und Britten den Anſchluß an das Saargebiet 
durch eine ſchriftliche Vorſtellung bei dem franzöſiſchen Kreisverwalter in Merzig. 
Auch ſcheint eine Eingabe an dieſelbe Stelle aus der Bürgermeiſterei Weiskirchen von 
einer kleinen Intereſſentengruppe gerichtet worden zu ſein. Der weit überwiegende 
Teil der Bevölkerung der drei Bürgermeiſtereien dagegen, und zwar aller Berufe, 
hat einem derartigen Verfahren durchaus ablehnend gegenüber geſtanden und ſich an 
den Abſplitterungsbeſtrebungen nicht beteiligt. Es wird vielmehr mit beſonderem 
Nachdruck die Aufrechterhaltung des durch den Friedensvertrag geſchaffenen Rechts 
zuſtandes betrieben.« 

In einem Bericht vom 19. März 1920 heißt es ſchließlich: »Die Stimmung in 
der Gemeinde Britten und den Bürgermeiſtereien Losheim, Weiskirchen und Wadern, 
die im Sommer 1919 an den Völkerbund ein Geſuch um Aufnahme in das Saar- 
becken gerichtet hatten, iſt gegenwärtig überwiegend dem vollſtändig entgegengeſetzt. 
Einige franzöſiſche Gutsbeſitzer wünſchen dorthin zu kommen, ſonſt beſtehen einzelne 
örtliche, wirtſchaftliche Intereſſen, die ohne Anſchluß an das Saargebiet leicht zu 
löſen ſind. Die Franzoſen heben alle dieſe Intereſſen, ſobald ſie dem Saarbecken 
günſtig ſind, hervor, verſchweigen aber die entgegengeſetzten. Der Militärverwalter 
des Kreiſes Merzig hat am 26. Februar eine Verſammlung abgehalten unter Teil⸗ 
nahme des Bürgermeiſters von Neuſtadt, der Gemeindevorſteher von Oppen, Reims⸗ 
bach, Riſſenthal, Rimmlingen, Bachem, Hausbach und Britten, bei der er für 
den Anſchluß an das Saarbecken Stimmung zu machen ſuchte. Das war ebenſo 
vergeblich wie die Verſuche der franzöſiſchen Offiziere der Grenzkommiſſion, in den 
Orten dieſer Gegend die früheren Petitionen erneuern zu laſſen. Aberall iſt die 
überwiegende Mehrheit für den Verbleib bei der Rheinprovinz.« 

Ahnliche Beſtrebungen der Franzoſen haben ſich auch in der Pfalz gezeigt. 

Von dem Bezirk Homburg ſollte nach Artikel 48 des Vertrags von Verſailles 
etwa ½ leinſchließlich der Stadt Homburg) ins Saargebiet fallen, während / der 
Pfalz verblieben. Hierdurch wurde die Verlegung gewiſſer Behörden aus der Stadt 
Homburg erforderlich. Als deshalb der Bürgermeiſter von Landſtuhl im Auguſt 1919 
mit den anderen Bürgermeiſtern des Bezirks eine Beſprechung abhalten wollte und 
hierfür die vorgeſchriebene Erlaubnis des franzöſiſchen Kontrolloffiziers in Homburg 
nachſuchte, verbot dieſer die Beſprechung mit der Begründung, die Beſprechung ſei 
unnötig, weil der ganze Bezirk Homburg ins Saargebiet fallen werde. Derſelbe 
Offizier begünſtigte die Abhaltung aller Verſammlungen, deren Einberufer die Ein⸗ 
beziehung weiterer pfälziſcher Gemeinden in das Saargebiet betrieben, verbot dagegen 
alle Verſammlungen, in denen ſolchen Beſtrebungen entgegengetreten werden ſollte. 

Im Auguſt 1919 ließ der oberſte franzöſiſche Militärverwalter des Saargebiets, 
General Andlauer, den Induſtriellen von Zweibrücken eröffnen, an der politiſchen 
Lage Zweibrückens und ſeiner Zugehörigkeit zur bayeriſchen Pfalz ſolle nichts ge⸗ 
ändert werden, jedoch ſei es zweckmäßig, daß die Induſtriellen ihm gegenüber aus⸗ 
drücklich den Wunſch ausſprächen, Zweibrücken möchte als in wirtſchaftlicher Hinſicht 
zum Saargebiet gehörig behandelt werden. Für dieſen Fall würden die Induſtriellen 
die Antwort erhalten, daß ſie, in gleichem Maße wie die von Saarbrücken, mit 
Kohlen beliefert würden, gegen die Verpflichtung, ihre Erzeugniſſe auf Verlangen nach 
Frankreich zu verkaufen. 

Am 3. September 1919 verlangte der franzöſiſche Kontrolloffizier Turrel von 
allen Staats beamten des Bezirks Homburg eine Erklärung, ob fie bereit ſeien, im 
Dienſt des Saargebiets zu bleiben. Die Frage, ob dieſe Erklärung auch von ſolchen 
Beamten einzuholen ſei, deren Amtsſitz nicht ins Saargebiet falle, bejahte Turrel 
mit der Bemerkung, man könne nicht wiſſen, wie die endgültige Grenze gezogen werde. 

Die zum Bezirk der Gemeinde Homburg gehörigen, nach der vorläufigen Grenz— 
linie aber nicht wie Homburg ſelbſt in das Saarbecken fallenden Ortſchaften Bruchhof 


2 — 


und Sanddorf hatten im Februar 1920 faſt einſtimmig den Beſchluß gefaßt, bei der 
Grenzkommiſſion ihre Abtrennung von Homburg und Belaſſung bei der bayeriſchen 
Pfalz zu beantragen. Von verſchiedenen Seiten wurde verſucht, eine Abänderung 
dieſes Beſchluſſes herbeizuführen, jedoch ohne jeden Erfolg. Der Adjunkt Schmidt 
aus Homburg, der in Begleitung eines franzöſiſchen Offiziers im März 1920 die 
einzelnen Häuſer aufſuchte, um eine Korrektur der Abſtimmung zu erzielen, mußte 
angeſichts von Drohungen der erregten Bevöllerung von Bruchhof und Sanddorf 
ſein Vorhaben aufgeben. 


VI. 


Ernennung und Dienſtantritt der Regierungskommiſſion 
des Saargebiets. 
Nr. 33. 


Bericht über die dritte öffentliche Sitzung des Völkerbundsrats, 
gehalten im Palais von St. James in London 
am Freitag, den 13. Februar 1920, nachmittags. 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, Heft 2, März 1920, Seite 45 ff.) 
| (berſetzung.) 
Die Mitglieder des Rates des Völkerbundes waren wie folgt vertreten: 
Britiſches Reich durch Herrn A. J. Balfour (Präſident), 


Belgien » » Paul Hymans, 
Brafilien...... *»  Gaftäo da Cunha, 
Spanien » » Quinones de Leon, 
Frankreich. » Leon Bourgeois, 
Griechenland. » Demetrius Caclamanos, 
1 » » Maggiorino Ferraris, 
Japan „„ M. K. Matſui. 


Generalſekretär: Sir Erie Drummond. 


Saarbeckengebiet. 


Herr Balfour: Das Wort hat Herr Caclamanos, um ſeinen Bericht über die 
Regierung des Saarbeckens zu verleſen. 


Bericht über die Regierungskommiſſion des Saarbeckens, 


überreicht von Herrn Caclamanos. 


Herr Präſident! 
Meine Herren Mitglieder des Rates des Völkerbundes! 


| Indem ich dem Auftrag, den mir der Nat erteilt hat, entſpreche, habe ich die 
Ehre, Ibnen die nachfolgenden Betrachtungen über die Regierung des Saarbeckens, 
über die Ernennung der Kommiſſion, der dieſe Regierung anvertraut iſt, und über 
die Geſuche gewiſſer deutſcher Bewohner von Gegenden, die an das Saarbecken an— 
grenzen, zu unterbreiten. 


Gemäß Artikel 49 des Vertrags von Verſailles hat Deutſchland zugunſten des 
Völkerbundes, der inſoweit als Treuhänder zu betrachten iſt, auf die Regierung des 


JJ ˙·mA Eee 
EN c 


BE 


Saarbeckengebietes, deſſen Grenzen durch Artikel 48 desſelben Vertrags beſtimmt find, 4 


verzichtet. 


Die Regierung dieſes Gebiets iſt nach den Beſtimmungen der §§ 16 bis 19 der | 


Anlage zu Abſchnitt IV des III. Teiles des Vertrags einer den Völkerbund ver— 
tretenden Kommiſſion anzuvertrauen, die aus fünf Mitgliedern beſteht, nämlich: 
einem franzöſiſchen Mitglied; 


einem aus dem Saarbeckengebiet ſtammenden und dort wohnenden nicht- 


franzöſiſchen Mitglied; 
drei Mitgliedern, die drei anderen Ländern als Frankreich und Deutſchland 
angehören. ä 
Die fünf Mitglieder werden vom Rat des Völkerbundes auf ein Jahr ernannt. 
Ihr Mandat kann erneuert werden. Der Rat des Völkerbundes kann ſie abberufen 
und für ihren Erſatz ſorg en. 
Sie haben Anſpruch auf ein vom Rat des Völkerbundes feſtzuſetzendes und aus 


den Einnahmen des Gebietes zu beſtreitendes Gehalt (§ 17). 5 


Der Präſident der Regierungskommiſſion iſt vom Rat des Völkerbundes aus 
dieſen 5 Mitgliedern für die Dauer eines Jahres zu ernennen; er kann wiederernannt 


werden. Er hat die Stellung eines ausführenden Organs der Kommiſſion ($ 18). 


Es ſcheint mir, daß der Vorſitz in dieſer Kommiſſion dem franzöſiſchen Mit⸗ 


glied der Regierungskommiſſion zukommen muß. Die wirtſchaftliche Entwickelung 
und überhaupt das Wohlergehen der Bevölkerung des Saarbeckens hängen zum 


großen Teil von der Unterſtützung ab, die die franzöſiſche Regierung ihr angedeihen 
laſſen wird. Wie nämlich der Friedensvertrag in Artikel 45, Abſchnitt IV, Teil III, 
ſelbſt beſtimmt, gehört das volle und unbeſchränkte Eigentum an den im Saarbecken 
belegenen Kohlengruben Frankreſch, das darüber ohne irgendwelche Einſchränkung 
verfügen kann. Außerdem ſieht die Anlage zu Abſchnitt IV des dritten Teils des 
Vertrags in § 31 vor, daß das Saarbeckengebiet dem franzöſiſchen Zollſyſtem ein⸗ 
geordnet wird. Indem alſo der Friedensvertrag dem franzöſiſchen Staat den Beſitz 


und die Ausbeutung der Kohlengruben des Saarbeckens übertragen und ihm ferner 


die Zollverwaltung anvertraut hat, hat er Frankreich eine Anzahl von Rechten 
gegeben, über die die franzöſiſche Regierung nicht gehalten iſt, ſich mit der Regierungs⸗ 
kommiſſion ins Benehmen zu ſetzen. 

Indes iſt es von Wichtigkeit, daß die Wahrnehmung dieſer Rechte, was die 
Art und Weiſe ihrer Anwendung betrifft, im vollkommenen Einvernehmen mit dieſer 
Kommiſſion erfolgt. Hierzu gehört beiſpielsweiſe das Recht, Verkehrswege für den 
Bedarf der Gruben anzulegen und auszubeuten, das Recht, ſich des franzoöſiſchen 


Geldes für jede auf die Gruben bezügliche Zahlung oder Ausgabe zu bedienen uſw. 


Dieſes letztere Recht bedeutet keineswegs die Einführung des franzöſiſchen Franken 
als Währungsgeld im Saarſtaat zufolge der Zahlungen, die dort im Zuſammenhang 
mit der Ausbeutung der Gruben erfolgen. | 

Es darf ferner nicht vergeſſen werden, daß die Hütteninduſtrie des Saarbeckens, 
die während der Kriegsjahre beträchtlich angewachſen iſt, nicht leben und ſich nicht 
entwickeln kann ohne das Erz von Lothringen, und daß das Eiſenbahnnetz des Saar⸗ 


beckens, deſſen Verwaltung der Vertrag der Regierungskommiſſion anvertraut, nur 


durch Unterſtützung mit Material ſeitens des benachbarten Netzes von Elſatz⸗Loth⸗ 
ringen organiſiert und betrieben werden kann. . 

Das Wohlergehen der Bevölkerung des Saarbeckens und die Erforderniſſe der 
Ordnung in dieſem Gebiet erfordern ein enges Zuſammenarbeiten zwiſchen der fran⸗ 
zöſiſchen Regierung, die kraft des Vertrags über einen ſehr wicht gen Teil des 
Wirtſchaftslebens des Saarbeckens verfügt, und der Regierungskommiſſion, der der 
Völkerbundsrat die Aufgabe der Verwaltung des Gebiets überträgt. Dieſes Zu⸗ 
ſammenarbeiten kann nicht beſſer gewährleiſtet werden als durch die Beziehungen, 
die der Präſident der Kommiſſion mit der franzöſiſchen Regierung unterhalten wird, 
durch ſeine Kenntnis der Einzelheiten der franzöſiſchen Verwaltung, die wie jede 


F EN un; 
2 e 
van £ 


1 f 


Verwaltung einen feinen und weit verzweigten Mechanismus darſtellt, und durch die 
Garantie guter Beziehungen mit Frankreich, die er gleichſam in ſich ſelbſt trägt, 
weil er Franzoſe iſt. ! 
> Ich 8 daß von den Mitgliedern der Kommiſſion allein das franzöſiſche 

Mitglied dieſe weſentlichen Bedingungen erfüllen könnte. Deshalb habe ich die Ehre, 

dem Völkerbundsrat die Ernennung des franzöſiſchen Mitgliedes zum Präſidenten 

der Kommiſſion vorzuſchlagen, die er gemäß § 18 der Anlage zu Abſchnitt IV des 
dritten Teils des Vertrags auszuwählen hat. 

Die Befugniſſe der Kommiſſion find feſtgelegt in den SS 19 ff. der erwähnten 
Anlage. Die Kommiſſion hat im Saarbeckengebiet alle Befugniſſe, die bisher dem 
Deutſchen Reich, Preußen und Bayern zuſtanden, einſchließlich des Rechts, Beamte 
zu ernennen und abzuberufen und alle ihr erforderlich ſcheinenden Verwaltungsſtellen 
und Vertretungen zu ſchaffen, die Eiſenbahnen zu verwalten und auszubeuten, ebenſo 
die Kanäle und die verſchiedenen öffentlichen Betriebe. Ihre Beſchlüſſe ſollen mit 
Stimmenmehrheit gefaßt werden ($ 19). 

Es iſt Sache der Regierungskommiſſion, mit den ihr angemeſſen erſcheinenden 
Mitteln und in der ihr angemeſſen erſcheinenden Weiſe für den Auslandsſchutz der 
Intereſſen der Bewohner des Gebietes zu ſorgen ($ 21). 

Die Kommiſſion hat, mit Ausnahme der Gruben, die volle Nutznießung des 
geſamten Eigentums, das bisher der deutſchen Reichsregierung oder der Regierung 
irgendeines deutſchen Staates im Saarbeckengebiet als öffentliches oder privates 
Staatseigentum gehörte ($ 22). Die Kommiſſion kann die am 11. November 1918 
geltenden Geſetze unter den in § 23 vorgeſehenen Bedingungen abändern. 

| Die Kommiſſion ſoll gemäß § 25 einen Gerichtshof für Zivil- und Strafſachen 
errichten, der die Berufungsinſtanz für die Entſcheidungen der im Gebiet vorhandenen 

Gerichte bildet. Die gerichtlichen Entſcheidungen ſollen im Namen der Kommiſſion 

ergehen. | 
Die Kommiſſion hat allein das Recht, Abgaben und Steuern unter den im 
26 — —.— Bedingungen zu erheben, und ſoll ſie ausſchließlich für die Be 

ürfniſſe des Gebiets verwenden. 

Gemäß $ 30 iſt es Sache der Kommiſſion, in allen eintretenden Fällen für den 
Schutz der Perſonen und des Eigentums im Saarbeckengebiet zu ſorgen. Hieraus 
ergibt ſich, daß ſie bis zu der in dem erwähnten § 30 vorgeſehenen Errichtung einer 
1 Gendarmerie die völlige oder teilweiſe Beibehaltung oder Rückberufung 
er zur Aufrechterhaltung der Ordnung berufenen Truppen verlangen kann, falls 
ein Bedürfnis hierfür beſteht. 

Endlich gibt der $ 33 der Regierungskommiſſion das Recht, die Beſtimmungen 
des Vertrags im Falle einer deutſch-franzöſiſchen Meinungsverſchiedenheit auszulegen 
und durch Mehrheitsbeſchluß eine ſchiedsrichterliche Entſcheidung zu treffen. 

Nachdem ich hiermit dem Rat die hauptſächlichſten Beſtimmungen des Vertrags 
über die Zuſammenſetzung und die Befugniſſe der Regierungskommiſſion ins Gedächtnis 
zurückgerufen habe, beehre ich mich, Ihnen zur Genehmigung den von unſerem General— 
ſekretär ausgearbeiteten Entwurf eines Beſchluſſes über dieſe Kommiſſion zu unter— 
breiten, der mir in jeder Hinſicht vorzüglich erſcheint, in dem ich indes eine kleine 
Anderung bezüglich einer dem Präfidenten der Kommiſſion für Repräſentationskoſten 
zu gewährenden Zulage vorgenommen habe. 

Die Rechte und Pflichten der Kommiſſion ſind in Kapitel II der Anlage zu 
Abſchnitt IV des Teils III des Vertrags von Verſailles feſtgelegt. Immerhin ſchlage 
ich vor, in einer Anlage zu dem erwähnten Beſchluß allgemeine Inſtruktionen und 
Anregungen für die Mitglieder der Kommiſſion zu formulieren. 

In dieſer Beziehung beehre ich mich, Ihnen folgende kurzen Erläuterungen vor— 
zutragen: 

In Ziffer V des Anlageentwurfs iſt geſagt, daß es Sache der Kommiſſion iſt, 
zu beſtimmen, ob und gegebenenfalls unter welch näheren Vorausſetzungen ihre Be— 


— 68 — 


ſchlüſſe rechtsgültig ſein ſollen, wenn ſie in Abweſenheit eines oder zweier Mitglieder 
gefaßt werden. Das Recht, die Beſtimmungen dieſes Teils des Vertrags auszulegen, 
iſt der Kommiſſion durch den § 33 gegeben. Es erſcheint mir angezeigt, den Grund— 
ſatz aufzuſtellen, daß kein Mitglied von Der Sitzungen abwesend fein ſoll, ausgenommen 
Fälle höherer Gewalt oder bei hinreichenden Gründen. Immerhin wäre es billig, zu⸗ 
zulaſſen, daß die in Abweſenheit eines oder zweier Mitglieder gefaßten Beſchlüſſe 
gültig ſein ſollen, da gemäß § 19 die Beſchlüſſe der Kommiſſion nur mit Stimmen: 
mehrheit zu faſſen ſind. Andernfalls würde eine vorübergehende Abweſenheit eines 
ſeiner Mitglieder die Arbeiten der Kommiſſion beeinträchtigen. 

Soweit es ſich jedoch um Beſchlüſſe von beſonderer Bedeutung handelt, erſcheint es 
erforderlich, daß dieſe Beſchlüſſe nur in Gegenwart ſämtlicher Mitglieder gefaßt werden. 

Im Vertrag iſt nichts über die etwaige Ernennung von Vertretern der Mitglieder 
der Kommiſſion beſtimmt. Demnach liegt die Beſtimmung hierüber dem Rat des 
Völkerbundes ob. Eine Ausnahme ergibt ſich jedoch für das franzöſiſche und für 
das aus dem Saarbecken ſtammende Mitglied; dieſe müſſen in dringenden Fällen 
das Recht haben, einen vorläufigen Vertreter zu ernennen, um nach Möglichkeit zu 
vermeiden, daß die Kommiſſion nicht vollzählig iſt. Immerhin erſcheint es ange⸗ 
zeigt, daß das in Ziffer VI des Anlageentwurfs vorgeſehene Verfahren befolgt wird, 
und daß zwecks Erhöhung der Garantien kein Beſchluß gefaßt wird, bei dem es ſich 
um eine Anwendung des $ 33 der Anlage des Vertrags handelt, worin der Kommiſſion 
das Recht der Auslegung der Beſtimmungen dieſes Teiles des Vertrags und das 
Recht, bei Streitfragen zwiſchen Deutſchland und Frankreich als Schiedsrichter zu 
wirken, übertragen wird, wofern nicht Fünkliche Titukärmitgeteder der Kommiſſion 
anweſend ſind. 0 

Nach $ 17 der Anlage zu Abſchnitt IV des Teils III des Vertrags haben die 
Mitglieder der Regierungskommiſſion Anſpruch auf ein Gehalt, das vom Nate des 
Völkerbundes feſtgeſetzt und aus den Einnahmen des Gebiets bezahlt wird. Ich 
beehre mich, in Ziffer VII des Anlageentwurfs vorzuſchlagen, daß dieſes Gehalt für 
jedes Mitglied auf 100 000 Fr. jährlich, vom Tage der Ernennung ab, feſtgeſetzt 
wird. Es würde mir angezeigt erſcheinen, daß der Präſident der Kommiſſion eine 
Dienſtaufwandsentſchädigung erhält, die auf 50 000 Fr. jährlich feſtgeſetzt werden könnte. 

Der Friedensvertrag enthält keine Beſtimmungen über die Verpflichtung der 
Kommiſſion, dem Rat des Völkerbundes Berichte einzureichen. Trotzdem ſieht der 
Anlageentwurf zu Ihrem Beſchluß, den ich Ihrer Genehmigung zu unterbreiten die 
Ehre habe, eine Beſtimmung in dieſem Sinne vor (Ziffer VIII). Da nämlich die 
Regierungskommiſſion gemäß § 16 der Anlage des Vertrags die Vertreterin des 
Völkerbundes iſt, ſcheint es erforderlich, daß der Völkerbund über die Handlungen 
der Kommiſſion auf dem laufenden gehalten wird, weil feine eigene Verantwortlich⸗ 
keit auf dem Spiele ſteht. Es handelt ſich natürlich nicht um eine ſehr weitgehende 
Kontrolle, da der Regierungskommiſſion des Saargebiets das größtmöglichſte Maß 
an Befugniſſen anvertraut werden muß. Dies ergibt ſich aus folgenden Erwägungen: 

1. Die Verfaſſer des Vertrags waren darüber einig, daß die Regierungs⸗ 
kommiſſion die weiteſtgehenden Befugniſſe in bezug auf Berufungen und Urteile 
haben müſſe, und daß ſie in einem in hervorragendem Maße induſtriellen Gebiet 
in möglichſt enger Beziehung zu den Geſchäften und Perſonen ſtehen müſſe. 

2. Es muß darauf hingewieſen werden, daß der Völkerbund als Sicherheit dafür, 
daß er nicht gegen ſeinen Willen irgendeine Verantwortlichkeit übernimmt, jederzeit das 
Recht beſitzt, die Mitglieder der Kommiſſion alle Jahre zu ernennen und zu erſetzen. 

3. Schließlich darf nicht vergeſſen werden, daß der Völkerbund, dem die Ver⸗ 
antwortung in ſoviel verſchiedenartigen Dingen obliegt, kein Intereſſe daran hat, 
ſich zu ſehr mit Einzelheiten zu befaſſen; er würde ſonſt Gefahr laufen, ſich zu 
materialiſieren und dabei die ein wenig von den Dingen ſelbſt abrückende hohe 
moraliſche Autorität zu kompromittieren, die er ſich als oberſte Berufungsinſtanz 
bewahren muß. 


— 69 — 


Der Bürgermeiſter und der Stadtrat von Saarlouis haben eine Eingabe an 

den Völkerbund gerichtet, worin ſie bitten, daß die Stadt Saarlouis mit Rückſicht 
auf ihre Bedeutung und ihre Lage zur Hauptſtadt des Saarbeckengebiets gemacht werde. 
Da aus den Beſtimmungen der Anlage über das Saarbeckengebiet hervorgeht, 


en daß die Kommiſſion den Ort wählen foll, wo fie ihren Sitz errichten will, beehre ich 


Er mich Ihnen vorzufchlagen, dieſe Eingabe der Regierungskommiſſion des Saarbeckens 
mit dem Anheimſtellen der weiteren Veranlaſſung zu überſenden. 
Ferner haben die Bewohner der Bürgermeiſtereien Wadern, Weißkirchen, Losheim 


und Britten, die außerhalb des Saarbeckengebiets gelegen ſind, eine Eingabe an den 


Völkerbund gerichtet, worin ſie beantragen, dieſem Gebiet einverleibt zu werden. 

Dieſe Eingaben ſind nach meinen . verſehen mit den Unterſchriften 
von drei Vierteln der Bewohner von Wadern und vier Fünfteln der Bewohner von 
Weißkirchen und Losheim. 

Es iſt nicht Sache des Völkerbundrats, die Grenze des Saarbeckens, fo wie fie . 
der eng von Verſailles feſtgeſetzt hat, zu ändern, aber ich bin ficher, die Zu— 
ſtimmung des Rats zu finden, wenn ich vorſchlage, daß auch dieſe Urkunde der 
Regierungskommiſſion überſandt werden möge, um zu prüfen, ob es nicht bei genauer 
Beachtung der Beſtimmungen des Vertrags möglich wäre, durch Maßnahmen wirt— 
ſchaftlicher Art die Schwierigkeiten zu beheben, die die erwähnten Bezirke wegen ihrer 
Trennung vom Saarbecken zu befürchten ſcheinen. 

Dies ſind die Schlußfolgerungen meines Berichts. 

Die Ernennung der Regierungskommiſſion eines unter Auſpizien des Völker— 
bunds geſchaffenen Staates wird die erſte charakteriſtiſche Tat ſein, durch die der 
Bund aus ſeinem theoretiſchen Daſein in die lebendige Wirklichkeit heraustreten wird. 
Dieſe Kommiſſion bildet gleichſam die Verkörperung der hohen Prinzipien, die die 
Gründung des Völkerbundes veranlaßt haben und die ſein Werk der Begründung 
des Friedens und methodiſcher Organiſation leiten ſollen. Sie wird daher der 
Gegenſtand beſonderer Aufmerkſamkeit ſeitens des Rates des Völkerbundes ſein, der 
durch die Auswahl der Mitglieder dieſer Kommiſſion nicht nur ein für dieſe Sonder— 
aufgabe geeignetes Organ ſchaffen, ſondern zugleich auch einen poſitiven Beweis für 
5 Anwendung der Rechte liefern will, mit denen der Völkerbund durch 
die verſchiedenen Verträge ausgeſtattet worden iſt, die von den an der Gründung 
des Bundes beteiligten Mächten und denen, die ſchon ihren Beitritt erklärt haben, 
unterzeichnet worden ſind. 


Ich ſchlage für Annahme folgenden Beſchluß vor: 
Beſchluß über die Regierungskommiſſion des Saarbeckens. 


In der Erwägung, daß Deutſchland zu Gunſten des Völkerbundes, der 
inſoweit als Treuhänder gilt, auf die Regierung des Saarbeckengebietes 
verzichtet hat; 

in der Erwägung ferner, daß dieſe Regierung einer den Völkerbund ver— 
tretenden Kommiſſion übertragen werden ſoll, 


erklärt der Rat des Völkerbundes hiermit folgendes: 


I. Herr Rault, Staatsrat (Franzoſe), Herr Alfred von Boch, Landrat 
von Saarlouis (Saarländer), Herr Major Lambert (Belgier) und Herr 
Graf von Moltke-Hvitfeldt (Däne) werden zu Mitgliedern der Regie— 
rungskommiſſion des Saarbeckens für die Dauer eines Jahres vom 
Tage des vorliegenden Beſchluſſes ab ernannt. (Der Name des 
fünften Mitgliedes der Kommiſſion wird ſpäter bekanntgegeben werden, 
nach Eingang der Antwort auf eine erfolgte Berufung). Herr Rault 
wird zum Präſidenten der Kommiſſion ernannt ). 


) Aus den Veröffentlichungen des Voͤlkerbundes iſt nicht erſichtlich, von wem die einzelnen Mit— 
glieder vorgeſchlagen worden ſind. 


18 e 


5 


2. Die anliegenden Inſtruktionen ) für die Kommiſſion werden genehmigt. 
3. Abſchriften des vorliegenden Beſchluſſes und der beigefügten Inſtruk— 
tionen ſollen durch den Generalſekretär des Völkerbundes an die Mit- 
glieder der Regierungskommiſſion des Saarbeckens geſandt werden ). 


Nach Verleſung des vorſtehenden Berichts und der in der folgenden Nummer 


wiedergegebenen Inſtruktion erklärt der Vorſitzende Balfour: | 
»Sie haben die von dem griechiſchen Vertreter fo klar vorgetragenen 


Schlußfolgerungen aus dem Bericht und dem Beſchluß gehört. Ich frage, 


ob ſie die Zuſtimmung meiner Kollegen finden.« (Einſtimmig angenommen.) 


8 Nr. 34. 
Inſtruktion des Völkerbundsrats für die Regierungskommiſſion des 
Saarbeckengebiets. 


(Anlage zu dem Beſchluß des Völkerbundsrats vom 13. Februar 1920 
über die Regierungskommiſſion des Saarbeckengebiets.) 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, Heft 2, März 1920, S. 50 ff.) 
(berſetzung.) 


J. Die Befugniſſe der Regierungskommiſſion des Saarbeckengebiets ſind aus der 


Anlage zu Teil III, Abſchnitt IV des zwiſchen den alliierten und aſſoziierten Mächten 


und Deutſchland am 28. Juni 1919 in Verſailles unterzeichneten Friedensvertrages 


erſichtlich. Die Regierungskommiſſion iſt dem Völkerbunde für die Handhabung ihrer 


Befugniſſe gemäß den Beſtimmungen der Anlage verantwortlich. Der Völkerbundsrat 


hält es weder für erforderlich noch für zweckmäßig, der Kommiſſion außer den in 
der Anlage enthaltenen Vorſchriften ins einzelne gehende Inſtruktionen zu erteilen, 
bevor es möglich iſt, ſich auf eine gewiſſe Erfahrung zu ſtützen. 


II. Die Regierungskommiſſion entſcheidet ſelbſt darüber, an welchem Ort ſie 


ihren Sitz aufſchlagen will; dieſer Ort muß innerhalb der Grenzen des Saargebiets 
liegen. Der Ausſchuß hat ſich zu bemühen, einen Ort zu wählen, der im Hinblick 
auf eine glatte und beſchleunigte Erledigung der Verwaltungsgeſchäfte die günſtigſten 
Bedingungen in ſich vereinigt, wobei auf die beſtehenden Verkehrsmöglichkeiten inner⸗ 


halb und außerhalb des Gebiets Rückſicht zu nehmen iſt. Die Kommiſſion hat in 


dieſer Beziehung nicht außer acht zu laſſen, daß fie gemäß § 22 der Anlage die 
volle Nutznießung des Eigentums (mit Ausnahme der Kohlengruben) hat, das bisher 


der deutſchen Reichsregierung oder der Regierung irgendeines deutſchen Staates im 


Saarbeckengebiet als öffentliches oder privates Staatseigentum gehörte. 

III. Die Regierungskommiſſion hat keine anderen Aufgaben und Intereſſen als 
das Wohlergehen der Bevölkerung des Saarbeckengebiets. 

IV. Die Regierungskommiſſion ſetzt ſelbſt die Grundſätze ihres Verfahrens feſt, 
einſchließlich der Grundſätze für die Wahrnehmung gewiſſer Amtsgeſchäfte, mit denen 
ſie etwa — unter ihrer eigenen Verantwortlichkeit — eines ihrer Mitglieder betraut, 
um eine glatte und beſchleunigte Erledigung der Regierungsaufgaben zu ermöglichen. 
Der Vorſitzende iſt das ausführende Organ der Kommiſſion. 

V. Die Regierungskommiſſion tagt ſtändig, wenn auch nicht notwendigerweiſe 
ununterbrochen. Es iſt Sache der Kommiſſion zu entſcheiden, ob und gegebenenfalls 
unter welch näheren Vorausſetzungen ihre Beſchlüſſe rechtsgültig ſind, wenn ſie in 


1) Vgl. Nr. 34. 

2) Der vorſtehende Beſchluß und die Inſtruktion für die Regierungskommiſſion ſind der deutſchen 
Regierung durch eine Note des Generalſekretärs des Völkerbundes vom 14. Februar 1920 mitgeteilt 
worden. Die Mitteilung über die Ernennung des fünften Mitgliedes der Regierungskommiſſion, Herrn 
R. D. Waugh, bisher Bürgermeiſter von Winnipeg, Kanada, iſt durch eine Note des Generalſekretärs 
vom 3. März 1920 erfolgt. 


7 — 71 — 


Abweſenheit eines oder mehrerer Mitglieder gefaßt werden. Entſcheidet ſich die 
Kommiſſion dahin, daß in Abweſenheit eines oder ſelbſt zweier von ihren 5 Mit— 
gliedern rechtsgültige Beſchlüſſe gefaßt werden können, ſo iſt doch als Grundſatz zu 
beachten, daß kein Mitglied bei den gemeinſamen Sitzungen fehlen darf, es ſei denn 
im Falle höherer Gewalt oder aus einem anderen ausreichenden Grunde. Iſt ein 
Mitglied abweſend, ſo hat die Kommiſſion zu prüfen, ob es, um endgültige Beſchlüſſe 
zu faſſen, erforderlich iſt, die Rückkehr dieſes Mitgliedes abzuwarten. Beſchlüſſe von 
befonderer Bedeutung, wie z. B. ſolche, die in Anwendung des § 33 der Anlage zu 
faſſen ſind, dürfen nur gefaßt werden, wenn alle Mitglieder der Kommiſſion zugegen ſind. 
VI. Die unter Umſtänden nötig werdende Ernennung von Stellvertretern für 
die Mitglieder der Regierungskommiſſion erfolgt durch den Völkerbundsrat. Indes 
ſind das franzöſiſche Mitglied der Regierungskommiſſion und ebenſo das aus dem 
Saargebiet ſtammende und dort anſäſſige Mitglied ermächtigt, in dringenden Fällen 
ihre vorläufigen Stellvertreter ſelbſt zu ernennen. Dieſer Vertreter hat nach ſeiner 
Ernennung ohne weiteres das Recht, an den Sitzungen und Beſchlußfaſſungen wie 
ein Mitglied der Kommiſſion teilzunehmen, abgeſehen von Fällen, wo es ſich um 
eeinen in Anwendung des $ 33 der Anlage zu faſſenden Beſchluß handelt. Dieſes 
Verfahren darf jedoch nur Platz greifen, wenn die übrigen Mitglieder der Kommiſſion 
ausdrücklich erklären, daß die angegebenen Gründe für die Abweſenheit des betreffenden 
Mitglieds ausreichend ſind. Der Generalſekretär des Völkerbundes iſt von der 
Ernennung eines Stellvertreters jedesmal unverzüglich auf drahtlichem Wege in 
Kenntnis zu ſetzen. Der Generalſekretär wird dem Völkerbundsrat Mitteilung machen, 
der entſcheiden wird, ob der Stellvertreter feine Funktiunen weiter ausüben ſoll. 
Unter denſelben Bedingungen iſt der Vorſitzende der Kommiſſion ermächtigt, zu ſeinem 
vorläufigen Stellvertreter ein anderes Mitglied der Kommiſſion zu ernennen; hierbei 
iſt den unter V. enthaltenen Beſtimmungen Rechnung zu tragen. 

VII. Jedes der fünf Mitglieder der Regierungskommiſſion hat vom Tage ſeiner 
Ernennung ab Anſpruch auf ein Gehalt, das berechnet wird zum Satz von 
100 000 Franken jährlich. Der Vorſitzende erhält außerdem Repräſentationsgelder 
zum Satze von 50 000 Franken jährlich. Dieſe Ausgaben hat die Regierungs- 
kommiſſion aus den örtlichen Einnahmen des Saarbeckengebietes zu beſtreiten. Aus 
dieſen Einnahmen hat die Kommiſſion auch alle Ausgaben zu decken, die von ihr 
oder von einem ihrer Mitglieder in Ausübung amtlicher Tätigkeit (wie Büroauslagen, 
Reiſekoſten, Gehalt des Perſonals, Telegrammgebühren uſw.) gemacht werden. 

Der Generalſekretär des Völkerbundes wird aus den allgemeinen Fonds des 
Völkerbundes vorläufig die zur Beſtreitung der vorſtehend ausgeführten Aufgaben 
erforderlichen Summen vorſchießen und mit der Regierungskommiſſion darüber ab— 
rechnen, nachdem dieſe die Vermögensmaſſen und Einkünfte des Saargebiets über- 
nommen hat. 

VIII. Die Regierungskommiſſion hat dem Völkerbunde durch Vermittelung des 
Generalſekretärs Bericht zu erſtatten, damit der Völkerbund über alle Fragen unter— 
richtet iſt, die für ihn von Bedeutung ſind. Die Kommiſſion hat dem Völkerbunde 
Vorſchläge über Form und Umfang der Berichte zu unterbreiten, die ſie dem Bund 


zu erſtatten hat. 4 
Nr. 35. 
Proklamation der Regierungskommiſſion des Saargebiets anläßlich 
ihres Dienſtantritts. 
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſton des Saargebiets, Nr. 1 vom 17. April 1920.) 


An die Bewohner des Saargebiets! 


Kraft des Friedensvertrags von Verſailles tritt die Regierungskommiſſion am 
heutigen Tage ihr hohes Amt an. 

Im Namen des Völkerbundes, der fie eingeſetzt hat, wird fie das Gebiet des 
Saarbeckens verwalten und daſelbſt die gleiche Regierungsgewalt ausüben, welche 


6 


— 


up n r eren 
e a Lern Ar N u SER 
* Bar, ee ne > ? > 
* — 8 


en Le 


ehedem dem Deutſchen Reiche, Preußen und Bayern zuſtand. Die Regierungs- 
kommiſſion iſt feſt entſchloſſen, die Beſtimmungen des Verſailler Vertrags genaueſtens 
auszuführen, aber auch von jedermann befolgen zu laſſen, und zwar ſowohl dem 
Buchſtaben wie dem Geiſte nach. Sie erachtet es zunächſt als ihre Pflicht, ſich das 
Vertrauen der Bevölkerung, deren Geſchicke in ihre Hände gelegt ſind, zu verdienen. 

Ihre feſte Abſicht geht ferner dahin, die Ordnung und die Ruhe im ganzen 
Umfange des Saargebiets aufrechtzuerhalten. Unter der hohen Aufſicht der 
Regierungskommiſſion werden die Einwohner ihre gewohnten örtlichen Tagungen ab— 
halten, ihre religiöſen Freiheiten ausüben, ihre Vereine, ihre Schulen und ihre 


Sprache beib halten können. Die Sicherheit der Perſon und des Eigentums werden 


ſich des kräftigſten Schutzes erfreuen. | 
In der gleichen Weiſe, in der die Regierungskommiſſion von dem Bewußtfein 


ihrer Pflichten durchdrungen iſt, iſt fie auch geſonnen, ihrer Autorität Achtung zu 


verſchaffen und alle Beſtrebungen, von wo ſie auch nur immer kommen mögen, die 
Bevölkerung zu beunruhigen oder ſie zu Fehltritten zu verleiten, unnachſichtig zu 
unterdrücken. Der Friedensvertrag hat ſie keineswegs wehrlos dahingeſtellt. Die 
Rechte, die er ihr verlieh, ſetzen ſie ſehr wohl in den Stand, ſich ihrer hohen Auf— 
gabe zu widmen, ohne auch nur im geringſten ſich durch etwaige eitle oder gar ver— 
brecheriſche Auflehnungen beeinträchtigen zu laſſen. Indem ſie ſich von den gleichen 
Grnndſätzen leiten laßt, denen auch der Völkerbund entſprang, iſt fie gewillt, der 
Bevölkerung mit den Gefühlen bereitwilligen Entgegenkommens näherzutreten. 
Andererſeits geht ihr Beſtreben dahin, die reichen Hilfsquellen des Landes wieder 


herzuſtellen und Ruhe in die Gemüter der Bevölkerung zu bringen. Es iſt ihr 


keineswegs entgangen, daß während einer allzulangen Periode des Übergangs und 
unfertiger Verhäliniſſe anſehnliche Intereſſen geſchädigt wurden. Die Regierungs⸗ 
kommiſſion hat ſich vorgenommen, eine feſte wohlgeordnete Regierung ins Leben zu 
rufen und genau darüber zu wachen, daß das Land eine tüchtige Verwaltung erhalte. 

Schon iſt ihre Auſmerkſamkeit durch einige beſonders dringliche Angelegenheiten 
in Anſpruch genemmen worden. So wird ſie es ſich beſonders angelegen ſein laſſen, 
unverzüglich den Beantwortung gewiſſer Finanz-, Zoll- und Handelsfragen näher⸗ 
zutreten, die mit Recht den Einwohnern des Saargebiets am Herzen liegen. Sie 
wird niemals ein Ausbeutung der Bewohner des Saargebiets dulden oder es zu— 
laſſen, daß fie bezüglich der Entlohnung ihrer Arbeit irgendwie benachteiligt werden. 

Die Regierungskemmiſſion wird des weiteren ganz beſonders ihr Augenmerk 
auf die Förderung der Induſtrie und auf die Hebung der Lage der Arbeiter richten. 
Mit allen ihr zu G bote ſtehenden Kräften wird fie dahin ſtreben, die Produktion 
zu erhöhen und den Angeſtellten und Arbeitern alle jene Vorteile zu verſchaffen, die 
mit der Einhaltung wohlgeordneter Betriebe vereinbar find Von dieſem Geſichts— 
punkte aus wird ſie die von den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden geäußerten 
Wünſche berückſichtigen, und zwar im Einklang mit den Grundſätzen des Völker⸗ 
bundes. Was dieſen Punkt betrifft, weiß ſie ſich übrigens eines Sinnes mit der 
franzöſiſchen Bergbehörde. Frantreich ſichert fie in dieſer Hinſicht eine unbeſchränkte 
Betriebsfreiheit zu, und zwar genau in der durch den Friedensvertrag vorgeſchenen 
Weiſe. In der Ausübung des hohen, ihr übertragenen Amtes zählt die Regierungs— 
kon miſſien auf die rückhaltloſe Mitwirkung der Bevölkerung, deren materielles Wohl- 
ergehen vielfach von ihrem ruhigen Verhalten und dem an den Tag gelegten guten 
Willen abhängen wird. 

Auf dieſe Weiſe wird es den Bewohnern des Saarlandes gegeben fen, zugleich 
ihrem Vertrauen zum Völkerbund Ausdruck zu geben und dem Friedensvertrag den 
gebührenden Echoriem zu zeigen. Durch die erwieſene Ausdauer Lei der Arbeit, 
und zwar in allen Betrieben, den ländlichen wie den induſtriellen, werden ſie am 
wirtſchaftlichen Wiederaufbau Europas großen Anteil haben. Sie werden es ſich zur 
Ehre amechnen die Erundſätze der internationalen gegen ſeitigen Arbeitsergänzung zu 
verwirklichen, welche in der Satzung zum Völkerbund zum Ausdruck kommen. 


A 
* wi. 
a ei 


8 


Das ſind die Richtlinien, von denen ſich die Regierungskommiſſion allezeit leiten 


 Taffen wird. Sie iſt entſchloſſen, unter der loyalen Mitwirkung der Bevölkerung im 


Saargebiet den Geiſt der Ordnung, der Freiheit und der Gerechtigkeit walten zu 
laſſen, andererſeits aber auch das Wohlergehen und die perſönliche Sicherheit der 
Einwohner zu gewährleiſten und ihren Rechten Achtung zu verſchaffen. 


Geſchehen zu Saarbrücken, den 26. Februar 1920. 


Im Namen der Regierungskommiſſion: 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


Nr. 36. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker— 
bundsrat vom 25. März 1920. 
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 3, S. 10 f.) 
(berſetzung.) 


Übernahme der Regierungsgewalt und offizieller Einzug 
in Saarbrücken. 


| Nachdem die Kommiſſion dieſe einleitenden Beſchlüſſe (d. h. Verteilung der Ge- 

ſchäfte unter die einzelnen Mitglieder und Wahl der Hauptſtadt) gefaßt und eine 
ſchleunige Prüfung der Lage vorgenommen hatte, beſchloß ſie, am 26. Februar die 
Regierungsgewalt zu übernehmen und am ſelben Tage ihren offiziellen Einzug in Saar- 
brücken zu halten. Nach Empfang durch die Behörden der militäriſchen Beſatzung 
und den Bürgermeiſter auf dem Bahnhof hat ſie ſich nach dem Landratsamt begeben, 
wo der Sitz der Regierung errichtet werden wird. Abordnungen der Beamten und 
der in dem Gebiet beſtehenden Körperſchaften haben ihr ihre Aufwartung gemacht 
und ihr das Verſprechen loyaler Mitarbeit abgegeben. 

In den Antworten, die der Präſident ihnen erteilte, entwickelte er die Grund 
fäte, die in einer Proklamation auseinandergeſetzt waren, die die Kommiſſion am 
Vorabend hatte anſchlagen und in allen Zeitungen des Gebiets abdrucken laſſen. 
(Dieſe Proklamation iſt dem Generalſekretär des Völkerbundes mitgeteilt worden; 
eine Abſchrift iſt dem gegenwärtigen Bericht beigefügt.) Die Kommiſſion beſtätigte 
hierin ihren Willen, das Land im Namen des Völkerbundes zu regieren und ſich von 
den in der Völkerbundsſatzung dargelegten Grundſätzen leiten zu laſſen, allen Beſtimmungen 
des Vertrags von Verſailles Achtung zu verſchaffen und keine andere Sorge zu haben 
als das Wohlergehen der Bevölkerung, deren Schickſal ihr anvertraut wurde. f 

Es war um ſo notwendiger, den Bewohnern des Gebiets dieſe Verſicherungen 
zu geben, als ſie ſchon lange die Ankunft der Regierungskommiſſion erwartet hatten 
und große Hoffnungen auf fie ſetzten ...... 


Nr. 37. 5 


Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets 
vom 27. Februar 1920. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz 
als Reichskommiſſar für die Über 
gabe des Saargebiets. 

Nr. S. 74. 


Dem Regierungsausſchuß des Saargebiets beehre ich mich unter Beifügung 
einer be laubigten Abſchrift meiner Beſtallung als Reichskommiſſar für die Übergabe 
des Saargebiets und mit dem ergebenſten Bemerken, daß die Vorlage der Original— 
beſtallung in der erſten demnächſt wohl zu erwartenden Verhandlung zur Eröffnung 


6 * 


Coblenz, den 27. Februar 1920. 


. 


der Übergabegeſchäfte geſchehen wird, in der Anlage einige Vorſchläge zu unterbreiten, 
die, im Hinblick auf den Regierungsantritt des Regierungsausſchuſſes und der damit 
nunmehr entſprechend dem Friedensvertrage durchzuführenden Maßnahmen zum Schutze 


der Rechte und der Wohlfahrt der Bevölkerung des Saargebiets, wünſchenswert und 


nützlich erſcheinen möchten. 


Des weiteren beehre ich mich ergebenſt die Bitte vorzutragen, mir die Errichtung 
eines Büros in kleinem Umfange in Saarbrücken zu geſtatten, das beſonders und 
hauptſächlich mit ſeinen Arbeiten der Ordnung und Regelung derjenigen Fragen 
dienen ſoll, die mit der Übergabe des Beamtenkörpers, der Feſtſtellung der Rechte 
und Pflichten der Beamten und mit der Auseinanderſetzung zwiſchen dem gemäß dem 
Friedensvertrag auf 15 Jahre abgetretenen Saargebiete und dem übrigen Deutſchland 
in finanzieller Beziehung zuſammenhängen. Dieſe beiden Aufgaben werden ſicher zu 
den umfangreichſten und am eingehendſten zu erörternden Aufgaben des Übergabe- 
geſchäfts gehören und es wäre mir eine außerordentliche Erleichterung, ſowohl im 
Intereſſe der Bevölkerung als auch einer ſchnellen Abwicklung dieſer Aufgaben, wenn 
die Zuſammenſtellung und Klärung der mannigfach aufgetretenen Wünſche einerſeits 
und der Verrechnung, Auseinanderrechnung und Trennung der verſchiedenen Kaſſen, 
Budgets und Vermögensmaſſen (Reich, Staaten, Provinz, Kreiſe, Kommunen) anderer- 
ſeits in den vorbereitenden Stadien in unmittelbarer Nähe der Intereſſenten aus dem 
Saargebiet und des Regierungsausſchuſſes bewirkt werden könnten. 


In der dem Herrn Präſidenten der Friedenskonferenz in Paris durch Freiherrn 
von Lersner überreichten Note der Deutſchen Regierung vom 22. Januar d. J. war 
außer der Mitteilung meiner Ernennung zum Reichskommiſſar des weiteren die Bitte 
ausgeſprochen worden, mir und meinem Hilfsperſonal für die die Übergabe des 
Saargebiets betreffende Tätigkeit die Befreiungen und Vorrechte diplomatiſcher Ver⸗ 
treter zuzuerkennen und mir insbeſondere die ungehinderte zenſurfreie Benutzung von 
Poſt, Telegraph und Telephon ſowie den freien Verkehr durch chiffrierte und nicht— 
chiffrierte Dienſttelegramme und durch Kuriere mit den Zentralbehörden in Berlin 
und München zu ermöglichen. Im Hinblick auf den letzteren Inhalt der Note teilte 
der Herr Präſident der Friedenskonferenz am 31. Januar d. J. der Deutſchen 
Friedensdelegation mit, daß der Regierungsausſchuß des Saargebiets ſelbſt nach ſeiner 


Ernennung die genannte Note beantworten würde. Die oben inhaltlich vorgetragene 


Bitte der Note bezüglich der diplomatiſchen und anderen Vorrechte und Befreiungen 
beehre ich mich aus Gründen der Zweckmäßigkeit und des ſchnelleren und reibungs⸗ 
loſen Verkehrs und Übergabegeſchäftes noch dahin zu erweitern, daß dieſe Rechte uſw. 
mir und meinem Hilfsperſonal auch für den Verkehr mit dem Regierungsausſchuß 
ſelbſt als auch mit dem oben erbetenen Büro in Saarbrücken, ſofern der Regierungs⸗ 
ausſchuß deſſen Errichtung genehmigen ſollte, anerkannt werden möchten. 


Als Hilfsperſonal kommen in Betracht: 
1. Herr Oberregierungsrat Dr. von Gal, 
„2. Herr Regierungsrat Dr. Bacmeiſter, 
3. Herr Legationsſekretär Dr. Rühl, 
4. ein Kurier, 
5. ein Dolmetſcher. 


Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 

Hochachtung 
ganz ergebenſt 
gez. von Groote. 

An 

den Herrn Präſidenten des Regierungsausſchuſſes des Saargebietes, 
Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


A 
8.07 
4 2 
j . * * * A 
* c Eee 


a 


Nr. 38. 


Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets vom 
| 27. Februar 1920. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz 


als Reichskommiſſar a 4 
für die Übergabe des Saargebiets. Coblenz, den 27. Februar 1920. 
Nr. S. 74. 


Bei dem nunmehr erfolgten Antritt der Regierung des Saargebiets durch den 
Regierungsausſchuß will ich ergebenſt nicht ermangeln, die Aufmerkſamkeit des 
Regierungsausſchuſſes auf die Möglichkeit hinzuweiſen, durch eine Amneſtie das 
ſchwere Los der Bevölkerung des Saargebiets zu erleichtern und ihr neue Hoff— 
nungsfreudigkeit in ihren mancherlei Nöten durch eine Tat zuzuführen, die ſie mit 
Vertrauen und neuem Mute erfüllen würde. 

Auch die weitergehende Bitte, in dieſe Amneſtie alle diejenigen Perſonen einzu— 
beziehen, die im Wege der militäriſchen Ausweiſung Heimat, Amt und Beruf auf— 
geben mußten, erlaube ich mir aus dem einzigen Grunde, Sorgen und Nöte der Be— 
treffenden zu erleichtern und ihr Schickſal günſtiger zu geſtalten, ergebenſt vorzutragen. 
Ebenſo beehre ich mich auch den Regierungsausſchuß auf die Notwendigkeit der Bitte 
hinweiſen zu dürfen, die vorläufige Weiterarbeit derjenigen Behörden und Korpora— 
tionen des Saargebiets zu genehmigen und zu ermöglichen, die in direkter Fühlung— 
nahme mit den entſprechenden Behörden des übrigen Deutſchlands — es kommt 
zumeiſt die Regierung in Trier in Frage — die Sicherſtellung und Durchführung 
des Lebensmittelbezuges, der Fleiſchbewirtſchaftung, der Kartoffelbelieferung der Be— 
ſatzungstruppen und die Weiterzahlung der Beamtengehälter, Penſionsgebührniſſe und 
Verſicherungsgelder zur Aufgabe haben. Sollte dieſe Genehmigung nicht erteilt 
werden, ſo wäre es nur möglich, die diesbezüglichen Arbeiten über meine Perſon zu 
erledigen, wodurch mannigfache Verzögerungen und Erſchwerungen der Bevölkerung 
des Saargebiets auch beim beſten Willen kaum erſpart werden könnten. 

Genehmigen, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten Hoch— 
achtung, 

| ganz ergebenſt 
gez. von Groote. 

An f 
den Herrn Präſidenten des Regierungs- Ausſchuſſes 

des Saargebiets, Hochwohlgeboren. 
Saarbrücken. 


Nr. 39. 
Note der deutſchen Regierung vom 4. März 1920. 


Auswärtiges Amt. 


Nr. F. P. 2661. Berlin, den 4. März 1920. 


Herr Vorſitzender! 


Der Herr Generalſekretär des Völkerbundes hat dem Herrn Reichskanzler mit 
Schreiben vom 14. Februar 1920 mitgeteilt, daß der Völkerbundsrat am 13. Februar 
4 Mitglieder des Regierungsausſchuſſes für das Saargebiet ernannt und Euere Exzellenz 
zum Vorſitzenden dieſes Ausſchuſſes beſtimmt hat. 

Mit Beziehung auf dieſes Schreiben beehre ich mich, Euerer Exzellenz mitzuteilen, 
daß die Deutſche Regierung im Einvernehmen mit der Preußiſchen und der Bayeriſchen 
Regierung den Oberpräſidenten der Rheinprovinz, Herrn von Groote in Coblenz, zum 


le] Sage 


Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets ernannt und ihn bevollmächtigt 
hat, im Namen des Reichs über Fragen, die mit dem Übergang der Regierungs— 
befugniſſe auf den vom Völkerbundsrat ernannten Regierungsausſchuß in Zuſammen⸗ 
hang ſtehen, mit dem Regierungsausſchuß Verhandlungen zu führen und vorbehaltlich 
der Genehmigung durch die Deutſche Regierung Abmachungen aller Art zu treffen. 


Der Reichskommiſſar von Groote iſt angewieſen worden, ſich zwecks ſofortiger 
Eröffnung der Verhandlungen mit dem Regierungsausſchuß für das Saargebiet in 
Verbindung zu ſetzen. 


| Indem ich vorſtehendes zur Kenntnis Euerer Exzellenz bringe, bitte ich, dem 
Reichskommiſſar von Groote und feinem Hilfsperſonal für ihre die Übergabe des 
Saargebiets betreffende Tätigkeit innerhalb des Saargebiets dieſelben Befreiungen 
und Vorrechte wie diplomatiſchen Vertretern zuzuerkennen und ihnen insbeſondere die 
ungehinderte, zenſurfreie Benutzung von Poſt, Telegraph und Telephon ſowie den 
freien Verkehr durch offene und chiffrierte Dienſttelegramme und durch Kuriere mit 
den Zentralbehörden in Berlin und München zu geſtatten. Auch bitte ich veranlaſſen 


zu wollen, daß Herrn von Groote und ſeinem Hilfsperſonal in dem beſetzten Gebiet 


von ſeiten der Beſatzungsbehörden dieſelben Vergünſtigungen zugebilligt werden. 
gez. Müller. 


An 


den Regierungsausſchuß für das Saargebiet, 
zu Händen des Herrn Vorſitzenden, Staatsrats Rault, 


Saarbrücken. 
Re USE Nr. 40. 
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 10. März 1920. 
(Aberſetzung.) ER 


Regierungskommiſſion des Saargebiets. 
Der Präſident. 


Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saarbeckengebiets, 


an 
Herrn von Groote, Oberpräſident der Rheinprovinz, 


Coblenz. 


Wie ich Eurer Exzellenz unterm 5. März 1920 mitzuteilen die Ehre hatte, hat 
die Regierungskommiſſion Ihr Schreiben vom 27. Februar 1920 ſowie ein Schreiben 
des Herrn Reichsminiſters des Auswärtigen vom 4. März 1920 erhalten. 


Sie nimmt Kenntnis von der ihr durch dieſe Schreiben gemachten Entſcheidung 
über die Ernennung Eurer Exzellenz zum Reichskommiſſar für die Übergabe des 
Saargebiets. 3 


Die Kommiſſion legt Wert darauf, ſchon jetzt feſizuſtellen, daß ſie mit einem 
Vertreter des Deutſchen Reichs keine Verhandlungen über die Übergabe der Regierungs⸗ 
befugniſſe im Saarbeckengebiet zu führen hat. Der Vertrag von Verſailles ſieht in 
dieſer Beziehung keine Verhandlungen vor, wohl aber eine gewiſſe Anzahl von Ver⸗ 
pflichtungen zu Laſten Deutſchlands. Der Reichskommiſſar ſoll insbeſondere der 
Regierungskommiſſion alle amtlichen Urkunden und Archive zur Verfügung ſtellen, 


Saarbrücken, den 10. März 1920. £ 


von denen in § 20 der Anlage zu Abſchnitt IV Teil III des Vertrags geſprochen 


wird. Die Regierungskommiſſion beehrt ſich demnach Eure Exzellenz zu bitten, dieſe 


1 


ö Urkunden herbeizuziehen und ihr mitzuteilen, an welchem Tage ſie ſie übernehmen 


kann. Sie behält ſich das Recht vor, ſpäter alle Urkunden zu verlangen, die ihr 
notwendig find. 


Die Kommiſſion glaubt ferner Eure Exzellenz darauf hinweiſen zu ſollen, daß 
gemäß § 19 der Anlage die Beam ſen und Körperſchaften im Saargebiet lediglich ihr 
unterſtehen. Sie allein kann ſie ernennen, abberufen und ihnen neue Dienſt tellungen 
verleihen. Die Beamten und Köͤrperſchaften dürfen demnach Beziehungen mit den in 
Frage kommenden Behörden Deutſchlands nur durch Vermittlung der Regierungs- 
kommiſſion unterhalten. 

Unter dieſen Umſtänden erſcheint es der Kommiſſion nutzlos und unzweckmäßig , 
der Errichtung eines Büros in Saarbrücken, um die Eure Exzellenz nachgeſucht haben, 
. e Gewiſſe Fragen techniſcher Art werden Aufklärung und Mithilfe ſeitens 

r deutſchen Behörden notwendig machen; die Regelung dieſer Fragen wird durch 
Vertreter erfolgen können, die die Kommiſſion nach Coblenz zu Eurer Exzellenz ent 
ſenden würde. 

Ich bitte Eure Exzellenz, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung 
zu genehmigen. 

2 Namens der Regierungskommiſſion: 


Der Präſident, Staatsrat 
gez. V. Rault. 


Nr. 41. 
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 11. März 1920. 
(Aberſetzung.) 


Regierungskommiſſion des Saargebiets. 
| Der Präſident. RE | 
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saarbeckengebiets, 

95 an | | | | 
den Herrn Reichsminiſter des Auswärtigen: 


i Saarbrücken, den 11. März 1920. 


Berlin. 
Herr Miniſter! 


Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang des Briefes zu beſtätigen, durch den 
Eure Exzellenz mir die Ernennung des Herrn von Groote, Oberpräſidenten der Rhein— 
provinz, zum Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets angezeigt haben. 


Herr von Groote hat ſchon vorher der Kommiſſion eine beglaubigte Abſchrift 
ſeiner Beſtallungsurkunde überſandt und im Begleitſchreiben zu dieſer Urkunde eine 
gewiſſe Anzahl von Vorſchlägen formuliert. 


Ich übermittle in der Anlage Eurer Exzellenz Abſchrift der Antwort, die die 
Regierungskommiſſion an Herrn von Groote zu ſenden beſchloſſen hat. 


Ich bitte Eure Exzellenz die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung 
zu genehmigen. 
Namens der Regierungskommiſſion des Saarbeckengebietes: 


Der Staatsrat, Präſident 
gez. V. Rault). 


) Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 40 wiedergegebenen Note beigefügt. 


Nr. 42. 


Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets vom 
10. März 1920. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz 
als Reichskommiſſar für die Übergabe des Coblenz, den 10. März 1920. 
Saargebiets. 


Herr Präſident! 


Ich habe die Ehre, den Empfang des Schreibens vom 5. März 1920 zu be⸗ 
ſtätigen, mit dem in Ihrer Vertretung Herr Graf Moltke die Güte hatte, mir den 
Eingang meines Schreibens vom 27. Februar 1920 anzuzeigen und deſſen Vorlage 
in der erſten Beratung der Regierungskommiſſion in Ausſicht zu ſtellen. 


Ich nehme ergebenſt Bezug auf mein vorerwähntes Schreiben vom 27. Februar 
und weiter auf das Schreiben des Auswärtigen Amts, Friedensabteilung, in Berlin 


vom 4. d. M. — b di —, betreffend Mitteilung meiner Ernennung zum 


Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets, und beehre mich nunmehr, die 
Bitte auszuſprechen, mir recht bald mitteilen zu wollen, wann und wo die Ver⸗ 
handlungen über die Übergabe eröffnet werden können. Eine alsbaldige Einleitung 
würde inſofern dringend wünſchenswert ſein, als am kommenden 1. April der Termin 
für die Zahlung der Gehälter, Teuerungszulagen und ſonſtigen Bezüge der geſamten 
Beamtenſchaft des Saargebiets und für die Überweifung von Staatszuſchuͤſſen an 
Kommunalverbände bevorſteht und von einer etwaigen Fortſetzung dieſer pränumerando 
erfolgenden Zahlungen eine gewiſſe Klärung ihrer Bedingungen, insbeſondere eine 
Regelung der die Beamten betreffenden Fragen im Intereſſe aller Beteiligten geboten 
ſein dürfte. | 


Wenngleich ich es Ihnen, Herr Präſident, ergebenft überlaffe, den Ort für die 
Verhandlungen zu beſtimmen, ſo möchte ich es ſchon mit Rückſicht auf die beſſere 
Möglichkeit des Unterkommens und die leichte Erreichbarkeit doch nicht unterlaſſen, 
Ihre Aufmerkſamkeit auf die Stadt Trier zu lenken, die zudem als Sitz der früher 
für das Saargebiet in Frage kommenden Regierungsgewalt manche günſtige Vor⸗ 
bedingungen (Kartenmaterial, Akten, Statiſtik uſw.) bietet. 


Ich darf zum Schluß darauf hinweiſen, daß es der Beſchleunigung der Zuſtellung 
an mich gerichteter Schriftſtücke dienen würde, wenn dieſen nicht meine perſönliche, 
ſondern meine amtliche Adreſſe, wie folgt, gegeben würde: . 


An den Herrn Oberpräſidenten der Rheinprovinz 


als Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets, 
Coblenz. 


Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch⸗ 
achtung. 


Ganz ergebenſt 
gez. von Groote. 


An 


den Präſidenten des Regierungsausſchuſſes des Saargebiets, 
Herrn Staatsrat Rault, Hochwohlgeboren, in Saarbrücken. 


Nr. 43. 


Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets 
| vom 15. März 1920. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz 
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 15. März 1920. 
des Saargebiets. 


Herr Präſident! 


Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 10. März 1920 
zu beſtätigen, in dem Sie zu gewiſſen Vorſchlägen Stellung nehmen, die ich mir erlaubt 
hatte, Ihnen mit meinem Schreiben vom 27. Februar 1920 S. 74 zu unterbreiten. 


Wie ich aus der mir erteilten Antwort entnehme, muß ich fürchten, in den Ab— 
ſichten, die mich bei jenen Vorſchlägen leiteten, mißverſtanden worden zu ſein. Ich 
beeile mich daher, dem Inhalt meines vorerwähnten Schreibens in dieſer Hinſicht eine 
Erläuterung zu geben. 


Es iſt nicht meine Abſicht geweſen und konnte nicht meine Abſicht ſein, bezüglich 
der Übertragung der Regierungsgewalt im Saargebiet mit der Regierungskommiſſion 
in Verhandlungen zu treten, da die Übertragung der Regierungsgewalt auf die 
Kommiſſion im Friedensvertrage begründet und inzwiſchen eine vollendete Tatſache 
mr iſt. Auch hat es mir fern gelegen, über den Umfang oder die Grenzen 
er der Regierungskommiſſion übertragenen Befugniſſe Erörterungen herbeizuführen. 
* bin ich mir klar darüber, daß die Regierungskommiſſion, wie § 19 der 

nlage zu Artikel 50 des Friedensvertrags beſagt, im Saarbeckengebiete alle Regierungs— 
gewalt beſitzt, die früher dem Deutſchen Reiche, Preußen und Bayern zuſtand, mit 
Einſchluß des Rechtes, Beamte zu ernennen und abzuſetzen. Es kann für mich auch 
demnach nicht in Frage kommen, mit Behörden oder Beamten des Saargebiets ohne 
Vermittelung der Regierungskommiſſion Beziehungen unterhalten zu wollen. | 


Wie Sie, Herr Präſident, in Ihrem Schreiben aber ſelbſt ausführen, wird die 
Regierungskommiſſion bei Einrichtung der Verwaltung des Saargebiets immerhin nicht 
umhin können, in Fragen techniſchen Charakters Aufklärungen ſeitens der deutſchen 
Behörden entgegenzunehmen und ihre Intervention in Anſpruch zu nehmen. Hier— 
durch wird, wie mir ſcheint, den deutſchen Behörden eine Aufgabe geſtellt, die über 
die Erfüllung der Verpflichtung zur Auslieferung der amtlichen Urkunden und Archive, 
wie ſie § 20 der Anlage zu Artikel 50 des Friedensvertrags vorſchreibt, in nicht un— 
erheblichem Maße hinausgeht. Ich darf, um nur ein Beiſpiel zu nennen, darauf 
hinweiſen, daß ſich im gegenwärtigen Augenblick Fragen vermögensrechtlicher und 
finanzieller Art erheben, die verwickelter Natur ſind und ohne Mitwirkung der bis— 
herigen deutſchen hear preußiſchen und bayeriſchen Verwaltung nur ſchwer ihrer Löſung 
zugeführt werden dürften. 


Einer Intervention der beteiligten deutſchen Verwaltungen wird es insbeſondere 
bedürfen, um den Übertritt der im Saargebiet noch tätigen deutſchen, preußiſchen 
und bayeriſchen Beamten in den Dienſt der Regierungskommiſſion herbeizuführen und 
über die von dieſen Beamten für ihren Übertritt aufgeſtellten Bedingungen eine Ver— 
einbarung zu erzielen. Denn darüber dürfte kein Zweifel beſtehen, daß die zur Zeit 
im Saargebiet dienſttuenden Beamten, die von ihren Heimatregierungen ernannt und 
angeſtellt ſind, in ſtaats⸗ und völkerrechtlicher Hinſicht ihre Eigenſchaft als Beamte 
des Deutſchen Reiches, Preußens und Bayerns durch die bloße Tatſache des Regierungs— 
antritts der Kommiſſion nicht verloren haben, daß es vielmehr eines beſonderen Aktes 
ihrer Heimatregierungen bedürfen wird, um fie aus dem heimiſchen Beamtenver— 
hältnis zeitweiſe zu entlaſſen oder zu beurlauben, und eines weiteren nachfolgenden 
Aktes der Saarregierung, um ſie zu Beamten des Saargebietes zu ernennen. Jeden— 


a 


falls ift dies nicht nur die Auffaſſung der beteiligten deutſchen Regierunger, ſondern 
vor allem auch diejenige der in Frage kommenden Beamten und Angeſtellten ſelbſt. 
Dieſe haben in Eingaben und Erklärungen ihren vorgeſetzten Behörden gegenüber 
keinen Zweifel darüber gelaſſen, daß ſie nur dann gewillt ſind, unter den ver— 
änderten politiſchen Verhältniſſen ihren Dienſt im Saargebiet fortzuſetzen, wenn die 
neue Regierung ihnen für ihre materielle und ideelle Stellung und für gewiſſe ſoziale 
und politiſche Freiheiten volle Sicherheiten bietet. Dieſe Forderungen nach Mög— 
lichkeit zu erfüllen, wird im Intereſſe der Saarregierung ſelbſt liegen, der die Siche— 


rung der Rechte und die Wohlfahrt der Bevölkerung des Gebietes als Mandatar 


des Völkerbundes anvertraut iſt. Um eine entſprechende, allſeits befriedigende Rege— 
lung herbeizuführen, wird eine weitgehende techniſche Aufklärung der deutſchen 
Beamtenverhältniſſe und die loyale Vermittlung der deutſchen Zentralbehörden nicht 
zu entbehren ſein, und ich muß nach den mir erteilten Weiſungen es als eine 
meiner weſentlichſten Aufgaben betrachten, hierbei als Bevollmächtigter der deutſchen 
Reichs- und preußiſchen Staatsregierung mitzuwirken. 


Da die hiernach erforderlichen Erörterungen ebenſo wie die Verſtändigungen 
über zahlreiche andere Verwaltungsfragen aller Vorausſicht nach mit nicht unerheb⸗ 
licher Arbeit verbunden ſein werden, hatte ich in Ausſicht genommen, ein beſonderes 
Büro zu errichten, das den Zweck hätte, die Verhandlungen in techniſcher Beziehung 


vorzubereiten und zu erleichtern. Meine Abſicht war, dieſes Büro lediglich mit 


einem Sekretariatsbeamten zu beſetzen, dem keinerlei Vollmacht zu ſelbſtändigen Ver⸗ 
handlungen übertragen werden ſollte. Als Ort für die Errichtung dieſes Büros 
habe ich die Stadt Saarbrücken nur deshalb genannt, weil ich annahm, daß die 
Einrichtung dort im Falle von Verhandlungen in Saarbrücken von Nutzen ſein könnte, 
und daß wohl auch die Regierungskommiſſion die Möglichkeit begrüßen möchte, 
gewiſſe büromäßige Auskünfte an Ort und Stelle erhalten und ſozuſagen außer⸗ 
amtlich mit dem deutſchen Kommiſſar in Fühlung ſtehen zu können. Ich nahm 
nunmehr davon Kenntnis, daß dieſe Einrichtung den Wünſchen der Regierungs⸗ 
kommiſſion nicht entſpricht, und behalte mir vor, falls eine Anregung dazu ergehen 
ſollte, mir in anderer Weiſe die geſchäftsmäßige Förderung der Beit 
angelegen ſein zu laſſen. 


Die mir kundgegebene Geneigtheit der Regierungskommiſſion zur Abwicklung 
der entſtehenden Fragen Vertreter nach Coblenz zu entſenden, kann ich nur dankbar 
begrüßen. Ich verfehle jedoch nicht zu bemerken, daß ich pflichtgemäß auch an jedem 
anderen Ort zu Beſprechungen zur Verfügung ſtehe, den vorzuſchlagen die Regierungs- 
kommiſſion für gut finden wird. Ich darf in dieſem Zuſammenhang auf mein 
Schreiben vom 10. März 1920 S. 88 Bezug nehmen. 


Was die Zurverfügungſtellung der amtlichen Schriftſtücke und Archive betrifft, 
ſo dürfte deren Übergabe zweckmäßig für jeden Verwaltungszweig geſondert unter 
Hinzuziehung der leitenden Beamten der betreffenden Behörde erfolgen. Sobald die 
ſeit längerer Zeit begonnenen Vorbereitungen hierzu abgeſchloſſen ſein werden, werde 
ich unverzüglich der Regierungskommiſſion betreffs Zeit, Ort und e ee 
Übergabe geeignete Vorſchläge unterbreiten. 


Genehmigen Sie, Herr Präſident, die daha meiner waagen 
Hochachtung. 
gez. von Groote. 


An 


den Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
Herrn Staatsrat Rault, Hochwohlgeboren. 


Saarbrütken 


2 | | 


VII. 
Staatsangehörigkeit und Intereſſenvertretung. 


Nr. 44. 


Schreiben des franzöſiſchen Militärverwalters von Homburg an den 
Bezirksamtmann von Homburg. 


(Aberſetzung.) 


Administration Supérieure de la Sarre. 
Cercle de St. Ingbert. Homburg, den 8. März 1920. 
Annexe de Homburg. 


Leutnant Nagel, beauftragt mit der Militärverwaltung des Annexes Homburg, 


an 
den Herrn Bezirksamtmann von Homburg. 


Ich bitte Sie, den Bürgermeiſtern und Polizeidirektoren der zum Saargebiet 
gehörigen Gemeinden des Bezirks Homburg folgende Vorſchriften, die fortab anzu— 
wenden ſind, mitzuteilen 

1. Auf den Perſonalausweiſen iſt die Bezeichnung »Preuße« oder »Deutfcher« 
oder »Bayer« oder »Pfälzer« uſw. durch die Bezeichnung »Saarländer« (Sarrois) 
zu erſetzen, ſoweit es ſich um Bewohner des Saargebiets handelt. 

In bezug auf den Verkehr ſind unter Saarländern alle Perſonen zu verſtehen, 

50 im Saargebiet vor dem 2. Auguſt 1914 wohnten und kein Regierungsamt inne— 
atten. | ; 

2. Das Lichtbild auf dem Perſonalausweis ift immer mit dem Stempel der 
Polizei oder des Bürgermeiſteramts zu verſehen, bei dem der Perſonalausweis aus— 
geſtellt worden iſt. 
(Unterſchrift und Stempel.) 


Nr. 45. 


Schreiben des Bezirksamtmanns von Homburg an den franzöſiſchen 
Militärverwalter von Homburg vom 10. März 1920. 


Homburg, den 10. März 1920. 
An 


Herrn Leutnant Nagel, Militärverwalter des Annexes 
Homburg. 
Zum Schreiben vom 8. März 1920. 


Nach $ 27 der Anlage zu Art. 50 des Friedensvertrags wird die gegenwärtige 
Staatsangehörigkeit der Einwohner des Saarbeckens von den Beſtimmungen des 
Friedensvertrags nicht berührt. Daraus geht hervor, daß jeder ſeine bisherige Staats— 
angehörigkeit beibehält und es eine ſaarländiſche Staatsangehörigkeit nicht gibt. 

Wenn nun in den Reiſeausweiſen an Stelle der bisherigen Bezeichnung der 
Staaatsangehörigkeit der Ausdruck »Saarländer« aufgenommen werden ſoll, fo muß 
dies in der Bevölkerung ohne weiteres den Verdacht erwecken, als ob der Betreffende 
ſeine bisherige Staatsangehörigkeit verloren hätte. In der heutigen ſehr aufgeregten 
Zeit müßte eine derartige Anordnung ſehr große Unruhe hervorrufen. Ich möchte 
nicht verfehlen, auf dieſe ſchweren Folgen aufmerkſam zu machen, und möchte bitten, 


e eee 
TR 2 


dahin zu wirken, daß in den Reiſeausweiſen wenigſtens die bisherige Staatsan- 
gehörigkeit wie bisher eingetragen wird und dahinter in Klammer zu ſetzen iſt »Saar⸗ 
gebiet«. Es wäre dies rechtlich einwandfrei. Der Ausdruck Saarländer iſt nicht 
korrekt; denn da es keinen Saarſtaat gibt, gibt es auch keine Saarländer, ſondern 
nur Bewohner des Saargebiets. Im Intereſſe der Vermeidung von Unruhen und 
im Intereſſe der Aufrechterhaltung der Ruhe in der Bevölkerung erſuche ich nochmals 
dringend, eine Anderung der erlaſſenen Anordnung zu erwirken. ge 


(Unterſchrift.) 


Nr. 46. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion 
des Saargebiets vom 27. März 1920. 


Auswärtiges Amt. “ag 
ee: Berlin, den 27. März 1920, 
Herr Staatsrat! 


Wie mir von vertrauenswürdiger Seite mitgeteilt wird, weigern ſich die 
franzöſiſchen Behörden, Bewohner des Saargebiets in Perſonalausweiſen, die ſie 
ihnen ausſtellen, als preußiſche oder bayeriſche Staatsangehörige zu bezeichnen, ſondern 
tragen fie als »Sarrois« ein. u 

Da es nach $ 27 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Friedensvertrags ine 
ſaarländiſche Staatsangehörigkeit nicht gibt, die Bewohner des Gebiets vielmehr ihre l 
bisherige Staatsangehörigkeit behalten, nehme ich an, daß dem von den franzöſiſchen 
Behörden befolgten Verfahren ein Mißverſtändnis zugrunde liegt. ! 

Ich wäre Ihnen, Herr Staatsrat, zu Dank verpflichtet, wenn Sie für die 
baldige Beſeitigung dieſes Mißverſtändniſſes Sorge tragen wollten. 


Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 


gez. von Haniel. 
An 


den Regierungsausſchuß für das Saargebiet, 
zu Händen des Vorſitzenden, Herrn Staatsrats Rault, 


Saarbrücken. 
Nr. 47. | 
Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche 
| Regierung vom 6. April 1920. ö 
(berſetzung.) f 
Regierungskommiſſion des Saargebiets. 1 


Der Präſident. Saarbrücken, den 6. a 1920. 
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
an f 


den Herrn Reichsminiſter des Auswärtigen, 
Berlin. 
Indem ich Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 27. März 1920 (Nr. II 
S. G. 3, S. G. 8) beſtätige — und ohne auf feinen fachlichen Inhalt einzugehen —, 
beehre ich mich, Sie darauf hinzuweiſen, daß die Aufgabe, für den Schutz der 
Intereſſen der Bewohner des Gebiets zu ſorgen, durch den Vertrag von Verſailles 


ET — 


( 21 der Anlage zu Abſchnitt IV von Teil III) der Regierungskommiſſion und ihr allein 
übertragen worden iſt, weshalb dieſe keine Einmiſchung des deutſchen Auswärtigen 
Amts in die Frage, auf die Sie ihre Aufmerkſamkeit gerichtet haben, zulaſſen kann. 
r Ich benutze dieſe Gelegenheit, um zu Ihrer Kenntnis zu bringen, daß die 

Regierungskommiſſion als amtliche Überſetzung ihres Namens und des Titels ihres 


Präſidenten die Worte »Regierungskommiſſion« und »Präſident« unter 


Ausſchluß der Bezeichnungen »Regierungsausſchuß« und »Vorſitzende« angenommen 
hat. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Zukunft die von der Kommiſſion ge— 
wählten Bezeichnungen gebrauchen wollten, da die Kommiſſion durch die amtliche 
deutſche Überſetzung eines Friedensvertrags, von dem gemäß Artikel 440 nur der 
franzöſiſche und der engliſche Text maßgebend ſind, nicht gebunden werden kann. 
Genehmigen Sie, Herr Minifter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 
gez. V. Rault. 


Nr. 48. 


Note der franzöſiſchen Botſchaft in Berlin an die deutſche Regierung 
vom 9. Auguſt 1920. 
(berſetzung.) 
Franzöſiſche Botſchaft in Berlin. 
Nr. 258. 
Herr Miniſter! 

Da die Vertretung der ſaarländiſchen Auslandsintereſſen durch einſtimmigen, 
auf Grund von § 21 der Anlage zu Artikel 50 des Verſailler Vertrags gefaßten 
Beſchluß der Regierungskommiſſion des Saargebiets Frankreich übertragen iſt, beehre 
ich mich Eurer Exzellenz im Auftrage meiner Regierung namens der Regierungs- 
kommiſſion des Saargebiets von der Errichtung einer ſelbſtändigen Verwaltung der 
jaarländifchen Eiſenbahnen in Kenntnis zu ſetzen. 

In der Anlage finden Sie eine die neue Organiſation des Eiſenbahnnetzes des 
Saargebiets im einzelnen darlegende Note. 
Genehmigen Sie, Herr Minifter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 


achtung. 
gez. H. de Marcilly. 


Berlin, den 9. Auguſt 1920. 


An 
Seine Exzellenz Herrn Dr. Simons, 
Miniſter des Auswärtigen, 
Berlin. 


Nr. 49. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 23. Auguſt 1920. 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 23. Auguſt 1920. 


Nr. II. S. G. 1107. 


Herr Staatsrat! 


Der Herr Geſchäftsträger der Franzöſiſchen Republik in Berlin hat mir in einem 
Schreiben vom 9. Auguſt d. J. mitgeteilt, daß die Regierungskommiſſion für das 
Saargebiet die Vertretung der ſaarländiſchen Intereſſen im Auslande auf Grund 
von § 21 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Friedens vertrages Frankreich über— 
tragen habe. Demgemäß hat mir der Herr Geſchäftsträger im Namen der Regierungs- 
kommiſſion von der Errichtung einer ſelbſtändigen Direktion der Saareiſenbahnen 


er 


Kenntnis gegeben und mir eine Note mit Einzelheiten über die Organifation des 
Eiſenbahnnetzes des Saargebiets zugehen laſſen. 

Ich beehre mich, darauf aufmerkſam zu machen, daß nach den Beſtimmungen 
des Friedensvertrags das Saargebiet zwar der Regierung des Völkerbundes unterſtellt, 
damit aber dem übrigen Deutſchland gegenüber nicht Ausland geworden iſt. Die 
Grenzen des Saargebiets find nicht in dem Abſchnitt beſchrieben, der die Überfchrift 
»Deutſchlands Grenzen« trägt; die Bewohner des Saargebiets behalten ihre bisherige 
Staatsangehörigkeit, das Reich und die Einzelſtaaten bleiben Eigentümer ihres im 
Saargebiet befindlichen Vermögens; über die Frage, ob das Saargebiet aufhört, 
Reichsgebiet zu ſein, ſoll erſt nach 14 Jahren auf Grund einer Volksabſtimmung 
entſchieden werden. Es kann auch unmöglich im Geiſt des Friedensvertrags liegen, 
daß die deutſchen Staatsangehörigen, die im Saargebiet anſäſſig ſind, in Deutſchlan 
gegenüber deutſchen Behörden von Frankreich vertreten werden. 

Die Deutſche Regierung iſt hiernach nicht in der Lage, die Vertretung der ſaar⸗ 
ländiſchen Intereſſen in Deutſchland durch Frankreich anzuerkennen.“ 

Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichnete 


Hochachtung. 
An 


gez. von Roſenberg. 


die Regierungskommiſion für das Saargebiet, 


— 


zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 
Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 
(Die Note iſt nicht beantwortet worden.) 


Nr. 50. 


Note der franzöſiſchen Botſchaft in Berlin an die deutſche Regierung 


vom 25. September 1920. | 
(Überfegung.) 
Franzöſiſche Botſchaft in Berlin. Berlin, den 25. September 1920. 
Nr. 305. 
Herr Miniſter! 5 
Indem ich auf die Note der franzöſiſchen Botſchaft Nr. 258 vom 9. Auguſt d. J. 
Bezug nehme, habe ich die Ehre, Eurer Exzellenz im Auftrage der Regierung der 
Republik mitzuteilen, daß die Vertretung der ſaarländiſchen Intereſſen im Ausland 
auf Grund eines gemäß § 21 der Anlage zu Artikel 50 des Vertrags von Verſailles 
gefaßten einſtimmigen Beſchluſſes der Regierungskommiſſion des Saargebiets Frankreich 
übertragen worden iſt. f 
In der Anlage finden Eure Exzellenz eine zweite Ausfertigung der zu dieſem 


Zweck von der Regierungskommiſſion des Saargebiets ergangenen Verordnung, ſowie 


Abſchrift eines Schreibens vom 23. Auguſt d. J., mit dem die Regierung der Republik 


/ 
/ 


der Kommiſſion mitgeteilt hat, daß fie damit einverſtanden fei, den im Ausland anſäſſigen 
Angehörigen des Saargebiets (aux ressortissants sarrois residant a l’etranger) 
den Schutz ihrer diplomatiſchen und konſulariſchen Agenten angedeihen zu laſſen. 

Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten 
Hochachtung. 


An 


Seine Exzellenz Herrn Dr. Simons, 
Miniſter des Auswärtigen, 


Berlin. 


gez. Charles Laurent. 


ii si mt — F e . ( us A 4 
e , , Re Een 
. Ya ar ae RE a Pa , De I 4 ge 

r * 


5 — 85 — 
4 Anlage 1. 
0 (Aberſetzung.) 
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 7. Juli 1920. 
2. Ausfertigung. 
Verordnung. 


Auf Grund des § 21 der Anlage zu Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensver— 
trags von Verſailles und gemäß dem Beſchluß der Regierungskommiſſion vom heutigen 
Tage verordnet die Regierungskommiſſion wie folgt: 


Artikel 1. 


Der Schutz der Intereſſen der Bewohner des Saarbeckengebiets im Ausland 
wird der Regierung der Franzöſiſchen Republik anvertraut. 


5 Artikel 2. 


Der mit den auswärtigen Angelegenheiten beauftragte Präſident der Regierungs— 
kommiſſion wird mit der Ausführung der vorliegenden Verordnung betraut. Geſchehen 
in der Sitzung der Regierungskommiſſion in Saarbrücken am 7. Juli 1920. 


Im Namen der Regierungskommiſſion 


gez. Rault. 
Anlage 2. 
(berſetzung.) 
en en Paris, den 23. Auguſt 1920. 
Nr. 20. 


Herr Präſident! 


Mit Schreiben vom 9. v. M. haben Sie mir eine zweite Ausfertigung der Ver— 
ordnung vom 7. Juli 1920 mitgeteilt, durch die die Regierungskommiſſion des 
Saarbeckengebiets beſchloſſen hat, der Regierung der franzöſiſchen Republik den Schutz 
der ſaarländiſchen Intereſſen im Ausland zu übertragen. 

Ich beehre mich Ihnen den Empfang dieſer Mitteilung zu beſtätigen und wäre 
Ihnen dankbar, wenn Sie der Regierungskommiſſion mitteilen wollten, daß die 
Regierung der Republik den im Ausland anſäſſigen Angehörigen des Saargebiets 
den Schutz ihrer diplomatiſchen und konſulariſchen Agenten gern angedeihen laſſen wird. 
Das der vorſtehenden Note als Anlage 2 beigefügte Schreiben der franzöſiſchen Re— 


gierung iſt in dem Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets Nr. 10 vom 4. Sep 
tember 1920 in folgender Überſetzung veröffentlicht worden: 


Nr. 137. Schreiben der franzöſiſchen Regierung, betr. die Vertretung der 
ſaarländiſchen Intereſſen im Ausland. 


Paris, den 23. Auguſt 1920. 
Herr Präſident! 


Laut Schreiben vom 9. letzten Monats brachten Sie die Verordnung 
vom 7. Juli 1920 zu meiner Kenntnis, gemäß welcher die Regierungs- 
kommiſſion für das Saargebiet die Wahrung ſaarländiſcher Intereſſen im 
Auslande der franzöſiſchen Republik übertrug. 

Ich beſtätige Ihnen hiermit dieſe Mitteilung und bitte Sie ergebenſt, 
zur Kenntnis der Regierungskommiſſion bringen zu wollen, daß die franzöſiſche 


3 


Regierung gerne bereit iſt, den Saarländern außerhalb des Saargebiets den 
Schutz der franzöſiſchen diplomatiſchen und konſulariſchen Vertreter zu gewähren. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner vorzüglichen 
Hochachtung. 


Der Miniſterpräſident, Miniſter der Auswärtigen Angelegenheiten. 


I: Bis 
gez. Daleologue, 
Herrn Rault, 
Präſident der Regierungskommiſſion für das Saargebiet. 


M 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗ 
bundsrat vom 25. Oktober 1920. 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, Jahrgang 1, Heft 8, Seite 67.) 
(berſetzung.) 


Die Regierungskommiſſion hat ſich damit befaßt, der ihr nach den Vorſchriften 
des Friedensvertrags obliegenden Verpflichtung, »mit den ihr angemeſſen ſcheinenden 
Mitteln und in der ihr angemeſſen ſcheinenden Weiſe für den Schutz der Auslands⸗ 
intereſſen der Bewohner des Saarbeckens zu ſorgen«, zu entſprechen. 


Mit Rückſicht auf die beſcheidene Ziffer der Bevölkerung des Saarbeckens und 
die geringe Höhe ſeiner Einnahmequellen erſchien es ihr unmöglich, ein ſaarländiſches 
diplomatiſches und konſulariſches Korps zu ſchaffen. Andererſeits müſſen die Intereſſen 
der Bewohner dieſes Landes bezüglich Handel und Induſtrie, die beide hochentwickelt 
ſind, in allen Teilen des Erdballs wahrgenommen werden. 

Es lag alſo nahe, den Schutz der Auslandsintereſſen des Gebiets einer innerhalb 
der Regierungskommiſſion vertretenen Großmacht, deren Vertreter bei allen Mächten 
beglaubigt ſind, anzuvertrauen. 

Indem die Regierungskommiſſion ſich von den Gründen leiten ließ, die am 
13. Februar d. J. Herrn Caclamanos veranlaßt haben, dem Rat des Völkerbundes 
die Übertragung des Vorſitzes in der Regierungskommiſſion an das franzöſiſche Mit⸗ 
glied anzuempfehlen, hat ſie in ihrer Sitzung vom 10. Juli unter Einſtimmigkeit ihrer 
5 Mitglieder beſchloſſen, die Regierung der franzöſiſchen Republik zu erſuchen, den 
Schutz der Auslandsintereſſen der Bewohner des Saargebiets zu übernehmen. 

Dieſer Beſchluß iſt durch ein Schreiben vom 13. Juli 1920 dem Herrn General⸗ 
ſekretär des Völkerbundes mitgeteilt worden. 

Am 23. Auguſt teilte die Regierung der franzöſiſchen Republik dem Präſidenten 
der Kommiſſion mit, daß ſie das Mandat, um deſſen Übernahme die Kommiſſion ſie 
gebeten habe, übernehme. Seitdem ſind die Intereſſen der Bewohner des Gebiets zu 
wiederholten Malen wirkſam von den franzöſiſchen diplomatiſchen Vertretern wahr⸗ 
genommen worden. 

Es muß immerhin bemerkt werden, daß die deutſche Regierung ſich geweigert 
hat, den Schutz der ſaarländiſchen Intereſſen in Deutſchland durch Frankreich anzu- 
erkennen, unter dem Vorgeben, daß Deutſchland mit Bezug auf die Bewohner des 
Saargebiets nicht als Ausland angeſehen werden könne. 


Free e TB SO EEE 


Re. en 


Nr. 52. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 31. Dezember 1920. 


Auswärtiges Amt. f 
5. Berlin, den 31. Dezember 1920. 


Herr Staatsrat! 


Der Herr Botſchafter der Franzöſiſchen Republick in Berlin hatte mir mit einer 
Note vom 25. September d. J. mitgeteilt, daß die Regierungskommiſſion für das 
Saargebiet die Wahrnehmung der ſaarländiſchen Intereſſen im Ausland der Fran— 
Necker Regierung übertragen habe. Er hatte mir zugleich Abſchriften der auf dieſe 

bertragung bezüglichen Verordnung der Regierungskommiſſion vom 7. Juli d. J. 
ſowie eines an die Regierungskommiſſion gerichteten Schreibens der Franzöſiſchen 
Regierung vom 25. Auguſt d. J. über ihre Bereitwilligkeit zur Übernahme dieſer 
Intereſſenvertretung zugehen laſſen. ee Diez 

Obwohl die Verordnung der Regierungskommiſſion und das Schreiben der 
Franzöſiſchen Regierung miteinander nicht übereinſtimmten, habe ich doch bisher da— 
von abgeſehen, dies hervorzuheben. Nachdem ich aber aus dem mir erſt vor kurzem 
zugegangenen Amtsblatt Nr. 10 der Regierungskommiſſion erſehen habe, daß das 
Schreiben der Franzöſiſchen Regierung darin abgedruckt worden iſt, ſehe ich mich 
genötigt, auf dieſen Punkt hinzuweiſen. | 


Während die Verordnung der Regierungskommiſſion in Übereinſtimmung mit 
3 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags von Verſailles von dem Schutz 
er Auslandsintereſſen der Bewohner des Saargebiets ſpricht, heißt es in dem 
Schreiben der Franzöſiſchen Regierung, daß dieſe gern bereit ſei, den im Ausland 
anſäſſigen Angehörigen des Saargebiets (aux ressortissants sarrois résidant à 
l’etranger) den Schutz der franzöſiſchen diplomatiſchen und konſulariſchen Vertreter 
zu gewähren. Dieſer Ausdrucksweiſe liegt offenbar ein Mißverſtändnis zugrunde. 
Nach dem Vertrage von Verſailles gibt es nur Bewohner, nicht aber Angehörige 
des Saargebiets oder Saarländer. Die Staatsangehörigkeit der Bewohner bleibt 
nach § 27 der erwähnten Anlage unberührt, und nach § 21 derſelben Anlage hat 
die Regierungskommiſſion nicht für den Schutz der Intereſſen der im Ausland an- 
ſäſſigen Angehörigen des Saargebiets zu ſorgen, ſondern für den Schutz der Aus— 
landsintereſſen der Bewohner des Saargebiets. Die Schutzbefugnis der Regierungs— 
kommiſſion erſtreckt ſich daher nicht auf Perſonen, die ihren Wohnſitz außerhalb des 
Saargebiets haben, auch wenn ſie aus dieſem Gebiet ſtammen. Die Frage, von 
welcher Macht ſolche Perſonen zu ſchützen ſind, muß alſo nach ihrer Staats— 
angehörigkeit entſchieden werden. Dieſem Grundſatze entſprechend nimmt die Deutſche 
Regierung den Schutz der aus dem Saargebiet ſtammenden und im Ausland an— 
teen Perſonen inſoweit für ſich in Anſpruch, als ſie die deutſche Reichsangehörigkeit 
eſitzen. 


Dieſer Standpunkt der Deutſchen Regierung entſpricht übrigens völlig dem der 
Regierungskommiſſion, wie er in der erwähnten 8 vom 7. Juli d. J. und 
außerdem in einem an den Herrn Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets 

erichteten Schreiben der Regierungskommiſſion vom 15. November d. J. zum Aus— 
ruck gekommen iſt. In dieſem Schreiben hat die Regierungskommiſſion ſelbſt erklärt, 
daß es ihr nicht zuſtehe, bei einer fremden Regierung Reklamationen von ſolchen 
deutſchen Staatsangehörigen zu vertreten, die nicht oder nicht mehr im Saargebiet 


anſäſſig ſind. 
7 


. 


Hiernach ſteht das erwähnte Schreiben der Franzöſiſchen Regierung weder mit 
den Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles noch mit dem Standpunkte der 
Regierungskommiſſion in Einklang. Mit Rückſicht hierauf bitte ich die Regierungs⸗ 
kommiſſion, die erforderliche Berichtigung dieſes Schreibens herbeiführen zu wollen. 

Im übrigen nehme ich Bezug auf mein Schreiben vom 23. Auguſt d. J., worin 
ich der Regierungskommiſſion mitgeteilt habe, daß die Deutſche Regierung eine Ver 
tretung der Intereſſen der Bewohner des Saargebiets in Deutſchland durch Frank— 
reich nicht anerkennen kann, weil das Saargebiet dem übrigen Deutſchland gegenüber 
nicht Ausland iſt. 


Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 
gez. von Haniel. 


An 
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 
| Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


(Die Note iſt nicht beantwortet worden.) 


Nr. 53. 


Note der deutſchen Regierung an die franzöſiſche Botſchaft in Berlin 
vom 31. Dezember 1920. 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 31. Dezember 1920. 
Nr. II S. G. 1554. 


Herr Botſchafter! 


Mit Note vom 25. September d. J. — Nr. 305 — haben Euer Exzellenz 
mitgeteilt, daß gemäß einem Beſchluß der Regierungskommiſſion für das Saargebiet 
die Wahrnehmung der ſaarländiſchen Intereſſen im Ausland der Franzöſiſchen 
Regierung übertragen worden ſei. 

Ich beehre mich, Ihnen daraufhin anbei die Abſchrift eines an die Regierungs— 
kommiſſion für das Saargebiet gerichteten Schreibens zugehen zu laſſen, zu dem mir 
die Note Eurer Exzellenz Veranlaſſung gegeben hat. Eine Abſchrift des am Schluſſe 
dieſes Schreibens erwähnten früheren Schreibens vom 23. Auguſt d. J., das durch 
die Note des Herrn Geſchäftsträgers der Franzöſiſchen Republik vom 9. Auguſt, 
Nr. 258, veranlaßt worden war, liegt gleichfalls bei!). 

Genehmigen Sie, Herr Botſchafter, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten 
Hochachtung. 

gez. von Haniel. 
Seiner Exzellenz 


dem franzöſiſchen Botſchafter 
Herrn Laurent. 


) Der Note find Abſchriften der unter Nr. 52 und 49 wiedergegebenen Noten beigefügt worden. 


Br 


Be 4 Nr. 54. 


Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung 
vom 7. März 1921. 


8 zn un . Paris, den 7. März 1921. 


Herr Miniſterpräſident! 


. In der chineſiſchen Preſſe findet ſich eine Nachricht“), wonach der Herr Geſandte 
der Franzöſiſchen Republik die Chineſiſche Regierung in einer amtlichen Note aufge— 
fordert habe, anzuerkennen, daß die aus dem Saargebiet ſtammenden Perſonen, die 
in China wohnen, unter den Schutz des Geſandten und der Konſuln Frankreichs ge— 
ſtellt worden ſeien, da die Einwohner des Saargebiets die franzöſiſche Staatsange— 
hörigkeit erworben hätten. 

Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich, Euere Exzellenz zu bitten, mir 
eine Mitteilung darüber zukommen laſſen zu wollen, ob dieſe Nachricht zutrifft. Die 
Deutſche Regierung glaubt annehmen zu ſollen, daß dies nicht der Fall iſt, da die 
Nachricht mit den Beſtimmungen der SS 21 und 27 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 
des Vertrages von Verſailles in Widerſpruch ſtehen würde. i 

In § 27 der erwähnten Anlage iſt beſtimmt, daß die gegenwärtige Staats— 
angehörigkeit der Bewohner des Saargebiets nicht berührt wird, und in $ 21 der: 
ſelben Anlage iſt nur von Bewohnern des Saargebiets, nicht aber von Perſonen die 
Rede, die aus dem Saargebiet ſtammen und im Ausland wohnen. Allerdings hat 
die Franzöſiſche Regierung der Regierungskommiſſion des Saargebiets in einem 
Schreiben vom 23. Auguſt 1920 mitgeteilt, daß ſie gern bereit ſei, den im Ausland 
anſäſſigen Saarländern (aux ressortissants sarrois residant a l'étranger) den 
Schutz ihrer diplomatiſchen und konſulariſchen Agenten angedeihen zu laſſen. Jedoch 
beruht dieſe Mitteilung offenbar auf einem Mißverſtändnis, da ſie ſowohl mit dem 
Wortlaut des erwähnten § 21 wie mit der Verordnung der Regierungskommiſſion 
des Saargebiets vom 7. Juli 1920 in Widerſpruch ſteht. Die Deutſche Regierung 
hat dies in einem Schreiben an die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 
31. Dezember 19202), von dem auch der Herr Botſchafter der Franzöſiſchen Republik 
in Berlin Kenntnis erhalten hat, näher ausgeführt; eine Abſchrift dieſes Schreibens 
beehre ich mich hier beizufügen. 

Indem ich mir erlaube, auf die Ausführungen dieſes Schreibens Bezug zu 
nehmen, beehre ich mich, auftragsgemäß erneut zu erklären, daß die Deutſche Regie— 
rung den Schutz der im Ausland anſäſſigen, aus dem Saargebiet ſtammenden Per— 
ſonen inſoweit für ſich in Anſpruch nimmt, als dieſe Perſonen die deutſche Reichs— 
angehörigkeit beſitzen. Sollte daher der Herr Geſandte der Franzöſiſchen Republik 
der Chineſiſchen Regierung tatſächlich mitgeteilt haben, daß die in China wohnenden, 


8 ) Die Nachricht iſt in chineſiſchen Zeitungen vom 10. Dezember 1920 enthalten und hat folgenden 
ortlaut: 

»Aus dem diplomatiſchen Korps kommt folgende Nachricht: 

Der franzoͤſiſche Geſandte Bopp hat in einer offiziellen Note an das Waichiaopu 
(Miniſterium des Außern) verlangt, China ſolle die im § 21 einer Anlage zum Friedensver— 
trag enthaltene Anerkennung der Tatſache, daß die Staatsangehoͤrigkeit der Einwohner des 
Saarbeckens in die franzoͤſiſche umgewandelt ift, ausführen. In Zukunft ſeien alle Einwohner 
dieſes Gebiets, die in China wohnen, unter den Schutz des Geſandten und der Konſuln 
Frankreichs geſtellt. 

Da wir den Friedensvertrag mit Deutſchland nicht unterzeichnet haben, können wir 

—ſelbſtverſtändlich dies nicht anerkennen. 


) Vgl. Nr. 52. 


— 


aus dem Saargebiet ſtammenden Perſonen unter den Schutz des Geſandten und der 
Konſuln Frankreichs getreten ſeien, fo beehre ich mich, Euere Exzellenz zu bitten, ver- 
anlaſſen zu wollen, daß die Franzöſiſche Regierung ihren Geſandten über das vor- 


liegende Mißverſtändnis aufklärt. 


Genehmigen Sie, Herr Miniſterpräſident, den Ausdruck meiner ausgezeichnetſten 


Hochachtung. 


gez. Dr. Mayer. 


Seiner Exzellenz dem Miniſterpräſidenten 
und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten, 


Herrn Briand, 


Paris. 
(Die Note iſt nicht beantwortet worden.) 


Nr. 55. 


Verordnung der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die 
„Eigenſchaft als Saareinwohner“). 


A. 


Entwurf einer Verordnung betr. die 
Eigenſchaft als Saarbewohner. 


sl. 

Alle Bewohner des Saargebiets — ohne 
Rückſicht auf ihre Staatsangehörigkeit — 
die übrigens in keiner Weiſe beeinträchtigt 
wird, haben die gleichen Rechte. Ihre 
urſprüngliche Nationalität ſoll unter keinen 
Umſtänden einen Ausſchließungsgrund bilden. 


82. 

Als Saarbewohner werden von Rechts 
wegen ohne Unterſchied der Nationalität 
noch des Geſchlechts angeſehen: alle Perſonen, 
die ihren rechtmäßigen Wohnſitz am 11. No⸗ 
vember 1918 (Waffenſtillſtand) im Saar⸗ 
gebiet hatten, oder die im Saargebiet geboren 
ſind von Eltern, die zur Zeit der Geburt 
ihren rechtmäßigen Wohnſitz daſelbſt hatten. 
Endlich ſolche, die von einem Vater (oder 
wenn es ſich um uneheliche Kinder handelt, 
von einer Mutter) abſtammen, der (oder 


b 


Verordnung betr. die Eigenſchaft als Saar⸗ 
einwohner. ni 
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saar⸗ 
gebiets Nr. 9 vom 25. Juni 1921, Nr 530.) 
Auf Grund der Artikel 19, 21, 23, 27, 
28, 29 und 33 des Anhangs zu Abſchnitt IV, 
Teil 3 des Friedensvertrags von Verſailles, 
gemäß Beſchluß der Regierungskommiſſion 
in der Sitzung vom 15. Juni 1921, wird 
verordnet was folgt: 


Artikel 1. 


Alle Saareinwohner genießen im Saar⸗ 
gebiet die gleichen Rechte ohne Rückſicht auf 
ihre Staatsangehörigkeit. Ihre Staats— 
angehörigkeit bleibt unberührt. 


Artikel 2. 


Die Eigenſchaft als Saareinwohner kommt 
von Rechts wegen folgenden Perſonen zu, 
ohne Rückſicht auf ihre Staatsangehörigkeit 
und ihr Geſchlecht, vorausgeſetzt, daß ſie 
einen mindeſtens ſechsmonatlichen Aufenthalt 
im Saargebiet nachweiſen können: 5 
1. Wer im Saargebiet geboren iſt und 
deſſen Vater (bei unehelicher Geburt 
deſſen Mutter) zur Zeit dieſer Geburt 
ſein (ihr) geſetzliches Domizil im Saar⸗ 

gebiet hatte. 


) Den Kreis- und Bezirkstagen des Saargebiets und der Stadtverordnetenverſammlung Saarbrüden 
iſt die Verordnung in dem unter a wiedergebenen Entwurf, nicht in der unter b erſichtlichen Faſſung vor » 


gelegt worden. 


die) im Saargebiet geboren wurde und 10 


gehn) Jahre daſelbſt gewohnt hat. Solche 


Perſonen müſſen ohnedies noch den Nachweis 
erbringen, daß ſie mindeſtens 6 Monate 
im Saargebiet wohnhaft waren. 


Die unter $ 2 in Frage kommenden 
Perſonen werden ihre Eigenſchaft als Saar— 
bewohner durch Eintragung in die Wähler— 
liſten beſtätigen, die gemäß Verordnung vom 
29. April 1920 aufgeſtellt wurden. Weſſen 
Eintragung in die Wählerliſte noch nicht 
erfolgt iſt, kann durch Erfüllung der Vor- 
ſchriften des § 4 vorſtehender Verordnung 
ſeine Eigenſchaft als Saarbewohner ſich 
beſtätigen laſſen. 


5 383. | 

Wer mindeſtens drei Jahre lang feinen 
Wohnſitz im Saargebiet hat und während 
dieſer Zeit Steuerzahler (direkte Steuern) 
war, erwirbt ohne Unterſchied der Staats— 
angehörigkeit oder des Geſchlechtes die Eigen— 
ſchaft eines Saarbewohners. 


Der oben vorgeſehene Zeitraum von drei 
Jahren wird auf ſechs Monate herabgeſetzt 
für diejenigen Perſonen, die auf Grund 
eines Kontraktes oder einer Ernennungs— 
urkunde den Beweis erbringen, daß ſie ein 
Amt bekleiden oder einer Beſchäftigung nach— 
gehen, die den Aufenthalt im Saargebiet 
bedingt. 


— 91 


2. Weſſen Vater (bei unehelicher Geburt 
weſſen Mutter) im Saargebiet ge— 
boren iſt und vor der Geburt des 
Betreffenden mindeſtens zehn Jahre 
lang in dieſem Gebiet ſein (ihr) ge— 
ſetzliches Domizil gehabt hat. 


3. Wer am 11. Dezember 1918 ſein 
geſetzliches Domizil im Saargebiet 
hatte. i 
Bewieſen wird zugunſten der Oben— 
genannten die Eigenſchaft als Saarein— 
wohner durch die Tatſache ihrer Eintragung 
in die auf Grund der Verordnung vom 
29. April 1920 aufgeſtellten Wählerliſten. 

Außerdem ſteht in den Fällen, in welchen 
dieſe Eintragung nicht ſtattgefunden hat, 
den Beteiligten, zwecks Feſtſtellung ihrer 
Eigenſchaft als Saareinwohner, der Weg 
des vom nachſtehenden Artikel 4 vor 
geſehenen Verfahren offen. 


Artikel 3. 


Erworben wird die Eigenſchaft als Saar— 

einwohner: 

1. Durch jeden ohne Rückſicht auf ſeine 
Staatsangehörigkeit und fein Ge— 
ſchlecht, der mindeſtens drei Jahre 
lang fein geſetzliches Domizil im Saar— 
gebiet gehabt hat und während dieſes 
Zeitraums zu den direkten Steuern 
veranlagt geweſen iſt. 


Dieſer Zeitraum von drei Jahren 
ermäßigt ſich auf ein Jahr zugunſten 
derjenigen Perſonen, welche auf Grund 
einer Ernennungsurkunde im Saar- 
gebiet ein öffentliches Amt bekleiden. 

Die gleiche Ermäßigung tritt zu— 
gunſten derjenigen Perſonen ein, 
welche durch die Vorlage eines An- 
ſtellungsvertrages den Nachweis er- 
bringen, daß ſie eine Stellung inne— 
haben, die erfordert, daß fie ihre Haupt- 
niederlaſſung im Saargebiet haben. 

Den im vorhergehenden Abſatz be— 
zeichneten Perſonen kann jedoch 
während des nächſtfolgenden Zeit— 
raumes von zwei Jahren die Eigen— 
ſchaft als Saareinwohner von dem 
mit der Verwaltung des Innern be— 
trauten Mitglied der Regierungs- 
kommiſſion durch eine mit Gründen 
verſehene Verfügung wieder entzogen 
werden, wenn ein wichtiger Grund 


8 4. 


92 


Die Geſuche zur Erlangung der Eigen— 


ſchaft als Saarbewohner werden mit den 
notwendigen Belegen bei dem Landratsamt 
eingereicht, wo eine Empfangsbeſcheinigung 
hierüber ausgeſtellt wird. Der Landrat 
muß innerhalb der nächſten 14 Tage, die 
auf die Antragſtellung erfolgen, eine Ent 
ſcheidung treffen, deren Ergebnis er binnen 
8 Tagen dem Antragſteller und der Ne 
gierungskommiſſion mitteilt. 


hierzu vorliegt; insbeſondere wenn 
ermittelt wird, daß der Betreffende 
außerhalb des Saargebiets eine Strafe 
wegen Verbrechens oder eine erhebliche 
Strafe wegen Vergehens erlitten hat, 
oder daß eine auswärtige Juſtizbehörde 


wegen Verbrechens oder Vergehens 


nach ihm fahndet. 


Die Verfügung iſt mittels einge⸗ 
ſchriebenen Briefs mit Rückſchein dem 
Betroffenen mitzuteilen, welcher ſie 
binnen einer Friſt von zehn Tagen 
vor dem Oberverwaltungsgericht an 
fechten kann. Dieſes entſcheidet in 
letzter Inſtanz. Die Beſchwerde hat 
keine aufſchiebende Wirkung. 


Der nach Ziffer 1 erfolgende Erwerb 
und Verluſt der Eigenſchaft als Saar⸗ 
einwohner zieht von Rechts wegen 
den Erwerb oder Verluſt der gleichen 
Eigenſchaft für die Ehefrau und die 
minderjährigen Kinder des Betreffen⸗ 
den nach ſich. 


Eine Frau erwirbt durch ihre Heirat 
mit einem Saareinwohner die gleiche 


Eigenſchaft, 


Ein Kind, deſſen Vater oder deſſen 
Mutter zur Zeit der Geburt die Eigen⸗ 
ſchaft als Saareinwohner beſitzt, iſt 
ebenfalls Saareinwohner. 


Wer ſein geſetzliches Domizil im Saar⸗ 
gebiet hat, erwirbt die Eigenſchaft als 
Saareinwohner durch die Heirat mit 
einer Frau, welche dieſe Eigenſchaft 

beſitzt. 


Artikel 4. 

Die Geſuche um Erwerb der Eigenſchaft 
als Saareinwohner ſind unter Beifügung 
der erforderlichen Beweisurkunden beim 
Landratsamt einzureichen, das dem Geſuch— 
ſteller den Empfang zu beſtätigen hat. 


Der Landrat hat binnen fünfzehn Tagen 
nach dieſer Empfangsbeſtätigung über das 
Geſuch zu entſcheiden und dieſe Entſcheidung 
binnen weiteren acht Tagen dem mit der 
Verwaltung des Innern betrauten Mitglied 
der Regierungskommiſſion mitzuteilen ſo— 
wie mittels eingeſchriebenen Briefs mit Rück— 
ſchein dem Antragſteller. 


Innerhalb 3 Wochen kann durch den 
Antragſteller oder im Intereſſe des Geſetzes 
ſeitens des Mitgliedes der Regierungs- 
kommiſſion, das mit der Wahrnehmung 
der Angelegenheiten des Innern betraut iſt, 
gegen dieſe Entſcheidung bei dem Verwal— 
tungsausſchuß Einſpruch erhoben werden. 
Das Urteil des Verwaltungsausſchuſſes kann 
dem Oberverwaltungsgericht, wie es durch 
$2 der Verordnung vom 21. Juli 1920 vor⸗ 
geſehen iſt, zur Entſcheidung unterbreitet 
werden. 


85. 

Jeder Saarbewohner, der ſeinen recht— 
mäßigen Wohnſitz außerhalb des Saargebiets 
verlegt, verliert nach einem Jahre die Eigen— 
ſchaft als Saarbewohner. 


8 6. i 


Wer innerhalb des Saargebietes ſich 
aufhält und die Eigenſchaft eines Saar⸗ 
bewohners gemäß vorliegender Verordnung 
nicht beſitzt, wird nach den geltenden Ge— 
ſetzen und Beſtimmungen im Saargebiet 
als Ausländer betrachtet. 


8 7. 

Alle geſetzlichen Beſtimmungen, die im 
Saargebiet gelten, werden, ſoweit ſie mit 
vorſtehender Verordnung im Widerſpruch 
ſtehen, außer Kraft geſetzt. 


88. 
Vorſtehende Verordnung tritt am Tage 
der Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft. 


93 


We 
Und 20 27 
— — 2 
Binnen einer Friſt von en nach 1 
Empfang dieſer Mitteilung kö de 
Teile gegen die Entſcheidung Einſpru m 
Verwaltungsausſchuß einlegen. 
Das Verfahren regelt ſich nach der Ver— 5 


ordnung Nr. 396 vom 9. März 1921. 

Die Entſcheidung des Verwaltungsaus— 
ſchuſſes kann von beiden Teilen in den 
Friſten und Formen der Verordnung vom 
28. Juli 1920, Teil 2 Artikel 15 ff., vor 
dem Oberverwaltungsgericht angefochten 
werden. 


Artikel 5. 

Der Verluſt der Eigenſchaft als Saar— 

einwohner tritt ein: 

1. für denjenigen, der ſeinen Aufenthalt 
außerhalb des Saargebiets verlegt, 
nach Ablauf eines Jahres vorbehalt— 
lich der im Artikel 2 enthaltenen Be- 
ſtimmungen. | 

2. für eine Frau durch die Verheiratung 
mit einem Mann, der die Eigenſchaft 
als Saareinwohner nicht beſitzt. 


Artikel 6. 


Wer ſich im Saargebiet aufhält, ohne 
die Eigenſchaft als Saareinwohner im Sinne 
dieſer Verordnung zu beſitzen, gilt im Sinne 
der beſtehenden Geſetze und Verordnungen 
im Saargebiet als Fremder. 


In Zukunft darf ein Saareinwohner 
nicht aus dem Saargebiet ausgewieſen 
werden. 


Artikel 7. 


Alle bisher im Saargebiet geltenden 
Geſetze oder rechtlichen Beſtimmungen treten, 
ſoweit fie mit dieſer Verordnung in Wider- 
ſpruch ſtehen, außer Kraft. 


Artikel 8. 


Dieſe Verordnung tritt am Tage ihrer 
Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft. 


Saarbrücken, den 15. Juni 1921. 


Im Namen der Regierungskommiſſion 
Der Präſident 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


NO 


Nr. 56. 


Denkſchrift der Regierungskommiſſion des Saargebiets zur Begründung 


der Verordnung, betreffend die „Eigenſchaft als Saarbewohner“. 


Im Friedensvertrag (Abſchnitt 4 Teil 3 über das Saarbecken) iſt fortgeſetzt die 
Rede von »Saarbewohnern«. Nirgends jedoch iſt genau geſagt, wer als ſolcher zu 
gelten hat. Es iſt unbedingt notwendig, daß dieſer Punkt des Friedensvertrags durch 
Maßnahmen mit geſetzlicher Wirkung näher beſtimmt werde. Mit anderen Worten, 
dem Begriff, der durch den Friedensvertrag ins Leben gerufen wurde, muß eine 
juriſtiſche Faſſung gegeben werden. 

Es gibt keine ſaarländiſche Staatsangehörigkeit. $ 27 der Anlage zum oben⸗ 
erwähnten Abſchnitt des Friedensvertrags beſagt ausdrücklich, »daß die derzeitige 
Staatsangehörigkeit der Saarbewohner in keiner Weiſe durch den Friedensvertrag 
eine Beeinträchtigung erfährt«. Es bleibt aber andererſeits unbeſtritten, daß der Begriff 
»Saarbewohner« ein Rechtsſubjekt neuer Art iſt, mit deſſen Eigenſchaften Sonderrechte 
verknüpft ſind und dem eine Sonderſtellung zukommt. 


Faſt ſo ziemlich alle Paragraphen des Kap. 2 der Anlage räumen den Saar⸗ 
bewohnern ein Sonderrecht ein. Letztere können verſchiedene Nationalitäten beſitzen. 


§ 27 ſagt ausdrücklich, »daß denjenigen Saarbewohnern, die eine andere Staats— 
angehörigkeit erwerben möchten, in keiner Weiſe Schwierigkeiten erwachſen dürfen «. 
Indeſſen würde ihnen ein Hindernis in den Weg gelegt, wenn ſie durch einen Wechſel 
der Staatsangehörigkeit, bei dem ſie die Eigenſchaft von Saarbewohnern verlieren, 
auch gleichzeitig ihre politiſchen Rechte einbüßten. Es iſt ſomit klar, daß die Eigen⸗ 
ſchaft als Saarbewohner mit der jeweiligen Staatsangehörigkeit nichts zu tun hat. 


Nach dieſer grundſätzlichen Feſtſtellung wirft ſich die Frage auf, welchen Per⸗ 


ſonen die Eigenſchaft von Saarbewohnern zukommen ſoll? Dieſe Eigenſchaft können 
diejenigen nicht erwerben, die ſich nur vorübergehend im Saargebiet aufhalten. 


Es iſt demnach Sache der Regierungskommiſſion, der gemäß § 33 des Friedens⸗ 


vertrags die authentiſche Auslegung zukommt, dies feſtzulegen. Dieſer Pflicht iſt ſie 
in der beiliegenden Verordnung nachgekommen. Es handelte ſich dabei um die Aus⸗ 
legung ſolcher Stellen des Friedensvertrages, bei denen die gewählten Vertreter der 
Bevölkerung nicht zu Rate gezogen werden brauchten. 


Die Regierungskommiſſion hat die von ihr in der Wahlordnung vom 29. April 
1920 niedergelegten Richtlinien zur Geltung gebracht und ſie teilweiſe vervollſtändigt. 
Ihr Beſchluß geht dahin, daß im allgemeinen alle Perſonen, die bezüglich des Auf⸗ 
enthaltsortes den gegebenen Bedingungen genügen, als Saarbewohner zu betrachten 
ſind. Es ſchien ihr notwendig, aber auch ausreichend, im allgemeinen einen Auf⸗ 
enthaltsnachweis von drei Jahren zu verlangen. Dieſer Nachweis wird durch die 
erfolgte Leiſtung von direkten Steuern beftätigt. 


Anderſeits erwies es ſich aber auch als notwendig, von dieſem Grundſatz ge 
gebenenfalls abzuweichen. So erſchien es z. B. überflüſſig, Beamten, Kaufleuten und 
Induſtriellen, deren Berufspflichten oder Geſchäftsintereſſen ihren Hauptwohnſitz im 
Saargebiet erheiſchen, einen Aufenthalt von drei Jahren zur Bedingung zu ſtellen. 
Für ſolche erwies ſich ein Aufenthalt von ſechs Monaten als ausreichend. 


Die Eigenſchaft als Saarbewohner iſt bedingt durch den Wohnſitz im Saar⸗ 
gebiet. Wer ſeinen Wohnſitz außerhalb des Saargebietes verlegt, iſt kein Saarbewohner 
mehr. Da der Saarbewohner tatſächlich die Nationalität feines Herkunftlandes bei- 
behält, iſt es ausgeſchloſſen, daß er mit dem Saargebiet noch durch irgendwelches 
Band verbunden iſt, wenn er einmal aufgehört hat, dortſelbſt zu wohnen. 

Außer den Saarbewohnern können ſich im Saargebiet auch Perſonen aufhalten, 
die keinen Anſpruch haben, als Saarbewohner angeſehen zu werden. Es ſind dies 
die nicht ſeßhaft gewordenen Elemente, Durchgangsreiſende und Leute, die weniger 


a 


als drei Jahre im Saargebiet anſäſſig ſind. Dieſe werden ohne Unterſchied der 
Nationalität als Ausländer betrachtet und unterliegen den Geſetzen und Vorſchriften 


der Fremdenpolizei. 
Es kommt weniger darauf an, feſtzuſtellen, wer W Saarbewohner iſt, als 
vielmehr darauf, allen Bewohnern des Saargebietes die gleichen Rechte zu ſichern. 


Bei dem Stand der derzeitigen Geſetzgebung würden jedoch gewiſſe Bewohner im Ver— 


gleich zu anderen bedeutende Vorteile genießen. Es erwies ſich demnach als eine Not— 
wendigkeit, die Beſtimmung zu treffen, daß künftighin auf keinen Fall mehr bei den 
Saarbewohnern ein Nationalunterſchied gemacht werden dürfe, einerlei, welche ihre 


Staatsangehörigkeit ſei. Auf Grund dieſer Erwägung mußte die einer ſolchen Auf— 


faſſung widerſtrebende Geſetzgebung eine Anderung erfahren. 
Nur ſo konnte die Gleichheit der Rechte aller Saarbewohner gewährleiſtet werden. 


Junfolgedeſſen ift eine Abänderung der beſtehenden Geſetze und Vorſchriften nicht zu 


umgehen. 

Nichts entſpricht mehr dem Weſen des Völkerbundes, wie die Herbeiführung der 
abſoluten Gleichheit aller Saarbewohner, mögen ſie den verſchiedenſten Nationalitäten 
angehören, und dieſes hohe Ziel unter der Autorität und dem Schutze der Regierungs— 
kommiſſion zu erreichen. Auf Grund des $ 23 der Anlage des Friedensvertrages, 
Abſchnitt Saar, werden die von der Bevölkerung gewählten Vertreter ihre Anſichten 
über vorliegende Verordnung inſoweit abzugeben haben, als dadurch beſtehende Ge— 
ſetze und Vorſchriften eine Anderung erfahren. 


Nr. 57. 


Beſchluß des Kreistages Saarbrücken⸗Land über den Entwurf der 
Verordnung, betreffend die Faſſung des Begriffs „Saarbewohner“, 
vom 30. April 1921. 


»In der Erkenntnis, daß die Verordnung der Regierungskommiſſion des Saar— 
. über die Faſſung des Begriffs Saarbewohner eine Verletzung der Rechte der 
eutſchen Saarbevölkerung in bezug auf ihre ſtaatsrechtliche Zugehörigkeit beziehungs— 
weiſe zu den Einzelſtaaten des Deutſchen Reiches bedeutet, und eine Aufhebung be— 
ziehungsweiſe Einſchränkung weitgehender geltender geſetzlicher Beſtimmungen des 
Deutſchen Reiches und ſeiner Einzelſtaaten für die deutſche Saarbevölkerung nach ſich 
ziehen wird, und daß demnach die Beſtimmungen der Verordnung dem Wortlaute 
und dem Geiſte des Friedensvertrages von Verſailles, der der Saarregierung nur die 
Stellung eines Treuhänders gibt, widerſprechen, lehnt der Kreistag die Verordnung, 
betreffend Faſſung des Begriffs Saarbewohner, ab.« 

(Vorſtehender Beſchluß iſt einſtimmig gefaßt worden; ähnliche Beſchlüſſe haben 
auch alle anderen Kreis⸗ und Bezirkstage und die Stadtverordnetenverſammlung 
Saarbrücken gefaßt). 


Nr. 58. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saar: 


8 gebiets vom 23. Auguſt 1921. 
Ant. Berlin, den 23. Auguſt 1921. 


Nr. II S. G. 1652. 
Herr Präſident! 
Die Regierungskommiſſion des Saargebiets hat in ihrem Amtsblatt Nr. 9 
— . Juni d. J. eine Verordnung über die »Eigenſchaft als Saareinwohner« 
exlaſſen. 
Nach ſorgfältiger Prüfung iſt die Deutſche Regierung zu der Überzeugung gelangt, 
daß dieſe Verordnung mit dem Vertrag von Verſailles nicht vereinbar iſt. 


3 


Die Regierungskommiſſion hat in einer Denkſchrift die Verordnung als Aus— 
führungsbeſtimmungen zu den Vorſchriften des Vertrags von Verſailles gekennzeichnet. 
Hierfür iſt indes nach Anſicht der deutſchen Regierung kein Raum. Wenn der 
Verſailler Vertrag, der übrigens den Ausdruck »Saareinwohner« an keiner Stelle 
verwendet, von den Einwohnern oder von der Bevölkerung des Saarbeckengebiets 
ſpricht, ſo iſt klar, daß er damit die Perſonen meint, die im Saargebiet wohnen. 
Dies erkennt auch die Regierungskommiſſion ſelbſt an, denn in ihrer Denkſchrift 
heißt es: »Die Eigenſchaft als Saarbewohner iſt bedingt durch den Wohnſitz im 
Saargebiet; wer feinen Wohnſitz außerhalb des Saargebiets verlegt, iſt kein Saar- 
bewohner mehr«. Nach dieſer durchaus zutreffenden Bemerkung bedarf es keiner 
Beſtimmung des Begriffs »Saareinwohner«. 


In derſelben Denkſchrift erklärt die Regierungskommiſſion in ebenfalls durchaus 
zutreffender Weiſe: »Es gibt keine ſaarländiſche Staatsangehörigkeit«. Indes find 
die Merkmale, die in der Verordnung für den Begriff »Saareinwohner« aufgeſtellt 
werden, im weſentlichen dieſelben wie die, die für den Begriff der Staatsangehörigkeit 
gelten. Neben dem Wohnſitz werden nämlich noch andere Bedingungen gefordert, 
beſtehend teils in einer beſtimmten, verſchieden abgeſtuften Dauer des Wohnſitzes, 
teils in der Abſtammung von einer beſtimmten Perſonenklaſſe. Weiter ſoll die 
»Eigenſchaft als Saareinwohner« auch durch Verheiratung mit einem »Saar⸗ 
einwohner« erworben werden und umgekehrt durch Verheiratung mit einem »Nicht⸗ 
Saareinwohner« verloren gehen. Endlich ſoll der Verluſt dieſer Eigenſchaft nicht 
ſchon mit der Aufgabe des Wohnſitzes im Saargebiet, ſondern erſt ein Jahr darauf 
eintreten. Es iſt klar, daß ein in dieſer Weiſe abgegrenzter Begriff »Saareinwohner« 
ſich von der dem Worte »Einwohner« entſprechenden Bedeutung weit entfernt. Die 
einzige vertragliche Grundlage dieſes Begriffs, der Wohnſitz, wird mit Elementen, 
die einem anderen, ihm weſensfremden Rechtsinſtitut, der Staatsangehörigkeit, ent⸗ 
nommen ſind, zu einem neuen Rechtsbegriff unter der Bezeichnung »Saareinwohner« 
verſchmolzen. Dieſer Begriff könnte zutreffender mit den Worten »ſaarländiſcher 
Staatsangehöriger« als mit dem Worte »Saareinwohner« bezeichnet werden. 


Im $ 1 der Verordnung heißt es ſchließlich, daß die Staatsangehörigkeit der 
Bewohner des Saargebiets unberührt bleiben ſoll. Tatſächlich aber greift die Ver⸗ 
ordnung tief in die beſtehenden Staatsangehörigkeitsverhältniſſe ein. Denn die Ver⸗ 
ordnung weiſt — und dies iſt, wie in der Denkſchrift beſonders betont wird, 
gerade ihr Hauptzweck — dem unter dem Sammelbegriff »Saareinwohner« zu⸗ 
ſammengefaßten Perſonenkreiſe auch eine beſondere Rechtsſtellung zu: alle »Saar⸗ 
einwohner« ſollen gleiche Rechte haben, und wer nicht »Saareinwohner« iſt, ſoll 
als Fremder behandelt werden. 


Mit dieſem Inhalt ſteht die Verordnung der Regierungskommiſſion im Wider⸗ 
ſpruch zu dem Vertrag von Verſailles. Nach ausdrücklicher Beſtimmung des § 27 
der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags ſoll die gegenwärtige Staats— 
angehörigkeit der Bewohner des Saarbeckengebiets in keiner Weiſe berührt werden. 
Hiernach ſoll im Saargebiet in bezug auf die Staatsangehörigkeitsverhältniſſe die— 
jenige Rechtslage aufrecht erhalten werden, die bei Inkrafttreten des Vertrags beſtand. 
Dieſe Rechtslage war aber unbeſtreitbar die, daß »Inländer« ausſchließlich die deutſchen 
Staatsangehörigen waren, denen als »Ausländer« alle Perſonen nichtdeutſcher Staats— 
angehörigkeit gegenüberſtanden. Dieſen Unterſchied, den der Vertrag beizubehalten 
vorſchreibt, will die Regierungskommiſſion beſeitigen und an feine Stelle den Gegen- 
ſatz von »Saareinwohnern« zu „Nicht-Saareinwohnern« ſetzen. Während ferner der 
Vertrag von Verſailles die Staatsangehörigkeit und damit auch die ihren Inhalt 
bildenden Rechte ausdrücklich aufrechterhält, ſollen nach der Verordnung der Re— 
gierungskommiſſion die öffentlichen Rechte nicht mehr einen Ausfluß der inländiſchen 
Staatsangehörigkeit bilden, ſondern auf den unter der Bezeichnung »Saareinwohner« 
zuſammengefaßten Perſonenkreis übertragen werden. Damit wird die gegenwärtige 
Staatsangehörigkeit der Bewohner des Saarbeckens durch Entziehung weſentlicher 


5 


Beſtandteile ihres Inhalts ausgehöhlt und faſt zur Bedeutungsloſigkeit herabgedrückt, 


während ſie nach dem Vertrag in vollem Umfang aufrechterhalten werden ſoll. 


Die Regierungskommiſſion hat in ihrer Denkſchrift zur Begründung der Ver— 
ordnung angeführt, daß nach § 27 Abſ. 2 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des 


Vertrags von Verſailles niemand gehindert werden dürfe, eine andere Staatsangehörig— 


keit zu erwerben. Sie erklärt, es würde ein Hindernis vorliegen, wenn die Bewohner 
des Saargebiets bei einem Wechſel der Staatsangehörigkeit zugleich auch ihre poli- 
tiſchen Rechte einbüßen würden; um dieſen Rechtsverluſt zu vermeiden, will die Re— 
gierungskommiſſion die politiſchen Rechte von der Staatsangehörigkeit trennen und 
mit dem Begriff »Saareinwohner« vereinigen. Dieſe Begründung erſcheint der 
deutſchen Regierung nicht zutreffend. Es wird dabei überſehen, daß die erwähnte 


Beſtimmung nur negative, nicht aber poſitive Bedeutung hat und lediglich unterſagt, 


Bewohnern des Saargebiets den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit durch 
beſondere Hinderniſſe zu erſchweren. Vor allem aber wird überſehen, daß nach aus— 
drücklicher Vorſchrift des Vertrags jeder Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit 
unter allen Umſtänden den Verluſt der alten Staatsangehörigkeit und damit auch 
den Verluſt aller aus dieſer Staatsangehörigkeit fließenden Rechte zur Folge haben 
muß. Es bedeutet nichts weniger als die Aufhebung dieſer Vertragsbeſtimmung, 
wenn die begriffsnotwendigen Folgen eines Wechſels der Staatsangehörigkeit nicht 
eintreten ſollen. 

Aus all dieſen Gründen muß die Deutſche Regierung nachdrücklich Verwahrung 
einlegen gegen dieſen erſten Verſuch, durch Schaffung eines Rechtsinſtituts, das einer 
beſonderen ſaarländiſchen Staatsangehörigkeit nahezu gleichkommt und zu einer Aus— 

öhlung des ausdrücklich aufrechterhaltenen gegenwärtigen Staatsangehörigkeitsrechtes 
er Bewohner des Saargebiets führt, dem Saargebiet die Merkmale eines eigenen 
Staatsweſens zu verſchaffen. Dies ſteht in vollem Widerſpruch zu den oberſten 
Grundſätzen des Vertrags von Verſailles, nach deſſen klar ausgeſprochenem Willen 
das Saargebiet lediglich ein vorübergehend der Regierung des Völkerbundes unter— 
ſtellter Teil des deutſchen Reichsgebiets ſein und in dem Recht der Staatsangehörig— 
keit ſeiner Bewohner keinerlei Anderung vorgenommen werden ſoll, ſo daß dort 
Ausländer keine ſtaatsbürgerlichen Rechte ausüben dürfen. Die Deutſche Regierung 
muß die Beſeitigung dieſes vertragswidrigen Zuſtandes und die Aufhebung der Ver— 
ordnung der Regierungskommiſſion verlangen. 

Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker— 
bundes zugehen laſſen. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch 
achtung. | 
gez. Roſen. 

An 


die Re gierungskommiſſion des Saargebiets, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 
Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


Nr. 59. 
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund 
vom 23. Auguſt 1921. 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 23. Auguſt 1921. 


Nr. II S. G. 1652. 
Herr Generalſekretär! 
Die Regierungskommiſſion des Saargebiets hat eine Verordnung über den Begriff 
»Saareinwohner« erlaſſen. Dieſe Verordnung iſt nach Anſicht der Deutſchen Re— 
gierung mit dem Vertrag von Verſailles nicht vereinbar. Namens der Deutſchen 


— 98 — 


Regierung habe ich daher in einem Schreiben an die Regierungskommiſſion gegen 
dieſe Verordnung Einſpruch erhoben und ihre Aufhebung verlangt. Eine Abſchrift 
dieſes Schreibens beehre ich mich Ihnen anbei mit der Bitte zu übermitteln, den Mit⸗ 
gliedern des Völkerbundes davon Kenntnis zu geben ). 5 

Die Deutſche Regierung legt beſonderen Wert darauf, dem Völkerbunde gegen- 
über darzulegen, daß nach ihrer Überzeugung die Regierungskommiſſion durch dieſe 
Verordnung Maßnahmen ergreift, die den eberſten Grundſätzen der für das Saar— 
gebiet aufgeſtellten Rechtsordnung zuwiderlaufen und die Grundlagen des im Vertrag 
von Verſailles niedergelegten Syſtems für dieſes Gebiet erſchüttern. Die Deutſche 
Regierung legt deshalb auch dem Völkerbunde gegenüber Verwahrung ein gegen dieſe 
Anderung des Vertrags von Verſailles durch die Regierungskommiſſion des Saar- 
gebiets und bittet ihn, die Kommiſſion zur Aufhebung ihrer Verordnung zu 
veranlaſſen. 

Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 


Hochachtung. 


An 
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes, 
den Ehrenwerten Sir James Eric Drummond, 
K. „‚ MNG 0,.B 


gez. Roſen. 


Genf. 


Nr. 60. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗ 


bundsrat vom 1. Auguſt 1921. 


(Vgl. Druckſachen des Völkerbundes, C. 264. M. 195. 1921. J., S. 5 ff.) 
(berſetzung.) 


Geſetzgebung im allgemeinen. | 


Im Laufe der letzten drei Monate hat die Regierungskommiſſion zwei Verord⸗ 
nungen erlaſſen und den Vertretern der Bevölkerung einen Verordnungsentwurf vor⸗ 


gelegt. Dieſe Verordnungen verdienen mit Rückſicht auf ihre Bedeutung hier beſonders 
erwähnt zu werden. 


a. Beſtimmung des Begriffs der Eigenſchaft eines Bewohners des 
Saargebiets. 


Über eine dieſer Verordnungen hat der Präſident der Regierungskommiſſion dem 
Rat des Völkerbundes in ſeiner Sitzung vom 20. Juni mündlich Mitteilungen gemacht. 

Sie hat zum Zweck, die Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets zu defi— 
nieren. Ihr Wortlaut iſt dem Generalſekretariat am 15. Juni mitgeteilt worden. 

Die Regierungskommiſſion hat dieſe Verordnung einſtimmig beſchloſſen; ſie hat ſich 
dabei von folgenden Erwägungen leiten laſſen: 

Der Friedensvertrag von Verſailles erwähnt in Abſchnitt IV des Teiles III fort⸗ 
während die Einwohner des Saargebiets, hat aber nirgends klar beſtimmt, was unter 
dieſen Worten zu verſtehen iſt. 8 

Einerſeits ſtellt er den Grundſatz auf, daß es keine ſaarländiſche Staatsangehörig⸗ 
keit gibt. »Die Beſtimmungen des Vertrags«, heißt es ausdrücklich in § 27 der er⸗ 


wähnten Anlage, »berühren in keiner Weiſe die gegenwärtige Staatsangehörigkeit der 
Bewohner«. | 


1) Der Note ift eine Abfchrift der unter Nr. 58 wiedergegebenen Note beigefügt worden. 


| — 9 — 

Andererſeits gewährt der Vertrag den »Bewohnern des Saargebiets« Rechte und 
eine beſondere Rechtsſtellung. Er überträgt der Regierungskommiſſion die Aufgabe, 
mit den Mitteln, die ihr geeignet erſcheinen, den Auslandsſchutz der Intereſſen der 
Bewohner ſicherzuſtellen. Hieraus ergibt ſich, daß die Eigenſchaft eines »Bewohners 
des Saargebiets« ein Rechtsſubjekt neuer Art darſtellt. 

Die »Bewohner des Saargebiets« können verſchiedene Staatsangehörigkeiten be— 

ſitzen. § 27 der Anlage ſagt nämlich, daß »niemand gehindert ſein ſoll, eine andere 
Staatsangehörigkeit zu erwerben«. Ein Hindernis würde aber den Bewohnern in den 
Weg gelegt werden, wenn ſie bei einem Wechſel der Staatsangehörigkeit, bei dem ſie 
die Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets verlieren, auch der politiſchen Rechte 
verluſtig gehen würden, die ihnen bisher zuſtanden. 
Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Begriff »Einwohner des Saargebiets« ſich 
auf alle Perſonen erſtreckt, die, ohne Unterſchied der Staatsangehörigkeit, in dieſem 
Gebiet wohnen. Immerhin erſchien es angezeigt, genaue Regeln dafür aufzuſtellen, 
unter welchen Bedingungen und unter Beobachtung welcher Förmlichkeiten jemand zu 
der Rechtswohltat der Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets zugelaſſen 
werden kann. 

Die Regierungskommiſſion hatte in dieſer Beziehung eine Beſtimmung erſtmalig 
in ihrer Wahlordnung vom 29. April 1920 getroffen. Indem ſie beſtimmte, welchen 
Perſonen, ohne Unterſchied der Staatsangehörigkeit, das Wahlrecht zuſtehen ſollte, 
hatte ſie eine erſte Liſte von Einwohnern des Saargebiets aufgeſtellt. Dieſe Wahlordnung 
hatte aber nicht allgemeinen Charakter; ſie ſollte lediglich klarſtellen, welches die 
Perſonen waren, die in einem beſtimmten Zeitpunkt zur Beteiligung an der Wahl 
berechtigt waren. Wenn man ſich an die darin aufgeſtellten Regeln gehalten hätte, 
ſo hätten nur die Perſonen, die in die im Monat Mai 1920 angelegten Wahlliſten 
eingetragen waren, zu den Bewohnern des Saargebiets gezählt. Niemand hätte in 
Zukunft zu der Rechtswohltat der Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets zu— 
gelaſſen werden können. In einigen Jahren hätte es dann zwei Teile der Bevölke— 
rung in dem Gebiet gegeben: der erſte hätte, ohne Unterſchied der Staatsangehörigkeit, 
die Perſonen umfaßt, denen politiſche Rechte zugeſtanden hätten, der zweite hingegen 
die Perſonen, die, ebenfalls ohne Unterſchied der Staatsangehörigkeit, für unbeſtimmte 
Zeit dieſe Rechte nicht beſeſſen hätten. Dies war ſicher nicht der Wille des Friedens— 
vertrags. Der Ausdruck »Bewohner des Saargebiets«, den er dauernd gebraucht, 
beweiſt, daß er alle Perſonen, die ihren Wohnſitz im Saarbecken genommen haben, 
vollkommen auf gleichen Fuß ſtellen wollte. Die von der Regierungskommiſſion er— 
laſſene Verordnung hat nun den Zweck feſtzulegen, wie dieſe Eigenſchaft eines Be— 
wohners des Saargebiets feſtgeſtellt und wie ſie erworben werden kann. 

Artikel 1 ſtellt zwei Grundſätze auf, deren Berechtigung oben dargetan worden 
it: 1. alle Bewohner des Saargebiets einerlei welches ihre Staatsangehörigkeit iſt, 
ſollen vor dem Geſetz gleich ſein, 2. ihre Staatsangehörigkeit bleibt unberührt. 

Artikel 2 gibt mit gewiſſen unweſentlichen Anderungen die Beſtimmungen der 
Wahlordnung vom 29. April 1920 wieder. Alle Perſonen, die die Anwendbarkeit 
dieſes Artikels auf ſich geltend machen können, ſind von Rechts wegen Bewohner des 
Saargebiets. 

Artikel 3 gibt an, unter welchen Bedingungen die Eigenſchaft eines Bewohners 
des Saargebiets erworben werden kann. Die Regierungskommiſſion war der Anſicht, 
daß eine Wohnſitzdauer von drei Jahren genüge. 

In einem Nachbarlande, dem Großherzogtum Luxemburg, iſt die Wohnſitzdauer 
fünf Jahre. Ein ſolcher Zeitraum war für das Saargebiet zu lang, da das durch 
den Friedensvertrag für das Saargebiet geſchaffene Sonderregime nur für eine Dauer 
von 15 Jahren vorgeſehen iſt. Immerhin erſchien es erforderlich, dieſen Grundſatz 
mit gewiſſen Ausnahmen zu verſehen. Es iſt unnötig, dieſen dreijährigen Aufenthalt 
bei Beamten, Kaufleuten und Induſtriellen zu verlangen, die durch ihre Amtspflichten 
oder durch ihre Geſchäftsintereſſen genötigt find, ihre Hauptniederlaſſung im Saar— 
gebiet zu haben. Wenn Beamte, Kaufleute und Induſtrielle das Gefühl haben, daß 


— 100 — 
ſie im Saargebiet nicht als Fremde betrachtet werden, wenn ſie Gelegenheit haben, 
ſich unmittelbar am Wirtſchafts- und Rechtsleben des Landes zu beteiligen, ſo kann 
man mit Grund hoffen, daß ſie mehr und mehr den Intereſſen dieſes Landes Rech— 
nung tragen werden. Um jedoch zu verhüten, daß die ſo erworbene Eigenſchaft eines 
Bewohners des Saargebiets nicht gewiſſe unerwünſchte Elemente zu leicht vor gericht— 
licher Verfolgung oder vor Auslieferungsverträgen ſchützt, ſind einige vorbeugende Be— 
ſtimmungen getroffen worden. 


Artikel 4 regelt das Verfahren, das zu beobachten iſt, um die amtliche An— 
erkennung der Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets zu erlangen. 

Da die Eigenſchaft eines Bewohners des Saargebiets an den Wohnſitz in dem 
Gebiet gebunden iſt, verliert jeder Bewohner, der ſeinen Wohnſitz an einen Ort außerhalb 
des Gebiets verlegt, dieſe Eigenſchaft. Dies iſt der Gegenſtand des Artikels 5. Seine 
Beſtimmungen rechtfertigen ſich inſofern, als der Bewohner des Gebiets in allen Fällen 
ſeine urſprüngliche Staatsangehörigkeit behält. 

Neben den Bewohnern des Gebiets können ſich im Saarbecken auch Perſonen 
aufhalten, die keinen Anſpruch auf dieſe Bezeichnung haben, nämlich die nicht anſaſſige 
Bevölkerung, Durchgangsreiſende und Perſonen, die im Saarbecken weniger als drei 
Jahre lang wohnen. Dieſe Perſonen ſollen, ohne Unterſchied der Staatsangehörig⸗ 
keit, im Saargebiet als Ausländer b handelt und den Geſetzen und Verordnungen 
über die Fremdenpolizei unterworfen werden (Artikel 6). 


Artikel 7 hat den Zweck, die Gleichheit der Rechte der Bewohner des Saargebiets 
ſicherzuſtellen. Nach dem bisherigen Stande der Geſetzgebung genoſſen die Bewohner 
deutſcher Staatsangehörigkeit beträchtliche Vorteile gegenüber Bewohnern, die eine 
andere Staatsangehörigkeit beſaßen. Nur ſie konnten zu den Gewerbegerichten, zu den 
Berggewerbegerichten, zu den Schöffengerichten und zur Handelskammer gewählt werden, 
nur fie konnten Geſchworene fein ufw. Eine bergmänniſche Gewerkſchaft hat beiſpiels⸗ 
weiſe die Aufmerkſamkeit der Regierungskommiſſion auf die Lage gelenkt, in der ſich 
die in den Gruben des Saargebiets arbeitenden und im Saargebiet wohnenden 
lothringiſchen Arbeiter befinden. Nachdem fie ſeit dem 11. November 1918 die fran⸗ 
zöſiſche Staatsangehörigkeit wiedererlangt haben, können ſie nicht mehr Mitglieder 
der Berggewerbegerichte ſein. Es ſchien daher angezeigt zu beſtimmen, daß der Ein⸗ 
wand der Staatsangehörigkeit den Bewohnern des Gebiets nicht mehr entgegen— 
gehalten werden könnte, und daß die dieſem Grundſatz entgegenſtehenden, gegenwärtig 
geltenden geſetzlichen Beſtimmungen aufgehoben ſeien. Nur unter dieſer Bedingung 
kann die Gleichheit der Rechte aller Bewohner des Gebiets hergeſtellt werden. Der 
§ 23 der Anlage ſieht übrigens vor, daß die im Saargebiet geltenden Geſetze und 
Verordnungen abgeändert werden können, um mit den Beſtimmungen des Vertrags 
in Einklang gebracht zu werden. Eine durch den Vertrag ſelbſt gebotene Anderung 
von beſonderer Bedeutung beſtand darin, die Gleichheit der Bewohner des Gebiets 
vor dem Geſetz ſicherzuſtellen. 

Entſprechend den Beſtimmungen des Friedensvertrags iſt der in erſter Leſun 
von der Regierungskommiſſion angenommene Verordnungsentwurf den örtlichen Ver⸗ 
tretungen des Gebiets vorgelegt worden. Sie hat mit Überraſchung und Bedauern 
feſtgeſtellt, daß er bei dieſen eine ungünſtige Aufnahme gefunden hat. 

Dies liegt daran, daß fie die Abſichten der Regierungskommiſſion mißver ſtanden 
haben. Trotzdem die Denkſchrift, die ihnen zugleich mit dem Verordnungsentwurf 
zugegangen war, ſehr klare Erläuterungen enthielt, waren ſie der Anſicht, daß der 
Verordnungsentwurf den Zweck habe, die Staatsangehörigkeit der deutſchen Bewohner 
des Saargebiets zu beeinträchtigen. Um in dieſer Beziehung jede Beunruhigung zu 
beſchwichtigen, genügt es daran zu erinnern, daß nach ausdrücklicher Beſtimm ung der 
Verordnung dieſe Staatsangehörigkeit unberührt bleibt. Außerdem haben ſich die 
örtlichen Vertretungen darüber aufgeregt, daß in Zukunft deutſche Staatsange hö ige, 
die nicht die Eigenſchaft von Bewohnern des Saargebiets erlangt haben, in dieſem 
als Ausländer betrachtet werden ſollen. Indes iſt dies nur eine notwendige Folge 


— 101 — 


der Beſtimmungen des Friedensvertrags. Die deutſche Regierung hat dies ſelbſt an— 
erkannt. Sie hat in verſchiedenen Geſetzen, namentlich in dem Geſetz über indirekte 
Steuern, über die Kapitalflucht und in allen Zollgeſetzen das Saargebiet als Ausland 
behandelt. Schließlich haben die örtlichen Vertretungen anſcheinend befürchtet, daß 
die Beſtimmungen des Verordnungsentwurfes die Rechte der Perſonen beeinträchtigen, 
die zur Teilnahme an der Volksabſtimmung, die im Jahre 1935 das endgültige 
Schickſal des Saargebiets regeln ſoll, zugelaſſen find. Indes iſt das Stimmrecht, 
was die Volksabſtimmung betrifft, durch § 34 der Anlage des Vertrags feſtgelegt. 
Die Regierungskommiſſion hat dieſen Teil der Anlage nicht auszulegen, noch weniger 
zu ändern; die Rechte, die hier feſtgelegt ſind, bleiben unberührt. Wohl aber iſt zu 
unterſcheiden zwiſchen den zur Teilnahme an der Abſtimmung berechtigten Perſonen, 
die gegenwärtig außerhalb des Saargebiets wohnen können, und den Bewohnern 
dieſes Gebiets, ſo wie dieſer Begriff vorſtehend beſtimmt worden iſt. Die Anſicht 
der ſchlecht unterrichteten örtlichen Vertretungen erſchien daher der Regierungskom— 
miſſion nicht hinreichend begründet, um ſie zum Verzicht auf die Veröffentlichung 
des Verordnungsentwurfs zu veranlaſſen, den ſie in erſter Leſung angenommen hatte. 

Sie legt Wert auf die Feſtſtellung, daß die gewählten Vertreter der Bevölkerung 
die neuen Garantien, die dieſe Verordnung den Bewohnern des Saargebiets brachte, 
nicht erkannt haben. Nachdem der Begriff der Eigenſchaft eines Bewohners dieſes 
Gebiets beſtimmt worden iſt, iſt es, wie der Präſident der Regierungskommiſſion in 
Genf dargelegt hat, unmöglich geworden, dieſe Bewohner aus dem Saargebiet aus— 
zuweiſen. Alle Perſonen, die nach den Beſtimmungen der Verordnung die Eigenſchaft 
als Bewohner erlangt haben, ſind hinfort vor jeder Drohung mit Ausweiſung geſchützt. 

Weit entfernt, eine Bedrohung der Rechte der Bewohner des Gebiets zu bilden, 
bekräftig die Verordnung vielmehr dieſe Rechte und gibt den Bewohnern eine koſtbare 
Garantie. 

Die Verordnung hat es ermöglicht, das Les der im Monat Auguſt v. J. aus- 
gewieſenen Perſonen, die noch nicht die Erlaubnis zur Rückkehr in das Gebiet erhalten 
hatten, zu regeln. Sie gibt außerdem eine Löſung für eine Reihe von Rechts- und 
Verwaltungsfragen, die bisher offen waren. Sie ſteht in Einklang mit den Grund— 
ſätzen des Völkerbundes, da ſie die vollkommene Gleichheit von Bewohnern mit ver— 
ſchiedener Staatsangehörigkeit unter dem Schutz der Regierungskommiſſion verwirklicht. 


VIII. 


Weltpoſtverein, Welttelegraphenverein, internationales Ab— 
kommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr. 


Nr. 61. 


Note der Schweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche 
Regierung vom 12. Oktober 1920. 
(Überſetzung.) 
Schweizeriſche Geſandtſchaft. 
VI J.-BI g/16. Berlin, den 12. Oktober 1920. 
Beitritt des Saargebiets zum Weltpoſtverein. 


Herr Miniſter! 

Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß die 
Regierungskommiſſion des Saargebiets mit einer Note vom 9. September d. J. der 
Schweizeriſchen Bundesregierung mit der Bitte um Bekanntgabe an die dem Welt- 
poſtverein angehörenden Staaten den Beitritt dieſes Gebiets, deſſen Grenzen im 


— 102 — 


Artikel 48 (Teil III, Abſchnitt IV) des Friedensvertrags von Verſailles beſchrieben 
ſind, zu folgenden in Rom am 26. Mai 1906 geſchloſſenen Abkommen angezeigt hat: 


10 Weltpoſtvertrag; 
b) Übereinkommen, betreffend den Austauſch von Briefen und Käſtchen mit 
Wertangabe; 
e) Übereinkommen, betreffend den Poſtanweiſungsdienſt; 
d) Vertrag, betreffend den Austauſch von Poſtpaketen; 
e) Übereinkommen, betreffend den Poſtauftragsdienſt; 
f) Übereinkommen, betreffend die Poſtausweiſungsbücher; 
g) Übereinkommen, betreffend den Poſtbezug von Zeitungen und Zeitſchriften. 


Ich beehre mich, Ihnen dieſe Anzeige zu machen gemäß Artikel 24 des MWelt- 
poſtvertrags (Artikel 15 des Übereinkommens, betreffend den Austauſch von Briefen 
und Käſtchen mit Wertangabe; Artikel 10 des Abkommens, betreffend den Poſt⸗ 
anweiſungsdienſt; Artikel 20 des Vertrags, betreffend den Austauſch von Poſt⸗ 
pafeten; Artikel 18 des Übereinkommens, betreffend den Poſtauftragsdienſt; Artikel 17 
des Übereinkommens, betreffend die Poſtausweiſungsbücher; Artikel 12 des Überein- 
kommens, betreffend den Poſtbezug von Zeitungen und Zeitſchriften). 

Abgeſehen von den Übereinkommen, betreffend den Poſtanweiſungsdienſt, den 
Poſtauftragsdienſt und die Poſtausweiſe, bezüglich deren eine weitere Mitteilung 
erfolgen wird, iſt dieſer Beitritt vom 1. September 1920 ab rechtswirkſam. 

Die Gebühren, die vom Saargebiet gemäß Artikel 10 des Weltpoſtvertrags zu 
erheben ſind, ſind wie folgt feſtgeſetzt worden: 


auf 80 Pfennig für 25 Centimes, 
» 60 


N » | » 
» 40 » » 10 » 
» 20 » „ 3 » 


und die Gebühren für Poſtpakete (Artikel 5 des diesbezüglichen Vertrags) auf 


1 Mark 60 Pfennig für 50 Centimes und 
80 * » 2» 80 
Schließlich iſt das Saargebiet für den Beitrag einer Poſtverwaltung zu den 
Koſten des internationalen Büros in die im Artikel XXXVIII der Vollzugsordnung 
zum Weltpoſtvertrag angegebene ſechſte Klaſſe eingereiht worden. 
Genehmigen Sie, Herr Minifter,. die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten 
Hochachtung. 
Der Schweizeriſche Geſandte in Deutſchland 
gez. A. von Planta. 
Seiner Exzellenz Herrn Simons, 
Reichsminiſter des Auswärtigen, 
Berlin. 


Nr. 62. 


Note der deutſchen Regierung an die Schweizerijche Geſandtſchaft in 
Berlin vom 28. Dezember 1920. 


e . Cut, Berlin, den 28. Dezember 1920. 
Nr. II S. G. 2154 Ang. . 8 


Herr Geſandter! 


Mit Schreiben vom 12. Oktober d. J. — VI/J. — B. 1/16 — hatten Sie die 
Güte, mir im Auftrage Ihrer Regierung mitzuteilen, daß die Megierungskommiſſion 
für das Saargebiet der ſchweizeriſchen Regierung den Beitritt des Saargebiets zum 

Weltpoſtverein angezeigt habe. 

Ich habe die Ehre, Ihnen zu erwidern, daß die deutſche Regierung gegen die 

Aufnahme des Saargebiets in den Weltpoſtverein Einſpruch erheben muß, weil dieſe 


oe en 
— 103 — 


Aufnahme mit der in dem Vertrag von Verſailles feſtgelegten Rechtsſtellung dieſes 
Gebiets nicht in Einklang ſtehen würde. 
Mitglieder einer völkerrechtlichen Intereſſengemeinſchaft, wie ſie der Weltpoſtverein 
darſtellt, können nur Länder fein, denen die Merkmale eines ſelbſtändigen Staats- 
weſens zukommen. Dieſe Merkmale fehlen dem Saargebiet. Nach dem Vertrag von 
Verſailles iſt das Saargebiet kein ſelbſtändiger Staat, ſondern ein Teil des Deutſchen 
Reichs, der für eine begrenzte Zeitdauer der Regierung des Völkerbundes unterſtellt 
iſt und über deſſen endgültiges Schickſal erſt auf Grund einer Volksabſtimmung im 
Jahre 1935 entſchieden werden ſoll. Deutſchland hat nicht auf die Souveränität, 
ſondern nur auf die Regierung im Saargebiet verzichtet. Dies iſt nicht nur im 
Artikel 49 und im $ 35 der Anlage 45 bis 50 des Verſailler Vertrages ausdrücklich 
eſagt, ſondern ergibt ſich auch aus verſchiedenen anderen Beſtimmungen, ſo namentlich 
araus, daß die Staatsangehörigkeit der Bewohner des Gebietes keine Anderung 
erfährt, ſowie daß das Deutſche Reich und die deutſchen Einzelſtaaten Eigentümer 
ihres im Saargebiet belegenen Vermögens bleiben (§S 22 und 27 der erwähnten An— 
lage). Von beſonderer Bedeutung iſt auch der Umſtand, daß das gegenwärtige Statut 
des Saargebiets von vornherein zeitlich begrenzt iſt. Im Hinblick auf dieſe Be— 
ſtimmungen könnte das Saargebiet in gewiſſer Hinſicht mit den Abſtimmungsgebieten 
von Schleswig, Weſtpreußen und Oberſchleſien verglichen werden; niemand aber wird 
der Meinung ſein, daß dieſe Gebiete dem Weltpoſtverein als beſondere Mitglieder 
angehören konnten oder können. 

Bei dieſer klaren Rechtslage hält die deutſche Regierung den Beitritt des Saar⸗ 
gebiets zum Weltpoſtverein nicht für zuläſſig und auch nicht für erforderlich, da dies 
Gebiet als Teil des Deutſchen Reichs dem Weltpoſtverein bereits angehört. 

Ich benutze dieſen Anlaß, um Ihnen, Herr Geſandter, die Verſicherung meiner 
ausgezeichnetſten Hochachtung zu erneuern. 


An gez. von Haniel. 


den Schweizeriſchen Geſandten 
Herrn Dr. von Planta. 


Nr. 63. 


Note der Schweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche 
Regierung vom 7. Februar 1921. 


Schweizeriſche Geſandtſchaft in Berlin. Berlin, den 7. Februar 1921. 
VII Mg. — B. 1/16. 


Herr Miniſter! 

Bezugnehmend auf die Note des Herrn Staatsſekretärs von Haniel vom 
28. Dezember v. J. (Nr. II 8 6 Ang. 1) betreffend den Beitritt des Saargebiets zum 
Weltpoſtverein beehre ich mich Eurer Exzellenz ergebenſt mitzuteilen, daß der ſchweize— 
riſche Bundesrat den Wortlaut dieſer Note den Regierungen aller beteiligten Staaten 
mit einer Zirkularnote zur Kenntnis gebracht hat, — Text folgendermaßen lautet: 

Pour faire suite à la note eirculaire du 7 octobre 1920, nous 
avons I'honneur de remettre a Votre Excellence, en copie, sous ce 
pli, une note, en date du 28 décembre 1920, adresse par le Ministere 
allemand des Affaires Etrangeres a la Legation de Suisse à Berlin, 
au sujet de l’accession du Territoire de la Sarre à l’Union Postale 
Universelle (Convention de Rome). 

Fine Auftrage meiner Regierung beehre ich mich hierzu noch folgendes zu be— 
merken: 

Bei Empfang der Note vom 28. Dezember 1920 hat die ſchweizeriſche Regierung 
nicht ermangelt, im Geiſte des Textes des Übereinkommens von Rom zu prüfen, 


N 


I OR 


welche Folge der Mitteilung der deutfchen Regierung gegeben werden könnte. Da 
der Artikel 24 dieſes Übereinkommens ſich über die Frage der Erhebung von Ein⸗ 
wänden gegen Aufnahmen in den Weltpoftverein ausſchweigt, und das Abereinkommen 
auch im übrigen keinerlei Auskunft über dieſen Punkt zu geben vermag, ſo erachtet 
es der Bundesrat als ſeine Pflicht, allen beteiligten Staaten Kenntnis von dem 
Schritte zu geben, der bei ihm unternommen worden iſt. 

Indem er der Auffaſſung des Internationalen Büros des Weltpoſtvereins bei— 
pflichtet, glaubt der Bundesrat, angeſichts des Stillſchweigens des Textes annehmen 
zu ſollen, daß die mit Datum vom 12. Oktober bekanntgegebene Beitrittserklärung 
ihre Wirkungen fo lange geltend macht, als fie nicht durch den Beitretenden zurüd- 
gezogen wird. Im übrigen will es ſcheinen, daß, in praktiſcher Hinſicht genommen, 
das Saargebiet in keinem Augenblick und in keinerlei Weiſe jemals aufgehört hat, 
Beſtandteil des Weltpoſtvereins zu ſein. 

Was die Gründe betrifft, auf die ſich die Note vom 28. Dezember ſtützt, ſo iſt 
die ſchweizeriſche Regierung nicht zuſtändig, ſie auf ihre Berechtigung hin zu prüfen. 
Sie iſt dabei der Anſicht, daß die Sorge, in dieſer Angelegenheit einen Entſcheid zu 
fällen, denjenigen zu überlaſſen ſei, denen ſie von Rechts wegen zukommt. 

Indem ich die Ehre habe, Euer Exzellenz von Obigem auftraggemäß Kenntnis 
zu geben, benütze ich gerne den Anlaß, um Ihnen, Herr Miniſter, die Verſicherung 
meiner ausgezeichneten Hochachtung zu erneuern. 


Der Schweizeriſche Geſandte in Deutſchland 
gez. A. v. Planta. 
Seiner Exzellenz Herrn Simons, 


Reichsminiſter des Auswärtigen, 
Berlin. 


Nr. 64. 


Verbalnote der portugieſiſchen Regierung an die deutſche Geſandt⸗ 
ſchaft in Liſſabon vom 9. Oktober 1920. 
(berſetzung.) 

Miniſterium des Nußern. 

Abteilung la. 

Nr. 211/19. | 

Das Minifterium des Außern beehrt fich, die deutſche Geſandtſchaft um ihre 
gefällige Vermittelung zu bitten zwecks Benachrichtigung ihrer Regierung, daß laut 
Mitteilung des Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saargebiets dieſe am 
1. September d. J. dem Abkommen des Welttelegraphenvereins beigetreten ift, wo⸗ 
bei ſie hinſichtlich ihres Beitrags in die ſechſte Klaſſe aufgenommen iſt und die End⸗ 
und Durchgangstaxen von 6 und 3,5 Centimes für den europäiſchen Verkehr und 
10 und 8 Centimes für den außereuropäiſchen Verkehr erhält. 

| Liſſabon, den 9. Oktober 1920. 


Nr. 65. 


Verbalnote der deutſchen Geſandtſchaft in Liſſabon an die 
portugieſiſche Regierung vom 2. Februar 1921. 
(berſetzung.) | 
Deutſche Geſandtſchaft. 
J. Nr. 317. 
Verbalnote. 


Die deutſche Geſandtſchaft beehrt ſich, dem Miniſterium des Außern den Empfang 
feiner Note vom 9. Oktober 1920 — Abteilung la Nr. 211/19 — zu beſtätigen, 


— 105 — 


I inhalts deren der Präſident der Regierungskommiſſion für das Saargebiet der 
pPortugieſiſchen Regierung mitgeteilt hat, daß das Saargebiet am 1. September 1920 
dem Welttelegraphenverein beigetreten iſt. 


Erhaltenem Auftrage gemäß hat die deutſche Geſandtſchaft die Ehre, der portu— 
gieſiſchen Regierung mitzuteilen, daß die deutſche Regierung gegen den Beitritt des 
Saargebiets zum Welttelegraphenverein Einſpruch erheben muß und ihn nicht an— 

erkennen kann, weil er mit der durch den Vertrag von Verſailles geſchaffenen Rechts 
ſtellung des Saargebiets in Widerſpruch ſtehen würde. 

Nach ausdrücklicher Beſtimmung des Artikels 18 des internationalen Telegraphen— 
vertrags können dem Welttelegraphenverein nur Staaten beitreten. Dem Saargebiet 
fehlen aber die weſentlichen Merkmale eines Staatsweſens. Nach Artikel 49 des 
Vertrags von Verſailles hat Deutſchland zwar auf die Regierung, nicht aber auf 

die Souveränität im Saargebiet verzichtet. Dies wird ausdrücklich beſtätigt durch 
§ 35 der Anlage 1 zu Teil III des Vertrags von Verſailles und geht auch aus ver— 
[nenn anderen Beſtimmungen dieſer Anlage hervor, fo namentlich aus denen, 
ie beſtimmen, daß die Bewohner des Saargebiets ihre bisherige Staatsangehörigkeit 
behalten, und daß das Deutſche Reich und die deutſchen Einzelſtaaten Eigentümer 
ihres im Saargebiet belegenen Vermögens bleiben (SS 22 und 27). 

Nach dieſen Beſtimmungen iſt das Saargebiet kein ſelbſtändiger Staat, ſondern 
ein für eine begrenzte Zahl von Jahren zur Ausübung der Regierungsgewalt dem 
Völkerbund unterſtellter Teil des Deutſchen Reichs. Mit dieſer Rechtsſtellung des 
Saargebiets wäre ſein Beitritt zum Welttelegraphenverein unvereinbar. Aus den— 
ſelben Gründen iſt ſein Beitritt auch nicht erforderlich, da das Saargebiet als 
Teil des Deutſchen Reichs dem Welttelegraphenverein bereits angehört. Der inter- 
nationale Telegraphenvertrag iſt im Saargebiet nach wie vor in Geltung, da er im 
Deutſchen Reich ordnungsmäßig als Geſetz verkündet worden iſt und die deutſchen 
Geſetze gemäß § 23 der Anlage 1 zu Teil III des Vertrags von Verſailles im Saar 
gebiet in Kraft bleiben. Demen ſprechend iſt in der Handhabung des internationalen 
Telegraphen- und Fernſprechbetriebs im Saargebiet keine Anderung eingetreten, fo 
daß auch praktiſche Gründe nicht für den Beitritt dieſes Gebiets zum Welttelegraphen— 
verein ſprechen. 


Liſſabon, den 2. Februar 1921. 


Nr. 66. 


Verbalnote der deutſchen Geſandtſchaft in Bern an die Schweizerijche 
Regierung vom 26. Januar 1921. 


Deutſche Geſandtſchaft. 
Nr. A 128. 


Am 9. Oktober v. J. hat die portugieſiſche Regierung die deutſche Regierung 
durch Vermittlung der deutſchen Geſandtſchaft in Liſſabon davon benachrichtigt, daß 
nach einer Mitteilung des Vorſitzenden der Kommiſſion der Regierung des Saar— 
gebiets dieſe am 1. September v. J. dem Abkommen der Internationalen Telegraphen— 
Union beigetreten ſei. 

Am 16. Januar d. J. hat daraufhin die deutſche Regierung ihre Geſandtſchaft 
in Liſſabon beauftragt, bei der portugieſiſchen Regierung gegen den Beitritt des Saar— 
gebiets zum Welttelegraphenverein Einſpruch zu erheben, da er mit der durch den 
Vertrag von Verſailles geſchaffenen Rechtsſtellung des Saargebiets in Widerſpruch 
ſtehen würde. Die der portugieſiſchen Regierung übergebene deutſche Note hat 
folgenden Wortlaut: 


_ 8* 


Are 


»Die deutſche Geſandtſchaft beehrt ſich, dem Miniſterium des Außern den 
Empfang ſeiner Note vom 9. Oktober 1920 zu beſtätigen, inhalts deren der Präſident 
der Regierungskommiſſion für das Saargebiet der portugieſichen Regierung mit⸗ 
geteilt hat, daß das Saargebiet am 1. September 1920 dem Welttelegraphenverein 
beigetreten iſt. 


Im Auftrage Ihrer Regierung hat die deutſche Geſandtſchaft die Ehre, der 
portugieſiſchen Regierung mitzuteilen, daß die deutſche Regierung gegen den Beitritt 
des Saargebiets zum Welttelegraphenverein Einſpruch erheben muß und ihn nicht 
anerkennen kann, weil er mit der durch den Vertrag von Verſailles geſchaffenen 
Rechtsſtellung des Saargebiets in Widerſpruch ſtehen würde. 


Nach ausdrücklicher Beſtimmung des Artikels 18 des internationalen Telegraphen⸗ 
vertrages vom 22. Juli 1875 können dem Welttelegraphenverein nur Staaten bei⸗ 
treten. Dem Saargebiet fehlen aber die weſentlichen Merkmale eines Staatsweſens. 
Nach Artikel 49 des Vertrags von Verſailles hat Deutſchland zwar auf die Regierung, 
nicht aber auf die Souveränität im Saargebiet verzichtet. Dies wird ausdrücklich 
beſtätigt durch §S 35 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags und geht auch 
aus verſchiedenen anderen Beſtimmungen dieſer Anlage hervor, ſo namentlich aus 
denen, die beſtimmen, daß die Bewohner des Saargebiets ihre bisherige Staatsan- 
angehörigkeit behalten, und daß das Deutſche Reich und die deutſchen Einzelſtaaten 
Eigentümer ihres im Saargebiet belegenen Vermögens bleiben ($$ 22 und 27). 


Nach dieſen Beſtimmungen iſt das Saargebiet kein ſelbſtändiger Staat, ſondern 
ein für eine begrenzte Zahl von Jahren zur Ausübung der Regierungsgewalt dem 
Völkerbund unterſtellter Teil des Deutſchen Reichs. Mit dieſer Rechtsſtellung des 
Saargebiets wäre fein Beitritt zum Welttelegraphenverein unvereinbar. Aus denſelben 
Gründen iſt der Beitritt auch nicht erforderlich, da das Saargebiet als Teil des 
Deutſchen Reiches dem Welttelegraphenverein bereits angehört. Der internationale 
Telegraphenvertrag vom 22. Juli 1875 iſt im Saargebiet nach wie vor in Geltung, 
da er im Deutſchen Reich ordnungsgemäß als Geſetz verkündet worden iſt und die 
deutſchen Geſetze gemäß § 23 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Verſailler Vertrags 
im Saargebiet in Kraft bleiben. Dementſprechend iſt in der Handhabung des inter⸗ 
nationalen Telegraphen- und Fernſprechbetriebes im Saargebiet keine Anderung ein⸗ 
getreten, ſo daß auch praktiſche Gründe nicht für den Beitritt dieſes Gebietes zum 
Welttelegraphenverein ſprechen.« 5 


Da die Beitrittserklärung der Saarregierung der deutſchen Regierung auch 
durch Vermittelung des Internationalen Büros des Welttelegraphenvereins in Bern 
angezeigt worden iſt (Notifikation dieſes Büros Nr. 798 vom 1. November v. J.), 
beehrt ſich die deutſche Geſandtſchaft im Auftrage ihrer Regierung dem Eidgenöſſiſchen 
Politiſchen Departement Vorſtehendes ganz ergebenſt zur Kenntnis zu bringen Sie 
beehrt ſich dabei gleichzeitig den bei der ſchweizeriſchen Regierung erhobenen Einſpruch 
gegen den Beitritt des Saargebiets zum Weltpoſtverein in Erinnerung zu bringen 
(vgl. Note der ſchweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin vom 12. Oktober v. J., ſowie 
Antwortnote des Auswärtigen Amtes vom 28. Dezember v. J.). 


Die deutſche Geſandtſchaft benutzt auch dieſen Anlaß zur erneuten Verſicherung 
ihrer ausgezeichneten Hochachtung. 


Bern, den 26. Januar 1921. 


An das 
Eidgenöſſiche Politiſche Departement 
| Bern. 


Me 


ee 
rg h > 
rn ‘ 
.. 


— 107 — 


Nr. 67. 


Verbalnote der portugieſiſchen Regierung an die deutſche Geſand⸗ 
ſchaft in Liſſabon vom 9. März 1921. 


(Überſetzung.) 


Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten. 
Abteilung la. Nr. 211/19. 


Das Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten beehrt ſich den richtigen 
Empfang der Verbalnote der deutſchen Geſandſchaft vom 2. Februar d. J. zu be— 
ſtätigen, die ſich auf den Beitritt der Regierung des Saarbeckens zu dem Abkommen 
über die Internationale Telegraphenunion bezieht. 

Abſchriften dieſer Note ſind den Regierungen der Staaten übermittelt worden, 
die der Union angehören, ebenſo wie Abdrücke der hier beigefügten Mitteilung der 
Regierung des Saarbeckengebiets, welche das Miniſterium der Auswärtigen Angelegen— 
heiten die deutſche Geſandſchaft bittet, zur Kenntnis der Reichsregierung zu bringen. 


Liſſabon, den 9. März 1921. 


Anlage. 
(Aberſetzung.) 
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Paris, den 25. Februar 1921. 
Herr Miniſter! 


Mit Schreiben vom 9. Februar (Nr. 211/19) haben Sie mich davon in Kennt— 
nis geſetzt, daß die deutſche Regierung durch eine Note vom 2. Februar 1921 Wider⸗ 
ſpruch gegen den am 1. September 1920 von der Regierungskommiſſion des Saar— 
n Antrag auf Beitritt zur Internationalen Telegraphenunion er— 
hoben hat. 

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Mitgliedsſtaaten folgende Bemerkungen, 
zu denen die erwähnte Note der deutſchen Regierung Anlaß gibt, mitteilen wollten: 


1. Gemäß $ 19 der Anlage zu Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensvertrags von 
Verſailles hat die Regierungskommiſſion im Saarbeckengebiet alle Regierungs— 
rechte, die bisher dem Deutſchen Reich, Preußen und Bayern zuſtanden. Sie hat 
volle Freiheit in der Verwaltung und Ausbeutung der Eiſenbahnen, der Kanäle und 
der verſchiedenen öffentlichen Betriebe. 

Die Souveränität Deutſchlands über das Saargebiet beſteht bis zum Ablauf 
der im § 34 der erwähnten Anlage vorgeſehenen Friſt von 15 Jahren fort, aber ihre 
Ausübung iſt während dieſes Zeitraumes aufgehoben und auf die den Völkerbund 
vertretende Regierungskommiſſion übertragen. 

Da die Regierungskommiſſion alle Regierungsrechte beſitzt, die bisher dem 
Deutſchen Reich zuſtanden, hat ſie, was das Saargebiet betrifft, das Recht, alle 
Verträge und Abkommen zu ſchließen, die das Deutſche Reich zu ſchließen berechtigt 
war und allen internationalen Abkommen beizutreten, denen beizutreten das Deutſche 
Reich das Recht hatte. 


2. Wenn auch mit Rückſicht auf die im Friedensvertrag für das Beſtehen des 
Saargebiets vorgeſehene Dauer von 15 Jahren dieſes Gebiet nicht die Merkmale 
eines Staates erhalten hat, ſo ſteht doch feſt, daß die Regierung dieſes Gebietes 
vollkommen ſelbſtändig iſt (Artikel 49 des Vertrags). 

3. Es iſt unrichtig, zu ſagen, daß die Grenzen des Saargebiets nicht in dem 
Abſchnitt des Vertrags von Verſailles mit der Überſchrift »Deutſchlands Grenzen« 
beſchrieben ſind. Artikel 27 des Vertrags beſtimmt: »Die Grenzen Deutſchlands 
werden folgendermaßen feſtgeſetzt .... .... . 3. Mit Frankreich: Die Grenze 


— 168 — 


vom 18. Juli 1870 von Luxemburg bis zur Schweiz vorbehaltlich der Beſtimmungen 
des Artikels 48 des Abſchnitts IV (Saarbecken) des Teils III.« Artikel 48 beſchreibt 
die Grenzen des Saarbeckens. 

Die Kommiſſion zur Feſtſetzung der Grenzen des Saarbeckens hat in Anwendung 
der ihr durch den erwähnten Artilel 48 übertragenen Befugniſſe beſchloſſen, daß die 
Grenzſteine die Inſchrift »Deutſchland« auf der einen und »Saargebiet« auf der 
anderen Seite tragen ſollen. Sie hat auf dieſe Weiſe das Saargebiet außerhalb der 
Grenzen Deutſchlands geſtellt. 


4. Wenn ein das Internationale Telegraphenabkommen verkündendes deutſches 


Geſetz dieſes Abkommen hinſichtlich des Saargebiets in Kraft ſetzt, ſo würde ſich 
daraus ergeben, daß die Regierungskommiſſion ohne weiteres als dieſem Abkommen 
beigetreten angeſehen werden müßte. | 

Wie könnte die deutſche Regierung für die Beachtung dieſes Abkommens durch 
die Telegraphenverwaltung eines Gebiets verantwortlich ſein, auf deſſen Regierung 
ſie für 15 Jahre vollkommen verzichtet hat? 

Die Regierungskommiſſion beehrt ſich demnach, ihren Antrag auf Beitritt zu 
der Internationalen Telegraphenunion aufrechtzuerhalteu. 


achtung. 
Der Staatsrat, 
Präſident der Regierungskommiſſion des Saarbeckengebiets 


gez. V. Rault. 


| Seiner Exzellenz 
dem Herrn Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten, 


Liſſabon. 


Nr. 68. 


Note der Schweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche 


Regierung vom 14. Dezember 1920. 
(Aberſetzung.) 


Schweizeriſche Geſandtſchaft. Berlin, den 14. Dezember 1920. 
VI/ Mr. B. I. 5/24. | | 


Herr Minifter! 


Im Auftrage meiner Regierung habe ich die Ehre Eurer Exzellenz mitzuteilen, 
daß die Regierungskommiſſion des Saargebiets uns mit einer Note vom 23. Oktober 1920 
einen Antrag auf Beitritt dieſes Gebiets zu dem Internationalen Abkommen über 
den Eiſenbahnfrachtverkehr, gezeichnet in Bern am 14. Oktober 1890, vorgelegt hat. 

Gemäß Abſ. 3 der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 hat das Inter⸗ 
nationale Eiſenbahnzentralamt dieſes Beitrittserſuchen geprüft. Die Ergebniſſe ſeiner 
Prüfung ſind in dem in 2 Abdrücken beigefügten Bericht niedergelegt. Sie ſind dem 
Antrag günſtig. Demgemäß ſchlägt der Bundesrat der Regierung Eurer Exzellenz 
vor, auf das Erſuchen der Regierungskommiſſion des Saargebiets, die Eiſenbahnen 
des Gebiets unter die dem Internationalen Abkommen unterſtehenden Linien aufzu⸗ 
nehmen, in bejahendem Sinne zu antworten, natürlich unter der Vorausſetzung, daß 
das Saargebiet die Rechte und Pflichten, die ſich aus der Anwendung dieſes Abkommens 

ergeben, annimmt. | 

| Der Bundesrat glaubt darauf hinweiſen zu follen, daß die Eiſenbahnen des 
Saargebiets ſolange zum Geltungsbereich des Abkommens gehört haben, als das 
Gebiet einen Teil Deutſchlands gebildet hat. Unter dieſen Umſtänden erſcheint das 
vorliegende Beitrittserſuchen weniger als eine neue Tatſache als vielmehr als ein Schritt, 
der dazu beſtimmt iſt, die Rechtslage dieſes Staates hinſichtlich des Abkommens in 


Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch⸗ 


TJ se n 
A R 2 2 — | a f 
Sr TR 


Alb'ůereinſtimmung mit feiner politifchen Lage zu bringen. Bei dieſer Sachlage erſchien 
es nicht unumgänglich, über die Eiſenbahnen des Saargebiets ebenſo eingehende 
Angaben zu machen, als wenn es ſich um ein dem Abkommen völlig neues Eiſen— 
bahnnetz handeln würde. Die erforderlichen Einzelheiten können in den deutſchen 
Veröffentlichungen über die Eiſenbahndirektionen gefunden werden, von denen die heute 
zum ſaarländiſchen Eiſenbahnnetz gehörigen Linien verwaltet wurden. 

Das Saargebiet hat für den Eiſenbahnverkehr eine beſondere Bedeutung. Der 
Bundesrat iſt deshalb im Einvernehmen mit dem Zentralamt der Meinung, daß es 
wünſchenswert wäre, den Beitritt dieſes Bahnnetzes zu dem Abkommen möglichſt 
bald endgültig werden zu laſſen. Zu dieſem Zweck beehre ich mich dem Wunſch 
Ausdruck zu geben, vor dem 31. Dezember d. J. die Einwendungen zu erfahren, die 

gegen das Beitrittserſuchen des Saargebiets erhoben werden könnten. Wenn der 
Bundesrat bis zu dem angegebenen Tage keine gegenteilige Mitteilung von Eurer 
Exzellenz erhält, wird er annehmen, daß das Erfuchen günſtig aufgenommen worden 
iſt. Ich erinnere daran, daß, wenn der Beitritt des Saargebiets zu dem Abkommen 
die Zuſtimmung aller Vertragsſtaaten findet, die Wirkungen des Beitritts einen 
Monat nach Anzeige dieſes Beitritts durch den Bundesrat beginnen. 

Der Bundesrat glaubt ſchließlich darauf hinweiſen zu ſollen, daß die gegen— 
wärtigen Umſtände ihm nicht geſtatten, die vorliegende Mitteilung auch an Rußland, 
das dem Abkommen als Vertragsſtaat angehört, gelangen zu laſſen. Trotzdem hoffe 
ich, daß Ihre Regierung den Beitritt des Saargebiets zu dem Abkommen unbedenklich 
als vollwirkſam und formgerecht anſehen wird. 

Indem ich der gefälligen Antwort Eurer Exzellenz entgegenſehe, ergreife ich dieſe 
Gelegenheit, um Ihnen, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung zu erneuern. | 


Der Schweizerifche Geſandte in Deutfchland. 
gez. A. von Planta. 


Seiner Exzellenz Herrn Simons, 
Reichsminiſter des Auswärtigen, 
Berlin. 
Anlage. 


Bericht und Antrag des Zentralamtes für den Internationalen Eiſenbahntransport 
an den Bundesrat über die Beitrittserklärung des Saarſtaates zum Internationalen 
Übereinkommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr. 


Mit Zuſchrift vom 23.26. Oktober 1920 teilt die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets dem Zentralamte zu Händen des Bundesrates mit, daß der Saarſtaat 
dem Verbande des genannten Internationalen Übereinkommens beitrete. 

Nach Maßgabe der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 hat das Zentral. 
amt dieſes Aufnahmegeſuch zu prüfen und teilt alsdann der Bundesrat die Vorſchläge 
des Zentralamtes den zur Union gehörenden Staaten zum Endſcheide mit. 

Das Zentralamt beehrt ſich hiermit, dem Bundesrat Bericht und Antrag vor— 
zulegen. 


J. Durch den Friedensvertrag von Verſailles wurde das Saarbecken von Deutſch— 
land abgetrennt und als ein beſonderer Staat konſtituiert, »dont le Gouvernement 
est confie a une Commission representant la Société des Nationsc. Nach Ab 
lauf von fünfzehn Jahren wird über das Schickſal des Saarſtaates definitiv ent— 
ſchieden werden. (Art. 49 des Friedensvertrages und Kapitel II der Anlage zu 
Art. 45 bis 50 daſelbſt). 

Das Saarbecken bildet alſo nunmehr einen beſonderen Staat, deſſen Charakter 
ungefähr dem zivilrechtlichen Gebilde der hereditas jacens entſpricht, und kann als 
tig Staat dem Verbande der Staaten des Internationalen Übereinkommens 

eitreten. 


u ea 


Die Eiſenbahnen auf dem Gebiete dieſes neuen Staates waren bisher der 
Eiſenbahnhoheit von Preußen und Bayern und ſind nunmehr der Eiſenbahnhoheit 
des Saarſtaates unterſtellt. | 

Die Regierungskommiſſion in Sarrebruck erklärt, daß folgende Linien, die fich 
auf ihrem Gebiete befinden, in den Verband des Internationalen Übereinkommens 
aufgenommen werden ſollen: 


A. Das Netz der Saareiſenbahnen, verwaltet für die Regierungskommiſſion 
des Saargebiets durch die Eiſenbahndirektion in Saarbrücken. 


B. Die im Innern des Saargebietes gelegenen, durch die Verwaltung der 
Eiſenbahnen in Elſaß und Lothringen betriebenen Linien: 


von Völklingen bis zur Grenze zwiſchen Frankreich und dem Saarſtaat bei 


Aberherrn, 

von Dillingen bis zur Grenze zwiſchen Frankreich und dem Saarſtaat bei 
Kerprich⸗Hemmersdorf, 

von Merzig bis zur Grenze zwiſchen Frankreich und dem Saarſtaat bei 
Mondorf. | 


C. Die Linie von Brenſchelbach bis zur Grenze des Saarſtaates bei Brenſchel⸗ 
bach, betrieben durch die deutſchen Reichseiſenbahnen, bayriſch-pfälziſches Netz (Eiſen⸗ 
bahndirektion Ludwigshafen). | 

II. Der neue Staat ift PN, in der Lage, die Verpflichtungen zu erfüllen, 
welche ihm durch das Internationale Übereinkommen auferlegt werden, und bietet 
hierfür alle nötigen Garantien. Das nämliche iſt der Fall mit Bezug auf die 
Verwaltungen, von denen die genannten Bahnen nunmehr betrieben werden (Saar⸗ 
eiſenbahnen, verwaltet durch ihre Direktion in Saarbrücken; Eiſenbahnen in Elſaß 
und Lothringen; Reichseiſenbahnen, bayriſch-pfälziſches Netz). 

III. Es beſteht demnach kein Grund irgendwelcher Art, dem Aufnahmegeſuch 
der Regierungskommiſſion nicht ohne weiteres zu entſprechen, und wir ſtellen hiermit 
den Antrag, den Saarſtaat in den Staatenverband des Internationalen Über⸗ 
einkommens aufzunehmen. | 


IV. Sämtliche Bahnen, welche die Regierungskommiſſion zur Einverleibung in 
den Verband des Internationalen Übereinkommens anmeldet, haben dieſem Verbande 
als Beſtandteile des deutſchen Bahnnetzes bereits angehört und haben lediglich infolge 
der Ablöſung des Saarbeckens aufgehört, zu den Eiſenbahnen des Internationalen 
Übereinkommens zu gehören. Tatſächlich iſt aber ſehr wahrſcheinlich ſeit der Wieder 
aufnahme des Zivilbetriebes der internationale Frachtbrief dennoch ſtets in Anwen— 
dung geblieben. 

Es iſt daher ſehr wünſchbar, daß die Zugehörigkeit der Saarbahnen zum Inter⸗ 
nationalen Übereinkommen ſo ſchnell als möglich auch formell wieder geordnet 
werde, beſonders weil dieſe Bahnen einen ſehr bedeutenden internationalen Verkehr 
beſitzen. i 

Mit Rückſicht hierauf empfiehlt es ſich, im Gegenſatz zu dem bisherigen Ver⸗ 
fahren bei der Aufnahme (zuletzt bei der Aufnahme von Norwegen), daß der 
Bundesrat die Staaten der Union erſuche, ſich innert einer kurzen Friſt zum Auf⸗ 
nahmegeſuch zu äußern, in der Meinung, daß Stillſchweigen innert der Friſt als 
Zuſtimmung ausgelegt werde. Da die Commission de Gouvernement ausdrücklich 
wünſcht, daß das Internationale Übereinkommen ſo ſchnell als möglich — ſie ſpricht 
vom 1. Dezember nächſthin — auf die Bahnen des Saarbeckens Anwendung finde, 
ſo würden wir dem Bundesrat beantragen, die Friſt zur Antwort auf einen Monat 
anzuſetzen. | 

V. Im Anſchluß hieran beſchäftigen wir uns mit der weiteren Frage, ob gemäß des 
letzten Alinea der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 der Beitritt erſt einen Monat 
nach der Notifikation der Aufnahme des Saarſtaates rechtskräftig werden ſolle. Wir 
würden im vorliegenden Falle es begrüßen, wenn damit nicht ein Monat gewartet 


— 111 — 


werden müßte. Allein wir ſtehen vor einer bindenden Vorſchrift und geben zu be— 
denken, daß nach der Notifikation der Aufnahme an den neuen Staat der Regierung 
desſelben notwendig eine, wenn auch nur kurze Friſt eingeräumt werden muß, um 
die Notifikation an die Bahnverwaltungen weiterzugeben, und daß es, beſonders um 
der zivilrechtlichen Konſequenzen willen, nicht wohl anginge, daß die Bahnen des 
Saarbeckens, bevor ſie ſelbſt benachrichtigt werden, wieder der Herrſchaft des Rechtes 
des Internationalen Übereinkommens unterſtehen, nachdem ſie ſeit der Ablöſung des 
Saarbeckens von Deutſchland dem Rechtsgebiete des Internationalen Übereinkommens 
nicht mehr angehört hatten. Deshalb halten wir dafur, daß die Beſtimmung des 
letzten Alinea der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 auch im vorliegenden 

alle, d. h. auch auf die eventuelle Anfnahme des Saarſtaates zur Anwendung 
ommen ſoll. 


Bern, den 28. Oktober 1920. 


Zentralamt für den Internationalen Eiſenbahntransport. 
Der Direktor. 
(òUnterſchrift.) 


Nr. 69. 


Note der deutſchen Regierung an die Schweizeriſche Geſandtſchaft 
in Berlin vom 29. Dezember 1920. 


Auswärtiges Amt. a 0 
Nr. II S. G. 2260. Berlin, den 29. Dezember 1920. 


Herr Geſandter! 


Ich beehre mich, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 14. Dezember — 
VI Mr. B. 1/24 — zu beſtätigen, worin Sie mir mitgeteilt haben, daß die Re— 
gierungskommiſſion für das Saargebiet den Beitritt des Saargebiets zu dem inter— 
nationalen Abkommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr vom 14. Oktober 1890 an- 
gemeldet habe, und daß der Schweizeriſche Bundesrat der Deutſchen Regierung vor— 
ſchlage, dem Antrage der Regierungskommiſſion zuzuſtimmen. 

In Beantwortung dieſes Schreibens beehre ich mich zu erwidern, daß die Deutſche 
Regierung dieſem Erſuchen nicht ſtattgeben kann. 

Das Ihrem Schreiben beigefügte Gutachten des Internationalen Eiſenbahn— 
8 geht von der Annahme aus, daß das Saargebiet durch den Vertrag von 

erſailles von Deutſchland abgetrennt worden ſei und einen ſelbſtändigen Staat 

bilde. Dieſe Annahme iſt unzutreffend. Nach Artikel 49 des Verſailler Vertrags hat 
Deutſchland zwar auf die Regierung, nicht aber auf die Souveränität über das 
Saargebiet verzichtet; im § 35 der Anlage zu Artikel 50 wird dies ausdrücklich be— 
ſtätigt. Es kommt hinzu, daß die Grenzen des Saargebiets nicht in dem Abſchnitt 
beſchrieben find, der die Überſchrift »Deutſchlands Grenzen« trägt, daß die Bewohner 
des Gebietes ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten, und daß das Deutſche Reich 
und die deutſchen Einzelſtaaten Eigentümer ihres im Saargebiet gelegenen Vermögens 
bleiben. Mit Rückſicht auf dieſe und andere grundlegende Beſtimmungen des Vertrags 
von Verſailles iſt es nicht angängig, von einem »Saarſtaat« zu ſprechen, ein Aus— 
druck, den der Vertrag ſelbſt übrigens an keiner Stelle gebraucht. Das Saargebiet 
iſt vielmehr ein für eine beſchränkte Zahl von Jahren der Regierung des Völker— 
bundes unterſtellter Teil des Reichsgebietes, über deſſen endgültiges Schickſal im 
Jahre 1935 auf Grund einer Volksabſtimmung entſchieden werden ſoll. 

Da das Saargebiet kein ſelbſtändiger Staat iſt, kann ſein Beitritt zu dem 
internationalen Abkommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr nicht in Frage kommen, 


* N Eh a a EN o 5 
* N er * 2 N 


— 112 — 
denn nach der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 können dem Abkommen 
nur Staaten beitreten. 


Das erwähnte Gutachten des Internationalen Eiſenbahnzentralamts enthält ferner 
die Bemerkung, daß das Eiſenbahnnetz des Saargebiets zwar früher als Teil des 


deutſchen Netzes zu der durch das Abkommen vom 14. Oktober 1890 gebildeten 
Union gehört habe, mit der Abtrennung des Gebietes vom Deutſchen Reich aber aus⸗ 


geſchieden ſei. Dieſe Bemerkung erſcheint nicht nur aus den bereits angeführten 


allgemeinen Gründen, ſondern auch deshalb unzutreffend, weil nach § 23 der Anlage 


zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags von Verſailles die am 11. November 1918 in 


Kraft befindlichen deutſchen Geſetze im Saargebiet weiter gelten. Zu dieſen Geſetzen 
gehört auch das Abkommen vom 14. Oktober 1890, das am 29. Oktober 1892 
ordnungsmäßig als deutſches Geſetz verkündet worden iſt. Hiernach gehört das 
Saargebiet nach wie vor dem Abkommen vom 14. Oktober 1890 an, ſo daß ſein 
Beitritt nicht erforderlich iſt. 


Aus all dieſen Gründen muß die deutſche Regierung dem Beitritt des Saar- 
gebiets zu dem internationalen Abkommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr wider⸗ 


ſprechen. 
Genehmigen Sie, Herr Geſandter, die Verſicherung meiner ausgezeichnete Hoch— 
achtung. 
gez. von Haniel. 


An 


den Schweizeriſchen Geſandten 
Herrn Dr. von Planta. 


Nr. 70. E 


Note der Schweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche 
Regierung vom 14. Februar 1921. 


Schweizeriſche Geſandtſchaft in Berlin. Berlin, den 14. Februar 1921. | 
VI/Mr. B. I g/24. | 


Herr Minifter! 


Bezugnehmend auf die Note des Herrn Staatsſekretärs von Haniel vom 
29. Dezember v. J., betreffend die Stellung des Saargebiets in bezug auf das internationale 
Abkommen über den Eiſenbahnfrachtverkehr vom 14. Oktober 1890, beehre ich mich, 
Eurer Exzellenz im Auftrage meiner Regierung ergebenſt mitzuteilen, daß die in dieſer 
Note enthaltenen Ausführungen allen dem Abkommen beigetretenen Staaten zur 
Kenntnis gebracht worden ſind. — Dieſer Proteſt der deutſchen Regierung gegen den 
Antrag der Regierungskommiſſion des Saargebiets iſt den vorerwähnten Regierungen 
durch eine Note des Bundesrats vom 1. Februar 1921 übermittelt worden. 

Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten 
Hochachtung. 5 

Der Schweizeriſche Geſandte in Deutſchland. 
gez. A. von Planta. 
An 


Seine Exzellenz Herrn Simons, 
Reichsminiſter des Auswärtigen, 


Berlin. 


a r 
e 


* F ne a N vr * 
ee. 3 * * 


— 113 — 


Nr. 71. 


Note der Schweizeriſchen Geſandtſchaft in Berlin an die deutſche 
2 Regierung vom 28. April 1921. 


(Überfegung.) 


ee in Berlin. Berlin, den 28. April 1921. 


Herr Miniſter! 


Im Anſchluß an die Zirkularnote des Bundesrats vom 1. Februar d. J., betreffend 
den Beitritt des Saargebiets zu dem Abkommen vom 14. Oktober 1890 über den 
1 beehre ich mich, folgendes zur Kenntnis Eurer Exzellenz zu 

ngen. 

1. Mit Note vom 21. März 1921 hat die Regierungskommiſſion des Saar— 

ebiets dem Bundesrat verſchiedene Bemerkungen in Beantwortung der Note der 
tſchen Regierung vom 28. Dezember 1920 mitgeteilt und ihn gebeten, dieſe 
Bemerkungen den Staaten mitzuteilen, die dem in Rede ſtehenden Abkommen ange— 
ören. Da dieſe Note die von der deutſchen Regierung den Beſtimmungen des 
ags von Verſailles gegebene Auslegung und insbeſondere die Frage erörtert, 

ob das Saargebiet als »Staat« angeſprochen werden kann, hat die Bundesregierung 
beg gab die Regierungskommiſſion wiſſen zu laſſen, daß ſie bedauert, ſich nicht in 

Lage zu ſehen, ihrem Erſuchen zu entſprechen. Sie iſt der Anſicht, daß es nicht 
zu der ihr durch das Abkommen von 1890 und die internationalen Zuſatzabkommen 
übertragene Aufgabe gehört, ihre Vermittlung in einem Meinungsaustauſch eintreten 
N laſſen, der ſich im weſentlichen nicht auf das Abkommen ſelbſt bezieht, ſondern 

e Rechtsſtellung des Saargebiets im europäiſchen Völkerrecht und die Auslegung 
eines von dieſem Abkommen ganz verſchiedenen internationalen Vertrages zum 
eigentlichen Gegenſtand hat. Sie ſieht ſich demgemäß genötigt, es der Regierungs— 
kommiſſion zu überlaſſen, den Regierungen der beteiligten Staaten unmittelbar die 
Bemerkungen darzulegen, die ſie ihr mitgeteilt hat. 

2. Bei Mitteilung der erwähnten Note der deutſchen Regierung an die Re— 
gierungskommiſſion des Saargebiets hatte der Bundesrat folgende Erläuterungen hin— 
zugefügt: »Gemäß der Zuſatzerklärung vom 20. September 1893 und den vorhandenen 
Präzedenzfällen hat der Widerſpruch eines Signatarſtaates gegen den Beitritt eines 
neuen Mitgliedes zu dem Abkommen aufſchiebende Wirkung, und der Beitritt des 
neuen Mitgliedes kann erſt eingetragen werden, wenn der Einſpruch gegen ſeinen 
Beitritt zurückgezogen worden iſt. Bei dieſer Sachlage müſſen wir es der Regierungs— 
kommiſſion des Saargebiets oder dem, den es ſonſt angeht, überlaſſen, die erforder— 
lichen Schritte zu unternehmen, um die Eintragung zu ermöglichen.« 

In ihrer Note vom 21. März hat die Regierungskommiſſion erklärt, daß ſie 
»ſich vorbehält, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die Eintragung ihres 
Antrags auf Beitritt zu dem Abkommen zu erwirken.« 

3. In der bereits unter Ziffer 2 erwähnten Note hat der Bundesrat die Auf— 
merkſamkeit der Regierungskommiſſion auf die ernſten Unzuträglichkeiten gelenkt, die 
ſich er Nachteil des internationalen Eiſenbahnverkehrs möglicherweiſe ergeben können 
ür den Fall, daß die Regierungskommiſſion beabſichtigen ſollte, darauf zu verzichten, 

8 in Rede ſtehende Abkommen zu beachten, wie fie es bisher getan hat. »Deshalb«, 
fügte der Bundesrat hinzu, »wäre es zu wünſchen, daß die Regierungskommiſſion, 
ungeachtet der gegenwärtig aufgeworfenen Erörterungen, keine Einwendungen dagegen 
erhebt, daß vorläufig hinſichtlich der Anwendung des Abkommens nichts geändert wird. 
Wir würden Wert darauf legen, eine Beſtätigung von Ihnen in dieſem Sinne zu 
erhalten, und würden es lebhaft begrüßen, wenn wir in die Lage verſetzt würden, 
den beteiligten Staaten davon Mitteilung zu machen «. 


— 114 — 


In ihrer neuen Antwort hat die Kommiſſion den Bundesrat wiſſen laſſen, »daß 
ſie außerſtande iſt, falls die deutſche Regierung bei ihrem Widerſpruch beharren 
ſollte, die Verpflichtung zu übernehmen, ein Abkommen zu beachten, zu dem ihr der 
Beitritt nicht erlaubt ſein ſollte. Um indes den Bemerkungen, die die Bundesregierung 
ihr unterbreitet hat, Rechnung zu tragen, wird ſie bis auf weiteres fortfahren, das 
Abkommen anzuwenden, und nicht unterlaſſen, ſie rechtzeitig von den Beſchlüſſen zu 
benachrichtigen, zu denen die Umſtände fie etwa zwingen werden“. | 


Genehmigen Sie, Herr Minifter, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten Se 


achtung. 
Der Schweizeriſche Geſandte in Deutſchland 
| gez. A. von Planta. 
Seiner Exzellenz Herrn Simons, 
Reichsminiſter des Auswärtigen, 
Berlin. 


1 


Einſetzung und Ausweiſung der „Deutſchen Vers 
kommiſſion Saarbrücken“ und der „Preußiſchen Bergwerks 
direktion (Abwicklungsſtelle) in Saarbrücken“. 8 


Nr. 72. 1 BE 


Note der deutſchen Friedensdelegation an die Friedenskonferenz vom 
23. November 1919. 


Der Vorſitzende i 1 
der Deutſchen Friedensdelegation. Parts, den 23. November 1919. 
Nr. 51. g 5 


Herr Präſident! 


Die Deutſche Regierung hat in Saarbrücken eine Kommiſſion eingeſetzt, Ar 
die dienſtliche Bezeichnung »Deutſche Bergwerkskommiſſion Saarbrüden« trägt und 
der angehören 

der Geheime Oberbergrat Fuchs als Vorſitzender, 
der Geheime Bergrat Knops, 

der Bergrat Feuchter, 

der Bergrat Dr. Weiſe, 

der Berginſpektor Bodifée, 

der revidierende Markſcheider Schlicker 


als Mitglieder, ſowie das erforderliche Büro- und Hilfsperſonal. 


Von den genannten Herren ſind 
der Geheime Oberbergrat Fuchs, 
der Geheime Bergrat Knops, 
der Bergrat Feuchter 
ermächtigt, im Namen der Deutſchen Regierung die in Abſchnitt IV, Teil III des 
Friedensvertrags vom 28. Juni 1919 bezeichneten Kohlengruben des Saargebiets der 
Regierung der Franzöſiſchen Republik zu übergeben und über Fragen, die mit der 


— 15 — 


Abergabe des Eigentums an den Kohlengruben im Zuſammenhang ſtehen, unter Vor— 


behalt der Genehmigung durch die Deutſche Regierung, Vereinbarungen jeder Art 
zu treffen. 
Genehmigen Sie, Herr Präſident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung 


gez. Frhr. von Lersner. 


Seiner Exzellenz 
dem Präſidenten der Friedenskonferenz 
Herrn Clemenceau. 


Nr. 73. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 18. Mai 1920. 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 18. Mai 1920. 


Nr. II. S. G. 374. 


Herr Staatsrat! 


Zur Erledigung der dem preußiſchen Bergfiskus im Saargebiet nach der Über— 
gabe der Kohlengruben an Frankreich noch verbleibenden Aufgaben — es handelt 
ſich hierbei faſt ausſchließlich um die Erledigung ſchwebender Bergſchädensprozeſſe 
und um Abrechnungen — hat die Preußiſche Regierung eine Abwicklungsſtelle mit 
der dienſtlichen Bezeichnung »Preußiſche Bergwerksdirektion (Abwicklungsſtelle) Saar— 
brücken« geſchaffen. Dieſer Stelle iſt eine Kaſſe angegliedert, die den Namen 
»Preußiſche Bergabrechnungskaſſe« führt. 

Der Vorſitz der Abwicklungsſtelle iſt dem Geheimen Oberbergrat Fuchs für die 
Dauer ſeiner Tätigkeit als Vorſitzender der Deutſchen Bergwerkskommiſſion in Saar— 
brücken übertragen worden. 

Zu Mitgliedern der Abwicklungsſtelle ſind beſtellt: 

| Der Geheime Bergrat Knops, der zugleich Mitglied der Deutſchen Berg— 

werkskommiſſion iſt, 
der Geheime Bergrat Gutdeutſch, 
der Bergwerksdirektor Klapper, 
der Regierungsbaumeiſter Baurat Wedding, 
der Berginſpektor Dr. Röttcher und 
der Bergaſſeſſor Weinlig. 

Außerdem gehören der Abwicklungsſtelle eine Anzahl Büro- und Kaſſenbeamte 
und ein Kanzleibeamter an. 

Um der Abwicklungsſtelle und ihrer Kaſſe die ordnungsmäßige Tätigkeit zu er— 
möglichen, bittet die Deutſche Regierung, Anordnungen treffen zu wollen, die der 
Abwicklungsſtelle und ihrer Kaffe den ungehinderten, zenſurfreien Brief-, Telegramm-, 
Telephon⸗ und Geldverkehr gewährleiſten. 

Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 

gez. von Haniel. 


An 
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 


Hochwohlgeboren. 
Saarbrücken. 


— 116 — 


Nr. 74. 


Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche 


Regierung vom 25. Juni 1920. 
(berſetzung.) 
Regierungskommiſſion des Saargebiets. 
Generalſekretariat. 


Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
an 
den Herrn Miniſter des Auswärtigen, 


Saarbrücken, den 25. Juni 1920. 


Berlin. 
Herr Miniſter! 


In Ihrem Schreiben vom 18. Mai d. J., Nr. II S. G. 374, haben Sie die 


Regierungskommiſſion des Saargebiets gebeten, der »Preußiſchen Bergwerksdirektion 


(Abwicklungsſtelle) in Saarbrücken« eine gewiſſe Anzahl von Befreiungen zu gewähren. 
Ich beehre mich Ihnen mitzuteilen, daß die Anweſenheit von Beamten in Saar- 
brücken, die unmittelbar der preußiſchen Regierung unterſtehen, mit den Beſtimmungen 
des Friedensvertrags nicht vereinbar iſt und zu ſchweren Bedenken Anlaß gibt. 
Ich habe deshalb beſchloſſen, daß die Abwicklungsſtelle und alle zu ihr gehörigen 
Perſonen das Saargebiet ſpäteſtens am 1. September d J. verlaffen haben müſſen. 


Die ihnen gewährte Friſt wird ihnen geſtatten, ohne Schwierigkeiten die im Hinblick 


auf ihre Abreiſe erforderlichen Maßn ihmen zu treffen 
Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch⸗ 


achtung. 
gez. V. Rault. 


Nr 5 


Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den 
Vorſitzenden der Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion 
in Saarbrücken vom 1. Juli 1920. | 


(berſetzung.) 
ae: Saarbrücken, den 1. Juli 1920. 


Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion, 
an 
den Geheimen Oberbergrat Fuchs, Vorſitzenden der ee 
Bergwerksdirektion (Abwicklungsſtelle) 
Saarbrücken. 


Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß ich unterm 25. Juni den Miniſter des Aus⸗ 
wärtigen in Berlin benachrichtigt habe, die Preußiſche Bergwerksdirektion (Abwicklungs⸗ 
ſtelle) in Saarbrücken und die Deutſche Bergwerkskommiſſion in Saarbrücken müßten 


bis zum 1. September 1920 ihre Arbeiten hier zum Abſchluß gebracht haben und 


zu dieſem Zeitpunkt das Saargebiet mit den höhe en und unteren Beamten verlaffen. 
Die Anweſenheit von Beamten im Saargebiet, die unmittelbar der deutſchen 


oder preußiſchen Regierung unterſtellt ſind, ſteht im Widerſpruch mit dem Friedens⸗ 


vertrag und gibt zu ſchweren Bedenken Anlaß. 


Ich erſuche Sie, zur Ausführung dieſes Beſchluſſes die nötigen W 


ergreifen zu wollen. 
L. S. gez. V. Rault. 


— 117 — 


Nr. 76. 


Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Vor— 
ſitzenden der Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion 
in Saarbrücken vom 17. Juli 1920. 


(üÜberſetzung.) 


| Regierungskommiſſion des Saargebiets. 


Einſchreiben. 
P. 568. 


Saarbrücken, den 17. Juli 1920. 


Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion, 
an 5 
Herrn Oberbergrat Fuchs, Preußiſche Bergwerksdirektion, 
Saarbrücken. 


Ich beehre mich, Ihnen mein Schreiben vom 2. Juli 1920, S. P. 243, in Er- 
innerung zu bringen, deſſen Empfang mir noch nicht beſtätigt wurde. 

Ich erſuche Sie, mir umgehend mitteilen zu wollen, daß Sie im Beſitze des 
erſten Schreibens find und den darin enthaltenen Anordnungen gemäß Ihre Maß— 
nahmen treffen. 


gez. V. Rault. 


Nr. 7 


Schreiben des Vorſitzenden der Abwicklungsſtelle der Preußiſchen 
Bergwerksdirektion in Saarbrücken an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 21. Juli 1920. 


Der Vorſitzende | 3 RER 
der Preußiſchen Bergwerksdirektion. Saarbrücken, den 21. Juli 1920. 
Nr 4826. 
Auf das gefällige Schreiben vom 
17. Juli d. J. — S. P. 568 —. 


Der Empfang des gefälligen Schreibens vom 1. Juli d. J. — S. P. 243 — 
wurde nicht beſtätigt, weil ein Erſuchen hierum in dem Schreiben nicht ausge— 
ſprochen war. 

Von dem Inhalte des Schreibens vom 1. Juli haben wir den maßgebenden 


3 und preußiſchen Zentralſtellen ſofort Kenntnis gegeben und deren Weiſungen 
erbeten. 


gez. Fuchs. 


An 
den Herrn Staatsrat, 
Präſidenten der Regierungskommiſſion, 
Saarbrücken. 


— 118 — 


Nr. 78. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion 
des Saargebiets vom 24. Juli 1920. 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 24. Juli 1920. 
Nr. II S. G. 896. 


Herr Staatsrat! 


In Ihrem Schreiben vom 25. Juni d. J., Nr. 149 /S. P., haben Sie mir mit⸗ 
geteilt, daß die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion in Saarbrücken 
mit ihrem Perſonal das Saargebiet bis zum 1. September d. J. zu verlaſſen habe, 
da die Anweſenheit von Beamten, die unmittelbar der preußiſchen Regierung unter⸗ 
ſtehen, dem Friedensvertrag nicht eniſpreche und ſchwere Unzuträglichkeiten zur Folge 
habe. In einem Schreiben vom 1. Juli d. J. haben Sie dem Vorſitzenden der ge- 
nannten Abwicklungsſtelle, Geheimen Oberbergrat Fuchs, hiervon Mitteilung gemacht 
und hinzugefügt, daß aus den gleichen Gründen auch die Deutſche Bergwerkskommiſſion 
in Saarbrücken bis zum 1. September d. J. das Saargebiet zu verlaſſen habe. 

Ich beehre mich zu erwidern, daß die Deutſche und die Preußiſche Regierung 
ſelbſtverſtändlich nicht beabſichtigen, im Saargebiet eigene Behörden zu unterhalten. 
Die Deutſche Bergwerkskommiſſion und die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Berg⸗ 
werksdirektion ſind vorübergehende Einrichtungen. Ihre Anweſenheit im Saargebiet 
bis zum Abſchluß ihrer Arbeiten iſt aber, wie aus den nachſtehenden Ausführungen 
hervorgeht, gerade im Hinblick auf die Ausführung des Friedensvertrags geboten. 
Unzuträglichkeiten haben ſich aus dieſer Anweſenheit bisher nicht ergeben und ſind 
auch nicht zu erwarten, denn beide Stellen nehmen keine eigentlichen Regierungs⸗ 
geſchäfte war, vielmehr liegt ihre Tätigkeit ausſchließlich auf fiskaliſchem Gebiet. 
Wohl aber würden durch die vorzeitige Entfernung der Stellen erhebliche Schwierigkeiten 
entſtehen, und zwar nicht nur für die Deutſche und die Preußiſche Regierung, ſondern 
auch für die franzöſiſche Grubenverwaltung und die Bevölkerung des Saargebiets. 

Die Einſetzung der Deutſchen Bergwerkskommiſſion iſt der Friedenskonferenz mit 
einer Note der deutſchen Regierung vom 23. November 1919) angezeigt worden. 
Von Perſonalveränderungen hat die Friedenskonferenz ebenfalls ſtets Mitteilung 
erhalten. Nach dieſer Note vom 23. November 1919, von der ich eine Abſchrift bei- 
füge, hat die Kommiſſion die Aufgabe, die mit dem Übergang der Saarkohlengruben 
in das Eigentum des franzöſiſchen Staates zuſammenhängenden Aufgaben zu erledigen. 
Soweit es ſich hierbei um die ordnungsmäßige Übergabe der Gruben an Frankreich 
handelt, hat die Kommiſſion im weſentlichen ihre Aufgaben erfüllt. Unerledigt ſind 
aber noch zum großen Teil die Vorarbeiten für die Feſtſtellung des Wertes der ab⸗ 
getretenen Gruben. Deutſchland hat nach Artikel 233 des Friedensvertrags das Recht, 
bei dieſer der Wiedergutmachungskommiſſion obliegenden Wertfeſtſtellung gehört zu 
werden. Wenn es dieſes Recht wahrnehmen ſoll, muß ihm auch Gelegenheit gegeben 
werden, ſich die nötigen Unterlagen für die Berechnung des Wertes der Gruben zu 
verſchaffen. Ebenſo muß Deutſchland die Möglichkeit haben, für die mit der Wert, 
feſtſtellung eng zuſammenhängende Entſchädigung der bisherigen Grubeneigentümer⸗ 
zu der es nach § 5 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Friedensvertrags verpflichtet 
iſt, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dieſe Aufgaben kann die Deutſche 
Regierung nur durch Beamte löſen, die in dem Gebiet, in dem die Gruben liegen, 
ſelbſt tätig ſind, denn es handelt ſich beiſpielsweiſe um Feſtſtellungen an der Hand 
des Grundbuchs, um Auflöſung früherer Pachtverträge mit Gemeinden oder Privaten, 
um Klärung unſicherer Eigentumsverhältniſſe, um Beſichtigungen und Beſtandsauf⸗ 
nahmen und vor allem um Verhandlungen mit den zum großen Teil im Saargebiet 
ſelbſt anſäſſigen Intereſſenten. Es liegt auf der Hand, daß es unſachgemäß und 


1) Vgl. Nr 72. 


1198 — 


faſt unmöglich wäre, dieſe Aufgaben von einem Ort außerhalb des Saargebiets aus 
zu erledigen. Eine Erſchwerung und Verzögerung der Geſchäfte, an deren raſcher 
und reibungsloſer Abwicklung viele Bewohner des Saargebiets ein Intereſſe haben, 
wäre die unausbleibliche Folge, ganz abgeſehen von den erheblichen Mehrkoſten, die 
dadurch der deutſchen Regierung entſtehen würden. Ebenſo liegt es auf der Hand, 
daß die in vollem Gang befindlichen, umfangreichen Arbeiten nicht bis zum 1. Sep- 
tember d. J. beendet ſein können. Bis zu welchem Zeitpunkte der Abſchluß erfolgen 
kann, läßt ſich ſchwer beurteilen, doch wird dies vorausſichtlich zu Beginn des 
kommenden Jahres möglich ſein. 

Die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion hat vor allem die 
Aufgabe, alle die Geſchäfte abzuwickeln, die mit dem Wechſel des Eigentums an den 
bisher preußiſchen Staatsgruben zuſammenhängen. An erſter Stelle ſteht hierbei die 
Abrechnung mit der franzöſiſchen Grubenverwaltung über Forderungen des Preußiſchen 
Staates wegen Kohlenlieferungen und Lebensmittellieferungen an die Belegſchaft der 
Gruben, die von der preußiſchen Verwaltung auf Anordnung des franzöſiſchen 
Grubenkontrolldienſtes bewirkt worden ſind. Sodann müſſen nach einer mit der 
franzöſiſchen Grubenverwaltung getroffenen Abmachung die von der franzöſiſchen 
Verwaltung für Rechnung Preußens bezahlten Löhne der Arbeiter für die Zeit 
vom 1. Dezember 1919 bis 10. Januar 1920, ſowie die von der franzöſiſchen 
Verwaltung zu erſtattenden Bezüge der Beamten und Angeſtellten für die Zeit 
vom 11. Januar bis 31. März 1920 ermittelt und abgerechnet werden. Da es ſich 
bei dieſen Abrechnungen um erhebliche Beträge handelt, iſt eine ſorgfältige Prüfung, 
an der nicht nur der Preußiſche Staat, ſondern auch die franzöſiſche Verwaltung 
großes Intereſſe hat, erforderlich. Dieſe Arbeiten können nur in ſtändiger Ver— 
bindung mit der franzöſiſchen Grubenverwaltung erfolgen und erfordern häufige 
Befragungen der Oberſchichtmeiſter und Berechnungen auf Grund der Kaſſenbücher 
der Werkskaſſen. Vor Ende des Jahres könnten auch dieſe Arbeiten nicht zum Ab— 
ſchluß gebracht werden. 


Weitere, beſonders umfangreiche Aufgaben erwachſen der Abwicklungsſtelle aus 
der Erledigung der bisher angemeldeten Bergſchädenangelegenheiten und der daraus 
entſtehenden Rechtsſtreitigkeiten. Nach einer Abmachung mit der franzöſiſchen 
Grubenverwaltung hat der Preußiſche Staat für alle bis zum Stichtage, dem 
10. Januar 1920, angemeldeten Bergſchäden aufzukommen. Die Abwicklung dieſer 
Angelegenheiten erfordert dauernd eigene Beobachtungen und Feſtſtelungen an Ort 
und Stelle und vor allem perſönliche Verhandlungen mit den beteiligten Haus- und 
Grundſtücksbeſitzern; außerdem müſſen die von der preußiſchen Verwaltung in An— 
griff genommenen zahlreichen Ausbeſſerungsarbeiten an Bruchhäuſern überwacht 
werden. Es handelt ſich alſo um Arbeiten, die nur im Saargebiet ſelbſt erledigt 
werden können. Nach dem gegenwärtigen Stande der Arbeiten kann damit gerechnet 
werden, daß die angemeldeten Bergſchädenangelegenheiten, ſoweit ſie nicht zu neuen 
Prozeſſen führen, in etwa 6 Monaten beendet ſein werden, hingegen erfordert die Erledi— 
gung der anhängigen Rechtsſtreitigkeiken und etwa hinzukommender neuer Bergſchäden— 
angelegenheiten weſentlich längere Zeit, deren Dauer ſich nicht überſehen läßt. 


Neben dieſen beiden wichtigſten Aufgaben hat die Abwicklungsſtelle noch eine 
Reihe anderer Angelegenheiten zu erledigen, z. B. Abrechnungen mit Lieferanten und 
Unternehmern, Prüfung der Nach- und Mehrforderungen aus früheren Verträgen, 
Rückgabe der nicht mehr erforderlichen Kautionen, Klärung ſtreitiger Eigentums— 
verhältniſſe, Abwicklung der verzinslichen und un verzinslichen Baudarlehen, Rechnungs— 
legung der Kaſſen, Rechnungsabnahme und Prüfung der Jahresrechnungen; hierzu 
kommen noch eine Reihe anderer Verwaltungsangelegenheiten. Auch die Erledigung 
dieſer Arbeiten kann ſachgemäß nur im Saargebiet ſelbſt erfolgen und läßt ſich bis 
zum 1. September d. J. keinesfalls bewerkſtelligen. 


Schon dieſe Angaben laſſen erkennen, wie groß der Kreis der Aufgaben iſt, 
welche die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion zu erledigen hat. 


9 


— 120 — 


Dieſe Aufgaben ergeben ſich zum großen Teil unmittelbar aus der durch den Friedens: 
vertrag vorgeſehenen Übergabe der Kohlengruben an Frankreich. Mit Rückſicht 
hierauf ſcheint es mir durchaus dem Geiſte des Friedensvertrags zu entſprechen, 
wenn die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion bis zur Erledigung 
ihrer Aufgaben im Saargebiet verbleibt. Eine vorzeitige Verlegung der Abwicklungs⸗ 
ſtelle an einen Ort außerhalb des Saargebiets würde der Preußiſchen Bergverwaltung 
die Erfüllung der im Friedensvertrag begründeten Verpflichtungen mindeſtens in hohem 
Maße erſchweren, wenn nicht unmöglich machen. Vorteile würden ſich aus einer 
ſolchen Verlegung für niemand ergeben, ſondern nur Nachteile, und zwar, wie geſagt, 
nicht nur für den Preußiſchen Staat, ſondern auch für die franzöſiſche Gruben- 
verwaltung und namentlich für die Bevölkerung des Saargebiets ſelbſt, da ein großer 
Teil der Aufgaben der Abwicklungsſtelle ausſchließlich im Intereſſe dieſer Bevölkerung 
liegt, z. B. die Bergſchädenangelegenheiten. Ich will ſchließlich nicht' unterlaſſen 
darauf hinzuweiſen, daß bei den Beſprechungen, die vom 11. bis 13. Auguſt 1919 
zwiſchen Vertretern Deutſchlands und Frankreichs in Saarbrücken ſtattgefunden haben, 
den deutſchen Vertretern von den franzöſiſchen Beauftragten die ungeſtörte Erledigung 
der Abwicklungsgeſchäfte, namentlich der Bergſchädenprozeſſe, ausdrücklich zugeſagt 
worden iſt. 

Die vorſtehenden Ausführungen werden, wie ich hoffe, die Regierungskommiſſion 
für das Saargebiet davon überzeugen, daß kein Grund vorliegt, die Deutſche Berg⸗ 
werkskommiſſion und die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion früher 
aus Saarbrücken zurückzuziehen, als es nach dem Stande ihrer Arbeiten möglich iſt. 
Ich bitte die Regierungskommiſſion, ſich damit einverſtanden erklären zu wollen, daß 
die beiden Stellen bis zur Erledigung ihrer Geſchäfte, die mit Anſpannung aller 
Kräfte betrieben wird und betrieben werden ſoll, in Saarbrücken verbleiben. | 


Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. | 
gez. Simons. 

An 


die Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 


Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


Nr. 79. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion 
des Saargebiets vom 4. Auguſt 1920. 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 4. Auguſt 1920. 
Nr. II S. G. 1022. 


Herr Staatsrat! 


In Ergänzung meines Schreibens vom 24. Juli beehre ich mich Ihnen mit⸗ 
zuteilen, daß bereits in den Verhandlungen, die vom 23. bis 27. Juli 1919 in Saar⸗ 
brücken zwiſchen Vertretern der Deutſchen und Franzöſiſchen Regierung ſtattfanden, 
von deutſcher Seite darauf hingewieſen wurde, daß die Einrichtung deutſcher Stellen 
in Saarbrücken zur Abwicklung der Geſchäfte unerläßlich ſei. Die Vertreter der 
Franzöſiſchen Regierung ſchloſſen ſich dieſer Anſicht an; dementſprechend wurde in den 
»Ergebniſſen der Beſprechungen zwiſchen deutſchen und franzöſiſchen Beauftragten 
über die Übergabe der Saargruben« in Punkt 22 folgendes feſtgeſtellt: »Es beſteht 
Übereinftimmung, daß die preußiſche Verwaltung bzw. das Deutſche Reich zur Fort— 


. 


ſetzung der Übergabegefchäfte, insbeſondere zur Übertragung des Bergwerkseigentums, 
Ankauf der Privatgruben und Grubenfelder, Bewertung des Eigentums, Fortführung 
der laufenden preußiſchen Angelegenheiten, wie Bergſchäden, Forderungen uſw., eine 
Kommiſſion zurückläßt, der im Bergwerksdirektionsgebäude Räume zur Verfügung 
geſtellt und Erleichterungen im Verkehr und bei ihren Arbeiten gewährt werden.« 


Bei den ſpäteren Verhandlungen im Auguſt 1919 haben die franzöſiſchen Beauf— 
tragten gegen dieſen Punkt keinen Widerſpruch erhoben. 


Aus dieſer Mitteilung geht hervor, daß die franzöſiſchen Sachverſtändigen die 
Notwendigkeit, in Saarbrücken deutſche oder preußiſche Abwicklungsſtellen zurück— 
zulaſſen, vollauf anerkannt haben. 


Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 


gez. von Haniel. 


An 


die Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 


zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 
| Hochwohlgeboren, ; 
Saarbrücken. 


Nr. 80. 


Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche 
Regierung vom 14. Auguſt 1920. 


(berſetzung.) 


e 5 ee Saarbrücken, den 14. Auguſt 1920. 


Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
an 


den Herrn Miniſter des Auswärtigen, 
Berlin. 


Herr Miniſter! 


Ich habe die Ehre, den Empfang Ihres Schreibens vom 24. Juli zu beſtätigen. 

Nachdem ich die Gründe, die Sie mir vorgetragen haben, reiflich überdacht habe, 
ſcheint es mir, daß ſchwere Bedenken dagegen beſtehen würden, das Perſonal der 
»Deutſchen Bergwerkskommiſſion« und der »Preußiſchen Abwicklungsſtelle« noch 
länger im Saargebiet bleiben zu laſſen. 


Ich bin demnach zu meinem großen Bedauern gezwungen, meine frühere Ent— 
* aufrechtzuerhalten, Herrn Fuchs aufzufordern, mit allen ſeinen Mitarbeitern 
8 Saargebiet zum 1. September d. J. zu verlaſſen. 


Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 


Hochachtung. 
gez. V. Rault. 


122 


Nr. 81. 


Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Vor⸗ 
ſitzenden der Deutſchen Bergwerkskommiſſion Saarbrücken 
vom 14. Auguſt 1920. 


(Aberſetzung.) 


Wer ee Saarbrücken, den 14. August 1920. 


Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 
9 
Herrn Fuchs, Vorſitzenden a Deutſchen Bergwerkskommiſſion, 
Saarbrücken. 


In Beantwortung Ihres Schreibens vom 10. Auguſt beehre ich mich, Ihnen 
mitzuteilen, daß ich bei dem Entſchluß, den abzuändern der Herr cee des 
Auswärtigen mich gebeten hatte, verbleiben muß. 

Infolgedeſſen werden ſämtliche Beamten der Deutſchen Bergwerkskommiſſion 
und der Preußiſchen Abwicklungsſtelle bis zum 1. September ſpäteſtens das Saar⸗ 
gebiet zu verlaſſen haben. 

gez. V. Rault. 


Nr. 82. 


Note der deutſchen Regierung an die Negteruisgs konne des 
Saargebiets vom 28. Auguſt 1920. 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 28. Auguſt 1920. 
Nr. II S. G. 1265. f 


Herr Staatsrat! 


In Ihrem Schreiben vom 14. Auguſt, Nr. 757, haben Sie mitgeteilt, daß es 
Ihnen unmöglich ſei, das Perſonal der »Deutſchen Bergwerkskommiſſion⸗ und der 
»Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion« länger im Saargebiet zu 
belaſſen. 


Sie begründen Ihre Anſicht damit, daß das längere Verbleiben dieſer Stellen 
ſchwere Unzuträglichkeiten zur Folge haben würde. Tatſächlich haben ſich aus der 
Anweſenheit und der Tätigkeit der beiden Dienſtſtellen im Saargebiet bisher keinerlei 
Unzuträglichkeiten ergeben. Nach Lage der Dinge iſt nicht zu erkennen, inwiefern 
künftig in dieſem, allſeits befriedigenden Zuſtand eine Anderung zu befürchten wäre. 


Durch ihre Maßnahmen werden der Deutſchen und der Preußiſchen Regierung 
nicht nur erhebliche Mehrkoſten verurſacht, ſondern es wird ihnen vor allem auch 
die Erfüllung der ſich aus dem Friedensvertrag ergebenden Verpflichtungen und die 
Wahrnehmung ihrer darin begründeten Rechte erſchwert, wenn nicht unmöglich % 
macht; es läßt fich einſtweilen noch nicht überſehen, ob unter dieſen Umſtänden 
Weiterführung und Erledigung der umfangreichen Geſchäfte überhaupt noch möglich 
ſein wird. Außerdem entſtehen aus Ihrer Maßnahme, wie bereits in dem Schreiben 
der Deutſchen Regierung vom 24. Juli dargelegt wurde, nicht nur für die franzöſiſche 
Grubenverwaltung, ſondern auch ganz beſonders für die Bevölkerung des Saargebiets 
erhebliche Nachteile. 


— 123 — 


Wenn Sie trotzdem auf der alsbaldigen Zurückziehung der beiden Dienſtſtellen 
beſtehen zu müſſen glauben, ſo kann die Deutſche Regierung dieſe Stellungnahme im 
beiderſeitigen Intereſſe nur in hohem Maße bedauern; ſie muß mit allem Nachdruck 
bagegen Einſpruch erheben und Ihnen, Herr Staatsrat, die volle Verantwortung 
für die Folgen überlaſſen. f 


(gez.) von Roſenberg. 


An 
den Präſidenten der Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 
Herrn Staatsrat Rault, Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


(Die Note iſt nicht beantwortet worden.) 


Nr. 83. 


Note der deutſchen Friedensdelegation an die Friedenskonferenz 
8 vom 2. September 1920. 


Deutſche Friedensdelegation. 
Nr. 355. 


Herr Präſident! 


Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich, Eurer Exzellenz folgendes mit— 
zuteilen: 

Im November 1919 hat die Deutſche Regierung eine Kommiſſion unter der Be— 
zeichnung »Deutſche Bergwerkskommiſſion« in Saarbrücken eingeſetzt, um die Kohlen— 
gruben des Saargebiets der franzöſiſchen Regierung ordnungsgemäß zu übergeben 
und die damit in Zuſammenhang ſtehenden Fragen zu regeln. Die Einſetzung dieſer 
Kommiſſion iſt der Friedenskonferenz mit der Note Nr. 51 vom 23. November 1919 
angezeigt, auch iſt ihr ſpäterhin von jedem Perſonalwechſel in der Bergwerkskommiſſion 
amtlich Kenntnis gegeben worden. Auf Antrag der Deutſchen Regierung haben 
ſeinerzeit die zuſtändigen Militärbehörden der Deutſchen Bergwerkskommiſſion in 
Anerkennung ihrer amtlichen Eigenſchaft Zenſurfreiheit für den dienſtlichen Verkehr 
mit der deutſchen Regierung zugebilligt. 

Nachdem mit Inkrafttreten des Friedensvertrags die bisherige deutſche Verwaltung 
der Saarkohlengruben zu beſtehen aufgehört hatte, hat die Preußiſche Regierung, 
entſprechend den Abmachungen mit den Vertretern der franzöſiſchen Regierung, zur 
Erledigung der zahlreichen, dem preußiſchen Bergfiskus im Saargebiet noch obliegenden 
Aufgaben ihrerſeits auch eine Preußiſche Dienſtſtelle mit der Bezeichnung »Abwicklungs— 
ſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion« in Saarbrücken eingerichtet, deren Perſonal 
indes zum Teil dasſelbe iſt wie das der Deutſchen Bergwerkskommiſſion. 

Als die Deutſche Regierung im Mai d. J. die Regierungskommiſſion für das 
Saargebiet erſuchte, der genannten Abwicklungsſtelle die gleichen Vergünſtigungen zu 
ge wie fie die Deutſche Bergwerkskommiſſion beſitzt, beantwortete der Präſident 
er Regierungskommiſſion dieſes Erſuchen damit, daß er die Zurückziehung des ge— 
ſamten Perſonals beider Dienſtſtellen aus dem Saar zebiet bis zum 1. September d. J. 
verlangte. Er hat dies Verlangen trotz der wiederholten, dringenden Vorſte llungen 
der deutſchen Negierung aufrechterhalten. 

Aus dem beigefügten Schriftwechſel!) mit der Regierungskommiſſion bittet die 
Deutſche Regierung entnehmen zu wollen, daß durch dieſe Maßnahme der deutſ chen 
wie der preußiſchen Regierung die Erfüllung der ſich aus dem Friedensvertrag er— 


Paris, den 2. September 1920. 


) Der Note waren die unter Nr. 73, 74, 78, 79 und 80 wiedergegebenen Noten beigefügt. 


en 


gebenden Verpflichtungen und die Wahrnehmung ihrer darin begründeten Rechte in 
hohem Maße erſchwert, wenn nicht überhaupt unmöglich gemacht wird, daß außer⸗ 
dem die franzöſiſche Grubenverwaltung und ganz beſonders auch die Bevölkerung des 
Saargebiets durch die verlangte Zurückziehung der beiden Dienſtſtellen auf das 
empfindlichſte benachteiligt wird. 

Die Deutſche Regierung erhebt gegen die Verfügung des Präſidenten der 
Regierungskommiſſion, für deren zur Zeit noch nicht zu überſehende Folgen ſie dieſem 
die volle Verantwortung überlaſſen muß, nachdrücklichſt Einſpruch und wäre dankbar, 
wenn die Friedenskonferenz ſich bei dem Präſidenten der Regierungskommiſſion dafür 
verwenden wollte, daß die genannten beiden Dienſtſtellen bis zur Erledigung ihrer 
Geſchäfte in Saarbrücken verbleiben. | 


Genehmigen Sie, Herr Präſident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hoch⸗ 
achtung). | | 
| gez. v. Mutius. 


Seiner Exzellenz dem Herrn Präſidenten der Friedenskonferenz. 


Nr. 84. 


Note des Botſchafterrats an die deutſche Friedensdelegation vom 
4. Oktober 1920. 


(Aberſetzung.) 


Botſchafterrat. | Paris, den 4. Oktober 1920. 
Der Präſident. 5 


Herr Präſident! 


Unter dem 2. September haben Sie dem Botſchafterrat eine Note der deutſchen 
Regierung übermittelt, worin gegen den Beſchluß der Regierungskommiſſion des Saar⸗ 
beckengebiets Einſpruch erhoben wird, durch den das Perſonal der Abwicklungsſtelle 
der Preußiſchen Bergwerksdirektion ſowie das Perſonal der Deutſchen Bergwerks⸗ 
kommiſſion zum Verlaſſen des Saargebiets aufgefordert worden ſind. 

Die deutſche Regierung hat den Botſchafterrat erſucht, bei dem Präſidenten der 

Regierungskommiſſion vorſtellig zu werden, damit dieſe beiden Stellen ermächtigt 
werden, bis zur Erledigung ihrer Aufgabe im Saargebiet zu bleiben. 
Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß der Botſchafterrat ſich nicht in der Lage 
ſieht, dieſem Antrag irgendwelche Folge zu geben; die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets unterſteht nur dem Rat des Völkerbundes; der Völkerbundsrat iſt alſo 
die alleinige Stelle, an den gegebenenfalls der Antrag, den Sie mir übermittelt haben, 
gerichtet werden muß. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 

(Unterſchrift.) 


An 


den Herrn Präſidenten 
der deutſchen Delegation. 


1) Eine gleichlautende Note iſt durch die deutſche Botſchaft in London an den Voͤlkerbund ge 
richtet worden; fie iſt unbeantwortet geblieben. . 


Nr. 85. 
Bemerkungen über die weitere Entwicklung. 


Beide Dienſtſtellen wurden im September 1920 nach Bad Kreuznach verlegt 
mit der Weiſung, zu verſuchen, ihre Dienſtgeſchäfte von dort weiterzuführen, ſo gut 


es ginge. 


Am 13. Dezember 1920 berichtete der Vorſitzende der Abwickelungsſtelle der 
Preußiſchen Bergwerksdirektion aus Bad Kreuznach: 


In 


»Der Kreisdelegierte für Kreuznach, Colonel Clanet, hat uns durch 
Entſendung eines Vertreters mitteilen laſſen, daß der interalliierte Ausſchuß 
in Coblenz uns keine Ermächtigung zur Niederlaſſung in Kreuznach erteilt 
und überhaupt von unſerem Aufenthalt in Kreuznach amtlich keinerlei 
Kenntnis erhalten habe.« 
einem weiteren Bericht vom 13. Januar 1921 heißt es: 

»Der Unterzeichnete wurde durch Vermittelung des Herrn Landrats 
zur Einreichung von Verzeichniſſen über die einzelnen, den Kommiſſionen 
angehörenden Perſonen, entſprechend den Verordnungen Nr. 29 und 54 der 
interalliierten Kommiſſion, betr. deutſche Beamte, vom 13. Juli 1920 und 
vom 20. Oktober 1920, veranlaßt; insbeſondere wurde, wie ſich bei einer 
ur möglichſt ſchnellen Klärung erbetenen Unterredung mit dem Herrn Kreis— 
elegierten herausſtellte, beſonderer Wert darauf gelegt, zu erfahren, aus 


welchen Gründen die einzelnen Perſonen das Saargebiet hatten verlaſſen 


müſſen. 

Mündlich und ſchriftlich wurde darauf die folgende Erklärung ab— 
gegeben: 

1. Allgemeines: 

Die Deutſche Bergwerkskommiſſion und die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen 
Bergwerksdirektion mußten auf Anordnung des Herrn Präſidenten der Re— 
gierungskommiſſion für das Saargebiet dieſes bis zum 1. September ver— 
laſſen. Die zu ihnen gehörigen Beamten und Angeſtellten ſiedelten daher 
zu dieſem Zeitpunkt mit den beiden genannten Stellen nach Kreuznach über. 
Die Einrichtung der Büros nahm noch etwa 2 Wochen in Anſpruch. Der 
Dienſtantritt der einzelnen Beamten erfolgte daher nach und nach zu den 
weiter in der entſprechenden Spalte angegebenen Zeitpunkten. Inzwiſchen 
waren die Beamten zu ihren Familien beurlaubt. Die Angabe über die 
Anmeldung an dem neuen Wohnorte und über den Dienſtantritt ſind auf 
Grund der Erinnerung der Beamten gemacht. Wir werden die Angaben 
noch bei den zuſtändigen Meldeſtellen nachprüfen laſſen und etwaige Ab— 
weichungen, die ſich dabei ergeben, nachträglich ſofort mitteilen. 

2. Im beſonderen: ... (folgen Angaben über die einzelnen Beamten) ... 

Darauf erfolgte am 8. d. M. auf Befehl des Herrn Kreisdelegierten 
die Aufforderung, die Identitätskarten bzw. Perſonalausweiſe des geſamten 
Perſonals der Kommiſſionen dem Herrn Spezialkommiſſar hier abzugeben. 
Abgeſehen davon, daß dem Unterzeichneten die Möglichkeit zum Antritt einer 
dienſtlichen Reiſe in Berufsgenoſſenſchaftsangelegenheiten nach dem unbe— 
ſetzten Gebiete für die nächſten Tage heute mündlich zugeſagt wurde, ſind 
die Ausweiſe noch nicht zurückgegeben. Den Beamten und Angeſtellten iſt 
dadurch jede Bewegungsmöglichkeit außerhalb des Ortes genommen, und da— 
durch ſowie überhaupt durch die verſchiedenen von dem Herrn Kreisdelegierten 
unternommenen Schritte ſind ſie zum Teil in eine begreifliche Unruhe geraten.« 


Am 19. Januar 1921 teilte der mit der Erledigung der Angelegenheit beauftragte 
Reichskommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete mit, die Rheinlandkommiſſion 
ſei mit dem Kreisdelegierten in Kreuznach in Verbindung getreten, um zu prüfen, ob 


126 


gegen ein Verbleiben der beiden Bergwerksverwaltungen im Hinblick auf die für die 
Unterbringung der Beſatzungstruppen in Kreuznach beſtehenden Schwierigkeiten 
Bedenken beſtünden. 

Am 3. Februar 1921 berichtete der Vorſitzende der Abwicklungsſtelle der 
Preußiſchen Bergwerksdirektion: ft SE 


Bei einer Unterredung mit dem Herrn Kreisdelegierten teilte dieſer dem 
Unterzeichneten mit, daß die interalliierte Kommiſſion die zunächſt nur bis 
zum 15. Februar vorgeſehene Erlaubnis über das Verbleiben der Deutſchen 
Bergwerkskommiſſion und der Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerks⸗ 
direktion in Kreuznach bis zum 30. April d. J. verlängert habe, alſo bis zu 
dem äußerſten Zeitpunkte, der von uns ſelbſt vorgeſehen war. | 

An Stelle der abgegebenen Perſonalausweiſe ſollen ſämtlichen Beamten 
ſogleich neue Ausweiſe, jedoch nur mit Gültigkeit für das beſetzte Gebiet, 
ausgeſtellt werden. Für Reiſen nach dem Saargebiet wäre in jedem Falle 
beſondere Genehmigung einzuholen. Auf die Bitte des Unterzeichneten, daß 


beſonders im Intereſſe derjenigen Beamten und Angeſtellten, die noch ihre 


Familie im Saargebiet haben, eine möglichſt vereinfachte Erwirkung der 
Einreiſeerlaubnis ermöglicht werden möge, erklärte der Herr Kreisdelegierte, 
daß die entſprechenden Anträge ihm unmittelbar, aber für jeden einzelnen 
Fall, vorgelegt werden ſollten. Br 

Damit ift unſeres Erachtens wohl alles erreicht, was nach Lage der 
Verhältniſſe erreicht werden kann. 


Der Vorſitzende der beiden Dienſtſtellen, Geheimer Oberbergrat Fuchs, hatte 
inzwiſchen, um die ihm in ſeiner Eigenſchaft als Vorſitzenden des Vorſtandes der 
Sektion I der Knappſchaftsberufsgenoſſenſchaft obliegenden Geſchafte, die ſeine perſön⸗ 
liche Anweſenheit in Saarbrücken nötig machten, erledigen zu können, die Genehmigung 
für die Einreiſe in das Saargebiet nachgeſucht. Die oberſte Polizeiverwaltung in 
Saarbrücken hatte die Einreiſe zunächſt geſtattet, einen ſpäteren Antrag jedoch zwei⸗— 
mal — mit Schreiben vom 28. Oktober und 4. November 1920 — abgelehnt mit 
der Begründung, daß die Anweſenheit des Geheimen Oberbergrats Fuchs zur Er 
ledigung von Dienſtgeſchäften in Saarbrücken nicht erforderlich ſei. Der Geheime 
Oberbergrat Fuchs wandte ſich hierauf mit eiuem Schreiben vom 11. November 1920 
an den Präſidenten der Regierungskommiſſion und bat um eine Dauererlaubnis zur 
Einreiſe nach Saarbrücken, wobei er ſich erbot, in jedem einzelnen Falle ſeiner An⸗ 
weſenheit in Saarbrücken, die auf die dringendſten Fälle beſchränkt werden ſolle, der 
dortigen oberſten Polizeiverwaltung Kenntnis zu geben. Eine Antwort hierauf er⸗ 
folgte nicht. Auf eine erneute Anfrage vom 15. Dezember 1920 ging folgende, 
vom 6. Januar 1921 datierte Antwort des Präſidenten der Regierungskommiſion ein: 

Auf Ihr Schreiben vom 15. Dezember v. J. teile ich Ihnen nach 
Prüfung der Verhältniſſe ergebenſt mit, daß ich keine Veranlaſſung gefunden 
habe, die ablehnende Stellungnahme der oberſten Polizeiverwaltung zu Ihrer 
Einreiſe in das Saargebiet abzuändern. 

Ich kann daher Ihrem Erſuchen auf Erteilung der Einreiſe in das 
Saargebiet nicht entſprechen und ſtelle Ihnen deshalb anheim, die mit der 
Knappſchaftsberufsgenoſſenſchaft im Intereſſe der Verſicherten zu tätigenden 
Angelegenheiten auf ſchriftlichem Wege zur Erledigung zu bringen. 


Der Fortgang der Angelegenheit iſt aus nachſtehendem Schriftwechſel erſichtlich: 
a) Schreiben des Reichs kommiſſars für die beſetzten rheiniſchen Gebiete 


an den franzöſiſchen Oberkommiſſar bei der interalliierten Rheinland- 


kommiſſion vom 24. März 1921. 
»Im Nachgang zu meinem Schreiben vom 4. Februar 1921 — J. 492 — und 
unter Bezugnahme auf das dortige Schreiben vom 12. Januar 1921 — Nr. 2068 — 
beehre ich mich mitzuteilen, daß die Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerks— 


5 


direktion in Saarbrücken, die Ende Auguſt v. J. auf Anordnung der Regierungs— 
kommiſſion in Saarbrücken das Saargebiet verlaſſen mußte und ihren Sitz bis Ende 
April in Kreuznach genommen hat, am 1. Mai 1921 nach Bonn verlegt wird und 
dort als ſelbſtändige Stelle in den Geſchäftsräumen des Oberbergamts ihre Abwick— 
lungsarbeiten fortſetzen wird. Späterhin iſt die Auflöſung der Stelle unter Über— 
tragung der noch verbleibenden Gefchäfte an das Oberbergamt in Ausſicht genommen. 
Die Bergwerksdirektion hat noch eine große Anzahl von Arbeiten zu erledigen, 
insbeſondere die Bergſchäden abzuwickeln. Aber auch ſonſtige Auseinanderſetzungen, 
insbeſondere ſolche mit gewiſſen Unternehmern und Lieferern über Leiſtungen in der 
Zeit vor der Ratifikation des Friedeusvertrags, ſtehen noch aus und laſſen zum 
Teil ſogar noch neue Prozeſſe erwarten. Nach dem Friedensvertrag iſt das Eigentum 
an den Saargruben frei von allen Laſten und Schulden auf den franzöſiſchen 
Staat übergegangen; demzufolge liegt die Abwicklung aller dieſer Verbindlichkeiten 
des umfangreichen ehemals preußiſchen Grubenbeſitzes, auf dem rund 50 000 Berg— 
arbeiter beſchäftigt waren, nach dem Friedensvertrag den alten preußiſchen beziehungs— 
weiſe deutſchen Behörden ob. 

Folgende Umſtände haben eine weitere Verzögerung der Abwicklungsarbeiten 
herbeigeführt: 
Während bis Ende 1920 gewiſſe Verhandlungen wenigſtens durch die Bau— 
beamten und durch den Juſtitiar der Bergwerksdirektion an Ort und Stelle geführt 
werden konnten, entfiel dieſe Möglichkeit mit der Einziehung der Saarpäſſe der 
Beamten anfangs Januar 1921. Seit dieſem Zeitpunkte konnten Reiſen in das 
Saargebiet zur Prüfung von Bergſchädenangelegenheiten und zu Verhandlungen über 
die Beilegung der Bergſchädenprozeſſe (zur Zeit noch etwa 34 Stück) überhaupt nicht 
mehr geführt werden. N 

Eine weitere Verzögerung erfuhren die Abwicklungsgeſchäfte durch die Maß— 
nahmen der franzöſiſchen Bergverwaltung in Saarbrücken, die keinen unmittelbaren 
Schriftverkehr mit den örtlichen Abwicklungsſtellen auf den einzelnen Berginſpektionen 
mehr geſtattete. Dieſe bereits ſeit Herbſt 1920 beſtehenden Maßnahmen führen dazu, 
daß jedes Schriftſtück auf dem Hin⸗ und Rückwege zunächſt bei mindeſtens zwei fran— 
zöſiſchen Dienſtſtellen durchläuft, bevor es in die Hände des Empfängers gelangt. 
So entſteht für jedes Schreiben eine Verzögerung von mindeſtens einer Woche, nicht 
ſelten aber auch eine ſolche von mehreren Wochen. 


Dazu kommt weiter, daß ſtändig, und zwar bis in die letzten Tage hinein, 
immer noch neue Bergſchädenanſprüche gegen den preußiſchen Bergfiskus geltend ge— 
macht und der Bergwerksdirektion teils unmittelbar von den Geſchädigten, teils durch 
die franzöſiſche Bergverwaltung zur Erledigung vorgelegt werden. 


Für die Abwicklungsſtelle in Bonn kommen folgende Beamte in Frage: 


Bere ene re re eee 


Ich bitte mir zu betätigen, daß gegen die demnächſtige Niederlaſſung der Ab— 
wickelungsſtelle in Bonn von der in Ausſicht genommenen Zeit an und in dem be— 
abſichtigten Umfange keine Bedenken beſtehen.« 


b) Schreiben des franzöſiſchen Oberkommiſſars bei der interalliierten 
Rheinlandkommiſſion an den Reichskommiſſar für die beſetzten rhei— 
a niſchen Gebiete vom 31. März 1921. 


»In Beantwortung Ihres Schreibens vom 24. März 1921 — Nr. I. 1601 — 
beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß ich keinerlei beſonderen Grund erkenne, der 
die Verlegung der Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion des Saargebiets 
in eine Stadt der beſetzten Gebiete, insbeſondere nach Bonn, rechtfertigen könnte, wo 
ſowohl die Univerſitätszugehörigen wie auch die Beſatzungstruppen bereits den größten 
Schwierigkeiten begegnen, um Unterkommen zu finden. 


renne Di RAD u . aer ee N 
ae a nn A et a a We ge ah Bl rn ee N 1 ea, 
ER 5 8 * RE 1 , f 
* * 


— 128 — 
Dieſe Dienſtſtelle wäre viel beſſer in einer Stadt am Platze, die außerhalb der 


beſetzten Gebiete, etwa in Frankfurt, gelegen iſt, und ich bitte Sie, e 
ihre Verlegung ins Auge zu faſſen.« 


e) Schreiben des Reichskommiſſars für die beſetzten rheiniſchen Gebiete 
an den franzöſiſchen Oberkommiſſar bei der interalliierten Rhein— 
landkommiſſion vom 18. April 1921. 


»Auf das gefällige Schreiben vom 31. März 1921, Nr. 4718 B. M., beehre 
ich mich mitzuteilen, daß die Preußiſche Bergwerksdirektion in Kreuznach ſich mit dem 
in franzöſiſcher Überfegung anliegenden Schreiben vom 2. April 1921) an den Herrn 
Generaldirektor der Saargruben in Saarbrücken gewandt und ihn gebeten hat, 
namens der franzöſiſchen Saarbergverwaltung zu beſtätigen, daß auch dieſe Ver⸗ 
waltung es für wünſchenswert erachtet, daß die Abwicklungsſtelle ihre Tätigkeit vom 
1. Mai d. J. ab in Bonn fortſetzt. In dem Schreiben find die Gründe für eine 
Verlegung nach Bonn nochmals eingehend dargelegt. Daraufhin hat der General⸗ 
direktor der Saargruben mit dem in Abſchrift beiliegenden Schreiben vom 5. d. M., 
7548 D. M.), geantwortet, in dem er die angegebenen Gründe für eine Verlegung 
der Abwicklungsſtelle nach Bonn und für einen gewiſſen Anſchluß an das Oberberg⸗ 
amt daſelbſt würdigt und ausdrücklich erklärt, daß eine ſchnelle und ſachgemäße Ab⸗ 
wicklung der der Bergwerksdirektion obliegenden Arbeiten auch von Intereſſe für die 
franzöſiſche Bergverwaltung iſt. 


Zur Vermeidung von Mißverſtändniſſen weiſe ich nochmals darauf hin, daß die 
Abwicklungsſtelle der Preußiſchen Bergwerksdirektion Saarbrücken lediglich mit den⸗ 
jenigen Geſchäften betraut iſt, die ſich aus dem ſchulden- und laſtfreien Übergang 
der Saargruben auf den franzöſiſchen Staat ergeben. Es ſind alſo reine Liquidations⸗ 
maßnahmen, wie ſie auch jedem Privatem unter gleichen Verhältniſſen obliegen 
würden. Die Tätigkeit der Bergwerksdirektion beſchränkt ſich auf dieſe Arbeiten im 
Gegenſatz zu der Tätigkeit der ſich nunmehr völlig auflöſenden Deutſchen Bergwerks⸗ 
kommiſſion (früher in Saarbrücken, jetzt auch in Kreuznach), die mit der Übergabe 
der Saargruben an den franzöſiſchen Staat und den damit zuſammenhängenden 
Geſchäften vertraut war. 


Was die Wohnungsfrage in Bonn betrifft, ſo dürften hieraus Schwierigkeiten 
nicht entſtehen, da es ſich nur um die Beſchaffung möblierter Zimmer für 13 Per⸗ 
ſonen handelt, welche nach den beim Wohnungsamt Bonn von der Bergwerksdirektion 
eingezogenen Erkundigungen nicht auf Schwierigkeiten ſtoßen würde, während auf 
die Beſchaffung von Familienwohnungen unter den beſtehenden Verhältniſſen ver⸗ 
zichtet werden muß. Ich bitte daher die Frage erneut zu prüfen und gegen die 
Verlegung der Bergwerksdirektion nach Bonn keine Bedenken mehr zu erheben. Falls 
ſolche noch beſtehen ſollten, bitte ich einer mündlichen Beſprechung der Angelegenheit 
unter Beteiligung des Leiters der Bergwerksdirektion zuzuſtimmen.« 


d. Schreiben des franzöſiſchen Oberkommiſſars bei der interalliierten 
Rheinlandkommiſſion an den Reichskommiſſar für die beſetzten rheini⸗ 
ſchen Gebiete vom 26. April 1921. 


»In Beantwortung ihres Schreibens vom 18. April 1921 — Nr. I 1856 — 
beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß ich keinen Widerſpruch dagegen erhebe, daß 
das übrigbleibende Perſonal der Bergwerksdirektion ſich in Bonn niederläßt, nach⸗ 
dem mir mitgeteilt iſt, daß es beſtimmt beſchränkt ſein wird auf 13 Beamte und 
Angeſtellte, deren Lifte Sie mir überſandt haben, und zwar ohne ihre Familien, fo 
wie es in . vorerwähnten Schreiben vorgeſehen iſt.« | 


0 Von einer Wiedergabe dieſes Schreibens iſt hier Abſtand genommen. 


X. 
Franzöſiſche Truppen, franzöſiſche Kriegsgerichte, 


franzöſiſche Gendarmerie. 


Nr. 86. 


Die einſchlägigen Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles. 
Teil III, Abſchnitt IV, Anlage zu Artikel 45 bis 50, Kapitel II. 
8 23. 


Die Geſetze und Verordnungen, die im Saarbeckengebiet am 11. November 1918 
in Kraft waren, bleiben (abgeſehen von den mit Rückſicht auf den Kriegszuſtand ge— 
troffenen Beſtimmungen) in Kraft. 

Sollten aus allgemeinen Geſichtspunkten oder um dieſe Geſetze und Verordnungen 
mit den Beſtimmungen des gegenwärtigen Vertrags in Einklang zu bringen, Anderungen 
nötig werden, ſo werden dieſe durch die Regierungskommiſſion nach Außerung der 
gewählten Vertreter der Bevölkerung beſchloſſen und eingeführt. Über die Form der 
Einholung dieſer Außerung entſcheidet die Kommiſſion. 


§ 25. 


Die im Saarbeckengebiet beſtehenden Zivil- und Strafgerichte werden beibehalten. 

Von der Regierungskommiſſion wird ein Gerichtshof für Zivil- und Straffachen 
eingeſetzt, der die Berufungsinſtanz für die vorerwähnten Gerichte zu bilden und auf 
den ſachlichen Gebieten zu entſcheiden hat, für die dieſe Gerichte nicht zuſtändig ſind. 

Innere Verfaſſung und Zuſtändigkeit dieſes Gerichtshofs werden von der 
Regierungskommiſſion geregelt. 

Die gerichtlichen Entſcheidungen ergehen im Namen der Regierungskommiſſion. 


8 30. 


Im Saarbeckengebiet beſteht weder allgemeine Wehrpflicht noch freiwilliger Heeres— 
dienſt; die Anlage von Befeſtigungen iſt verboten. 

Es wird nur eine örtliche Gendarmerie zur Aufrechterhaltung der Ordnung 
eingerichtet. 

Der Regierungskommiſſion liegt es ob, in allen eintretenden Fällen für den 
Schutz der Perſon und des Eigentums im Saarbeckengebiet zu ſorgen. 


Nr. 87. 


Erklärungen des Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saar: 
gebiets an die Vorſtände der politiſchen Parteien über Truppen, 
Kriegsgerichte, Belagerungszuſtand uſw. Ende März 1920. 


Zeitungsbericht: 

Den Vorſtänden der politiſchen Parteien des Saargebiets gab Präſident Rault, 
nachdem die Parteien ihren Standpunkt auf politiſchem und wirtſchaftlichem Gebiet 
dargelegt hatten, u. a. folgende Erklärungen ab: Die oberſte Militärbehörde hat als 
. im Saargebiet aufgehört zu exiſtieren, desgleichen die Militärverwaltung in 

en Kreiſen Die franzöſiſchen Truppen bleiben, jedoch nicht als Beſatzungs., 

ſondern als Sicherheitstruppe, ſolange die zu gründende ſaarländiſche Polizeitruppe 
von 3000 Mann noch nicht eingerichtet iſt. Die Kriegsgerichte beſtehen nur noch 
zur Aburteilung von Vergehen der franzöſiſchen Militärperſonen. Sollten im Saar— 
gebiet Unruhen eintreten, ſo würde von jetzt ab der Belagerungszuſtand nach deutſchem 
Recht gehandhabt werden.. 


7807 


Nr. 88. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗ 
bundsrat vom 25. März 1920. 
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 3, Seite 103 f.) 
(berſetzung.) 
Einführung liberaler Maßnahmen. 

Zu gleicher Zeit, in der die Regierungskommiſſion die Militärverwaltung durch 
eine Zivilverwaltung erſetzte, gab ſie dem Land die öffentlichen Freiheiten wieder. Es 
wäre ſehr bedenklich geweſen, ohne Übergang von einem Beſatzungsregime mit allen 
den Härten, die es mit ſich bringt, in ein wah haft demokratiſches Regime, das zu 
errichten die Kommiſſion entſchloſſen iſt, überzugehen. Wenige Tage, nachdem die 
Kommiſſion von der Gewalt Beſitz ergriffen hatte, hat fie die vollkommene Verfehrs- 
freiheit innerhalb des Gebiets wiederhergeſtellt, die Kontrolle auf den Bahnhöfen be⸗ 
ſeitigt (ausgenommen die Grenzbahnhofe) und die Poſtkontrolle aufgehoben. Sie 
bereitet ſich vor, die vollſtändige Freiheit der Preſſe und das Verfammlungsr ht 
wiederherzuſtellen. Wenn fie in der Theorie die Vorſichtsmaßnahmen aufrechterhalten 
hat, die in dieſer Beziehung die Militärbehörden getroffen haben, ſo hat ſie doch 
tatfächlich vermieden, auf dieſe Maßnahmen zurückzugreifen. Die militäriſchen Polizei⸗ 


gerichte ſind aufgehoben worden; in Zukunft wird kein Bewohner des Saargebiets 


vor ein Kriegsgericht geſtellt werden. Eine Amneſtieverordnung iſt erlaſſen worden; 
ſie betrifft die von den militäriſchen Polizeigerichten ausgeſprochenen Verurteilungen. 
Es werden ihr weitere Gnadenmaßnahmen folgen zugunſten der von den deutſchen 
Gerichten oder den franzöſiſchen Militärgerichten verurteilten Perſonen. 


Beibehaltung der Truppen. 


Nach dem Friedensvertrag mit der Aufrechterhaltung der Ordnung im Saar⸗ 
gebiet beauftragt, iſt die Regierungskommiſſion der Anſicht geweſen, daß ſie bis zur 
Errichtung einer örtlichen Gendarmerie die Anweſenheit von Truppen nicht entbehren 
könne. Sie hat deshalb die Beibehaltung der franzöſiſchen Truppen beantragt, in⸗ 
dem fie fo Gebrauch machte von dem Recht, das ihr durch § 30 der Anlage zu Ab- 


ſchnitt IV, Teil III des Vertrags von Verſailles übertragen worden iſt, ſo wie dieſe 


Beſtimmung in dem von Herrn Caclamanos dem Rat des Völkerbundes vorgelegten 
Bericht!“) ausgelegt worden iſt. Aber dieſe Truppen find nicht mehr Beſatzungs 
truppen; es ſind Garniſontruppen. 5 


„ | 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker: 
bundsrat vom 1. Mai 1920. | 

(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 4, Seite 196.) 

(berſetzung.) 
Der Zwiſchenfall der »Volksſtimme«). 

Trotz ihres Wunſches, wieder zu einem Regime der Freiheit und Geſetzmäßigkeit 
zu gelangen, iſt die Regierungskommiſſion genötigt geweſen, keine Einwendungen da- 
gegen zu erheben, daß die franzöſiſche Militärbehörde die Verfolgung eines Journa⸗ 
liſten einleitete. Die beionderen Schwierigkeiten, denen fie ſich in dieſem Falle gegen- 
über befand, bedürfen einer näheren Darlegung. | 

Die fozialiftifche Zeitung »Volksſtimme« hat am 14. April einen heftigen Artikel 
veröffentlicht, in dem die franzöſiſche Armee ſchwer beleidigt wurde. Der fomman- 


) Vgl. Nr. 33. 
2) Vgl. hierzu die folgende Nummer. 


x * = 2 7 ei 
n n 
ar Dee ae 
It 


224 


4 


„ 


2 


ia 


a 


WB Bi el 
Er BEN ra R - 3 4 * 
1 = & 
SR 131 — 


dierende General der im Saargebiet garniſonierenden Truppen hat bei der Kommiſſion 
angefragt, ob fie keine politiſchen Bedenken darin ſehe, daß er eine kriegsgerichtliche 
Verfolgung gegen den verantwortlichen Redakteur dieſes Blattes einleite. 

Auf eine ſo geſtellte Frage und bei dem gegenwärtigen Zuſtand der Rechts— 
pflege in dem Gebiet konnte die Kommiſſion nur in einem den Abſichten des Generals 
entſprechenden Sinne antworten. Nachdem ſie dem ſchuldigen Journaliſten eine 
Gelegenheit zum Widerruf ſeines Artikels gegeben hatte und angeſichts ſeiner unnach— 

iebigen Haltung beſchloß fie einſtimmig, dem Kommandanten der Truppen mitzuteilen, 
aß ſie in politiſcher Beziehung keinerlei Bedenken darin erblicke, daß er dieſer An— 
gelegenheit die Folge gebe, die ihm für die Wahrung der ihm anvertrauten Intereſſen 
zweckmäßig erſcheine. 

| Indem die Kommiſſion dieſen Beſchluß faßte, deſſen Folgen fie nicht verkannte, 
trug ſie zweierlei Erwägungen Rechnung. Die Beibehaltung der mit der Aufrecht— 
erhaltung der Ordnung betrauten Truppen iſt beim Fehlen jeder örtlichen Gendarmerie 
unerläßlich für den Schutz von Perſon und Eigentum. Dieſe Beibehaltung iſt durch 
§ 30 der Anlage zu Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensvertrags gerechtfertigt. 
Solange als die Anweſenheit dieſer Truppen der Kommiſſion erforderlich erſcheinen 
wird, hat ſie die unbedingte Pflicht, darüber zu wachen, daß kein Angriff auf das 
Preſtige und die Ehre der Truppen unternommen wird. Indem nun die »Volks— 

ſtimme« die franzöſiſchen Soldaten beſchuldigte, bei der Beſetzung von Frankfurt 
Frauen, Kinder und Greiſe maſſakriert zu haben, ſuchte ſie die Autorität der im 
Saargebiet ſtationierten Truppen und ihrer Befehlshaber in Mißkredit zu bringen. 
Solche Angriffe unbeſtraft zu laſſen, hätte bedeutet, den Aufenthalt der franzöſiſchen 
Truppen im Saarbecken unmöglich zu machen und die Kommiſſion jedes Mittels für 
die Wahrung der Sicherheit des Gebiets zu berauben. 

Wenn aber gerichtliche Verfolgungen unerläßlich waren, vor welches Gericht 
mußte dann der Schuldige geſtellt werden? Trotz all ihrer Bemühungen hat die 
Kommiſſion noch nicht den im Friedensvertrag vorgeſehenen Gerichtshof für Zivil— 
und Strafſachen errichten können. Die Gerichte des Gebiets ſind noch deutſche Ge— 
richte, ſo wie ſie vor dem Waffenſtillſtand beſtanden; die Berufungsinſtanzen befinden 
ſich in Köln und Berlin, und über Reviſionen entſcheidet das Reichsgericht in Leipzig. 

Wenn das Schöffengericht in Saarbrücken mit dem Fall der »Volksſtimme« be- 
faßt worden wäre, ſo wäre unzweifelhaft der Schuldige mit Eklat freigeſprochen 
worden, womit eine neue Beleidigung öffentlich den zur Aufrechterhaltung der Ord— 
nung im Saargebiet berufenen Truppen angetan worden wäre. Die Regierungs- 
kommiſſion wäre außerſtande geweſen, dieſes Urteil revidieren zu laſſen. 

So iſt ſie dazu gekommen, der Militärgerichtsbarkeit ihren Lauf zu laſſen. 
Wenn fie den Gerichtshof für Zivil- und Strafſachen errichtet und die Gerichte dem 
deutſchen Einfluß entzogen haben wird, wenn ſie die Gewißheit haben wird, daß die 
mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe betrauten Truppen ebenſo ihr volles 
Recht finden wie die Bewohner des Gebiets, wird ſie ſich beeilen, der Ausnahme— 
gerichtsbarkeit ein Ende zu bereiten. Sie verkannte keineswegs, daß die gegen die 
»Volksſtimme« eingeleiteten Verfolgungen von den im Solde Deutſchlands ſtehenden 
Zeitungen und Agitatoren ausgebeutet werden würden; die ihr zufallende Aufgabe, 
die Ordnung im Saargebiet aufrechtzuerhalten, erlaubte ihr indes nicht, eine andere 
Entſcheidung zu treffen als die, zu der ſie ſich entſchloſſen hat. 


Nr. 90. 
Mitteilung eines deutſchen Redakteurs über ſeine kriegsgerichtliche 
Verfolgung. 


Unter meiner redaktionellen Verantwortung waren Mitte April 1920 in der 
Saarbrückener »Volksſtimme« anläßlich des Vormarſches der Franzoſen auf Frankfurt a. M. 
einige ſcharfe Worte über den franzöſiſchen Militarismus erſchienen. In einem Artikel, in 


dem die anläßlich des Kapp⸗Putſches in Deutſchland zum Ausbruch gekommenen zwei 


Arten von Militarismus, der deutſchnationale und der kommuniſtiſche, angeprangert 
und verächtlich gemacht wurden, wurde als dritter im Bunde der franzöſiſche Mir 


tarismus lich zitiere aus dem Gedächtnis) mit den Worten gekennzeichnet: Er beſetzte 


mitten im Frieden Frankfurt a. M. uſw., ſchoß zuſammen, was ſich ihm in den Weg 


ſtellte, Mann, Weib und Kind und — feierte einen großartigen Triumph! 

Zwei oder drei Tage nach dem Erſcheinen dieſes Artikels wurde ich telephoniſch, 
ohne Angabe des Grundes, in die Räume der Regierungskommiſſion »gebeten«. Hier 
empfing mich, unter Außerachtlaſſung aller Höflichkeitsformen, der däniſche Graf Moltke 
in ſeiner Eigenſchaft als Juſtizminiſter. Im Stehen, während der Herr Graf eine 


Zigarette ſchmauchte, ſpielte ſich folgende Szene ab: Die Frage, ob ich den be 


treffenden Artikel geſchrieben habe, beantwortete ich damit, daß ich die Namhaft⸗ 
machung des Autors ablehne, jedoch erklärte, ſelbſtverſtändlich die volle Verantwortung 


für den Artikel zu übernehmen. Darauf zog Graf Moltke aus einer Mappe ein 


Stück Papier hervor und reichte es mir hin mit der Aufforderung, die darauf ab⸗ 
gedruckte Erklärung, daß ich die über das franzöſiſche Militär geſchriebenen Worte 
als unwahr mit dem Ausdruck des tiefſten Bedauerns zurücknehme, mit Namens⸗ 
unterſchrift an der Spitze der Zeitung zum Abdruck zu bringen. Nach Kenntnis⸗ 
nahme des Schriftſtückes verſuchte ich in höflichſter Form eine Rechtfertigung, kam 
jedoch über die erſten drei Worte nicht hinaus, da mich Graf Moltke in barſcheſter 
Tonart anfuhr: »Antworten Sie Ja oder Nein, ſonſt nichts!« Gleichzeitig zog er 
die Uhr aus der Taſche und bewilligte mir knappe Minuten Bedenkzeit. Nach noch⸗ 
maligem Überleſen des Schriftſtücks legte ich dieſes mit einem entſchiedenen »Nein« 
auf den Tiſch zurück und empfahl mich. | 

Am nächſten Tage begannen franzöſiſche Gendarmerie-Patrouillen nach mir zu 
fahnden und ſuchten zu wiederholten Malen die Redaktion, meine Wohnung, das 
ſozialdemokratiſche Parteibüro und ſogar mein pfälziſches Elternhaus auf, um mich 
zu verhaften. Es gelang mir jedoch, meinen Aufenthalt in Saarbrücken zu verbergen. 
Auf Vorſtellungen, die wegen der Ungeſetzlichkeit des Vorgehens der Regierungs⸗ 
kommiſſion und des franzöſiſchen Militärs unter Hinweis auf die möglichen ſchweren 
Erſchütterungen von der ſozialdemokratiſchen Parteileitung bei der Regierungs⸗ 
kommiſſion erhoben wurden, erklärte dieſe: »Die Regierungskommiſſion erklärt ſich 
an dem Fall Scherer für desintereſſiert und überläßt dem Militär freie Handlungs⸗ 
weiſe und die damit verknüpfte Verantwortung.« Nachdem ich auf dieſe Weiſe als 
geborener Saarländer in meiner Heimat für vogelfrei erklärt war, blieb mir nichts 


anderes übrig, als mich der Verhaftung durch die Flucht zu entziehen. Wie ich dieſe | 


bewerfitelligte, bleibt mein Geheimnis. 

Im Mai 1920 wurde ich in Abweſenheit wegen der mir zur Laſt gelegten Ver⸗ 
fehlung, das franzöſiſche Militär beleidigt zu haben, durch das Saarbrückener Militär⸗ 
gericht mit einer Strafe von einem Jahr Gefängnis und 3000 Franken Geldſtrafe 
belegt, ohne daß irgend jemand von einem Termin etwas erfahren hatte und ohne 
daß mein Rechtsbeiſtand davon unterrichtet war. Die weitere Entwicklung der An- 
gelegenheit konnte ich nicht mehr lückenlos verfolgen. | 


gez. Scherer. 


Nr. 91. 


Angaben der franzöſiſchen Budgets über die franzöſiſchen Truppen 
im Saargebiet. 
a) Im Budget für 1920 ſind die Koſten für die franzöſiſchen Truppen im 


Saargebiet unter dem Titel »Unterhalt von Beſatzungstruppen im Ausland« mit 
enthalten. 


© 
« 


S. 568 


1 — 


bp) Im Budget für 1921 find dieſe Koſten aus dieſem Titel ausgeſchieden und 
als Abſchnitt 2 in das außerordentliche Budget des Kriegsminiſteriums eingeſtellt. 
In dem Entwurf des Budgetgeſetzes für 1921 findet ſich darüber folgender Vermerk 
(Druckſache Nr. 1523 der franzöfifchen Deputiertenkammer, 12. Legislaturveriode, 
ordentliche Seſſion 1920, S. 32): »..... Die Ausgaben für die Beſatzungs— 
truppen des Saarbeckens (41 750 000 Fr.), die früher in die Sonderaufſtellung 
für den Unterhalt der Beſatzungstruppen eingeſtellt waren .. . .. 4 


e) Bericht des Deputierten M. Henry-Pate namens des Finanzausſchuſſes der 
Deputiertenkammer über das Budget des Kriegsminiſteriums für 1921 (Druckſache 
Nr. 1999 der franzöſiſchen Deputiertenkammer, 2. außerordentliche Seſſion 1920, 

m: 


(Überſetzung.) 
»Zweiter Abſchnitt (des außerordentlichen Budgets): 


In Ausführung des Artikels 46 des Vertrags von Verſailles und des Kapitels II der 
Anlage zu Teil 3 dieſes Vertrags haben die im Saarbecken ſtationierten Truppen mit dem 
Tage des Inkrafttretens des Vertrags (10. Januar 1920) aufgehört »Beſatzungstruppen« zu 
ſein; ihre Aufgabe iſt, »unter allen Umſtänden für den Schutz von Perſon und Eigentum im 
Saargebiet zu ſorgen« und die »freie Ausbeutung der Gruben« ſicherzuſtellen, gemäß den 
Inſtruktionen der den Völkerbund vertretenden Regierungskommiſſion. 

Deshalb ſind die Ausgaben für den Unterhalt der Truppen des Saarbeckens nicht 
mehr in die »Sonderaufſtellung für den Unterhalt der Beſatzungstruppen im Ausland« ein— 
geſtellt, ſondern in das außerordentliche Budget überführt worden. 


or * * 


(Der Bericht ſpricht im übrigen wiederholt von den »Beſatzungstruppen des Saarbeckens «.) 


d) Bericht des Senators A. Lebrun namens des Finanzausſchuſſes des Senats 
über das Budget des Kriegsminiſteriums für 1921 (Druckſache Nr. 95 des franzöſiſchen 
Senats, ordentliche Seſſion 1921, S. 69): 

(berſetzung.) 
»Beſatzungstruppen des Saarbeckens. 


Zufolge der beſonderen Bedingungen, unter die der Vertrag von Verſailles das Saar⸗— 
beckengebiet geſtellt hat (jvätere Volksabſtimmung — Nutzung der Kohlengruben durch Frank— 
reich), fallen die militäriſchen Ausgaben, die mit der Beſetzung dieſes Gebiets zuſammen— 
hängen, unſerem Budget zur Laſt 

Dieſe Beſetzung wird durchgeführt durch einen budgetmäßigen Beſtand von 266 Offizieren 
und 7163 Mann, worunter 3200 Eingeborene aus Nordafrika. 

Die hierfür angeſetzte Geſamtausgabe für 1921 beträgt 39 301 310 Fr. Sie belief 
ſich für das Budgetjahr 1920 auf 61 047 470 Fr. (bei einem Beſtand von 400 Offizieren 
und 10 400 Mann). 

Die entſprechenden Kredite finden ſich im außerordentlichen Budget, von dem ſie den 
Abſchnitt 2 bilden. 


(Auf Seite 319ff. des Berichts werden die einzelnen Poſten der Kredite des 2. Abſchnitts 
des außerordentlichen Budgets unter der Überſchrift »Unterhalt der Beſatzungstruppen des 
Saarbeckens« erläutert.) 


Nr. 92. 
Bemerkungen in der franzöſiſchen Preſſe über die franzöſiſchen Truppen 
im Saargebiet. 
a) »Le Journal« Nr. 10197 vom 17. September 1920. 
(berſetzung.) . 
Die Regierung des Saargebiets, verwirklicht vom Völkerbund. 
(von Fernand Hauſer). 
»Während die Miniſter (d. h. die Mitglieder der Regierungskommiſſion) arbeiteten, 
fand ſich der kommandierende General der franzöſiſchen Beſatzungstruppen ein und 


555 


kündigte an, daß er ſich auf Befehl ſeiner Regierung demnächſt mit ſeinen Truppen 
und feinem Material zurückziehen werde. 


Lebhafte Erregung, denn der Direktor der Gruben, die zu vollem Eigentum kön 
franzöſiſchen Staat gehören (Art. 45, Abſchnitt IV des Vertrags von Verſailles) 
hatte ſoeben bei der ſaarländiſchen Regierung angefragt, wie ſie die Ordnung im 
Lande aufrecht zu erhalten gedenke, falls ſie geſtört würde, da der Vertrag von 
Verſailles beſtimmt habe, daß es Sache der Regierungskommiſſion ſei, unter allen 
Umſtänden für den Schutz von Perſon und Eigentum im Saarbecken zu ſorgen. 


Die fünf Mitglieder der Regierungskommiſſion ſahen ſich gegenſeitig an. Dann 
grübelten ſie eifrig über dem Vertrag von Verſailles. Und da bemerkten ſie, daß 
dies diplomatiſche Inſtrument ihnen verbot, im Lande irgendwelche Armeen zu bilden, 
da der Heeresdienſt, ſowohl der obligatoriſche wie der freiwillige, im Laude unterſagt 
war. Nur eine örtliche Gendarmerie durfte errichtet werden. Aber man brauchte 
Zeit, um dieſe Gendarmerie zu errichten, um ſie auszuſtatten und auszubilden. Die 
ſaarländiſche Regierung, von den Verhältniſſen überraſcht, erſuchte die franzöſiſche 
Regierung amtlich, ihr ihre guten Dienſte zu leihen. Sie bat ſie, franzöſiſche Truppen 
in Garniſon in das Land zu legen, die für die Ordnung und den »Schutz von 
Perſon und Eigentum« ſorgen ſollten. Sie bemerkte bei dieſer Gelegenheit, daß das 
wichtigſte »Eigentum« die Kohlengruben ſeien, daß dieſe der franzöſiſchen Regierung 
gehörten, und daß letztere, um ihr Eigentum zu ſchützen, die Ausgaben für den 
Unterhalt einer Militärmacht übernehmen könnte, die zu 1 1 die Saarländer 
weder das Recht noch die Mittel hätten. 


Die franzöſiſche Regierung gab nach und richtete ſich als »Soldat des Völker⸗ 
bundes« im Saargebiet ein. 


So wurde der grundlegende Mangel des Völkerbundes, der alle Rechte befikt, 
ihnen aber nicht Achtung zu verſchaffen vermag, weil er über keine Militärmacht 
verfügt, unterſtrichen, ſobald die Regierung des Saargebiets ſich der Wirklichkeit 
gegenüberja Man hat geſehen, wie dieſem Mangel abgeholfen worden iſt.« 


b) „echo de Paris« Nr. 13165 vom 2. September 1920. 
(Aberſetzung.) 


Die deutſche Propaganda 5 
(von Pierre Deloncle). 


»Die hauptſächlichſten Punkte der Preßkampagne find folgende; 


1. Gegen die Beibehaltung der franzöſiſchen Truppen im Saar- 
gebiet und für die Schaffung einer ſaarländiſchen Gendarmerie. — 


Dieſem Verlangen ſtattzugeben, wäre eine regelrechte Kapitulation ein folgen⸗ 
ſchwerer Fehler. Die Anweſenheit unſerer Truppen iſt das Zeichen, das einzige 
äußere Zeichen unſeres Sieges. Der kommandierende General der Beſatzungstruppen 
wohnt in einem ſchönen Gebäude auf einem Platz, wo ſich das Denkmal Bismarcks 
erhebt. Wenn man mit der Straßenbahn nach dem Park fährt, ſieht man gleich- 
zeitig das Denkmal des Kanzlers und den franzöſiſchen Poſten. Das iſt von einer 
mächtigen erzieheriſchen Wirkung für den Boche. Wenn wir den Poſten zurückziehen, 
ſo wird dies Zurückziehen von allen als der 8 zu unſerem Mögültigen Weggang 
im Jahre 1934 ausgelegt werden«. 


N 
5 Ze, 19 2. 

Den = 

e3 3 

1 2 ” 


— 135 — 


Nr. 93. 


Verordnung der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die 
ſranzöſiſche Gendarmerie vom 7. Juni 1920. 


(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 7 vom 24. Juli 1920.) 


Nr. 101. Verordnung, betreffend die franzöſiſche Gendarmerie. 


Nach Einſicht der Verfügung vom 17. Mai 1920, welche die franzöſiſche Gen— 
darmerie der Regierungskommiſſion zur Verfügung ſtellt, wird auf Grund des § 30 
Abſchnitt 4 Teil 3 der Anlage zum Friedensvertrag folgendes verordnet: 


Artikel J. 


Die franzöſiſche Gendarmerie des Saargebiets wird hinſichtlich ihrer Verwendung 
der Regierungskommiſſion unmittelbar unterſtellt. 


Artikel 2. 
Zum Kreis ihrer Aufgaben gehört vornehmlich die Verfolgung von Vergehen 
der im Saargebiet in Garniſon ſtehenden Militärperſonen. | 
| Der Präſident der Regierungskommiſſion kann ihr außerdem die Sicherung der 
Ausführung von Beſchlagnahmen übertragen wie auch die Ausführung ſonſtiger 
Aufträge, die im Intereſſe der allgemeinen Sicherheit notwendig erſcheinen, insbe— 
ſondere die Verkehrskontrolle an der Grenze des Saargebiets. 


Artikel 3. 
Sie iſt befugt, ohne Auftrag einzuſchreiten beim Betreffen eines Verbrechers auf 
friſcher Tat. 
In dieſem Fall iſt ihre Anzeige durch Vermittlung der Regierungskommiſſion 
der zuſtändigen Behörde zu überſenden. 
Etwa verhaftete Perſonen ſind mit einer Anzeige in deutſcher Sprache und An— 
gabe der näheren Umſtände der Verhaftung der örtlichen Polizeibehörde zu übergeben. 


Artikel 4. 


Zur Erfüllung der ihr von der Regierungskommiſſion übertragenen Aufgaben 
kann ſie die ſaarländiſche Gendarmerie, die Polizeiorgane und Ortsbehörden un 
Unterſtützung angehen. N | 

Artikel 5. 

Sind Unruhen zu beſorgen oder bedarf die örtliche Polizei oder Gendarmerie 
der Unterſtützung, ſo können Polizei- und Gerichtsbehörden die franzöſiſche Gendarmerie 
um Unterſtützung angehen. Dieſelbe iſt verpflichtet, dem Erſuchen Folge zu leiſten. 


Artikel 6. 

Die Erſuchen ſind ſchriftlich an den Korpskommandanten oder die Offiziere der 
franzöſiſchen Gendarmerie zu richten. Der Regierungskommiſſion iſt in dieſem Falle 
von der erſuchenden Stelle ſofort zu berichten. Im Dringlichkeitsfalle kann die 
Unterſtützung auch telephoniſch oder unmittelbar bei den Brigadeführern vorbehaltlich 
nachfolgender ſchriftlicher Beſtaͤtigung nachgeſucht werden. 


Artikel 7. 


Im Falle des Einſchreitens der franzöſiſchen Gendarmerie auf Erſuchen einer 
Gerichts⸗ oder Polizeibehörde iſt die Mitwirkung eines oder mehrerer deutſcher Gen- 
darmen oder Polizeibeamten notwendig, denen alsdann die Berichterſtattung über das 
Ergebnis des Einſchreitens obliegt. 


10 


3 


Artikel 8. 


Die gegenwärtige Verordnung tritt mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt 
in Kraft. 


Saarbrücken, den 7. Juni 1920. 


Im Namen der Regierungskommiſſion. 
Der Präſident. | 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


Nr. 94. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗ 
bundsrat vom 25. Oktober 1920. 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 8, S. 65 ff.) 
8 (berſetzung.) | 
Vorbemerkung des Generalſekretärs: f 


»Der Teil des Berichts, der die Überfchrift »Zentralverwaltung« trägt, 
bietet ein ganz beſonderes Intereſſe, nämlich folgendes: im Hinblick auf die 
finanzielle Lage des Saargebiets iſt die Kommiſſion der Anſicht, daß es an⸗ 
gezeigt ſei, vorläufig nur eine beſchränkte Polizeitruppe zu ſchaffen und ſich 
noch einige Zeit wie bisher auf die Truppen der franzöſiſchen Garniſon als 
Reſervekorps zu ſtützen, bis die Hilfsquellen des Saargebiets geſtatten, einer 
ausreichende Gendarmerie zu unterhalten.« 


Bericht: 


»Die Regierungskommiſſion hat ſich damit befaßt, mit der Errichtung der in 
§ 30 der Anlage vorgeſehenen örtlichen Gendarmerie zu beginnen. Sie hat die Über⸗ 
bleibſel der von den deutſchen Behörden beim Waffenſtillſtand im Saargebiet zurüd- 
gelaſſenen preußiſchen und bayeriſchen Gendarmerien durch ein ihrer unmittelbaren 
Kontrolle unterſtelltes einheitliches Korps erſetzt; fie hat ihnen ein neues Statut ge- 
geben, durch das fie nicht die Stellung von Militärperſonen, ſondern eine ähnliche 
Stellung wie Zivilbeamte erhalten. Die Gendarmerie — oder genauer die »Saar⸗ 
landjäger« — werden gleichwohl unter einer ſtraffen Disziplin ſtehen. Einem einzigen 
Leiter unterſtellt, bilden fie zwei verſchiedene Gruppen: Die Landgendarmerie und die 
bewegliche Gendarmerie. Die erſte Gruppe, die auf die bedeutenderen Ortſchaften 
verteilt iſt, nimmt die gerichtliche und die Verwaltungspolizei wahr unter der Leitung 
der Landräte und Bürgermeiſter. 


Während die Landgendarmerie ſchon vor Inkrafttreten des Friedensvertrages 
beſtand, iſt die bewegſiche Gendarmerie eine Neuſchöpfung. Ihre Beſtände ſind noch 
ſehr beſchränkt; Erwägungen finanzieller Natur haben die Regierungskommiſſion ge⸗ 
zwungen, vorläufig die Zahl der Gendarmen auf 30 feſtzuſetzen. Dieſer beweglichen 
Gendarmerie iſt der Schutz des Regierungsgebäudes und der Miniſterien anvertraut. 

Schon jetzt werden dieſe Kräfte, im Zuſammenwirken mit der im Saargebiet 
in Garniſon ſtehenden franzönfchen Gendarmerie ausreichen, um die Aufrechterhaltung 
der Ordnung unter normalen Verhältniſſen zu gewährleiſten. Um aber die Sicherheit 
von Perſon und Eigentum jederzeit zu gewährleiſten, müßte man beim Fehlen von 
Garniſontruppen die örtliche Gendarmerie auf einen Beſtand bringen, der außer Ver⸗ 
hältnis zu den gegenwärtigen Hilfsquellen des Budgets des Gebiets ſtünde. Gegen— 
wärtig kann daran nicht gedacht werden.« BR 


u 


a EU d a > Fi 1 
T * f . R * 
RING 2 2 


* 


a a 


Nr. 95. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion 
des Saargebiet3 vom 12. Februar 1921. 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 12. Februar 1921. 
Nr II. S. G. 2186. | 


Herr Präſident! ö 


Am 20. Oktober v. J. hat ein franzöſiſches Kriegsgericht in Saarbrücken das 
ehemalige Mitglied der deutſchen Nationalverſammlung Karl Ollmert im Kontumazial- 


verfahren wegen angeblichen Anſchlags auf die äußere Sicherheit des franzöſiſchen 


Staates r lebenslänglicher Deportation in ein befeftigtes Lager verurteilt.“) 


Dieſes Urteil, das übrigens auf unzutreffenden Vorausſetzungen beruht, gibt 
mir Veranlaſſung, im Namen der Deutſchen Regierung erneut darauf hinzuweiſen, 
daß ſowohl die Anweſenheit franzöſiſcher Truppen im Saargebiet wie die Ausübung 
der franzöſiſchen Militärgerichtsbarkeit über Bewohner dieſes Gebiets eine Verletzung 
des Vertrages von Verfailles darſtellt. 

Für das Saargebiet iſt im Vertrage weder eine Beſetzung wie für das übrige 
Rheinland oder wie für Oberſchleſien, Weſtpreußen und Schleswig vorgeſehen, noch 
wird die Anweſenheit fremder Truppen durch irgendeine Beſtimmung gerechtfertigt. 


) Dieſes Urteil hat folgenden Wortlaut: 
ö République Frangaise. 


Conseil de Guerre 
des Troupes de la Sarre séant à Sarrebruck. 


Jugement par Contumace. 
Au nom du Peuple Fran ais. 
Le Conseil de guerre des Troupes de la Sarre a rendu le jugement suivant: 


Aujourd’ hui vingt octobre mil neuf cent vingt, le Conseil de guerre des Tronpes 
de la Sarre, oui le Commissaire du Gouvernement dans ses requisitions et conclusions, 
a déclaré le nommé Ollmert, Karl, sujet allemand, ex-depute au Reichstag, absent 
et contumax, coupable d'attentat contre la süreté exterieure de Etat Frangais. 

En conséquence, ledit Conseil J’a condamne, par contumace, à la peine de la 
Deportation perp£tuelle dans une enceinte fortifice, par application des articles 63, 
176, 267 du Code de Justice Militaire, 76, 17 du Code penal et ler de la loi du 
8 juin 1850 et 5 de la Constitution du 4 novembre 1848. 

® Et, vu Particle 139 du Code de justice militaire, le Conseil condamne ledit 
Olmert à rembourser, sur ses biens presents et à venir, au profit du Tresor public, 
Je montant des frais du proces .......2222cseeesar een. 


(Überfegung.) 
Franzöſiſche Republik. 
Kriegsgericht 
der Truppen des Saargebiets, gehalten in Saarbrücken. 
Urteil im Abweſenheitsverfahren. 
Im Namen des franzöfifchen Volkes. 
Das Kriegsgericht der Truppen des Saargebiets hat folgendes Urteil gefällt: 

Heute, am zwanzigſten Oktober neun ehnhundertundzwanzig, hat das Kriegsgericht der 
Truppen des Sgargebiets nach Anbörung des Regierungskommiſſars hinſichtlich feiner Er 
mittelungen und Anträge den Karl Ollmert, deutſchen Staatsangehörigen, ehemaligen 
Reichstagsabgeordneten, der abweſend und ſaumig iſt, des Anſchlags auf die äußere Sicherheit 
des franzöfiichen Staates für ſchuldig befunden. 

Demgemäß hat ihn das Kriegsgericht auf Grund der Artikel 63, 176 und 267 der 
Militär⸗Strafprozeßordnung, Artikel 76 und 17 des Strafgeſetzbuchs und Artikel ! des Geſetzes 
vom 8 Juni 1850 und Artikel 5 der Verfaſſung vom 4. Novenber 1848 zur lebensläng⸗ 
lichen Deportation in ein befeſtigtes Lager verurteilt. 

Im Hinblick auf Artikel 139 der Militär⸗Strafprozeßordnung hat das Kriegsgericht 
ferner Ollmert verurteilt, der Staatskaſſe aus ſeinem gegenwärtigen und künftigen Ver— 
mögen die Prozeßkoſten zu erſtatte n. 


10 * 


2 ja 


Im Gegenteil ift im § 30 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags beſtimmt, 
daß im Saargebiet weder allgemeine Wehrpflicht noch freiwilliger Heeresdienſt be— 
ſteht und die Aufrechterhaltung der Ordnung einer örtlichen Gendarmerie übertragen 
werden ſoll; es iſt ſogar ausdrücklich geſagt, daß die Aufrechterhaltung der Ordnung 
nur durch eine örtliche Gendarmerie erfolgen ſoll. Hieraus ergibt ſich zweifelsfrei, 
daß im Saargebiet überhaupt keine Heeresmacht beſtehen ſoll, und daß für Zwecke 
der Ordnung keinerlei Organiſationen außer der örtlichen Gendarmerie beſtehen dürfen. 


Der Rat des Völkerbundes hat ſich am 13. Februar 1920 auf den Standpunkt 
geſtellt, daß bis zur Errichtung der Gendarmerie fremde Truppen im Saargebiet 
belaſſen werden können. Die Deutſche Regierung vermag zwar nicht zu erſehen, 
durch welche Beſtimmung des Vertrages dieſe Anſicht gerechtfertigt werden könnte, 
aber ſelbſt nach dieſer Anſicht hätten die franzöſiſchen Truppen das Saargebiet ſchon 
vor Monaten verlaſſen müſſen, denn die örtliche Gendarmerie des Saargebiets iſt 
durch verſchiedene, im Juli v. J. erlaſſene Verordnungen der Regierungskommiſſion 
errichtet worden und beſteht ſchon ſeit mehreren Monaten. 

Was die Ausübung der franzöſiſchen Militärgerichtsbarkeit über Bewohner des 
Saargebiets betrifft, fo würde fie dem Vertrag von Verſailles auch dann wider⸗ 
ſprechen, wenn die Anweſenheit franzöſiſcher Truppen zuläſſig wäre. Franzöſiſche 
Militärgerichte zählen nicht zu den Gerichten, die in $ 25 der Anlage zu Artikel 45 
bis 50 des Vertrags als einzige gerichtliche Behörden des Saargebiets vorgeſehen 
find. Wenn alſo Bewohner dieſes Gebiets den franzöſiſchen Kriegsgerichten über— 
laſſen werden, ſo werden ſie damit ihrem zuſtändigen bürgerlichen Richter entzogen. 
Es kommt hinzu, daß die franzöſiſchen Kriegsgerichte franzöſiſches Recht anwenden 


und im Namen des franzöſiſchen Volkes Recht ſprechen, während nach den 88 23 


und 25 der erwähnten Anlage die deutſchen Geſetze fortgelten und alle gerichtlichen 
Eutſcheidungen im Namen der Regierungskommiſſion ergehen ſollen. 

Mit beſonderem Nachdruck muß die Deutſche Regierung darauf hinweiſen, daß 
ſowohl die Anweſenheit franzöſiſcher Truppen wie die Rechtſprechung franzöſiſcher 
Kriegsgerichte im Saargebiet den oberſten Grundſätzen zuwiderläuft, die im Vertrag 
von Verſailles für dieſes Gebiet feſtgelegt ſind. Dem Vertrag zufolge iſt die Regierung 
des Saargebiets dem Völkerbunde zu treuen Händen übertragen und wird namens 
des Völkerbundes von der Regierungskommiſſion ausgeübt. Mit den Grundſätzen 
einer treuhänderiſchen Verwaltung iſt es aber unvereinbar, daß einem der Staaten, 
die an der Entſcheidung über das endgültige Schickſal des Gebiets intereſſiert ſind, 
eine bevorzugte Stellung eingeräumt wird, indem feine Truppen in dem Gebiet be- 
laſſen werden, und feine Kriegsgerichte über deſſen Bewohner Recht ſprechen. 

Aus dieſen Gründen legt die Deutſche Regierung Verwahrung gegen dieſe vertrags— 
widrigen Zuſtände ein. Sie erwartet von der Regierungskommiſſion, daß ſie alle 
Maßnahmen für die alsbaldige Entfernung der franzöſiſchen Truppen aus dem Saar- 
gebiet ergreifen und die Einſtellung der Rechtſprechung franzöſiſcher Kriegsgerichte 
über Saargebietsbewohner, ſowie die Aufhebung aller ſeit der Übernahme der Geſchäfte 
durch die Regierungskommiſſion gegen Bewohner erlaſſenen kriegsgerichtlichen Urteile 
herbeiführen wird. Die Gültigkeit dieſer Urteile kann die Deutſche Regierung nicht 
anerkennen. | 

Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker— 
bundes zugehen laſſen. | ee 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 

gez. Simons. 
An 
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 
N Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


r 
1 
K 


j 4 — 


139 — 


. Nr. 96. 
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 12. Februar 1921. 
err | Berlin, den 12. Februar 1921. 


| Herr Generalſekretär! 
Ich beehre mich, Ihnen anbei die Abſchrift eines Schreibens zugehen zu laſſen, 
das ich an den Herrn Präſidenten der Regierungskommiſſion für das Saargebiet 
gerichtet und in dem ich namens der Deutſchen Regierung Einſpruch erhoben habe 


gan die dem Vertrage von Verſailles widerſprechende Anweſenheit franzöſiſcher 


ruppen im Saargebiet und gegen die gleichfalls vertragswidrige Ausübung der 
franzöſiſchen Militärgerichtsbarkeit über Bewohner dieſes Gebiets. 


Auch dem Völkerbunde gegenüber legt die Deutſche Regierung Verwahrung ein 
gegen die vertragswidrigen Zuſtände, die im Saargebiet herrſchen, und gegen die 
Schmälerung der vertraglich gewährleiſteten Stellung Deutſchlands gegenüber dieſem 
Gebiet. Sie bittet den Völkerbund als den Inhaber der ihm zu treuen Händen 
anvertrauten Regierung des Saargebiets, dafür zu ſorgen, daß die Regierungs— 
kommiſſion nicht weiter Verhältniſſe duldet, die in Widerſpruch zu dem Vertrag von 
Verſailles ſtehen. | | 

Ich bitte, von dieſem Schreiben und feiner Anlage den Mitgliedern des Völker— 
bundes Kenntnis zu geben und eine Entſcheidung des Bundes herbeizuführen. 


Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung ). 
N gez. Simons. 
An 
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes, 
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond, 
| K. C. M. G., C. B. 
Genf. 


Nr. 97. 


Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 7. April 1921. 


Auswärtiges Amt. ö 
Nr. II 8 G. 374. Berlin, den 7. April 1921. 


Herr Generalſekretär! 

In meinem Schreiben vom 12. Februar hatte ich die Ehre, die Aufmerkſamkeit 
des Völkerbundes darauf zu lenken, daß im Widerſpruch zu den Beſtimmungen des 
Vertrags von Verſailles im Saargebiet franzöſiſche Truppen anweſend und franzö— 
ſiſche Kriegsgerichte tätig ſind. In Ergänzung meiner Ausführungen in dieſem 
Schreiben bemerke ich folgendes: 

In dem erſten Bericht, den die Regierungskommiſſion des Saargebiets am 
25. Marz 1920 an den Rat des Völkerbundes gerichtet hat, heißt es wörtlich): 
»Die polizeilichen Militärgerichte ſind aufgehoben; kein Bewohner des Saargebiets 
wird in Zukunft vor ein Kriegsgericht geſtellt werden.« In dem zweiten, vom 
1. Mai 1920 datierten Bericht?) teilt die Regierungskommiſſion mit, daß ſie ſich 
auf Verlangen des kommandierenden Generals der im Saargebiet garniſonierten 


) Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 95 wiedergegebenen Note beigefügt worden. 
2) Vgl. Nr. 88. 
3) Vgl. Nr. 89. 


— 1 


Truppen mit der Einleitung eines kriegsgerichtlichen Verfahrens gegen den Redakteur 
einer Saarbrücker Zeitung einverſtanden erklärt habe. Sie rechefertigt dieſe Ent- 
ſcheidung folgendermaßen: 


Der Redakteur habe in einem Artikel die franzöſiſche Armee beleidigt und habe 
dafür beſtraft werden müſſen, weil andernfalls der Aufenthalt franzöſiſcher Truppen 
und damit die Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet unmöglich gemacht 
worden wäre. Dieſe Beſtrafung hätte aber durch die vorhandenen Gerichte nicht her⸗ 
beigeführt werden können, denn der Schuldige wäre von dem zuſtändigen Gericht in 
Saarbrücken zweifellos freigeſprochen worden. 

Deshalb hat ſich die Regierungskommiſſion bewogen geſehen, der Militärjuſtiz 
freien Lauf zu laſſen. In der Tat iſt der Redakteur, nachdem er es abgelehnt 
hatte, den ſeiner Überzeugung entſprechenden Artikel zu widerrufen, tagelang von 
franzöſiſchen Patrouillen verfolgt worden, bis er ſich ſeiner Verhaftung durch Ver⸗ 
laſſen des Saargebiets entzog.“ N 

Seit dieſer Entſcheidung ſind die franzöſiſchen Kriegsgerichte wieder in Tätigkeit. 
Die Regierungskommiſſion erklärt in ihrem Bericht vom 1. Mai 1920, daß ſie dieſer 
Ausnahmegerichtsbarkeit ein Ende machen werde, ſobald ſie den im Vertrage von 
Verſailles vorgeſehenen Gerichtshof eingerichtet, die beſtehenden Gerichte dem deutſchen 
Einfluß entzogen und die Gewißheit erlangt haben werde, daß ſowohl die mit der 
Aufrechterhaltung der Ordnung betrauten Truppen wie die Bewohner des Saar- 
gebiets ihr Recht finden werden. 

Dieſe Ausführungen tragen ihre Widerlegung in ſich ſelbſt. Die Deutſche 
Regierung legt Wert darauf, den Meinungswechſel der Regierungskommiſſion in 
dieſer Frage feſtzuſtellen. Sie weiſt ferner darauf hin, daß die Regierungskommiſſion 
die Frage, ob Bewohner des Saargebiets vor ein franzöſiſches Kriegsgericht geſtellt 
werden dürfen, d. h. eine reine Rechtsfrage, die nur nach Rechtsgrundſätzen ent- 
ſchieden werden kann, lediglich nach politiſchen Geſichtspunkten entſchieden hat. Sie 
hat das ihr politiſch erwünſcht und zweckmäßig Erſcheinende angeordnet, obwohl die 
Tätigkeit der franzöſiſchen Kriegsgerichte nach dem Vertrage von Verſailles unzu⸗ 
läſſig iſt, da nach feinen Beſtimmungen nur die beſtehenden Gerichte und ein zu er- 
richtender Gerichtshof, nicht aber auch die franzöſiſchen Kriegsgerichte im Saargebiet 
Recht ſprechen, alle gerichtlichen Entſcheidungen im Namen der Regierungskommiſſion, 
nicht aber im Namen des franzöſiſchen Volkes ergehen und die deutſchen Geſetze und 
Verordnungen ſowie diejenigen der Regierungskommiſſion, nicht aber auch die franzö⸗— 
ſiſchen Geſetze maßgebend ſein ſollen. | 

Die Deutſche Regierung erneuert deshalb mit allem Nachdruck ihren Einſpruch 
gegen das vertragswidrige Weiterbeſtehen der franzöſiſchen Militärjuſtiz im Saar⸗ 
gebiet und hegt die beſtimmte Erwartung, daß der Völkerbund ſo bald als möglich 
Maßnahmen ergreifen wird, um die franzöſiſche Militärjuſtiz im Saargebiet aufzuheben. 

Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Präſidenten der Regierungs- 
kommiſſion des Saargebiets zugehen laſſen. 

Indem ich eine franzöſiſche Überſetzung dieſes Schreibens beifüge, bitte ich Sie, 
Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung zu ge— 
nehmigen. | 

gez. von Haniel. 


An 


den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes, 
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond, 
K. GM G . 


Genf. 


) Vgl. Nr. 90. 


— 141 — 


Nr. 98. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 7. April 1921. 
Auswärtiges Amt. 


Ne. II. S. G. 374. Berlin, den 7. April 1921. 


Herr Präſident! 


Im Anſchluß an mein Schreiben vom 12. Februar beehre ich mich, Ihnen anbei 
eine Abſchrift eines weiteren Schreibens zugehen zu laſſen, das ich in der Frage der 
Anweſenheit fran zöſiſcher Truppen und der Tätigkeit franzöſiſcher Kriegsgerichte im 
Saargebiet an den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes gerichtet habe. 


Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung 9. 


An 
die Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 
zu ag des Präſidenten, Herrn Staatsrat? Rault, 
Hochwohlgeboren. 
Saarbrücken. 


gez. von Haniel. 


Nr. 99. 


Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 23. April 1921. 


Auswärtiges Amt. 
Nr. II. S. G. 764. 


Herr Generalſekretär! 


Indem ich auf meine Schreiben vom 12. Februar und 7. April, betreffend die 
Anweſenheit franzöſiſcher Truppen und die Tätigkeit franzöſiſcher Kriegsgerichte im 
Saarbeckengebiet, Bezug nehme, beehre ich mich, die Aufmerkſamkeit des Völkerbundes 
noch auf folgende Tatſachen zu lenken: 


Nach § 30 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrags von Verſailles ſoll zur 
Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet eine örtliche Gendarmerie beſtehen, 
und zwar, wie ausdrücklich geſagt iſt, nur eine örtliche Gendarmerie. Tatſächlich 
beſtehen aber im Saargebiet zwei Gendarmerien, eine örtliche und eine franzöſiſche. 
Die franzöſiſche Gendarmerie iſt nur hinſichtlich ihrer Verwendung der Regierungs- 
kommiſſion unmittelbar unterſtellt, in diſziplinarer und organiſatoriſcher Beziehung 
aber ein Beſtandteil der franzöſiſchen Armee. Ihre Aufgaben und ihre Beziehungen 
zu der ſogenannten ſaarländiſchen Gendarmerie ſind durch eine Verordnung der 
Regierungskommiſſion vom 7. Juli 1920 geregelt worden. Die Regierungskommiſſion 
ſtützt dieſe Verordnung auf den erwähnten $ 30, obwohl fie doch dem Wortlaut 
gerade dieſer Vertragsbeſtimmung zuwiderläuft. 


Aber nicht nur das Vorhandenſein, ſondern auch die Art der Verwendung der 
Bergeſſeder Gendarmerie durch die Regierungskommiſſiem bildet eine Verletzung des 
ertrags von Verſailles. Die Aufgaben der franzöſiſchen Gendarmerie ſollen nach 
der erwähnten Verordnung vom 7. Juli 1920 in erſter Linie in der Verfolgung 
von Straftaten der im Saargebiet in Garniſon liegenden Militärperſonen beſtehen, 
der Präſident der Regierungskommiſſion kann ihr außerdem die Sicherung der Aus— 
führung von Beſchlagnahmen und ſonſtige im Intereſſe der allgemeinen Sicherheit 


5 Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 97 wiedergegebenen Note beigefügt worden. 


Berlin, den 23. April 1921. 


Kae na 


liegende Aufgaben übertragen; endlich ift fie befugt, beim Betreffen eines Verbrechers 
auf friſcher Tat einzuſchreiten. Tatſächlich erledigt die franzöſiſche Gendarmerie aber 5 
auch noch andere Aufgaben. Beiſpielsweiſe geht aus dem in Abſchrift hier bir 
gefügten Schreiben hervor, daß die franzöſiſche Gendarmerie von der Regierungs— 9 
„kommiſſion mit der Einziehung vertraulicher Auskünfte in Fragen der Beſetzung von 

Stellen in der Kommunalverwaltung beauftragt wird. Die Regierungskommiſſion 
bedient ſich alſo einer franzöſiſchen militäriſchen Organiſation für politiſche Zwecke. 

Dieſe Tatſachen beweiſen, daß die Regierungskommiſſion des Saargebiets auch 
in dieſer Beziehung den Vertrag von Verſailles dem Wortlaut und dem Sinne nach 
verletzt. Die Deutſche Regierung legt hiergegen nachdrücklich Verwahrung ein und 
bittet den Völkerbund dafür ſorgen zu wollen, daß die franzöſiſche Gendarmerie im 
Saargebiet aufgehoben wird. 

Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Präſidenten der Negierungs- 
kommiſſion des Saargebiets überſandt. ee 

Indem ich eine franzöſiſche Überſetzung dieſes Schreibens nebſt einer Abſchrift 6 
des franzöſiſchen Originals der Anlage beifüge, bitte ich Sie, Herr Generalſekretär, 
die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung entgegennehmen zu wollen. 


gez. von Haniel. 
An 


den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes, 
den Ehrenwerten Sir James Eric Drummond, 


K. C. M. G, C. B. 
Genf. 
Anlage. 
(berſetzung.) 
Regierungskommiſſion 
des Saargebiets. Saarbrücken, den 8. Februar 1921. 
Direktion 
der öffentlichen Sicherheit. 
Nr. 1174. 
Der Direktor der öffentlichen Sicherheit 
an 


Herrn Leutnant Tremeau, Kommandanten der franzöſiſchen Gendarmerie im 
Kreiſe Saarlouis. 


Über die Herren Spurk-Birk aus Nalbach, 
Moll, Auguſt, aus Differten, 
Bauer, Joſef, aus Differten, 
Müller, Jakob, aus Mettlach und 
Schuler aus Beſſeringen, 
die ſich ſämtlich um die Stelle eines Beigeordneten in ihren erwähnten Gem inden 
bewerben, ſind ungünſtige Berichte erſtattet worden. Der Herr Präſident der Re 
gierungskommiſion möchte aber, bevor er ſie endgültig von jeder Verwendung im 
öffentlichen Dienſt ausſchließt, in Erfahrung bringen, ob wirklich wichtige Gründe 
dagegen ſprechen, daß dieſen Bewerbungen ſtattgegeben wird. | 
Ich bitte Sie daher, auf vertraulichem Wege eine ergänzende Auskunft über 
jeden der Genannten einzuziehen und mir das Ergebnis mitzuteilen. | 


Der Direktor der öffentlichen Sicherheit. 
(Stempel und Unterſchrift.) 


— 143 —— 


Nr. 100. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 23. April 1921. 
Auswärtiges Amt. 
Nr. II. S. G. 764. Berlin, den 23. April 1921. 
Herr Präſident! 

Ich beehre mich, Ihnen anbei Abſchrift eines die franzöſiſche Gendarmerie im 
Sgargebiet betreffenden Schreibens und feiner Anlage zu übermitteln, das ich an den 
Herrn Generalſekretär des Völkerbundes gerichtet habe. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung ). 


An 
die Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 
Hochwoblgeboren 
Saarbrücken. 


gez. von Haniel. 


Nr. 101. 


Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche 
Regierung vom 14. April 1921. 


(berſetzung.) 
Regierungskommiſſion des Saargebiets. 2 
Der Präſident. Saarbrücken, den 14. April 1921. 
S. R. Nr. 
Herr Miniſter! 


Mit Schreiben vom 13. Februar d. J. haben Sie namens der deutſchen Regie— 
rung gegen die Beibehaltung der franzöſiſchen Truppen im Saarbecken und gegen 
die Verfolgung vor franzöſiſchen Kriegsgerichten, der einige Bewohner des Gebiets 
ausgeſetzt waren, Einſpruch erhoben. 


Die deutſche Regierung beruft ſich auf die Beſtimmungen des § 30 der Anlage 
zu Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensvertrags von Verſailles; ſie ſchließt aus dieſen 
Beſtimmungen, daß unzweifelhaft »im Saargebiet überhaupt keine Heeresmacht be— 
ſtehen ſoll, und daß die Aufrechterhaltung der Ordnung durch keine andere Organi— 
ſation als durch die örtliche Gendarmerie zu erfolgen hat«. 


Die Regierungskommiſſion bedauert, dieſer Auslegung nicht zuſtimmen zu können. 
Der $ 30 enthalt zwei Teile: der erſte unterfagt der Regierungskommiſſion, irgend: 
eine Art von Wehrpflicht oder von freiwilligem Heeresdienſt einzuführen und Be— 
feſtigungen im Saargebiet zu errichten; er laßt lediglich die Einrichtung einer ört— 
lichen Gendarmerie zu. 

Die Regierungskommiſſion hat dieſe Beſtimmungen gewiſſenhaft beachtet; die 
Bewohner des Gebiets ſind zu keinerlei Art von Wehrpflicht oder freiwilligem Heeres— 
dienſt herangezogen, keine Befeſtigung iſt angelegt, die erſten Grundlagen für eine 
örtliche Gendarmerie ſind errichtet worden. 

Der $ 30 enthält aber einen Schlußabſatz, den die deutſche Regierung überſehen 
zu haben ſcheint, und deſſen Wortlaut ich mir wiederzugeben erlaube: »Es iſt Sache 


1) Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 99 wiedergegebenen Note beigefügt worden. 


EIER ER 


der Regierungskommiſſion, in allen eintretenden Fällen für den Schutz der Perſon 
und des Eigentums im Saargebiet zu ſorgen.« Auf Grund dieſer Beſtimmung, zu 
deren Auslegung die Regierungskommiſſion gemäß § 33 der erwähnten Anlage allein 
ermächtigt iſt, hat die Regierungskommiſſion die Anweſenheit fremder Truppen im 
Saargebiet zugelaſſen; dieſe Truppen ſind ihr unentbehrlich, um den Schutz von 
Perſon und Eigentum zu gewährleiften, insbeſondere den Schutz der franzöſiſchen 
Staatsgruben, deren freie Ausbeutung ſie ſicherzuſtellen hat. 

Was die Rechtſprechung der Kriegsgerichte betrifft, ſo richtet die Regierungs⸗ 
kommiſſion, die in Zukunft das in den Beſtimmungeg des Friedensvertrags vorge— 
ſehene Obergericht zu ihrer Verfügung hat, die Zuſtändigkeit dieſes Gerichtshofs der⸗ 
art ein, daß die Bewohner des Gebiets ſich nur vor den Gerichten zu verantworten 
haben werden, vor denen ſie einen Gerichtsſtand haben nach Maßgabe der geltenden 
Geſetze und der im Völkerrecht gültigen Grundſätze; nach Maßgabe dieſes Grundſatzes 
wird übrigens bereits ſeit mehreren Monaten verfahren. 

Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 898. 


achtung. 
Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets. 
gez. V. Rault. 


Seiner Exzellenz Herrn Dr. Simons, 
Miniſter des Auswärtigen 
Berlin. 


Nr. 102. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 4. Mai 1921. 


Auswärtiges Amt. 8 a f 
Nr. a 851. f Berlin, den 4. Mai 1921. 


Herr Präſident! 

Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 14. April, betr. 
die franzöſiſchen Truppen und Kriegsgerichte im Saargebiet, zu beſtätigen. | 

Die Deutſche Regierung nimmt zunächſt mit Befriedigung Kenntnis von den 
Bemerkungen der Regierungskommiſſion über die franzöſiſche Militärgerichtsbarkeit 
im Saargebiet. Sie glaubt, dieſe Bemerkungen dahin verſtehen zu ſollen, daß dieſe 
Gerichtsbarkeit beſeitigt iſt und nicht wieder eingerichtet werden wird. 

Hingegen vermag die Deutſche Regierung den Darlegungen der Regierungs- 
kommiſſion über die franzöſiſchen Truppen nicht beizutreten. 

Die Regierungskommiſſion führt aus, daß § 30 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 
des Vertrags von Verſailles zwei Teile enthalte, daß in dem zweiten Teil, den die 
Deutſche Regierung überſehen zu haben ſcheine, der Regierungskommiſſion der Schutz 
von Perſon und Eigentum im Saarbecken zur Pflicht gemacht ſei, und daß die 
Regierungskommiſſion auf Grund dieſer Beſtimmung die Anweſenheit fremder Truppen 
im Saar gebiet zugelaſſen habe. 

Die Regierungskommiſſion befindet ſich im Irrtum, wenn ſie glaubt, die Deutſche 
Regierung habe den Schlußabſatz des § 30 außer Acht gelaſſen. Die Deutſche Regierung 
muß ihrerſeits darauf aufmerkſam machen, daß in dem Schreiben der Regierungs- 
kommiſſion vom 14. April der mittlere von den drei Abſätzen des § 30, der für die 
vorliegende Frage von entſcheidender Bedeutung iſt, nur unvollſtandig berückſichtigt 
wird. Dieſer Abſatz lautet: »Es wird nur eine örtliche Gendarmerie zur Aufrecht- 
erhaltung der Ordnung eingerichtet.« Zur Aufrechterhaltung der Ordnung gehört 
aber in erſter Linie der Schutz von Perſon und Eigentum, denn eine Ordnung ohne 
Schutz von Perſon und Eigentum iſt undenkbar. Wenn ſomit im zweiten Abſatz 
des § 30 die örtliche Gendarmerie als das Mittel für die Aufrechterhaltung der 


3 


Ordnung im Saargebiet bezeichnet iſt, ſo erübrigt es ſich allerdings, in Abſatz 3 
nochmals die Mittel für den Schutz von Perſon und Eigentum, den wichtigſten Teil 
der allgemeinen Ordnung, anzugeben. Vielmehr wird durch Abſatz 3 in keiner Weiſe 
der in Abſatz 2 allgemein und unbedingt ausgeſprochene Grundſatz eingeſchränkt, daß 
die Ordnung allein durch eine örtliche Gendarmerie aufrechterhalten werden ſoll. Es iſt 
alſo nach dem Vertrag unzuläſſig, den Schutz von Perſon und Eigentum einer anderen 
Organiſation zu übertragen als der, die unter Ausſchluß jeder anderen die allgemeine 
Ordnung im Saargebiet aufrechterhalten ſoll. 


Die Ausführungen in dem Schreiben der Regierungskommiſſion vom 14. April 
find auch nicht vereinbar mit der Auffaſſung des Völkerbundes und mit der Anſicht, 
die die Regierungskommiſſion ſelbſt früher kundgegeben hat. In dem Bericht, den 
der Rat des Völkerbundes am 13. Februar 1920 gebilligt hat, iſt bemerkt, daß die 
Regierungskommiſſion, um den Schutz von Perſon und Eigentum wahrnehmen zu 
können, im Bedarfsfall die Beibehaltung der zur Sicherung der Ordnung berufenen 
Truppen verlangen konne. Jedoch iſt ausdrücklich hinzugefügt: »bis zur Einrichtung 
der in § 30 vorgeſehenen Gendarmerie des Saargebiets«. In Übereinſtimmung mit 
dieſer Anſicht hat die Regierungskommiſſion in dem Bericht, den ſie am 25. März 1920 
an den Rat des Völkerbundes gerichtet hat, erklärt: »Die Kommiſſion, der nach dem 
Friedensvertrag die Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet obliegt, war der 
Anſicht, daß ſie bis zur Einrichtung einer örtlichen Gendarmerie die Anweſenheit von 
Truppen nicht entbehren könne.« Beide Außerungen gehen von der ſelbſtverſtänd— 
lichen Vorausſetzung aus, daß der Schutz von Perſon und Eigentum der weſentlichſte 
Teil der Aufrechterhaltung der Ordnung iſt, und entſchuldigen die vertragswidrige 
Belaſſung franzöſiſcher Truppen im Saargebiet lediglich mit den Schwierigkeiten 
einer kurzen Übergangszeit. Nachdem aber ſchon ſeit längerer Zeit die vorgeſehene 
örtliche Gendarmerie errichtet iſt, iſt auch nach dieſen Außerungen kein Raum mehr 
für die weitere Belaſſung franzöſiſcher Truppen im Saarbecken. 


Aus dieſen Gründen muß die Deutſche Regierung ihren Einſpruch gegen die 
Anweſenheit franzöſiſcher Truppen im Saargebiet aufrechterhalten und erneut ihre 
Entfernung verlangen. 


Eine Abſchrift dieſes Schreibeus habe ich dem Herrn Generalſekretär des 
Völkerbundes zugehen laſſen. 


Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 
gez. von Haniel. 
An 
die Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 


Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


Nr. 103. 


Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 4. Mai 1921. 


Auswärtiges Amt. 
Nr. II. S. G. 851. 


Herr Generalſckretär! 


Der Herr Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets hat auf mein 
Schreiben vom 12. Februar d. J., betreffend die franzöſiſchen Truppen und Kriegs— 
gerichte, von dem ich Ihnen eine Abſchrift zu überſenden die Ehre hatte, mit einem 
Schreiben vom 14. April geantwortet. 


Berlin, den 4. Mai 1921. 


BRASS: 


Ich beehre mich, Ihnen anbei eine Abſchrift dieſes Schreibens ſowie der Er- 
widerung, die ich namens der Deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets gerichtet habe, zu übermitteln. 

Indem ich eine franzöſiſche Überſetzung dieſes Schreibens und des Schreibens 
an die Regierungskommiſſion des Saargebiets in 50 Exemplaren mit der Bitte um 
Bekanntgabe an die Mitglieder des Völkerbundes beifüge, ergreife ich die Gelegenheit, 
um Ihnen, Herr REN die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung 
zu erneuern ). 

gez. von Haniel. 
An 
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes, 
den Ehrenwerten Sir James Eric Srummond, 
K. O, M. G., 
Gef 


Nr. 104. 


Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deuſche 
Regierung vom 11. Mai 1921. 
(Überſetzung.) 
Regierungskommiſſion des Saargebiets, | 
Generalſekretariat. 5 | Saarbrücken, den 5 Mai 1921. 
S. G. Nr. 4724. f | 
Herr Minifter! 

Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihrer Note vom 4. Mai 1921, Nr. 4 
S. G. 851, zu beftätigen; ich bin der Anſicht, daß fie keine Antwort meinerſeits er⸗ 
fordert. 

Dieſe Note ſtellt in der Tat den Verſuch einer Auslegung der Beſtimmungen 
des Friedensvertrages dar, die die Regierungskommiſſion des Saargebiets allein zu 
geben befugt iſt. | 

Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 


Hochachtung. 


gez. V. Rault. 
An 
den Herrn Miniſter des Auswärtigen 
in Berlin. 
Nr. 105. 

Note des Völkerbundes an die deutſche Regierung vom 25. Juni 1921. 

ei | (berſetzung.) 

ölkerbund. f 
3„ 13492/10965 Genf, den 25. Juni 1921. 


Herr Miniſter! FR 
Indem ich auf Ihre Schreiben und deren Anlagen vom 15. gebruar, 7 Hund 
23. April und 4. Mai 1921, betr. die Anweſenheit franzöſiſcher Truppen und die 
Ausübung der Gerichtsbarkeit durch Kriegsgerichte im Saarbecken, Bezug nehme, habe 
ich die Ehre, Ihnen gemäß dem vom Rat des Völkerbundes in ſeiner Sitzung vom 
20. Juni 1921 gefaßten Beſchluß anliegend die Abſchrift eines Berichtes über dieſe 
7: zu e der am gleichen Tage gebilligt worden iſt. 


’ Der Note find Abſchriften der unter Nr. 101 und 102 wiedergegebenen Noten beigefügt worden. 


en Ze 


5 


— 147 — 
Abſchriften Ihrer Schreiben über dieſe Frage werden den Mitgliedern des Völker— 
bundes zur Kenntnisnahme mitgeteilt werden. 
aten Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung. 
gez. Eric Drummond, 
Generalſekretär. 


Seiner Erzellenz 
dem Herrrn Miniſter des Auswärtigen, 
ö Berlin, 
Deutſchland. 


Anlage. 


(berſetzung.) 
8 Genf, den 22. Juni 1921. 
Saarbecken. 
Anweſenheit franzöſiſcher Truppen und Ausübung der Gerichtsbarkeit durch 
franzöſiſche Kriegsgerichte im Saarbecken. 


Bericht, erſtattet von dem Vertreter Chinas, Herrn Wellington Koo, und vom Rat 
am 20. Juni 1921 gebilligt. 


J. Die deutſche Regierung erhebt in ihren Schreiben an den Generalſekretär 
vom 15 Februar und vom 7. April Proteſt gegen die Anweſenheit franzöſiſcher 
Truppen im Saarbecken und gegen die Ausübung der franzöſiſchen Militärgerichts— 
barkeit über Einwohner dieſes Gebietes. In einem weiteren Schreiben vom 23. April 
beſchwert ſie ſich darüber, daß neben der örtlichen Gendarmerie des Saargebirtes eine 
franzöſiſche Gendarmerie beſteht, die auf Grund ihrer Organiſation und ihrer Diſzi— 
plin einen Beſtandteil der franzöſiſchen Armee bildet, obgleich ſie ihrer Verwendung 
nach der Kontrolle der Regierungskommi ſion unterſtellt iſt, ſowie über die angebliche 
Verwendung dieſer Gendarmerie durch die Regierungskommiſſion als eine Art 
politiſcher Sonderpolizei. 


Die deutſche Regierung proteſtiert ebenfalls gegen die Ausübung der Gerichts— 
barkeit über Einwohner des Saarbeckens durch franzöſiſche Kriegsgerichte, die, wie 
ſie behauptet, franzöſiſches Recht im Namen des franzöſiſchen Volkes anwenden und 
nicht in dem der Regierungskommiſſion Recht ſpiechen. 


II. Der deutſche Proteſt ſtützt ſich in rechtlicher Hinſicht auf folgende Gründe: 


a) Der Verſailler Vertrag ſieht eine militäriſche Beſetzung des Saarbeckens 
nicht vor. 


b) Der $ 30 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50 des Vertrags wird dahin 
ausgelegt, daß zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet keine andere 
Macht unterhalten werden darf als die ſchon erwähnte örttiche Gendarmerie 


e) Der Voͤlkerbundsrat hat in feiner Entſcheidung vom 13. Februar 1920 die 
Anſicht vertreten, daß die fremden Truppen im Saargebiet bleiben dürften, 
jedoch nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem die örtliche Gendarmerie errichtet 
ſein werde. Dieſe Truppe iſt durch Verordnungen der Regierungskommiſſion 
im Juli 1920 errichtet worden. 


d) Selbſt wenn die Anweſenheit fremder Truppen zuläſſig wäre, ſo ſteht doch 
die Tatſache, daß Einwohner des Saargebiets der franzöſiſchen Militär— 
gerichtsbarkeit unterworfen werden, im Widerſpruch zum Vertrag von 

= 


F A ⁵˙ RT TER BT 02 2 Rh STR DI RE 
* - — * - WERL * in 3 1 ge 
* N u. * * a \ * DE STR U 2 


e 


Verſailles. Die SS 23 und 25 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50 
beſtimmen, daß die Rechtſprechung im Saargebiet nach Maßgabe der deutſchen 
Geſetzgebung und im Namen der Regierungskommiſſion zu erfolgen hat; 
zuläſſig find allein die im § 25 bezeichneten Gerichte, d. h. die zu dieſem 
Zeitpunkt ſchon beſtehenden Zivil- und Strafgerichte und der neue, von der 
Regierungskommiſſion errichtete Gerichtshof. 


Die Ausübung des Mandates als Treuhänder, das dem Völkerbund in 
Anſehung der Verwaltung des Saarbeckens übertragen iſt, iſt unvereinbar 
mit dem Frankreich, einem an der endgültigen Zuteilung des Saargebiets 
intereſſierten Staat, eingeräumten Vorrecht, dort Truppen au unterhalten 
und die Gerichtsbarkeit auszuüben. 


Die deutſche Regierung verlangt die Zurückziehung der franzöſiſchen 
Truppen, die Abſchaffung der Kriegsgerichte und die Ungültigkeitserklärung 
aller Urteile, die von dieſen über Einwohner ſeit dem Regierungsantritt 
der Regierungskommiſſion verhängt worden ſind, und bemerkt, daß ſie dieſe 
Urteile nicht als rechtsgültig betrachten kann. 


III. Der Präſident der Regierungskommiſſion des Saarbeckens hat in ſeinem 


Schreiben vom 14. April 1920 darauf hingewieſen, daß es nach § 30 der Anlage 
zu den Artikeln 45 bis 50 des Vertrags »der Regierungskommiſſion obliegt, unter 
allen Umſtänden für den Schutz der Perſon und des Eigentums im Saargebiet zu 
ſorgen«. 
Kommiſſion nicht ohne die Hilfe fremder Truppen ſichergeſtellt werden kann, und iſt 
der Anſicht, daß die Verwendung dieſer Truppen ſich in rechtlicher Hinſicht aus 
folgenden Gründen rechtfertigt: 


a) Die Truppen ſind nicht Beſatzungstruppen, ſondern Garniſontruppen, die 


Er führt aus, aus welchen Gründen dieſer Schutz nach Anſicht der 


vollſtändig verſchieden ſind von der franzöſiſchen Rheinarmee; ihr Führer 
muß allen Erſuchen des Präſidenten der Regierungskommiſſion Folge leiſten. 
Ihre Anweſenheit kann nicht als im Widerſpruch zu dem Artikel des 


Vertrags angeſehen werden, der jeden Heeresdienſt im Saarbeckengebiet 
unterſagt. 


b) Keine Stelle des Vertrags ſchränkt die Befugniſſe der Regierungskommiſſion 


in der Wahl der Mittel, die ihr die Sicherſtellung des Schutzes von Perſonen 
und Eigentum im Saargebiet ermöglichen, ein. Der Völkerbundsrat hat 


am 15. Februar 1920, vor der Einſetzung der Regierungskommiſſion, die 


Anſicht ausgeſprochen, daß die Regierungskommiſſion das Recht habe, ſich 
der Mithilfe franzöſiſcher Truppen zu bedienen. 

Was die Gerichtsbarkeit der Kriegsgerichte anbelangt, ſo erklärt der 
Präſident der Kommiſſion, er habe beſchloſſen, daß die Fälle, für die die 
ordentlichen Gerichte nicht zuſtändig ſind, vor das neue Obergericht in 
Saarlouis, das auf Grund des § 25 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50 
des Verſailler Vertrags errichtet worden iſt, gebracht werden ſollen. Dieſes 
Obergericht iſt »gegenwärtig dabei zu prüfen, wie es die Einwohner des 
Saargebiets der Gerichtsbarkeit der Kriegsgerichte entziehen kanne. Sobald 
das neue Regime in Kraft getreten fein wird, wird die Rolle des Kriegs— 
gerichts »auf die im Völkerrecht allgemein anerkannten Regeln beſchränkt 


. jein, und es wird gegenüber der Bevölkerung nur noch in ganz beſonderen 


Ausnahmefällen zuſtändig ſein«. Er erklärt, dieſe Praxis 1 bereits ſeit 


einigen Monaten in Kraft. 


IV. Der Präſident der Regierungskommiſſion hat in ſeinem Schreiben vom 
14. April 1921 ſelbſt die praktiſchen Gründe angegeben, die die Regierungskommiſſion 
dazu veranlaßt haben, von ihrem PR franzöſiſche Truppen im Saargebiet zu 
unterhalten, Gebrauch zu machen. 


1 End 3 Pers 
air ke a u ET ug 
r 


ln - 
a RB 


| In dieſem Schreiben ſagt er folgendes: 


»Um in wirkſamer Weiſe die Garniſonſruppen erſetzen zu können, 
müßte die örtliche Gendarmerie mindeſtens 4000 Mann ſtark ſein, darunter 
500 Berittene. Es erſcheint ausgeſchloſſen, im Saarbecken, wo die Bevöl— 
kerung von der lohnenden Arbeit in den Gruben und Werkſtätten angezogen 
wird, jo ſtarke Beſtände zuſammenzub ringen. Man würde dazu gelangen, 
daß dieſe Gendarmerie die Unzulänglichkeiten aufweiſen würde, die allen 
Polizeitruppen anhaften, die durch Rekrutierung in dem Bezirk ſelbſt 
aufgebracht werden; der Präſident hat die Pflicht, daran zu erinnern, 

daß die ſtädtiſchen Schutzmanuſchaften und die Landgendarmerie ſich im 
Auguſt v. J. dem Streik der Beamten angeſchloſſen und ihre Poſten ver— 
laſſen haben. 


Schließlich würde die Unterhaltung einer derartig ſtarken Truppenmacht 
für das Saargebiet eine erdrückende Laſt bedeuten. Bereits das im 
Auguſt v. J au'geſtellte Korps von 30 Fußgendarmen erfordert eine jährliche 
Ausgabe von 700 000 Mark. Die Finanzen der Regierungskommiſſion 
könnten alſo keinesfalls die Koſten einer genügend zahlreichen Gendarmerie, 
die mehrere Schwadronen Berittener umfaſſen müßte, beſtreiten. 

Gegenwärtig unterhält die franzöſiſche Regierung, um die Regierungs— 
kommiſſion inſtand zu ſetzen, die Sicherheit der Kohlengruben zu garantieren, 
im Saarbecken nahezu 7000 Mann Truppen; das franzöſiſche Budget wird 
hierdurch mit mehr als 40 000 000 Fr. belaſtet.« 


b V. Nach § 35 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50 des Verſailler Ver— 

trags hat die Regierungskommiſſion die Befugnis, alle Fragen, die durch die 
Auslegung der vorgenannten Beſtimmungen, z. B. durch die Auslegung des $ 30, 
ſich ergeben, zu entſcheiden. Die Regierungskommiſion iſt jedoch gegenüber dem 
Völkerbunde, der in Bezug auf die Verwaltung des Gebiets als Treuhänder gilt, 
verantwortlich. 


Der Rat hat ſchon durch ſeinen vorerwähnten Beſchluß vom 13. Februar 1920 
zu dem Proteſt der deutſchen Regierung gegen die Anweſenheit fremder Truppen im 
Saarbecken Stellung genommen. Dieſer Beſchluß war die Billigung der Schluß— 
folgerungen eines Berichtes, der die Befugniſſe der Regierungskommiſſion in folgender 
Weiſe feſtlegte: 


»Gemäß 8 30 iſt es ihre Aufgabe, unter allen Umſtänden für den 
Schutz von Perſonen und Eigentum im Saarbeckengebiet zu ſorgen. Hieraus 
ergibt ſich, daß fie bis zu der in dem erwähnten § 30 vorgeſehenen Er— 
richtung einer ſaarländiſchen Gendarmerie die völlige oder teilweiſe Bei— 
behaltung oder Rückberufung der zur Aufrechterhaltung der Ordnung be— 
rufenen Truppen verlangen kann, falls ein Bedürfnis hierfür beſteht.« 


VI. Eine aufmerkſame Prüfung der von der deutſchen Regierung und von 
dem Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saarbeckens vorgebrachten Rechts— 
ausführungen gibt dem Völkerbundsrat keinen Grund, die Haltung, die er bei der 
Faſſung des vorſtehenden Beſchluſſes eingenommen hat, zu ändern. Die der Ne 
gierungskommiſſion übertragene Aufgabe, im Saargebiet im Intereſſe ſowohl der 
Einwohner wie des franzöſiſchen Staates, des Eigentümers der Gruben, die Ordnung 
aufrechtzuerhalten, iſt von der größten Bedeutung und ſchließt das Recht in ſich, im 
Notfalle alle der Kommiſſion zur Verfügung ſtehenden Mittel zur Anwendung zu 
bringen. Es iſt Sache der Regierungskommiſſion, zu entſcheiden, ob die Notwendig— 
keit dazu vorliegt; natürlich iſt ſie dem Völkerbunde für den Gebrauch, den ſie von 
ihrem Rechte macht, verantwortlich. Der Bericht an den Völkerbundsrat vom 
13. Februar 1920 ſieht allerdings die Unterhaltung einer fremden Garniſon als dau— 
ernde Einrichtung der Verwaltung des Saargebietes nicht vor, ſondern beſagt im 


— 1 


Gegenteil, daß dieſe fortfallen ſoll, ſobald die Entwicklung der örtlichen Gendarmerie 
es der Regierungskommiſſion ermöglicht, feſtzuſtellen, daß die fremde Hilfe für ſie 
nicht mehr unerläßlich iſt. 


Was hier von den franzöſiſchen Truppen geſagt iſt, gilt a in gleicher 
Weiſe für die in der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 24. Juli 1920 
erwähnte franzöſiſche Gendarmerie. 


VII. Was die Rechtſprechung der Kriegsgerichte im Saarbecken anbetrifft, ſo 
ergibt ſich bei einer Prüfung der SS 23 und 25 der Anlage zu den Artikeln 45 
bis 50 des Verſailler Vertrags in unanfechtbarer Weiſe, daß zu normalen Zeiten 
die Ausübung der Juſtiz im Saarbecken nur im Namen der Regierungskommiſſion 
und gemäß den am 11. November 1918 geltenden Geſetzen ſtattfinden darf, vor— 
behaltlich der Anderungen, die die Regierungskommiſſion nach Anhörung der 
gewählten Vertreter der Bevölkerung vornimmt, und daß dieſe Geſetze lediglich von 
den im § 25 bezeichneten Gerichten angewandt werden dürfen. Es ergibt ſich hier⸗ 
aus, daß es im Widerſpruch zum Friedensvertrag ſtände, wenn über die Einwohner 
Recht geſprochen würde durch Kriegsgerichte oder auf Grund von anderen Geſetzen 
als den eben bezeichneten. Die Regierungskommiſſion erkennt an, daß dies die 
Folge der Beſtimmungen des Vertrages iſt und erklärt, daß fie Maßnahmen ge- 
troffen hat, die bereits ſeit mehreren Monaten zur Anwendung gelangen, um jede 
Ausübung der richter ichen Gewalt durch Kriegsgerichte, die im Widerſpruch zum 
Friedensvertrag ſtehen könnte, zu unterbinden. 


VIII. Bei der Feſtſtellung vorſtehender Grundſätze muß man jedoch anerkennen, 
daß es in dringenden Fällen, in denen es die Regierungskommiſſion für unerläßlich 
gehalten hat, auf die Hilfe fremder Truppen zurückzugreifen, vielleicht unmöglich ge- 
weſen iſt, eine zweckdienliche Rechtſprechung durch die ordentlichen Gerichte ſicher— 
zuſtellen oder ſich auf dieſe allein zu verlaſſen; in Ausnahmefällen dieſer Art dürfte 
es ſchwer fallen, der Regierungskommiſſion als der oberſten Exekutivgewalt des Ge— 
bietes, die auf Grund des Verſailler Vertrages für den Schutz von Perſonen und 
Eigentum verantwortlich iſt, das Recht abzuſprechen, die Zuſtändigkeit der von den 
fremden Truppen eingeſetzten Kriegsgerichte in dem Maße zu erweitern, wie ſie es 
für notwendig hält. Andernfalls wäre es vielleicht unmöglich geweſen, die Ordnung 
aufrechtzuerhalten und die Truppen mit Erfolg zu verwenden. Wie dem aber auch 
ſei, es darf nicht vergeſſen werden, daß die Autorität dieſer Kriegsgerichte vollkommen 
von der Regierungskommiſſion abgeleitet war und nicht von der Regierung des 
Landes, in deſſen Dienſten die Offiziere ſtanden, aus denen ſie ſich zuſammenſetzten. 
Dieſe Erwägungen, die jedoch nur für wirklich außergewöhnliche Umſtände und im 
Falle wirklicher Gefahr für die öffentliche Ordnung gelten — Vorausſetzungen, die ſich 
jetzt, wo der Obergerichtshof für das Saarbecken errichtet iſt, wahrſcheinlich nicht mehr er— 
geben werden — können als Antwort den rechtlichen Einwänden entgegengehalten werden, 
die die deutſche Regierung gegen die Rechtsgültigkeit der bisher von den N 
gerichten im Saarbecken erlaſſenen Urteile erhoben hat. 


IX. Die in den Abſätzen VI, VII und VIII dieſes Berichtes enthaltenen 
Beſchlüſſe könnten vielleicht der Riegierungskommiſſion des Saarbeckens als Richt— 
linien für die Zukunft mitgeteilt werden; man könnte ſie auch erſuchen, in den 
laufenden Berichten, die ſie an den Völkerbundsrat ſchickt, genaue Mitteilungen über 
die Entwicklung der örtlichen Gendarmerie und die Ausſichten auf eine Ba... 
der franzöſiſchen Truppen zu machen. 


Eine Abſchrift dieſes Berichtes könnte ferner der deutſchen Regierung als Ant⸗ 
wort auf ihre verſchiedenen Noten über dieſe Frage übermittelt werden. 


Te a a a ei: 
Baer 2 j IE 
2 * . 


er 


7. * € 
RR: FAR rt Fan . — 
NW a — 


Nr. 106. 


| Verordnung der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die 


Zuſtändigkeit der Gerichte über Zivil- und Militärperſonen. 
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 10 vom 25. Juli 1921.) 


Die Regierungskommiſſion des Saargebiets verordnet auf Grund der SS 19, 
25 und 30 der Anlage zum Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensvertrags von Ver— 
ſailles und gemäß dem Beſchluß vom 28. Juni 1921 was folgt: 


Artikel 1. 


Die Gerichte des Saargebiets bleiben ſachlich zuſtändig für alle von Zivil— 
perſonen begangenen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen. 


Artikel 2. 

Die Kriegsgerichte der mit der Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet 
beauftragten Truppen ſind, da dieſe die Eigenſchaft als Garniſontruppen beſitzen, 
vorbehaltlich der im nachſtehenden Artikel 3 vorgeſehenen Ausnahme allein zur Ab— 
urteilung von Militärperſonen zuſtändig. 

Zur Aburteilung von Angehörigen der im Saargebiet ſtationierten Gendarmerie 
(Offiziere, Unteroffiziere und Gendarmen) ſind ſie auch zuſtändig für Verbrechen und 
Vergehen, welche dieſe in Ausübung ihres Amtes bei der Verfolgung ſtrafbarer 
Handlungen und bei der Feſtſtellung von Geſetzesverletzungen in Adminiſtrativ— 
angelengeheiten begehen. | 

Artikel 3. 

Die Kriegsgerichte find jedoch zuſtändig zur Aburteilung von Zivilperſonen 
irgendwelcher Staatsangehörigkeit wegen eines im Saargebiet begangenen Spionage— 
verbrechens oder Spionagevergehens, welches ſich gegen die Sicherheit der mit der 
Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet beauftragten Truppen richtet. In 
dieſen Fällen überträgt ihnen der Präſident der Regierungskommiſſion die Verfolgung. 


Artikel 4. 


Wenn ein Strafverfahren wegen Teilnahme oder aus einem andern Grund 
ſowohl gegen Zivil- als gegen Militärperſonen zu richten iſt, verfolgt jede Gerichts— 
behörde die ihr unterliegenden Beſchuldigten, falls nicht auf Grund beſonderer Ver- 
einbarung im Einzelfall zwiſchen dem Mitglied der Regierungskommiſſion für die 
Juſtiz und dem Kommandierenden General der Saartruppen eine der beiden Gerichts— 
barkeiten der anderen die Verfolgung überläßt; kraft dieſer Vereinbarung wird die 
letztere Gerichtsbarkeit für die Verfolgung aller ihr überlaſſenen Beſchuldigten zuſtändig. 

In allen Fällen hat jede der beiden Gerichtsbehörden der anderen auf deren 
Verlangen ihre Akten mitzuteilen ſowie jede erforderliche, auf das betreffende Ver— 
fahren bezügliche Auskunft zu erteilen.“ 


Artikel 5. 


Falls im Saargebiet oder in einem Teil desſelben der Belagerungszuſtand ver- 
hängt wird, beſtimmt die Verordnung der Regierungskommiſſion gleichzeitig, welche 
Zuſtändigkeit den Kriegsgerichten zukommt. 


Saarbrücken, den 28. Juni 1921. 
Im Namen der Regierungskommiſſion. 
Der Präſident. 
gez. V. Rault, Staatsrat. 
11 


— 12 — 


Nr. 107. 


Bericht der Regierungskommiſſion der Saargebiets an den Völker⸗ 
bundsrat vom 1. Auguſt 1921. Ba 


(Vgl. Druckſachen des Völkerbundes, C. 264. M. 195. 1921. S. 7 f.) 
(berſetzung.) | 


eure BE er ner ee U ER 


Verordnung über die Kriegsgerichte. 


Gemäß den von ihr ſtets bekundeten Abſichten und um den in dem Bericht 
Seiner Exzellenz des Herrn Wellington Koo, deſſen Ergebniſſe am 20. Juni d. J. vom 
Rat des Völkerbundes genehmigt worden ſind, ausgedrückten Wünſchen zu entſprechen, 
hat die Regierungskommiſſion am 28. Juni d. J. eine Verordnung über die Kriegs⸗ 
gerichte erlaſſen. 

Dieſe Verordnung ſtellt den Grundſatz auf, daß die Bewohner des Gebiets ihren 
Gerichtsſtand nur vor den ordentlichen Zivilgerichten haben. Die Kriegsgerichte ſind 
nur zuſtändig für Aburteilung von Militärperſonen der Garniſontruppen. Wenn bei 
einer Straftat ſowohl Militär⸗ wie Zivilperſonen beteiligt find, ſollen beide Arten 


von Gerichten jede für ſich ein Verfahren einleiten, wofern nicht die eine der anderen 


die Verfolgung überläßt. 
Nur wenn im Saargebiet ein Spionageverbrechen oder Spionagevergehen be⸗ 


gangen werden ſollte, das die Sicherheit der mit der Aufrechterhaltung der Ordnung 


betrauten Truppen gefährdet, ſollen die Kriegsgerichte Bewohner des Gebiets ab- 
urteilen dürfen; auch in dieſem Falle aber müſſen ſie von dem Präſidenten der 
Regierungskommiſſion einen ausdrücklichen Auftrag erhalten. | 

Schließlich iſt vorgeſehen, daß im Falle der Verhängung des Belagerungszuſtandes 
die Regierungskommiſſion die den Kriegsgerichten zukommende Zuſtändigkeit beſtimmt. 
So werden, abgeſehen von einem ganz ausnahmsweiſen Fall, nur Zivilgerichte über 
Bewohner des Saargebiets urteilen. 


XI. 


Beamtenfrage, Beamtenſtreik, Maſſenausweiſungen. 


Nr. 108. 


Verfügung der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die Be⸗ 
amten im Saargebiet. | 


(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 1 vom 17,April1920). 


Nr. 10. Verfügung betr. die Beamten im Saargebiet. 


Die Regierungskommiſſion verfügt auf Grund der Anlage zu Artikel 46 des 
Friedensvertrages von Verſailles und gemäß § 19 von Kapitel 2 beſagter Anlage, 
wonach der Regierungskommiſſion die geſamte Regierungsgewalt übertragen iſt, die 
ehedem dem deutſchen Reiche, Preußen und Bayern zuſtand, das Recht der Ernen— 
nung und Abſetzung der Beamten mit einbegriffen, ferner auf Grund des Erlaſſes 


16 


vom 16. März, betreffend die Aufſtellung eines Jahreshaushalts, die Errichtung eines 
Kaſſen⸗ und Rechnungsweſens im Saargebiet vom 1. April 1920 ab; endlich laut 
Beſchluß der Regierungskommiſſion vom heutigen Tage, was folgt: 


a 81. 

Als Vertreterin des Völkerbundes im Saargebiet behält die Regierungskommiſſion 
die Beamten und Angeſtellten, welche von der deutſchen, preußiſchen, bayeriſchen Regie— 
rung ernannt oder beſtätigt waren und zur Zeit im Saargebiet im Dienſte ſind, in 
ihren Amtsſtellungen bei, vorausgeſetzt, daß ſie ſeitens ihrer urſprünglichen Regierung 
der Regierungskommiſſion zur Verfügung geſtellt bleiben. Indeſſen ſteht es jetzt ſchon 
und während eines Verlaufes von 6 Monaten vom Tage an gerechnet, an dem die 
Verhandlungen bezüglich der Übernahme der Beamten mit Deutſchland abgeſchloſſen 
ſein werden, der Regierungskommiſſion frei, auf ihre Dienſte zu verzichten und ſie 
ihren urſprünglichen Regierungen zur Verfügung zu ſtellen. Die Beamten werden in 
Zukunft ihren Dienſt unter der Staatshoheit der Regierungskommiſſion ausüben, 
einem ihrer Vertreter den Dienſteid leiſten, wodurch fie geloben, ihren Amtspflich ten 
nach den ihnen von der Regierungskommiſſion gegebenen Weiſungen, wie dies im 
Friedensvertrag vorgeſehen iſt, getreulich nachzukommen. 


8.2. 

Die Regierungskommiſſion kann etwaigen Geſuchen behufs Entlaſſung aus dem 
Regierungsdienſte entſprechen. Um jedoch die ununterbrochene Weiterführung der 
Dienſtgeſchäfte zu ſichern, iſt die Regierungskommiſſion befugt, auf einer Kündigungsfriſt 
von drei Monaten zu beſtehen. 
| 8 3. 


Während ihrer Dienftzeit im Saargebiet genießen die Beamten die gleichen Rechte 
und Zuſicherungen, wie dies durch die bis zum 11. November 1918 gültigen Geſetze 
und Verordnungen vorgeſehen war, vorausgeſetzt, daß dieſe Anordnungen ſich nicht 
im Gegenſatz befinden zu den Beſtimmungen des Verſailler Friedensvertrages. Dem— 
entſprechend werden im Saargebiet Diſziplinarräte errichtet. 


84. 
Die in den vorhergehenden Paragraphen getroffenen Beſtimmungen kommen 
für die richterlichen Beamten nicht in Betracht, da für dieſe Beamten noch beſondere 
Beſtimmungen ſpäter zu treffen ſein werden. 


§ 5. 

Die Beamten, welche ihr Gehalt auf Grund des Etats des Saargebiets beziehen, 
werden mit rückwirkender Kraft, und zwar bis auf den 1. März 1920, die gleichen 
Grundbezüge und Zulagen erhalten, wie ſie in dem zur Zeit zur Beratung geſtellten 
deutſchen Geſetzentwurf zur Beſoldungsreform vorgemerkt ſind. Die im Geſetzentwurf 
e Teuerungszulageu werden mit beſonderer Berückſichtigung der im Saar— 
gebiet beſtehenden Verhältniſſe feſtgeſetzt. 

Keinesfalls werden ſie nach Annahme des Geſetzes etwa niedrigere Gehaltsbezüge 
erhalten, als dies bei deutſchen Beamten der Fall iſt, die außerhalb des Saargebiets 
entſprechend gleiche Stellungen einnehmen. 

Im Falle ein Beamter auf Grund ſeiner Dienſtjahre oder ſeiner Leiſtungen An— 
ſprüche auf Beförderung erheben könnte, ein ſolch höherer Poſten aber im Saargebiet 
nicht vorhanden wäre, kann durch einen beſonderen Beſchluß dem betreffenden Beamten 
für ſeine Perſon ein Gehalt zugebilligt werden, das ſonſt für den entſprechend höheren 
Poſten ausgeworfen würde. 


115 


— 


r A . * . . 1 
1 N MEER 7 — 


Be 


Die bereits erworbenen oder noch zu erlangenden Rechte auf Penſion, wie auch f 


die Fortdauer ihrer Anſtellung wird den Beamten gewährleiſtet gemäß den e 
des Artikels 39 zur Anlage des Friedensvertrages von Verſailles. a 


Saarbrücken, den 16. März 1920. 


Der Staatsrat, 


Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets: 
gez. V. Rault. 


Nr. 109. 


Bericht über Verhandlungen zwiſchen dem Neichstommiſſar für die 
Übergabe des Saargebiets und der Regierungskommiſſion des Saar⸗ 
gebiets über Beamtenfragen am 24. April 1920. | 


Trier, 24. April 1920. 


Anweſend: A. 1. Der Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets, Ober⸗ 
präſident Exzellenz von Groote aus Coblenz. 


2. Oberregierungsrat Dr. von Gal Mr 
3. Regierungsrat Dr Bacmeiſter | W Fend allplum, 
J. Legationsfekretär Dr. Rühl 1 ee 
5. Regierungspräſident Fuchs „ 
6. Oberregierungsrat Eichhorn von der Regierung 
7. Regierungsaſſeſſor Freiherr von in Trier. 
Schorlemer 

8. Landrichter Mallmann aus Trier als Dolmetſcher. 

B. 1. Staatsrat Rault aus Saarbrücken. 
2. Major Lambert aus Saarbrücken. 
3. von Boch aus Saarbrücken. 


Zu 1. Vorſitzender, zu 2. und 3. Mitglieder der N 
kommiſſion für das Saargebiet. 

4. Generalſekretär Dr. Carrière aus Saarbrücken. 

5. Sekretär Pierrotet aus Saarbrücken. 


Oberpräſident von Groote eröffnete um 1 Uhr 30 Minuten Be die a 
Verhandlung, indem er auf das Schreiben der Regierungskommiſſion vom 12. April 1920 
und den Beſchluß der Kommiſſion vom 10. April 1920, an der Beſtimmung des 
Artikels 1 der Verordnung vom 16. März 1920, betreffend Zurückweiſung von Beamten 
innerhalb 6 Monaten, feſtzuhalten, eine ausführliche Antwort erteilte (ſiehe Anlage 1) 
und zu der Frage, ob die deutſche Regierung die im Saargebiet tätigen Beamten 
der Saarregierung zur Verfügung ſtelle, die aus der Anlage 2 erſichtliche Erklärung 
verlas und übergab. 


Präſident Rault erwiderte, daß demgegenüber die Kommiſſion auf ihrem 
mehrfach gekennzeichneten Standpunkt verharre, nachdem ſie ſich nunmehr in voller 
Beſetzung in dieſem Sinne ſchlüſſig gemacht habe. Sie befinde ſich dabei in Über⸗ 
einſtimmung mit dem Rat des Völkerbundes, der ſie ermächtigt habe, ſo zu handeln. 
Ihr Recht dazu ergebe ſich auch aus § 19 der Anlage zu Artikel 50 des Friedens⸗ 
vertrages und jedenfalls aus deſſen $ 33. Von ihrem Recht, das eigentlich unbe⸗ 
ſchränkt ſei, mache ſie durch deſſen Befriſtung auf 6 Monate den denkbar wohl⸗ 
wollendſten Gebrauch. Es richte ſich in erſter Linie nur gegen Beamte, die nicht 
verläßlich ſeien und ihren Pflichten nicht nachkommen würden. Er wiederhole daher 


go 


die Frage, ob die deutſche Regierung gewillt fei, die Beamten zur Verfügung zu 


ſtellen. Andernfalls ſei eine weitere Diskuſſion überflüſſig. In dieſem Falle werde 
die Kommiſſion ſich ihrer in der Verordnung vom 16. März eingegangenen Ver— 
pflichtungen für entbunden halten und wieder das volle Recht aus dem Friedensver⸗ 


trage zurückerlangen, die Beamten zu jeder Zeit zu entlaſſen. Sie werde dann ein 
eigenes Statut erlaſſen, und die Beamten würden ſich zu entſcheiden haben, ob ſie 
unter dieſem Statut bleiben wollten oder es vorzögen, zu gehen. Im übrigen habe 
der Herr Oberpräſident ſelbſt in der Beſprechung vom 22. März d. J. die Verord- 
nung vom 16. März als Grundlage der 1 anerkannt und insbeſondere 
erklärt, daß nach ſeinem perſönlichen Dafürhalten die Verordnung nichts enthalte, 
was eine Einigung von vornherein ausſchließen könnte. 


Oberpräſident von Groote bemerkte zunächſt berichtigend, daß er in der 


Beſprechung vom 22. März ausdrücklich erklärt habe, daß er der Verordnung vom 


16. März nicht ohne weiteres zuſtimmen könne, insbeſondere nicht ohne zuvorige An— 
hörung der Beamten, da die Regierung Wert darauf lege, die Entſcheidung in Über— 
einſtimmung mit dieſen zu treffen. Er habe deshalb damals vorgeſchlagen, eine 
Unterkommiſſion unter Beteiligung von Beamtenvertretern zu bilden. Dieſer Vor— 
ſchlag ſei aber abgelehnt worden. Darauf ſei der Ausweg gewählt worden, daß er 
allein ſich mit den Beamten in Verbindung ſetzen ſolle, und es ſei in Ausſicht ge— 


nommen worden, hierbei auch die Verordnung, die er übrigens nur als einen Ent— 


wurf habe anſehen können, zum Gegenſtand der Verhandlung zu machen. 


Weiterhin entgegnete der Oberpräſident: Es ſcheine keinen Zweck zu haben, ſich 
über die Rechtsauffaſſung zu ſtreiten. Man müſſe einen Weg zur Verſtändigung 
ſuchen. Hierzu ſei er bereit und wolle dabei keineswegs weitergehende Forderungen 
ſtellen, als die Beamten ſelbſt ſie erhoben hätten. Wenn Präſident Rault eine andere 
Auffaſſung gewonnen haben ſollte, ſo ſei dieſe Annahme irrig. 


Er müſſe darauf hinweiſen, daß der Erlaß der Verordnung und insbeſondere 
der Artikel 1 eine große Beunruhigung in der Beamtenſchaft hervorgerufen habe. 
Die Beamten wollten wiſſen, in welcher Weiſe die Beſtimmung gehandhabt werden 
ſolle. Wenn er darüber einige Klarheit gewinnen könne, glaube er noch mit den 
Beamten über den Artikel 1 verhandeln zu können. Der Standpunkt der Beamten 
ſei, daß es ein beſonderes Entgegenkommen ihrerſeits bedeute, wenn ſie den ihnen 
zugemuteten Treueid leiſten wollten. In weiten Kreiſen der Beamtenſchaft beſtehe auch 
jetzt noch Widerſtand gegen die Eidesleiſtung. Man wolle jedoch verſuchen, auch die 
Widerſtrebenden dazu geneigt zu machen. Hierbei gehe man von der Anſicht aus, daß 
durch die Eidesleiſtung die Loyalität feſtgelegt werde und daß diejenigen Beamten, die 
den Eid geleiſtet oder ſich dazu bereit erklärt hätten, in ihren Amtern zu belaſſen feien. 


Auf die Frage, ob die deutſche Regierung die Beamten zur Verfügung ſtelle, 
könne er nur die Erklärung wiederholen, die er überreicht habe. 


Präſident Rault erwiderte: Für die Zurückweiſung von Beamten kämen 
zwei Gründe in Betracht: 1. ſchienen zuviel Beamte im Saargebiet tätig zu fein. 
Aus finanziellen Gründen würde ihre Zahl vorausſichtlich vermindert werden müſſen. 
Dabei werde es ſich wahrſcheinlich um einige wenige handeln; 2. habe eine Anzahl 
von Beamten ſich jetzt ſchon durch ihre Haltung in der Offentlichkeit als gegen die 
Regierungskommiſſion feindlich geſinnt gezeigt. Dieſe müßten beſeitigt werden. Es 
kämen wohl ausſchließlich höhere Beamte und auch nur wenige in Frage. Die 
Maſſe der mittleren und unteren Beamten würde davon nicht betroffen werden. 
Aber auch bei der Zurückweiſung der Betreffenden würden alle Härten vermieden 
werden. Die Kommiſſion habe deshalb in Erwägung gezogen, ihnen eine Friſt von 
2 bis 3 Monaten zu belaſſen, um ihre Angelegenheiten im Saargebiet zu ordnen und 
ſich nach einer neuen Stellung umzuſehen. Daß es nicht richtig ſei, Beamte erſt den 
Eid leiſten zu laſſen und dann zurückzuweiſen, ſehe die Kommiſſion ein. Sie werde 
deshalb die Eidesleiſtung allgemein erſt am Ende der Sechsmonatsfriſt fordern. 


Rn oe 


Regierungsmitglied von Boch ſchaltete die Bemerkung ein, daß er ſich 
mit dem Recht der Zurückweiſung innerhalb der Friſt von 6 Monaten nicht einver- 
ſtanden erklärt habe. N 


Präſident Rault erklärte hierauf ohne Widerſpruch des Herrn von Boch, 
daß dieſer früher dafür geſtimmt habe. Allerdings habe es ſich damals gefragt, ob 
das Recht nicht noch weiter auszudehnen ſei. Erſt als infolge eines Schreibens Seiner 
Exzellenz die Frage vor die Vollkommiſſion gebracht worden ſei, habe Herr v. Boch 
ſeine Stellung geändert. 


Oberpräſident von Groote entgegnete auf die vorhergehenden längeren Aus— 
führungen des Präſidenten Rault: Er akzeptiere die Erklärung, das Recht der 
Zurückweiſung von Beamten mit Wohlwollen ausüben zu wollen und daß keine 
Ausweiſungen beabſichtigt ſeien. Was die überzähligen Beamten anbelange, ſo dürften 
natürlich nicht durch Errichtung neuer Behörden und durch Berufung anderer Beamten 
die Stellen der anweſenden Beamten freigemacht werden. Die Beurteilung der 
Loyalität der Beamten durch die Regierungskommiſſion ſei von ſubjektiven Empfindungen 
abhängig. Jedenfalls könne die Bevölkerung leicht den Eindruck der Willkür gewinnen. 
Er frage daher, ob es nicht angängig ſcheine, die Entſcheidung dieſer Fragen einer 
beſonderen gemiſchten neutralen Kommiſſion zu übertragen. 


Präſident Rault erklärte darauf, daß er dieſe Forderung unter keinen 
Umſtänden zugeſtehen könne, und führte in längerer Rede aus, daß die Regierungs⸗ 
kommiſſion nicht länger warten könne, ſondern wiſſen müſſe, ob ſie mit der Über⸗ 
weiſung der Beamten rechnen könne oder nicht. Er müſſe daher auf einer klaren 
Beantwortung ſeiner Frage beſtehen. 


Oberpräſident von Groote erwiderte und teilte den Standpunkt der 
Regierungskommiſſion, wenn ſie verlange, daß die Beamten ihre Autorität anerkennten 
und ihre Pflicht erfüllten. Die Loyalität der Beamten feſtzuſtellen ſei aber eine 
ſchwierige Frage. Es ſei ihm verſichert worden, daß, wenn führende Mitglieder der 
Beamtenſchaft ausgewieſen würden, eine große Unruhe nicht nur unter den Beamten, 
ſondern auch unter der Arbeiterſchaft zu erwarten wäre. Es bedeutet deshalb für 
ihn eine außerordentliche Verantwortung, die gewünſchte Zuſage zu erteilen. Er ſei 
im Augenblick nicht in der Lage, eine beſtimmte Antwort zu geben. Vielmehr müſſe 
er zunächſt mit den Vertretern der Beamtenſchaft ſprechen und die deutſche Regierung 
darüber befragen. Beides würde er mit möglichſter Beſchleunigung ausführen. 


Präſident Rault ließ darauf ſeinen Standpunkt in einer ſchriftlichen Er⸗ 
klärung formulieren, die er verleſen ließ und die er umgehend überſenden will ). Er 
erwarte eine Antwort in ſpäteſtens 10 Tagen. 


Oberpräſident von Groote erklärte, daß er dieſe Erklärung ſofort nach 
ihrem Eingang ſeiner Regierung vorlegen und demnächſt deren Entſcheidung mit⸗ 
teilen werde. Er geſtatte ſich aber zunächſt folgende Fragen: | 

1. Iſt die Erklärung begründet auf einen einſtimmigen Beſchluß der Kommiſſion? 


2. it die Kommiſſion bereit, über die Regelung der Rechtsverhältniſſe der 
Beamten einen Vertrag abzuſchließen? | 


3. Welches Beamtenrecht wird nach Ablauf der 6 Monate im Saargebiet 
gelten? Werden auch die bisherigen Geſetze in Geltung bleiben? | 
Präſident Rault beantwortet die Fragen folgendermaßen: 


1. Die Erklärung ſei in der geſtrigen Sitzung der Regierungskommiſſion ein- 
ſtimmig im Prinzip beſchloſſen. Formuliert habe er ſie erſt ſoeben. 


) Vgl. Nr. 110. 


3 Be er 
Br ie da: . 
* ar 
f £ 


— 17 — 


2. Kein Vertrag, ſondern der Friedensvertrag und das zu erlaſſende Statut 
würden maßgebend ſein. Über letzteres möge in einer Unterkommiſſion 
beraten werden. 


3. Das deutſche Beamtenrecht ſei ihm nicht bekannt. Er nehme an, daß es 
grundſätzliche Anwendung finden könne nebſt dem Statut. 


Auf den Hinweis des Oberpräſidenten von Groote, daß eine Friſt von 10 Tagen 
ur Beantwortung der Erklärung zu kurz bemeſſen ſei, verlängerte Präſident Rault 
ie Friſt bis zum 10. Mai d. J. 8 


Schluß der Verhandlung 4 Uhr nachmittags. 


Anlage 1. 


Die Regierungskommiſſion hat mir durch das Schreiben des Herrn Präſidenten 
vom 12. April Kenntnis gegeben von dem Beſchluſſe ihrer Vollverſammlung vom 
10. April, welcher ausgeht von der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 
16. März. Dieſe Verordnung kann jedoch nach meiner Auffaſſung als die Quelle 
von Rechten der Regierungskommiſſion nicht anerkannt werden, weil ſie von der 
Regierungskommiſſion einſeitig erlaſſen iſt und jederzeit von ihr abgeändert werden kann. 


ar übrigen wird das der Regierungskommiſſion durch $ 19 der Anlage zu 
Artikel 50 des Friedensvertrages verliehene Recht zur Ernennung und Abſetzung 
von Beamten von mir nicht beſtritten. Dieſes Recht kann jedoch gemäß § 23 der 
Anlage zum Friedensvertrag nur ausgeübt werden im Rahmen der am 11. No» 
vember 1918 im Saargebiet geltenden Rechte, wonach insbeſondere die Abſetzung 
von Beamten an ein förmliches Diſziplinarverfahren gebunden iſt. Dieſe Rechts: 
auffaſſung ergibt ſich aus dem Wortlaut des § 19 der Anlage zu Artikel 50 des 
Friedensvertrages in Verbindung mit dem Verhandlungsprotokoll über den Friedens— 
vertrag und der Antwortnote der alliierten und aſſoziierten Mächte an die deutſche 
Regierung vom 16. Juni 1919. Danach kann es nicht zweifelhaft ſein, daß der 
Regierungskommiſſion durch den § 19 nicht ein über die bisherigen Rechte der 
deutſchen, preußiſchen und bayeriſchen Regierung hinausgehendes, ſondern nur das 
in den bisherigen Rechten enthaltene Recht der Ernennung und Abſetzung von Be— 


amten verliehen worden iſt. 


Hinſichtlich der Frage, ob die Beamten von ihren bisherigen Heimatsregierungen 
der Saarregierung zur Verfügung geſtellt werden, was auch nach Artikel 1 der Ver— 
ordnung der Regierungskommiſſion vom 16. März die Vorausſetzung für die Über— 
nahme der Beamten bildet, habe ich folgendes zu erklären: 


Anlage 2. 


Erklärung. 


Den deutſchen Beamten iſt die Erlaubnis erteilt, vorläufig unter dem Regierungs— 
ausſchuſſe des Saargebiets weiter in ihren Amtern tätig zu bleiben. Die deutſche 
Regierung iſt auch grundſätzlich bereit, die deutſchen Beamten dem Regierungsausſchuß zur 
Verfügung zu ſtellen, wenn die berechtigten Anſprüche der Beamten ſowohl gegenüber 
dem Regierungsausſchuß wie gegenüber ihren Heimatbehörden durch Vertrag zwiſchen 
der Deutſchen Regierung und der Regierung des Saargebiets ſichergeſtellt werden. 
Da die geſamte Beamtenſchaft ſich einmütig gegen die Ausſonderungsfriſt von ſechs 
Monaten gemäß Artikel 1 der Ordonnanz vom 16. März d. J. erklärt hat, ſo iſt es der 
Deutſchen Regierung zur Zeit nicht möglich, die Beamten zu zwingen, entgegen ihrem 


e 


klar ausgeſprochenen Willen ihre Dienſte der Saarregierung zur Verfügung zu ſtellen. 
Um aber Weiterungen zu vermeiden und beſtehende Gegenſätze möglichſt auszugleichen, 
wird die Deutſche Regierung es ſich angelegen ſein laſſen, zwiſchen den Wünſchen 
der Saarregierung und den Wünſchen der Beamtenſchaft zu vermitteln, und ſie wird 
deshalb nochmals Gelegenheit nehmen, mit der Beamtenſchaft in dieſem Sinne zu 
verhandeln. 


Coblenz, den 24. April 1920. 


Nr. 110. 


Erklärung der Regierungskommiſſion über die Beamtenfrage 
vom 24. April 1920. 5 


| (berſetzung.) 
Ich erſuche um Aufnahme eines Protokolls darüber, daß die Regierungskom⸗ 


miſſion auf ihrem Standpunkt betreffs der Verordnung vom 16. März 1920 auf 


jeden Fall verharren wird, daß ſie das unbedingte Recht für ſich in Anſpruch nimmt, 
zu jeder Zeit die Beamten zu ernennen und abzuberufen; daß ſie den Herrn Reichs⸗ 
kommiſſar erſucht hat, die Beamten im Saargebiet in ihrer Geſamtheit der Regierungs⸗ 
kommiſſion zur Verfügung zu ſtellen, da die Regierungskommiſſion gewillt iſt, die⸗ 
ſelben einzuſtellen mit dem Vorbehalt, ſie innerhalb einer Friſt von ſechs Monaten 
nach dem Abſchluß der Verhandlungen mit dem Deutſchen Reich wieder zur Ver⸗ 
fügung ihrer Urſprungsregierung zu ſtellen; daß ſie darauf beſteht, noch vor dem 
10. Mai 1920 bezüglich dieſes Punktes eine endgültige Antwort zu erhalten; daß 


ſie erklärt, falls die deutſche Regierung glauben ſollte, nicht in der Lage zu ſein, die 
Beamten unter dieſer Vorausſetzung zur Verfügung zu ſtellen, ſie — die Regierungs⸗ 


kommiſſion — die Verordnung vom 16. März 1920 als hinfällig betrachten würde, 
da die in Ausſicht genommene Friſt von ſechs Monaten ſo aufzufaſſen iſt, daß die 
Verpflichtung des Deutſchen Reiches vorausgeſetzt wird, die Beamten zur Verfügung 
der Regierungskommiſſion zu ſtellen. 

Im Falle der Weigerung der Deutſchen Regierung wird jede weitere Verhandlung 
bezüglich des Beamtenſtatuts überflüſſig und die Regierungskommiſſion des Saar⸗ 


gebiets wird ſich gezwungen ſehen, die Verwaltung des Saargebiets ſo aufzubauen, 


wie es ihr im Intereſſe der Saarbevölkerung und im Hinblick auf die Rechte und 


Pflichten der Kommiſſion als Regierung des Saargebiets für notwendig erſcheinen wird. 


Nr. 111. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗ 
bundsrat vom 1. Mai 1920. | 
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 4, S. 194 ff.) 
(Uberſetzung.) 


r x . a 


Während des Monats April war das ganze politiſche Leben von der Beamten⸗ 
frage beherrſcht. Die Regierungskommiſſion hat geglaubt, durch einen von ihrem 
Präſidenten am 10. April an den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes gerichteten 
Bericht dem ausführenden Ausſchuß mit Rückſicht auf die Schwere der Lage die 
Schwierigkeiten auseinanderſetzen zu ſollen, denen fie begegnete, ſowie die Möglich- 
keiten, die ſie gezwungen war ins Auge zu faſſen. 

Es wird hier alſo genügen, die Ereigniſſe nach dem 10. April 1920 zu berühren: 

Nachdem die Regierungskommiſſion an eben dieſem Tage ihre früheren Ent- 
ſcheidungen beſtätigt und beſchloſſen hatte, bezüglich des Artikels 1 ihrer Verordnung 


7 9 
Er. 
4 
3 
RR 
= 


vom 16. März nicht nachzugeben, glaubte fie, daß der Zeitpunkt gekommen fei, um 
mit Herrn von Groote, Oberpräſidenten der Rheinprovinz und Reichskommiſſar für 
die Übergabe des Saargebiets, die in Trier am 22. en begonnenen Verhandlungen 


wieder aufzunehmen. Am 23. April legte ſie feſt, welche Haltung der zu ihrem 


Wortführer beſtellte Präſident gegenüber Herrn von Groote einnehmen ſollte. Sie 
waren einſtimmig der Anſicht, daß ſie ohne weiteres Zögern die deutſche Regierung 
fragen müſſe, ob ſie bereit oder nicht bereit ſei, die im Saargebiet tätigen Beamten 
der Regierungskommiſſion zur Verfügung zu ſtellen. Mit vier Stimmen gegen eine 
wurde beſchloſſen, daß, wenn Herr von Groote es ablehnen ſollte, dieſe Frage im 
bejahenden Sinne zu beantworten, die Verordnung vom 16. März aufgehoben und 
der auf ſechs Monate feſtgeſetzte Zeitraum, auf deſſen Dauer die Kommiſſion ihr 
Recht, die Beamten ihren Urſprungsregierungen wieder zur Verfügung zu ſtellen, 
beſchränkt hatte, für ungültig erklärt werden würde, und daß die Kommiſſion ſich 
dann das Recht vorbehält, ohne Einſchränkung von dem ihr durch den Vertrag zu— 
erkannten Recht, die Beamten zu ernennen und abzuberufen, Gebrauch zu machen. 


Am folgenden Tage (24. April) begab ſich der Präſident der Kommiſſion, 
begleitet von den Herren von Boch und Lambert, nach Trier, wo er mit Herrn 
von Groote zuſammentraf. Dieſer erklärte ſich außerſtande, auf die genaue 
Frage, die ihm geſtellt war, ſofort zu antworten und bat, nachdem er von einer 

ng des Präſidenten Kenntnis genommen hatte, die den vorſtehend in Kürze 
wiedergegebenen Beſchlüſſen entſprach, um eine Friſt, um ſeine Meinung mitzuteilen. 
Es wurde vereinbart, daß die Regierungskommiſſion ſeine Antwort bis zum 10. Mai 
erwarten würde. Wahrſcheinlich wird dem Reichskommiſſar eine Zuſatzfriſt von 
einigen Tagen bewilligt werden, da er mit dem Hinweis auf eine Verzögerung wegen 
der langſamen Poſtverbindungen um eine Verlängerung der ihm gewährten Friſt 
gebeten hat. 


Es iſt aber bemerkenswert, daß zwei Tage nach der Zuſammenkunft in Trier 
und obwohl ſeitens der Regierungskommiſſion aus Gründen der Schicklichkeit keine 
Mitteilungen gemacht oder veröffentlicht worden waren, die Beamten über die 
kleinſten Einzelheiten dieſer Beſprechung unterrichtet waren. Immerhin hatte man es 
unterlaſſen, ihnen die von dem Präſidenten gegebenen Verſicherungen zu wiederholen, 
die ſich auf die Maßhaltung bezogen, mit der die Kommiſſion von dem ihr durch 
Axtikel 1 der Verordnung vom 16. März übertragenen Recht Gebrauch zu machen 
gedachte, ſowie auf die wiederholten Verſicherungen ihres Wohlwollens gegenüber 
loyalen Beamten. Um den wahren Sachverhalt wiederherzuſtellen, wurden die Ab— 
geordneten der Beamten am 30. April von der Kommiſſion empfangen. Der Präſident 
hat ihnen einen genauen Bericht über die Zuſammenkunft in Trier gegeben. Er 
ſetzte ihnen auseinander, daß es nicht die Abſicht der Kommiſſion ſei, die Beamten- 
ſchaft des Saargebiets ſtark zu lichten und dann Fremde hineinzubringen. Er gab 
ihnen die Verſicherung, daß Saarländer berufen werden würden, die Inhaber hoher 
Poſten zu erſetzen, deren Beibehaltung im Saargebiet unmöglich erſcheinen würde. 


Am Schluſſe der Beſprechung konnte man nicht bezweifeln, daß eine Entſcheidung 
eingetreten war. Es ſcheint, daß die Drohung eines Generalſtreiks der Beamten 
künftig weniger wahrſcheinlich iſt. Aus der Redeweiſe ihrer Abgeordneten geht hervor, 
daß ihre deutſchen Vorgeſetzten Verwirrung in ihre Gemüter geworfen hatten, indem 
fie die Abſichten der Regierungskommiſſion entſtellten. 


- Übrigens war der Präſident durch einen am Abend vorher gefaßten Beſchluß 
in die Lage verſetzt worden, den Beamten Beſſeres als mündliche Verſicherungen zu 
bringen. Er teilte ihnen den Wortlaut einer am 28. April angenommenen Verordnung 
mit, wonach jede den ſtaatlichen Beamten, Penſionären und Arbeitern in Deutſchland 
gewährte Beſſerſtellung bis zur Veröffentlichung eines neuen Statuts ſofort auf die 
ſtaatlichen Beamten, Penſionäre und Arbeiter im Saargebiet Anwendung finden ſollte.« 


JJ eee 


Be 


Nr. 112. 


Bericht des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets 
über die Beamtenfrage. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz 5 
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 11. Mai 1920. 
des Saargebietes. ö 
S. 357. 


Der Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets hat in erneuter Ver⸗ 
handlung am 8. Mai d. J. den Vertretern der Beamtenorganiſationen gegenüber die 
ihnen am 30. April d. J. gemachten Zuſagen in der aus dem abſchriftlich anliegenden 
Schreiben !) erſichtlichen Weiſe beſtätigt und teilweiſe erweitert. Er hat, wie der ..... 
mir am 10. Mai berichtete, mündlich dazu folgende Erläuterungen gegeben: 


Die Regierungskommiſſion beabſichtige, lediglich 4 Beamte (deren Namen er den 
Beamtenvertretern vertraulich angegeben hat) wegen mangelnder Loyalität nicht zu 


übernehmen. Die Zurverfügungſtellung von Beamten wegen mangelnder Verwendungs⸗ 


möglichkeit werde ſich vorausſichtlich auf ſolche der Polizeiverwaltung beſchränken. 
Mapf gebend für die Ausſcheidung dieſer Beamten werde allein die Rückſicht auf die 
Belaſtung des Budgets ſein. Sollten die Beamtenorganiſationen, die in dieſen Fällen 


gehört werden ſollten, der Meinung fein, daß die Rückſicht auf das Budget die Ent- 


fernung der Beamten nicht unbedingt erfordere, ſo werde auch die Regierungs⸗ 
kommiſſion ihre finanziellen Bedenken fallen laſſen. 

Wie der weiter berichtete, hat die Einſchränkung der Verpflichtung, nur 
Deutſche als Beamte anzuſtellen, zugunſten der Bedürfniſſe der Zentralverwaltung 


nur eine Ausnahme zum Gegenſtand. Es handelt ſich um die von dem kanadiſchen 


Mitgliede der Regierungskommiſſion gewünſchte Anſtellung eines Schweizers, der 
hauptſächlich wegen ſeiner Sprachkenntniſſe gewonnen und im Finanzreſſort als Rech⸗ 
nungsreviſor unter dem deutſchen Direktor Geheimrat Brill verwandt werden ſoll. 
Die Zahl der von der Regierungskommiſſion oder dem Völkerbunde bereits ange⸗ 
ſtellten nichtdeutſchen Beamten, deren Abberufung leider nicht hat durchgeſetzt werden 
können, ſoll 7 betragen. 


Mit dem Ergebnis der Verhandlungen haben ſich die Beamtenvertreter im ganzen 
befriedigt erklärt, und ſie ſehen der unter ihrer Mitwirkung bevorſtehenden Feſtſetzung 
der Einzelheiten der Beamtenordnung mit der Zuverſicht auf einen günſtigen Ausgang 
entgegen. Jedenfalls ſoll angeſichts der Auslegung, die der Präſident nunmehr dem 
Artikel 1 der Verordnung vom 16. März 1920 gegeben hat, der Gedanke, die gänzliche 
Aufhebung der Beſtimmung durch einen Streik zu erzwingen, von der Beamtenſchaft 
aufgegeben ſein. 8 N 

Angeſichts dieſer Lage und mit Rückſicht darauf, daß einerſeits die erlangten 
Zugeſtändniſſe nunmehr in den Hauptpunkten ſchriftlich feſtgelegt, anderſeis weitere 
nicht zu erreichen ſind, habe ich von der mir in der Berliner Beſprechung vom 
5. Mai erteilten Ermächtigung Gebrauch gemacht und die Beamten in der aus an⸗ 
liegendem Schreiben erſichtlichen Weiſe der Saarregierung zur Verfügung geſtellt “). 


gez. von Groote. 


An 
das Auswärtige Amt — Friedensabteilung — in Berlin. 


) Vgl. Nr. 113. 
2) Vgl. Nr. 114. 


/ 


— 161 — 


Nr. 113. 


Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die Be⸗ 
amtenorganiſationen des Saargebiets vom 8. Mai 1920. 


Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 8. Mai 1920. 
Direktion des Innern und Präſidialbüro. e 


Die Regierungskommiſſion des Saargebietes hat am 30. April 1920 mit den 
Vertretern der Beamtenorganiſationen des Saargebiets Verhandlungen geflogen, in 
deren Verlauf der Präſident den Vertretern der Beamten auseinandergeſetzt hat, in 
welchem Sinne die Verordnung vom 16. März 1920, die Beamten betreffend, auf— 
zufaſſen ſei. 

Um jedes Mißverſtändnis aus dem Wege zu räumen, will der Präſident im 
Namen der Regierungskommiſſion und dem Wunſche der Beamtenvertreter ent— 
ſprechend die hauptſächlichſten Punkte, welche in der Unterredung vom 30. April 
berührt wurden, näher umſchreiben: 


Die Regierungskommiſſion erklärt, daß ſie willens iſt, den Beamten das größte 
Wohlwollen zu bezeugen und ihnen die weitgehendſte Gerechtigkeit widerfahren zu 
laſſen. Sie hat keineswegs die Abſicht, von ihrem Recht der Abberufung der Be— 
amten innerhalb einer Friſt von 6 Monaten, wie fie im Artikel ! der Verordnung 
vom 16. März 1920 vorgeſehen iſt, zu dem Zweck Gebrauch zu machen, um Maſſen— 
entlaſſungen der Beamten vorzunehmen. Sie hat den Wunſch, den Beamten Gelegen— 
heit zu geben, innerhalb der erwähnten 6 Monate zu zeigen, ob ſie loyale Mitarbeiter 
der Regierungskommiſſion ſein wollen. Im allgemeinen behält ſich die Regierungs— 
kommiſſion nur bezüglich einer ganz geringen Anzahl von Beamten, deren Loyalität 
ihr zweifelhaft erſcheinen wird, das Recht vor, dieſelben zur Verfügung ihrer Ur— 
ſprungsregierungen zu ſtellen. a 

Die Eidesleiſtung der Beamten wird nach Ablauf der Friſt von 6 Monaten 
ſtattfinden. Jedoch wird es jedem einzelnen Beamten geſtattet fein, ſchon vor Ab— 
lauf dieſer Friſt den Eid zu leiſten. Diejenigen Beamten, welche den Eid leiſten 
und infolgedeſſen beſtellt werden, werden nur noch nach Maßgabe der Vorſchriften 
entlaſſen werden können, welche am 11. November 1918 in bezug auf die Beamten- 
entlaſſung giltig waren. | 

Sollte ſich innerhalb der Friſt von 6 Monaten herausſtellen, daß im Verhältnis 
zu den Bedürfniſſen der Verwaltung des Saargebiets zuviel Beamte im Amte ſind 
und das Budget des Saargebiets unnötig belaſten, ſo würde die Regierungskommiſſion 
befugt ſein, dieſelben zur Verfügung ihrer Urſprungsregierung zu ſtellen. Die Aus— 
ſcheidung der überflüſſig erſcheinenden Beamten würde im Einvernehmen mit den 
Beamtenorganiſationen erfolgen. 


In Zukunft und abgeſehen von den Bedürfniſſen der Zentralverwaltung wird 
die Regierungskommiſſion als Beamte nur Deutfche anſtellen, in erſter Linie Saar 
länder. Zu Beamten werden nur ſolche Perſonen ernannt werden können, welche 
im Beſitze der gleichen Vorbildung und der gleichen beruflichen Befähigungen ſind 
wie die in gleicher Stellung befindlichen Beamten in Deutſchland. 


Sollte die Regierungskommiſſion in die Lage kommen, keine Beamten zu finden, 
welche den obengenannten Vorausſetzungen entſprechen, obwohl ſie die Beamten— 
organiſationen um Vorſchläge erſucht hatte, ſo wird die Regierungskommiſſion be— 
rechtigt ſein, nach eigenem Ermeſſen Beamte zu berufen. 

Die bisher vom Völkerbund oder der Regierungskommiſſion als dem aus— 
führenden Organ des Völkerbundes berufenen Beamten nichtdeutſcher Nationalität 
werden beibehalten. 


e , RT RENT TE e ee a 
. , — 5 zung 2 r e 
n f ‘ 


Sobald die Beamten von ihren Heimatsregierungen zur Verfügung der Regierungs⸗ 
kommiſſion geſtellt ſein werden, wird die Regierungskommiſſion des Saargebiets die 
näheren Einzelheiten der geplanten Beamtenordnung im Einvernehmen mit den 
Beamtenorganiſationen beſtimmen. 


Namens der Regierungskommiſſion: 


gez. Rault, Staatsrat. 
An die 


Beamtenorganiſationen des Saargebiets, z. H. des Herrn algen Vorſtzender 
des „ deutſcher Eiſenbahner, 


Saarbrücken. 


Nr. 114. 


Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an 
die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 11. Mai 1920. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz Re: 
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 11. Mai 1920. 
des Saargebiets. | 
Nr. ©. 397. 


Herr Präſident! 
Ich beſtätige mein Telegramm vom 10. Mai d. J.: 


»Mit Rückſicht darauf, daß nach Angabe der Vertreter der Beamten 
die Regierungskommiſſion der deutſchen Beamtenſchaft im Saargebiet Zu⸗ 
ſagen gemacht hat, welche eine befriedigende Regelung der Beamtenfrage 
als geſichert erſcheinen laſſen, ſtellt die Reichsregierung hiermit die Reichs— 
beamten, die preußiſchen und bayeriſchen Staatsbeamten im Saargebiet der | 
a e e zur Verfügung. 


Oberpräſident.« 


Wie mir mitgeteilt iſt, beabſichtigt die Regierungskommiſſion Kune im Ein⸗ 

vernehmen mit den Beamtenorganiſationen die näheren Einzelheiten der geplanten 
Beamtenordnung zu beſtimmen. Wenn die deutſche Regierung auch zu dieſen Ver- 
handlungen den Beamten des Saargebiets freie Hand gelaſſen hat, ſo iſt dies in der 
Erwartung geſchehen, daß die Saarregierung um ſo mehr geneigt ſein wird, den 
weiteren, ſchon durch den überſandten Entwurf eines Vertrages über die Beamten- 
verhältniſſe zu Ihrer Kenntnis gebrachten Forderungen der Saarbeamtenſchaft Rech⸗ 
nung zu tragen. 
Ich glaube mich iu Übereinſtimmung mit der Regierungskommiſſion zu befinden, 
wenn ich annehme, daß es den beiderfeitigen Wünſchen und einer gegebenen Not- 
wendigkeit entſpricht, demnächſt die etwa nach Aufſtellung der Beamtenordnung noch 
verbleibenden Fragen, wie z. B. diejenigen der Durchführung des Beamtenerſatzes 
und »austaufches, des Ausgleiches der Penſionszahlungen uſw. einer vertraglichen 
Regelung zwiſchen den Regierungen zuzuführen. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 


An 


den Präſidenten der Regierungskommiſſion für das 
Saargebiet, Herrn Staatsrat Rault, 


Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


gez. von Groote. 


Frl Be 


Nr. 115. 


Note der . des Saargebiets an den Reichs⸗ 
kommiſſar für die Übergabe des Saargebiets vom 22. Mai 1920. 


| (Überſetzung.) 
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 22. Mai 1920. 


Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion für das Saarbeckengebiet 


an 
Herrn von Groote, 


Oberpräſidenten der Rheinprovinz, Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets, 
N Coblenz. 
Herr Präſident! 


Sie waren ſo freundlich, mir mit Schreiben vom 11. d. M. Ihr Telegramm vom 
10. Mai zu beſtätigen, wonach die deutſche Regierung der Regierungskommiſſion die 
Reichsbeamten und die preußiſchen und bayeriſchen Staatsbeamten im Saargebiet zur 
Verfügung ſtellt. | 


Ich beehre mich, Ihnen den Empfang dieſes Schreibens zu beſtätigen. Die Re— 
gierungskommiſſion nimmt von dieſer Entſcheidung der deutſchen Regierung Kenntnis. 
Sie beglückwünſcht ſich zu der bei dieſer Gegelegenheit ſeitens der Beamten des Saar- 
gebiets beobachteten Haltung, die dadurch, daß ſie ſelbſt den Wunſch bekundeten, der 
Regierungskommiſſion zur Verfügung geſtellt zu werden, letzterer einen Beweis ihres 
Vertrauens gegeben haben. Sie haben dadurch auch in erheblichem Maße zur Re— 
gelung der ſie beſchäftigenden Fragen beigetragen. 


Wie Sie in Ihrem Schreiben erwähnen, beabſichtigt die Regierungskommiſſion, 
die ſich hierin im Einvernehmen mit den Beamtenorganiſationen des Saargebiets 
befindet, die Lage der Beamten durch ein genau umſchriebenes Statut zu regeln, 
worin einerſeits den berechtigten Intereſſen der Beamten, deren natürlicher Hüter ſie 
iſt, und anderſeits den Erforderniſſen einer guten Verwaltung des ihrer Regierungs— 
gewalt unterſtelllen Gebietes Rechnung getragen werden ſoll. 


Die Regierungskommiſſion hat die Ausarbeitung dieſes Statuts einer beſonderen 
Kommiſſion übertragen. Darin haben zwei ihrer Mitglieder Sitz. Sie werden ſich 
mit den Vertretern der Beamten in Verbindung ſetzen. Dieſe Kommiſſion wird 
alsdann, im Einverſtändnis mit dem Reichskommiſſar oder ſeinen Vertretern, und 
zwar bei Zuſammenkünften, die in Trier ſtattfinden können, über die Einzelheiten der 
techniſchen Ausführung der für Deutſchland aus dem Friedensvertrag ſich ergebenden 
Verpflichtungen hinſichtlich der Penſionen zu beraten haben. 


Schließlich verkennt die Regierungskommiſſion nicht, daß es im Intereſſe der 
künftigen Laufbahn der jetzt im Saargebiete tätigen Beamten, die früher der deutſchen 
Regierung gedient haben oder umgekehrt, wünſchenswert erſcheint, die Lage dieſer 
Beamten zum Gegenſtand einer übereinſtimmenden Regelung zwiſchen beiden Re— 
gierungen zu machen. a 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 

Im Namen der Regierungskommiſſion. 


Der Staatsrat, Präſident: 
gez. V. Rault. 


Br 
186. 


Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an 
die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 29. Mai 1920. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz 
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 29. Mai 1920. 
des Saargebiets. | 
S. 463. 


Herr Präſideut! 


Sie waren ſo gütig, mir mit Schreiben vom 22. Mai d. J. mitzuteilen, daß 
die Regierungskommiſſion die Ausarbeitung des Beamtenſtatuts einer beſonderen 
Kommiſſion übertragen habe, welcher zwei ihrer Mitglieder angehören, daß dieſe 
Kommiſſion ſich mit den Vertretern der Beamten in Verbindung ſetzen werde, und 
daß dieſelbe Kommiſſion alsdann im Einverſtändnis mit mir oder meinen Beauf⸗ 
tragten in Zuſammenkünften in Trier zu beraten haben werde über die Art der Aus 
führung der für Deutſchland aus dem Friedensvertrage ſich ergebenden Verpflichtungen 
hinſichtlich der Ruhegehaltsbezüge. Sie fügten hinzu, daß die Regierungskommiſſion 
nicht verkenne, daß es im Intereſſe der künftigen Laufbahn der Beamten, die jetzt 
im Saargebiet tätig ſind, nachdem ſie der deutſchen Regierung gedient haben oder 
umgekehrt, wünſchenswert ſei, daß die Lage dieſer Beamten von den beiderſeitigen 
Regierungen zum Gegenſtand übereinſtimmender Regelungen gemacht werde. 


Ich nehme von dieſen Mitteilungen Kenntnis, insbeſondere von der Bereitwillig⸗ 
keit der Regierungskommiſſion, die Fragen der Ruhegehaltsbezüge und des Übertritts 
von Beamten der Saarregierung in den Dienſt der deutſchen Regierung und um⸗ 
gekehrt in gemeinſamen Beratungen zu erörtern und zu regeln. 


Was die Beamtenpenſionen anbelangt, ſo ſcheint es mir nicht, als wenn der 
Friedensvertrag irgendwelche beſonderen Verpflichtungen Deutſchlands habe feſtlegen 
wollen. Die einzige mir bekannte Beſtimmung des Friedensvertrages (§ 24 der An⸗ 
lage zu Artikel 50), die ſich zwar nicht mit Beamtenpenſionen, wohl aber mit den 
Rechten der Einwohner des Saarbeckens in Verſicherungs- und Rentenangelegenheiten 
(alſo vor allem mit den Anſprüchen auf Alters- und Invalidenrenten) beſchäftigt, 
macht Deutſchland und der Regierung des Saarbeckens die Aufrechterhaltung und 
den Schutz dieſer Rechte gleichmäßig zur Pflicht. 

Ob die weitere Frage des Beamtenaustauſches ſich lediglich durch übereinſtim⸗ 
mende Anordnungen der beiderſeitigen Regierungen ohne ein gegenſeitig verpflichten⸗ 
des Abkommen werde befriedigend regeln laſſen, muß ich bezweifeln. Doch dürfte 
es erſt nach eingehender Erörterung angebracht fein, auf dieſen Punkt zurückzukommen. 

Mit dieſen Maßgaben begrüße ich die mir gebotene Gelegenheit, in eine münd- 
liche Erörterung der vorbezeichneten wichtigen Fragen einzutreten und werde nicht 
verfehlen, demnächſt meine Beauftragten zu den in Ausſicht genommenen Zuſammen⸗ 
künften in Trier zu entſenden. Als Ort dieſer Beſprechungen erlaube ich mir wiederum 
den Sitzungsſaal der Trierer Regierung vorzuſchlagen. Bezüglich Tag und Stunde 
der erſten Begegnung darf ich Ihren gefälligen Vorſchlägen entgegenſehen. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 

gez. von Groote. 


An 


den Präſidenten der Regierungskommiſſion für das 
Saargebiet, Herrn Staatsrat Rault, 


Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


— 165 -- 


Nr. 117. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets 
an den Völkerbundsrat vom 1. Juni 1920. 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 5, Seite 279 ff.) 
(berſetzung.) 


nt mn rr rere 


Die Beamtenfrage. 


Die Beamtenfrage, die im Monat April das ganze politiſche Leben des Gebiets 
beherrſcht hatte, hat eine vorläufige Regelung erfahren, die für die Regierungs— 
kommiſſion einen unleugbaren Erfolg darſtellt. 

Schon im letzten Bericht war erwähnt, daß eine Entſpannung eingetreten war, 
und daß die Mißverſtändniſſe, die man abſichtlich zwiſchen den Beamten und der 
Regierungskommiſſion unterhalten hatte, zum Teil zerſtreut wurden. 


Eine Beſprechung, die am 30. April zwiſchen dem Präſidenten, unterſtützt von 
Herrn Lambert, und den Vertretern der Beamtenkartelle ſtattfand, um die von dem 
Präſidenten am 24. April in Trier eingenommene Haltung zu erklären, beſtätigte 
dieſen Eindruck. Die Beamten des Saargebiets, die durch die ihnen gemachten Er— 
klärungen beruhigt waren, ſchickten ihre Abgeordneten nach Berlin; ſie ſcheinen dort 
den Wunſch zum Ausdruck gebracht zu haben, die nutzloſe und gefährliche Taktik 
unnachgiebigen Widerſtandes aufzugeben). Nach ihrer Rückkehr hatten ihre Beauf— 
tragten eine neue Beſprechung mit dem Präſidenten; ſie formulierten Forderungen, 
die unmöglich zugeſtanden werden konnten, weil ſie den von der Regierungskommiſſion 
aufgeſtellten Grundſätzen zuwiderliefen; indes kam eine Einigung zuſtande auf Grund 
eines Briefes ?), in dem der Präſident garantierte, daß die Anwendung des Artikels 1 
der Verordnung vom 16. März 1920 im Geiſt weiteſtgehender Billigkeit erfolgen werde. 


Nachdem die Abgeordneten den Präſidenten verlaſſen hatten, legten ſie über ihren 
Auftrag Rechnung in einer ziemlich bewegten Verſammlung, in der die Beamten 
beſchloſſen, von der Reichsregierung zu verlangen, ſie der Regierungskommiſſion des 
Saargebiets zur Verfügung zu ſtellen. 


) Die Beamtenfrage iſt in Berlin in einer Sitzung vom 5. Mai 1920 in Anweſenheit von Ver— 
tretern der Beamtenſchaft beraten worden. In dem Protokoll über dieſe Sitzung heißt es: 


»Am 30. April hat Präſident Rault Vertreter der Beamten zu ſich berufen und ihnen u. a. 
erklärt, er beabſichtige keine weitere Einſtellung von Franzoſen; die Beamten, die er ablehnen werde, 
würden durch deutſche Beamte erſetzt werden; eine Geſinnungsſchnüffelei ſolle nicht betrieben werden, 
es würden nur einige, durch ihre Angriffe gegen die Saarregierung hervorgetretene Beamte in Frage 
kommen, und auch dieſe könnten vielleicht bei loyalem Verhalten ihre Stellung behalten; er werde ſich 
mit den Beamten über alle Einzelfragen verſtändigen und ſodann mit der Deutſchen Regierung ins 
Benehmen treten. 

Wenn auch dieſe Zuſicherungen zunächſt nur mündlich gegeben ſind, laſſen ſie doch eine Ver— 
ſtaͤndigung erhoffen. f 

In der heutigen Sitzung, der eine Vorbeſprechung im kleineren Kreiſe am 4. Mai vorangegangen 
iſt, wurde nach eingehenden Erörterungen folgendes Ergebnis erzielt: 

Sowohl nach Anſicht der anweſenden Reſſortvertreter wie nach Anſicht der Vertreter der Beamtenſchaft 
iſt eine bedingungsloſe Zurverfügungſtellung der Beamten nicht moglich. Ein Ausweg wird ſich jedoch 
in der Weiſe finden laſſen, daß zunächſt die Beamten ſelbſt eine Einigung mit der Saarregierung über 
die weſentlichſten Punkte herbeiführen, und daß alsdann die Deutſche Regierung unter Berufung auf 
dieſe Einigung die Beamten zur Verfügung ſtellt. 

Demgemäß werden ſich die Beamtenvertreter ſofort nach Saarbrücken begeben und der Saarregierung 
erklären, die Deutſche Regierung erwarte, daß die Regierungskommiſſion ſich noch vor Ablauf der Friſt 
(es ſteht nicht genau feſt, ob die Friſt am 10. oder am 15. Mai abläuft) mit der Beamtenſchaft über 
alle weſentlichen Punkte einige; falls dies erfolge, werde fie der Saarregierung die Beamten auf Grund 
dieſer Einigung zur Verfügung ſtellen, andernfalls nit ..... « 


) Vgl. Nr. 113. 


— 166 — 


Angeſichts dieſer Löſung ſetzte Herr von Groote, Reichskommiſſar für das Saar- 


gebiet, am 10. Mai den Präſidenten telegraphiſch davon in Kenntnis, daß er die 
Reichsbeamten und die preußiſchen und bayeriſchen Staatsbeamten der Regierungs— 
kommiſſion zur Verfügung ſtelle. 


Ein Ergebnis von grundlegender Bedeutung war ſo erzielt. Der Generalſtreik 


in den öffentlichen Behörden war beſeitigt. Die Regierungskommiſſion hat ſich dazu 
beglückwünſcht, daß fie bei der Haltung, die fie am 16. März eingenommen hatte, 
verharrt und ihre Autorität bekräftigt hat. | - 

Allerdings hat Herr von Groote durch ein Schreiben vom 11. Mai, mit dem 
er ſein Telegramm beſtätigte, verſucht, nach der Zurverfügungſtellung der Beamten 
an die Regierung des Saargebiets erneut die Frage zu ſtellen, die er vorher auf- 
geworfen hatte. Er verlangte von der Kommiſſion nochmals, über die Beamten 
einen regelrechten Vertrag mit Deutſchland abzuſchließen. 


Die Kommiſſion hat jedoch am 17. Mai beſchloſſen, ſich vor der Rückkehr nach 
Trier unmittelbar mit den Beamten zu verſtändigen. Sie hat eine Unterkommiſſion 
eingeſetzt, zu der die Herren von Boch und Lambert ſowie 2 Beamte der Verwaltung 
gehören; dieſe Kommiſſion ſoll mit den Beteiligten verhandeln und im Einvernehmen 
mit ihnen ein endgültiges Statut ausarbeiten. Wenn dieſe Kommiſſion ihre 


Arbeiten beendet haben wird, werden dieſe zur Kenntnis des Herrn von Groote 


gebracht werden. Der Präſident hat den Reichskommiſſar von dieſen Beſchlüſſen 
in Kenntnis gefegt!) und hierbei Wert darauf gelegt, zu bemerken, daß er zur 
Wahrung der Intereſſen der Laufbahn ſolcher Beamter, N 
tun, während fie bisher in Dienſten der deutſchen Regierung geftanden haben oder 
umgekehrt, die Notwendigkeit anerkenne, in beiden Ländern übereinſtimmende Rege⸗ 
lungen zu treffen. Herr von Groote hat in einem Schreiben vom 29. Mai?) grund⸗ 
ſätzlich das von der Kommiſſion eingeſchlagene Verfahren angenommen. Wenn die 
Beamtenfrage bis zur Erzielung einer endgültigen Löſung auch noch arbeitsreiche und 
heikle Verhandlungen erfordert, ſo braucht man doch, wie es ſcheint, nicht zu be— 
fürchten, daß ſie der Anlaß zu Unruhen und zu einer Unterbrechung der Tätigkeit 
der Behörden führen wird. In Zukunft wird die Kommiſſion Herrn von Groote 
gegenüber als die Mandatarin der Beamten des Saargebiets auftreten, die mit der 
Wahrung ihrer Intereſſen gegenüber der deutſchen Regierung beauftragt iſt. Die 
Lage hat ſich alſo ſeit dem Monat April vollkommen verändert. | 
Die Regierungskommiſſion glaubt, den Abfichten des Völkerbundes entſprochen 
zu haben, indem ſie jeden ſcharfen Konflikt vermied und verſuchte, im Wege der 
Überzeugung und der Verſöhnlichkeit Ergebniſſe zu erzielen, die ihre Autorität und 
ihr Preſtige unberührt laſſen. 


e ere een, e eee 


Schluß. 
Trotz ihrer vervielfachten Bemühungen um das Wohlergehen der Bevölkerung 
und die Ausführung ihres Mandats muß die Regierungskommiſſion leider feſtſtellen, 


daß man auf dieſe Bemühungen zu häufig mit Anſchwärzungen und Feindſeligkeiten 


antwortet. Unter den Bewohnern des Gebiets gibt es eine große Zahl, die ſich 
weigern, den Friedensvertrag und die Autorität des Völkerbundes anzuerkennen. 
Dieſen widerſetzlichen Elementen begegnet man vor allem bei den Beamten, beim 
Lehrkörper, bei der Geiſtlichkeit und bei den höheren Klaſſen der Induſtrie und des 
Handels. Dieſe Elemente haben ihren Einfluß in den Dienſt Deutſchlands geſtellt 
und ſind beſtrebt, alle Bemühungen der Regierungskommiſſion, im Saargebiet ent⸗ 
ſprechend dem Friedensvertrag eine ſelbſtändige und von Berlin unabhängige Ver- 
waltung zu organiſieren, zum Scheitern zu bringen. 


) Vgl. Nr. 115. 
2) Vgl. Nr. 116. 


ie jetzt im Saargebiet Dienſt 


Er So hat man im Saarbecken die Spur gewiſſer Organiſationen wie des »Heimat— 


ſchutze und des »Saarvereine gefunden, die dazu beſtimmt ſind, in den einer Volks— 


aabſtimmung unterworfenen Gebieten mit allen Mitteln die Anwendung des Friedens— 
vertrags zu durchkreuzen. 

40 Dieſe Organiſationen haben die verbreitetſten Lokalzeitungen zu ihrer Verfügung. 

Die Regierungskommiſſion achtet peinlichſt die Preßfreiheit. Gegen das Recht, das 
ſich die Journaliſten angemaßt haben, die Loyalität der Regierungskommiſſion zu 
verdächtigen und ihre Abſichten zu entſtellen, iſt in keiner Weiſe eingeſchritten worden. 
Die Kommiſſion iſt über dieſe Angriffe weder erſtaunt, noch regt fie ſich darüber auf. 
Aber es iſt doch zu bemerken, daß die Heftigkeit dieſer Angriffe und ihr böſer Wille 
ſchließlich doch eine bedauerliche Wirkung auf eine im allgemeinen ziemlich einfache 
Bevölkerung, die den Behauptungen in den Zeitungen Glauben zu ſchenken geneigt 


it, ausüben. 


So iſt die Kommiſſion in verſchiedenen Dingen auf unerklärliche Widerſtände 
geſtoßen: Die von ihr veröffentlichte Verordnung über die Wohnungsfrage, die eine 
ganz weſentliche Verbeſſerung gegenüber der früheren Lage bedeutete, hat Proteſte 
hervorgerufen, die wenig begründet waren. Man bemüht ſich, ſowohl den Völker— 
bund wie den Friedensvertrag in Mißkredit zu bringen und zu beweiſen, daß letzterer 
unausführbar iſt, und daß das im Saargebiet verſuchte Werk einem unabwendbaren 
Mißerfolg entgegengeht. Dies ſind die täglichen Themen, die in den Zeitungen des 
Saargebiets, namentlich in der wichtigſten, der »Saarbrücker Zeitung«, entwickelt 
werden. Wenn die Regierungskommiſſion hier dieſen Feldzug ſyſtematiſcher Oppoſition 
erwähnen zu ſollen glaubt, ſo geſchieht es, weil er ihre Aufgabe in beſonderer Weiſe 
kompliziert und eine vertrauensvolle Mitarbeit der Bevölkerung erſchwert. Man kann 
nicht genug die Tatſache beklagen, daß die Treibereien einer bezahlten Minderheit, 
die ſowieſo ſchon heikle Miſſion beeinträchtigen, die der Regierungskommiſſion an- 
vertraut iſt. 

Sie hat aber die Gewißheit, ſich niemals von dem Buchſtaben und von dem 
Geiſt des Vertrags entfernt zu haben, und ohne ſich durch ungerechtfertigte Augriffe 
ſtören zu laſſen, wird ſie ſich bemühen, das Saargebiet in voller Unparteilichkeit und 
gemäß den Grundſätzen des Völkerbundes zu regieren. 


Nr. 118. 


Bericht des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets 
über den Vorentwurf des Beamtenſtatuts. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz * et 
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 26. Juni 1920. 
des Saargebiets. 
Nr. S. 672. 


Die Regierungskommiſſion des Saargebiets hat am 22. Juni d. J. nachmittags 
den Vertretern der Saarbeamtenſchaft den abſchriftlich anliegenden Vorentwurf einer 
Verordnung, betr. ein Beamtenſtatut!) übergeben mit dem Anheimſtellen, Gegen— 
vorſchläge aufzuſtellen und dieſe ſpäteſtens drei Tage vor der auf den 1. Juli d. J. 
angeſetzten gemeinſamen Beſprechung des Entwurfs einzureichen. Nach Mitteilungen 
aus dem Saargebiet hat der Entwurf in der dortigen Beamtenſchaft große Erregung 
hervorgerufen, da er in mehrfacher Hinſicht den von der Saarregierung früher ge— 
machten feierlichen Zuſicherungen und den auf ſie begründeten Erwartungen der Be— 
amtenſchaft in keiner Weiſe entſpricht. Er ſoll den Erfolg gehabt haben, daß die 


) Vgl. Nr. 119. 


4 Fir EIER 9 Laie * ER e N PR 
— 168 — 


Beamtenſchaft ohne Ausnahme ſich um ſo enger pan e hat und ent⸗ 
ſchloſſen ſein ſoll, es nötigenfalls zu einem Abbruch der Verhandlungen und zur 
Dienſteinſtellung kommen zu laſſen. 

Einſtweilen haben die vereinigten Vertreter der Beamtenorganiſation den weiter 
anliegenden Entwurf zu Gegenvorſchlägen?) verfaßt und beabſichtigen, ihn in der 
Beſprechung am 1. Juli zur Erörterung zu ſtellen. 


In Vertretung 
(Unterſchrift.) 
An 
das Auswärtige Amt, TER 
Berlin. 


Nr. 19. 


Vorentwurf der Regierungskommiſſion des Saargebiets 
zu dem Beamtenſtatut. 


In Ergänzung der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 16. März 1920 
wird folgendes beſtimmt: 
Teil I. 
Allgemeine Beſtimmungen. 


Artikel J. Als Beamte der Regierung des Saargebiets im Sinne W 
Verordnung gelten alle Perſonen, die im Saargebiet bei einer der Regierungs⸗ 
kommiſſion unterſtellten Behörde: 
I. ein öffentliches Amt bekleiden, das ihnen auf Grund der bis zum 11. November 
1918 in Kraft befindlichen deutſchen Geſetze die Eigenſchaft als Reichs- oder 
Staatsbeamter verleiht, oder 

2. neueingerichtete Amter übertragen erhalten haben, die zur Befriedigung 
eines dauernden Bedürfniſſes von der Regierungskommiſſion eingerichtet 
worden ſind. 

Die Beſtimmungen des 3., 4. und 5. Teiles dieſer Verordnung finden Anwendung 
auf die mittelbaren Beamten, die im Saargebiet im Dienſt von Verwaltungskörpern 
(Kreiſen, Gemeinden, Diſtrikten uſw.) ſtehen, die an der Ausübung obrigkeitlicher 
Befugniſſe teilnehmen oder zur Durchführung öffentlicher Aufgaben eingerichtet ſind, 
vorausgeſetzt, daß die Ernennung des Beamten der Beſtätigung der Regierung 
unterliegt. 

Artikel 2. Die Beamten der Regierung des Saargebiets unterſtehen allein 
der Regierungskommiſſion, der fie Treue und Gehorſam ſchulden. Alle Fragen, die 
ſich auf Ernennung, Amtsbezeichnung, Titel, Rangſtufe und deren Verleihung, 
Beförderung, Difziplin, einſtweilige oder endgültige Verſetzung in den Ruheſtand 
beziehen, gehören zur Zuſtändigkeit der Regierungskommiſſion. 


Teil II. 
Anſtellung und Beförderung. 


Artikel 3. Alle Beamten der Regierung des Saargebiets, mit Ausnahme 
derjenigen der ene, werden in erſter Linie aus den Reihen der Ein— 
wohner des Saargebiets entnommen oder, falls es an ſolchen fehlt, aus Deutſchen, 
die außerhalb des Saargebiets wohnen. Eine Zulaſſung zu einem öffentlichen Amt 
kann nur erfolgen, wenn die dienſtliche Befähigung durch eine erfolgreich beſtandene 
Prüfung erwieſen iſt, oder wenn eine ähnliche oder gleichartige Vorbildung beſteht 
wie bei den entſprechenden im ſaarländiſchen Regierungsdienſt angeſtellten Beamten. 


7 Vgl. Nr. 120. 


* 2 


3 


Artikel 4. Sollte es der Regierungskommiſſion unmöglich ſein, Beamte zu 


5 finden, die dieſen Anforderungen entſprechen, behält ſie ſich das Recht vor, nach 


Beſprechung mit den Vertretern der Beamten nach freiem Ermeſſen ihr geeignet 
erſcheinende Perſönlichkeiten zu berufen. 

Artikel 5. Die endgültige Anſtellung erfolgt erſt nach einer Probezeit, 
deren Dauer bei den einzelnen Behörden verſchieden ſein kann, die jedoch drei Jahre 
nicht überſchreiten darf. Der Probezeit kann eine praktiſche Prüfung folgen, ſoweit 
hierzu ein Bedürfnis beſteht. Vor der endgültigen Anſtellung iſt der Verwaltungs— 
beirat, deſſen Einrichtung Artikel 14 vorſieht, zu hören. 


Artikel 6. Jeder von der Regierung des Saargebiets angeſtellte Beamte 
hat der Regierung in Gegenwart eines von der Regierungskommiſſion hierzu 
beſtimmten Vertreters einen Treueid zu leiſten folgenden Inhalts: 

»Ich ſchwöre der Regierungskommiſſion als der Vertreterin des Völkerbundes 
Treue, Gehorſam den Geſetzen und gewiſſenhafte Erfüllung meiner Dienſtobliegenheiten.« 

Beamte, auf welche die Beſtimmung des Artikels 1 der Verordnung vom 
16. März 1920 Anwendung findet, und die vorher deutſchen Behörden angehörten, 
können zur Eidesleiſtung erſt nach dem Ablauf der in dieſer Beſtimmung bezeichneten 
Sechsmonatsfriſt veranlaßt werden. Es bleibt jedoch jedem anheimgeſtellt, ſchon vorher 
die Ableiſtung des Eides zu beantragen. Wer den Eid geleiſtet hat und durch die Zu— 
laſſung zum Eid in ſeinem Amt beſtätigt worden iſt, kann nur auf Grund eines 
Disziplinarverfahrens entlaſſen werden, wie es durch die beſtehenden Geſetze und Ver— 
ordnungen vorgeſehen iſt. 

Artikel 7. Niemand kann in einen höheren Rang oder zu einem höheren Amt 
befördert werden, es ſei denn auf Grund beſtandener Prüfungseintragung in die Be— 
förderungsliſte oder beſonderen Beſchluſſes der Regierungskommiſſion auf Vorſchlag 
ihres zuſtändigen Mitgliedes. 

Die Beförderungsliſten werden alljährlich am 1. Januar aufgeſtellt. Hierbei iſt 
das Dienſtalter bei mindeſtens / Beamten bei der Beförderung in eine höhere 
Rangſtufe zu berückſichtigen. | 

Die Beförderungsliſten werden von den Abteilungsleitern ausgearbeitet und 
werden ſodann dem im Artikel 14 bezeichneten Verwaltungsbeirat vorgelegt. 

Auf Grund der Bemerkungen und Vorſchläge dieſes Verwaltungsbeirates werden 
ſie von den zuſtändigen Mitgliedern der Regierungskommiſſion fertiggeſtellt. 

Die Ernennungen erfolgen ſodann in der in der Beförderungsliſte angegebenen 
Reihenfolge. Ausnahmsweiſe kann im dienſtlichen Intereſſe auf Grund einer Ent— 
* des zuſtändigen Mitgliedes der Regierungskommiſſion eine Abweichung 
erfolgen. | 

Die fertiggeſtellten Beförderungsliſten werden den Beamten der einzelnen Dienſt— 


zweige bekanntgegeben. Innerhalb 14 Tagen nach der Bekanntgabe können Vor— 


ſtellungen bei dem Verwaltungsbeirat durch den Beamten oder den Verband der be— 
teiligten Beamten erhoben werden. Der Verwaltungsbeirat berät über dieſe Vor— 
ſtellungen und leitet fie mit feiner gutachtlichen Außerung an das zuſtändige Regierungs- 
mitglied weiter, welches innerhalb eines Monats Entſcheidung trifft. 


Teil III. 


Diſziplinarverfahren. 

Artikel 8. Jeder Beamte iſt der vorgeſetzten Behörde gegenüber für ſeine 
Amtshandlungen verantwortlich. Im Falle von dienſtlichen Verfehlungen können 
folgende Diſziplinarſtrafen verhängt werden: 

1. Ordnungsſtrafen: 

a) Warnung, 
b) Verweis (ohne Eintragung in die Perſonalakten), 
e) desgleichen mit Eintragung in die Perſonalakten. 


2. Diſziplinarſtrafen: 
a) Streichung von der Beförderungsliſte, 
b) Strafverſetzung mit oder ohne Verſetzung in ein Amt niedrigeren 
Ranges, 
e) Dienſtenlaſſung ohne Verluſt des Titels oder Penſionsanſpruchs, 
d) Dienſtentlaſſung mit allen geſetzlichen Folgen. 

Die Ordnungsſtrafen werden vom Abteilungsleiter verhängt. Die Diſziplinar⸗ 
ſtrafen können nur nach vorausgegangenem Diſziplinarverfahren, das eine vorgängige 
Diſziplinarunterſuchung und eine kontradiktatoriſche Verhandlung umfaßt aus⸗ 
geſprochen werden. Der Ausſpruch erfolgt durch den Abteilungsleiter nach gut⸗ 
achtlicher Außerung des Verwaltungsbeirats, der als Diſziplinarrat eingeſetzt iſt. Der 
beim Diſziplinarrat tätige Berichterſtatter verſieht zu gleicher Zeit das Amt eines 
Regierungskommiſſars. Er wird jeweils von dem zuſtändigen Mitglied der Regierungs⸗ 
kommiſſion bezeichnet. 


Artikel 9. Keine Diſziplinarſtrafe darf verhängt werden, ohne daß der be- 
troffene Beamte Gelegenheit gehabt hat, die Akten einzuſehen und ſich ſchriftlich zu 
rechtfertigen. Er kann ſich von einem Verteidiger verbeiſtanden laſſen. 


Artikel 10. Der von der Diſziplinarſtrafe betroffene Beamte kann bei dem 
Mitglied der Regierungskommiſſion, dem der betreffende Dienſt unterſtellt iſt, Berufung 
einlegen. Dieſes entſcheidet endgültig nach Anhörung des durch Artikel 17 einge— 
ſetzten Oberverwaltungsbeirats, der in dieſen Fällen Diſziplinarſitzungen abhält. Das 
Amt eines Regierungskommiſſars bei dem Oberverwaltungsbeirat verſieht der Abteilungs⸗ 
direktor der Zentralverwaltung, dem der betreffende Beamte unterſtellt iſt. Derſelbe 
nimmt an der Beratung nicht teil. 


Artikel 11. Bei ſchweren Dienſtverfehlungen kann der betreffende Beamte im 
dienſtlichen Intereſſe von dem zuſtändigen Abteilungsdirektor, dem Abteilungsleiter oder 
von dem hierzu ernannten Direktions- oder Kontrollbeamten zeitweilig vom Dienſt ent- 
hoben werden, ſofern der Fall dringend iſt. Der Diſziplinarrat, dem der ſuspendierte 
Beamte innerhalb eines Monats zu überweiſen iſt, entſcheidet, ob eine Entſchädigung 
für die Gehaltseinbuße während der Dauer der Suspenſion einzutreten hat. 


Artikel 12. Kein Beamter kann ohne gerechtfertigten Grund ſeinen Dienſt 
ohne Genehmigung der vorgeſetzten Stelle verlaſſen. Jede Zuwiderhandlung zieht 
Diſziplinarſtrafen gemäß Artikel 8 nach ſich unter Verwirkung des im Artikel 10 
eingeräumten Berufungsrechts. 

Bei verabredeter oder gleichzeitig erfolgter Dienſteinſtellung kann Beſtrafung 
ohne Anhörung des Diſziplinarrats erfolgen. 


| Artikel 13. Jeder Beamte, deſſen Dienftuntauglichfeit von feinem Vorgeſetzten 
feſtgeſtellt iſt, kann nach Anhörung des Verwaltungsbeirats ſeines Amtes enthoben 
werden. Der Verwaltungsbeirat entſcheidet, ob der des Dienſtes enthobene Beamte 
eine ſeiner Dienſtzeit entſprechende Penſion erhalten ſoll, wenn der betreffende Beamte 
noch nicht die Mindeſtdienſtzeit abgeleiſtet hat, die das Geſetz für die Penſions⸗ 
bewilligung vorſchreibt. Die nähere Regelung derartiger Fälle wird durch eine 
ſpätere Verordnung folgen. | 
Teil IV. 
Verwaltungsbeiräte. 


Artikel 14. Bei allen Dienſtzweigen, die der Regierung unterſtellt ſind, wird 
neben dem Dienſtvorſtand ein Verwaltungsbeirat eingerichtet Dieſe Verwaltungs⸗ 
beiräte ſind jeweils nach dem Umfang der betreffenden Verwaltung der Zahl nach 
ann groß. Sie find zuſammengeſetzt: g 
zu ½ aus den oberſten Beamten des betreffenden Dienſtzweiges, wobei das 
Dienſtalter entſcheidet; 
zu ½ aus gewählten Beamten des betreffenden Dienſtzweiges; 
zu ½ aus ernannten Mitgliedern. 


zw 


Die Ernennung der letztgenannten Mitglieder erfolgt durch das zuſtändige 
RNRegierungsmitglied ohne Rückſicht auf ihre Zugehörigkeit zu dem betreffenden Dienſt— 


zweig, teils aus der Zahl von Vertretern allgemeiner Intereſſen, teils aus Perſonen, 
deren Bedeutung ſich aus ihren Spezialkenntniſſen ergibt. 

Der Verwaltungsbeirat wird alle drei Jahre erneuert. Der Vorſitzende wird 
von dem Mitglied der Regierungskommiſſion bezeichnet, dem der betreffende Dienſt— 
zweig unterſtellt iſt. Bei Stimmengleichheit gibt ſeine Stimme den Ausſchlag. 


Artikel 15. Der Verwaltungsbeirat kann gutachtlich gehört werden in allen 
Angelegenheiten, die auf den Dienſtbetrieb Bezug haben. Insbeſondere hinſichtlich 
der Dienſtſtundenpläne, der Urlaubsgewährung, der Verbeſſerung der materiellen Lage 


und der Stellung der Beamten des betreffenden Dienſtzweiges. Er iſt berechtigt, 


ſelbſtändig Anregungen auf dieſem Gebiete zum Ausdruck zu bringen. 
Der Verwaltungsbeirat wird durch das zuſtändige Mitglied nach Bedürfnis 
einberufen. 


Artikel 16. Der Verwaltungsbeirat tritt auch zuſammen zur Beratung über 
Beförderungs⸗ und Diſziplinarfragen; erſterenfalls haben ſich die im Artikel 14, 8 4 
bezeichneten gewählten Mitglieder nur mit den Eintragungen in die Beförderungsliſten 


des ihnen gleichſtehenden oder nachgeordneten Perſonals des betreffenden Dienſtzweiges 
zu befaſſen. Im Falle der Beratung von Difziplinarfragen ſcheiden die Mitglieder 


aus, die im Range dem Beamten nachgeordnet ſind, der zur Ve antwortung gezogen 
iſt. Dagegen muß mindeſtens ein Beamter der gleichen Rangſtufe dem Verwaltungs— 


beirat angehören. Derſelbe muß dieſelben Fachkenntniſſe beſitzen wie der Beſchuldigte, 


wenn es ſich um die Begehung eines techniſchen Verſehens handelt. 
Artikel 17. Ein Oberverwaltungsbeirat wird bei der Regierungskommiſſion 


eingerichtet. Er beſteht aus folgenden Mitgliedern: 


J. den Direktoren der Zentralverwaltung, 


II. drei Mitgliedern, welche von den gewählten Beamtenvertretern der Ver— 
waltungsbeiräte in gemeinſamer Sitzung gewählt werden, 


III. drei von dem Präſidenten der Regierungskommiſſion ernannten Mitgliedern. 
Er kann hierbei auch Nichtbeamte, die beſondere Fachkenntniſſe beſitzen oder 
einen größeren Kreis von Intereſſen vertreten, zuziehen. 

Der Vorſitzende wird von dem Präſidenten der Regierungskommiſſion 
ernannt. Seine Stimme gibt bei Ungleichheiten den Ausſchlag. 


Artikel 18. Der Oberverwaltungsbeirat kann über alle Maßnahmen gehört 
werden, Dienſtvorſchriften betreffend, die ein oder mehrere Dienſtzweige angehen. 
Er iſt befugt, Anregungen über denſelben Gegenſtand zum Ausdruck zu bringen. 

Seine Berufung erfolgt nach Bedürfnis durch den Präſidenten der Regierungs- 
kommiſſion. 

Er äußert ſich gutachtlich in dem im Artikel 10 näher bezeichneten Falle. 


Artikel 19. Die Anwendung der gegenwärtigen Verordnung wird durch Aus— 
führungsvorſchriften näher geregelt werden, welche nähere Beſtimmung über die Zahl, 
die Einrichtung und die Tätigkeit der Verwaltungsbeiräte und das Verfahren vor 
ihm in Diſziplinarangelegenheiten betreffen. 


Teil V. 
Beamtenvereinigungen. 
Artikel 20. Die Beamten find befugt, zur näheren Prüfung und zur Ver— 


teidigung ihrer Verbandsintereſſen und der Dienſtzweige, denen fie angehören, Ver— 


einigungen zu bilden. Dieſe Vereinigungen dürfen keinerlei politiſche Ziele verfolgen. 
Sie unterliegen den geſetzlichen Vorſchriften über die Anmeldung und außerdem den 
Vorſchriften dieſer Verordnung. Ihre Satzungen bedürfen der Genehmigung der 
Regierungskommiſſion. | 


a u ie Z 
* N * 


KARTE 


Artikel 21. Nur die Beamten, die demſelben Verwaltungszweig angehören, 
dürfen ſich zu einer Vereinigung zuſammenſchließen. Jede Vereinigung mit anderen 
Verbänden iſt verboten. 

Ein Zuſammengehen der Verbände verſchiedener Verwaltungszweige des Saar- 
gebiets kann ausnahmsweiſe zugelaſſen werden unter der Leitung eines für die Dauer 
einer Sitzungsperiode gewählten Ausſchuſſes, deſſen Aufgabe ſich darauf beſchränken 
muß beſtimmte gemeinſame Fragen zu prüfen, die vorher auf einer Tagesordnung 
der Regierungskommiſſion zur Genehmigung vorgelegt werden müſſen. Die Regierungs⸗ 
kommiſſion behält ſich das Recht vor, die gemeinſame Tagung zu geſtatten oder zu 
unterſagen. b 

Ein Zuſammenſchluß der Beamten des Saargebiets mit irgend welchen aus- 
wärtigen Verbänden oder Vereinigungen oder die Teilnahme an derartigen Ver⸗ 
einigungen iſt verboteu. 

Die Beamtenvereinigungen haben Rechtsperſönlichkeit innerhalb der vom Geſetz 
beſtimmten Grenzen. Nur Beamte, die ſich noch im Dienſte befinden, können dem 
Vorſtand einer derartigen Vereinigung angehören. 


Artikel 23. Die Beamtenvereinigungen haben das Recht, unmittelbar die 
Dienſtleiter und die Regierungskommiſſion mit allen Fragen zu befaſſen, die mit ihren 
Verbandsintereſſen und den Standesintereſſen im Zuſammenhang ſtehen. 


Artikel 24. Zuwiderhandluugen gegen die Artikel 20 bis 22 dieſer Verord- 
nung werden mit Geldſtrafen in Höhe von 16 bis 1000 % beſtraft. Im Rückfall 
oder im Falle eines unerlaubten Zuſammenſchluſſes kann die Geldſtrafe auf 10000 
erhöht werden. In allen Fällen kann die Auflöſung der Vereinigung verfügt werden. 


Die Vorſtandsmitglieder, die ſich der Aufforderung zur einverſtändlichen Nieder⸗ 
legung des Dienſtes oder einer Zuwiderhandlung gegen die Artikel 20 bis 22 ſchuldig 
gemacht haben, werden mit Geldſtrafe von 10 bis 15000 AM und mit Gefängnis⸗ 
ſtrafe von 6 Tagen bis zu zwei Jahren beſtraft, unbeſchadet der Diſziplinarſtrafen, 
die Teil 3 dieſer Verordnung vorſieht. Außerdem kann jederzeit Auflöſung der Ver⸗ 
einigung verfügt werden. Die Vereinigungen ſind e verantwortlich für 
die Zahlung der vorbezeichneten Geldbeträge. 


Artikel 25. Die Mitglieder des Vorſtandes einer aufgelöſten Vereinigung 
können während eines Zeitraumes von 5 Jahren kein Vorſtandsamt bei einer Beamten⸗ 
vereinigung bekleiden. 


Teil VI. 
Gehalt, Penſionen und wirtſchaftliche Vergünſtigungen. 


Artikel 26. Das Gehalt und die ſonſtigen Bezüge der unmittelbaren Staats⸗ 
beamten werden auf der Grundlage der Beſtimmungen der neuen deutſchen Beſoldungs⸗ 
reform geregelt. Die Bezahlung erfolgt monatlich im voraus. Die Vorteile, welche 
die Beamten gegenwärtig genießen — Dienſtaufwand, Verſetzungsgebühren, Gnaden⸗ 
vierteljahr, Erziehungsbeihilfe, freie Arztiiche Behandlung, freie Fahrt der Eiſenbahn⸗ 
beamten — ſollen ihnen nach Maßgabe der bisherigen Beſtimmungen weiter zuſtehen. 
Geeignete Wohnungen ſollen in Anwendung der Verordnung der Regierungskommiſſion 
vom 7. Mai 1920 zu ihrer Verfügung geſtellt werden. 


Artikel 27. In gleicher Weiſe ſollen die Penſionsanſprüche im Falle der 
Dienſtunfähigkeit nach Ablauf von wenigſtens zehn Dienſtjahren im Dienſte des 
Saargebiets, wie auch die Anſprüche der Witwen und Waiſen auf Grund der 
deutſchen Geſetze, die am 1. November 1918 in Kraft waren, geregelt werden. Die 
hierzu erforderlichen Ausgaben find aus Mitteln des Saargebiets zu bezahlen. 


Artikel 28. Alle Verbeſſerungen hinſichtlich des Gehalts und der Penſion der 
Beamten auf Grund der nach dem Waffenſtillſtand erlaſſenen deutſchen Geſetze ſollen 


EI 


auch in Zukunft durch die Regierungskommiſſion geprüft werden, um den Beamten 
des Saargebiets entſprechende Vorteile zu ſichern. 


88 Artikel 29. Den Beamten, die vor dem Inkrafttreten des Friedensvertrages 


ſchon im Saargebiet wohnten und die das Saargebiet verlaſſen wollen, ſollen alle 


Erleichterungen gewährt werden, um ihre Grundſtücke zu angemeſſenen Preiſen zu 


verkaufen und ihr Mobiliar frei von allen Gebühren mitzunehmen. Ihr Gehalt 
kann nur in den von der deutſchen Geſetzgebung, die ſich am 11. November 1918 in 
Kraft befand, vorgeſehenen Fällen beſchlagnahmt werden, wie auch in dem Falle, 
daß bei einem Kaſſenführer ein Fehlbetrag zum Nachteil der Regierung des Saar- 
gebiets feſtgeſtellt wird. 

Legt ein Beamter ſein Amt nieder oder verläßt er das Saargebiet, ohne 
die Kündigungsfriſt von drei Monaten einzuhalten, welche die Verordnung vom 
16. März 1920 vorſchreibt, ſo kann ſein Vermögen bis zum Betrage des ohne 
Gegenleiſtung im voraus erhobenen Gehaltes beſchlagnahmt werden. 


Teil VII. 
Schlußbeſtimmungen. 


Artikel 30. Im allgemeinen ſollen für die Rechtslage, die Rechte und Pflichten 
der Beamten des Saargebiets die Vorſchriften des Reichsgeſetzes vom 18. Mai 1907 
Anwendung finden, ſoweit ſie ſich der Verwaltungsorganiſation des Saargebietes 
anpaſſen laſſen und fie nicht im Gegenſatz ſtehen zu den Verordnungen der Regierungs- 
kommiſſion. 


Artikel 31. Die deutſche Sprache iſt die Amtsſprache im Verkehr der Be— 
hörden, die von der Regierungskommiſſion abhängen, untereinander wie auch gegenüber 
dem Publikum. Die Unkenntnis einer anderen Sprache als der deutſchen Sprache 
kann keinem Beamten zum Nachteil gereichen. 


Artikel 32. Die Vorſchriften der gegenwärtigen Verordnung, betreffend die 
Vorbereitungszeit, die Beförderung und die Diſziplin, finden keine Anwendung auf 
die richterlichen Beamten, hinſichtlich deren ein beſonderes Statut erlaſſen werden 
ſoll, ebenſowenig auf die Direktoren der Zentralverwaltung und auf die Vorſtände 
der Kreiſe und der Amtsbezirke (Landräte und Bezirksamtsmänner). 


Artikel 33. Durch beſondere Vereinbarung zwiſchen der Regierungskommiſſion 
und der deutſchen Regierung ſollen nachſtehende Fragen ihre fernere Regelung finden: 


I. Laſten verteilung und Art und Weiſe der Auszahlung hinſichtlich der Penſion 
der Beamten, die ſowohl bei der Regierung des Saargebiets, wie auch bei 
der deutſchen Regierung Dienſt getan haben. (Die Aufrechterhaltung und 
der Schutz dieſer Rechte ſind grundſätzlich durch den Friedensvertrag garantiert. 
Es handelt ſich lediglich um die zur Anwendung zu bringende nähere 
Regelung.) 

II. Fortſetzung der Verwaltungslaufbahn der Beamten des Saargebiets unter 
normalen Bedingungen nach dem Ablauf der fünfzehn Jahre, welche der 
Friedensvertrag vorſieht. Letzterer gibt auch in dieſer Hinſicht im Artikel 39 
der Anlage den Beamten vollſtändige Garantien. 

Die Ausführung der von der Regierungskommiſſion übernommenen 
Verpflichtungen wird in dem Friedensvertrag ebenfalls gewährleiſtet, der den 
Völkerbund verpflichtet, die Beachtung der von der Regierungskommiſſion 
übernommenen Verpflichtungen von der Regierung zu erzwingen, der das 
Saargebiet nach der Abſtimmung übergeben wird. 

III. Souderbeſtimmungen im Intereſſe der Beamten in dem Falle, daß dieſe aus 
dem Dienſte der Regierungskommiſſion ausſcheiden, um ein Amt bei der 
deutſchen Regierung oder umgekehrt zu übernehmen. 


BR 


e e BUT EN ie, 2 
ER RE NER ER SE FRI Er * WR SEN 9 37 u 22 
„ S 


Nr. 120. 
Gegenvorſchläge der Beamtenſchaft. 


Vorſchläge. 
Artikel 1 Abſatz 2. 


Die Beſtimmungen des 3., 4. und 
5. Teiles dieſer Verordnung ſowie die 
Artikel 6 Abſatz 1, 29, 32 b—e und 34 


finden auch Anwendung auf die mittel— 


baren Beamten. 


Artikel 2 
Fällt weg. 


Satz 2. 


Artikel 3 Abſatz 1 Satz 1. 
Abgeſehen von den Bedürfniſſen der 
Zentralverwaltung wird die Regierungs— 
kommiſſion als Beamte nur Deutſche an- 
ſtellen, in erſter Linie Saarländer. 


Satz 2. 

Die Zulaſſung eines Deutſchen zu einem 
öffentlichen Amte kann nur erfolgen, wenn 
er nach deutſchem Rechte die erforderliche 
dienstliche Befähigung beſitzt. 


Satz la (neu), 
Saarländer ift, wer nach § 34 der Anlage 


der Friedensbedingungen abjtimmungs- 
berechtigt iſt. 


Abſatz 2 (neu). d 

Deutſche Beamte, die im Difziplinar- 

verfahren ihres Amtes entſetzt ſind oder 

gegen die ein Diſziplinarverfahren ſchwebt, 

wird die Regierungskommiſſion nicht zu 
Beamten berufen. 


Abſatz 3 (neuf. 

Unter Zentralverwaltung iſt diejenige 
oberſte Verwaltung zu verſtehen, die im 
Reich, Preußen oder Bayern in den 
Miniſterien geführt wird. 


Erläuterungen. 


Es iſt auch eine Regelung der Rechts⸗ 
ſtellung aller mittelbaren Beamten er⸗ 
forderlich, die zweckmäßig in demſelben 
Beamtenſtatut erfolgt. 


Der Satz iſt überflüſſig, weil die Re⸗ 
gierungskommiſſion nach § 19 der Anlage 
zu Artikel 50 der Friedensbedingungen alle 
Rechte über die Beamten hat, die früher 
der deutſchen Regierung zuſtanden, und 
kann zu dem Mißverſtändnis führen, als 
ob dadurch die geſetzlichen Beſtimmungen 
zum Schutze der Beamten gegen Willkür⸗ 
maßnahmen aufgehoben werden ſollten. 


Dieſe Faſſung entſpricht dem Wortlaut 
der Erklärung vom 8. 5. 20. 


Die vorgeſchlagene Faſſung faßt den im 
Entwurf ausgedrückten Gedanken ſchärfer. 


Eine nähere Erklärung des Begriffs 
»Saarländer« iſt nötig, um Auslegungs⸗ 
ſchwierigkeiten zu vermeiden. 


Die Beſtimmung ſoll zur Bernpaltung | 
unwürdiger Perſonen dienen. 


Weil ſich bei dem geringen Umfange 
des Saargebiets das Geſamtgebiet mit 
den Verwaltungsbezirken (Provinz, Re 
gierungsbezirk, Oberlandesgerichtsbezirk, 
Eiſenbahndirektionsbezirk) deckt, iſt eine 
genaue Begriffsbeſtimmung des Wortes 
»Zentralverwaltungs erforderlich. 


1 Artikel 3a (neu). 
E.s ſollen nur ſoviel ausländische Beamte 


in die Zentralverwaltung berufen werden, 


als die nicht ſaarländiſchen Mitglieder der 
Reegierungskommiſſion zu ihrer perſönlichen 
Unterſtützung und zur Verbindung mit der 
Beamtenſchaft benötigen. 


Die gemäß Ziffer VII der Inſtruktion 
des Völkerbundsrates für die Regierungs— 
kommiſſion von den Mitgliedern angenom— 
menen Perſonen gelten nicht als Beamte 
des Saargebiets. 


Die als Beamte zu berufenden Ausländer 
müſſen der deutſchen Sprache völlig mäch— 
tig ſein. 


Die ausländiſchen Beamten ſind Berater 
des Mitgliedes der Regierungskommiſſion. 
Weder fie noch das nach Ziffer VII der 
Inſtruktion des Völkerbundsrates für die 
Regierungskommiſſion angenommene Per⸗ 
ſonal ſollen Vorgeſetzte der Beamten ſein. 
Jedoch iſt der nach Ziffer VI der Inſtruk⸗ 
tion zum Vertreter des franzöſiſchen Mit- 
gliedes der Regierungskommiſſion beſtellte 
Beamte in Vertretung dieſes Mitgliedes 
Vorgeſetzter. Im übrigen erfolgt die Ver- 
tretung durch den dienſthöchſten deutſchen 
Beamten der betreffenden Abteilung der 
Zentralverwaltung. 


Die ausländiſchen Beamten müſſen im 
Beſitz derſelben Vorbildung und der gleichen 
beruflichen Befähigung ſein wie die ent— 
ſprechenden deutſchen Beamten. Sie er— 
halten dasſelbe Gehalt wie deutſche Beamte 
in der entſprechenden Stellung. 


Artikel 5 Satz 2. 
Fällt weg. 


i 


Die vorgeſchlagene Beſtimmung entſpricht 
der Verſicherung des Herrn Präſidenten, 
daß keineswegs beabſichtigt ſei, die Ver— 
waltung in die Hände von Ausländern zu 
legen und daß die Regierungskommiſſion 
nur deswegen zur Anſtellung von Aus— 
ländern geſchritten ſei, weil ſie anfänglich 
den Verhältniſſen fremd gegenüber geſtanden 


„babe und Perſonen ihres Vertrauens hätte 


haben müſſen. 


Eine Beſchränkung, ohne daß die be— 
rechtigten Anſprüche der Mitglieder der 
Regierungskommiſſion verletzt werden. Wenn 
das Beamtenſtatut zuſtande gekommen iſt, 
ſo werden der Regierung auch genügend 
einheimiſche oder andere deutſche Kräfte, 
die mit den beſonderen Verhältniſſen ver— 
traut ſind, zur Verfügung ſtehen, ſo daß 
ein praktiſches Bedürfnis für die Heran— 
ziehung von Ausländern in weiterem Um— 
fange auch nicht vorliegt. 


Dies entſpricht dem Artikel 31 des Ent- 
wurfes. Sonſt können ſie auch zur Auf— 
rechterhaltung der perſönlichen Beziehungen 
des Mitgliedes der Regierungskommiſſion 
mit den Beamten nichts nützen. 


Dies entſpricht den Erklärungen des Herrn 
Präſidenten über den bisherigen Zweck der 
Anſtellung ausländiſcher Beamter und ge— 
nügt den Bedürfniſſen der Regierung. 


Dies entſpricht der Erklärung vom 
8. Mai 1920 und befördert das Gemein— 
ſamkeitsgefühl zwiſchen den einheimiſchen 
und fremden Beamten. 


Nach unſerer Auffaſſung des Artikels 3 
überflüſſig. 


3 


Artikel 6 Abſatz 2 Satz 2 u. 3. 


Es bleibt jedoch jedem Beamten anheim- 
geſtellt, ſchon vorher die Eidesableiſtung zu 
beantragen. Wer die Eidesabnahme be⸗ 
antragt hat, kann nur nach Maßgabe des 
hier feſtgelegten Rechtes entlaſſen werden. 


Artikel 7 Abſatz !. 
Bezüglich der Prüfungen und Aufſtiegs— 


Die vorgeſchlagene Anderung gibt den 
wiederholt kundgegebenen Willen der Re— 
gierungskommiſſion wieder. 


Die Entwickelung in Deutſchland und 


möglichkeiten gilt das am 11. November 1918— das Beſtreben der Beamtenſchaft geht dahin, 


im Saargebiet in Kraft geweſene Recht. 
In Deutſchland eintretende Anderungen 
dieſes Rechtes hat die Regierungskommiſſion 
auch im Saargebiet einzuführen. 


Abſatz 5. 
Hinter Regierungskommiſſion iſt einzu— 
rücken »und nach Zuſtimmung des Ver— 
waltungsbeirats«. 


Teil III, Artikel 8 bis 10. 


Für das Diſziplinarrecht und die Ent— 
fernung vom Amte gelten die vom 11. No⸗ 
vember 1918 in Kraft befindlichen Geſetze. 


In Deutſchland eintretende Anderungen 
dieſes Geſetzes hat die Regierungskommiſſion 
einzuführen. 


die Bedeutung der Prüfungen abzuſchwächen, 
weil es ſich gezeigt hat, daß die Leiſtungen 
in der Praxis häufig ſehr verſchieden ſind 
von denen in der Prüfung, und weil die 
fortwährende Vorbereitung auf neue Prü⸗ 


fungen die Arbeitskraft des Beamten in 


ſehr hohem Maße angreift und ſie ſeiner 
vraktiſchen Tätigkeit entzieht. Es dürfte 
auch im Saargebiet nicht möglich fein, ge- 
eignete Prüfungskommiſſionen für den Auf⸗ 
ſtieg der höheren Beamten zu bilden, weil 
nur wenige höhere Beamte in gehobenen 
Stellen vorhanden ſind und dieſe bei der 
genauen perſönlichen Bekanntſchaft mit dem 
Anwärter in den Verdacht mangelnder 
Sachlichkeit kommen würden. Da ent⸗ 
ſprechende Prüfungskommiſſionen für die 
Geeignetheit zu Beförderungen im übrigen 
Deutſchland nicht beſtehen, ſo entfällt auch 
die Möglichkeit, die Anwärter dieſen zu 
überweiſen. Wenn aber die Durchführung 
des Grundſatzes für Teile der Beamtenſchaft 
nicht möglich iſt, ſo iſt es nicht angängig, 
für andere Beamtenklaſſen daran feſtzuhalten. 

(Wir bemerken aber, daß der Begriff 
»Abteilungsleiter« in Abſatz 3 näher zu 
erklären iſt.) 


Dieſer Zuſatz ſichert die Regierungs⸗ 
kommiſſion vor der Nachrede einer Bevor⸗ 
zugung aus anderen als rein ſachlichen 
Gründen. 5 


Unſer Vorſchlag entſpricht dem § 23 der 
Friedensbedingungen und § 3 der Ver⸗ 
ordnung vom 16. März 1920, der Er— 
klärung des Herrn Präſidenten vom 8. Mai 
und der Erklärung der Regierungskommiſſion 
vom 29. Mai 1920. Die von der Re⸗ 
gierungskommiſſion vorgeſchlagene Anderung 


Abſatz 2 (neu). 
Die Behörden, die im förmlichen Difzi- 


plinarverfahren über deutſche Beamte ent— 


ſcheiden, ſind nur mit deutſchen Beamten 
zu beſetzen. 


Artikel 11. 
Fällt weg. 


Artikel 12. 
Fällt weg. 


2 


177 


— 


des geltenden Diſziplinarrechts kann die 
Beamtenſchaft nicht als eine Verbeſſerung 
des jetzigen Zuſtandes betrachten. 

Nach dem geltenden Recht kann die 
Diſziplinarſtrafe nur von einem unab- 
hängigen Diſziplinargericht ausgeſprochen 
werden, während nach dem Entwurf nur 
Diſziplinarräte mit beratender Stimme be— 
ſtehen und die Entſcheidungen dem Vorge— 
ſetzten vorbehalten bleiben. Dadurch wird 
die von uns erſtrebte Rechtsſicherheit im 
höchſten Maße gefährdet und ein Weg 
eröffnet, um mißliebige Beamte zu entfernen. 
Wir betonen ausdrücklich, daß wir kein be— 
ſonderes Mißtrauen gegen die Regierungs— 
kommiſſion hegen. Wir können aber auf 
den geſetzlichen Schutz gegen Willkürmaß— 
regeln der Vorgeſetzten, den wir ſchon feit 
80 Jahren in Deutſchland genoſſen haben, 
nicht verzichten. Im Gegenteil geht die 


Rechtsentwickelung in Deutſchland und unſer 


Beſtreben dahin, dieſen Schutz noch zu 
verſtärken. 

Die beſtehenden Geſetze haben auch immer 
genügt, um unwürdige Elemente aus dem 
Amte zu entfernen. Ein praktiſches Be— 
dürfnis zu einer Abſchwächung des Schutzes 
der Beamten beſteht alſo nicht. 

Um Mißſtänden, die ſich aus der Ver— 
ſchiedenheit des Difziplinarrechts für Reichs,, 
preußiſche und bayeriſche Beamte ergeben, 
entgegenzutreten und um das Difziplinar- 
recht mit den jetzigen ſtaatsrechtlichen Ver— 
hältniſſen in Einklang zu bringen, iſt die 
Beamtenſchaft gern bereit, zur Ausarbeitung 
eines einheitlichen Diſziplinarrechts mitzu— 
wirken. 


Der Einfluß, den die Regierungskom— 
miſſion im Intereſſe des Dienſtes benötigt, 
iſt durch ihr Recht der Ernennung der 
Mitglieder der Difziplinargerichte, durch 
die Möglichkeit, dem Ankläger Anweiſungen 
zu erteilen, und durch ihr Recht der Berufung 


ſichergeſtellt. 


Iſt ſchon im geltenden Rechte ausreichend 
geregelt. 


Nach geltendem Rechte kann der Beamte 
jederzeit ſein Amt niederlegen. Im Intereſſe 
einer geordneten Verwaltung will die Be- 


Artikel 13 Satz 1. 
Fällt weg. 


Teil IV. Artikel 14 bis 19. 


Die Regierungskommiſſion wird Ver- 
waltungsbeiräte und einen Oberverwaltungs— 
beirat, entſprechend den im übrigen Deutſch— 
land beſtehenden Beamtenausſchüſſen, be— 
ſtellen. 

Anderungen des deutſchen Rechts über 
die Zuſammenſetzung und Befugniſſe der 
Vertreter der Beamten wird die Regierungs- 
kommiſſion im Saargebiet ebenfalls ein⸗ 
führen. | 


Teil V. Artikel 20 bis 25. 


Das Vereins- und Verſammlungsrecht 
wird den Beamten in Gemäßheit der all⸗ 
gemeinen Geſetze, wie ſie am 11. November 
1918 in Gültigkeit waren, gewähleiſtet. 

Den Beamten ſind auch in Zukunft die— 
ſelben Rechte und Verſammlungsfreiheiten 
zu gewähren wie der übrigen Bevölkerung. 


| amtenſchaft aber in die Kündigungsfriſt nach 
$ 2 der Verordnung vom 16. März 1920 
einwilligen. Weiterer Beſtimmungen bedarf 


es nicht. 
Amt ohne geſetzlichen Grund nicht annimmt, 


ſich dadurch diſziplinariſch ſtrafbar macht, 


iſt ſelbſtverſtändlich. 


Eine ſolche Handlungsweiſe wird in den 


= 


j 


4 
— 
E 


Daß derjenige Beamte, der fein 5 


beſtehenden Geſetzen außerdem mit befonde- 


rem Nachteil für den Beamten verknüpft. 


Eine Beſtrafung ohne ein geſetzliches Ver— 


fahren und unter Einſchränkung der Rechts⸗ 


ſicherheit für den angeſchuldigten Beamten 
halten wir aber im Intereſſe grundlos be- 
ſchuldigter Beamten für unbillig. 

Im Gegenteil muß wegen der Schwere 
der zu erwartenden Strafe das Verfahren 
beſonders ſorgfältig und mit Rechtsſiche⸗ 
rungen umgeben ſein. 


Für die Zeiten 


außerordentlicher Gefahren geben die be⸗ | 


ſtehenden Geſetze der Regierungskommiſſion 


Maßnahmen. 


Die Enthebung dienſtuntauglicher Be⸗ 
amten iſt im geltenden Recht mit den nötigen 
Sicherungen gegen Willkür geregelt. 

Im Satz 2 und 3, die ſachlich dem gel- 
tenden Rechte entſprechen, erkennen wir die 
Zuziehung des Verwaltungsbeirates als eine 
erfreuliche Anderung an. 


Dies entſpricht der Regierungserklärung 


vom 29. Mai 1920. Die in Deutfchland 


beſtehenden und erſt recht die in Ausſicht 


genommenen Beamtenvertretungen erſcheinen 


uns zur Herbeiführung eines Vertrauens- 
verhältniſſes zwiſchen Regierung und Be⸗ 


amtenſchaft geeigneter als die vorgeſchlagene 
Regelung, die der freien Wahl der Beamten 
zu wenig Spielraum gibt 


Das am 11. November 1918 geltende 
und gemäß $ 23 der Anlage in Kraft ge⸗ 
bliebene Vereins- und Verſammlungsrecht 


iſt freiheitlich und legt den Beamten keine 


größeren Schranken auf als jedem anderen 
Staatsbürger. Es können ſich hiernach 
Beamte und Nichtbeamte zu Zwecken aller 
Art vereinigen, ſofern ſie nur nicht gegen 
die Strafgeſetze verſtoßen. Die Vereine 


genügend Handhaben für außerordentliche 


Ya 


A — Re A 6 rn r r 
> * 2 f A BE S2 ae E BE 
* n * * 1 9 * 4 * 2 ? 
N * 3 7 9 2 - ’ * 
* 5 


ö 


haben das Recht, miteinander in Verbin— 
dung zu treten, und zwar ſowohl mit in— 
ländiſchen wie ausländiſchen. 

Die Beibehaltung der bisherigen Freiheit 
entſpricht dem Artikel 46 des Friedensver— 
trages und den feierlichen mündlichen Ver— 
ſprechen der Regierungskommiſſion vom 
30. April 1920, daß es ihr völlig fern 
läge, die politiſche Freiheit der Beamten 
anzutaſten, ſowie dem ſchriftlichen Ver— 
ſprechen vom 8. Mai 1920, daß ſie willens 
ſei, den Beamten das größte Wohlwollen 
zu bezeugen. 

Nach § 23 der Anlage zu Artikel 50 der 
Friedensbedingungen können die geplanten 
Anderungen des Staatsrechts und erſt recht 
diejenigen des Straf- und Zivilrechts nur 
nach Anhörung der gewählten Vertreter des 
Volks eingeführt werden. Es iſt gänzlich 
ausgeſchloſſen, daß ein Vertreter des faar- 
ländiſchen Volkes irgend einer Parteirich— 
tung der beabſichtigten Rechtsänderung bei— 
ſtimmt. Der Vorſchlag der Regierung würde 
daher zu unerwünſchten ernſten Meinungs— 
verſchiedenheiten zwiſchen der Regierung und 
der in Ausſicht genommenen Volksvertretung 
führen. 

Die Einſchränkung des Vereins- und Ver⸗ 
ſammlungsrechtes iſt ſtaatspolitiſch aber auch 
nicht notwendig. Irgendwelche Mißſtände 
haben ſich in Deutſchland aus der freiheit— 
lichen Regelung nicht ergeben. Verſtößt der 
Beamte durch die Teilnahme an Vereinen 
oder Verſammlungen gegen ſeine Treupflicht 
oder andere Standespflichten oder gegen das 
Anſehen, das ſein Amt erfordert, ſo werden 
ihn die Diſziplinarbehörden zur Verant— 
wortung ziehen. 

Die beſonderen Strafbeſtimmungen gegen 
die gemeinſame Niederlegung der Arbeit wir— 
ken erfahrungsgemäß nur aufreizend und 
ſind daher in unſerem geltenden Recht be— 
ſeitigt. Ein Bedürfnis für ſolche Beſtim— 
mungen liegt auch nicht vor. Wenn die 
Rechtsverhältniſſe der Beamten befriedigend 
geordnet ſind und die Beſtimmungen 
nach Treu und Glauben eingehalten werden, 
ſo wird die Regierungskommiſſion den Ruf 


der deutſchen Beamtenſchaft als loyal und 


pflichtgetreu beſtätigt finden. Sollte aber 
trotzdem ein Fall einer ſchweren Treue- oder 
Pflichtverletzung vorkommen, ſo geben da— 
gegen das beſtehende Diſziplinarrecht und 
Strafrecht die nötigen Schutzmaßregeln. 


a 


Artikel 26 bis 28.“ 


Die Regierung des Saargebietes wird 
den Beamten an Gehalt, Ruhegehalt, Hinter— 
bliebenenbezügen, ſonſtigen Dienſtbezügen 
und geldwerten Vorteile aller Art dasſelbe 
gewähren, was jeweils das Deutſche Reich, 
Preußen oder Bayern gewährt. Die Be— 
amtengruppen werden entſprechend den 
deutſchen Geſetzen in die Beſoldungsklaſſen 
eingereiht, unbeſchadet des Artikels V Abſ. 3 
der Verordnung vom 16. März 1920. 


Die Regierung wird den Beamten eine 
Wirtſchaftsbeihilfe in ſolcher Höhe gewähren, 
daß ſie imſtande ſind, dieſelbe Lebenshaltung 
zu führen, wie die entſprechenden Beamten 
des übrigen Deutſchlands. 


Bei Bemeſſung der Bezüge wird für die 
Beamten, die ſich im deutſchen Reichs und 
Staatsdienſte befunden haben, die dort 
verbrachte Zeit einer Beſchäftigung im 
Dienſt der Regierungskommiſſion gleich— 
geachtet. 


Artikel 29 Abſatz! Satz J. 


Bei der Ausreiſe aus dem Saargebiet 
dürfen die Beamten und ihre Hinterbliebenen 
ihr ganzes bewegliches Vermögen abgabe— 
frei ungehindert ausführen. Die Ber- 
wertung ihres Grundeigentums unterliegt 
keinen Beſchränkungen. 


Satz 2. 
Fällt weg. 


Artikel 30. 


Im übrigen iſt es nicht mehr wie recht 
und billig, den Beamten im Saargebiet 
bezüglich des Koalitionsrechtes dieſelben 
Freiheiten zu gewähren, wie ſie der § 12 
Abſ. 4 der Friedensbedingungen den fran⸗ 
geilen Arbeitern und Beamten gewähr⸗ 
eiſtet. 


Satz 1 faßt Artikel 26 bis 29 des Ent— 
wurfes zuſammen. 


Satz 2 ſoll verhüten Mißſtimmungen und 
Unzufriedenheit innerhalb der Beamtenſchaft. 


Entſpricht § 5 Abſatz 1 Satz 2 der Ver⸗ 
ordnung vom 16. März 1920. 


Dies entſpricht der Abſicht der Re⸗ 
gierungskommiſſion. Die Verrechnung mit 
dem Heimatsſtaat kann einer beſonderen 
Vereinbarung der Regierungen überlaſſen 
bleiben. 


Das vorgeſehene Recht muß auch für 
diejenigen Beamten gelten. die erſt ſpäter 
ins Saargebiet gekommen ſind. 


ft überflüſſig nach der Zivilprozeß⸗ 
ordnung und den Beſtimmungen über das 
Defektenverfahren. 


Es bedarf einer genaueren Erörterung, 
welche Beſtimmungen des Geſetzes vom 
18. Mai 1907 Anwendung finden ſollen. 


2 f z 


Artikel 31 Satz 3 (neu). 


Alle Verordnungen und Verfügungen der 
Reegierungskommiſſion find in deutſcher 
Sprache zu erlaſſen. 


Artikel 32. 


Bezüglich der richterlichen Beamten, der 
Direktoren der Zentralverwaltung, der 
Landräte und Bezirksamtmänner verbleibt 
es hinſichtlich der Beförderungen bei den 
deutſchen Beſtimmungen. 


Artikel 32a (nen). 


Bezüglich der mittelbaren Staatsbeamten 
wird die Regierungskommiſſion Anderungen 
des geltenden Rechts über ihre Rechts— 
ſtellung und ihr Gehalt im Saargebiet 
einführen. 


Arti bel 32 b (neu). 


Die in dieſer Verordnung verſprochene 
Neueinführung von deutſchen Geſetzen wird 
mit dem durch die beſondere ſtaatsrechtliche 
Stellung des Saargebiets nötig werdenden 
Abänderungen in Anpaſſung an die faar- 
ländiſche Behördenorganiſation erfolgen. 


Wenn die nach einem allgemeinen, gleichen 
und geheimen Wahlrechte gewählte, im $ 23 
der Anlage zu Art. 50 der Friedens- 
bedingungen vorgeſehene Volksvertretung 
der Einführung eines deutſchen Beamten— 
geſetzes widerſpricht, ſo ſoll die Regierungs— 
kommiſſion nicht gehalten ſein, es dennoch 
einzuführen. 


Artikel 32 (neu). 


Den Beamten gleichgeſtellt werden die— 
jenigen Angeſtellten, denen die Anwartſchaft 
auf planmäßige Anſtellung beigelegt iſt, 
und diejenigen, die zur Erfüllung eines 
dauernden Dienſtbedürfniſſes angenommen 
ſind, ſofern ſie 5 Jahre bei einer Behörde 
tätig waren. Die Zeit des Heeresdienſtes 
wird auf die 5 Jahre angerechnet. 


— 181 — 


Dies entſpricht einem praktiſchen Be— 
dürfnis, weil die meiſten Beamten keine 
andere Sprache beherrſchen. 


Es iſt unſer Wunſch, durch dieſes Be— 
amtenſtatut die Rechtsverhältniſſe aller Be— 
amten zu regeln. Bezüglich der Vorberei— 
tungszeit und der Difziplin bedarf es keiner 
beſonderen Beſtimmungen mehr, wenn 
unſere Abänderungsvorſchläge Zuſtimmung 
finden. 


Dies entſpricht dem Wunſche der Kom— 
munalbeamten nach Gleichſtellung mit den 
unmittelbaren Staatsbeamten. 


Die Beamtenſchaft nimmt die erforder: 
liche Rückſicht auf die beſondere Lage des 
Saargebietes und will die Regierung nicht 
in einen Streit mit der Volksvertretung 
bringen. 


Entſpricht der Billigkeit. 


* ren n A 57 ar E 
. ͤ ̃ ̃ ͤ ... ͤ ͤ Ta aa a 
N HEUT ar Be, Ya = ho — * n 
N a De 7 en 1123 R nt 7 


8 182 En | 


Artikel 32d (neu). 


Soweit im Saargebiet keine eigenen 
Prüfungskommiſſionen beſtehen, dürfen die 
Prüfungen bei den deutſchen Stellen abgelegt 
werden. Die Regierungskommiſſion wird 
dieſe Prüfungen anerkennen. 


Artikel 32e (neu). 


Bei der Organiſation der Verwaltung 
ſoll der Verwaltungsbeirat mitwirken. 


Artikel 32f (neu).“ 
$ 2 der Verordnung vom 16. März 1920 
Satz! erhält die Faſſung: Die Regierungs⸗ 
kommiſſion wird etwaigen Geſuchen behufs 
Entlaſſung aus dem Regierungsdienſte ent— 
ſprechen. 


Artikel 33 Nr. 4 (neu). 


Die Verpflichtung der Deutſchen Regie— 
rung, auf Erfordern geeignete Beamte zur 
Verfügung zu ſtellen und die Saarländer 
bei ihren Prüfungskommiſſionen zur Prü⸗ 
fung zuzulaſſen. 


Artikel 34 (nen). 


Dieſes Beamtenſtatut ſoll mit der Deut⸗ 
ſchen Regierung vertragsmäßig vereinbart 
werden und tritt mit dem Abſchluß des 
Vertrages in Kraft. 


Regierung fehlt. 


\ . 


Die Beſtimmung iſt praktiſch nötig. 


Dies entſpricht der mündlichen Zuſiche⸗ 
rung der Regierungskommiſſion. Es iſt 
auch ein praktiſches Bedürfnis, Beamte, die 
die Verhältniſſe kennen, zu der Neuordnung 
zuzuziehen. 


In der amtlichen Veröffentlichung ſteht 
für »wird« das Wort »kann«. Es ſcheint 
ſich um einen Überſetzungsfehler zu handeln. 


Um das Beamtenſtatut durchführen zu 
können, muß die Deutſche Regierung dieſe 
Verpflichtung übernehmen. Es bedarf alſo 
auch inſofern einer vertraglichen Regelung. 


Um den Zweck einer dauernden Regelung 
zu erreichen, kann die Form eines Geſetzes 
oder einer Verordnung nicht genügen, weil 
Geſetze und Verordnungen jederzeit abänder⸗ 
bar ſind. 


Für das Saargebiet iſt noch beſonders 
zu berückſichtigen, daß es nach § 23 der 
Anlage zu Artikel 50 der Friedensbedin⸗ 
gungen zur Abänderung eines Geſetzes nicht 
der Zuſtimmung einer Volksvertretung be— 
darf, daß alſo für uns der ſonſt in allen 
europäiſchen Staaten eingeführte Schutz des 
Volkes gegen willkürliche Maßnahmen der 


Es bedarf daher einer ſtaatsrechtlich 
bindenden Form, um allen Beteiligten die 
nötige Sicherheit zu geben. Dieſe Form 
kann nur der Abſchluß eines Vertrages mit 
der Deutſchen Regierung ſein. 


Nr. 121. 


Eingabe der politiſchen Parteien des Saargebiets an den Völkerbund 
in der Beamtenfrage (Anfang Juli 1920). 


Wir, die unterzeichneten Vertreter der politiſchen Parteien des Saargebiets, 
nehmen uns die Freiheit, dem Völkerbund aus der Fülle der Fragen, die alle Saar— 
gebietsbewohner tief bewegen, als eine beſonders wichtige die Frage der Anſtellung 
ausländiſcher Beamten im Saargebiet zu unterbreiten. 


Die Regierungskommiſſion für das Saargebiet hat wichtige Beamtenſtellen mit 
Ausländern, beſonders ſolchen franzöſiſcher Staatsangehörigkeit beſetzt, wobei ſie zum 
Teil franzöſiſche Offiziere, denen dieſe Stellen von dem früheren franzöſiſchen Militär— 
verwalter übertragen worden waren, übernommen hat. 


Dieſes Verfahren iſt rechtlich ſehr bedenklich, denn nach § 14 des deutſchen Reichs— 
geſetzes vom 22. Juli 1913 (Reichs- und Staatsangehörigkeitsgeſetzb werden Ausländer 
durch den Eintritt als Beamte in den Dienſt des Reiches, eines Einzelſtaates oder 
einer Gemeinde deutſche Reichsangehörige. Das deutſche Recht, das nach § 23 der 
Anlage der Artikel 45 bis 50 der Friedensbedingungen in Kraft geblieben iſt, erkennt 
es als eine nur von einer noch zu erwähnenden Ausnahme durchbrochene Regel an, 
daß alle Beamte deutſche Reichsangehörige ſind, ſei es daß ſie es bei ihrer Anſtellung 
ſchon waren, ſei es daß ſie es durch ihre Anſtellung werden. Durch die Anſtellung 
als Beamter im Dienſte der Regierungskommiſſion aber werden Ausländer keine 
deutſchen Reichsangehörigen, weil ſie nicht in den unmittelbaren oder mittelbaren Dienſt 
des Reiches oder eines Einzelſtaates, ſondern in den Dienſt einer fremden Sou— 
veränität, nämlich des Völkerbundes, treten. Die Übertragung aller Regierungs— 
befugniſſe, die früher dem Deutſchen Reiche, Preußen oder Bayern zuſtanden, auf 
die Regierungskommiſſion durch § 19 der Anlage kann hieran nichts ändern, denn 
dieſe Übertragung iſt nach ausdrücklicher Vorſchrift nur ſoweit erfolgt, als ſich die 
Regierungsbefugniſſe auf das Saargebiet beziehen. Die Einbürgerung eines Aus— 
länders als Deutſcher lediglich mit Wirkung für das Saargebiet iſt aber gedanklich 
unmöglich. Es entſpricht übrigens auch weder dem Willen der Regierungskommiſſion 
noch dem der angeſtellten Ausländer, die deutſche Reichsangehörigkeit zu verleihen 
oder zu erwerben. 

Durch die Friedensbedingungen iſt auch nicht das Reichsgeſetz vom 22. Juli 1913 
ſinngemäß dahin abgeändert worden, daß an die Stelle der deutſchen eine ſaarländiſche 
Staatsangehörigkeit trete, denn nach der ausdrücklichen Beſtimmung des § 27 der 
Anlage gibt es eine ſolche nicht, wie auch allerſeits anerkannt wird. Die Bewohner 
des Saargebiets find deutſche Reichsangehörige geblieben. 

Hiernach kann die Regierungskommiſſion bei Anſtellung von Beamten, wenn 
ſie ſich in den Schranken des geltenden Rechts halten will, nur Deutſche als Beamte 
anſtellen. 

Das geltende deutſche Recht kennt allerdings die Möglichkeit, daß ein Ausländer 
als Beamter angeſtellt wird, ohne die deutſche Reichsangehörigkeit zu erlangen, 
nämlich dann, wenn in der Anſtellungsurkunde ein entſprechender Vorbehalt gemacht 
wird. Dieſe Möglichkeit iſt jedoch nur für ganz beſondere Fälle geſchaffen, haupt— 
ſächlich im Konſulats- und Kolonialdienſt, um geeignete Ausländer zur Bekleidung 
dieſer Amter zu gewinnen. Es war aber nicht die Abſicht des Geſetzes, und das 
Geſetz iſt in Deutſchland auch niemals in dem Sinne angewandt worden, daß die 
leitenden Stellen in der geſamten inländiſchen Verwaltung Ausländern anvertraut 
wurden. Diejenigen Regierungsſtellen, die nach dem am 11. November 1918 geltenden 
Rechte die Beamtenſtellen zu beſetzen hatten, würden ſich einer ſchweren Verfehlung 
gegen ihre ſtaatsrechtlichen Pflichten ſchuldig gemacht haben, wenn ſie, abgeſehen von 
einzelnen ganz beſonders liegenden Fällen, Ausländer ohne Einbürgerung als 
Beamte angeſtellt hätten oder wenn ſie ſogar Ausländer ohne Einbürgerung in die 


13 


— 184 — 


leitenden Stellen berufen hätten. Die am 11. November 1918 in Geltung befindlichen 
Geſetze bleiben aber derart in Kraft, daß ihre Auslegung und Anwendung in der⸗ 
ſelben Weiſe zu erfolgen hat wie bisher, und die Regierungskommiſſion verſtößt 
ebenſo gegen ihre Pflicht, wie es die früheren Behörden getan haben würden, wenn 
ſie, geſtützt auf den bloßen Wortlaut, gegen Sinn und Zweck eines Geſetzes handelt. 


Wir Saargebietsbewohner glauben aber, daß die Frage nicht nur vom Stand⸗ 
punkte der Auslegung einzelner Vertragsbeſtimmungen aus in unſerem Sinne ent⸗ 
ſchieden werden muß, ſondern auch von höheren Geſichtspunkten aus. 


Entſpricht es, ſo fragen wir zunächſt, dem Geiſte des Friedensvertrages und 
den Grundlagen einer Völkerbundsregierung, daß wir ausländiſche Beamte erhalten? 
Dies glauben wir mit Beſtimmtheit verneinen zu können. Die Regierung des Saar⸗ 
gebiets iſt Deutſchland entzogen worden, weil nach Anſicht der Alliierten Frankreich 
ſonſt nicht die genügende Freiheit bei der Ausbeutung der Kohlengruben haben würde. 
Sie iſt aber anderſeits Frankreich nicht übertragen worden, weil dadurch eine 
Fremdherrſchaft im Saargebiet errichtet worden wäre. Hieraus folgt mit Notwendigkeit, 
daß dem franzöſiſchen Einfluß keinesfalls ein größerer Spielraum eingeräumt werden 
darf, als es ſchon der Fall iſt. Das würde aber geſchehen, wenn franzöſiſche Beamte 
uns regieren. Denn dieſe Beamte mögen noch ſo ſehr bemüht ſein, eine neutrale 
Haltung einzunehmen, ſie werden ſich doch niemals von ihrer Herkunft freimachen 
können. Freiwillig oder unfreiwillig werden ſie ſich in ihren Maßnahmen vom 
franzöſiſchen Intereſſe leiten laſſen. Deswegen wird ihnen die übrige Beamtenſchaft 
und die Bevölkerung niemals Vertrauen entgegenbringen. 


Eine der weſentlichſten Rechte, das der Saarbevölkerung im § 28 der Anlage 
gewährleiſtet iſt, iſt ihre Sprache. Die Sprache des Saargebiets iſt deutſch. Wir 
heben dies beſonders hervor, weil in vielfachen Veröffentlichungen, in Zeitungen und 
Schriften des Auslandes die Meinung verbreitet worden iſt, daß hier ein gemiſchtes 
Sprachgebiet ſei. Tatſächlich waren aber vor dem Kriege ausweislich der Volks— 
zählung über 99 v. H. der Bevölkerung deutſcher Mutterſprache. Im öffentlichen 
und privaten Leben herrſchte ausſchließlich die deutſche Sprache. An Fremdſprachigen 
waren im Saargebiet nur einige italieniſche Arbeiter vorhanden. Die Grenze zwiſchen 
dem deutſchen und franzöſiſchen Sprachgebiet liegt weit weſtlich bei Metz und 
Diedenhofen. Es dürfte in den Ländern des Völkerbundes kaum Landſtriche geben, 
in denen unter der Bevölkerung ſo wenig Fremde lebten, wie hier vor der Beſetzung. 
Es widerſpricht der Gewährleiſtung der Sprache, wenn die Bevölkerung mit ihren 
Beamten nur durch den Dolmetſcher verkehren kann. Sie muß ihre Anliegen in 
ihrer Mutterſprache unmittelbar zum Ohr des entſcheidenden Beamten bringen können. 
Es widerſpricht dieſem Recht, wenn in mehreren Abteilungen die oberen Stellen 
lediglich mit Franzoſen und Belgiern beſetzt werden und wenn in dieſen Abteilungen 
die franzöſiſche Sprache als Amtsſprache gilt. Wir erinnern daran, daß die Unruhen 
und Ausſtände in Elſaß⸗Lothringen in der letzten Zeit gerade dadurch hervorgerufen 
worden find, daß den deutſchſprechenden Landeseinwohnern fremdoͤſprachige Beamte 
vorgeſetzt wurden. Wenn ſchon die Einwohner Elſaß-Lothringens dies unerträglich 
fanden, trotzdem es Beamte derſelben Staatsangehörigkeit waren, ſo muß es noch 
mehr für die Einwohner des Saargebiets gelten, die mit ihrem ganzen Denken und Fühlen 
deutſch ſind und bei denen die fremden Beamten einem fremden Staate angehören. 


In der Anſtellung von Beamten, die der deutſchen Sprache in Wort und Schrift 
nicht völlig mächtig ſind, liegt aber auch geradezu eine Rechtsverletzung. Denn das 
im § 28 der Anlage gewährleiſtete Recht der Beibehaltung der Sprache kann nicht 
dahin verſtanden werden, daß die Bewohner des Saargebiets das Recht haben ſollen, 
ihre Sprache im Privatverkehr zu ſprechen. Daß im Privatverkehr jeder in einer 
Sprache ſprechen kann, wie er will, iſt ſo ſelbſtverſtändlich, daß die Annahme wider⸗ 
ſinnig wäre, die alliierten Mächte hätten dieſes Recht noch beſonders feſtlegen wollen. 
Die Beſtimmung des § 28 kann vielmehr nur die Bedeutung haben, daß die deutſche 
Amtsſprache im mündlichen und ſchriftlichen Verkehr der Beamten mit der Bevölkerung 


— 185 — 


und untereinander beſtehen bleibt. Gegen dieſes unſer Recht wird von den ausländiſchen 
Beamten fortgeſetzt verſtoßen. 

Wir können auch weder die Notwendigkeit noch die Zweckmäßigkeit der Ein— 
ſetzung ausländiſcher Beamten einſehen. Wir wollen den Mitgliedern der Regierungs— 
kommiſſion nicht das Recht beſtreiten, ſich mit fremden Privatſekretären, Dolmetſchern 
oder Joniligen Vertrauensperſonen zu umgeben, denn fie kennen unſer Land nicht, fie 
ſind den Verhältniſſen fremd und ſie ſprechen nicht unſere Sprache. Darüber hinaus 
ſcheint uns aber jede Einſtellung von Ausländern unnötig und ſchädlich. Es iſt uns 
unmöglich, Gründe dafür zu finden, daß beiſpielsweiſe die Polizei, die Abteilung des 
Innern, das Verkehrsweſen und das Wohnungsweſen Franzoſen anvertraut worden 
ſind. Zu einer Sicherung der Ausbeutung der Kohlengruben durch Frankreich iſt 
dieſe Maßnahme gewiß nicht notwendig. Dieſe Beamten kommen mit einer fremden 
Vorbildung, mit fremden Anſchauungen zu uns, zum Teil ſind ſie unſeren Verhält— 
niſſen völlig fremd und ſprechen die Landesſprache überhaupt nicht oder nur ſchlecht. 
Wie ſollen ſie Amter verwalten können, zu deren ordnungsmäßiger Ausübung eine 
ſpezielle Vorbildung, eine genaue Kenntnis des deutſchen Rechts, der Verhältniſſe und 
der Bevölkerung unerläßlich iſt? Zu der Bevölkerung kommen die ausländiſchen 
Beamten niemals in ein engeres Verhältnis, fie bleiben ihr innerlich immer fremd. 
und können deshalb keine fruchtbringende Tätigkeit entfalten. Ferner muß der ge— 
ſamte Beamtenkörper notgedrungen geſchwächt werden, wenn er ungleichmäßig zu— 
ſammengeſetzt iſt, wenn auf der einen Seite die meiſten leitenden Stellen mit Aus— 
ländern und alle übrigen Poſten mit Deutſchen beſetzt ſind. Selbſt wenn auf beiden 
Seiten der denkbar beſte Wille vorhanden iſt, ſo werden Reibungen und Mißhellig— 
keiten gar nicht zu vermeiden ſein. Solange Ausländer Vorgeſetzte von deutſchen 
Beamten find, wird es nie zu erſprießlichen Dienft- und Arbeitsverhältniſſen kommen. 
Es kommt noch folgendes hinzu: Die große Maſſe der Beamten ſoll auch nach dem 
Willen der Regierungskommiſſion deutſch bleiben. Es wird aber unmöglich ſein, die 
erforderliche Anzahl dieſer Beamten zu finden, wenn die gegenwärtigen Verhältniſſe 
andauern. Schon trägt ein Teil der Beamten ſich mit dem Gedanken, den Dienſt 
im Saargebiet aufzugeben, weil es ihnen unmöglich erſcheint, unter dieſen Verhält— 
niſſen fortzuarbeiten, und am erſten werden es gerade die tüchtigſten Beamten ſein, 
die von hier weggehen werden. Es iſt mit Beſtimmtheit vorauszuſehen, daß für 
dieſe Beamten ein Erſatz oder wenigſtens ein vollwertiger Erſatz nicht wird gefunden 
werden können, ſolange Ausländer, insbeſondere Franzoſen, ſich in der Stellung von 

Vorgeſetzten befinden. Wenn dann Lücken entſtehen, ſo wird die Regierungskommiſſion 
ſie wieder mit Ausländern füllen, damit aber nur das Übel vergrößern und die 
Kluft zwiſchen Beamtenſchaft und Bevölkerung vertiefen. 


Wir glauben hiernach ohne jede Übertreibung feſtſtellen zu können, daß das Ver— 
bleiben von ausländiſchen, insbeſondere franzöſiſchen Beamten, im Saargebiet einen 
Zuſtand dauernder Unruhe und Spannung ſowohl innerhalb der Beamtenſchaft wie 
2 Beamtenſchaft und Bevölkerung ſchaffen würde. Der leidende Teil bei 

ieſen unerquicklichen Verhältniſſen wäre immer nur die Saarbevölkerung. 


In der Anweiſung, die der Völkerbundsrat am 13. Februar 1920 für die Re- 
gierungskommiſſion aufgeſtellt hat, heißt es unter Ziffer III, daß die Kommiſſion 
keine anderen Intereſſen und Obliegenheiten kenne, als das Wohlergehen der Be— 
völkerung des Saargebiets. Wenn wirklich nach dieſer Anweiſung, die inſoweit 
frühere Zuſicherungen wiederholt, regiert werden ſoll, dann iſt es eines der Haupt— 
erforderniſſe, daß die Beamten, die unſere öffentlichen Angelegenheiten verwalten ſollen, 
aus unſerer Mitte und nicht aus Landfremden genommen werden. Geſchieht letzteres, 
dann wird ſich die Regierungskommiſſion niemals des Vertrauens der Bevölkerung 
erfreuen, dieſe wird vielmehr jede neue Maßnahme der Regierungskommiſſion arg— 
wöhniſch als neuen Franzöſierungsverſuch betrachten. Vielleicht wird ein derartiger 
Argwohn unberechtigt ſein, aber er wird einfach da ſein und mit der Macht einer 
natürlichen Tatſache ſeiner Beſeitigung widerſtehen. 


13 * 


— 7 hr 


Mit diefen Ausführungen wenden wir uns an den Völkerbund. Wir hoffen, 
bei ihm Verſtändnis für die Gerechtigkeit unſerer Bitte zu finden. : 

Wir bitten daher, die Regierungskommiſſion anweiſen zu wollen, daß fie 

die nichtdeutſchen Beamten e und weitere derartige Einſtellungen unter- 
laſſen möge. 

Wir erhoffen dieſe Anweiſung im Vertrauen auf den Beſchluß des hohen Rates 
des Völkerbundes vom 13. Februar 1920, wonach die Regierungskommiſſion des Saar⸗ 
gebiets keinen anderen Obliegenheiten und Intereſſen als allein der Wohlfahrt der 
Saarbevölkerung zu dienen hat. 


Indem wir einer baldigen Antwort in dieſer für uns dringlichen Augeleheeg 
entgegenſehen, verſichern wir unſere ausgezeichnete Hochachtung. 


(Unterſchriften.) 
(Die Eingabe iſt ohne Antwort geblieben.) 


Nr. 122. 


Protokoll über eine Beſprechung der Beamtenfrage zwiſchen Ver⸗ 
tretern der beteiligten Miniſterien in Berlin am 5. Auguſt 1920. 


Vorſitzender 
o 


Die Verhandlungen der Beamtenorganiſationen des Saargebiets mit der Saar⸗ 
regierung haben zu keiner Einigung geführt. Das von der Saarregierung heraus⸗ 
gegebene Beamtenſtatut iſt in grundlegenden Punkten für die Beamten unannehm⸗ 
bar. Hervorzuheben iſt, daß nach dem Statut entgegen den ſchriftlichen Werfpre- 
chungen des Präſidenten Rault die Möglichkeit zur Einſtellung weiterer Ausländer 
beſteht, daß der Begriff »Saarländer« zu Bedenken Anlaß gibt, daß die Beamten 
in ihrem Vereinsrecht geſchmälert werden, und daß namentlich ein Difziplinarver- 
fahren vorgeſehen iſt, das offenſichtlich darauf zugeſchnitten iſt, die Handhabe fin 
eine Entfernung aller deutſchgeſinnten Beamten zu ſchaffen. 


Die Beamtenſchaft iſt nicht geſonnen, dieſes Statut anzuerkennen. Sie hat die 
Arbeitseinſtellung beſchloſſen. Ein Teil der Arbeiterſchaft (Verkehrsarbeiter) will die 
Forderungen der Beamten durch Streik unterſtützen, wenn gewiſſe Bedingungen er⸗ 
füllt ſind. Wie die Arbeitseinſtellung und der Streik auf die übrige Arbeiterſchaft 
wirken würde, läßt ſich nicht beurteilen. Verhandlungen mit allen Arbeiterorgani⸗ 
ſationen über ein gemeinſames Vorgehen haben nicht ſtattgefunden. 

Die Beamtenſchaft und die Arbeiter haben nun folgende Wünſche: 

Die Regierung möge erklären, daß ſie ausgewieſene Beamte anderweit einſtellen 
und nötigenfalls für die zurückgebliebenen Familienangehörigen ſorgen werde, daß 
ſie entlaſſene und ausgewieſene Arbeiter gleichfalls unterbringen und daß fie für den 
Lohnausfall während der Streiktage aufkommen werde. 


In der Ausſprache trat allgemeine Übereinſtimmung darüber zutage, daß bin 
Beamten ein Weiterarbeiten unter dem Statut der Saarregierung nicht zugemutet 
werden könne und daß die Regierung jedenfalls keinem Beamten wegen feiner Teil⸗ 
nahme an der Arbeitseinſtellung die Hilfe verſagen dürfe. Hingegen erſchien für die 
Beamten die Abgabe einer befonderen Erklärung entbehrlich, da der Staatsminiſterial⸗ 
beſchluß vom 26. Juli 1919 ihnen alle i ten Garantien gibt. Die Abgabe 
einer neuen Erklärung erſchien auch bedenklich, da ſie leicht als Aufforderung zur 
Arbeitseinſtellung aufgefaßt werden könnte, was aus naheliegenden Gründen ver— 
mieden werden muß. 

Allſeitige Übereinftimmung herrſchte ferner darüber, daß bezüglich der Arbeiter 
die gewünſchten Erklärungen nicht abgegeben werden können. Irgendwelche 


— 187 — 


Unterſtützung eines Streiks in einem Gebiet, das der deutſchen 
Regierung nicht unterſteht, würde zu Folgen führen, die ſich nicht ab— 
Sehen laſſen, fie würde zudem mit den allgemeinen Richtlinien der 
deutſchen Friedenspolitik nicht in Einklang ſtehen und hat aus dieſen 
Gründen zu unterbleiben. Daß Perſonen, die wegen Beteiligung am Streik 
gemaßregelt oder ausgewieſen werden, nach Möglichkeit geholfen werden muß, wird 
hiervon nicht berührt. 

Die grundſätzliche Stellungnahme zu der Angelegenheit iſt hiernach die: Wenn 
eine Bewegung der Beamten und vielleicht auch der Arbeiter im Saargebiet ausbricht, 
erkennen wir die Gründe dafür als wohlberechtigt an, aber die Bewegung muß 
ſpontan erfolgen und darf von der Regierung in keiner Weiſe gefördert werden. Die 
materielle Hilfeleiſtung für etwaige Opfer der Bewegung iſt eine nicht zu umgehende 
Pflicht der Regierung, bedeutet aber keine Förderung der Bewegung und darf als 
ſolche nicht verwertet werden. . .... 


Es wurden ſodann Einzelheiten des Beamtenſtatuts beſprochen. Die Ausſprache 
hierüber konnte nicht beendet werden. 


Nr. 123. 


| Aufruf der Beamtenſchaft vom 6. Auguſt 1920. 
“Veröffentlicht in den Zeitungen des Saargebiets vom 6. Auguſt 1920.) 
Ein letztes Wort! 

Wenn wir hier zu dem Ausgang der Verhandlungen über das Beamtenſtatut 
nochmals das Wort ergreifen, dann ſtellen wir zunächſt ausdrücklich feſt, daß uns 
dabei keinerlei nationaliſtiſche Gründe leiten, daß wir nicht die Abſicht haben, die 
Souveränität der Regierungskommiſſion anzutaſten, daß wir in keiner Weiſe daran 
denken, gegen die Friedensbedingungen Sturm zu laufen. 


Wir wollen entſprechend dem § 23 der Anlage zu Artikel 50 der Friedens- 
bedingungen nur unſere Rechte gewahrt wiſſen. Wir wollen mindeſtens den 
Zuſtand, wie er am 11. November 1918 beſtand, erhalten wiſſen. Wir wollen uns 
in keiner Weiſe die im übrigen Deutſchland eintretenden Verbeſſerungen abſchneiden 
laſſen. Wir wollen aber unter allen Umſtänden keine Verſchlechterung des be— 
ſtehenden Rechtes. 


Wir haben nichts zu tun mit Unruheſtiftern, Rebellen, Demagogen und etwa 
plünderndem Geſindel. 


In welcher Weiſe hat nun die Regierungskommiſſion dieſen Kampf herauf— 
beſchworen? Sie hat unſere beſtehenden Rechte angetaſtet, hat Verbeſſerungen in den 
wichtigſten Punkten nicht nur verweigert, ſondern obendrein Verſchlechterungen eingeführt. 

Mit der Regierungskommiſſion ſind ſeit Monaten Verhandlungen im Gange. 
Dieſe wurden von unſerer Seite aus durchaus ſachlich und entgegenkommend geführt. 
Die Regierungskommiſſion hat ihrerſeits den Vertretern der Beamtenſchaft mündlich 
gegebene feierliche Verſprechungen gemacht, ſie hat ſchriftliche Zuſagen gemacht, in 
denen ſie die mündlichen Verſprechungen zum größten Teil übergangen hat und hat 
ſchließlich auch in den Verhandlungen die ſchriftlichen Zugeſtändniſſe nicht gehalten. 


Die Regierungskommiſſion hat feierlich erklärt: Die Beamten im Saargebiet 
u» ſich jederzeit mindeſtens ebenſo gut ſtehen wie die Beamten im übrigen Deutſch— 
land. 

Es iſt ganz ſelbverſtändlich, daß dieſe Verſprechungen ſich auf alle Rechte be— 
zogen, aber gerade in den wichtigſten Angelegenheiten, beſonders in bezug auf die 
perſönlichen und politiſchen Freiheiten und Rechte und in bezug auf die Sicherung 
der Lebensſtellung der Beamten, hat die Regierungskommiſſion in keiner Weiſe die 
Erwartungen der Beamten erfüllt. 


e N 
FR | 


Die Vertreter der Beamten find mit unendlicher Geduld bis zum letzten Augen- 
blick beſtrebt geweſen, einen Weg der Verſtändigung zu finden. Sie haben die Ver⸗ 
handlungen nicht abgebrochen, trotzdem ihnen bei den wichtigſten Fragen wiederholt 
jede weitere Diskuſſion unterſagt wurde. Sie haben es hingenommen, daß, nach 
ſtundenlangen Verhandlungen über Einzelheiten des Statuts, die Regierungskommiſſion 
immer wieder ſich über alle Einwendungen mit der Erklärung hinweggeſetzt hat: 
»Wir haben abgeſtimmt, der Text der Regierungskommiſſion bleibt beſtehen «. 

Die Regierungskommiſſion hat das Beſtreben verfolgt, mit allen Mitteln zu 
verhindern, daß die beſtehenden Organiſationen im Saargebiet mit Organiſationen 
außerhalb des Saargebiets in Verbindung bleiben oder in Verbindung treten. Sie 
hat noch in letzter Minute unterſagt, dies ohne ihre Genehmigung zu tun. Ob ſie 
die Genehmigung erteilen wird oder nicht, das ſteht ganz in ihrem Belieben. Die 
Regierungskommiſſion hat, durch erhebliche Einſchränkungen des Vereins- und Ver⸗ 
ſammlungsrechtes, für die Beamten einen unerträglichen Ausnahmezuſtand ſchaffen 
wollen. Ein Beamtenſtand aber, der ſo entrechtet iſt, wie es das Regierungsſtatut 
vorſieht, iſt eine Gefahr für die geſamte Bevölkerung des Saargebiets. 

Die Regierungskommiſſion, die das Saargebiet zu treuen Händen Deutſchlands 
verwalten ſoll, hat ſich wiederholt Rechte zugelegt, die die deutſche Regierung nie 
gehabt hat, die alſo auch der Regierungskommiſſion ſelbſt nach den Friedens⸗ 
bedingungen unmöglich zuſtehen können. 

Was hier mit den Beamten geſchehen ſoll, das kann morgen oder übermorgen 
jeder anderen Klaſſe des werktätigen Volkes in derſelben Weiſe und mit derſelben 
Begründung auferlegt werden. Der Ausgang von anderen Verhandlungen, die mit 
der Regierungskommiſſion von Vertretern anderer Berufskreiſe gepflogen worden find, 
hat immer wieder dasſelbe Bild ergeben wie das vorliegende. 

Es bleibt kein Zweifel mehr übrig: Freiheit und Recht der Saarbevölkerung 
ſind bedroht. | 

Die Regierungskommiſſion ift nach unſerer Anficht verpflichtet, ihr Amt im 
Namen des Völkerbundes und im Sinne der Völkerverſöhnung auszuüben und nach 
den Grundſätzen der Freiheit und Demokratie für das Wohl der geſamten Saar⸗ 
bevölkerung zu ſorgen. Dieſe Aufgaben hat ſie ſich auch in ihren wiederholten feier⸗ 
lichen Proklamationen an die geſamte Bevöllerung zu eigen gemacht. Was in den 
Verhandlungen mit den Vertretern der Beamtenſchaft zutage getreten iſt, läßt alles 
andere erkennen, nur nicht das eine, daß die Regierungskommiſſion auch wirklich 
gewillt iſt, dieſe Aufgaben zu erfüllen. | 

Die Regierungskommiſſion hat zweifellos die Macht, wir haben auf unſerer 
Seite nichts als unſer gutes Recht. 

Wir ſind es aber auch zweifellos uns und unſerer Zukunft ſchuldig, uns nicht 
ohne Not und ohne jede andere Begründung als die Berufung auf die materielle 
Macht auch nur das geringſte von unſerem guten Recht nehmen zu laſſen. 

Es bleibt uns daher nach dem Scheitern der Verhandlungen nichts mehr übrig, 
als daß wir uns an die geſamte Saarbevölkerung wenden, uns in unſerem Kampf, 
den wir auch um das Schickſal des Saargebiets zu führen gezwungen ſind, zu 
unterſtützen. | 

Fort von den Straßen! Strengſte Diſziplin gewahrt! 

Die lebenswichtigen Betriebe, Gas-, Waſſer⸗ und Elektrizitätswerke bleiben 
in Gang. 

Wir verweigern für die Dauer der Aktion nur unſere Arbeitskraft. 

Sabotage irgend welcher Art darf unter keinen Umſtänden verübt werden! 

Wer dieſen Anordnungen zuwiderhandelt, hat ſich die Folgen ſelbſt zuzuſchreiben. 
Niemand wird für ihn eintreten. 

Vertraut Euren Führern! Wartet unter allen Umſtänden ihre Parole ab, ehe 
Ihr die Arbeit wieder aufnehmt! 


5 
2. 
3. 


1 


Unſere Forderungen. 


Wir fordern für die Beamten und Arbeiter die Erhaltung aller Rechte und 
Freiheiten, die am 11. November 1918 in Kraft waren. 

Wir fordern, daß etwa in Deutſchland eintretende Verbeſſerungen von der 
Regierungskommiſſion geprüft und im Saargebiet eingeführt werden. 

Wir fordern, daß die Regierungskommiſſion entſprechend ihren wiederholten 
feierlichen Zuſicherungen die Beamten und Arbeiter im Saargebiet jederzeit 
mindeſtens ebenſo gut ſtellt, wie ihre Berufsgenoſſen im übrigen Deutſchland. 


Wir fordern, daß die Regierungskommiſſion ihr Verſprechen bezüglich der 


Übernahme und Beibehaltung der Beamten und Arbeiter hält. 

Wir fordern die vollkommene Erhaltung der Beamten- und Arbeiterausſchüſſe, 
ihren Ausbau und ihre Entwickelung nach den Grundſätzen, die in Deutſch— 
land in Geltung ſind. 

Wir fordern für uns das uneingeſchränkte Recht, mit unſeren deutſchen 
Groß⸗Organiſationen in Verbindung zu bleiben und mit den Groß Organi⸗ 
ſationen anderer Länder jederzeit in Verbindung zu treten. 


„Wir fordern, daß die Regierungskommiſſion ihr Verſprechen bezüglich der 


Anſtellung von Ausländern im Staatsdienſte hält. 


„Wir fordern die uneingeſchränkte Einführung des Betriebsrätegeſetzes, wie 


es in Deutſchland zur Einführung gelangte. 


„Wir fordern einen unabhängigen Richterſtand, zu dem die ganze Bevölkerung 


Vertrauen haben kann. 


Wir fordern die Beſeitigung der letzten Reſte der Militärherrſchaft. 
Wir fordern energiſche Maßnahmen gegen die Wohnungsnot. 
„Wir fordern durchgreifende Maßnahmen zum Abbau der Preiſe für Lebens- 


mittel und Gebrauchsartikel. 


Wir fordern ausreichende Belieferung mit billigen Kohlen. 
„Wir fordern die Ausweiſung der landfremden Wucherer und Schieber und 


ſtrenge Maßnahmen gegen die einheimiſchen Genoſſen derſelben. 


. Wir fordern an den Zollgrenzen Erleichterungen für die Einführung von 


Lebensmitteln und Bedarfsartikeln aus Deutſchland. 


„Wir fordern die ſofortige Bildung einer Volksvertretung auf Grund all— 


gemeiner, gleicher, geheimer und unmittelbarer Wahlen. 


Wir fordern, daß die Regierungskommiſſion vor dem Zuſammentritt dieſer 


Volksvertretung keine Verſchlechterungen der am 11. November 1918 in 
Kraft geweſenen Geſetze und Verordnungen mehr vornimmt. 


Beamtenbund des Saargebiets: 


Anſchütz. 
Reichsgewerkſchaft deutſcher Eiſenbahn⸗Beamten und Anwärter: 
Schmidt. 
Gewerkſchaft deutſcher Lokomotivführer: 
Goedicke. 
Deutſcher Eiſenbahner⸗Verband: 
Thamerus. 
Gewerkſchaft deutſcher Eiſenbahner und Staatsbedienſteter: 
Biehler. 
Allgemeiner Eiſenbahner⸗Verband: 
Born. 
Fachgewerkſchaft der Eiſenbahnfahrbeamten Deutſchlands: 
Kaufmann. 


Saarpfalzgruppe des Bayeriſchen Beamtenbundes: 
Leibrock. 


— 190 — 


Nu. 124. 
Verhängung des Belagerungszuſtandes im Saargebiet. 


Mit Rückſicht auf den Streik des Eiſenbahnperſonals iſt der Belagerungszuſtand 
über das Saargebiet verhängt. 


Saarbrücken, den 6. Auguſt. 


Der Präſident der Regierungskommiſſion. 
gez. V. Rault. 


Nr. 125. 


Verordnung des Generals Briſſaud⸗Desmaillet über den Belagerungs⸗ 
zuſtand. 


Verordnung. 


Der Kommandierende General der Truppen im Saargebiet verordnet auf Grund 
der Bekanntmachung der Regierungskommiſſion des Saargebiet3 vom 6. Auguſt be⸗ 
e Verhängung des Belagerungszuſtandes: 

Verſammlungen aller Art find verboten. 

2 Anſammlungen von mehr als 3 Perſonen und Umjüge ſind verboten. 

3. Das Waffentragen iſt verboten. Die Gültigkeit aller Waffenſcheine iſt auf- 
gehoben. Ausnahmen können nur von den Militärbefehlshabern und von den oberen 
Sivil und Militärbehörden erlaſſen werden. 

4. Vom 8. Auguſt mittags ab muß jede Perſon, ob Saarländer oder Ausländer, 
eine Ausweiskarte beziehungsweiſe Legitimationspapiere bei ſich tragen. 

5. Fahrzeuge jeglicher Art (Kraftfahrzeuge und ſonſtige Fuhrwerke) werden an 
allen Ausgängen der Städte und Ortſchaften des Saargebiets, welche an den Haupt⸗ 
verkehrswegen gelegen ſind, einer genauen Kontrolle unterworfen werden. 


6. Die Zeitungen haben ſich darauf zu beſchränken, Nachrichten ohne jeglichen 


Kommentar zu veröffentlichen. Sie ſind verpflichtet, alle Verfügungen, Anſchläge und 
Bekanntmachungen des Kommandierenden Generals zu veröffentlichen. Es iſt ihnen 
ſtreng unterſagt, denſelben irgend eine Bemerkung zuzuſetzen. Jede Übertretung dieſes 
Verbots wird die Einſtellung des Erſcheinens der Zeitung nach ſich ziehen. 

7. Alle öffentlichen Lokale ſind vom 7. Auguſt ab um 10 Uhr abends zu ſchließen. 

8. Vom gleichen Tage an darf von 10˙30 Uhr abends ab niemand auf der 
Straße ſein, wenn ihm nicht eine beſondere ſchriftliche Genehmigung von ſeiten der 
Militärbefehlshaber oder der oberen Zivil- und Militärbehörden erteilt worden iſt. 

9. Jedermann, welcher einem requirierten Beamten, Arbeiter oder Angeſtellten 
Unterkunft gewährt, nachdem derſelbe infolge eines Requiſitionsbefehls ſeine Wohnung 
verlaſſen hat, wird in Haft genommen. 

10. Jedermann, welcher einem Fremden, der ohne ordnungsmäßige Legitimations⸗ 
0 das Saargebiet betreten hat, Unterkunft gewährt, wird in Haft genommen 
werden 

11. Jedermann, welcher angeſichts von Abteilungen der bewaffneten Macht feind⸗ 
liche Rufe ausſtößt, wird in Haft genommen werden. 

12. Allen Arbeitern fol es ermöglicht werden, ſich zu ihrer Arbeitsſtelle zu be— 
geben. Die Wachthabenden und Führer von militäriſchen Abteilungen haben alle 
„ Fälle zu unterſuchen, damit jeglicher Mißgriff ſeitens der Wachtvoſten ver⸗ 
mieden werde. 


Saarbrücken, ben Tr Auguſt 1920. 


Der Kommandierende General der Truppen im Saargebiet: 
gez. Briſſaud⸗Desmaillet. 


=> 4101. 


Nr. 126. 


Erklärungen der Gewerkſchaften zu dem Beamtenſtreik. 
(Veröffentlicht in den Zeitungen des Saargebiets vom 7. und 8. Auguſt 1920.) 


a. Erklärung des Verbandes der Bergarbeiter, des Deutſchen Metall— 
arbeiterverbandes und des Ortsausſchuſſes des Allgemeinen Deutſchen 
i Gewerkſchaftsbundes. 


Zu dem ausgebrochenen Arbeiter- und Beamtenſtreik im Saarrevier haben die 
Bezirksleitungen der frei organiſierten Berg- und Metallarbeiterverbände am 6. Auguſt 
d. J. Stellung genommen und erklären: 


Das internationale Arbeitsrecht nach dem Friedensvertrag von Verſailles bedingt 
auch das nationale und internationale Organiſationsrecht der Hand- und Kopfarbeiter 
zur Vertretung ihrer beruflichen Intereſſen. Dieſes Recht darf von keiner Regierung 
angetaſtet werden. | 

Sollte eine Beſchneidung dieſes Rechtes von der Saarregierung gewollt fein, fo 
bedauern wir dies aufs tiefſte. Dann finden wir den Abwehrkampf der Arbeiter 
berechtigt und erklären den Streikenden unſere Sympathie. 

Dagegen ſind wir nicht bereit, für beſondere Privilegien der Beamten einzu— 
treten, da wir gleiches Recht für alle erſtreben. | 
Etwaige alldeutſche Beſtrebungen der Beamtenſchaft können nicht die Unter— 
ſtützung der bei uns organiſierten Arbeiterſchaft finden. Wir fordern die bei uns 
organiſierte Arbeiterſchaft auf, in dieſem Kampfe ruhig Blut zu bewahren und nur 
den Weiſungen der Organiſation zu folgen. 

Die Regierung erſuchen wir, den Forderungen der Hand- und Kopfarbeiter in 
bezug auf Koalitionsrecht und Beſſerſtellung der Lebenslage Rechnung zu tragen und 
darüber baldigſt in Verhandlungen zu treten. 


Verband der Bergarbeiter. 
J. A.: Schwarz. 


Deutſcher Metallarbeiterverband. 
J. A.: Wilhelm. 


Ortsausſchuß des Allgemeinen Deutſchen Gewerkſchaftsbundes (freie Gewerkſchaften). 
Hager. 


b. Erklärung der dem Landesausſchuß des Deutſchen Gewerkſchafts— 
bundes angehörenden Organiſationen. 


Nachdem die Arbeiterſchaft der Poſt und Eiſenbahn ſowie die Beamtenſchaft 
des Saargebiets zur Verteidigung ihrer Koalitionsfreiheit in den Streik getreten iſt, 
ſehen ſich die dem Landesausſchuß des Deutſchen Gewerkſchaftsbundes angeſchloſſenen 
Verbände zu folgender Erklärung veranlaßt: 


Trotz aller prinzipiellen Bedenken gegen die Beſtimmungen des Vertrages von 
Verſailles bezüglich des Saargebiets, die zu erörtern hier nicht die geeignete Stelle 
iſt, ſtehen die dem Landesausſchuß des Deutſchen Gewerkſchaftsbundes angeſchloſſenen 
Organiſationen auf dem Boden der durch dieſen Vertrag geſchaffenen Rechts— 
verhältniſſe. 

Es ergibt ſich hieraus für dieſe Verbände die Verpflichtung, mit allen geſetzlichen 
Mitteln für die Beibehaltung und den Ausbau der in dem genannten Vertrag der 
Bevölkerung belaſſenen Rechte einzutreten. 


— 192 — 

Zu dieſen heiligſten und unverletzlichſten Rechten, beſonders der Arbeiter-, Ange⸗ 
ſtellten⸗ und Beamtenſchaft, gehört in erſter Linie die Koalitionsfreiheit, zu deren 
Verteidigung die Arbeiterſchaft von Poſt und Eiſenbahn ſowie auch die Beamtenſchaft 
in den Streik getreten iſt. 

Es ſoll hier nicht erörtert werden, aus welchen Gründen man es bedauerlicher⸗ 
weiſe verſäumt hat, weder von der einen noch der anderen Seite mit den maßgebenden 
Führern der dem Deutſchen Gewerkſchaftsbunde angehörenden Verbände während der 
ganzen Verhandlungen Fühlung zu nehmen. | 

Im Falle es ſich aber bei dieſer Bewegung nur um die Verteidigung der 
Koalitionsfreiheit und Herbeiführung wirtſchaftlicher Beſſerſtellung handelt, wozu die 
politiſch neutralen, im Deutſchen Gewerkſchaftsbunde vereinigten Verbände ihre 
Unterſtützung leihen, ſind dieſelben bereit, von dieſem, den gewerkſchaftlichen Regeln 
nicht entſprechenden Verhalten abzuſehen und die im Streik Stehenden ihrer vollen 
Sympathie zu verſichern. 

Auch die im Deutſchen Gewerkſchaftsbunde vereinigten Verbände ſtehen auf dem 
unverrückbaren Standpunkt, daß Arbeitern, Angeſtellten und Beamten die volle 
Koalitionsfreiheit auch international geſichert bleiben muß. Es dürfte wohl keine 
Regierung in der Lage ſein, von dieſem Grundſatz abzuweichen, ohne gegen die hei⸗ 
ligſten Menſchenrechte zu verſtoßen und die ſchwerwiegendſten Folgen heraufzubeſchwören. 
Von der Regierungskommiſſion des Saargebiets, als der Vertreterin des Völkerbunds⸗ 
gedankens, der hervorgegangen iſt aus dem Geiſte einer wahren Demokratie, er⸗ 
warten die im Landesausſchuß des Deutſchen Gewerkſchaftsbundes vereinigten Ver⸗ 
bände die volle Zuſtimmung zu dieſem Gedanken. 

Die im Landesausſchuß des Deutſchen Gewerkſchaftsbundes vereinigten Verbände 
erwarten daher, daß auch jetzt noch die Möglichkeit durch baldigſt ſtattfindende Ver⸗ 
handlungen zu einer befriedigenden Einigung geſchaffen wird über die berechtigten 
Wünſche der Streikenden, insbeſondere ſoweit fie die Koalitionsfreiheit und wirt⸗ 
ſchaftliche Beſſerſtellung betreffen. 

Die genannten Verbände werden es im Hinblick auf die ungeheuren Folgen 
außerordentlich bedauern, wenn durch ein weiteres Ablehnen dieſer Wünſche die ge- 
ſamte Arbeiterſchaft in den Glauben verſetzt würde, in einen Kampf für ihre bedrohte 
Koalitionsfreiheit eintreten zu müſſen, die in einem von demokratiſchem Geiſte erfüllten 
Staatsgebilde zu den heiligſten und unverletzlichſten Rechten gehören muß. 

An unſere Mitgliedſchaften richten wir die Aufforderung, gewerkſchaftliche Disziplin 
nach jeder Richtung hin zu halten und nur den Weiſungen ibrer zuſtändigen Organi⸗ 
ſationen zu folgen. 


Für das Landesſekretariat der chriſtlichen Gewerkſchaften. 
J. A.: Kiefer. Pick. Haas. 
Für die dem Geſamtverband der Deutſchen Angeſtelltengewerkſchaften angehörenden 
- Verbände. 
J. A.: Roll. Schmitt. 


c. Erklärung der im Kartell der freien Gewerkſchaften vereinigten 
Verbände. 


Die unterzeichneten Organiſationen erklären hiermit, daß ſie dem Streik der im 
Kampf ſtehenden Beamten und Arbeiter des Saargebiets ihre volle Sympathie ent⸗ 
gegenbringen. 

Sie machen ſich die aufgeſtellten Forderungen voll und ganz zu eigen und werden 
zur Durchſetzung dieſer Forderungen geſchloſſen in den Kampf eingreifen, wenn ſie 
von den ſtreikenden Kollegen dazu aufgerufen werden. 

Das Erſcheinen der Zeitungen ſoll im Intereſſe der Offentlichkeit, ſoweit die 
Verhältniſſe es geſtatten, vorläufig vom Streik unberührt bleiben. | 


— 193 — 


Die Einwohner- und Arbeiterſchaft aber fordern wir auf, möglichſt in den 
Häuſern zu bleiben, keineswegs aber die Kinder allein auf die Straße zu laſſen und 
jede Ruheſtörung zu vermeiden. Wer den Anordnungen und Ermahnungen der 
Führer zuwiderhandelt, hat ſich die Folgen ſelbſt zuzuſchreiben. 


Saarbrücken den 6. Auguſt 1920. 


Ortsausſchuß des Allgemeinen Deutſchen Gewerkſchaftsbundes 
(Gewerkſchaftskartell) Saarbrücken: 


Gerhardt. 
Verband der Bergarbeiter Deutſchlands: 
Hetterich. 
Deutſcher Metallarbeiterverband: 
Wilhelm. 
Deutſcher Transportarbeiterverband: 
Ottilie. 


Deutſcher Bauarbeiterverband: 
Wilhelm. 
Fabrikarbeiterverband Deutſchlands: 
Saar. 


Verband der Maſchiniſten Deutſchlands: 
Breh. 


Deutſcher Holzarbeiterverband: 
Schmidt. 
Angeſtelltenkartell des Saargebiets (Afa): 
Hoffmeiſter. 


d. Erklärung des Gewerkſchaftsrings der Arbeiter- und Angeſtellten— 
Organiſationen vom 8. Auguſt 1920. 


Der Gewerkſchaftsring der Arbeiter- und Angeſtellten-Organiſationen im Saar- 
gebiet verſichert den um ihr freies Koalitionsrecht und die Sicherung ihrer erworbenen 
Rechte im Kampf ſtehenden Beamten und Arbeitern des Saargebiets volle Sympathie 
und gibt der Erwartung Ausdruck, daß bald zwiſchen Regierungskommiſſion und 
Streikleitung eine Einigung über die ſtrittigen Punkte erzielt wird und auch über 
die allgemeinen Forderungen der Streikenden mit Vertretern aller Organiſationen 
Verhandlungen ſtattfinden. 


Die unſeren Organiſationen angehörenden Arbeiter und Angeſtellten werden 
aufgefordert, nur der Parole ihrer Führung zu folgen und ſich nicht zu unüberlegten 
Schritten hinreißen zu laſſen. Genau wie bei dem letzten Metallarbeiterſtreik muß 
es auch jetzt möglich ſein, daß alle direkt Beteiligten und auch die nur indirekt durch 
die Bewegung erfaßten Bevölkerungsteile Selbſtdiſziplin üben und der Behörde keinen 
Anlaß zu verſchärften Maßnahmen geben. 


gez. Heinz. gez. Ecken. 


— 194 — 


Nr, 127. 
Erklärung der Hauptſtreikleitung vom 8. Auguſt 1920. 
(Veröffentlicht in Zeitungen des Saargebiets vom 8. Auguſt 1920) 


Der ſchwere Kampf, den wir trotz aller bisher bewieſenen Geduld und aller 
loyalen Beſonnenheit zu unſerm eigenen Leidweſen zu führen gezwungen find, ver— 
lief bis zum Augenblick, in dem dieſe Zeilen niedergeſchrieben werden, im ganzen 
Saargebiet durchaus in der anſtändigen rein ſachlichen Form, in der wir ihn von 
allem Anbeginn an zu führen feſt entſchloſſen waren. Wir wollen hier die Gelegen- 
heit wahrnehmen, im Namen aller Beteiligten noch einmal ausdrücklich feſtzuſtellen, 
daß gerade von ſogenannter »radikaler« Seite aus immer wieder ermahnt wurde, den 
unvermeidlichen Kampf von allen nationaliſtiſchen und nicht gewerkſchaftlichen Be— 
ſtrebungen frei zu halten, die Souveränität der Regierungskommiſſion nicht anzu⸗ 
taſten, auf dem Boden des Friedensvertrages zu bleiben, Ausſchreitungen und Zus 
ſammenſtöße mit allen uns zu Gebote ſtehenden Mitteln zu verhindern, kurz und 
gut, einen rein ſachlichen und abſolut anſtändigen Kampf um nichts anderes als um 
das zeitgemäße, im Friedensvertrag und in wiederholten, feierlichen Proklamationen 
der Saarregierung zugeſicherte Recht aller Arbeitnehmer, vor allen Dingen aber der 
im Staatsdienſt und bei ſonſtigen öffentlichen Behörden beſchäftigten Beamten und 
Arbeiter, zu führen. In dieſem ehrlichen Beſtreben waren die am Kampf beteiligten 
Vertreter der verſchiedenſten Weltanſchauungen und Parteiſchattierungen ſowie die 
Vertreter der verſchiedenſten Gewerkſchaftsrichtungen vollkommen einig Sie ſind auch 
feſt entſchloſſen, ſich durch nichts von dieſer einheitlichen Auffaſſung, die wohl auch 
die geſamte Bevölkerung verſtehen und gutheißen muß, abbringen zu laſſen. 

Die Führer der Bewegung waren ſich darüber klar, daß man außerhalb ihrer 
Kreiſe unmöglich das gleiche Verſtändnis für das hier vorliegende eigenartige Ver— 
hältnis zwiſchen Arbeitgeber (der in dieſem Falle die Staatsgewalt ſelbſt iſt) und 
Arbeitnehmer vorhanden ſein könne wie bei ihnen ſelber, die ſie Tag für Tag ſich 
mit dieſem Verhältnis eingehend zu beſchäftigen gezwungen ſind. Hier ſei auch gleich 
ohne jede Schärfe auf den Vorwurf eingegangen, den uns ein Teil der Preſſe macht, 
daß mit den politiſchen Parteien keine Fühlung genommen worden ſei. Bisher war 
es nicht üblich, daß bei rein gewerkſchaftlichen Kämpfen die politiſchen Parteien auch 
nur in irgend einer Form in Anſpruch genommen wurden. In unſerem Kampfe 
wäre es aber geradezu eine unverzeihliche Unklugheit geweſen, wenn wir auch nur 
irgend eine politiſche Partei in Anſpruch genommen hätten, denn das iſt ja gerade 
das, was wir nicht wollen, daß dieſer Kampf zu einem politiſchen geſtempelt werden 
könne. Unſere Aktion iſt durchaus keine politiſche! Sie iſt, wie bei allen gewerk⸗ 
ſchaftlichen Kämpfen, abſolut nichts weiter als wie eine reine Auseinanderſetzung 
zwiſchen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es iſt ein Ringen um nichts weiter als 
wie um die Erhaltung und Fortentwicklung des uns zuſtehenden Rechtes auf zeit⸗ 
gemäße wirtſchaftliche, politiſche und perſönliche Freiheit und um die Verbeſſerung 
unſerer wirtſchaftlichen Lage. Daß wir im Rahmen unſerer Streikforderungen dabei 
alles in den Kreis unſeres Ringens zogen, was die geſamte Bevölkerung und mithin: 
uns ſelber bedrückt und behindert, das iſt wohl für jeden vernünftig Denkenden 
durchaus verſtändlich. | An 

Es iſt denn auch bereits eingetreten, wie wir vorausgeſehen haben. Die 
Sympathien aller Kreiſe der Bevölkerung find in dieſem ſchweren Kampf um unfer 
gutes Recht auf unſerer Seite. Alle Arbeitnehmer, ob mit oder gegen ihre Führer, 
warten darauf, daß wir ſie in dem entſcheidenden Augenblick zu Hilfe rufen. Die 
Kampffront auf unſerer Seite iſt vollkommen feſt geſchloſſen. Der Wille zum Durch— 
halten bis zur Durchſetzung unſerer durchaus vernünftigen und gemäßigten Forderungen 
iſt einfach unübertrefflich. Was die Saarregierung in letzter Minute vergeblich ver— 
ſucht hat, die Abtrennung der Intereſſen der Beamten von denen der Arbeiter, das 


— 195 — 


werden nach unſerer felſenfeſten Überzeugung auch alle anderen Kreiſe, die es bewußt 
oder unbewußt wollen, nicht fertig bringen. Was wir verlangen, iſt ja weiter nichts, 
als mindeſtens die Erhaltung des Rechtszuſtandes, wie er am 11. November 1918 im 
Saargebiet Geltung el jeine Fortentwicklung im Geiſte der Zeit, entſprechend den 
Ideen des Völkerbundes, der Freiheit und der Demokratie, einen Beamtenſtand, der 
im Intereſſe der öffentlichen Ordnung und des Allgemeinwohls keinen Ausnahme— 
geſetzen unterworfen iſt, dem die Möglichkeit nicht abgeſchnitten wird, ſich in zeit— 
gemäßem Sinne zu verjüngen und zu reformieren, kurz einen Beamtenſtand, der nicht 
in dem Sinne, wie es das Regierungsſtatut zweifellos zur Folge haben würde, ent— 
rechtet wäre. 

Solange mit Rückſicht auf die beſonderen Verhältniſſe im Saargebiet das nicht 
möglich iſt, was ſelbſt im republikaniſchen Deutſchland bisher nicht möglich war, 
nämlich die Abſchaffung der ſogenannten Sonderprivilegien des Beamtenſtandes, be— 
ſteht auch für die am Kampf beteiligten ſogenannten radikalen Gewerkſchaftsführer 
durchaus keine Veranlaſſung, der Saarregierung einſeitig eine Beſchneidung dieſer 
bisher üblichen Rechte zu geſtatten. Das wären unſeres Erachtens überhaupt Ge— 
ſichtspunkte, die, wenn ſie in einem ſolch ernſten Augenblick in die Debatte geworfen 
werden, keine andere Wirkung haben können, als wie die, daß ſie die erfreulicher— 
weiſe vorhandene Einheitsfront, zunächſt einmal aller ſtaatlichen Arbeitnehmer im 
Saargebiet, zum Schaden der Geſamtheit zerreißen würde. Das würde eine Lage 
ſchaffen, die auch diejenigen nicht wünſchen können, die doch wohl jederzeit gewillt 
ſind, gegen jede Reaktion energiſch Front zu machen. 

Die Führer der Bewegung ſind im übrigen durchaus ebenſo feſt entſchloſſen, 
den Kampf weiterzuführen, wie ſie bereit ſind, in jedem Augenblick mit der Saar— 
regierung auf derſelben Grundlage neue Verhandlungen zu führen, auf der ſie die— 
ſelben in der Vergangenheit geführt haben. 


Einen Verrat an den Intereſſen derer, die ihnen bis heute rückhaltlos ihr Ver— 
trauen geſchenkt haben, können aber die am Kampf führend beteiligten Gewerkſchafts— 
führer in keinem Augenblick begehen, auch auf die Gefahr hin, daß ihnen daraus 
perſönlich die ſchlimmſten Konſequenzen erwachſen könnten. 


Nr. 128. 
Zeitungsverbote im Saargebiet. 


a. 
(Überſetzung.) 


Kommando der Saartruppen. 
Sonderabteilung. Saarbrücken, den 8. Auguſt 1920. 
Nr. 2145/2. 


Notiz für die Preſſe. 
Da die „Saarbrücker Zeitung« ſich nicht nach den Inſtruktionen des Kom— 
mandierenden Generals der Truppen des Saargebiets gerichtet und ohne Genehmigung 


Kundgebungen der Streikleitung wiedergegeben hat, wird ſie für einen Monat 
verboten. 

Die »Völklinger Zeitung«, Filiale der »Saarbrücker Zeitung«, wird gleichfalls 
für dieſelbe Dauer verboten. Am Sitz dieſer Zeitung wird eine Durchſuchung vor— 
genommen werden. 


Der Kommandierende General der Truppen des Saargebiets: 
gez. Briſſaud⸗Desmaillet. 


— 196 — 


b. 
Notiz für die Preſſe. 

Da die »Landeszeitung« ſich nicht nach den Inſtruktionen des Kommandierenden 
Generals der Truppen des Saargebiets gerichtet und ohne Genehmigung Kundgebungen 
der Streikleitung wiedergegeben hat, wird ſie für einen Monat vom heutigen Tage 
ab verboten. 

Eine Durchſuchung wird am Sitz dieſer Zeitung vorgenommen werden. 

Der Eskadronchef und Kommandant der Gendarmerie des Saargebiets wird mit 
der Ausführung dieſes Befehls beauftragt. 


Der Kommandierende General der Truppen des Saargebiets: 
gez. Briſſaud⸗Desmaillet. 


e. 
f (berſetzung.) 
Kommando der Saartruppen.“ Ä 
Sonderabteilung. Saarbrücken, den 13. Auguſt 1920. 


Nr. 2145/2. 
Notiz für die Preſſe. 


Da die »Saar-Zeitung« ſich nicht nach den Inſtruktionen des Kommandierenden 
Generals der Saartruppen gerichtet und ohne Genehmigung Kundgebungen der Streik- 
leitung wiedergegeben hat, wird ſie für einen Monat vom 13. Auguſt 1920 ab ver⸗ 
boten. Eine Durchſuchung wird am Sitz dieſer Zeitung vorgenommen werden. 

Der Eskadronchef und Kommandant der Gendarmerie des Saargebiets wird mit 
der Ausführung dieſes Befehls beauftragt. 

Der Kommandierende General der Saartruppen: 
gez. Briffaud-Desmaillet. 


N 129 
Sympathieſtreik der Bergbeamten. 


Erklärung des Bundes der Bergbeamten an der Saar. 
(Veröffentlicht in den Zeitungen des Saargebiets vom 9. und 10. Auguſt 1920.) 


Die Bergbeamten der Saargruben ſind bekanntlich nicht mehr Beamte in dem 
Sinne wie die geſamte Beamtenſchaft des Saargebiets. Sie ſind vielmehr Privat⸗ 
angeſtellte bei der franzöſiſchen Bergverwaltung. Als der Beamten- und Arbeiter⸗ 
ausſtand einſetzte und die Forderungen bekannt wurden, hielten die Bergbeamten ſich 
für verpflichtet, den Streikenden ihre Sympathie kundzutun, dies umſomehr, als die 
Bergbeamten in ihrer Eigenſchaft als beurlaubte deutſche Beamte dem Beamtenbund 
des Saargebiets organiſatoriſch angegliedert ſind. Die Bergbeamten glaubten ſich 
aus dieſem Grunde auch nicht mit einer entſprechenden Kundgebung in der Preſſe 
zufrieden geben zu dürfen, wie das ſeitens anderer Organiſationen geſchehen iſt. 
Sie hielten ſich für verpflichtet, zum mindeſten durch einen kurzen Proteſtſtreik der 
Saarbeamtenſchaft ihre Sympathie zum Ausdruck bringen zu müſſen. Dementſprechend 
ſtellten die Bergbeamten für Samstag den 7. und Sonntag den 8. Auguſt geſchloſſen 
ihre Dienſte ein. Die Bergbeamten erwarten, durch ihren machtvollen kurzen Proteſt⸗ 
ſtreik erreicht zu haben, daß die franzöſiſche Bergverwaltung alsbald bei der Saar⸗ 
regierung für Verhandlungen mit der Saarbeamtenſchaft eintritt. Dem früheren 
Beſchluſſe entſprechend hat daher die Bergbeamtenſchaft den Dienſt am 9. d. M. 
wieder aufgenommen ). 


5) In der gleichen Zeit wurde auch von den Angeſtellten ſämtlicher Rechtsanwaltsbüros ein 
Sympathieſtreik zur Unterſtützung der Beamtenforderungen durchgeführt. 


5 
2 


* 


— 197 — 


Nr. 130. 


Erklärung der Führer der Arbeiterorganiſationen aller Richtungen 


vom 8. Auguſt 1920. 
(Veröffentlicht in den Zeitungen des Saargebiets vom 9. und 10. Auguſt 1920.) 


Die unterzeichneten Verbände nahmen heute (Sonntag) morgen Gelegenheit, mit 
der Regierungskommiſſion über die Streiklage Rückſprache zu nehmen. 

Die Beſprechungen ſind noch nicht abgeſchloſſen. 

An die Kollegen ergeht deshalb der Ruf, vorläufig nicht in den Streik zu treten, 
weiterhin die Ruhe zu bewahren und nur den Anordnungen der Organiſationen 
zu folgen. 

Allgemeiner Deutſcher Gewerkſchaftsbund: 
Gerhardt, Schwartz, H. Wilhelm. 


Angeſtelltenkartell des Saargebiets »Afa«: 
Hoffmeiſter. 


Landesſekretariat der chriſtlichen Gewerkſchaften: 
Pick, Kiefer, Haas. 


Geſamtverband deutſcher Angeſtellten-Gewerkſchaften: 
Noll. 


Nr. 131. 
Proklamation des Generals Briſſaud⸗Desmaillet vom 9. Auguſt 1920. 


Proklamation. 


In ihrem Streikaufruf haben die Beamten erklärt: 

»Unter keinen Umſtänden werden Sabotageakte vorkommen.« 

Dieſe formelle Erklärung iſt nicht gehalten worden. Sie iſt täglich verletzt 
worden. 

Zahlreiche Sabotageakte ſind vorgekommen. Noch in letzter Stunde ſind 
1 gegen die Eiſenbahn und die Telephon- und Telegraphenanlagen verübt 
worden. 


Attentäter ſind auf friſcher Tat überraſcht worden. Sie ſind verhaftet und 
vor das Kriegsgericht geſtellt worden. 

Andere haben den Warnrufen der Poſten nicht Folge geleiſtet und find entflohen. 
Es iſt Befehl gegeben worden, künftig auf die Attentäter, die auf die vorgeſchriebenen 
Anrufe nicht hören, zu ſchießen. 

Es wird daran erinnert, daß alle Beamte und Angeſtellte, die der Requiſition 
nicht nachkommen, verhaftet und vor das Kriegsgericht geſtellt werden. 

Der kommandierende General konſtatiert mit Freude, daß ſich das ruhige und 
disziplinierte Verhalten der Berg- und Fabrikarbeiter von dem aufrühreriſchen Ver— 
halten der Beamten und Angeſtellten, die verhetzt ſind durch Agitatoren, die ihre 
Parole von auswärts erhalten, beſtens unterſcheidet. 


Der kommandierende General der Truppen des Saargebiets. 
gez. Briffaud-Desmaillet. 


SER 
Nr. 132. 


Proklamation der Regierungskommiſſion des Saargebiets 
vom 9. Auguſt 1920. 


Proklamation. 


Die Bevölkerung des Saargebiets leidet unter den Folgen eines im Geheimen 
vorbereiteten Streikes, den Beamte und Angeſtellte verſchiedener Behörden plötzlich 
vom Zaune gebrochen haben. Die Lebensmittelzufuhr iſt bereits ins Stocken geraten 
und die Teuerung nimmt zu. Die Regierungskommiſſion hat die Pflicht, die Beweg⸗ 
gründe ihrer jetzigen und künftigen Haltung in dieſem Konflikt auseinanderzuſetzen. 

Gleich nach ihrer Ankunft legte ſie die Beſtimmungen des Friedensvertrages, 
betreffs des ihr zuſtehenden Rechtes, Beamte zu ernennen und ihres Amtes zu ent⸗ 
heben, im freiheitlichſten Sinne aus und war ſtets beſtrebt, dieſen ſowohl materiell 
wie moraliſch eine ſichere und ehrende Stellung zu ſichern, die ihren Intereſſen ſowohl 
wie ihrer Würde entſpräche. Die Regierungskommiſſion berief die Beamten zu ſich 
und erkundigte ſich nach ihren Wünſchen. In zahlreichen Sitzungen hat ſie ihnen 
mit unermüdlichem Wohlwollen Gehör geſchenkt. 

Sie hat faſt alle ihre Forderungen anerkannt: In erſter Linie hat ſie verfügt, 
daß die öffentlichen Stellen vor allen Dingen mit Saarbewohnern beſetzt werden 
ſollten; ſie hat den Beamten mindeſtens die gleichen materiellen Vorteile zugeſichert, 
wie ſie das Reich oder die deutſchen Bundesſtaaten gewähren; ſie hat ihrer Zukunft 
Rechnung getragen, für Penſionen geſorgt, ſogar, falls die Beamten dieſen Wunſch 
äußern ſollten, ihre Verſetzung zur deutſchen Verwaltung ermöglicht. | 

Sie hat ferner die Beſtimmungen, nach welchen in Deutſchland Beamtenausſchüſſe 
gegründet werden können und die, nach dem Waffenſtillſtande in Kraft geſetzt, im 
Saargebiet nicht anwendbar waren, vollſtändig in das Statut aufgenommen. 

Unter großen finanziellen Opfern wurden den Beamten Gehälter und Zulagen 
bewilligt, die ihre Lebenslage viel günſtiger geſtalten wie die der übrigen Bevölkerung. 

Der genaue Wortlaut des Beamtenſtatuts, der heute noch der Bevölkerung 
bekanntgegeben werden ſoll, wird es letzterer ermöglichen, ein Urteil zu fällen über 
die Irreführung der Beamten, die unbewußt oder abſichtlich erfolgte, über die Über⸗ 
treibungen und Märchen, mit denen die Aufwiegler gearbeitet haben, um ſie irre— 
zuführen. | 

Wenn die Regierungskommiſſion den Beamten die volle und bedingungslofe 
Koalitionsfreiheit nicht gewährt hat, die ſie den Arbeitern zuerkennt und immer zu⸗ 
erkennen wird, ſo iſt dies nicht in der Abſicht geſchehen, die berufliche und wirt⸗ 
ſchaftliche Freiheit der Beamten einzuſchränken. Niemals hat die Regierungskommiſſion 
die Abſicht gehabt, den Beamten und ihren Familien die Vorteile der Fürſorgever⸗ 
einigungen oder der gegenſeitigen Unterſtützungskaſſen vorzuenthalten. | 

Da der Friedensvertrag der Regierungskommiſſion die Laſt und die Verant⸗ 
wortung der Regierungsgewalt auferlegt hat, konnte ſie nicht dulden, daß die Beamten, 
welche die ausführenden Organe der Zentralbehörde ſind, zu bewußten oder unbe⸗ 
wußten Werkzeugen außerhalb des Saargebiets ſtehender Agitatoren würden, infolge 
eines unkontrollierbaren Anſchluſſes an politiſche Vereinigungen außerhalb des 
Saargebiets. = 

Die Aufwiegler find jetzt erkannt: Noch während die Verhandlungen mit den 
Beamten ſchwebten, iſt die Regierungskommiſſion in den Beſitz von Schriftſtücken 
gelangt, aus denen die Tätigkeit der »Reichszentrale für Heimatdienſt« im Saargebiet 
hervorgeht, deren Agenten den Auftrag haben, beſtändig zu agitieren und die 
Regierungskommiſſion an der Ausführung der Aufgaben zu hindern, die ihr gemäß 
dem Friedensvertrag von Verſailles vom Völkerbunde übertragen wurden. 

Die geheimen Manöver der Verſchwörer des Heimatdienſtes find nunmehr auf 
gedeckt; man kennt ihre Wühlarbeit, die Mittel, mit denen ſie die Preſſe beeinfluſſen, 
und die Zahl der Millionen, über die ſie für ihre Tätigkeit im Saargebiet verfügen. 


D A Se 1 a AR SE EZ 
— 199 — 


= Vertreterin des Völkerbundes und als ſolche für die Aufrechterhaltung der Ruhe 


und Ordnung in der Bevölkerung verantwortlich, iſt die Regierungskommiſſion darauf 
bedacht, die Bewohner des Saargebiets, welche friedlicher Arbeit nachgehen wollen, 


in die Lage zu ſetzen, die ſchädlichen Folgen des Krieges zu überwinden. Sie kann 
deshalb ſolche Wühlarbeit nicht dulden und wird ſie niemals dulden. 

Die Bevölkerung möge ſich beruhigen: die Maßnahmen, die man ergriffen hat 
und vielleicht noch notgedrungen ergreifen wird, ſind nicht gegen die Bevölkerung 


gerichtet, ſondern gegen die betreffenden Agitatoren. 


Die Regierungskommiſſion wird ſich nicht mit ſtreikenden Beamten in Ver— 
handlungen einlaſſen. Es hieße ſonſt, ſie billige, daß Beamten, welchen ſich von 
politiſchen Beweggründen leiten laſſen, das Recht zuſteht, durch verabredete Ein— 
ſtellung der Arbeit oder verbrecheriſche Sabotage das Wohl der Allgemeinheit aufs 
Spiel zu ſetzen. 

Die Beamten ſind mit der Ausführung der Geſetze betraut, und ihre erſte 
Pflicht beſteht darin, die Geſetze zu achten. Von der weiteren Haltung der Beamten 
wird die Haltung der Regierung abhängen. De Regierung wird ſtets gerecht bleiben 
und hat nur einen Wunſch: auch wohlwollend bleiben zu können. 


Gegeben zu Saarbrücken, den 9. Auguſt 1920. 


Namens der Regierungskommiſſion. 
Der Präſident: 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


Nr. 133. 


Erklärung der Hauptſtreikleitung. 
(Veröffentlicht in den Zeitungen des Saargebiets vom 10. und 11 Auguſt 1920.) 


Entgegen den Verſuchen, die den Zweck verfolgen, unſerem Kampf ihm ganz 
fremde Beweggründe zu unterſchieben, geben wir hiermit im Namen ſämtlicher Führer 
der Aktion noch einmal die feierliche, ehrenwörtliche Verſicherung ab, daß unſere Be— 
wegung abſolut nichts mit den Beſtrebungen des Heimatdienſtes oder irgend welchen 
anderen nationaliſtiſchen oder politiſchen Tendenzen zu tun hat. 

Wir kämpfen nur den einen, rein ſachlichen Kampf um die Erhaltung und frei— 
heitliche Fortentwicklung unſerer wirtſchaftlichen, perſönlichen und politiſchen Freiheiten 
und Rechte. 

Unſere Verhandlungen ſind zwiſchen uns und der Regierungskommiſſion geführt 
worden. Wir haben mit unendlicher Geduld und kühler Beſonnenheit verſucht, ein 
erträgliches Ergebnis zu erzielen. Es iſt uns nicht gelungen! Es blieb uns leider 
nichts anderes übrig als der Kampf. 

Eine Verwiſchung unſerer Kampfgründe, eine Verwäſſerung unſeres Kampfzieles 
können wir unter keinen Umſtänden dulden. 

Heimatdienſtverdächtige haben abſolut keinen Einfluß auf unſere Entſchließungen. 

Heimatdienſtverdächtige befinden ſich nicht unter den Mitgliedern der Haupt- 
ſtreikleitung. 

Heimatdienſtideen haben bei der Aufſtellung unſerer Streikforderungen abſolut 
keine Rolle geſplelt. 

Wir geben der Bevölkerung des Saargebiets und der Regierungskommiſſion 
hiermit noch einmal feierlich unſer Ehrenwort, daß wir nichts mit dem Heimatdienſt 
zu tun haben. 

Dies iſt unſer letztes Wort in Sachen »Heimatdienſt«. 


Anſchütz, Thamerus, Biehler, Born, Goedicke, Schmidt, Kaufmann. 
14 


Be 


Nr. 134. 


Erklärung des Gewerkſchaftsrings der Arbeiter- und Angeſtellten⸗ 
2 organiſationen im Saargebiet. 
(Veröffentlicht in Zeitungen des Saargebiets vom 12. Auguſt 1920. 


Der Gewerkſchaftsring der Arbeiter- und Angeſtelltenorganiſationen im Saar⸗ 
gebiet, dem hauptſächlich angeſchloſſen find die Gewerkvereine Hirſch⸗Dunker, der Gewerk⸗ 
ſchaftsbund der Angeſtellten, der Allgemeine Eiſenbahnerverband uſw., vertraut den 
Erklärungen der Streikleitung, daß weder nationaliſtiſche Gründe noch Heimatdienſt⸗ 
propaganda in bewußter Weiſe mitſpielen. 8 

Der Gewerkſchaftsring der Arbeiter- und Angeſtelltenorganiſationen erklärt, daß 
die ihm angeſchloſſenen Verbände rein gewerkſchaftliche Ziele verfolgen, und hier im 
Saargebiet niemals direkte oder indirekte Zuwendungen irgendeiner nationalen 
Propagandazentrale erhalten haben, auch nicht für außergewerkſchaftliche Zwecke. 

Wir nehmen an, daß der Streik lediglich wegen des bedrohten Koalitionsrechts 
und der Sicherung erworbener Rechte begann. 

Unter den erworbenen Rechten verſtehen wir natürlich keine politiſchen Sonder⸗ 
vorteile, für die im demokratiſchen Staat kein Raum mehr iſt. Wie aber die in 
öffentlichen Dienſten des Saargebiets ſtehenden Perſonen alle ſeit der Umwälzung 
in Deutſchland eingeführten Verbeſſerungen ſinngemäß auf das Saargebiet übertragen 
wiſſen wollen, ſo haben ſie auch Recht, wenn ſie keine Verſchlechterungen wollen. 

Von der Streikleitung erwarten wir, daß fie alles tut, um Sabotage⸗Akte zu 
vermeiden und etwa vorgekommene verurteilt, wie es in der erſten Erklärung geſagt 
iſt. Ebenſo erwarten wir, daß auch die Totenbeſtattung im allgemeinen Intereſſe 
freigegeben wird. 

Die von den Organiſationen der freien und chriſtlichen Gewerkſchaften mit der 
Militärverwaltung angebahnten Verhandlungen, denen ſich der Gewerkſchaftsring an⸗ 
geſchloſſen hat, werden hoffentlich der Streikleitung Anlaß geben zur günſtigen Regelung 
ihrer Sache. | 

gez. Heinz. gez. Ecken. 


Nr. 135. 


Bekanntmachung des Generals Briſſaud⸗Desmaillet 
vom 11. Auguſt 1920. 


Generalkommando der Saartruppen. Hauptquartier, den 11. Auguſt 1920. 


Bekanntmachung. 


J. Mit Rückſicht auf die ruhige Haltung der Arbeiterbevölkerung, insbeſondere 
der Bergleute und Metallarbeiter, beſtimmt der General, daß die öffentlichen Lokale 
bis 11 Uhr abends offen bleiben dürfen und daß die Straßen bis Mitternacht für 
den öffentlichen Verkehr freigegeben ſind. 

II. Es wird daran erinnert, daß alle Verſammlungen der vorherigen Genehmigung 
bedürfen. Geſtern hat ein ſaarländiſcher Sportverein ein Feſt veranſtaltet, welches 
von Tauſenden von Perſonen beſucht war. Eine Genehmigung war nicht erteilt 
worden, der Vorſitzende des Vereins wird ſtrafrechtlich verfolgt werden. Der 
Kommandierende General der Truppen im Saargebiet iſt geneigt, Anträge auf 
Genehmigung von Verſammlungen wohlwollend zu behandeln, er kann jedoch nicht 
darauf verzichten, alle Verſammlungen, welcher Art ſie auch ſein mögen, zu beaufſichtigen. 

III. Alle Zeitungen des Saargebiets, deren Erſcheinen bisher nicht verboten 
wurde, werden der Vorzenſur durch das Generalkommando unterworfen. Die Abzüge 
müſſen dem Generalkommando vorgelegt werden, und zwar vor 12 Uhr mittags für 
die Zeitung, welche nachmittags erſcheint, vor 6 Uhr nachmittags für die Zeitung, 
welche am Morgen erſcheint. Es wird in Exinnerung gebracht, daß während der 


n 7 


’ 1 
auswärtige Telegramme und alle Mitteilungen oder Bekanntmachungengzr Regierügßs ce 
kommiſſion oder des Generalkommandos an die Bevölkerung ohne jeg iumentar 
zu veröffentlichen. Jede Zuwiderhandlung gegen dieſe Beſtimmung wird d e 


201 Er 25 
2 * Ma, > an 
. 
Und IL — 


ganzen Dauer des Belagerungszuſtandes die Zeitungen ſich darauf waar 


Verbot des Erſcheinens derſelben, auch des Handelsteiles, nach ſich ziehen. 
Die Abſchnittskommandeure ſind beauftragt, für die Ausführung obiger Be— 
ſtimmung innerhalb ihres Abſchnitts Sorge zu tragen. 


Der Kommandierende General der Saartruppen: 
gez. Briſſaud⸗Desmaillet. 


Nr. 136. 
Verhandlungen zwecks Beilegung des Streiks. 
(Bericht verſchiedener Zeitungen vom 11. Auguſt 1920.) 


Die Vertreter des Kartells wurden Montag Nachmittag (9. Auguſt) zur Regierungs— 
kommiſſion entboten. Dort eröffnete ihnen Generalſekretär Morize namens der 
Regierungskommiſſion folgendes: 

Das Beamtenſtatut iſt von der Regierungskommiſſion angenommen, unterzeichnet 
und veröffentlicht. Um das Anſehen der Regierungskommiſſion nicht zu ſchädigen, 
iſt eine Anderung unter dem Druck des Streiks nicht möglich. Es wird alſo au 
eine Auslegung der ſtrittigen Artikel ankommen müſſen. 

Artikel 23 ſoll ſo ausgelegt werden: Unterbeamte, zu denen in dieſer Hinſicht 
auch die mittleren Beamten zu rechnen ſind, welche Mitglieder einer Arbeitergewerk— 
ſchaft waren, dürfen dieſer Organiſation auch ferner angehören unter der Voraus— 
ſetzung, daß die Verbände keine politiſchen, ſondern lediglich Berufs- und Unter— 
ſtützungszwecke verfolgen. Über den Beitritt zu den anderen großdeutſchen Organi— 
ſationen iſt die Bewilligung der Regierungskommiſſion einzuholen, die, falls es ſich 
nicht um alldeutſche Verbände handelt, gegen die weitere Mitgliedſchaft oder den 
Beitritt Einwendungen wohl kaum erheben dürfte. 

Ein Kartellvertreter regte an, es möge ein Kommentar über ſämtliche ſtrittigen 
Punkte ausgearbeitet werden, der als Grundlage für die Einigungsverhandlungen 
dienen könne. Mit dieſem Vorſchlag war der Vertreter der Regierungskommiſſion 
einverſtanden. Strittig find — nachdem das Koalitionsrecht im Prinzip anerkannt 
werden ſoll — noch die Beſtimmungen über das Diſziplinarverfahren, beſonders 
Artikel 12 und 13, ferner von Teil IV der einleitende Artikel, welcher die Zuſammen— 
ſetzung des Verwaltungsbeirats betrifft, und — abgeſehen von Artikel 23 — die 
Beſtimmungen des Teiles V. 

In der Rückſprache, welche die Kartellvertreter mit der Hauptſtreikleitung hatten, 
kam es zum Teil zu leidenſchaftlichen Auseinanderſetzungen. Die Beamtenvertreter 
erklärten auch hier noch einmal auf das Beſtimmteſte, daß die Bewegung mit dem 
»Heimatdienſt« auch nicht das geringſte zu ſchaffen habe. Ferner ſtellten fie gegen- 
über dem erhobenen Vorwurf, daß die Beamten Sonderrechte beanſpruchten, feſt, 
daß die Beamten auf alle Privilegien durch die Forderung des rechtsrheiniſch geltenden 
Beamtenſtatuts freiwillig verzichtet hätten. Der bezeichnete Vorwurf ſei nur er— 
hoben worden, um eine Spaltung zwiſchen den Arbeitern und Beamten herbeizuführen. 
Die Beamten beanſpruchen keine Privilegien, ſondern ſie verlangen nur, daß ſie nicht 
als Bürger zweiter Klaſſe behandelt werden. Sie verlangen alſo die gleichen Rechte, 
wie ſie den Arbeitern zuſtehen. 

Wegen vorgerückter Stunde wurde die Rückſprache abgebrochen und vereinbart, 
daß am Dienstag früh eine Kommiſſion zuſammentreten ſolle, welche einen als Unter— 
lage für die weiteren Verhandlungen unentbehrlichen Kommentar ausarbeiten ſolle. 


14* 


ud 


2, 
ir 2 
.. 


1 


2 


EUREN 8 * 
5 
cher 
. 


. 


Den Beamtenvertretern blieb im Laufe der Verhandlungen der Vorwurf nicht 
erſpart, daß die Beamten inſofern eine geringe gewerkſchaftliche Schulung verraten 
haben, als ſie in den Streik traten, bevor ſie mit den Arbeiterorganiſationen Rück⸗ 
ſprache gepflogen und diejenigen Aufklärungen über die Streikmotive gegeben hätten, 
die fie jetzt, nach einer viertägigen Streikdauer, zum Vortrage brachten. Die Beamten: 
vertreter erwiderten hierauf, ſie hätten die Bewegung zunächſt als eine reine Ausein⸗ 
anderſetzung zwiſchen Arbeitnehmer und Arbeitgeber angeſehen. Da im vorliegenden 
Falle dieſer Arbeitgeber der Staat ſei, wäre es ihnen inopportun erſchienen, ſich ſo⸗ 
fort an die Gewerkſchaften zu wenden. Es hätte anderenfalls die Bewegung als ein 
Putſchverſuch aufgefaßt werden können, und es mußte von vornherein alles vermieden 
werden, was auch nur im geringſten den Vorwurf hätte als berechtigt erſcheinen 
laſſen können, die Beamten verfolgten mit der Bewegung illegale Zwecke. = 


MT. 13%: 


Mitteilung der Regierungskommiſſion des Saargebiets bezüglich des 
Streiks an die Preſſe. 
(Veröffentlicht in Zeitungen des Saargebiets vom 12. Auguſt 1920.) 


Wühler, unter denen ſich insbeſondere Beamte finden, die ein Intereſſe haben, 
Beunruhigungen hervorzurufen und eine Verlängerung des Streiks zu verurfachen 
zum Zweck, ihre eigenen Intereſſen zu verfolgen, ohne ſich ſelbſt einer Gefahr auszuſetzen, 
aber auch ohne Rückſicht auf die kleinen Beamten und Angeſtellten, die ſie den Nöten 
und Gefahren des Streiks preisgeben, ſetzen folgende tendenziöſen Gerüchte in Umlauf: 

1. »Die Eiſenbahner, welche die Arbeit wieder aufnehmen, werden ſpäter in 

ihrer Beförderung zurückgeſetzt, ja ſogar unter irgend einem Vorwande 
oder auch ohne einen ſolchen entlaſſen werden.« 5 

2. »Die Anſprüche auf Ruhegehalt ſollen nicht mehr gewährleiſtet werden « u. a. m. 

Die Regierungskommiſſion kann nicht umhin, ein derartige Hetze zu brand⸗ 
marken. Sie wird nämlich nicht nur die Eiſenbahner und die Angeſtellten der Poſt⸗ 
und Telegraphenverwaltung ſchützen, welche die Arbeit wieder aufnehmen, ſondern 
ſie wird auch dafür Sorge tragen, daß die Beamten und Angeſtellten, welche ihre 
Pflicht getan und ſomit dazu beigetragen haben, den Dienſt bei den Behörden auf⸗ 
recht zu erhalten, keinerlei Einbuße erleiden, weder bezüglich ihrer wirtſchaftlichen 
Intereſſen noch ihrer Beförderung. er - | 


Nr. 138. 
Vorſchläge der Arbeitervertreter zur Beendigung des Streiks. 


1. Das von der Regierungskommiſſion erlaſſene Beamtenſtatut ſoll in der 
loyalſten und demokratiſchſten Weiſe gehandhabt werden. 

2 Über die ſtrittigen Punkte, insbeſondere über das Diſziplinarverfahren, ſoll 
ein Communiqué beziehungsweiſe Auslegungsbeſtimmungen geſchaffen werden, welche 
die Arbeiter und Beamten befriedigen. 

3. Aus Anlaß des Streiks dürfen Maßregelungen und Strafen infolge der 
Nichteinhaltung des Requiſitionsbefehls nicht verhängt werden. Bereits verhängte 
Strafen find ſofort aufzuheben. Die Beamtenſchaft erwartet, daß die Regierungs- 
kommiſſion dieſe Vereinbarungen in der loyalſten Weiſe zur Durchführung bringt, 
da nur dadurch für die Zukunft Ruhe und Frieden eintreten und die Regierungs⸗ 
kommiſſion ſeitens der Bevölkerung das notwendige Vertrauen erhalten kann. 

4. Mit Beendigung des Streiks iſt der Belagernngszuſtand ſofort aufzu⸗ 
heben. Alle früheren Rechte treten ſofort wieder in Kraft. Das Erſcheinen aller 
Zeitungen wird ebenfalls ſofort wieder garantiert. 

5. Die Regierungskommiſſion erklärt: Der Reichslohntarif für die Eiſenbahn⸗ 
arbeiterſchaft findet im Saargebiet ebenfalls Anwendung. 


7903 


Nr. 139. 


ä | Weiterer Verlauf der Verhandlungen zwecks Beilegung des Streiks; 


Generalſtreik. 
(Mitteilungen der Preſſe des Saargebiets.) 
| Im weiteren Verlauf der Verhandlungen, welche in der Streikangelegenheit 


Bala Generalſekretär Morize als Vertreter der Regierungskommiſſion und den 


eauftragten der nicht im Streik befindlichen Arbeiterorganiſationen als Mittels— 
perſonen am Donnerstag vormittags (12. Auguſt) fortgeſetzt wurden, übergab General— 
ſekretär Morize folgende Erklärung der Regierungskommiſſion als Grundlage 
für die Einſtellung des Streiks: 

»Der Herr Generalſekretär hat der Regierungskommiſſion Bericht erſtattet über 
die Verhandlungen, die er geſtern mit den berufenen Vertretern der Berg- und Metall— 
arbeiter gepflogen hat, welche ſich dem Streik nicht angeſchloſſen haben. Wie ſie es 
bereits getan hat, iſt die Regierungskommiſſion heute wieder gewillt, mit den erwählten 
Vertretern bezüglich der drei Punkte zu verhandeln, welche Herr Wilhelm in einer 
ſchriftlichen Note angeregt hat. Die Regierungskommiſſion erklärt jedoch, daß ſie 
ſich grundſätzlich weigert, Delegierte der im Streik befindlichen Beamten und Arbeiter 
zu empfangen, ſolange dieſelben nicht reſtlos die Arbeit wieder aufgenommen haben. 


Wie die Regierungskommiſſion zu wiederholten Malen erklärt hat, ſteht ſie auf 
dem Standpunkt, daß das Beamtenſtatut, für welches ſämtliche Mitglieder der 
Regierungskommiſſion am 29. Juni 1920 geſtimmt haben, in allen Punkten unab— 
änderlich iſt. Was auch vorkommen mag, wird die Regierungskommiſſion das Statut 
nicht abändern können, und zwar aus folgenden Gründen: 


1. Wenn die Regierungskommiſſion dieſe Verordnung, welche Geſetzeskraft hat, 
ändern würde, ſo würde dieſe Verordnung den Beamten keine Garantie mehr bieten, 
denn es wäre erwieſen, daß die Regierungskommiſſion oder eine ihrer Nachfolgerinnen 
aus freien Stücken von ihr erlaſſene Verordnungen abzuändern ſich anmaßt. 


2. Weil wegen des Ausſcheidens aus der Regierung des ſaarländiſchen Vertreters 
die Regierung nicht mehr voll ählig iſt, und es ihr unmöglich erſcheint, ohne daß die 
Saarländer in der Kommiſſion vertreten ſind, ein Geſetz abzuändern, welches für die 
Saarländer ſelbſt von Wichtigkeit iſt. 


Nach dieſer einleitenden Erklärung wird der Präſident der Regieruͤngskommiſſion 
im Namen derſelben die drei Fragen beantworten, welche in der von Herrn Wilhelm 
überreichten Note niedergelegt ſind. Der erſte Vorſchlag lautet: 


1. Die Abſichten der Regierungskommiſſion find ſchon längſt dieſem Vorſchlag 
entgegengekommen. Als die Regierungskommiſſion für das Beamtenſtatut geſtimmt 
hat, war ſie von dem Wunſche beſeelt, den Beamten das größte Wohlwollen zu be— 
zeugen, ihnen alle Verbeſſerungen ihrer Lage angedeihen zu laſſen, welche in Deutſch— 
land den entſprechenden Beamtenklaſſen gewährt werden, und weitere Verhandlungen 


ie pflegen zum Zwecke, die Ruhegehälter und die wirtfchaftlichen Vorteile, auf welche 


ie Beamten Anſpruch haben, ſicherzuſtellen. 


2. Nach Wiederaufnahme der Arbeit wird die Regierungskommiſſion bereit ſein, 
die Vertreter der Beamten zu empfangen. Sie hat ſich bereits auf die Gedanken— 
gänge des Herrn Wilhelm eingelaſſen, als ſie eine Auslegung der Artikel des Beamten— 
ſtatuts gab, welche das Koalitionsrecht betreffen. Sie hat erklärt, daß es niemals in 
ihrer Abſicht gelegen hat, den Beamten, insbeſondere den mittleren und unteren 
Beamten, zu unterſagen, beruflichen und Fachvereinigungen anzugehören, ſowie Ver— 
einigungen, die Unterſtützungszwecke verfolgen. 

Sie behält ſich lediglich vor, den Beamten irgendwelchen Ranges zu verbieten, 
Vereinigungen anzugehören, welche im Saargebiet politiſche Zwecke verfolgen oder 


. 


politiſche Propaganda betreiben. Sie wird die Beſtimmungen des Statuts ſtrikte 
aufrechterhalten, wenn aber Auslegungen und genaue Erklärungen verlangt werden 
ſollten, iſt die Regierungskommiſſion bereit, dieſelben den Vertreten der Beamten zu 
geben, aber erſt nach Wiederaufnahme der Arbeit. 

3. Bezüglich der Strafmaßnahmen nach dem Streik. Die Regierungskommiſſion 
iſt bereit, nachdem die Beamten durch die Wiederaufnahme der Arbeit das Beamten⸗ 
ſtatut anerkannt haben werden, weitgehendſte Nachſicht vorzuſchlagen bezüglich der 
Beamten und Arbeiter, welche ſich einer ſtrafrechtlichen Verfolgung ausgeſetzt haben. 
Insbeſondere wird ſie auf die Militärbehörde einwirken und dieſelbe bitten, von 
einer Verfolgung der Angeſtellten und Arbeiter vor dem Kriegsgericht abzuſehen, 
welche dem Requiſitionsbefehl keine Folge gegeben haben. Diejenigen jedoch, welche 
ſich des Widerſtandes gegen die Staatsgewalt oder der Sabotage ſchuldig gemacht 
haben, werden dieſer Vergünſtigung nicht teilhaftig werden können. 

Die Regierungskommiſſion iſt weiter entſchloſſen, von den ihr auf Grund des 
Artikels 12 Abſatz 2 zuſtehenden Strafbefugniſſen bezüglich der Streikvergehen keinen 
Gebrauch zu machen. 

Vorliegende Erklärungen der Regierungskommiſſion ſind für dieſelbe nur bindend, 
wenn die Arbeit innerhalb 24 Stunden (Samstag früh) wiederaufgenommen wird. 

Bezüglich der zwei letzten Punkte, welche heute erſt der Regierungskommiſſion 
zur Beantwortung vorgelegt werden, gibt der Präſident folgende Erkläruug: Gleich 
nach der allgemeinen Wiederaufnahme der Arbeit wird der Präſident der Regierungs⸗ 
kommiſſion den Belagerungszuſtand aufheben. Nachdem die Polizeigewalt, die augen⸗ 
blicklich der Militarbehörde übertragen iſt, wieder auf den Präſidenten übergegangen 
ſein wird, wird er innerhalb 24 Stunden die von der Militärbehörde erlaſſenen 
Verbote des Erſcheinens gewiſſer Zeitungen aufheben. 

Die Regierungskommiſſion hat keine weiteren Erklärungen abzugeben und zieht 
ſich hiermit zurück. Wenn die anweſenden Vertreter Erinnerungen zu machen haben, 
ſo werden ſie hiermit gebeten, dieſelben heute nachmittag dem Herrn General vor⸗ 
zutragen. 

Der Präſident wiederholt, daß die Verſprechungen, die er hiermit gemacht hat, 
nur Geltung haben, wenn die Wiederaufnahme der Arbeit nächſten Samstag früh 
erfolgt iſt.« 

(Nach Kenntnisuahme von dieſer Erklärung und nach erfolgter Beratung 
brachen die Arbeitervertreter die Verhandlungen ab und erklärten den Generalſtreik, 
der am 13. Auguſt im ganzen Saargebiet durchgeführt wurde.) 


Nr. 140. 


Bekanntmachungen des Generals Briſſaud⸗Desmaille 
vom 13. Auguſt 1920. 


a. 
Generalkommando der Saartruppen. 


Bekanntmachung. 


Geſtern abend wurden ohne Genehmigung des Kommandanten der Truppen 
Streikaufrufe an die Stadtmauern angeklebt, von den folgenden Gewerkſchaften 
unterzeichnet: f 


Die geſamte Arbeiterſchaft des Saargebiets. 
Kartell der freien Gewerkſchaften. 

Kartell der chriſtlichen Gewerkſchaften. 
Angeſtelltenkartell des Saargebiets — »Afa« —. 
Gewerkſchaftsring der Angeſtellten und Arbeiter. 


— 205 — 


Dieſe Anſchläge haben ſofort eine ernſthafte Erregung auf den Straßen hervor— 
gerufen. Die betreffenden Anſchläge werden unverzüglich durch die Polizeibeamten 
entfernt werden. Der Generalkommandant warnt die Anſtifter dieſer ungeſetzlichen 
Handlung, daß er beim Wiederholungsfalle die Unterzeichner ſofort ausweiſen wird. 


Saarbrücken, den 13. Auguſt 1920. 


Der Generalkommandant. 
gez. Briffaud-Desmaillet. 


b. 
Generalkommando der Saartruppen. 


Bekanntmachung. 


Im Verfolg der Bekanntmachung des Kommandierenden Generals vom 
11. Auguſt 1920 — die Vorzenſur der Zeitungen betreffend — werden hiermit 
Öffentliche Bekanntmachungen aller Art und Plakate aller Art der Vorzenſur durch 
das Generalkommando unterworfen. 


Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis bis zu 1 Jahre beſtraft. 
Saarbrücken, den 13. Auguſt 1920. 


Der Kommandierende General der Truppen im Saargebiet. 
gez. Briſſaud⸗Desmaillet. 


Nr. 141. 


Beendigung des Streiks; Aufhebung des Belagerungszuſtandes 
(14. Auguſt 1920). 


(Mitteilungen in der Preſſe des Saargebiets, vom 15. Auguſt 1920). 


Samstag früh (14. Auguſt) hat nach einem Beſchluß der Organiſationen der 
Beamten und Arbeiter der Verkehrsſtreik ſein Ende gefunden, nachdem in einem 
24ſtündigen Proteſt⸗Generalſtreik die geſamte Beamten⸗ und Arbeiterſchaft ihre 
Geſchloſſenheit bekundet hat, in der Erwartung, daß die Regierungskommiſſion ihre 
in den Verhandlungen mit den Organiſationsvertretern am Donnerstag gemachten 
Verſprechungen erfüllen werde. Nunmehr iſt der Weg zu weiteren direkten Verhand— 
lungen mit den Beamten und Arbeitervertretern frei, zu denen die Regierungs- 
kommiſſion ſich nach Wiederaufnahme der Arbeit bereit erklärt hat. 

Der Belagerungszuſtand im Saargebiet wurde geſtern Samstag (14. Auguſt) 
aufgehoben. 


Nr. 142. 
Endgültige Faſſung des Beamtenſtatuts. 
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 9 vom 14. Auguſt 1920.) 


Das Beamtenſtatut. 


Verordnung. 


Die Regierungskommiſſion verfügt in Gemäßheit des Artikels 49 des Friedens— 
vertrags von Verſailles, ferner in Gemäßheit der SS 16, 19 und 29 der Anlage 
zum Abſchnitt IV Teil 3) des Friedensvertrags von Verſailles, ferner in Gemäßheit 


. 


der Verordnung vom 16. März 1920, die Beamten betreffend, endlich auf Gruß 
der Verhandlung der Regierungskommiſſion vom 29. Juli 1920, was folgt: 


Teil J. 
Allgemeine Beſtimmungen. 


Artikel J. 


Als Beamte der Regierungskommiſſion des Saargebietes gelten jetzt und in 
Zukunft alle Perſonen, welche, nachdem ſie in der vorgeſchriebenen Weiſe vereidigt 
Di find, im Saargebiet bei einer der Regierungskommiſſion unterſtellten Behörde: 

. ein öffentliches Amt bekleiden, das ihnen auf Grund der bis zum 11. No⸗ 
vember 1918 in Kraft geweſenen deutſchen Geſetze die Eigenſchaft eines 
Reichs- oder unmittelbaren Staatsbeamten verliehen hätte, oder 

2. neueingerichtete Amter übertragen erhalten haben, die zur Befriedigung 
eines dauernden Bedürfniſſes von der Regierungskommiſſion eingerichtet 
worden ſind. 

Die Beſtimmungen der Art. 3, 4 und 5 dieſer Verordnung finden Anwendung 
auf die mittelbaren Beamten, die im Dienſte von Verwaltungskörpern (Kreiſen, Ge 
meinden, Diſtrikten uſw.) ſteben, die an der Ausübung obrigkeitlicher Befugniſſe 
teilnehmen, oder mit der Durchführung von Aufgaben, die im öffentlichen Intereſſe 
liegen, betraut ſind, wenn ihre Ernennung der Beſtätigung der Regierungskommiſſion 
unterliegt. Unangetaftet bleibt die geſetzlich gewährleiſtete Selbſtändigkeit der Ver⸗ 
waltungskörperſchaften, denen die fraglichen Beamten angehören. 

Die Volksſchullehrer gelten als unmittelbare Beamte, ohne daß deshalb eine 
Anderung in der N ihrer Beſoldungsweiſe eintritt. 


Artikel 2. 


Die Beamten der Regierung des Saargebiets unterſtehen einzig und allein en 
Regierungskommiſſion, welcher fie Treue und Gehorſam ſchulden. 


Teil II. 
Anſtellung und Beförderung. 
Artikel 3. 


Alle Beamten der Regierung des Saargebiets, mit Ausnahme derjenigen der 
Zentralverwaltung, werden in erſter Linie aus den Reihen der Einwohner des Saar⸗ 
gebiets entnommen werden oder, falls es an ſolchen fehlt, aus Deutſchen, die außer⸗ 
halb des Saargebiets wohnen. Eine Zulaſſung zu einem öffentlichen Amt kann nur 
erfolgen, wenn die dienſtliche Befähigung durch eine erfolgreich beſtandene Prüfung 
erwieſen iſt, oder, wenn eine gleiche oder gleichwertige Vorbildung beſteht, wie bei 
den im Dienſte des Saargebietes ſtehenden Beamten gleicher Ordnung. Die in 
Deutſchland nach Maßgabe einer deutſchen Geſetzgebung, welche nicht im Widerſpruch 
ſtehen darf zu der im Saargebiet geltenden erworbenen oder noch zu erwerbenden Be— 
fähigungsnachweiſe, erkennt die Regierungskommiſſion an. 

Die Zentralverwaltung umfaßt die Direktion und Ober-Aufſichtsſtellen, die in 
jeder Miniſterialabteilung dem Mitglied der Regierungskommiſſion unmittelbar unter⸗ 
ſtellt ſind, welches mit der Leitung dieſer Abteilung beauftragt iſt. Die Beamten 
der Zentralverwaltung üben, wenn die Beſtimmungen des gegenwärtigen Statuts 
nichts anderes beſtimmen, ihr Amt nur in Stellvertretung des Mitgliedes der Regie⸗ 
rungskommiſſion aus, dem ſie unterſtellt ſind. 


Artikel 4. 


Sollte es der Regierungskommiſſion unmöglich ſein, Beamte zu finden, welche 
den obenerwähnten Anforderungen entſprechen, ſo behält ſie ſich das Recht vor, 
nach Rückſprache mit den Vertretern der Beamten Perſönlichkeiten nach freiem 
Ermeſſen zu berufen. 


ud Artikel 5. 

Die endgültige Anſtellung erfolgt erſt nach einer Probezeit, deren Dauer bei 
den einzelnen Behörden verſchieden ſein kann, die jedoch drei Jahre nicht überſchreiten 
darf. Vor der endgültigen Anſtellung iſt der Verwaltungsbeirat zu hören, deſſen 
Einrichtung in Artikel 15 vorgeſehen iſt. Für Kriegsbeſchädigte oder Kriegshinter— 
bliebene kann die Dauer der erwähnten Probezeit auf die Hälfte herabgemindert 
werden. 

Artikel 6. 


Jeder unmittelbare oder mittelbare Beamte, der im Dienſt der Regierung des 
Saargebietes oder eines Verwaltungskörpers in demſelben angeſtellt iſt, hat der 
ri in Gegenwart eines von ihr beſtimmten Vertreters folgenden Treueid 
zu leiſten: 

»Ich ſchwöre der Regierungskommiſſion als Vertreterin des Völker— 
bundes Gehorſam den Geſetzen und gewiſſenhafte Erfüllung meiner Dienſt— 
obliegenheiten«. 

Die Beamten, welche bisher deutſchen Behörden angehörten und auf welche der 
Artikel 1 der Verordnung vom 16. März 1920 Anwendung zu finden hat, können 
zur Eidesleiſtung erft nach dem Ablauf der in dieſem Artikel vorgeſehenen Friſt von 
ſechs Monaten veranlaßt werden. 

Es soll jedoch jedem geſtattet fein, die Abnahme des Eides ſchon vor dem Ablauf 
der fraglichen Friſt zu beantragen. Diejenigen, welche den Eid geleiſtet haben und 
in ihrem Amt durch die Regierungskommiſſion beſtallt worden ſind, ſollen nur noch 
auf Grund eines Diſziplinarverfahrens entlaſſen werden können, wie es durch Die. 
beſtehenden Geſetze und Verordnungen vorgeſehen iſt. 


Artikel 7. . 

Die Beförderungen in eine höhere Gehaltsklaſſe werden entſprechend den Be— 
ſtimmungen des Reichsbeſoldungsgeſetzes vom 30. April 1920, des preußiſchen Be— 
ſoldungsgeſetzes von 7. Mai 1920 und den entſprecheuden bayeriſchen Geſetzen neueſten 
Datums geregelt werden, vorbehaltlich der Vereinheitlichung und Anpaſſung derſelben 
an die beſonderen Verhältniſſe des Saargebietes. 

Etwa in Deutſchland in Zukunft vorgenommene Anderungen ſollen von der 
Regierungskommiſſion geprüft werden zum Zwecke, dieſelben den Beamten des Saar— 
gebietes zugute kommen zu laſſen. 

Unbeſchadet der etwaigen Anderung des Artikels 5, Abſ. 3 der Verordnung vom 
16. März 1920 ſollen die gegenwärtig im Saargebiet im Dienſt ſtehenden Beamten 
hinſichtlich ihrer Gehaltsbezüge in die einzelnen Klaſſen der angeführten deutſchen 
Beſoldungsgeſetze eingereiht werden, unter Anlehnung an die beſonderen Verhältniſſe 
des Saargebietes. | 


Teil III. 
Diſziplinarverfahren. 
Artikel 8. 


Jeder Beamte iſt der vorgeſetzten Behörde gegenüber für ſeine Amtshandlungen 
verantwortlich. Im. Falle von dienſtlichen Verfehlungen können folgende Strafen 
verhängt werden: 


1. Ordnungsſtrafen: 
a) Verwarnung, 
b) Verweis ohne Eintragung in die Perſonalakten, 
e) Verweis mit Eintragung in die Perſonalakten. 


2. Diſziplinarſtrafen: 
a) Strafverſetzung von Amts wegen, 
b) Strafverſetzung mit oder ohne Verſetzung in ein Amt niedrigen Ranges, 


BE) 


c) Dienftentlaffung ohne Verluſt des Titels und des Anſpruchs auf 
Ruhegehalt, 


d) Dienſtentlaſſung mit allen geſetzlichen Nebenwirkungen. 


Die Ordnungsſtrafen werden von der unmittelbar vorgeſetzten Behörde verhängt. 

Die Diſziplinarſtrafen können nur nach vorausgegangenem Diſziplinarverfahren, 
welches eine Vorunterſuchung und ein kontradiktoriſches Verfahren vorausſetzt, aus⸗ 
geſprochen werden. Die Strafen werden von der unmittelbar vorgeſetzten Behörde 
verhängt nach gutachtlicher Außerung des Verwaltungsbeirats, der als Difziplinarrat 
einberufen wird. Der beim Diſziplinarrat tätige Berichterſtatter verſieht zu gleicher 
Zeit das Amt eines Anklagevertreters (Regierungskommiſſars). Derſelbe wird von 
dem zuſtändigen Mitglied der Regierungskommiſſion eingeſetzt und darf nicht Mitglied 
des Verwaltungsbeirats ſein. 

Artikel 9. 

Keine Diſziplinarſtrafe darf verhängt werden, ohne daß dem betroffenen Beamten 
Gelegenheit gegeben worden iſt, die Akten einzuſehen und ſich ſchriftlich zu recht— 
fertigen. Er kann ſich von einem Verteidiger verbeiſtanden laſſen. | 


Artikel 10. 


Der von einer Difziplinarftrafe betroffene Beamte kann bei dem Mitglied der 
Regierungskommiſſion, welchem die Behörde, der der Beamte angehört, unterſtellt 
iſt, Berufung einlegen. Dieſes entſcheidet endgültig nach gutachtlicher Außerung des 
im Artikel 17 vorgeſehenen Oberverwaltungsbeirats, der als Diſziplinarrat einberufen 
wird. Die Dienſtentlaſſung und die Amtsentſetzung dürfen jedoch nur durch einen 
oberſten Diſziplinarrat beſchloſſen werden, welcher aus drei Mitgliedern der Regierungs⸗ 
kommiſſion beſtehen ſoll, und zwar unter Einhaltung der oben erwähnten Förmlich⸗ 
keiten. Das Amt des Anklagevertreters (Regierungskommiſſars) bei dem Oberſten 
Diſziplinarrat hat der Abteilungsdireftor der Zentralverwaltung zu verſehen, dem 
der betreffende Beamte unterſtellt iſt. Der betreffende Direktor hat keine beſchließende 
Stimme. 

Artikel 11. 


In ſchweren und dringenden Fällen, wenn das dienſtliche Intereſſe es erfordert, 
kann der Beamte durch den zuſtändigen Abteilungsdirektor, den Abteilungsleiter oder 
den hierzu ermächtigten Direktions- oder Oberaufſichtsbeamten zeitweilig feines Amtes 
enthoben werden. Die Diſziplinarbehörde, welcher der ſeines Amtes enthobene Beamte 
innerhalb eines Monats zu überweiſen iſt, hat darüber zu entſcheiden, ob dem Beamten 
das während der Dauer ſeiner Amtsenthebung von ihm bezogene Gehalt abgezogen 
werden ſoll. 

Artikel 12. 


Kein Beamter kann ohne gerechtfertigten Grund und ohne Genehmigung der 
vorgeſetzten höchſten Behörde ſeinen Dienſt verlaſſen. Jede Zuwiderhandlung gegen dieſe 
Vorſchrift kann die Anwendung der im Artikel 8 vorgeſehenen Diſziplinarſtrafen nach 
ſich ziehen, unter Verwirkung des im Artikel 10 eingeräumten Berufungsrechtes. 

Bei verabredeter oder gleichzeitig erfolgter Dienfteinftellung kann Beſtrafung ohne 
Anhörung der verſchiedenen Diſziplinarräte erfolgen. 


Artikel 13. 


Jeder Beamte, deſſen Unfähigkeit von ſeinen Vorgeſetzten feſtgeſtellt worden iſt, 
kann nach Anhörung des Verwaltungsbeirates ſeines Amtes enthoben werden. 

Der Verwaltungsbeirat entſcheidet, ob der des Dienſtes enthobene Beamte eine 
ſeiner Dienſtzeit entſprechende Penſion erhalten ſoll, wenn er noch nicht die Mindejt- 
dienſtzeit abgeleiſtet hat, welche das Geſetz für die Erwerbung eines Anſpruchs auf 
Ruhegehalt vorſieht. Die nähere Regelung der Ruhegehaltsfrage wird durch eine 
ſpätere Verordnung erfolgen. 


67900 


Artikel 14. 


Bezüglich der mittelbaren Beamten werden die Ordnungsſtrafen (welche feine 
Dienſtentlaſſung vorſehen) von der örtlichen vorgeſetzten Behörde verhängt, der dieſe 
Beamten unterſtellt find, in Gemäßheit des bisherigen Verfahrens. Die Difziplinar- 
ſtrafen (welche die Dienſtentlaſſung nach ſich ziehen) werden nach dem üblichen 
Diſziplinarverfahren verhängt: 
1. von dem Kreisausſchuß in den Fällen, in denen derſelbe bisher zuſtändig 
war, d. h. bezüglich der Unterbeamten der Kreiſe und Gemeinden; 
2. durch den Verwaltungsausſchuß des Saargebiets in den Fällen, in denen 
das vor dem Waffenſtillſtand geltende deutſche Geſetz den Bezirksausſchuß 
für zuſtändig erachtete; a 
3. in letzter Inſtanz von einem Diſziplinarrat, der aus drei Richtern des 
Oberverwaltungsgerichts und drei höheren Beamten zuſammengeſetzt ſein ſoll, 
welch letztere von der Regierungskommiſſion ernannt werden. 
Den Vorſitz führt einer dieſer Beamten, deſſen Stimme bei Stimmengleichheit 
den Ausſchlag zu geben hat. 
Dieſes Kollegium wird die Befugniſſe beſitzen, welche die deutſche Geſetzgebung 
dem Oberverwaltungsgericht in Berlin zuſpricht. 
Die Regierungskommiſſion behält ſich auf Grund ihres Oberaufſichtsrechts 
jederzeit vor, das Diſziplinarverfahren einzuleiten und die oberſte Inſtanz anzurufen. 


Teil IV. 
Verwaltungsräte. 


Artikel 15. 


Bei allen Behörden, die der Regierungskommiſſion unterſtellt ſind, wird neben 
dem Vorſtand ein Verwaltungsbeirat beſtehen. 


Dieſe Verwaltungsbeiräte, deren Beſetzung jeweils im Verhältnis zur Wichtigkeit 
der verſchiedenen Behörden nicht immer der Zahl nach die gleiche zu ſein braucht, 
ſollen zuſammengeſetzt ſein: 

1. zu ein Drittel aus den oberſten Beamten der betreffenden Behörde, und 

zwar unter Berückſichtigung des Dienſtalters; 


2. zu ein Drittel aus den gewählten Vertretern der Angehörigen dieſer 
Behörde; 


3. zu ein Drittel aus Mitgliedern, welche von dem zuſtändigen Mitglied der 
Regierungskommiſſion ernannt ſind, und zwar unter Berückſichtigung der 
allgemeinen Intereſſen, die ſie vertreten, oder ihrer Fachkenntniſſe. Dieſelben 
brauchen nicht der betreffenden Behörde anzugehören. 

Der Verwaltungsbeirat wird alle drei Jahre erneuert. Der Vorſitzende wird 


von dem Mitglied der Regierungskommiſſion ernannt, dem die Behörde unterſtellt 
iſt. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorſitzenden den Ausſchlag. 


Artikel 16. 


Der Verwaltungsbeirat kann bezüglich aller Verwaltungsfragen gehört werden, 
welche die Regierungskommiſſion ihm zu unterbreiten für nützlich hält. 


Artikel 17. 


Falls der Verwaltungsbeirat als Difziplinarrat zuſammentritt, darf er nicht in 
Anweſenheit derjenigen feiner Mitglieder beraten, welche einem niedrigeren Range 
angehören, als der unter Anklage ſtehende Beamte; hingegen muß mindeſtens ein 
Mitglied an der Beratung teilnehmen, welches dieſelben Fachkenntniſſe beſitzt wie der 
Beſchuldigte, wenn es ſich darum handelt, eine techniſche Verfehlung zu beurteilen. 


ea 


Artikel 18. 


Bei der Regierungskommiſſion wird ein Oberverwaltungsbeirat eingerichtet, 
deſſen Zuſammenſetzung die folgende iſt: 

1. die Direktoren der Zentralverwaltung; 

2. drei Mitglieder, welche von der Geſamtzahl der Vertreter der Angehörigen 
aller Behörden in den Verwaltungsbeiräten erſter Inſtanz zu wählen ſind; 

3. drei Mitglieder, welche nicht den Behörden anzugehören brauchen und 
welche wegen ihrer Fachkenntniſſe und der von ihnen vertretenen allge 
meinen Intereſſen von dem Präſidenten der Regierungskommiſſion ernannt 
werden können. | | 


Der Vorſitzende wird vom Präſidenten der Regierungskommiſſion ernannt. 
Seine Stimme gibt bei Stimmengleichheit den Ausſchlag. 


Artikel 19. 


Der Oberverwaltungsbeirat kann bezüglich aller Verwaltungsfragen gehört 
werden, welche die Regier ungskommiſſion ihm zu unterbreiten für nützlich hält. Er 
iſt berechtigt, in bezug auf die ihm unterbreiteten Fragen Wünſche zu äußern. Er 
wird vom Präſidenten der Regierungskommiſſion einberufen, ſo oft derſelbe es für 
nützlich hält. 

Er äußert ſich gutachtlich über die von den Beamten eingebrachten Anträge in 
dem im Artikel 10 vorgeſehenen Falle. 


Artikel 20. 

Später zu erlaſſende Ausführungsbeſtimmungen werden die Anwendbarkeit der 
vorliegenden Verordnung bezüglich der Zahl, der Einrichtung und der Tätigkeit der 
Verwaltungsbeiräte, ſowie das Verfahren bei denſelben, wenn ſie als Diſziplinarräte 
in Tätigkeit treten, feſtſetzen. 

Artikel 21. 

Bezüglich der mittelbaren Beamten werden Verwaltungsbeiräte erſter Inſtanz 
eingerichtet, welche je zu einem Drittel folgendermaßen zuſammengeſetzt ſind: 

J. aus gewählten Vertretern der in Frage kommenden Beamtenklaſſe für jede 

einzelne Selbſtverwaltung; 
2. aus den wichtigſten örtlichen Beamten; | 

3. aus Mitgliedern, welche von der Regierungskommiſſion ernannt werden, 

und zwar vorzugsweiſe aus der Zabl derjenigen Perſönlichkeiten, die Be— 
ziehungen zu dem betreffenden Verwaltungsbezirk haben. 

Bezüglich der unmittelbaren Beamten wird ein Oberverwaltungsbeirat eingerichtet, 
welcher je zu ein Drittel folgendermaßen zuſammengeſetzt iſt: 

1. aus gewählten Mitgliedern der Beamten in den Verwaltungsbeiräten in 

erſter Inſtanz; 

2. aus höheren Kommunalbeamten, z. B. den Bürgermeiſtern größerer Städte; 

3. aus Mitgliedern, welche von der Regierungskommiſſion ernannt und vor⸗ 
nehmlich aus der Zahl der Beamten des Miniſterialreſſorts genommen werden 
können, welchen die Oberaufſicht über die Ortsverwaltung obliegt. (Ab⸗ 
teilung des Innern, Abteilung für Schulweſen uſw.) | 


Teil V. 
Beamtenausſchüſſe und Beamtenvereinigungen. 


Artikel 22. 


Die Beamten können Beamtenausſchüſſe bilden, welche grundſätzlich gemäß den 
Vorſchriften des Erlaſſes des preußiſchen Staatsminiſteriums vom 24. März 1919 
zuſammengeſetzt ſein dürfen. 


wu RE 
Etwaige ſpätere Anderungen auf dieſem Gebiet durch die deutſchen, preußiſchen 
oder bayeriſchen Geſetze ſollen durch die Regierungskommiſſion zum Zweck ihrer An— 


lehnung an die beſonderen Verhältniſſe des Saargebietes geprüft werden. 


Artikel 23. 

Die Beamten ſind befugt, zur näheren Prüfung und Verteidigung ihrer Verbands— 
intereſſen und der Intereſſen des Dienſtzweiges, dem fie angehören, berufliche Ver- 
einigungen zu bilden. Dieſe Vereinigungen dürfen keinerlei politiſche Ziele verfolgen. 
Sie 2 1 270 den geſetzlichen Vorſchriften über die Anmeldung, die im Saargebiet 
in Kraft ſind, und außerdem den Vorſchriften dieſer Verordnung. Ihre Satzungen 
bedürfen der Genehmigung der Regierungskommiſſion. 


Artikel 24. 
Ohne Genehmigung der Regierungskommiſſion iſt es den Beamten des Saar— 
gebiets unterſagt, irgend welchem beruflichen Vereine, Verbande oder Vereinigung 
außerhalb des Saargebiets anzugehören. 


Artikel 25. 


Die beruflichen Beamtenvereinigungen ſind rechtsfähig innerhalb der ihnen durch 
die geltenden Geſetze geſteckten Grenzen. Nur Beamte, die ſich noch im Dienſt be— 
finden, können dem Vorſtande oder dem Verwaltungsausſchuß einer derartigen Ver— 
einigung angehören. 

Artikel 26. 

Die Beamtenvereinigungen haben das Recht, ihre vorgeſetzte Behörde und die 
Mitglieder der Regierungskommiſſion unmittelbar in allen Fragen anzurufen, die mit 
ihren Verbandsintereſſen und den Standesintereſſen ihrer Mitglieder im Zuſammen— 
hang ſtehen. 

Artikel 27. 

Zuwiderhandlungen gegen die Beſtimmungen der Artikel 12, 23 und 24 können 
die Auflöſung der Vereinigung nach ſich ziehen, unbeſchadet etwaiger Diſziplinar— 
maßnahmen gemäß Teil 3 dieſes Statuts hinſichtlich der Beamten, die dem Vorſtand 
der Vereinigung angehören, oder eines jeden anderen Beamten, der für die betreffende 


Zuwiderhandlung verantwortlich wäre. 


| Artikel 28, 
Die Mitglieder des Vorſtandes und des Verwaltungsausſchuſſes einer aufgelöften 
Vereinigung können während eines Zeitraumes von 5 Jahren kein Vorſtandsamt in 
einer Beamtenvereinigung bekleiden. 


Artikel 29. 


Die Beſtimmungen dieſes Teiles bezüglich der Beamtenausſchüſſe und der Beamten- 
vereinigungen finden gleichfalls auf die mittelbaren Beamten allgemeine Anwendung. 


Teil VI. 
Gehalt, Ruhegehalt und wirtſchaftliche Vergünſtigungen. 


Artikel 30. 


Das Gehalt und die Zulagen der Beamten, deren Bezahlung dem Etat des 
Saargebiets zur Laſt fällt, werden nach Maßgabe der Beſtimmungen bezüglich der 
Gehälter und Zulagen berechnet, welche im Reichsbeſoldungsgeſetz vom 7. April 1920 
enthalten ſind. Den Beamten wird die Aufrechterhaltung der Gehälter, Ruhegehälter, 
Hinterbliebenenbezüge und weiterer geldlichen Vorteile zugeſichert, nach Maßgabe der 
im Saargebiet geltenden deutſchen Geſetze, unter Anlehnung an die beſonderen Ver— 


; 
pt 


— 212 — 


hältniſſe des Saargebietes. Eine Teuerungszulage wird den Beamten gemäß Artikel 5 
der Verordnung vom 16. März 1920 bewilligt werden. Geeignete Wohnungen werden 
in Anwendung der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 7. Mai 1920 den 
Beamten zur Verfügung geſtellt werden. | 


Artikel 31. 


Alle Verbeſſerungen bezüglich der Gehälter oder Ruhegehälter uſw. der Beamten 


auf Grund der nach dem Waffenſtillſtand oder in Zukunft erlaſſenen deutſchen Geſetze 
werden durch die Regierungskommiſſion geprüft werden zum Zweck der Bewilligung 
der entſprechenden Vorteile den Beamten des Saargebietes, damit dieſelben zu keiner 
Zeit ſchlechter geſtellt ſeien wie die deutſchen Beamten, welche im Reich in ent⸗ 
ſprechenden Stellungen ſich befinden. In Anwendung des § 29 der Anlage zum 
Friedensvertrag wird den Beamten, die das Saargebiet verlaſſen wollen, jede Er- 
leichterung gewährt werden, um ihr Grundeigentum zu behalten oder zu angemeſſenen 
Preiſen zu verkaufen und ihr Mobiliar frei von allen Gebühren mitzunehmen. 


Ihr Gehalt kann nur in den von der deutſchen Geſetzgebung, die ſich am 
11. November 1918 in Kraft befand, vorgeſehenen Fällen gepfändet oder gekürzt 
werden, abgeſehen des Falles der Verſchuldung eines Rechnungsführers der Regierungs⸗ 
kommiſſion gegenüber, unbeſchadet des Rechts der Rechnungsführer, eine Entſcheidung 
durch die zuſtändigen Gerichte herbeizuführen. Wenn jedoch ein Beamter ſein Amt 
niederlegen oder das Saargebiet verlaſſen ſollte, ohne die in der Verordnung vom 


16. März 1920 vorgeſehene Kündigungsftiſt einzuhalten, fo könnte das Eigentum 


dieſes Beamten bis zur Höhe des von ihm unrechtmäßiger Weiſe im voraus bezogenen 
Gehaltes gepfändet werden. 


Teil VII. 
Schlußbeſtimmungen. 


Artikel 32. 


Im allgemeinen ſollen für die Rechtslage, die Rechte und Pflichten der Beamten 
des Saargebiets die Beſtimmungen des Reichsbeamtengeſetzes vom 18. Mai 1907 
Anwendung finden, ſoweit ſich dieſelben der beſonderen Verwaltungsorganiſation des 
Saargebietes anpaſſen laſſen und ſie nicht in Widerſpruch ſtehen mit den Verordnungen 
der Regierungskommiſſion, welche im Saargebiet Geltung haben. Die Anpaſſung 
der deutſchen Geſetzgebung auf die Stellung der Beamten des Saargebiets im 
Rahmen des Geſetzes von 1907 als Grundlage der Vereinheitlichung ſoll nach Prüfung 
durch die Regierungskommiſſion im Einvernehmen mit den Beamten erfolgen. 


Artikel 33. | 
Die deutſche Sprache ift die Amtsſprache. Die Unkenntnis einer anderen Sprache 
ſoll den Beamten nicht zum Nachteil werden. 
Artikel 34. 


Die Beſtimmungen dieſer Verordnung finden keine Anwendung auf die richter⸗ 
lichen Beamten, auf die Beamten der Zentralverwaltung noch auf die Landräte. 
Für dieſe Beamtenklaſſen wird ein beſonderes Statut ausgearbeitet werden. 


Gegeben zu Saarbrücken, den 29. Juli 1920. 
Die Regierungskommiſſion: 
gez. V. Rault, A. v. Boch, Lambert, Moltke-Huitfeld, R. D. Waugh. 


Für die Richtigkeit: 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


— 213 — 


Nr. 143. 


Bericht über den Verlauf des Beamtenſtreiks und die Maſſen⸗ 
| ausweiſungen. 


In der Nacht vom 5. zum 6. Auguſt 1920 wurde die allgemeine Streikparole 
ausgegeben. Der Beamtenausſchuß, der ſich zugleich als Streikleitung etabliert hatte, 
veröffentlichte kurz vor Ausbruch des Streiks ein Rundſchreiben, in dem er die Gründe 
des Streiks, den Verlauf der Verhandlungen und ihren Abbruch darlegte. Das Rund— 
ſchreiben ſchloß mit einer kurzgefaßten Aufzählung von 17 Streikforderungen. 

Da die Regierungskommiſſion gleich nach Ausbruch des Streiks die vollziehende 
Gewalt in die Hand des kommandierenden Generals der Truppen im Saargebiet, 
Briſſaud⸗Desmaillet, legte und dieſer auf Grund der Verordnung vom 23. April 1920 
ſofort die Requiſition des Eiſenbahnperſonals anordnete, wurden ſchon am 6. und 
7. Auguſt Eiſenbahnbeamte verhaftet und Hausſuchungen in ihren Wohnungen vor— 

enommen. Die meiſten Beamten brachten ſich deshalb ſchleunigſt in Sicherheit, in— 

ſie teils das Saargebiet verließen, teils ſich bei Freunden und Bekannten ver— 
borgen hielten oder auch in die Wälder flüchteten. So konnten den meiſten Beamten 
die Requiſitionsbefehle nicht zugeſtellt werden. Bei einigen höheren Eiſenbahnbeamten 
erſchienen franzöſiſche Offiziere und forderten fie unter Vorlegung eines Requiſitions— 
befehls auf, ſofort zum Dienſt zu erſcheinen. Sie lehnten ab und erklärten, daß ſie 
nur der Gewalt weichen würden. Darauf wurden ſie von einer Patrouille abgeholt 
und auf die Eiſenbahndirektion gebracht. Dort war ihnen aber ein Arbeiten, ſelbſt 
wenn ſie gewollt hätten, nicht möglich, weil faſt das geſamte Perſonal fehlte. 

Der Eiſenbahnverkehr ruhte ſchon am erſten Streiktag ſo gut wie vollkommen. 
Einige Züge wurden durch franzöſiſche Genietruppen und anſcheinend auch durch 
herangeholte franzöſiſche Eiſenbahnbeamte gefahren, doch nur unter großen Schwierig— 
keiten. Offenbar verſtand ſich das franzöſiſche Perſonal nicht auf die Bedienung der 
deutſchen Stellwerke und Lokomotiven; Weichen wurden deshalb mit dem Brecheiſen 
aufgebrochen. Viele Bahnhöfe wurden militäriſch beſetzt und abgeſperrt. 

Herr von Boch trat bereits am 6. Auguſt zurück und ſtellte dem Völkerbund ſein 
Mandat zur Verfügung. Er hatte vorher eine heftige Auseinanderſetzung mit dem 
Präſidenten der Regierungskommiſſion. Dieſem wurden in den nächſten Tagen auch 
von einem anderen Mitglied der Kommiſſion Vorwürfe gemacht. 

Am 7. Auguſt wurde eine Verordnung über den Belagerungszuſtand erlaſſen. 
In der Proklamation!) wurden Verſammlungen uſw. verboten und mit Strafe bedroht. 

Die Beamten der Gruben veranſtalteten, um ihrer Sympathie für die anderen 
Beamten Ausdruck zu geben, einen zweitägigen Streik vom 7. bis zum 8. Auguſt. 

Einige Zeitungen wurden auf mehrere Wochen verboten. Die Redaktionsräume 
und die Wohnungen ziemlich vieler Redakteure wurden durchſucht, von den Redakteuren 
auch mehrere verhaftet, während andere ſich in Sicherheit brachten. 

Die Bevölkerung, die vollſtändig auf Seiten der Beamten ſtand, verhielt ſich 
vollkommen ruhig. Zu Zuſammenſtößen mit dem Militär kam es nicht. Leider haben 
trotz des dringlichen Verbots der Streikleitung einzelne Beamte an Stellwerken, 
Weichen und Telephonleitungen Sabotage verübt. Einigermaßen erklärlich iſt dies 
durch die Erbitterung, die durch das brutale Vorgehen des Militärs gegen die vom 
Dienſt ferngebliebenen Beamten entſtanden war; auf dieſe veranſtalteten nämlich 
Militärpatrouillen in der Umgegend, beſonders in den Wäldern, eine regelrechte Jagd. 
Die bei Sabotage ertappten Beamten ſollen vor ein Kriegsgericht geſtellt werden. 

Die Streikleitung mußte ſich ſchon am erſten Tage in Sicherheit bringen. Hier— 
durch wurde der Streik tatſächlich der Führung beraubt. Am 7. Auguſt kam das 
Kartell der freien Gewerkſchaften den Beamten zu Hilfe. Mehrere Gewerkſchafts— 


) Vgl. Nr. 125. 


7 214 . 17 


ſekretäre erſuchten die Regierungskommiſſion um Wiederaufnahme der Verhandlungen 
und ließen ſich auch von der mühſam zuſammengeholten Streikleitung Aufſchlüſſe geben. 

Die Regierungskommiſſion lehnte zunächſt eine Beſprechung mit den Kartall⸗ 
vertretern ab, erſuchte dann aber ſelbſt um eine ſolche Beſprechung auf den 8. Auguſt. 
In dieſer Beſprechung erklärte der Präſident der Regierungskommiſſion, der ganze 
Streik ſei eine von alldeutſchen Elementen und Drahtziehern außerhalb des Saar- 
gebiets eingefädelte Meuterei. Dies gehe aus den bei dem früheren Abgeordneten 
Ollmert gefundenen Dokumenten klar hervor; darin ſei auch die Rede von 5 ½ 
Millionen, die die deutſche Regierung für alldeutſche Zwecke und dauernde Unruhe 
ſtiftungen gegen die Regierungskommiſſion bewilligt habe. Er werde das geſamte 
bei Ollmert gefundene Material den Arbeitervertretern zur Verfügung ſtellen. 

Während die Arbeitervertreter im allgemeinen der Anſicht waren, daß dieſe 
Beſchuldigungen gegen die Beamten zunächſt mit dieſen beſprochen werden müßten, 
begnügten ſich die Gewerkſchaftsſekretäre B. und K. ohne weiteres mit dieſen Be⸗ 
hauptungen und verbreiteten in Bergarbeiterkreiſen die Nachricht, der ganze Streik 
ſei alldeutſche Mache und deshalb von den Arbeitern zu verwerfen. Die anderen 
Arbeitervertreter erklärten nach Einſichtnahme in das Ollmertſche Material, daß von 
alldeutſcher Hetze und ſonſtigen verwerflichen Tendenzen keine Rede ſein könne. Ein 
Gewerkſchaftsſekretär erklärte ſogar, wenn das Weſen des Heimatdienſtes in dem 
Material vollſtändig zum Ausdruck gekommen 'ſei, ſo wäre es Pflicht eines jeden 
Arbeiters, ſich auch dem Heimatdienſt zu widmen. | 

Alle Gewerkſchaften veröffentlichten nunmehr Erklärungen, worin fie etwaige all- 
deutſche Beſtrebungen der Beamten ablehnten, im übrigen ihnen aber ihre volle 
Sympathie in ihrem Kampf um Koalitionsfreiheit und wirtſchaftliche Beſſerſtellung 
ausſprachen. Auch die Streikleitung gab öffentlich und unter Ehrenwort die Er- 
klärung ab, daß ſie mit alldeutſchen Kreiſen und mit dem Heimatdienſt nie Be⸗ 
ziehungen unterhalten habe. Die Streikleitung wurde hierauf durch Hinzuziehung 
von Vertretern des Kartells der Gewerkſchaften erweitert, erhielt freie Betätigungs⸗ 
möglichkeit und nahm ihren Sitz im Eiſenbahndirektionsgebäude. 

Die Verhandlungen der neuen Streikleitung mit der Regierungskommiſſion 
gingen anfangs ſtockend vorwärts. Nach einigen Tagen erklärte die Regierungs⸗ 
kommiſſion, das ſchon am 29 Juli unterzeichnete Beamtenſtatut, das ſie am 9. Auguſt 
im »SaarKurier« veröffentlicht hatte, ſei in allen Punkten unabänderlich.“) 5 

Die Streikleitung ordnete auf Grund dieſer Erklärungen die Arbeitsaufnahme 
für den 14. Auguſt an. Am gleichen Tage wurde der Belagerungszuſtand aufgehoben, 
ebenſo die Zeitungsverbote. | | 

Das Militär hatte inzwiſchen mit Gewalt durchgegriffen und häufig jedes Maß 
überſchritten. Wenn Beamte gefunden wurden, wurden fie nicht ſelten ſchwer ge⸗ 
ſchlagen. Einzelne Militärperſonen ſchlugen am hellen Tage friedlich daherkommende 
Ziviliſten mit der Reitpeitſche ins Geſicht. Von den Marokkanern, die gegen die 
Beamten verwendet wurden, wurden bei dieſer Gelegenheit auch einige Sittlichkeits⸗ 
verbrechen begangen; beſonders ſchwere Fälle werden aus St. Ingbert berichtet. In 
Homburg waren am Abend des 13. Auguſt die marokkaniſchen Wachtmannſchaften 
ſiunlos betrunken und verübten ſchwere Ausſchreitungen. Alle Ziviliſten, die ihnen 
in die Hände fielen, wurden geſchlagen und mit Fäuſten und Füßen oft derart 
bearbeitet, daß ſie kaum allein heimgehen oder in das nächſte Haus gehen konnten. 
Spät abends kam im Laufſchritt die in der Heil- und Pflegeanſtalt einquartierte 
Kompagnie Marokkaner unter Führung eines Offiziers herbei und mußte im regel⸗ 
rechten Kampf die betrunkenen Leute überwältigen und abführen. 

Anfänglich ging das Militär nur gegen Beamte vor. Dann aber muß von 
irgendeiner Seite der Gedanke aufgetaucht ſein, die günſtige Gelegenheit zu benutzen, 
um mißliebige Elemente zu entfernen. So begannen etwa vom 8. Auguſt ab Haus⸗ 


1) Vgl. Nr. 139. 


ben. Verhaftungen und Ausweiſungen. Scheinbar wahllos wurden im ganzen 
Säaargebiet Leute aller Stände aufgegriffen. Über ihre Zahl wurden anfangs über: 


5 triebene Angaben gemacht, wie überhaupt in den Streiktagen die wildeſten Gerüchte 


im Saargebiet und auch außerhalb umliefen, was mit der Unterbindung der Ver: 


5 tehrsmittel zuſammenhing. Immerhin betrug die Zahl der Ausgewieſenen annähernd 
200. Bei vielen fragt man ſich vergebens, warum gerade ſie von der Ausweiſung 


betroffen wurden, denn es waren Perſonen, die der Bewegung der Beamten fern— 


ſtanden, den Heimatdienſt nicht einmal dem Namen nach kannten und überhaupt am 
politiſchen Leben nicht teilnahmen. Eine Erklärung kann man nur in Denunziationen 


und Verleumdungen niedrigſter Art finden. Dies iſt namentlich der Fall bezüglich des 


Kreises Saarlouis, wo die Ausweiſungen verhältmijsmäßig am ſtärkſten waren und 


etwa 50 Perſonen betrafen. Daß hier rein perſönliche Intriguen, an denen die 
Familie Fabvier beteiligt war, im Spiele waren, ergibt ſich einwandfrei aus den Mit— 
teilungen einer größeren Anzahl von Perſonen. Im übrigen müſſen die Militär— 


behörden Liſten verwendet haben, die aus der Waffenſtillſtandszeit ſtammten; dies 


geht ſchon daraus hervor, daß in Neunkirchen ein Herr ausgewieſen werden ſollte, 


der ſchon vor einem Jahr verſtorben war, und ein anderer, der vor einem halben 


Jahr die Stadt verlaſſen hatte. Die Ausweiſungen erfolgten auch in denſelben 


ormen wie in der Waffenſtillſtandszeit. Die verwendeten Formulare von Aus— 
h 5 


weiſungsbefehlen hatten dieſelbe Faſſung wie damals. 


Man kann bei den Ausweiſungen drei Formen unterſcheiden. Die erſte beſtand 


darin, daß mißliebige Perſonen auf der Straße oder in den Wohnungen aufgegriffen 


und ohne weiteres, ohne Verhör und ohne Ausweiſungsbefehl abgeſchoben wurden; 
die Abführung unter Verhaftung wurde übrigens oft mit militäriſchem Gepränge 
vorgenommen. Die zweite Art der Ausweiſung war die auf Grund eines Aus— 
weiſungsbefehls des Generals Briſſaud. Nach Mitteilungen von verſchiedenen Seiten 
ſteht feſt, daß Blankoformulare von Ausweiſungsbefehlen an einzelne, mit den Fran— 


Er auf gutem Fuß ſtehende Perſonen gegeben wurden, die dann ſelbſt den Namen 


es Auszuweiſenden einſetzen konnten. Dieſe Art der Ausweiſungen dauerte auch nach 
Aufhebung des Belagerungszuſtandes fort. Die dritte Art war die Verhaftung und 
Erhebung der Anklage vor dem franzöſiſchen Kriegsgericht. Die Zahl der von dieſem 
Verfahren betroffenen Perſonen war indes gering, auch iſt die Durchführung der 
Prozeſſe ſchließlich unterblieben. 

Die Regierungskommiſſion iſt von den Ausweiſungen unzweifelhaft überraſcht 
worden, hat ſie nicht gebilligt und wohl auch Schritte unternommen, um ſie ein— 
zuſchränken. Ganz konnte fie freilich dem Militär nicht Einhalt gebieten. Zwiſchen. 


dem Präſidenten der Regierungskommiſſion und dem General Briſſaud iſt es auch 
zu Auseinanderſetzungen wegen der Übergriffe einzelner Militärperſonen gekommen. 
Von einem Beamten bei der Zentralverwaltung der Regierungskommiſſion wird 


berichtet, daß er gegen die Ausweiſungen proteſtierte und darauf hinwies, daß 
dieſem Verfahren doch jede Rechtsgrundlage fehle; es wurde ihm von franzöſiſchen 
Beamten erwidert, ſie ſeien ſelbſt unglücklich über die Ausweiſungen, ſie wüßten 
gar nicht, wer die Ausweiſungsliſten aufgeſtellt habe, das Militär ginge ganz 
ſelbſtändig vor. 

Daß die Maſſenausweiſungen einen ungeheuren Eindruck auf die Bevölkerung 
gemacht haben, bedarf kaum der Erwähnung. Hatte ſie ſchon an dem Streik der 
Beamten lebhaften Anteil genommen, ſo berührten die Ausweiſungen ſie mit un— 
mittelbarer Wucht. Sie ſieht ſich jetzt, unter der Herrſchaft des Friedensvertrags, 
in die trübſten Tage des Waffenſtillſtands zurückverſetzt und muß ſich ſagen, daß das, 
was heute bei dem äußeren Anlaß des Beamtenſtreiks geſchehen konnte, morgen bei 
irgend einem anderen Anlaß fich wiederholen kann. 


Von den Ausgewieſenen iſt ein Teil bereits wieder zurückgekehrt. Ob die 
Regierungskommiſſion alle Ausweiſungen als hinfällig betrachtet, iſt nicht feſt— 
ſtellbar. 


15 


. 


Nr. 144. 
Bericht ausgewieſener Bürgermeiſter. 


Berlin, den 17. Auguſt 1920. 


An das Auswärtige Amt. 


Nachdem am Sonntag, den 8. Auguſt, eine Reihe von Hausſuchungen voran⸗ 
gegangen war, wurden die beiden unterzeichneten Bürgermeiſter in der Nacht vom 
10. zum 11. Auguſt von der franzöſiſchen Militärbehörde verhaftet und nach etwa 
einer viertel bis einer halben Stunde, die ihnen zum Packen einiger Sachen gewährt 
wurde, zunächſt zu den Kommandanturen verbracht, wo ſie die Nacht unter Bewachung 
verbringen mußten. Um 8 Uhr wurden wir mit Laſtautos — ohne Sitzgelegenheit — 
mit noch einigen feſtgenommenen Eiſenbahnern und anderen Leuten nach Saarbrücken 
geſchafft, dort vorläufig in einer Kaſerne feſtgehalten, wo ſich im Laufe der nächſten 
Stunden aus Neunkirchen, Wiebelskirchen und Saarbrücken noch weitere 17 Herren 
einfanden. Unter den jetzt 19 Inhaftierten befanden ſich außer uns zwei Bürgermeiſtern 
1 Amtsgerichtsrat, 1 evangeliſcher Pfarrer, 1 Gymnaſialdirektor, 2 Studienräte, 
1 Mittelſchullehrer, 3 Kommunalbeamtenſekretäre, 1 Gemeindebaumeiſter, 1 Rechtsanwalt, 
2 Redakteure, 1 Cafetier und 3 Privatbeamte. Um 12 ½¼ Uhr wurden diefe 19 Herren 
in zwei Laſtautos bis Zweibrücken transportiert und dort in einem Kaſernenkeller 
die Nacht über interniert. Hier wurde das Gepäck unterſucht, wobei ein Raſiermeſſer 
abhanden gekommen iſt, deſſen Erſatz die Franzoſen mit dem Bemerken ablehnten, 
in Deutſchland gäbe es noch viele Raſiermeſſer, dort könnte man ſich für 25 M eines 
kaufen. Am nächſten Morgen 8°/, Uhr erfolgte auf gleiche Weiſe der Weitertrans⸗ 
port nach Germersheim auf der rechten Rheinſeite, wo wir mit den Worten »Sie 
können jetzt gehen, Sie ſind jetzt frei« entlaſſen wurden. 


Alle Inhaftierten wurden vom Augenblick der Verhaftung ab unter ſchärfſter 
militäriſcher Bewachung — marokkaniſche Soldaten — gehalten. In Neunkirchen 
wurde das Auto mit den verhafteten Herren in folgender Weiſe eskortiert: 


Vorauf ein Horniſt, dann eine Abteilung Kavallerie, dann der Kommandant, 
dann der Wagen mit den Delinquenten, rechts und links ein ſtarkes Auf⸗ 
gebot Infanterie, am Schluſſe eine Abteilung Kavallerie. 


Nicht unerwähnt darf bleiben, daß der Mittelſchullehrer K. aus Saarbrücken trotz 
heftigen Proteſtes von ſeiner Wohnung nach der Kaſerne wie ein Schwerverbrecher 
gefeſſelt und ihm ſogar auf der Fahrt nach Zweibrücken die Erlaubnis zur Verrichtung 
ſeiner Notdurft verſagt wurde. Keinem der Beteiligten wurde — ſelbſt auf eine 
diesbezügliche Frage — eröffnet, aus welchen Gründen die Inhaftierung und Ab- 
ſchiebung erfolgt ſei, es wurde uns weder ein ſchriftlicher Ausweiſungsbefehl gezeigt, 
noch irgend ein diesbezüglicher ſchriftlicher Ausweis mitgegeben ...... 


(Unterſchrift) 
Bürgermeiſter von Sulzbach. 


(Unterſchrift) 
Bürgermeiſter von Friedrichsthal. 


a re 
Nr. 145. 
Wortlaut eines Ausweiſungsbefehls. 
3 (Überſetzung.) 
Kommando der Truppen Saarbrücken, den 1920. 


des Saargebiets. 


Sonderabteilung 
(Service Special). 


Der General Briffaud-Desmaillet, 
Befehlshaber der Truppen des Saargebiets, 


in Anbetracht des Belagerungszuſtandes und der Befugniſſe, die uns durch die 
Verordnung des Herrn Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 
6. Auguſt 1920 übertragen worden ſind, 

eee daß de ”t 
als ein gefährliches und ordnungswidriges Element, fähig, die öffentliche Ordnung 
zu ſtören, anzuſehen iſt (»doit &tre considere comme element dangereux et de 
desordre, susceptible de troubler l'ordre public«) 

verfügt: 

Artikel 1. 

h“ ¼ ¼ . ¼ , ͤ GE 
wird auf die rechte Rheinſeite, in das von den alliierten Armeen nicht beſetzte Gebiet 
ausgewieſen. 


Artikel 2. 


Der Eskadronchef, Kommandant der Gendarmerie des Saargebiets wird mit 
der Ausführung dieſer Verfügung beauftragt. 


Der General und Kommandant der Truppen des Saargebiets. 
G. Briſſaud. 


Nr. 146. 


Schreiben eines geflüchteten Eiſenbahnbeamten. 


Geſchrieben im Walde von Sulzbach (Saar). 


In der Nacht vom 6. auf 7. Auguſt, zwiſchen 12 und 3 Uhr, wurde der Eiſen— 
bahnbetrieb im Saargebiet ſtillgelegt. Der letzte Zug in der Richtung Bingerbrüd- 
Saarbrücken paſſierte um 2 Uhr Sulzbach. Nach dieſer Zeit ruhte der Telegraph 
und Telephon. Gegen 3 Uhr 20 Minuten rückten farbige Truppen, von Saarbrücken 
kommend, auf Laſtautos an. Der Bahnhof wurde vollſtändig belagert und ab— 
. Sämtliche Beamten und Arbeiter hatten die Arbeitsſtätte verlaſſen. Um 

Uhr früh wurden die Bekanntmachungen für das Perſonal herausgegeben und am 
Bahnhof angeſchlagen. Die Franzoſen verſuchten nun, den Schnellzug Paris-Mainz 
mit eigenem Perſonal zu fahren. Im Bahnhof Sulzbach kamen ſie gegen 10 Uhr 
vormittags an. Hier gab es nun Aufenthalt bis 11 Uhr 36 Minuten. Die Haupt: 
einfuhrweiche ſtand auf Ablenkung. Das franzöſiſche techniſche Perſonal ſtand der 
Sache ganz fremd gegenüber. Die Weiche mußte ſchließlich aufgeſchlagen werden. 
Als der Zug die Weiche paſſiert hatte und die Inſaſſen des Zuges (Franzoſen) in 
die Straßen nach Sulzbach ſehen konnten, riefen fie den Einwohnern zu: »cochons«. 
Von franzöſiſchen Offizieren, die den Schnellzug begleiteten, wurden farbige Truppen 
gegen ahnungsloſe Bürger gehetzt. Die Neger ſchlugen mehrere männliche Perſonen 
mit dem Kolben nieder. Der Bautechniker G. aus Sulzbach wurde rücklings von 


15* 


einem Neger niedergeſchlagen, daß er auf der Stelle liegen blieb. Auf der Durchfahrt 


durch den Bahnhof riefen ſie jedem kleinen Kinde »cochon« zu. Um 2 Uhr mittags 


ſollte der Obe bahnhofsvorſteher Hildenbrand verhaftet werden, weil er das Perſonen⸗ 


et 


verzeichnis der Bedienſteten auf Anfordern der Franzoſen nicht ablieferte. Nun ſetzte 


die Verfolgung ein. Hildenbrand konnte ſich nur durch die Flucht entziehen 
Sämtliche Beamte und Arbeiter haufen in den Wäldern der Umgegend. 


Mit welchen Gewalt- und Machtmitteln die Franzoſen vorgehen, zeigt folgender Fall: 


Das dem Oberbahnhofsvorſteher Hildenbrand gehörige 12jährige Töchterchen 


befindet ſich ſeit 8 Jahren bei ihrer Großmutter in P. in Pflege, da ihm die 


Mutter ſtarb. Dieſes Kind weilte ſeit 21. Juli in Ferien bei ſeinem Vater im 
Bahnhof Sulzbach (Saar). Das Mädchen wurde nun als Geiſel von den 


Franzoſen zurückbehalten und durch Negerſoldaten im Bahnhof bewacht, weil 
ſich der Vater nicht zu Franzoſendienſten hergab. An jeder Türe zur Privat⸗ 
wohnung ſtehen zwei Schwarze Poſten, mit aufgepflanztem Seitengewehr. Das 
Kind darf nicht vor die Tür. Der Bahnhof wird durch eine Kompagnie Neger 
bewacht. Die letzte Nachricht des Kindes lautet wörtlich: 


»Lieber Papa! Ich kann um II Uhr nicht zu Dir kommen, denn 


die Franzoſen verfolgen mich. Frau Mönch wird Dir ſchon alles fagen. 
Herr Frank ſoll mich ab und zu beſuchen, aber immer große Umwege 
machen. Bleib Du ja, goldiger Papa, immer ſchön im Zimmer und ſchau 


nicht zum Fenſter hinaus, dann bin ich zufrieden. Gelt, mach das ſchön, 


ſonſt, o weh, biſt Du verloren. Gruß an mein Papa von Deinem ganz 
kranken Bamſel Lilli.« 


Rufen Sie doch durch ganz Deutſchland, daß mein Kind aus Negerhänden ber 
freit wird. Mein Kind ſteht ganz verlaſſen da, niemand Bekanntes oder Verwandtes 


und gänzlich ohne Pflege. Ich bin nicht verheiratet und mußte das Kind ganz 
ſchutzlos zurücklaſſen. Be 


Heinrich Hildenbrand, 
Oberbahnhofsvorſteher Sulzbach (Saar). 


Nr. 147. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion 
des Saargebiets vom 14. Auguſt 1920. 


Auswärtiges Amt. | Berlin, den 14. Auguſt 1920, 
Nr. II. S. G. 1157. 8 


Herr Staatsrat! 


Die Beamten des Saargebiets haben am 6. Auguſt die Arbeit eingeſtellt, weil 
die Regierungskommiſſion unter Abänderung der beſtehenden Geſetze, ohne dabei die 
durch den Friedensvert ag vorgeſchriebenen Förmlichkeiten zu beachten, ein Statut 
erlaſſen wollte, deſſen Bedingungen den Beamten unannehmbar erſchienen. 8 


Über die Rechtslage der Beamten im Saargebiet gibt der Friedensvertrag nicht - 
mit der Klarheit Auskunft, die im Intereſſe aller Beteiligten wünſchenswert gewe en 
wäre. Zweifellos aber ergibt ſich aus dem Sinn und dem Zweck der Vertrags⸗ 


beſtimmungen, die in der Abſicht erlaſſen find, die Rechte und Intereſſen der Be⸗ 
völkerung zu wahren, und die zu dieſem Zweck das Fortbeſtehen der deutſchen Geſetze 
und Verordnungen vorſehen, daß der Beamtenkörper im ganzen in die neue Rechts⸗ 
ordnung übernommen werden ſollte, unbeſchadet des Rechtes der Regierungskommiſſion, 
einzelne Beamte aus befonderen Gründen zu entfernen. Dieſem Grundſatze Rechnung 
tragend, hat die Regierungskommiſſion die Deutſche Regierung erſucht, ihr die 
Beamten zur Verfügung zu ſtellen, und demſelben Grundſatze folgend, hat die 
Deutſche Regierung von einer Zurückziehung der geſamten Beamtenſchaft aus dem 


hai Be FW Bi ee I er u . BE ee FE ee 
ß NEN + 
RR 12 * gr... D n „ 5 2 en 
“ N PIE 


Gebiet ben und die Beamten zur Verfügung geſtellt. Sie hat dies in der 
5 getan, daß eine befriedigende Regelung der Beamtenverhältniſſe zuſtande 
kommen werde. 

Statt nun aber, wie nach Lage der Dinge geboten, die Rechtsverhältniſſe der 
3 Beamden zu regeln, ſei es im Wege der Vereinbarung mit der Deutſchen Regierung, 
ſei es durch unmittelbare Verhandlungen mit den Beamten ſelbſt, hat die Regierungs— 
kommiſſion den Abſchluß eines allgemeinen Beamtenabkommens mit der Deutſchen 
Regierung abgelehnt, und auch die Verhandlungen mit den Beamtenorganiſationen 
haben infolge der Haltung der Regierungskommiſſion nicht zu einer Einigung geführt. 
Der von der Regierungskommiſſion aufgeſtellte Entwurf zu einem Beamtenſtatut 
ſiehbt vor, daß über die Entlaſſung und über die Unfähigkeit oder Ungeeignetheit 
eines Beamten nicht mehr im Wege eines ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens, ſondern 
durch den Ausſpruch des Vorgeſetzten entſchieden wird. Der Entwurf will ferner 
den Beamten das geſetzlich gewährleiſtete Vereins. und Koalitionsrecht, eines der 
grundlegenden Rechte jedes Bürgers in einem freiheitlich regierten Lande, weitgehend 
Leinſchränken, auch bietet er die Handhabe, die Einheitlichkeit des Beamtenkörpers durch 
die ſachlich nicht gerechtfertigte Einſtellung von Ausländern zu zerſtören. Es liegt 
auf der Hand, daß keinem Beamten zugemutet werden kann, ſich mit einer derartigen 
Minderung ſeiner Rechte einverſtanden zu erklären. Die verſtändigen und durchaus 
erfüllbaren Gegenvorſchläge der Beamten find verworfen worden. 


> Wenn hiernach auch über die Rechtsſtellung der Beamten im einzelnen Zweifel 
beſtehen können, ſo kann dies doch keinesfalls zur Folge haben, daß die Regierungs— 
kommiſſion mit den Beamten nach Willkür verfahren darf. Sie kann auch die Be— 
wegung der Beamten nicht zum Anlaß nehmen, um Maßnahmen zu ergreifen, die 
mit dem Friedensvertrag unvereinbar ſind. Tatſächlich aber iſt dies geſchehen. Nach 
Verhängung des verſchärften Belagerungszuſtandes hat die Regierungskommiſſion die 
Eiſenbahnen militariſiert und das Perſonal als requiriert erklärt, obwohl die nach 
dem Friedensvertrag im Saargebiet fortbeſtehenden deutſchen Geſetze eine Requiſition 
von Perſonen überhaupt nicht kennen. Sie hat weitere franzöſiſche Truppenmengen 
ins Land gezogen und einem franzöſiſchen General weitreichende Befagnif e übertragen, 
obwohl das Saargebiet nicht Okkupationsgebiet iſt. Sie hat nach den hier vor— 
liegenden Mitteilungen geduldet, daß dieſe franzöſiſchen Truppen mit brutaler Gewalt 
gegen die Beamten vorgingen und wahre Jagden auf ſie veranſtalteten; Beamte und 
andere Bewohner des Saargebiets find in größerer Zahl verhaftet worden, und eine 
ganze Reihe von Perſonen iſt aus dem Gebiete ausgewieſen worden. Es kommt 
1 daß den Verhafteten die kriegsgerich liche Verfolgung angedroht wurde, was 
em Friedensvertrag widerſpricht, denn im Saargebiet ſollen die deutſchen Geſetze 
fortgelten und nur ſolche Gerichte beſtehen, die im Namen der Regierungskom miſſion 
Recht ſprechen, während die franzöſiſchen Kriegsgerichte franzöſiſches Recht anwenden 
und ihre Urteile im Namen des franzöſiſchen Volkes erlaſſen. 
Die Deutſche Regierung erhebt feierlich und nachdrücklich Einſpruch gegen die ge— 
ſchilderten Maßnahmen der Regierungskommiſſion, die mit dem Geiſt und dem Zweck 
des Friedensvertrags, durch den der Regierungskommiſſion die Regierung des Saar— 
irrt zu treuen Händen übertragen iſt, nicht in Einklang ſtehen. 


Die Deutſche Regierung kann auch nicht ſtillſchweigend an einer Proklamation 
vorübergehen, die die Saarregierung anläßlich der Arbeitseinſtellungen im Saargebiet 
erlaſſen hat In dieſer Proklamation wird unter anderem behauptet, der Streik ſei 
von den Beamten vom Zaune gebrochen und die Beamten ſeien Hetzer oder Werk— 
zeuge von Hetzern, denen die Deutſche Regierung mehrere Millionen für dieſe Agitation 

m bad geſtellt habe; die Regierungskommiſſion werde mit aller Schärfe gegen 
ſe Wühlarbeit vorgehen. 

Daß dieſe Proklamation den Tatſachen widerſpricht, geht aus den obigen An— 
gaben über die Urſachen des Streiks hervor. Hiervon abgeſehen, muß aber die 

Deutſche Regierung die Vorwürfe und Verdächtigungen, die in der Proklamation, ſei 


E r 


VC 
. 997 
e 


es ausdrücklich, ſei es andeutungsweiſe, gegen ſie erhoben werden, insbeſondere eine 
etwa zwiſchen den Zeilen zu leſende Verdächtigung, daß ſie den Streik gefördert oder 
gar finanziert habe, mit der größten Entſchiedenheit zurückweiſen. In vollkommen 
irreführender Weiſe hat die Regierungskommiſſion die Bewegung der Beamten mit 
der Tätigkeit einer Organiſation zur Erhaltung des Deutſchtums im Saargebiet in 
Zuſammenhang zu bringen verſucht. Wenn die Deutſche Regierung für dieſe Tätig: 
keit, die die Förderung der deutſchen Muſik, des deutſchen Theaters, der deutſchen 
Literatur und des deutſchen Vereinsweſens zum Ziele hat, Mittel zur Verfügung ge⸗ 
ſtellt hat, ſo wird ſie ſich ihr gutes Recht dazu auch künftig um ſo weniger beſtreiten 
laſſen, als es ſich hierbei lediglich um die Abwehr der bekannten, mit reichlichen 
Mitteln arbeitenden Beſtrebungen handelt, die das Ziel verfolgen, den deutſchen 
Charakter des Saargebiets zu ändern. 

Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung). 


gez. von Haniel. 


An 


die Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 


Hochwohlgeboren 
Saarbrücken. 


Nr. 148. 


Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche 
Regierung vom 26. Auguſt 1920. | 


(berſetzung.) 
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 26. Auguſt 1920 
Generalſekretariat. ; 
S. P. 859. 


Herr Minister! 


Indem ich Ihnen namens der Regierungskommiſſion den Empfang Ihres 
Schreibens vom 14. Auguſt beſtätige, beehre ich mich, Sie darauf aufmerkſam zu 
machen, daß das Schreiben am Nachmittag des 19. Auguſt bei der Poſtanſtalt in 
Saarbrücken aufgegeben worden iſt, zum ſelben Zeitpunkt, als die Zeitungen dieſer 
Stadt den Text des Schreibens veröffentlichten. 


Die Regierungskommiſſion drückt ihre Überraſchung darüber aus, durch die 
Preſſe den Wortlaut einer an ſie gerichteten diplomatiſchen Urkunde erfahren zu haben. 


Die Regierungskommiſſion verzichtet darauf, die Punkte zu erörtern, die die 
deutſche Regierung in dem erwähnten Schreiben geglaubt hat, prüfen zu ſollen. Sie 
iſt nur dem Rat des Völkerbundes gegenüber verpflichtet, über ihre Handlungen 
Rechenſchaft zu geben. Indes wünſcht ſie daran zu erinnern, daß der Umſtand, daß 
die am 11. November 1918 in Kraft befindlichen Geſetze im Saargebiet in Kraft 
bleiben, für die deutſche Regierung keineswegs das Recht in ſich ſchließt, die Aus⸗ 
führung dieſer Geſetze zu überwachen und ſich in die Regierung oder in die Ver— 
waltung dieſes Gebiets einzumiſchen. 

Sie iſt ferner genötigt, alle Ausdrücke in der Proklamation, die ſie am 
8. Auguſt an die Bevölkerung des Gebiets gerichtet hat, aufrechtzuerhalten. 


) Eine Abſchrift dieſer Note iſt dem Völkerbunde durch die deutſche Botſchaft in Londen über 
mittelt worden. 


— 21 — 


Die Regierungskommiſſion beehrt ſich, die deutſche Regierung darauf hinzuweiſen, 
daß das Beamtenſtatut, das ſie erlaſſen hat, keineswegs die Möglichkeit von Be— 
ſprechungen zwiſchen ihren Vertretern und dem Herrn Reichskommiſſar für die Über- 
gabe des Saargebiets ausſchließt. 


In Anwendung des Friedensvertrags werden gewiſſe Fragen techniſcher Natur, 
3 B. die der Penſionen, eine Löſung nur durch unmittelbare Verſtändigung zwifchen 
den beiden Regierungen erfahren können. 

Die Regierungskommiſſion kann nicht umhin, mit Bedauern feſtzuſtellen, daß 
die deutſche Regierung geglaubt hat, die im Saargebiet Dienſt tuenden Beamten 
öffentlich in ihrem Widerſtand gegen die Regierung, der fie unterſtehen, zu ermutigen; 
ſie macht alle Vorbehalte wegen der Folgen, die dieſe Einmiſchung mit ſich bringt. 


gez. Moltke-Hvitfeldt. 


(Stempel.) 
An 
den Herrn Reichsminiſter des Auswärtigen, 
Berlin. 
Nr. 149. 


Bericht über die Verhaftung und Ausweiſung von Mitgliedern der 
deutſchen Bergwerkskommiſſion Saarbrücken und der Abwicklungsſtelle 
der preußiſchen Bergwerksdirektion. 


Geheimer Bergrat Knops. 
Mitglied der deutſchen Bergwerks— z. Zt. Karlsruhe i. B., den 15. Auguſt 1920. 
kommiſſion Saarbrücken. 


An 5 
das Auswärtige Amt 
Berlin. 


Am 14. d. M. gegen 6 ½ bzw. 7 Uhr vormittags find ich und der Bergaſſeſſor 
Weinlig von der Abwickelungsſtelle der preußiſchen Bergwerksdirektion Saarbrücken 
auf Grund des Belagerungszuſtandes in unſeren Wohnungen von franzöſiſchen 
Gendarmeriekommandos verhaftet worden. Die führenden Offiziere legten uns einen 
im Vervielfältigungsverfahren hergeſtellten und offenbar im Saargebiet in zahlreichen 
Fällen verwandten Ausweifungsbefehl vor, der uns als »elements dangereux« aus 
dem von den alliierten Truppen beſetzten Gebiet verwies. Wir haben ſogleich 
gegen dieſe Maßnahme bei den Offizieren Einſpruch erhoben unter Berufung auf 
unſere Eigenſchaft als Mitglieder der deutſchen Bergwerkskommiſſion bzw. der Ab- 
wickelungsſtelle der preußiſchen Bergwerksdirektion Saarbrücken. Ich habe die Proto— 
kollierung dieſes Einſpruchs und meines Verlangens, dieſe Tatſache ſogleich der 
Regierungskommiſſion des Saargebiets und der deutſchen Bergwerkskommiſſion bekannt 
zu geben, gefordert, Herr Weinlig hat ſich auf mündlichen Einſpruch beſchränkt. Ob 
meinem, auf dem Ausweiſungsbefehl niedergeſchriebenen Verlangen Folge gegeben iſt, 
kann ich natürlich nicht angeben. 

Eine darauf vorgenommene eingehende Hausſuchung in den Wohnungen, die nach 
mehrfachen Außerungen der Dolmetſcher bei uns vermutetes »politiſches Material 
zu Tage fördern ſollte, blieb ſelbſtverſtändlich ohne Ergebnis. (Herr Weinlig iſt auch 


re anne rere r vu“ en 1 Pe ET 
» 2 7) N Kir 1 Ne ei 9 e F u e Nr 
£ 5 - A. A 5 a , ee RT N a * S B 
22 „ u: N Een Er 0 4 
8 2 n 7 + : 5 * 3 * n 
1 x * 1 n 
1 x 5 


— 222 — 


ausdrücklich gefragt worden, ob er mit dem »Heimatdienſt« in Verbindung fände 
oder etwas mit dem im Saargebiet herrſchenden Ausſtande zu tun habe.) Darauf 
wurde auf den Ausweiſungsbefehlen vermerkt, daß weder Papiere, Dokumente noch 3 


verdächtige Gegenſtände gefunden worden ſeien. 


Wir wurden in Einzelkraftwagen nach Saarbrücken in das Gebäude des früheren 3 ; 


Bezirkskommandos in der Vorſtadtſtraße verbracht. Ich trat zuerſt ein, Herr Weinlig, 
dem unterwegs der Offizier ſchon mitteilte, daß er mit mir zuſammengebracht werden 


würde, wurde etwas ſpäter in das mir angewieſene Einzelzimmer verbracht. Unſere Be 


perſönliche Behandlung war durchaus einwandfrei und höfllich. 


Im Laufe des Vormittags fanden ſich noch mehr Inhaftierte ein, die zum Teil 3 2 


ſchon feit Tagen verhaftet waren. Es waren die verſchiedenſten Berufe vertreten: 
Lehrer, Geiſtliche, Förſter, eee Werkmeiſter, Bauunternehmer, Juſtizober⸗ 
ſekretäre. 

In zwei Laſtkraftwagen wurden wir zu 20 Perſonen denſelben Nachmittag unter 
Bewachung durch Kolonialſoldaten und unter Führung von Gendarmerie- Anterperſonal 


durch die Pfalz bis zum rechten Rheinufer bei Germersheim verbracht, wo wir gegen 7 


7½ Uhr abends ohne jegliche Förmlichkeit entlaſſen waren. 

Über die Behandlung konnten die Inſaſſen des erſten Wagens, in dem Herr 
Weinlig und ich mitſaßen, nicht klagen; ſie war durchaus korrekt. Dagegen haben 
ſich die Inſaſſen des zweiten Wagens ſpäter darüber beſchwert, daß der führende 
Gendarmerieunteroffizier fie grob behandelt und u. a. das Austreten während der 
ſtundenlangen Fahrt erſchwert habe. 

Wir begaben uns in das nächſte deutſche Dorf, Rheinsheim ..... In Rheins⸗ 
heim hörten wir, daß ſchon mehrere Transporte mit Ausgewieſenen aus dem Saar⸗ 
gebiet gekommen waren. 


Am Sonntag vormittag bin ich mit Herrn Weinlig ſogleich nach Karlsruhe 3 


gefahren, um von hier drahtlich vorläufig über den Vorgang berichten zu können und 
mit meinem hier beſchäftigten Sohne Fühlung zu nehmen. 


Die übrigen Herren beabſichtigten, ſich nach Mannheim zu begeben, um bei der 
dort angeblich eingerichteten Fürſorgeſtelle gemeinſame Schritte zu unternehmen, ge⸗ 
gebenenfalls auch noch zu verſuchen, mit dem Herrn Reichskommiſſar für das beſetzte 
Gebiet in Coblenz in Perbindung zu kreten 


Ich halte mich demnächſt hier zur Entgegennahme weiterer Weiſungen auf. . 


Ich bitte, auch zugleich für Herrn Weinlig, Schritte zu tun, daß unſere Aus- 
weiſung baldigſt zurückgenommen wird, damit wir unſere Tätigkeit für die Deutſche 
Bergwerkskommiſſion und die Preußische Bergwerksdirektion wieder aufnehmen können, 
auf deren baldige Beendigung nach dem mir bekannten Schriftwechſel zwiſchen dem 
Auswärtigen Amt und der Regierungskommiſſion des Saargebiets dieſe letztere ja 
beſonderen Wert legt. Die Maßnahme unſerer Ausweiſung erſchwert nur den Ab⸗ 
ſchluß der Arbeiten. 


Einen Grund für ſie können wir nicht erkennen. Wir vermuten aber, beſonders 
auf Grund der Frage an Herrn Weinlig, daß man politiſche Beziehungen, insbeſondere 
zum »Heimatdienſt« und wohl auf Grund von Denunziationen — die im Saargebiet 
an der Tagesordnung ſind —, bei uns feſtſtellen wollte. Solche Beziehungen be⸗ 
ſtehen bei uns beiden nicht. 


Vielleicht liegt auch nur ein Fehlgriff einer untergeordneten Stelle vor, die von 
der Regierungskommiſſion des a nach Feſtſtellung des Tatbeſtandes Rin 
tigt werden windmgdgdd 


gez. Knops. 


3 


ö M 150. 
. Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 


5 . Saargebiets vom 27. Auguſt 1920. 
pP Auswärtiges Amt. Berlin, den 27. Auguſt 1920 
Nr. IIS G 181. 


Br IE Herr Staatsrat! 


ur: Am 14. Auguſt d. J iſt das Mitglied der Deutſchen Bergwerkskommiſſion 
Saarbrücken, der Geheime Bergrat Knops, und das Mitglied der Abwicklungsſtelle 
der Preußiſchen Bergwerksdirektion, Bergaſſeſſor Weinlig in Saarbrücken, von fran— 
zöſiſchen Gendarmeriekommandos unter Führung franzöſiſcher Offiziere in ihren Woh— 
nungen verhaftet und aus dem Saargebiet ausgewieſen worden. 


AIrtgendwelche Gründe für dieſes überraſchende und gewaltſame Vorgehen find 
den beiden Beamten nicht mitgeteilt worden, vielmehr wurde ihnen lediglich bei ihrer 
Verhaftung ein im Vervielfältigungsverfahren hergeſtellter Ausweiſungsbefehl vor— 
gezeigt, worin fie als »éléments dangereux« bezeichnet waren. In ihren Woh— 
nungen wurde eine eingehende Hausſuchung vorgenommen, die ſich nach Außerung 
der hinzugezogenen Dolmetſcher auf »politiſches Material« bezog. Die Nachforſchungen 
1 Hub, 0 auf den Ausweiſungsbefehlen ausdrücklich vermerkt worden iſt, ergebnislos 
geblieben. N 


Die Herren Knops und Weinlig wurden trotz ihres ſofortigen Einſpruchs gegen 

die Verhaftung zunächſt in das frühere Bezirkskommando in Saarbrücken und am 

Nachmittag desſelben Tages mit anderen, gleichfalls ausgewieſenen Perſonen in 

eeinem von franzöſiſchen Kolonialtruppen bewachten Laſtkraftwagen durch die Pfalz 

auf das rechte Rheinufer nach Germersheim gebracht. Dort ſind die beiden Ver— 
hafteten in Freiheit geſetzt worden. 


Die beiden ausgewieſenen Beamten ſind ſich über den Grund ihrer Ausweiſung 
| völlig im unklaren. Sie können auf Grund der geſchilderten Vorgänge bei ihrer 
Verhaftung lediglich vermuten, daß man ihnen — etwa auf Grund einer Denunzia— 
tion — eine unzuläſſige politiſche Betätigung nachſagt. Beide Herren haben aber 

die dienſtliche Erklärung abgegeben, daß ſie ſich mit politiſchen Machenſchaften irgend— 
welcher Art niemals befaßt haben. 


Die Deutſche Regierung muß mit allem Nachdruck Einſpruch dagegen erheben, 
daß Vertreter der Deutſchen und der Preußiſchen Regierung, deren dienſtliche An— 
weſenheit im Saargebiet ſeinerzeit der Friedenskonferenz in Paris amtlich mitgeteilt 
worden iſt und auch der Regierungskommiſſion ſeit langem bekannt war, einer der— 

artigen, weder der Form noch der Sache nach gerechtfertigten Behandlung ausgeſetzt 
worden ſind. Die Deutſche Regierung möchte nach Lage der Dinge annehmen, daß 
der bedauerliche Zwiſchenfall lediglich auf einem Verſehen untergeordneter Organe 
beruht, und daß die Regierungskommiſſion es ſich ihrerſeits angelegen ſein laſſen 
wird, mit möglichſter Beſchleunigung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit 
beide Beamte ihre Tätigkeit bei den Dienſtſtellen, denen ſie angehören und deren 
Betrieb durch ihre Ausweiſung empfindlich beeinträchtigt iſt, alsbald wieder aufnehmen 
und ſich auch zur Regelung ihrer perſönlichen Angelegenheiten ungehindert an ihren 
bisherigen Wohnort zurückoegeben können. Die Deutſche Regierung wäre dankbar, 
wenn die Regierungskommiſſion ihr dies alsbald beſtätigen würde. Die Regierungs— 
kommiſſion müßte dabei zugleich die Gewähr dafür übernehmen, daß künftighin die 
ſich in dienſtlicher Eigenſchaft im Saargebiet aufhaltenden Beamten volle Freiheit 


— 224 — 


für ihre Perſon genießen werden und einer ihrer amtlichen Eigenſchaft entſprechenden 
Behandlung ſicher ſein können. | 

Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung 

gez. von Roſenberg. 

An 

die Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 
Hochwohlgeboren 
Saarbrücken. 
(Die Note iſt ohne Antwort geblieben.) 


Nr. 151. 


Geſuch ausgewieſener Perſonen an den Reichskommiſſar für die 
beſetzten rheiniſchen Gebiete. 


Rheinsheim (Baden), 15. Auguſt 1920. 


Die Endesunterzeichneten bitten Euere Exzellenz, bei der Fünferrat Regierung 
Saarbrücken Proteſt dagegen erheben zu wollen, daß dieſelben ohne Angabe eines 
triftigen Grundes und ohne Verhör während des Belagerungszuſtandes vom 12. bis 
14. Auguſt 1920 auf Befehl des Generals Briſſaud-Desmaillet, Saarbrücken, ver- 
haftet und am 14. Auguſt rechtsrheiniſch abgeſchoben wurden und dieſen Proteſt 
beſonders dem Präſidenten Rault, Saarbrücken, zu unterbreiten. 


Begründung: 


Wenn die Saarbewohner ihr Deutſchtum oder ihre wirtſchaftliche Tätigkeit der- 
art zum Ausdruck bringen, daß es den Wünſchen der Regierung nicht immer ent⸗ 
ſpricht, ſo ſollte dies der Regierung doch keine Handhabe bieten, ohne weiteres zu 
Verhaftungen zu ſchreiten, um ſo mehr nicht, als in dieſen Fällen ſämtliche Beteiligte 
ſich nicht bewußt ſind, gegen Beſtimmungen der Regierung ſich in irgendeiner Weiſe 
vergangen zu haben. 

Wo alſo nach den Begriffen rechtdenkender Männer keine Verfehlungen irgend⸗ 
welcher Art gegen die Regierung ſowohl als auch gegen die von der Militärbehörde 
herausgegebenen Beſtimmungen vorliegen, iſt es um ſo weniger angebracht, Männer 
aus der Heimat, aus Familie und Beruf herauszureißen und das harte Los der 
Verbannung über dieſe zu verhängen. 

Euere Exzellenz wollen noch Vormerkung nehmen von der wenig feinen Art der 
Behandlung ſeitens der franzöfiihen Militärs während der ganzen Zeit der Inhaf⸗ 
tierung mehrerer der Ausgewieſenen, denen während der ganzen Zeit der Inhaftierung 
nur eine äußerſt mangelhafte Verpflegung und Behandlung zuteil wurde. 

Wir geben uns der Hoffnung hin, daß Euere Exzellenz unverzüglich den wirk⸗ 
lich unhaltbaren Verhältniſſen durch einen entſprechenden Proteſt Abhilfe verſchaffen 
und uns die Möglichkeit der Rückkehr in die Heimat ſofort erwirken werden. 


Hochachtungsvoll 
(Es folgt eine größere Zahl von Unterſchriften.) 


An 


den Vorſitzenden der Rheinlandkommiſſion 
Herrn von Starck, Exzellenz. 


Coblenz. 


— 225 — 


Nr. 152. 


Schreiben des Reichskommiſſars für die beſetzten rheiniſchen Gebiete 
an die interalliierte Rheinlandkommiſſion vom 6. September 1920. 


Der Reichskommiſſar a 
für die beſetzten rheiniſchen Gebiete. Coblenz, den 6. September 1920. 


Tab. Nr. I 7615. 


Der Reichskommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete 
an 
den Herrn Präſidenten der Hohen Interalliierten Kommiſſion 
für die beſetzten Rheinlande, 
Coblenz. 


Nach zahlreichen an mich gelangten Mitteilungen hat der franzöſiſche Oberbefehls— 
haber des Saargebiets anläßlich der letzten Unruhen eine Reihe von Perſonen aus 


dem Saargebiet ausgewieſen und zwangsweiſe auf das rechte Rheinufer bringen laſſen. 
Die Ausweiſungsbefehle haben die nachſtehende Form: 


Commandement des Troupes N 
du Territoire de la Sarre. Sarrebruck, le 
Service Special. 
Le General Brissaud-Desmaillet 
Commandant les Troupes du Territoire de la Sarre 


Vu I' Etat de Siege et les pouvoirs qui nous sont conferes par 
l’Ordonnance de Monsieur le President de la Commission de Gou- 
vernement de la Sarre, en date du 6 Aout 1920 

BB IE ͥo /// ne ee 
doit etre considere comme element dangereux et de desordre, sus- 
ceptible de troubler l’ordre public 


ARRETE: 


1J6 ff . Rn 


sera expulse sur la Rive Droite du Rhin, Territoire non occupe par 
les Armees Alliees. 


Article 2° — () — Le Chef d’Escadron Commandant la Gen- 
darmerie de la Sarre est charge de l’ex&cution du present arröte. 
Le General Cdt. les Troupes de la Sarre 
signe G. Brissaud. 


Destinataire: 
Chef d’Escadron Cdt. la Gendarmerie de la Sarre pour 
Commandant d’Armees de 7 f exeeution 
(I) — Le nommen era conduit Vorstadtstr. 42 


(2 &me Etage) à Sarrebruck.« 


Dieſe Ausweiſungsbefehle find vielfach dahin aufgefaßt worden, daß den Aus— 
gewieſenen auch der Aufenthalt im beſetzten Gebiet nicht geſtattet fein ſollte. Der— 
artiges kann ſelbſtverſtändlich nicht in Betracht kommen, da der Militärbefehlshaber 
im Saargebiet keine Verfügung treffen kann, welche ſich auf das beſetzte Gebiet bezieht. 


A RR EN 


Die Hohe Kommiſſion hat mir denn auch bereits früher durch Schreiben vom 
9. Auguſt 1920, Nr. 1340/ . C. I. T. R., aus Anlaß eines Einzelfalls beſtätigt, daß 
Ausweiſungsbefehle der Saarregierung nur dahin aufgefaßt werden können, daß ſie 
aus dem Saargebiet, nicht aber auch aus den beſetzten rheiniſchen Gebieten aus— 
weiſen.) Zur Vermeidung von Unzuträglichkeiten für die Ausgewieſenen bitte ich 
jedoch die Delegierten der Hohen Interalliierten Rheinlandkommiſſion verſtändigen zu 
wollen, daß ſie dem Verbleib der ſo ausgewieſenen deutſchen Reichsangehörigen in 
den beſetzten Gebieten keine Schwierigkeiten in den Weg legen. 


In Vertretung: 
gez. von Brandt. 


Nr. 153. 
Schreiben der interalliierten Rheinlandkommiſſion an den Reichs⸗ 


kommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete vom 2. November 1920. 3 


(Überfegung.) 


Juteralliierte Rheinlandkommiſſion. Coblenz, den 2. November 1920. 
Nr. 2082/HCITR. _ ) 
Der Präſident der Interalliierten Rheinlandkommiſſion 
an ä 
den Herrn Reichskommiſſar für die beſetzten rheinischen Gebiete, 


Coblenz. 


Die Interalliierte Rheinlandkommiſſion hat Kenntnis genommen von Ihrem 
Schreiben vom 6. September 1920 — Nr. I 7615 —, welches auf einen Ausweiſungs⸗ 
Ba Bezug nimmt, der von dem Kommandierenden General des Saargebiets erlaſſen 
worden iſt. 

Sie behaupten, daß dieſe Ausweiſungsbefehle häufig dahin ausgelegt würden, 
als ob ſie die Niederlaſſung in den beſetzten Gebieten verböten, und Sie bitten, daß 
die Delegierten der Rheinlandkommiſſion Anweiſung erhalten, dem Aufenthalt der 


auf dieſe Weiſe ausgewieſenen deutſchen Staatsangehörigen in den N b Gebieten 


nichts in den Weg zu legen. 
Die Rheinlandkommiſſion lenkt ihre Aufmerkſamkeit auf die Tatſache, daß der 
Ausweiſungsbefehl lediglich anordnet: 


»Der Betroffene iſt auf das rechte Rheinufer in das von den Alliierten 
nicht beſetzte Gebiet zu überführen.« 


Sie entdeckt nicht, was in dieſer Formulierung die Befugniſſe des Kommandierenden 
Generals im Saargebiet überſchreitet, da nicht angeordnet iſt, daß die Ausgewie- 
ſenen ſich nicht im beſetzten Gebiet niederlaſſen dürfen. 

Mit Rückſicht auf den Wortlaut des Schreibens, das Ihnen am 9. Auguſt 
unter Nr. 1340 zugegangen iſt, und auf die ausdrückliche Beſtimmung des Artikels 10 
der Verordnung Nr. 3 hält die Interalliierte Rheinlandkommiſſion es nicht für er 
forderlich, neue Anweiſungen an ihre Delegierten ergehen zu laſſen. 

Angeſichts der Wohnungsnot, auf die Sie zu wiederholten Malen die Aufmerk⸗ 
ſamkeit der Rheinlandkommiſſion gelenkt haben, glaubt dieſe annehmen zu können, 
daß Sie alle notwendigen Maßnahmen ergreifen werden, um ſolchen Perſonen, die 


!) Dieſes Schreiben betrifft die Ausweiſung des Lehrers V. S. aus einem Orte des Kreiſes Saar— 
louis und hat folgenden Wortlaut: »In Beantwortung Ihres Schreibens vom 28. Mat, Nr. 4135, 
beehre ich mich Ihnen im Namen der Interalliierten Rheinlandkommiſſion mitzuteilen, daß der vom 
Oberſten (Militär-) Verwalter des Saargebiets ergangene Beſchluß vom 17. Februar 1920 dahin auf- 
zufaſſen iſt, daß er den V. S. nur aus dem ge und nicht aus dem beſetzten Gebiet ausweiſt.« 


— 


N ee Ey nt 
ne Zr ba A EZ er 7 > nl 
Yu at tn > g 


N 
e 


— 
— 


® 
r 

e 

ze . 


— — 4 
1 Pi 


„ ß f . En Ted 
ee Sag N A 2. 


vorher ihren Wohnſitz nicht in den beſetzten Gebieten hatten, abzuraten, ſich hier 
niederzulaſſen. 

In übrigen hebt die Rheinlandkommiſſion ihr unbedingtes Ausweiſungsrecht 
auf Grund des Artikels 10 der Verordnung Nr. 3 gegenüber den aus dem Saar— 


gebiet ausgewieſenen Perſonen, die ſich in den beſetzten Gebieten niederzulaſſen ſuchen, 


3 hervor, ſofern ihre Anweſenheit im beſetzten Gebiet ihr als der Sicherheit der Be— 
ſatzungstruppen abträglich erſcheint. 
ar EN 1 0 sr 
a Der Präſident der Interalliierten Rheinlandkommiſſion: 
n gez. Paul Tirard. 
5 | Nr. 154. 
= Protokollariſche Ausſagen von Ausgewieſenen. 
3 a. 
Am 18. Auguſt 1920 erſchien Herr Dr. . .. .. oo und gab im einzelnen 


folgendes zu Protokoll: 
Ich wurde in der Nacht vom 13./14. Auguſt 1920 nachts zwiſchen 12 und 1 Uhr 
von der franzöſiſchen Beſatzungsbehörde (6 Marokkanern mit aufgepflanzten Seiten— 
gewehren) aus dem Bette heraus verhaftet. Man ließ mir etwa eine Viertelſtunde 
zum Ankleiden und führte mich aufs Büro des Kommandanten von .... Dort 
wurde ich dem Stadtkommandanten .. ... vorgeführt, welcher mir eröffnete, daß ich 
verhaftet jei, und mir die Abſchrift eines Auswerfungbefehles aushändigte, deſſen 
Original ich vorher einſehen durfte. 
Der Original⸗Ausweiſungsbefehl war hektographiert und ließ nur zwei Zeilen 
frei, um mit Tinte den Namen der Auszuweiſenden einzuſchreiben. Sogar die Unter— 
ſchrift des Generals Briſſaud war nur hektographiert. Weil ich wußte, daß ich ſchon 
einmal auf der ſchwarzen Liſte ſtand, ſagte ich zu dem Stadtkommandanten: »Nun 
ion Sie Ihr Ziel erreicht.« Auf der Kommandantur mußte ich bis zum Eintreffen 
er mit mir ausgewieſenen Herren ..... . warten. Nach der Ankunft 
von Herrn ..... befragt, warum er ausgewieſen würde, gab der Kommandant an, 
daß er nichts weiter angeben könne. Er habe lediglich den Befehl von Saarbrücken 
aus erhalten. Weiter gab der Kommandant an, daß wir nach Saarbrücken, Vor— 
ſtadtſtraße 43 transportiert werden ſollen. Etwa um ½2 Uhr nachts wurden wir 
drei auf ein Laſtauto geladen und unter ſtarker militäriſcher Bewachung (4 Marokkaner 
mit aufgepflanzten Seitengewehren und 2 Feldgendarmen mit Knüppeln) nach Saar— 
brücken gebracht. 
In Saarbrücken angekommen, ſchaffte man uns in dem Kriegsgerichtsgebäude 
in ein Zimmer der zweiten Etage, wo noch zwei weitere Verhaftete untergebracht 
waren. Die Einrichtung des Zimmers beſtand lediglich aus zwei Strohſäcken. Ab— 
enge von dem vielen Schmutz, war nichts im Zimmer wahrzunehmen. Ein gut 
eutſchſprechender Gendarm — anſcheinend Elſäſſer — eröffnete mir, daß er den 
Auftrag hätte, uns hier unterzubringen, und »wir ſollten es uns ſo bequem als 
möglich machen «. | 
| Vor der Türe wurde ein Poſten mit aufgepflanztem Seitengewehr aufgeftellt. 
Das Fenſter öffnen und lautes Unterhalten wurde uns ſtrengſtens unterſagt. Beim 
Austre en wurde uns ein Poſten mit aufgepflanztem Seitengewehr beigegeben, der 
jedesmal ſolange warten mußte, bis wir unſere Geſchäfte erledigt hatten. Der Zu— 
ſtand des Abtritts war ein derartiger, daß verſchiedene Herren, die in unſerem Zimmer 
untergebracht waren, ohne Verrichtung der Notdurft wieder umkehrten. Gegen 8 Uhr 
baten wir um etwas zu eſſen. Unſere Bitte wurde nicht erfüllt. Von dem deutſch— 
ſprechenden Gendarmen, welcher etwas Mitleid mit uns hatte, konnten wir gegen 
Bezahlung etwas Kaffee und Brot erhalten. Um den Grund unſerer Ausweiſung 


ne 


und Verhaftung zu erfahren, baten wir den Gendarmen, uns doch nach Möglichkeit 
Aufklärung zu geben. Dieſer erklärte uns: 


»Die Verhaftung und Ausweiſung gehe nicht von Saarbrücken aus, 
ſondern daran ſeien unſere »guten Freunde« in ..... ſchuld. Es gehe 
uns heute ſo, wie es den Elſäſſern im Jahre 1870 ergangen ſei.« 


Etwa viertelſtündlich erſchienen in unſerem Zimmer Kommiſſionen, um unſere 
Perſonalien wiederholt aufzunehmen. Gegen 10 Uhr morgens wurde uns eröffnet, 
daß vier der Anweſenden abgeſchoben würden, während der fünfte Herr, ein Bahn— 
verwalter aus Saarlouis, vor ein Kriegsgericht geſtellt werden ſollte. Gegen 11 Uhr 
wurden wir noch mit weiteren 18 Herren in einem anderen Zimmer zuſammengebracht. 
Dort verblieben wir bis gegen 12 Uhr. Um 1 Uhr erfuhren wir, daß wir nunmehr 
abgeſchoben werden ſollten. Zu dieſem Zwecke mußten wir unter ſtarker Bewachung 
im Hofe antreten Ä 

Nachdem wir auf dem Hofe etwa eine Stunde ftanden, wurden wir in zwei 
Laſtautos verladen. Über St. Ingbert, Zweibrücken, Pirmaſens, Landau wurden 
wir nach Germersheim über die Schiffsbrücke nach dem rechten Rheinufer verbracht, 
wo man uns, ohne irgendwelche Ausweispapiere auszuhändigen, einfach ſtehen ließ, 
nachdem die Autos vorher kehrtgemacht hatten. Unſere Bitte um irgendein Doku— 
ment blieb erfolglos. Man antwortete uns, wir ſollen uns ſo ſchnell wie möglich 
aus dem Staube machen. 

Ich bin mir keines Grundes meiner Ausweiſung bewußt, da ich mich nicht am 
politiſchen Leben noch als Arzt am Streik beteiligte. . . . . ... 


(Unterſchrift.) 


* 


Meine Verhaftung und Ausweiſung hat ſich ebenfalls in der vorſtehend geſchil— 
derten Weiſe abgeſpielt. Ich mache die vorſtehenden Angaben im allgemeinen zu den 
meinigen. Im politiſchen Leben habe ich mich niemals betätigt. . . . .... 


(Unterſchrift.) 


Meine Verhaftung und Ausweiſung hat ſich ebenfalls in der oben geſchilderten 
Weiſe abgeſpielt. Die Angaben des Herrn Dr. ....... mache ich zu den meinigen, 
ſo daß ich denſelben nichts mehr hinzuzufügen habe. Im politiſchen Leben habe ich 
mich niemals betätigt. (Unterfchrift.) 


Ich wurde in derſelben Nacht in „ wo ich meinen Wohnſitz hatte, 
zwiſchen 3 und 4 Uhr aus dem Bette heraus verhaftet. Man ließ mir etwa 
20 Minuten Zeit zum Ankleiden. Mir wurde eröffnet, daß ich nach Neunkirchen 
kommen ſolle. In die Hauptſtraße gebracht, wurde ich in ein Auto verladen, wo 
einige Minuten ſpäter Heri hinzukam. Papiere über den Grund unſerer 
Verhaftung und Ausweiſung wurden uns nicht vorgelegt. Mit dem Auto wurden 
wir alsdann nach Neunkirchen verbracht, wo wir in einem Raum, der durch eine 
Pritſche und beſonders vergitterte Fenſter in einen Gefängnisraum umgewandelt 
worden war, eingeſperrt. Etwa um 6 Uhr morgens wurden wir mit noch fünf 
weiteren Herren in einem offenen Auto unter ſtarker Bewachung nach Saarbrücken 
weitertransportiert. Auch dort wurden wir in ein Zimmer verwieſen, das nur zwei 
leere eiſerne Bettſtellen enthielt. Vor dem Zimmer wurde ein Wachtpoſten aufgeſtellt. 
Verſchloſſen war die Tür nicht. Um 9 Uhr verlangten wir etwas zu eſſen, bekamen 
aber nichts. Selbſt gegen Bezahlung konnten wir nichts erhalten. Später wurden 
wir nochmals in ein anderes Zimmer verbracht, wo bereits zwölf andere Herren aus 
Saarbrücken und Umgegend untergebracht waren. 

Die übrigen Vorgänge ſpielten ſich genau in derſelben Weiſe wie bei Herrn 
. ab. 


Aus welchem Grunde ich verhaftet und ausgewieſen wurde, iſt mir bis zur 
jetzigen Stunde nicht bekannt, da ich mich weder politiſch noch irgendwie an einer 
Streikleitung beteiligte. 


(Unterſchrift.) 1 
Meine Angaben ſtellen ſich mit denen des Herrn .... ... gleich und habe ich 
denſelben weiteres nicht hinzuzufügen. 
(Unterſchrift.) 
b. 


Zentralſtelle für pfälziſche Flüchtlinge. 
Protokoll, aufgenommen am 28. Auguſt 1920. 


Es erſcheint der Flüchtling ...... und gab an: 


»Am Mittwoch, den 11. Auguſt, morgens um 6 Uhr, wurde ich mit meiner 
3 Familie aus den Betten herausgeholt, nachdem vorher das ganze Haus mit 
ewaffneten Marokkanern umſtellt war. Der Befehlshaber der Franzoſen eröffnete 
mir, daß er vom kommandierenden General in Saarbrücken beauftragt ſei, bei mir 
eine Hausſuchung nach verbotenen Schriften und Waffen vorzunehmen. Nachdem 
die Unterſuchung ergebnislos verlaufen war, wurde mir bedeutet, daß ich mich noch 
einem Verhör beim Kommandanten zu unterziehen hätte. Zunächſt führte man mich 
nach der Kaſerne, wo ich in den Arreſtraum der Schwarzen eingeſperrt wurde. 
Dortſelbſt befanden ſich ſchon einige Leidensgenoſſen, meiſtens Herren der hohen 
Stände. Nach etwa 2 Stunden wurden wir aufgerufen und in zwei offenen Laſt— 
autos ohne Sitzgelegenheit aufgeladen und unter großer Eskorte ſchrittweiſe durch 
die Stadt gefahren, wie es früher bei Schwerverbrechern, Mördern uſw. üblich war. 
An der Spitze ritt ein Rittmeiſter mit gezogenem Degen, Radfahrer, Trompeter, 
links und rechts eine ganze Anzahl Marokkaner mit aufgepflanzten Seitengeweh ren, 
am Schluſſe Kavallerie. Nach einer halben Wegſtunde löſte ſich dieſer Zug auf, 
und ſo ging es mit einem ſchnelleren Tempo nach Saarbrücken zum Kommandanten. 
Wir glaubten nun, das Verhör würde jetzt beginnen, und dann wären wir wieder 
frei. Mit nichten. Zwei Stunden wurden wir wieder in eine Kaſerne eingeſperrt 
und dann weitertransportiert mit anderen Laſtautos, bei denen wohl Sitzgelegenheit 
war, aber ſo, daß es kaum auszuhalten war. Unſer nächſtes Ziel war Zweibrücken, 
wo wir vom Kommandanten in höhniſcher Herausforderung beſichtigt und nament— 
lich vorgeſtellt wurden. Darauf kaſernierte man uns ein in einen Keller, der mit 
Strohſäcken belegt war. In dieſem Raume mußten wir verbleiben von nachmittags 
4 Uhr bis am andern Tag morgens 7½ Uhr. Was wir alles hier an Erniedrigungen 
zu erdulden hatten, läßt ſich in Worte nicht kleiden. Auch einer Leibesunterſuchung 
mußten wir uns unterziehen. Privatbriefe und alle anderen Schreibſtücke laſen ſie 
durch, und was ſie glaubten, das für ihre Zwecke dienlich ſei, hielten ſie zurück. In 
unwürdiger Weiſe wurden wir auch nochmals photographiert. Die Weiterreiſe um 
7½ Uhr morgens ging dann über Landau nach Germersheim, wo wir dann nach— 
mittags über den Rhein abgeſchoben wurden. Gelegenheit zum Waſchen war uns 
während unſerer Gefangenſchaft nicht gegeben, trotzdem wir öfter darum gebeten 
hatten. So kamen wir in Rheinsheim völlig ermattet, verſtaubt und mittellos an. 

Politiſch bin ich in keiner Weiſe tätig geweſen, wenigſtens nicht ſo, die eine 
ſolche Maßnahme rechtfertigen konnte. Vielleicht dürfte meine Verhaftung erfolgt 
ſein, weil mein Sohn als aktiver Pionieroffizier im Felde ſtand.« 


(Unterſchrift.) 


= 200 
ce. 
Zentralſtelle für pfälziſche Flüchtling 
Mannheim. N ; 
Protokoll, aufgenommen am 28. Auguſt 1920. 
Es erſcheint der Flüchtling... ..... (Oberamtsrichter) und gab an: 


»In der Nacht vom 13/14. Auguſt, während ich gerade tags zuvor auf 3 bis 4 e 


Tage mich in Urlaub entfernt hatte, erſchienen um 1½ Uhr auf dem Vorplatz meiner 


im 3. Stock gelegenen Dienſtwohnung ein franzöſiſcher Offizier und zwei franzöſiſche = 


Zollbeamten und begehrten Einlaß. Der Gefängnisverwalter hatte ihnen die Haus⸗ 


türe geöffnet. Auf der Treppe befanden ſich Marokkaner, desgleichen um das Gericht - 


gebäude herum, mit Waffen. Der Offizier fragte meine Frau, die nur mit dem 
Dienſtmädchen ſich in der Wohnung befand, nach mir. Er zeigte ihr ein in fran⸗ 


zöſiſcher Sprache gehaltenes Schriftſtück vor, inhaltlich deſſen ich als » ment dan- 5 


gereux« über den Rhein zu verbringen ſei. Auf die Erklärung, daß ich nicht zu 
Hauſe ſei, durchſuchten die Erſchienenen meine Wohnung und entfernten ſich. Einen 
Grund für meine Ausweiſung kann ich mir nicht erklären. Ich habe mich nie öffentlich 
geäußert oder ſonſt hervorgetan, woraus man irgendwelchen Verdacht auf »gefähr⸗ 
liche« Machinationen ſchöpfen könnte. Im Streik verhielt ich mich vollſtändig paſſiv; 
ich war ſtets dienſtbereit. Bei meinem Weggang auf 3 bis 4 Tage vertrat mich 
Amtsrichter S. 8 
Die gegen mich ergriffene Maßregel kann nur auf Denunziation zurückzuführen ſein.« 


(Unterſchrift) 


| d. 
Zentralſtelle für pfälziſche Flüchtlinge 
Mannheim. 


Protokoll, aufgenommen am 29. Auguſt 1920. 

Es erſcheint der Flüchtling... und gab an: | 

»Am Samstag, den 14. Auguſt, wurde an meiner Wohnung in der Morgenfrühe 
gegen 5 Uhr ſtark geklingelt, ſo daß wir beide, meine Frau und ich, aus dem Schlafe 
aufwachten. Beim Offnen meiner Wohnungstür erblickte ich zwei franzöſiſche 
Gendarmen und wurde von einem gefragt, ob ich der.. . . .. . . ſei. Bei Beſtätigung 
meinerſeits ſagte mir der Gendarm, ich möchte mich ſogleich zur Gendarmerie be- 
geben. Auf meine Frage, was ich dort ſolle, wurde mir geantwortet, das wüßten 
ſie ſelbſt nicht, ich ſollte nur zur Gendarmerie kommen. Darauf ſagte ich nun, ich 
würde mich noch vollſtändig anziehen. In der Zwiſchenzeit fragte meine Frau den 
Gendarm noch, ob ich auch, wie an den vorhergehenden Tagen es mit mehreren Herren ge⸗ 
ſchehen ſei, nach Saarbrücken zur Verhaftung abgeführt werden ſollte. »Nein, Madame, nur 
zur Vernehmung nach der hieſigen Gendarmerie. . . . . Ich ging nun mit dem Gendarm 
die Treppen hinunter. Im Hausflur waren zirka 50 Marokkaner mit aufgepflanzten Seiten⸗ 
gewehren. Dieſe wies der eine Gendarm zurück, und mit dem anderen Gendarm allein ging 
es nun zur Gendarmerie. Hier wurden meine Perſonalien feſtgeſtellt. Auf meine 
Frage, was man denn von mir wolle, zuckten die Herren die Achſeln. Darauf wurde 
ich ß Schule, die augenblicklich als Kaſerne dient, gebracht. Hier fand ich 
ſchon andere Leidensgefährten vor. Wir waren bisher 6 Herren (3 Lehrer, 1 Büro⸗ 
beamter, 1 Werkmeiſter und ich von unſerer Firma). Da es noch länger dauerte, 
bis der ſiebente Herr kam, wurden wir noch in den Keller in das Gefängnis gebracht 
und eingeſchloſſen. Gegen 67¼ Uhr wurden wir wieder herausgeführt. Auf dem 
Schulhofe war ein Laſtauto und darauf ſtand der .. „der ſiebente Leidens— 
gefährte, bewacht von Marokkanern. Wir mußten auch aufſteigen, und vorne ſtanden 
ein Gendarm und zwei Marokkaner, dann kamen wir ſieben ſtehend und dann drei 
weitere Marokkaner, alle mit aufgepflanztem Gewehr. Nun ging die Fahrt im lang⸗ 


— 231 — 


ſamen Tempo an der Hütte vorbei die Saarbrücker Straße entlang über ..... nach 
Saarbrücken. In Saarbrücken wurden wir zu dem früheren Bezirkskommando gebracht, 
gegen 8 Uhr und nach nochmaliger Verleſung der Namen in den 3. Stock in ein kleines 
Zimmer ohne andere Sitzgelegenheit als zwei zerbrochene Bettſtellen eingeſchloſſen. 
Gegen ½12 Uhr wurden wir, nachdem nochmals unſere Namen verleſen worden 
waren, in ein im erſten Stock befindliches Zimmer gebracht. Hier waren noch 13 
andere Leidensgefährten aus Saarlouis, Saarbrücken uſw., alſo im ganzen 20 Herren. 
Darauf wurden wir in den Hof geführt, und wiederum wurden alle 20 aufgerufen 
und mußten nun je 10 ein Laſtauto beſteigen, wo wir auf 2 Längsbänken Platz 
nehmen mußten. Jedes Auto war mit ſieben bewaffneten Marokkanern bewacht. 
Um 1½ Uhr ging nun die Fahrt über St. Ingbert, Zweibrücken, Pirmaſens, 
Landau nach Germersheim. Hier wurden wir durch die Feſtung durch über die 
Pontonbrücke nach dem rechtsrheiniſchen Ufer gefahren. Dann mußten wir abfteigen, 
und es wurde uns mitgeteilt, wir ſollten uns fortmachen. Es war 7¼ Uhr abends. 
Ohne uns je verhört zu haben und uns irgendeinen Grund unſerer Verhaftung 
und Ausweiſung mitzuteilen, hat man uns auf das rechtsrheiniſche Ufer abgeſchoben. 
905 bemerke noch ausdrücklich, daß ich mit Streikbewegungen, wie ſie ſeit dem 
Auguſt 1920 im Saarlande im Gange find, nichts zu tun habe. Auch ſtehe ich 
dem Heimatdienſte und ähnlichen Beſtrebungen vollſtändig fern; auch habe ich mich 
meines Wiſſens niemals feindlich über die Franzoſen geäußert, woraus dieſelben 
irgendeinen Grund zu meiner Verhaftung herleiten könnten. Ich muß annehmen, 
daß meine Verhaftung auf gemeine Denunziation zurückzuführen iſt. Wir gingen 
zu Fuß nach Rheinsheim, wo wir gegen 8 Uhr ankamen .. .. a 
Wir blieben dort zu Nacht und am andern Tage fuhren wir nach Mannheim 
weiter. Hier bin ich nun, abgeſchloſſen von meiner Familie und ohne jegliche 
Kleidungsſtücke und vollſtändig mittellos, nur mit dem, was ich bei mir hatte, als 
ich früh 5 Uhr meine Wohnung verließ.« 


(Unterſchrift.) 


E. 


Zentralſtelle für pfälziſche Flüchtlinge 
Mannheim. 


Protokoll, aufgenommen am 29. Auguſt 1920. 


Es erſcheint der Flüchtling... und gab an: 

»Am 8. Auguſt wurde ich durch eine Ordonnanz zu einer Beſprechung auf dem 
Büro der Gendarmerie eingeladen. 6 

Dort angekommen, wurde ich von Gendarmen ſofort in ein Arreſtlokal ein— 
geliefert. Bei dieſer Gelegenheit wurde an die Zelle geſchrieben: »1 Boche«. 

Am 10. Auguſt wurde ich nach Saarbrücken überführt und am 14. Auguſt bei 
Germersheim auf die rechte Rheinſeite abgeſetzt, ohne vorher vernommen oder über 
die Urſache der Ausweiſung aufgeklärt worden zu fein. Ich vermute Denunziation.« 


(Unterſchrift.) 


’ 3 
Zentralſtelle für pfälziſche Flüchtlinge 
Mannheim. 
Protokoll, aufgenommen am 31. Auguſt 1920. 

Es erſcheint der Flüchtling. .... .... und gab an: 

»Ich wurde in der Nacht vom 12./13. Auguſt 1920 von den Franzoſen geſucht 
und ſollte laut militäriſchem Befehl, datiert vom 6. Auguſt 1920, verhaftet werden. 
Meine bevorſtehende Verhaftung war mir durch einen mir bekannten mit den Fran— 
16 


ee 


zoſen in Verbindung ſtehenden Herrn angedeutet worden. Vom 9. Auguſt ab, wo 
Hausſuchung bei mir ſtattfand, ſchlief ich nicht mehr in meiner Wohnung. Jun der 
Nacht vom 12. auf 13. ſollte dann meine Verhaftung erfolgen. Ich bin dann am 
13. Auguſt früh weg und hielt mich bis 30. Auguſt in der Pfalz auf. Da mein 
Verbleiben auf dem linken Rheinufer nicht mehr Sicherheit gewährte, mußte ich end— 
lich dem Befehl, das beſetzte Gebiet zu verlaſſen, Folge leiſten. Der Grund meiner 
Ausweiſung iſt mir nicht befannt.« 


(Unterſchrift.) 


(Ahnliche Ausſagen haben noch eine große Zahl anderer ene Per⸗ 
ſonen gemacht.) 


Nr. 155. 


125 der Beamtenſchaft des Saargebiets an den Völkerbundsrat. 


Saarbrücken, den 3. September 1920. 


Dem hohen Rat des Völkerbundes unterbreiten wir folgende Angelegenheit zur 
gefälligen Erledigung: 

Dem mit Amtsblatt Nr. 9 vom 14. Auguſt veröffentlichten Beamtenſtatut haben 
wir aus folgenden Gründen nicht zuſtimmen können: 


1. In einem Schreiben des Präſidenten Rault vom 8. Mai, das er im Namen 
der Regierungskommiſſion an uns richtete, heißt es, die Regierungskommiſſion werde 
als Beamte nur Deutſche anſtellen, in erſter Linie Saarländer. 

In dem Beamtenſtatut heißt es: 

»Alle Beamten der Regierung des Saargebiets mit Ausnahme der⸗ 
jenigen der Zentralverwaltung werden in erſter Linie aus den Reihen der 
Einwohner des Saargebiets entnommen werden oder, falls es an ſolchen 
fehlt, aus Deutſchen, die außerhalb des Saargebiets wohnen.« | 

Wir baten die Regierungskommiſſion, den Wortlaut des Briefes in das Statut 
aufzunehmen, was ſie ablehnte. 


2. In dem Briefe heißt es weiter: 
»Die Eidesleiſtung der Beamten wird nach Ablauf der Friſt von 


6 Monaten ſtattfinden. Jedoch wird es jedem einzelnen Beamten et 
fein, ſchon vor Ablauf diefer Friſt den Eid zu leiſten.« 
In dem Statut heißt es in dem Artikel 6: 
»Es ſoll jedoch jedem geſtattet ſein, die Abnahme des Eides ſchon 
vor dem Ablauf der fraglichen Friſt zu beantragen. « 
Auch hier baten wir die Regierungskommiſſion, den Wortlaut des Briefes in 
das Statut aufzunehmen, was ebenfalls abgelehnt wurde. 


3. In einer von der Regierungskommiſſion herausgegebenen Verordnung vom 
16. März heißt es in § 3: 

»Während ihrer Dienſtzeit im Saargebiet genießen die Beamten die 
gleichen Rechte und Zuſicherungen, wie dies durch die bis zum 11. No- 
vember 1918 gültigen Geſetze und Verordnungen vorgeſehen war.« 

Dieſe Verordnung, die im Saargebiet Geſetzeskraft hat, iſt bei Aufſtellung des 
Statuts nicht beachtet worden, indem in Teil 3: Diſziplinarverfahren, Teil 4: Ver⸗ 
waltungsbeiräte und Teil 5: Beamtenvereinigungen die am 11. November 1918 
gültigen Geſetze weſentliche Verſchlechterungen erfahren haben. 

Da die Regierungskommiſſion Vertretern der Arbeitergewerkſchaften am 
12. Auguſt ſchriftlich erklärt hat, daß fie das Beamtenſtatut, was auch vorkommen 
mag, nicht abändern könne, wenden wir uns vertrauensvoll an den Hohen Rat des 
Völkerbundes, dem die Regierungskommiſſion verantwortlich iſt, mit der Bitte, 
unfere Rechte, die in dem Briefe vom 8. Mai und der Verordnung vom 16. März 


— 233 — 


verankert ſind, zu ſchützen und die Regierungskommiſſion anzuweiſen, die gemachten 
Zuſagen in das Beamtenſtatut mit aufzunehmen. 
Die Antwort bitten wir an Ober⸗Telegraphenſekretär Anſchütz, Saarbrücken 3, 
im Heimeck 16, zu richten. 
Wir geſtatten uns zum Schluß, dem Hohen Rat unſere beſondere Hochachtung 
zu bezeugen. 
Beamtenbund des Saargebiets, 
Dieutſcher Eiſenbahnerverband, 
Gewerkſchaft deutſcher Eiſenbahner und Staatsbedienſteter, 
Gewerkſchaft deutſcher Eiſenbahnbeamten und Anwärter, 
Gewerkſchaft deutſcher Lokomotivführer, 
Allgemeiner Eiſenbahnverband, 
Fachgewerkſchaft der Eiſenbahnfachbeamten Deutſchlands. 


(Die Eingabe iſt nicht beantwortet worden.) 


Nr. 156. 


Bericht über die Sitzung des Völkerbundsrates vom 
20. September 1920 in Paris. 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 7, Seite 400 ff.) 
(berſetzung.) 
Regierungskommiſſion des Saargebiets. 


Bericht, vorgelegt von dem Vertreter Griechenlands, Herrn Caclamanos, 
und angenommen vom Rat des Völkerbundes. 


Der Rat des Völkerbundes hat durch einen Beſchluß vom 13. Februar 1920 
die 5 Mitglieder der Regierungskommiſſion des Saarbeckens ernannt. Nach dem 
Vertrag von Verſailles muß eines dieſer Mitglieder Nichtfranzoſe ſein und aus dem 
Saarbeckengebiet ſtammen und dort wohnen. Zu dieſem Mitglied hat der Rat 
Herrn Alfred von Boch ernannt. Herr von Boch hat jetzt den Völkerbund gebeten, 
ſeinen Rücktritt zu genehmigen. In einem vom 6. Auguſt datierten, an den General— 
ſekretär des Völkerbundes gerichteten Telegramm erklärt er, die Lage, die durch die 
gegen ſeine Meinung den bisherigen Beamten gemachten Bedingungen geſchaffen ſei, 
mache feine Stellung unhaltbar und verhindere ihn, die Verantwortung dafür zu über- 
nehmen angeſichts der Haltung der Bevölkerung. Dieſes Telegramm iſt dem General— 
ſekretär zugegangen, unmittelbar nachdem er durch den Präſidenten der Kommiſſion 
unterrichtet worden war, daß ein Generalſtreik bei Eiſenbahn, Poſt und Telegraph 
im Saarbecken erklärt worden war. Nach Beſprechung mit dem ſtellvertretenden 
% ee des Rates hat der Generalſekretär Herrn von Boch mitgeteilt, daß ſein 
Rücktrittsgeſuch der gegenwärtigen Tagung des Rates unterbreitet werden würde. 

Der Generalſekretär hat den Mitgliedern des Rates einen umfangreichen Schrift- 
wechſel über den Rücktritt des Herrn von Boch und die darauf bezüglichen Ergeb— 
niſſe mitgeteilt. 

Die erſte Frage, die auftaucht, iſt folgende: Soll der Völkerbund den Rücktritt 
des Herrn von Boch annehmen? Herr von Boch hat ſich bei ſeiner Ernennung 
damit einverſtanden erklärt, Mitglied einer Kommiſſion zu ſein, deren Beſchlüſſe mit 
Stimmenmehrheit gefaßt werden können. Seine Ernennung iſt erfolgt für die ſehr 
beſchränkte Dauer eines Jahres, wie der Vertrag von Verſailles es vorſchreibt. Man 
kann ſich fragen, ob ein Mitglied dieſer Kommiſſion eigentlich das Recht hat, ſich 
von ſeinem Poſten aus Gründen politiſcher Natur zurückzuziehen. Immerhin er— 
ſcheint es nicht angebracht, dieſer Frage auf der gegenwärtigen Sitzung näherzutreten. 
Aus dem auf den Tiſch des Rates niedergelegten Schriftwechſel geht hervor, daß 
in Zukunft ein Zuſammenarbeiten zwiſchen Herrn von Boch und ſeinen 4 Kollegen 


16* 


— BE — 


ficherlich nicht im Intereſſe der ordnungsmäßigen Fortführung der Regierung des 
Saarbeckens liegen würde. Ich beehre mich demnach, dem Rat des Völkerbundes 
vorzuſchlagen, den Rücktritt des Herrn von Boch anzunehmen. 


Was die Frage betrifft, einen Nachfolger für Herrn von Boch, als das nicht 
franzöſiſche, aus dem Saarbecken ſtammende und dort wohnende Mitglied der 
Regierungskommiſſion, zu finden, ſo habe ich Erkundigungen eingezogen und einige 
mögliche Kandidaturen erwogen. Ich bin ſtehen geblieben bei dem Namen des 
Dr. Hector, ehemals Bürgermeiſter von Saarlouis, wo er ſeinen Beruf als Arzt 
ausübt. Ich ſchlage vor, Dr. Hector für ein Jahr vom Tage ſeiner Ernennung ab 
zu ernennen unter denſelben Bedingungen wie ſein Vorgänger im Amt. Dieſe Be— 
dingungen ergeben ſich aus den vom Rat für die Regierungskommiſſion am 13. Fe 
bruar 1921 angenommenen Inſtruktionen. 


Wenn der Rat ſich meinen obigen Vorſchlägen anſchließt, könnte der Gegenſtand 
dieſes Berichts als erſchöpft angeſehen werden. Es ſcheint mir indes angezeigt, 
kurz die Ereigniſſe im Saarbecken zu prüfen, die den Rücktritt des ſaarländiſchen 
Mitgliedes der Regierungskommiſſion herbeigeführt haben. In dem Telegramm, 
durch das Herr von Boch ſeinen Rücktritt erbeten hat, hat er als Grund dafür an— 
gegeben, daß ſeine Stellung unhaltbar geworden ſei und daß er die Verantwortung 
dafür angeſichts der Haltung der Bevölkerung nicht übernehmen könne. Er ſetzte 
auseinander, daß dieſe Lage geſchaffen worden ſei durch die gegen feine Meinung den bis⸗ 
herigen Beamten mit Bezug auf ihre Ernennung gemachten Bedingungen. Wir befinden 
uns hier einer Frage gegenüber, die bereits den Gegenſtand verſchiedener eingehender 
Berichte ſeitens der Regierungskommiſſion gebildet hat. Es handelt ſich um die Frage 
der Organiſation der Verwaltung im Saarbecken durch die Regierungskommiſſion. Dieſe 
Frage ſchließt alle Fragen in ſich, die mit dem Übertritt der deutſchen Beamten im 
Saargebiet in den Dienſt der Regierungskommiſſion ſowie mit der Ernennung von 
Perſonen anderer Staatsangehörigkeit auf Poſten in der Zentralverwaltung in Qu- 
ſammenhang ſtehen. Es liegt auf der Hand, daß dieſe Fragen ſehr heikler Natur waren, 
und man konnte kaum erwarten, daß ſie ohne Schwierigkeiten gelöſt werden würden. 
Die Regierungskommiſſion hat den Rat des Völkerbundes gewiſſenhaft auf dem 
Laufenden gehalten über ihre Handlungen in der Beamtenfrage. So hat der Präſi⸗ 
dent der Regierungskommiſſion dem Rat des Völkerbundes durch einen Bericht vom 
10. April 1920 Rechnung gelegt über die bis zu dem damaligen Zeitpunkt von der 
Regierungskommiſſion gefaßten Beſchlüſſe und über die mit den deutſchen Behörden 
in Gang befindlichen Verhandlungen über die Angelegenheit. In Berichten vom 
1. Mai und 1. Juni 1920 machte die Regierungskommiſſion neue Angaben über die 
Beamtenfrage. In dem Bericht vom 1. Juni ſagte der Präſident der Regierungs⸗ 
kommiſſion namens der Kommiſſion: »Die Beamtenfrage, die im Monat April das 
ganze politiſche Leben des Gebietes beherrſchte, hat eine vorläufige Regelung erfahren, 
die für die Regierungskommiſſion einen unleugbaren Erfolg darftellt.« Der Präſi⸗ 
dent erläutert im einzelnen die Verhandlungen mit den Beamten des Gebiets ſowie 
mit dem Vertreter der deutſchen Regierung und kommt zu folgendem Schluß: 


»Die Regierungskommiſſion glaubt den Abſichten des Völkerbundrats entſprochen 
zu haben, indem fie jeden ſcharfen Konflikt vermied und durch das Mittel der Ver— 
ſöhnlichkeit Ergebniſſe zu erreichen ſuchte, die ihre Autorität und ihr Preſtige unan- 
getaſtet laſſen.« e 

In einem neuen Bericht an den Völkerbundsrat erwähnt der Vorſitzende der 
Regierungskommiſſion, daß beſchloſſen worden war, ein Beamtenſtatut auszuarbeiten 
und die Beamtenvertreter vorher zur Bekanntgabe ihrer Einwendungen zuzulaſſen. 
Er ſetzte auseinander, wie die Abfaſſung dieſes Statuts einer Unterkommiſſion, be⸗ 
ſtehend aus 2 Mitgliedern der Regierungskommiſſion, darunter Herr von Boch, und 
zwei Beamten der Zentralverwaltung anvertraut wurde und wie, nachdem die Unter— 
kommiſſion ihre Redaktion beendet hatte, lange Beſprechungen zwiſchen den Beamten- 
vertretern und der geſamten Regierungskommiſſion ſtattfanden. Der Präſident legt 


— 235 — 


dar, daß wichtige Konzeſſionen gemacht wurden und daß die Regierungskommiſſion 
alle Forderungen bewilligte, die fie nicht als mit ihren Regierungsrechten und pflichten 
unvereinbar anſah. Die Verordnung, durch die das Beamtenſtatut erlaſſen worden 
iſt, iſt in dem Amtsblatt des Saargebiets vom 14. Auguſt veröffentlicht worden. 
Sie datiert vom 29. Juli und trägt die Unterſchriften der 5 Mitglieder der Kom— 
miſſion einſchließlich der des Herrn von Boch. 

Eine Abſchrift des in Rede ſtehenden Statuts befindet ſich auf dem Tiſch des 
Rates, und jedes ſeiner Mitglieder hat Gelegenheit gehabt, ſich eine eigene Meinung 
über den Wert des Statuts zu bilden. 


Durch ein Schreiben vom 10. September hat der Präſident der Regierungs— 
kommiſſion dem Generalſekretär ein an den Rat des Völkerbundes gerichtetes Geſuch 
verſchiedener Beamtenvereinigungen übermittelt, worin die Beamten Einwendungen 
gegen gewiſſe Beſtimmungen des Statuts erheben, weil ſie mit den früher von der 
Regierungskommiſſion gegebenen Verſprechungen in Widerſpruch ſtünden. Die 
Kommiſſion äußert ſich zu dieſem Geſuch folgendermaßen: 

»Die Kommiſſion hat in ihrer Sitzung vom 11. September von dieſem Geſuch 
Kenntnis genommen; ſie war der Anſicht, daß ſie in ihren früheren Berichten 
Gunten Aufklärungen gegeben habe über die Schwierigkeiten, denen ſie in der 

eamtenfrage gegenüberſtand und über die Beſchlüſſe, die ſie faſſen mußte. Das 
Beamtenſtatut hat den Zweck gehabt, die in der Sitzung der Regierungskommiſſion 
vom 16. März 1920 aufgeſtellten allgemeinen Angaben im einzelnen durchzuführen. 
Die Regierungskommiſſion hält es nicht für erforderlich, auf die Gründe zurückzu— 
kommen, die es ihr unterſagen, das Beamtenſtatut in irgend einem Punkt zu ändern. 
Die Beamten ſind nicht in Unkenntnis darüber, daß die Kommiſſion entſchloſſen iſt, 
die Beſtimmungen des Statuts im Geiſte größter Freiheit anzuwenden.« 

Ich erlaube mir die Aufmerkſamkeit des Rates auf diele letzten Worte zu lenken. 
Hinſichtlich des Statuts für die Beamten des Saargebiets hängt, wie für jedes Geſetz, 
viel von der Art ab, wie es angewendet wird. Die Verſicherung der Regierungs— 
kommiſſion gegenüber den Beamten, das Statut im Geiſte größter Freiheit anzu— 
wenden, enthält eine wichtige Garantie für die Beamten. 

Es mag mir vielleicht geſtatet ſein, als meine perſönliche Anſicht und nach 
ra der Schriftſtücke zu jagen, daß das Beamtenſtatut mir von demsekratiſchen 
hedanken eingegeben und im Geiſte der Unparteilichkeit abgefaßt zu ſein ſcheint, und 
daß es den Beamten wertvolle Garantien gegen jeden Mißbrauch der Regierungs— 
gewalt gewährt. Ich glaube nicht weiter gehen zu brauchen und den Rat auffordern 
zu ſollen, irgend eine Anſicht über das Statut für die Beamten des Saargebiets 
auszuſprechen. Es iſt nach meiner Anſicht von Wichtigkeit, daß der Völkerbundsrat 
ſich nicht in die Verwaltung des Saarbeckens einmiſcht, es ſeien denn Gründe höherer 
Ordnung. Allerdings iſt durch den Vertrag der Völkerbund Treuhänder für die 
Regierung des Saarbeckengebiets geworden, und hieraus ergibt ſich für den Bund 
das Recht und die Pflicht, ſich für die Angelegenheiten dieſer Regierung zu intereſſieren 
und ſeinen Einfluß dahin auszuüben, daß dieſe Regierung ſo gut als möglich iſt. 
Aber es iſt ebeuſo zutreffend, daß nach dem Vertrag dieſe Regierung einer den 
Völkerbund vertretenden Kommiſſion anvertraut ſein ſoll und daß dieſe Kommiſſion 
alle Regierungsbefugniſſe beſitzt, die bisher Deutſchland zuſtanden, einſchließlich des 
Rechts, die Beamten zu ernennen und abzuberufen. Eine beſondere Beſtimmung des 
Vertrags von Verſailles ſagt ſogar, daß die Regierungskommiſſion das Recht haben 
joll, alle Fragen zu entſcheiden, zu denen die Auslegung der in Rede ſtehenden Be— 
ſtimmungen Anlaß geben kann. 

Herr Alfred von Boch hat in einem an den Generalſekretär gerichteten Schreiben 
vom 18. Auguſt 1920 erklärt, er habe den Eindruck, daß man ſich im Ausland keine 
richtige Vorſtellung über die Lage im Saargebiet und über die Stimmung der Be— 
völkerung mache, und wenn es ihm erlaubt ſei, einen Wunſch zu äußern, ſo möchte 
er den Völkerbund bitten, ſobald als möglich einen unparteiiſchen Delegierten oder 


236 — 


eine Kommiſſion zu entſenden, um die nötigen Informationen an Ort und Stelle 
einzuziehen. Dieſer Delegierte oder dieſe Kommiſſion müßte ſich, wie Herr von Boch 
ſagt, unbedingt in unmittelbare Beziehung mit der Bevölkerung ſetzen, d. h. mit den 
politiſchen Parteien und den Arbeiterorganiſationen, mit den Vertretern von Handel 
und Induſtrie, mit den Beamten, der Stadtverwaltung, der Preſſe, der Geiſtlichkeit, 
der Lehrerſchaft ufw. Herr von Boch bittet den Völkerbund eindringlich, dieſem 
Antrag ſtattzugeben. Er fügt hinzu, daß er ſich perſönlich zur Verfügung des 
Generalſekretärs halte, um ihm, ſoweit als möglich, alle gewünſchten Aufſchlüſſe 
zu geben. 


Es ſcheint mir zweckgemäß, hier dieſen Antrag zu behandeln, der im Zuſammen⸗ 
hang mit dem Rücktritt des Herrn von Boch eingegangen iſt. Ich muß ſagen, daß 
ich für meine Perſon keinerlei Grund ſehe, dem Antrag des Herrn von Boch ftatt- 
zugeben, und daß dieſer Antrag keinen Grund zu irgendwelcher Maßnahme bietet. 
Es darf nicht vergeſſen werden, daß nicht nur die Regierungskommiſſion den Rat 
auf dem Laufenden hält über alle wichtigen Ereigniſſe, ſondern daß auch der Rat 
bei ſeiner Zuſammenkunft in Rom am 15. Mai beſchloſſen hat, daß alle an den 
Völkerbund gerichteten Geſuche von Perſonen des Saarbeckens an die Regierungs⸗ 
kommiſſion geſandt werden müſſen und von der Kommiſſion mit oder ohne Erläu⸗ 
terungen dem Rat zur Information übermittelt werden ſollen. Als Beiſpiel kann 
ich mich beziehen auf eine Eingabe einer Anzahl von Perſonen, die behaupten, die 
politiſchen Parteien im Saarbecken zu vertreten, und die gegen die Ernennung aus⸗ 
ländiſcher Beamter, insbeſondere von Franzoſen, für Poſten in der Verwaltung des 
Saarbeckens Einſpruch erheben. Abſchriften dieſer Eingaben ſind unter den Mitgliedern 
des Rates verteilt worden. Eine andere kürzlich eingegangene und oben erwähnte 
Eingabe bezieht ſich auf das Beamtenſtatut. Ich kann mich auch darauf beziehen, 
daß verſchiedene Noten der deutſchen Regierung über die Maßnahmen der Regierungs⸗ 
kommiſſion dem Generalſekretär zugegangen und zur Information unter die Mit⸗ 
glieder des Rates verteilt worden ſind. | 


Die Erwähnung der von der Regierungskommiſſion bisher dem Rat des Völker⸗ 
bundes eingereichten Berichte über die Arbeit der Kommiſſion bietet mir Gelegenheit, 
die Aufmerkſamkeit des Rates auf die Vielgeſtaltigkeit und die Schwierigkeit der 
Anfgabe zu lenken, mit der die Regierungskommiſſion ſich hat befaſſen müſſen. Das 
Internationale Sekretariat hat die erſten 4 periodiſchen Berichte der Kommiſſion, 
datiert vom 25. März, 1. Mai, 1. Juni und 1. Juli veröffentlicht. Die Lektüre 
dieſer Berichte iſt ſehr intereſſant. Die Berichte behandeln den Amtsantritt der 
Regierungskommiſſion, die Wahl ihres Sitzes, die Verteilung der Geſchäfte unter die 
5 Mitglieder der Kommiſſion und die Politik der Kommiſſion im allgemeinen; ferner 
die Organiſation der Zivilverwaltung des Landes, Finanzfragen, die ſoziale Lage 
und die wirtſchaftlichen Verhältniſſe, die öffentliche Ordnung, die Wahlordnung für 
die örtlichen Vertretungen, das Verſorgungsweſen, die Steuererhebungen, die Organi⸗ 
ſation des Eiſenbahnnetzes des Saargebiets, die Errichtung eines oberſten Gerichts— 
hofes uſw. Man hat im großen und ganzen den Eindruck, daß die Kommiſſion ſich 
mit Eifer und mit einer ſchönen Hoffnung von Vertrauen auf die Zukunft das ihr 
übertragene, ſo ſchwierige Werk in Angriff genommen hat. 


Beſchluß des Rates des Völkerbundes. 


1. Der dem Rat unterbreitete Antrag des Herr Alfred von Boch, Mitgliedes 
der Regierungskommiſſion des Saarbeckens, wird genehmigt. | 


2. Zum Mitglied der Regierungskommiſſion des Saarbeckens wird für die Dauer 
eines Jahres, gerechnet von heute ab, Herr Dr. Hector aus Saarlouis ernannt. 
Dr. Hector hat ſich nach den vom Rat für die Regierungskommiſſion des Saar⸗ 
beckens am 13. Februar 1920 angenommenen Inſtruktionen zu richten; die in dieſen 
Inſtruktionen für die anderen Mitglieder der Kommiſſion aufgeſtellten Beſtimmungen 
bezüglich des Gehalts ſind auf ihn anwendbar. | 


— 237 — 


Nr. 157. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den 


Völkerbundsrat vom 25. Oktober 1920. 
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 8, Seite 65ff.) 
(Überſetzung.) 

Die Regierungskommiſſion hat den Rat des Völkerbundes regelmäßig über ihre 
Tätigkeit durch monatliche Berichte auf dem Laufenden gehalten; der letzte Bericht 
trägt das Datum des 1. Juli. In dem Augenblick, in dem ſie ſich vorbereitete, den 
Bericht über den Monat Juli abzuſenden, wurde der Lauf ihrer Arbeiten geſtört 
durch den Streik in den öffentlichen Betrieben. Der Präſident hat durch einen 
Bericht vom 18. Auguſt!) die Entwicklung dieſes Streiks geſchildert und mitgeteilt, 
welche Maßnahmen die Kommiſſion angeſichts dieſer Sachlage ergriffen hatte, um 
die Ordnung aufrechtzuerhalten und ihrer Autorität Achtung zu verſchaffen. Vor 
Abfaſſung eines neuen Berichts ſchien es ihr erforderlich, einige Wochen zu warten, 
um die Regierungskommiſſion in die Lage zu verſetzen, den Rat des Völkerbundes 
über den Umſchwung, der ſich nach der Kriſe des Monats Auguſt in den Gemütern 
vollzogen hat, zu unterrichten. 

Der gegenwärtige Bericht wird alſo gleichzeitig die Monate Juli, Auguſt, 
September und Oktober umfaſſen. Immerhin wird er den Streik in den öffentlichen 
Betrieben nur kurz in Erinnerung bringen. 

Im Monat Juli hatte die Vorbereitung der Wahlen das öffentliche Leben des 
Gebiets beherrſcht, der Monat Auguſt war gekennzeichnet durch den Streik in den 
öffentlichen Betrieben. Es wäre nutzlos, auf die einzelnen Epiſoden dieſer Kriſe 
e ſie ſind in dem Bericht vom 18. san d. J. geſchildert worden. 
f wird genügen, hier zu erwähnen, welches die Bedeutung und die Folgen des 

Streiks vom politiſchen Geſichtspunkt aus waren. 

Der Streik der Beamten war ein von langer Hand vorbereitetes Angriffs- 
manöver, beſtimmt, die Autorität der Regierungskommiſſion zu vernichten und dar— 
zutun, daß das im Friedensvertrag für die Verwaltung des Saargebiets vorgeſehene 
Statut unausführbar ſei. Er ſollte die Regierungskommiſſion der Mitarbeit aller 
ihrer Hilfskräfte berauben, ſie zur Ohnmacht verurteilen und beweiſen, daß eine vom 
Zölkerbund in Ausführung des Vertrags von Verſailles eingeſetzte Regierung nicht 
lebensfähig ſein könne. | 

Die Regierungskommiſſion hat es verſtanden zu beweiſen, daß der Abfall der 
Beamten, mögen auch ſeine Folgen noch ſo unangenehm für das Wohlergehen der 
Bevölkerung geweſen ſein, ſie nicht in die Unmöglichkeit verſetzte, zu regieren, die 
Ordnung im Gebiet aufrecht zu erhalten, die freie Ausbeutung der franzöſiſchen 
Staatsgruben zu gewährleiſten und ſogar den Eiſenbahnverkehr aufrechtzuerhalten. 

Sobald bewieſen war, daß die Kommiſſion vor den abtrünnigen Beamten nicht 
kapitulieren werde und daß ſie die Mittel hatte, auf ſie zu verzichten, hatte ſie ge— 
wonnenes Spiel. Die Arbeit iſt wieder aufgenommen worden, ohne daß ſie die 
Abgeordneten der Streikenden empfangen oder das Beamten -Statut in einem einzigen 
Punkte geändert hätte. 

Die Bevölkerung ſcheint übrigens in ihrer großen Mehrheit verſtanden zu haben, 
daß ſie ſich einem einfachen politiſchen Manöver gegenüber befand, deſſen Leiter zum 
mhm il außerhalb der Grenzen des Gebietes geſucht werden mußten. Alle Be— 

ungen des Streikkomitees, die Bergleute und die Arbeiter der Hütteninduſtrie 
zu einer Solidaritätserklärung mit den Beamten zu veranlaſſen, ſind geſcheitert. 
) Dieſer Bericht iſt nicht veröffentlicht; einzelne Stellen daraus find wiedergegeben in der Anlage 
der Note des Völkerbundes vom 24. Juni 1921 (Nr. 161). 


8 


Der 24 ſtündige Sympathie-Generalſtreik war nur ein Akt der Kameradſchaft und 
beſtimmt, den Rückzug der Beamten zu decken. Tatſächlich haben die Aufforderungen 
zur Rebellion und die Worte des Haſſes der Leiter der Bewegung kaum ein Echo 
unter den Bewohnern des Beckens gefunden. 

Dieſe haben im allgemeinen über die Abſichten der Regierungskommiſſion Klarheit 
gewonnen. Sie haben erkannt, daß die Kommiſſion weder ihre Autorität verſpotten 
laſſen noch dulden konnte, daß ihre Beamten einem anderen Einfluß ausgeſetzt blieben 
als dem ihrigen. Sie haben gemerkt, daß eine von auswärts unterhaltene Agitation 
nur den Erfolg haben könnte, ihr Wohlergehen und ihre Intereſſen zu gefährden. 

Daher iſt auch die Autorität der Regierungskommiſſion geſtärkt aus der Kriſis 
hervorgegangen. Allerdings hat fie Gewaltmaßnahmen ergreifen müſſen. Sie hat 
den Belagerungszuſtand erklärt und die Polizei dem kommandierenden General der 
Garniſontruppen übertragen. Dieſer hat eine gewiſſe Zahl von Ausweiſungen vor⸗ 
genommen und Verfolgungen vor dem Kriegsgericht angeordnet. Urteile ſind ergangen, 
namentlich gegen den früheren Reichstagsabgeordneten Ollmert, den Organiſator 
des »Heimatdienſt« im Saargebiet, deſſen Schuld durch ein bei ihm beſchlagnahmtes 
Bündel von Urkunden bewieſen war; er iſt vor kurzem im Kontumazialverfahren zu 
lebenslänglicher Freiheitsſtrafe verurteilt worden. 

Wenn die Kommiſſion nicht eine ſo energiſche Haltung eingenommen hätte, 
wären Unruhen entſtanden. Sie hätte all ihren Kredit bei der Bevölkerung verloren 
und unwiderruflich ihren Erfolg gefährdet. 

Heute erntet ſie im Gegenteil die Früchte ihrer Feſtigkeit. Mehr als man unmittel⸗ 
bar nach Beendigung der Kriſis hoffen konnte, ſtellt ſie feſt, wie glücklich ihre Taktik 
war und welch vorzügliche Ergebniſſe dieſe gezeitigt hat. Niemals war das Gebiet 
ſo ruhig, niemals waren die Gemüter mehr beſänftigt. Die Zeitungen, die ſeit dem 
Ende des Streiks ihre volle Freiheit wiedererhalten haben, enthalten ſich jener ſyſte— 
matiſchen Feldzüge von Anſchwärzung und Beleidigungen, deren Folgen ſo unheilvoll 
waren; eine allgemeine Beruhigung hat ſich kundgetan. Gewiſſe Parteien oder 
politiſche Perſönlichkeiten haben öffentlich ihren Wunſch bekundet, mit der Negierungs- 
kommiſſion zuſammenzuarbeiten. Ein beſonders bezeichnender Schritt iſt bei dem 
Präſidenten ſeitens der ehemaligen Deutſchen Volspartei erfolgt, die zu ihm gekommen 
iſt mit der Erklärung, daß ſie eine neue Orientierung annähme, daß ſie ſich in Zu— 
kunft auf den Boden des Friedensvertrags ſtelle, ihre Tätigkeit auf das Saargebiet 
beſchränken werde und keine Beziehungen mehr zu Organiſationen unterhalten werde, 
die ihren Sitz außerhalb des Beckens haben. Die Einſetzung der neuen Stadtver- 
waltungen hat dem Präſidenten Gelegenheit gegeben, mit einer großen Zahl von 
Bürgermeiſtern in Beziehung zu treten; bei allen Unterhaltungen, die er bei dieſer 
Gelegenheit gehabt hat, hat der Präſident den ganz klaren Eindruck gewonnen, daß 
eine Entfpannung in den Gemütern eingetreten iſt und die Autorität der Regierungs— 
kommiſſion nicht mehr in Frage geſtellt iſt. | 

Dieſe neue Sachlage hat der Regierungskommiſſion geftattet, Gnadenmaßnahmen 
zu treffen. Die Liſte der Ausweiſungen, die von den Militärbehörden verfügt worden 
waren, iſt von dem Präſidenten einer Nachprüfung unterzogen worden; viele Aus⸗ 
weiſungen ſind aufgehoben worden. Der kommandierende General der Truppen des 
Saargebiets hat eine große Zahl von Perſonen, die durch das Kriegsgericht ver— 
urteilt worden waren, begnadigt. Die Regierungskommiſſion hat in Abänderung 
ihres früheren Beſchluſſes mit Rückſicht auf die Teuerung die Bezahlung der Streik— 
tage an die Beamten und Arbeiter der öffentlichen Behörden genehmigt. ä 

Maßnahmen, die weiter unten erwähnt ſind, zeigen, daß ſie der wirtſchaftlichen 
Lage der Beamten Rechnung getragen hat und die Maſſe ihrer Untergebenen nicht 
für die Manöver einiger Intriganten oder überſpannten Perſonen leiden laſſen wollte. 

Trotz all ihres Wohlwollens hat aber die Kommiſſion einige Beamte, die fort— 
fuhren, eine gefährliche Agitation zu unterhalten, namentlich unter dem Perſonal der 
Poſt und Eiſenbahn, ihrer Urſprungsregierung wieder zur Verfügung ſtellen müſſen. 


239 


So ſehr ſich die Regierungskommiſſion zu der Beruhigung, die ſoeben feſtgeſtellt 
worden iſt, beglückwünſcht, gibt ſie ſich nicht einem übertriebenen Optimismus hin. 
Sie weiß, daß dieſe verſöhnliche Stimmung nicht bei allen Bewohnern und ins— 
beſondere nicht bei allen Beamten gleich tief und aufrichtig iſt. Sie verkennt nicht, 
daß ein von außen kommendes Stichwort in einem gewiſſen Maße die Lage ver— 
ändern kann. 

Die Ereigniſſe des Monats Auguſt haben gezeigt, daß die Kommiſſion auf 
ihrer Hut zu ſein verſteht. Trotzdem freut ſie ſich, heute feſtſtellen zu können, daß 
ihre durch eine Probe befeſtigte Autorität ihr geſtattet, unter günſtigeren Bedingungen 
das vor acht Monaten begonnene Werk fortzuführen. . . ... 


Nr. 158. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker— 
bundsrat vom 25. Januar 1921. 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 2. Jahrgang, Heft 2, Seite 198 ff.) 
(berſetzung.) 


Politiſche Lage. 

Die öffentliche Ordnung iſt während dieſer drei Monate (1. November 1920 
bis 1. Februar 1921) in keinem Augenblick geſtört worden. Die Ruhe war vollkommen. 

In politiſcher Hinſicht hat die in meinem letzten Bericht feſtgeſtellte Beruhigung 
angehalten Die Beziehungen zwiſchen der Bevölkerung, den Beamten und der 
Regierungskommiſſion ſind häufiger und ungezwungener geworden. Eine unmittel— 
bare Zuſammenarbeit zwiſchen der Verwaltung und den gewählten Vertretern der 
Bevölkerung iſt anläßlich des Unternehmens der Erſtellung billiger Wohnungen zu— 
ſtande gekommen, wovon weiter unten die Rede ſein wird. Die Regierungskommiſſion 
iſt einem Widerſtande faſt nur bei einer Saarbrücker ſozialiſtiſchen Zeitung begegnet, 
die über gewiſſe Veränderungen in der Direktion des Unterrichtsweſens unzufrieden 
iſt. Es ſcheint aber, daß hier mehr Perſonenfragen im Spiele ſind als Fragen 
politiſcher Art. Dieſe Entſpannung hat dem Präſidenten der Regierungskommiſſion 
geſtattet, eine große Zahl der Ausweiſungen rückgängig zu machen, die anläßlich der 
Streikbewegung im Monat Auguſt v. J. von der Militärbehörde verfügt worden 
en yy 


Beamtenfrage. 


Aus den vorhergehenden Berichten der Regierungskommiſſion kann man die 
Schwierigkeiten verfolgen, denen ſie begegnete, als ſie, um den Gang der Verwal— 
tung zu ermöglichen, die Beamten des Gebiets in ihren Dienſt übernehmen wollte. 
Man erinnert ſich, daß ſie in ihrer Verordnung vom 16. März und in dem Beamten— 
ſtatut vom 29. Juli 1920 ſich das Recht vorbehalten hatte, während einer Friſt 
von 6 Monaten die Beamten ihren Urſprungsregierungen zur Verfügung zu ſtellen; 
die Friſt ſollte laufen von dem Tage ab, an dem die mit Deutſchland bezüglich des 
Übertritts dieſer Beamten aufgenommenen Verhandlungen beendet ſein würden. 
Dieſer Beſchluß war auf den Antrag des ſaarländiſchen Mitgliedes der Kommiſſion 
efaßt worden, um gerade im Intereſſe der Beamten das Recht der Regierungs— 
ommiſſion, die Beamten zu ernennen und abzuberufen, zu mildern. 


Immerhin hatte die Kommiſſion, um ihre wohlwollende Abſicht deutlich zu be— 
tonen, ſich damit einverſtanden erklärt, daß die Beamten noch vor Ablauf dieſer 
Friſt von 6 Monaten auf Antrag zur Eidesleiſtung zugelaſſen werden konnten und 
daß ſie nach Ermächtigung zur Eidesleiſtung ihrer Urſprungsregierung nicht mehr 
zur Verfügung geſtellt werden könnten. Nach der Auffaſſung der Regierungskom— 


Ba 


miffion handelte es ſich lediglich um Einzelanträge, die von jedem einzelnen Beamten 
vorgebracht wurden. 


Gegen Ende November haben nun die Beamten durch Vermittlung des Vor- 
ſitzenden ihrer Vereinigung beantragt, gemeinſam zur Eidesleiſtung zugelaſſen zu werden. 
Die Kommiſſion hat ihren Antrag reichlich erwogen; mit Rückſicht auf den fernen 
Zeitpunkt, zu dem aller Wahrſcheinlichkeit nach die Verhandlungen mit Deutſchland 
zu Ende kommen würden, hat ſie es für zweckmäßig gehalten, der Ungewißheit, in 
der ſich die Beamten befanden, ein Ende zu machen. Demgemäß hat ſie beſchloſſen, 
ſie insgeſamt zur Eidesleiſtung zuzulaſſen mit folgenden beiden Vorbehalten: 

1. Sie weigerte ſich, zur Eidesleiſtung eine kleine Zahl von ihnen zuzulaſſen, 
die ihr nicht die gewünſchten Bedingungen der Befähigung oder der Loyalität 
zu erfüllen ſchienen; den in Rede ſtehenden Beamten hat ſie ihren Beſchluß 
vor dem 15. Dezember mitgeteilt. | 

2. Sie behielt ſich das Recht vor, Beamte nach Leiſtung des Eides zur Ver⸗ 

b fügung ihrer Urſprungsregierung zu ſtellen, wenn die Stellen, die ſie inne⸗ 
haben, aus Sparſamkeitsgründen eingezogen werden ſollten. 

Vom 15. Dezember ab ſind alſo alle Beamten über ihr Los im Klaren geweſen; 
die Zahl derer, die ihren Urſprungsregierungen zur Verfügung geſtellt wurden, war 
ſehr klein und umfaßte beinahe nur höhere Beamte oder Bürgermeiſter. In Zukunft 
werden die Beamten ihrer Stellung nur durch diſziplinariſche Maßnahmen nach Ver⸗ 
nehmung vor einem Diſziplinarhof enthoben werden können. 


Die Beamten ſcheinen den Beſchluß der Regierungskommiſſion, der eine lange 
Periode von Schwierigkeiten abſchließt, gewürdigt zu haben. Indem ſie den Eid geleiſtet 
haben, haben ſie das Statut vom 29. Juli, deſſen Erlaß der Grund zu dem Streik 
in den öffentlichen Behörden im Monat Auguſt v. J. geweſen war, angenommen. Es 
mag hierbei hervorgehoben werden, daß nur ein einziger Beamter ſich geweigert hat, 
den Eid zu leiſten. Die Beamtenfrage kann als erledigt betrachtet werden ....... 


Nr. 159. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des Saar⸗ 
| gebiet3 vom 31. März 1921. 
Auswärtiges Amt. 


Nr. II. S. G. 314. Berlin, den 31. März 1921. 
Herr Präſident! | 


Die Deutſche Regierung ſieht ſich, nachdem fie inzwiſchen eingehende Prüfungen 
des ihr zugegangenen Materials vorgenommen hat, genötigt, auf die Vorkommniſſe, 
die ſich im Herbſt 1920 zugetragen haben, zurückzukommen und insbeſondere zu den 
damaligen Maſſenausweiſungen folgendes auszuführen: 

Alsbald, nachdem Anfang Auguſt 1920 der verſchärfte Belagerungszuſtand im 
Saargebiet verhängt worden war, gingen die franzöſiſchen Truppen dazu über, zahl— 
reiche Verhaftungen, Hausſuchungen und Ausweiſungen vorzunehmen. Dieſe Maß⸗ 
nahmen erſtreckten ſich auf alle Schichten der Bevölkerung. Unter den Ausgewieſenen 
befanden ſich Beamte, Richter, Rechtsanwälte, Pfarrer, Schulleiter, Lehrer und Lehre⸗ 
rinnen, Zeitungsverleger, Redakteure, Bürgermeiſter, Beigeordnete, Arzte, Apotheker, 
Buchhändler, Kaufleute uſw. n 

Bei den Ausweiſungen und Verhaftungen iſt nicht ſelten mit großer Härte vor⸗ 
gegangen worden. In vielen Fällen iſt den Ausgewieſenen nicht einmal ein ſchrift— 
licher Haft⸗ oder Ausweiſungsbefehl vorgezeigt worden, auch hat ein Verhör nicht 
ſtattgefunden. Soweit die Betroffenen ſchriftliche Ausweiſungsbefehle erhielten, waren 
es Papiere, die einſchließlich der Unterſchrift des franzöſiſchen Generals im mecha- 
niſchen Vervielfältigungsverfahren hergeſtellt waren und unterſchiedslos dahin lauteten, 


— 241 — 


daß der Betroffene als gefährliches und ordnungsſtörendes Element anzuſehen ſei und 
auf das rechte Rheinufer ins unbeſetzte Gebiet ausgewieſen werde. 


Es fällt ſchwer, über die Gründe der Ausweiſungen ein klares Bild zu ge— 
winnen. Sicher iſt jedenfalls, daß bei der Mehrzahl der Ausgewieſenen keinerlei Zu— 
ſammenhang mit der Arbeitseinſtellung der Beamten beſtand, denn ſie ſtanden dieſer 
Bewegung völlig fern. Ferner iſt erwieſen, daß bei den Ausweiſungen Liſten ver- 
wendet wurden, die ſchon im Jahre 1919 aufgeſtellt worden waren; beiſpielsweiſe 
wurden in der Stadt Neunkirchen zwei Perſonen zwecks Ausweiſung geſucht, von 
denen die eine ſchon ein Jahr tot und die andere ſchon vor einem halben Jahr ver— 
gogen war. In einzelnen Fällen liegen auch amtliche Außerungen der Regierungs— 

mmiſſion vor, in denen die Ausweiſung nicht etwa mit den Ereigniſſen im Monat 
Auguſt, ſondern mit der Haltung des Betroffenen im Monat März 1920 be— 
gründet wird. 


Zwar hat die Regierungskommiſſion der Mehrzahl der Ausgewieſenen ſchon 
nach wenigen Wochen die Rückkehr geſtattet, jedoch wartet eine nicht unbeträchtliche 
Anzahl noch heute auf dieſe Erlaubnis. Anderen iſt die Rückkehr ausdrücklich ver⸗ 
weigert worden, ohne daß ſie die genauen Gründe dafür erfahren konnten. Über— 
haupt hat die Regierungskommiſſion die Ausweiſung nicht kurzer Hand aufgehoben, 
ſondern ſich die Prüfung jedes einzelnen Falles vorbehalten. Sie iſt alſo der Anſicht, 
daß die Ausweiſungen rechtsgültig ergangen ſind, ja ſogar, daß ſie mit der Aufhebung 
des Belagerungszuſtandes nicht von ſelbſt ihre Wirkſamkeit verloren haben. 

Gerade gegen dieſen Standpunkt der Regierungskommiſſion muß die Deutſche 
— 1 unter Berufung auf den Vertrag von Verſailles entſchieden Widerſpruch 
erheben. 


Die Ausweiſungen entbehren der Rechtsgrundlage, da fie dem auch im Saar- 
yon geltenden Freizügigkeitsgeſetz widerſprechen. Auch der Belagerungszuſtand kann 
er Regierungskommiſſion nicht das Recht geben, die ihrem Schutze anvertrauten 
Perſonen aus dem geſamten, ihrer Regierung unterſtellten Gebiet auszuweiſen. Schon 
die Übertragung der vollziehenden Gewalt an einen franzöſiſchen General war nach 
dem Vertrag von Verſailles unzuläſſig, da die Aufrechterhaltung der Ordnung im 
Saargebiet nach ausdrücklicher Beſtimmung des Vertrages nur durch eine örtliche 
Gendarmerie, nicht aber durch franzöſiſche Truppen erfolgen darf. Endlich iſt auch 
darauf hinzuweiſen, daß die Ausweiſungen nicht nur für das Saargebiet, ſondern 
auch für das beſetzte Rheinland ausgeſprochen wurden, eine Zuſtändigkeitsüberſchreitung, 
für die eine Erklärung nicht gefunden werden kann ). 

Wichtiger als dieſe Feſtſtellungen iſt aber die Tatſache, daß die gen ip 
und die Stellung, die die Regierungskommiſſion zu ihnen eingenommen hat, den 
oberſten Grundſätzen widerſprechen, die im Vertrag von Verſailles für die Regierung 
des Saargebiets feſtgelegt ſind. Im Vertrag von Verſailles heißt es an verſchiedenen 
Stellen, daß die Rechte und das Wohlergehen der Bevölkerung ſichergeſtellt werden 
ſollen. Der Deutſchen Regierung iſt zugeſichert worden, daß die im Vertrag vor— 
geſehene Regierungsform ſorgfältig ausgearbeitet worden ſei, in der Abſicht, auch für 
das Wohlergehen der Bevölkerung zu ſorgen, und daß in jeder Hinſicht die Inter— 
eſſen der Bewohner ſichergeſtellt worden ſeien und ihre Lage verbeſſert werden ſolle. 

enn die Regierungskommiſſion glaubt, gegen einzelne Perſonen wegen Gefährdung 
der öffentlichen Ordnung vorgehen zu müſſen, ſo bieten ihr die beſtehenden Geſetze 


) Der Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets hat im Auguſt 1920 die interalliierte 
Rheinlandkommiſſion erſucht, den von der Regierungskommiſſion ausgewieſenen Individuen — »Agi— 
tatoren, Anarchiſten, Streikſtifter ufw.« — die Aufenthaltserlaubnis auch für das beſetzte Gebiet zu verſagen. 
Die interalliierte Rheinlandkommiſſion hat dieſem Erſuchen gegenüber den Standpunkt eingenommen, fie 
könne ſich nicht verpflichten, ſämtliche aus dem Saargebiet ausgewieſenen Perſonen nicht im beſetzten 
Gebiet zu dulden, ſei aber bereit, die einzelnen Falle zu prüfen, und bitte deshalb die Regierungs⸗ 
kommiſſion, ihr eine Liſte der ausgewieſenen Perſonen unter Angabe der Ausweiſungsgründe zugehen zu 
laſſen (vgl. Nr. 152 und 153). 


N 


hierzu eine ausreichende Handhabe. Wenn fie aber die Ausweiſung von Bewohnern 
des Saargebiets duldet und beſtätigt, fo verkehrt fie damit die ihr durch den Friedens— 
vertrag geſtellte Aufgabe des Schutzes der Bevölkerung des Saargebiets und ihrer 
Freiheiten in ihr Gegenteil. | 

Aus dieſen Gründen legt die Deutſche Regierung feierlich und nachdrücklich Ver— 
wahrung ein gegen die Haltung der Regierungskommiſſion in der Frage der Aus— 
weiſungen. 

Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker— 
bundes zugehen laſſen. 
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 

gez. von Haniel. 

An 

die Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 


Hochwohlgeboren 
Saarbrücken. 


(Die Note iſt ohne Antwort geblieben.) 


Nr. 160. 
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 31. März 1921. 


Auswärtiges Amt. i a 1 a 
Nr. II 8 8 814 Berlin, den 31 März 1921. 


Herr Generalſekretär! 


Ich habe die Ehre, Ihnen anbei Abſchrift eines Schreibens zu übermitteln, das 
ich an die Regierungskommiſſion des Saargebiets gerichtet und in dem ich namens 
der Deutſchen Regierung Stellung genommen habe zu den Maſſenausweiſungen aus 
dem Saargebiet. 

Auch dem Völkerbunde gegenüber erhebt die Deutſche Regierung Einſpruch gegen 
das Verhalten der Regierungskommiſſion des Saargebiets, das mit dem Vertrag von 
Verſailles unvereinbar iſt. | 

Ich bitte Sie, dieſes Schreiben und feine Anlage den Mitgliedern des Völker— 
bundes zur Kenntnis zu bringen und eine Entſcheidung des Bundes zu den darin 
berührten Fragen herbeizuführen. 

Eine franzöſiſche Überſetzung dieſes Schreibens und der Anlage in je 50 Exemplaren 
füge ich mit der Bitte um Verteilung an die Mitglieder des Völkerbundes bei. 

Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung ). 

gez. von Haniel. 

An 

den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes, 
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond, 
NF OMG, . B. 


Genf. 


) Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 159 wiedergegebenen Note beigefügt worden. 


. A 


Nr. 161. 


Note des Völkerbundes an die deutſche Regierung vom 24. Juni 1921. 


(Überſetzung). 
Völkerbund. 
3/13495/11947. Genf, den 24. Juni 1921. 
| Herr Miniſter! 

Mit Beziehung auf mein Schreiben vom 8. April 1921 und auf Ihre Noten 
vom 31. März 1921, betreffend die Ausweiſung von Einwohnern des Saarbeckens, habe 
ich die Ehre, Ihnen anbei, entſprechend einem Beſchluß des Völkerbundsrats in ſeiner 
Sitzung vom 20. Juni, eine Abſchrift des Berichtes über dieſe Frage zu überſenden, 
der an dem genannten Tage vom Völkerbundsrat genehmigt worden iſt. Entſprechend 
Ihrem Antrage werden Abſchriften der beiden Noten der deutſchen Regierung vom 
31. März den Mitgliedern des Völkerbundes zur Information übermittelt werden. 

Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 

gez. Erie Drummond, 
Generalſekretär. 


Seiner Exzellenz 
dem deutſchen Miniſter des Auswärtigen, 


Berlin, 


Deutſchland. 
Anlage. 
(berſetzung.) 
Völkerbund. Genf, den 22. Juni 1921. 
Saarbecken. 


Angebliche Maſſenausweiſungen von Einwohnern des Saargebiets. 


Bericht, erſtattet von Herrn Wellington Koo, Vertreter Chinas, und 
genehmigt vom Rat am 20. Juni. 


J. Die deutſche Regierung erhebt in einem an den Generalſekretär gerichteten 
Schreiben vom 31. März 1921 Einſpruch gegen Maſſenausweiſungen von Einwohnern 
des Saargebiets; ſie erklärt, dieſe Ausweiſungen ſeien von den franzöſiſchen Militär— 
behörden nach der Verhängung des Belagerungszuſtandes durch die Regierungs— 
kommiſſion im Auguſt 1920 vorgenommen worden. Sie proteſtiert gleichfalls gegen 
das mehreren ausgewieſenen Perſonen mitgeteilte Verbot der Rückkehr in das Gebiet 
nach Aufhebung des Belagerungszuſtandes. 


II. Die deutſche Regierung ſtützt ſich in rechtlicher Hinſicht auf folgende Gründe: 


beſtätigt worden. 


— MM — 


b) Der Belagerungszuſtand als ſolcher kann die Ausweiſung aus dem gefamten 
Saargebiet nicht rechtfertigen. Die Regierungskommiſſion hat ſogar die 
Wirkſamkeit der Ausweiſungen auf die geſamten rheiniſchen Gebiete erſtreckt, 
obwohl dieſe außerhalb des Bereichs ihrer Regierungsbefugniſſe liegen. 

e) Die Übertragung der vollziehenden Gewalt auf einen franzöſiſchen General 
iſt unvereinbar mit den ee des Vertrags von Verſailles, der 
die Aufgabe der Aufrechterhaltung der Ordnung im Saarbecken lediglich 
einer örtlichen Gendarmerie überträgt. 


d) Die Ausweiſungen ſtehen im Widerſpruch zu der der Kommiſſion obliegenden 
Pflicht, die Bevölkerung des Saargebiets und die ihr durch den Verſailler 
Vertrag gewährleiſteten Freiheiten zu ſchützen. 


Die deutſche Regierung behauptet ferner, bei den Ausweiſungen ſei mit ſehr 
großer Härte verfahren worden, und die Mehrzahl der Perſonen, die auf dieſe Weiſe 
ausgewieſen worden ſeien, hätten in keinerlei Beziehung zu dem Beamtenſtreik, dem 
Anlaß für die Verhängung des Belagerungszuſtandes, geſtanden. 


III. Der Präſident der Regierungskommiſſion teilt in einem Schreiben an den 
Generalſekretär vom 11. Juni 1921 mit, daß er über dieſe Ausweiſungen bereits 
in ſeinen Berichten vom 18. Auguſt und 25. Oktober 1920 Aufſchluß erteilt habe. 

Der Bericht vom 18. Auguſt gibt eine genaue Darſtellung der Ereigniſſe 
während des Beamtenſtreiks und der Maßnahmen, die von der Regierungskommiſſion 
angeſichts der Sachlage getroffen worden ſind. In dem Bericht heißt es: »Während 
des Streiks haben die für die Aufrechterhaltung der Ordnung mir zur Verfügung 
geſtellten Garniſontruppen mich in wertvollſter und hingebendſter Weiſe unterſtützt. 
General Briſſaud⸗Desmaillet, Befehlshaber der Truppen des Saargebiets, hat ſich in 
ſtändiger Fühlung mit dem Präſidenten der Regierungskommiſſion gehalten und iſt 
deſſen Ratſchlägen willfährig nachgekommen. Meinerſeits habe ich ihm volle Freiheit 
gelaſſen, für die Ordnung durch die ihm geeignet erſcheinenden Mittel zu ſorgen. 
Er hat geglaubt, Ausweiſungsbefehle gegen etwa 100 notoriſche Pangermaniſten 
erlaſſen zu ſollen, faſt alles dem Saargebiet fremde Deutſche, die er für fähig hielt, 
Agitation zu treiben.« 

Der Bericht vom 26. Oktober (fünfter laufender Bericht der Kommiſſion) iſt 
veröffentlicht im Amtsblatt des Völkerbundes, Jahrgang 1920, Nr. 8. Er enthält 
eine zuſammenfaſſende Darſtellung des Beamtenſtreiks und erwähnt auch kurz die 
von dem franzöſiſchen General angeordneten Ausweiſungen. | 


IV. Wie auch in einem anderen hier vorgelegten Bericht über den Proteſt der 
deutſchen Regierung gegen die Anweſenheit franzöſiſcher Truppen im Saargebiet aus⸗ 
geführt iſt, muß die Regierungskommiſſion diskretionäre Befugniſſe haben, die ihr 
geſtatten, in dringlichen Fällen alle erforderlichen Maßnahmen für den Schutz von 
Perſon und Eigentum im Saargebiet zu treffen. Natürlich muß unterſchieden werden 
zwiſchen dem Belagerungszuſtand, der die Folge außergewöhnlicher Ereigniſſe iſt, 
und dem Zuſtande nach der Rückkehr zu normalen Verhältniſſen. Der Rat könnte 
den Wunſch ausdrücken, daß der Regierungskommiſſion anempfohlen wird, eine neue 
Nachprüfung der Fälle vorzunehmen, in denen Ausweiſungsbefehle noch gegen irgend— 
welche Perſonen in Kraft ſind, mit dem Ziele, dieſe Fälle auf die geringſtmögliche, 
mit der Aufrechterhaltung der Ordnung im Saarbecken verträgliche Zahl zurückzu⸗ 
führen. Das Ergebnis jeder derartigen Nachprüfung, die einzeln für jede von dem 
Aufenthaltsverbot noch betroffene Perſon vorzunehmen wäre, ſollte ſobald als mög- 
lich dem Völkerbundsrat zur Information mitgeteilt werden. | | 


V. Wenn der Rat den Schlußfolgerungen des vorliegenden Berichts zuſtimmt, 
könnte er beſchließen, daß eine Abſchrift davon als Richtlinie der Regierungs⸗ 
kommiſſion des Saargebiets überſandt wird, ſowie eine weitere Abſchrift an die 
deutſche Regierung in Beantwortung ihrer Note vom 31. März 1921. 


XII. 


Beteiligung der gewählten Vertreter der Bevölkerung 
an der Regierung. 


Nr. 162. 
Die einſchlägigen Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles. 


Teil III, Abſchnitt IV, Anlage zu Artikel 45 bis 50, Kapitel II. 


8 23. 


Die Geſetze und Verordnungen, die im Saarbeckengebiet am 11. November 1918 
in Kraft waren, bleiben (abgeſehen von den mit Rückſicht auf den Kriegszuſtand 
getroffenen Beſtimmungen) in Kraft. 

Sollten aus allgemeinen Geſichtspunkten oder um dieſe Geſetze und Verordnungen 
mit den Beſtimmungen des gegenwärtigen Vertrags in Einklang zu bringen, Ande— 
rungen nötig werden, ſo werden dieſe durch die Regierungskommiſſion nach Anhörung 
der gewählten Vertreter der Bevölkerung beſchloſſen und eingeführt. Über die Form 
der Einholung dieſer Außerung entſcheidet die Kommiſſion .. . .. 


$ 26. 
Die Regierungskommiſſion hat allein das Recht, im Bereich des Saarbecken— 
gebiets Steuern und Abgaben zu erheben. 


Die Abgaben und Steuern ſind ausſchließlich für die Bedürfniſſe des Gebiets 
zu verwenden. 

Das Steuerſyſtem, das am 11. November 1918 beſtand, wird beibehalten, ſo— 
weit die Verhältniſſe es geſtatten. Abgeſehen von Zöllen, darf keine neue Abgabe 
ohne vorherige Befragung der gewählten Vertreter der Einwohner erhoben werden. 


§ 28. 

a Die Einwohner behalten unter der Überwachung der Regierungskommiſſion ihre 
örtlichen Vertretungen, ihre religiöſen Freiheiten und ihre Sprache. 

Das Wahlrecht darf für keine anderen als für die örtlichen Vertretungen aus— 


geübt werden; es ſteht jedem über 20 Jahre alten Einwohner ohne Unterſchied des 
Geſchlechts zu. 


Nr. 163. 


Erklärungen des Präſidenten der Regierungskommiſſion des Saar⸗ 
gebiets an die Vorſtände der politiſchen Parteien über die Verfaſſung 
des Saargebiets (Ende März 1920). 


Zeitungsbericht. 

Hinſichtlich der Verfaſſung gab der Präſident die Erklärung ab, daß die Re- 
gierung in keiner Weiſe diktatoriſch auftreten wolle. Sofort nach den Wahlen ſolle 
ein großer Regierungsbeirat gegründet werden, zu dem alle Kreiſe der Bevölkerung 
herangezogen werden ſollen. Dieſer Regierungsbeirat hätte in allen wichtigen Fragen 
ſein Gutachten abzugeben. Eine Verfaſſung könne erſt gegeben werden, wenn die 
Verhältniſſe im Saarlande ſich reſtlos geklaͤrt haben würden. 


— 


Nr. 164. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets 
an den Völkerbundsrat vom 1. Juli 1920. 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, J. Jahrgang, Heft 6, Seite 372f.) 
(berſetzung.) 


„ e e ere ee Te. 


Schluß. 

Der Monat Juni bezeichnet das Ende der erſten Periode der Regierung des 
Slaarbeckens durch die den Völkerbund vertretende Kommiſſion. Bisher iſt es nicht 
möglich geweſen, die örtlichen Vertretungen zu berückſichtigen, die vor dem Kriege 
auf Grund eines beſchränkten Wahlrechts gewählt worden waren und nicht als eine 
Vertretung des Landes angeſehen werden konnten. Eine der erſten Sorgen der 
Kommiſſion war es, eine Wahlordnung zu erlaſſen, deren Einzelheiten durch zwei 
ſpätere Verordnungen feſtgelegt worden ſind. 

Im Laufe des Monats Juni iſt die Aufſtellung der Liſten und die Vorbereitung 
der Wahlhandlungen vorgenommen worden. Die Kommiſſion hat mit Befriedigung 
feſtſtellen können, daß keine Schwierigkeit aufgetreten iſt, und daß die Reklamationen 
außerordentlich ſelten geweſen ſind. Vor Ende Juli werden die Stadtverordneten— 
verſammlungen und die Kreistage, die beide auf dem allgemeinen Wahlrecht beruhen, 
begründet ſein. Der Wahlkampf iſt ſchon jetzt eröffnet; er geht unter vollkommener 
Ruhe und Würde vor ſich, obwohl die Konkurrenz der verſchiedenen politiſchen Parteien 
hitzig iſt; ſechs verſchiedene Liſten ſind in der Mehrzahl der Gemeinden aufgelegt 
worden, und in Saarbrücken zählt man ſogar ſieben. Es ſind dies die erſten Volks— 
befragungen, die im Saargebiet ſeit 1914 erfolgen; die Bevölkerung läßt es ſich ſehr 
angelegen ſein, von den ihr zuerkannten öffentlichen Freiheiten Gebrauch zu machen. 

Von Ende Juli ab wird die Regierungskommiſſion in der Lage ſein, gemäß den 
SS 23 und 26 der Anlage zu Abſchnitt 4 (Teil III) des Friedensvertrags von Ver⸗ 
ſailles die örtlichen Vertretungen zu befragen; ſie wird auf dieſem Wege an den in 
dem Gebiet geltenden Geſetzen und Verordnungen die Anderungen vornehmen können, 
die unerläßlich erſcheinen, und ſich die Einnahmequellen erſchließen können, deren ſie 
bedarf. Ihre Tätigkeit wird ſo einen neuen Charakter erhalten. 


Nr. 165. 


Eingabe der politiſchen Parteien an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets. 


A Saarbrücken, den 19. Juli 1920. 
n 
die Regierungskommiſſion des Saargebiets, 

Saarbrücken. 


Die ſämtlichen politiſchen Parteien des Saargebiets beehren ſich, der Regierungs⸗ 
kommiſſion die nachſtehende Eingabe zu unterbreiten: ö 

Nach § 23 Abſatz 2, § 26 Abſatz 3 Kapitel 2 der Anlage zu Abſchnitt IV des 
Friedensvertrages ſind vor der Einführung von Geſetzen und Geſetzesänderungen, 
ferner vor der Einführung neuer Steuern im Saargebiet die gewählten Vertreter der 
Bevölkerung zu hören. | 

Nachdem die Gemeinderatswahlen getätigt find, halten es die politiſchen Parteien 
des Saarbeckens ohne Ausnahme für ihre Pflicht, der Regierungskommiſſion den 
einmütigen Wunſch der Bevölkerung dahin kundzugeben, daß dieſe Vertreter un ver— 
züglich gewählt werden. Der Herr Präſident hat auch bei der erſten Unterredung 


— 247 — 


mit Vertretern der politiſchen Parteien die baldige Einführung einer Volksvertretung 
im Saargebiet in Ausſicht geſtellt. 

Nach § 28 Kapitel II der Anlage zu Abſchnitt IV des Friedensvertrages ſteht 
das Wahlrecht für dieſe Volksvertreter der geſamten Bevölkerung des Saargebiets 
vom vollendeten 20. Lebensjahre ab ohne Unterſchied des Geſchlechts zu. 

Die politiſchen Parteien richten an die Regierungskommiſſion das ergebene 
Erſuchen, die Wahlen für die obenerwähnten Vertreter der Bevölkerung als allgemeine, 
gleiche, geheime und direkte Wahlen nach dem Verhältniswahlſyſtem mit gebundenen 
Liſten ſtattfinden zu laſſen. Das bei den Gemeinderatswahlen eingeführte Syſtem 
der freien Liſten hat die Zuſtimmung der Bevölkerung nicht gefunden. Es bietet 
nicht die geringſte Gewähr, daß die Kandidaten, welche von den Parteien als Ver— 
treter gewünſcht werden, auch wirklich gewählt werden. Die politiſchen Parteien 
ſprechen die Bitte aus, zu den nötigen Vorbeſprechungen für die neue Wahlordnung 
zugezogen zu werden. 
Für die Demokratiſche Partei: 
gez. Köhl. 
Für die Deutſchnationale Partei: 
gez. Herrmann Heyne. 
Für die Liberale Volkspartei: 
gez. Gg. Schmidt. 
Für die Sozialdemokratiſche Partei: 
gez. V. Schäfer. 
Für die Unabhängige Sozialdemokratiſche Partei: 
gez. K. Schneider. 
Für die Zentrumspartei: 
gez. Dr. Jordans. 


Nr. 166. 


Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets 
an die politiſchen Parteien. 


(berſetzung.) 


Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 31. Juli 1920. 
Der Staatsrat, 
Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets 


an 


D e 


Unterm 19. Juli 1920 richteten Mitglieder verſchiedener politiſcher Parteien 
einen Brief an die Regierungskommiſſion mit der Bitte, die Wahl einer Volks— 
vertretung im Saargebiet veranlaſſen zu wollen. 

In ihrer Sitzung vom 28. Juli 1920 beſchäftigte ſich die Regierungskommiſſion 
mit dieſer Angelegenheit und beauftragte mich, darauf folgende Antwort zu erſtatten: 

»Gemäß Friedensvertrag von Verſailles, S 23 der Anlage zum Ab— 
ſchnitt IV (Teil III), beſchließt die Regierungskommiſſion und nimmt an 
den im Saargebiet geltenden Geſetzen und Verordnungen die nötig wer— 
denden Anderungen vor nach Befragung der von der Bevölkerung gewählten 
Vertreter in der von der Regierungskommiſſion vorgeſchriebenen Form. 
Nach § 26 werden keine neue Abgaben, abgeſehen von den Zöllen, einge— 
führt ohne vorheriges Befragen der von der Bevölkerung gewählten Ver 
treter. 

Die Regierungskommiſſion, der es zuſteht, zu beſtimmen, wie das 
ſeitens der von der Bevölkerung gewählten Vertreter abgegebene Gutachten 


17 


a 


entgegengenommen wird, hat angeordnet, daß bis auf weiteres die Kreis— 
tage und die Stadtverordnetenverſammlung von Saarbrücken (für den 
preußiſchen Teil des Gebietes), die Bezirkstage (für den bayeriſchen Teil) 
zur Tagung aufgefordert werden würden, um in den Fällen, die die SS 23 
und 26 der obengenannten Anlage des Friedensvertrages vorſehen, ihr Gut— 
achten abzugeben. Die Mitglieder dieſer Volksvertretung — hervorgegangen 


aus allgemeinen Wahlen — ſind Vertreter der ganzen Bevölkerung des 


Gebietes. 8 
Die Regierungskommiſſion wird durch Entgegennahme der Gutachten, 
die rein beratender Natur find, die Vorſchriften des Friedensvertrages aus— 
geführt haben. Sie behält ſich vor, ſpäter die Bildung einer beratenden 
Volksvertretung zu erwägen, deren Zuſammenſetzung und Befugniſſe ſie 
feſtſetzen würde.« 
; gez. V. Rault. 


Nr. 167. 


Verordnung betreffend Volksvertretung. 


(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 8 
vom 7. Auguſt 1920.) 


Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion für das Saargebiet 


an 


die Herren Landräte von Merzig, Ottweiler, St. Wendel, Saarbrücken 


und Saarlouis, an die Bezirksamtmänner von Homburg und 
St. Ingbert, an den Herrn Bürgermeiſter von Saarbrücken. 


Gemäß dem Friedensvertrag von Verſailles ſind die Anderungen, die an den 


im Saargebiet geltenden Geſetzen und Verordnungen nötig werden, um ſie in Ein— 
klang mit den Beſtimmungen des Friedensvertrags zu bringen oder aus anderen 
Gründen im Allgemeinen »von der Regierungskommiſſion zu beſchließen und aus⸗ 
zuführen, nachdem die von der Bevölkerung gewählten Vertreter in der von der 
Regierungskommiſſion vorgeſchriebenen Form ihr Gutachten abgegeben haben« (§ 23 
der Anlage, Abſchnitt 4, Teil 3). Anderſeits $ 26 »wird keine neue Abgabe, ab- 
geſehen von Zöllen, eingeführt, ohne vorheriges Befragen der von der Bevölkerung 
gewählten Vertreter «. 
| Es geht daraus hervor, daß die geſetzgebende Macht, ſogar was die Steuern 
anbetrifft, der Regierungskommiſſion zuſteht; letztere muß jedoch, bevor ſie an der 
beſtehenden Geſetzgebung Anderungen vornimmt, die gewählten Vertreter der Be⸗ 


völkerung anhören. Deren Gutachten iſt rein beratender Natur und bindet keineswegs 
die Regierungskommiſſion Es ſteht letzterer zu, zu beſtimmen, wie das ſeitens der 


gewählten Vertreter der Bevölkerung abgegebene Gutachten entgegengenommen wird. 
In Ausführung dieſer Vorſchrift des Friedensvertrags hat die Regierungskommiſſion 
am 28. Juli 1920 angeordnet, daß bis auf weiteres die Kreistage und die Stadt⸗ 
verordneten⸗Verſammlung von Saarbrücken (was den preußiſchen Teil anbetrifft), die 
Bezirkstage (was den bayeriſchen Teil anbetrifft) tagen ſollen in den Fällen, die die 
genannten SS 23 und 26 der Anlage vorſehen. Die Mitglieder dieſer Volksvertretung 
— aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen — ſind tatſächlich gewählte Vertreter 
der ganzen Bevölkerung. Die Regierungskommiſſion hat auch folgendermaßen feſt⸗ 
geſetzt, wie das Gutachten der Volksvertreter eingeholt wird. 

Die Angelegenheiten, in denen die Regierungskommiſſion die Anſicht der von der 
Bevölkerung gewählten Vertretern erfahren will, werden unter Darlegung der Gründe 
durch den Generalſekretär der Regierungskommiſſion den Herren Landräten und Be⸗ 
zirksamtmännern ſowie dem Herrn Bürgermeiſter von Saarbrücken unterbreitet. 


Letztere berufen innerhalb 14 Tagen ſpäteſtens die gewählten Vertreter zu einer N 


2 Sitzung, in der ſie den Vorſitz führen, und geben den Mitgliedern voll und ganz 


Kenntnis von allen ſeitens der Regierungskommiſſion gemachten Vorſchlägen mit 


ihrer Begründung. 


Die Kreistage bzw. die Bezirkstage und die Stadtverordnetenverſammlung von 


Saarbrücken beraten über dieſe Vorſchläge. Der Beſchluß wird in einem Protokoll 


niedergelegt, der die Meinungen und Anſichten der Redner, die an der Sitzung teil— 


nahmen, zuſammenfaßt, auch das Ergebnis der im Anſchluß daran erfolgten Ab— 


ſtimmung aufweiſt, fo daß die Regierungskommiſſion Kenntnis nehmen kann von 


den Wünſchen, Einwendungen und Anſichten, die ausgeſprochen werden auf Grund 
der von ihr gemachten Vorſchläge. 

Das Protokoll, verſehen mit der Unterſchrift des Vorſitzenden, wird ſofort dem 
Generalſekretariat der Regierungskommiſſion übermittelt. Es dürfen keine 3 Wochen 


> verſtreichen zwiſchen dem Tag, an dem die Vorfchläge den Herren Landräten, Be— 


r und dem Bürgermeiſter von Saarbrücken zugegangen ſind, und der 
bergabe der Protokolle an das Generalſekretariat. Nach Ablauf der 3 Wochen 
hält die Regierungskommiſſion die Befragung, wie ſie der Friedensvertrag vor— 


ſieht, für erfolgt. 
Saarbrücken, den 25. Juli 1920. 


Im Namen der Regierungskommiſſion. 


Der Präſident 
V. Rault, Staatsrat. 


Nr. 168. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker— 
bundsrat vom 25. Oktober 1920. 
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 8, Seite 67ff.) 


e ̃᷑ h ˙ . T . „„ „% „ „% „% „% „% „% „% „ % „ „ „0 


Das öffentliche Leben im Saargebiet. 

Die Wahlen. Eine der erſten Sorgen der Regierungskommiſſion war die Ver— 
kündung einer Wahlordnung, um den Wiederzuſammentritt der örtlichen Vertretungen 
zu ermöglichen. 

Die Wahlen haben am I. Juli für die Stadtverordneten-Verfammlungen und 
am 18. Juli für die Kreistage (im preußiſchen Teil des Saargebiets) und die Be— 


zirkstage (im bayeriſchen Teil) ſtattgefunden. 


Die Wahlen haben ſich in vollkommener Ruhe abgewickelt. Kein Zwiſchenfall 
iſt gemeldet worden, und die Zahl der Beanſtandungen war geringfügig. Es ſcheint, 
daß im allgemeinen die Bevölkerung mit der Art der Befragung der Wähler und 
mit den zur Sicherung der Ordnungsmäßigkeit und des Wahlgeheimniſſes getroffenen 
Maßnahmen zufrieden geweſen iſt. 

Sie hat es ſich ſehr angelegen ſein laſſen, an der Wahl teilzunehmen. Die 
Beteiligung betrug mehr als 80 v. H. der eingetragenen Wähler bei den Stadt— 
verordnetenwahlen und mehr als 67 v. H. bei den Wahlen für die Kreis- und 
Bezirkstage; es ſind dies beträchtliche Verhältniszahlen, wenn man ſich vergegen— 
wärtigt, daß alle mehr als 20 Jahre alten Bewohner ohne Unterſchied des Geſchlechts 
in die Wahlliſten eingetragen worden waren. 


Z P een 


17 


— 250 — 


ö 


(folgen Angaben über die prozentuale Verteilung der abgegebenen 
Stimmen auf die verſchiedenen Parteien) 


Bekanntlich geſtattet das Wahlgeſetz allen Bewohnern des Gebiets ohne Unter⸗ 
ſchied der Staatsangehörigkeit an den Wahlen teilzunehmen unter gewiſſen Bedin— 
gungen bezüglich des Wohnſitzes. Einige Bewohner mit anderer als der deutſchen 
Staatsangehörigkeit ſind in den Kreistag von Saarlouis und in verſchiedene Stadt— 
verordneten-Verſammlungen gewählt worden. 

Die am 11. und 18. Juli gewählten Verſammlungen ſind im Laufe des Monats 
Auguſt zuſammengetreten. Der mit den Angelegenheiten des Innern betraute Präſident 
der Kommiſſion hat faſt immer die Wahl der Stadtverordneten⸗Verſammlungen ge- 
nehmigt. Die Bildung der Stadtverwaltung von Saarbrücken hat indes einige 
Schwierigkeiten hervorgerufen, die kurz angegeben zu werden verdienen. 

Die verſchiedenen po litiſchen Parteien haben ſich nicht auf eine gemeinſame Lifte 
geeinigt; eine Koalition der ſozialiſtiſchen Parteien und der Arbeitsgemeinſchaft!) hatte 
einen Magiſtrat gewählt, dem kein Vertreter des Zentrums angehörte, obwohl dieſes 
die zahlreichſte Gruppe der Stadverordneten-Verſammlung bildet; außerdem wurde der 
Kandidat der unabhängigen ſozialiſtiſchen Partei durch ein Manöver zu Fall gebracht 
zugunſten eines anderen Angehörigen dieſer Partei, der tags darauf in das Lager der 
Sozialdemokraten übertrat, mit denen er ſich im voraus geeinigt hatte. Endlich hätte 
ſich in dem Magiſtrat eine dem Saargebiet fremde Perſon befunden, die während 
des Streiks ausgewieſen worden war. 

Die Stadtverordneten-Verſammlung wollte dieſen rein politiſchen Magiſtrat für eine 
Zeit von 12 Jahren ernennen laſſen, während ihr eigenes Mandat nach 3 Jahren 
erliſcht. 

Sie hätte auf dieſe Weiſe ihren Nachfolgern einen politiſchen Magiſtrat auf⸗ 
gezwungen, der vielleicht deren Gefühlen nicht entſprochen hätte. 

Der Präſident hat es im Einvernehmen mit der Regierungskommiſſion abgelehnt, 
den Magiſtrat für eine längere Zeit als 3 Jahre, die Dauer des Mandats der 
Stadtverordneten⸗Verſammlung, zu beſtätigen; er hat erklärt, daß er der Ernennung 
eines Berufsbürgermeiſters und Berufsbeigeordneten für eine längere Dauer die Ge- 
ee erteilen werde, daß er aber im Intereſſe einer guten Verwaltung und um 
die Möglichkeit eines Konfliktes zu vermeiden, nicht den künftigen Stadtverordneten⸗ 
Verſammlungen einen Magiſtrat aufzwingen könne, der von einer politiſchen Augen 
blickskoalition gewählt ſei. Mit dieſer Entſcheidung wußte ſich der Präſident im 
Einklang mit den Wünſchen der öffentlichen Meinung. Die Stadtverordneten-Ver- 
ſammlung hat noch keine neuen Wahlen vorgenommen, aber der Präſident hat das 
Gefühl, daß ine Einwendungen verſtanden worden find?). 


5 0. 5 die demokratisch liberale Arbeitsgemeinſchaft. 


2) Das Nähere über dieſe Angelegenheit iſt erſichtlich aus nachſtehendem, in der Preſſe des Saar⸗ 
gebiets veröffentlichten Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets: 
Regierungskommiſſion des Saargebiets. l 
Direktion des Innern und Präſidialbüro. Saarbrücken, den 2. Oktober 1920, 
Nr. 10 Jr. WER 
An 
den Herrn kommiſſariſchen Bürgermeiſter Hobohm, 
Saarbrücken. 

Der Antrag auf Beſtätigung der in der Sitzung des Gemeinderats vom 31. Auguſt 1920 voll⸗ 
zogenen Wahl des Bürgermeiſters und der Beigeordneten der Stadt Saarbrücken gibt zu folgenden ſchweren 
Bedenken Anlaß: 

Die Wahl iſt erfolgt auf die Dauer von 12 Jahren, und zwar mit Beſoldung. Wenn die Städte⸗ 
ordnung für die Rheinprovinz auch den Stadtverordneten-Verſammlungen ohne Einſchränkung geſtattet, 
beſoldete Bürgermeiſter und Beigeordnete auf die Dauer von 12 Jahren zu wählen, ſo wurden doch 
A derartige Amter weniger auf Grundlage politiſchen Einfluſſes, wie auf Grund von Fachkenntniſſen 
übertragen. 

Es liegt mir fern, die perſönlichen Verdienſte der von der Stadtverordnetenverſammlung Gewählten 
in Zweifel zu ziehen, es ſteht indeſſen nach dem Begleitbericht vom 8. 1 1920 feſt, daß ſich die 


Die Regierungskommiſſion hat die Vornahme der Wahlen um fo mehr be- 
ſchleunigt, als die Mitarbeit der örtlichen Vertretungen ihr für eine erſprießliche 
Fortführung ihres Regierungswerks unerläßlich war. 

Der Friedensvertrag von Verſailles beſtimmt, daß die erforderlich ſcheinenden 
Anderungen der am 11. November 1918 im Saarbeckengebiet geltenden Geſetze 
und Verordnungen durch die Regierungskommiſſion beſchloſſen und eingeführt werden 
ſollen nach Befragung der gewählten Vertreter der Bewohner, wobei die Kommiſſion 
über die Art dieſer Befragung beſchließen ſoll. Er beſtimmt weiter, »daß keine 
neuen Abgaben, abgeſehen von Zöllen, ohne . Befragung der gewählten 
Vertreter der Bewohner erhoben werden dürfen« (SS 23 und 26 der Anlage zu 
Abſchnitt IV, Teil III). | 

Die Regierungskommiſſion konnte nicht länger darauf verzichten, die Anſicht der 
gewählten Vertreter der Bevölkerung einzuholen. Die beſondere Lage des Beckens 

und der Zuſtand ſeiner Finanzen forderte binnen kurzer Friſt die Beſchlußfaſſung 

über gewiſſe geſetzgeberiſche Maßnahmen und über die Erhebung neuer Abgaben. 

| Die Regierungskommiſſion war immerhin einſtimmig der Anſicht, daß es für 
den Augenblick unzweckmäßig ſei, eine einzige Vertretung einzuberufen. Es iſt ihr, 
um den Geiſt des Vertrags zu achten, vraktiſcher erſchienen, die Kreis- und Bezirks— 
tage und die Stadtverordneten-Verſammlung von Saarbrücken, welch letztere für die 
Stadt Saarbrücken die Aufgabe eines Kreistages wahrnimmt, dazu zu berufen, ihre 
Anſicht über die Entwürfe, die die Regierung unterbreiten wird, abzugeben. Gewiſſe 
politiſche Parteien haben dieſen Beſchluß bedauert und die unverzügliche Einberufung 
eines ſaarländiſchen Parlaments verlangt. Mit Rückſicht auf die Geiſtesverfaſſung 
eines Teils der Bevölkerung und auf den damals von einigen ihrer Wortführer be— 
kundeten Willen, keine Mitarbeit mit der Regierung zuzugeſtehen, konnte die Regierung 
über dieſe Forderung nur hinweggehen. Sie behält ſich vor, ſpäter zu prüfen, unter 
welchen Bedingungen es ihr möglich ſein wird, eine Vertretung einzuberufen, die in 
fruchtbarer Weiſe gefragt werden kann. 

Im Monat Auguſt ſind die erwähnten Vertretungen über die Verlängerung des 
deutſchen Geſetzes vom April 1919, durch das eine Kohlenſteuer geſchaffen worden 
war, befragt worden. Dies Geſetz erloſch mit dem 31. Juli 1920. Die Erfahrung 
hat gezeigt, daß das von der Kommiſſion eingeſchlagene Verfahren der Sachlage 
genügend Rechnung trug und in der Ausführung zu keinerlei Schwierigkeiten Anlaß 
ot, zugleich aber der Regierung ermöglichte, über die Wünſche und Gefühle der 
Bebölkerung genau unterrichtet zu werden. 


F 


Parteien bei dieſer Wahl im weſentlichen durch politiſche Erwägungen leiten ließen. Würde die Regierungs— 

kommiſſion eine derartige Wahl für 12 Jahre beſtätigen, ſo könnte ihr dieſerhalb mit Recht der Vor— 

wurf gemacht werden, daß die politiſche Lage nach Ablauf des Mandats der derzeitigen Stadtverordneten— 

verſammlung nicht vorausſehbar iſt, und daß fie zwiſchen dem jetzt beftätigten Magiſtrat und der künf— 

tigen Stadtverordnetenverſammlung zum ſchweren Schaden für das allgemeine Wohl zu Konflikten Anlaß 

geben knnte. 
b Bei der Beratung der neuen Wahlgeſetze wurde den Vertretern der politiſchen Parteien mitgeteilt, 
daß die Regierungskommiſſion mit Rückſicht auf die eingetretene Umwälzung die Wahldauer zunächſt auf 
die Dauer von 3 Jahren beſchränken müſſe, um der Bevölkerung in ruhigerer Zeit Gelegenheit zu geben, 
ihren Willen erneut zum Ausdruck zu bringen. Unter dieſen Umſtänden würde die Regierungskommiſſion 
mit ſich ſelbſt in Widerſpruch geraten, wenn ſie die Wahl von politiſchen Magiſtratsperſonen für eine 
darüber hinausgehende Zeitdauer beſtätigte. Es konnte daher für die zu Magiſtratsperſonen Vor— 
beschlagen nur eine Beſtätigung für die Dauer von 3 Jahren in Frage kommen. 

ie Wahl des Herrn Thamerus kann jedoch keinesfalls beſtätigt werden, ſowohl mit Rückſicht 

darauf, daß er infolge ſeiner bisherigen Haltung ungeeignet erſcheint, wie auch, daß ſeine Wahl die 
Folge einer unklaren Sachlage war. 

Ich bemerke noch, daß der Beigeordnete Sartorius weder in der Lage iſt, noch künftig in der Lage 
fein wird, fein Amt wieder zu übernehmen. Seine Ausweiſung, die durch die Militärbehörde kraft der 
ihr zustehenden Befugniſſe erfolgte, kann nicht rückgängig gemacht werden. Es wird daher auch im 
Hinblick auf die Beſetzung ſeiner Stelle eine Wahl ſtattfinden müſſen. 

Ich erſuche ergebenſt, die Entſcheidung der Stadtverordnetenverſammlung bei ihrer nächſten Sitzung 
zur Kenntnis zu bringen. 

Der Präjident der Regierungskommiſſion: 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


Nr. 169. 


Statiſtiſche Angaben über die den Kreis⸗ und Bezirkstagen und der 
Stadtverordneten⸗Verſammlung Saarbrücken vorgelegten Entwürfe. 


1. Bis zum Monat Auguſt 1920 find alle Verordnungen der Regierungskommiſſion 
ohne Befragung der Kreis- und Bezirkstage und der Stadtverordneten-Verſammlung 
Saarbrücken erlaſſen worden. Unter dieſen Verordnungen ſind als wichtigere, das 
geltende Recht abändernde hervorzuheben: 8 

a) Verfügung vom 16. März 1920, betreffend die Beamten im Saargebiet; 

b) Wahlordnung für die Gemeinde- und Kreistags-(Bezirkstags⸗) Wahlen im 

Saargebiet, vom 29. April 1920; 5 | 
e) Verordnung, betreffend die Sicherung des Eiſenbahnbetriebs, vom 23. April 

1920 (Verhängung des Belagerungszuſtandes zwecks Sicherung der Verbin⸗ 

dungen der interalliierten Heere auf den Eiſenbahnen des Saargebiets); 

d) Verordnung, betreffend die Sicherſtellungen von Wohnungen für im öffent⸗ 

lichen Dienſt ſtehende Perſonen, vom 7. Mai 1920; | 

e) Verordnung, betreffend die franzöſiſche Gendarmerie, vom 7. Juli 1920; 

f) zwei Verordnungen über die Schulen der Bergverwaltung, vom 10. Juli 1920; 

g) Verordnung, betreffend die Wahl der Bürgermeiſter, Beigeordneten und 

Gemeindevorſteher ſowie die Errichtung von Ausſchüſſen in den Kreis- und 

Bezirkstagen, vom 29. Juli 1920; | 

h) Verordnung, betreffend Erhebung einer Gebühr im Güterverkehr, vom 

15. Juli 1920; | | 

i) Verordnung, betreffend die Errichtung von Verwaltungsgerichten für das 
| Saargebiet, vom 28. Juli 1920; 

k) Verordnung, betreffend das Beamtenſtatut, vom 29. Juli 1920. 

2. In der Zeit vom Auguſt 1920 bis Juli 1921 ſind folgende 20 Entwürfe 
vorgelegt worden: | 

a) Verordnung, betreffend Kohlenſteuer, vom 11. September 1920; von den 

Kreistagen uſw. angenommen; 

b) Verordnung, betreffend öffentliche Tanzluſtbarkeiten; von den Kreistagen ab⸗ 

gelehnt und nicht eingeführt; | 

e) Verordnung, betreffend Erhöhung der Schaumweinſteuer, vom l. Dezember 1920; 

d) Verordnung, betreffend Erhöhung der Spielkartenſteuer, vom 1. Dezember 1920; 

e) Verordnung, betreffend Inkrafttreten des Tabakſteuergeſetzes vom 12. Sep⸗ 

tember 1919, vom 1. Dezember 1920; 
f) Verordnung, betreffend Erhebung indirekter Steuern bei der Einfuhr von 
Waren ins Saargebiet, vom 1. Dezember 1920 | 
zu ec bis f: von den Kreistagen ufw. abgelehnt (mit der Begründung, 
daß kein Budget vorgelegt ſei, und daß keine indirekten Steuern vor di⸗ 
rekten bewilligt werden könnten), trotzdem eingeführt; | 
g) Verordnung, betreffend die Einführung der Reichsabgabenordnung im Saar- 
gebiet, vom 1. Dezember 1920; von den Kreistagen uſw. abgelehnt, trotzdem 
eingeführt; | SR 

h) Verordnung, betreffend Errichtung eines Wohnungsbauverbandes, vom 30. No⸗ 

vember 1920; von den Kreistagen uſw. angenommen ; ; 

i) Verordnung, betreffend Beſteuerung des Gewerbes im Umherziehen, vom 
15. Februar 1921; von den Kreistagen ufw. abgelehnt, trotzdem eingeführt 
(der Kreistag Saabrücken hatte hierbei folgenden Beſchluß gefaßt: »Der 
Kreistag ſieht ſich außerſtande, ein Gutachten über Steuerfragen abzugeben, 
weil die bisherigen diesbezüglichen Gutachten der Kreistage des Saargebiets 
und der Saarbrücker Stadtverordneten-Verſammlung nicht beachtet worden 
find und weil noch kein Haushaltsplan vorgelegt ift«); 


k) Verordnung, betreffend Einführung der Reichsverordnung vom 5. Januar 1919 
über Vereinfachung des Enteignungsverfahrens; von den Kreistagen uſw. 
angenommen; 

J) Gebührenordnung für Hebammen, vom 24. Mai 1921; von den Kreis— 
tagen uſw. angenommen; 

m) Verordnung zur Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs; von den Kreistagen 

uſw. angenommen, 

n) Verordnung, betreffend Abänderung des preußiſchen Kommunalabgaben— 
geſetzes, vom 13. Juli 1921; von den Kreistagen uſw. angenommen; 

0) Verordnung, betreffend einheitliche Regelung der Beamtenbeſoldung; von den 
Kreistagen uſw. mit gewiſſen Einſchränkungen angenommen; 

p) Verordnung, betreffend Abänderung des preußiſchen Geſetzes vom 26. April 1872 
über die Erhebung von Marktſtandgeld, vom 17. Juli 1921; von den Kreis- 
tagen uſw. angenommen; 

q) Verordnung, betreffend die Eigenſchaft als Saareinwohner, vom 15. Juni 1921; 
von den Kreistagen uſw. abgelehnt, trotzdem eingeführt; 

r) Verordnung, über die öffentliche Trunkenheit; von den Kreistagen uſw. ab— 
gelehnt, nicht eingeführt. 

s) Verordnung, betreffend das Verabfolgen und den Verkauf von Branntwein, 

Spiritus, Likören und anderen alkoholiſchen Getränken, vom 13. Juli 1921; 
von den Kreistagen uſw. angenommen; 5 

t) Verordnung, betreffend Zuſammenfaſſung und Ergänzung der Maßnahmen 

zur Bekämpfung der Wohnungsnot, vom 13. Juli 1921; die Kreistage uſw. 
haben ſich zum Teil der Stellungnahme enthalten. 

u) Verordnung, betreffend Abänderung der Juſtizgeſetze und verſchiedener anderer 
Geſetze, vom 2. Auguſt 1921; von den Kreistagen uſw. abgelehnt, trotzdem 
eingeführt. 

3. Eine große Anzahl rechtsändernder Verordnungen iſt auch in der Zeit von 


Auguſt 1920 ab ohne Befragung der Kreistage uſw. erlaſſen worden. Wichtigere 
Verordnungen dieſer Art find z. B.: 


a) Verordnung, betreffend das Geſetz über den Perſonenſtand und die Be— 
kämpfung der Geſchlechtskrankheiten, vom 15. Oktober 1920; 

b) Verordnung, betreffend Zentralwohnungskommiſſion, vom 16. Oktober 1920; 

e) Verordnung, betreffend Abänderung des preußiſchen Einkommenſteuergeſetzes, 
vom 8. Dezember 1920; 

d) Verordnung, betreffend die perſönlichen Volksſchullaſten, vom 24. November 1920; 

e) Verordnung, betreffend Beſchlagnahme und Räumung von Wohnungen für 
die ſaarländiſchen Beamten, vom 15. Februar 1921; 

f) Verordnung, betreffend die Einnahme der Eiſenbahn- ſowie Poſt- und Tele— 
graphenverwaltung in Franken, vom 16. März 1921; 

g) Verordnung, betreffend Aufſtellung der Bilanz (Abänderung des § 40 Abſ. 1 
des Handelsgeſetzbuchs), vom 5. März 1921; 

h) Verordnung, betreffend Kohlenſteuer, vom 6. April 1921 (Herabſetzung der 
Steuer von 20 auf 10 v. H., vgl. 2a); 

i) Verordnung, betreffend Abtretung von Grundſtücken an den franzöſiſchen 
Staat, vom 16. März 1921; 

k) Verordnung, betreffend Erhöhung der Branntweinſteuer, vom 2. Mai 1921; 

J) Verordnung, betreffend Erhebung eines Zuſchlags von 200 v. H. auf die 
Beſitzſteuer, vom 8. Juni 1921; 


m) Verordnung, betreffend die Zuſtändigkeit der Gerichte über Zivil- und 


Militärperſonen, vom 28. Juni 1921. 


N 


XIII. 
Wirtſchafts⸗- und Währungsfragen. 
Nr. 170. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗ 
bundsrat vom 1. Juni 1920. 
(Vgl. Journal Offieiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 5, S. 277f.) 
(berſetzung.) | 


E 0 % „% % „ % %% Fear ae 


Wahrſcheinliche Einführung des Franken bei den Kohlengruben. 


Die Induſtriellen des Saargebiets ſind von einer Unruhe anderer Art ergriffen. 
Es iſt das Gerücht aufgetaucht, daß die franzöſiſchen Staatsgruben, deren Ausbeutung 
durch die unvermittelten Schwankungen des Markkurſes in beſonderer Weiſe erſchwert 
wird, beſchloſſen hätten, von den Rechten, die ihnen der § 32 der Anlage des Ver— 
trags zuerkennt, Gebrauch zu machen und ſich des franzöſiſchen Geldes für alle ihre 
Einkäufe und Zahlungen zu bedienen. Die Zahlung der Löhne in Franken iſt übrigens 
von den ſozialiſtiſchen Gewerkſchaften der Bergleute gefordert worden. Abgeſehen 
von den Kohlengruben ſcheinen aber alle Induſtrien, insbeſondere die Hütteninduſtrie, 
ſowie die große Mehrheit der Bevölkerung die Folgen einer Einführung des Franken 
zu befürchten. 

Die Regierungskommiſſion kann natürlich die franzöſiſchen Gruben nicht daran 
hindern, von einem Recht Gebrauch zu machen, das ihr die formelle Beſtimmung 
eines Artikels des Vertrags zugeſteht. Falls es zutreffen ſollte, daß dieſe Verwaltung 
die Abſicht hat, ſich in Zukunft ausſchließlich des franzöſiſchen Geldes zu bedienen, 
wird die Kommiſſion ſich bemühen, durch geeignete Maßnahmen den Bewohnern des 
Saargebiets die Kriſis zu erſparen, die ſie zu befürchten ſcheinen Sie hat gleichwohl 
eine ſehr klare Vorſtellung von den Schwierigkeiten, die ſie für dieſen Fall erwarten 
müßte. Sie weiß, daß der Umlauf des Franken im Saarbecken nicht nur berechtigte 
Intereſſen, wie die der Kleinrentner und der Penſionsempfänger gefährden, ſondern 
auch politiſche Widerſtände hervorrufen wird; ſie verkennt nicht, daß man verſuchen 
wird, bei dieſer Gelegenheit Proteſtkundgebungen hervorzurufen, vielleicht einen General— 
ſtreik der Hüttenarbeiter und ſogar einen Teilſtreik der Bergleute. 


2 „ „ %% % n ‚‚ e 


Nr, Lil, 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den 
Völkerbundsrat vom 1. Juli 1920. 
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 6, S. 369f.) 
(Überſetzung.) 


Streik der Hüttenarbeiter. 


Seit der Zeit, in der die Regierungskommiſſion die Regierung übernommen 
hat (26. Februar), konnte fie mit Befriedigung feſtſtellen, daß kein Streik in dem 
Gebiete ausgebrochen war. Am 25. Juni haben aber die Arbeiter eines der wich— 
tigſten Stahlwerke des Saarbeckens unvermittelt die Arbeit niedergelegt ihr Beiſpiel 
iſt faſt in allen Hüttenwerken befolgt worden und zu der Stunde, in der der vor⸗ 
liegende Bericht verfaßt wird, iſt der Streik ziemlich allgemein in dieſem Induſtriezweig. 


— 255 — 


Es erſcheint zweckmäßig, die Geſchichte dieſes Streiks und ſeiner Entſtehung 


einem ſpäteren Bericht vorzubehalten, ebenſo die Fingerzeige, die er der Regierungs— 


kommiſſion für die Zukunft gibt. Heute wird es genügen feſtzuſtellen, daß die 
Haltung der Arbeiter bis jetzt vollkommen einwandfrei ift, und daß trotz der hohen 
Zahl der Streikenden (mehr als 40 000) die öffentliche Ordnung nirgends geſtört 


worden iſt. 


Der mit den Angelegenheiten des Innern, der Induſtrie und des Arbeitsweſens 
betraute Präſident der Kommiſſion hat die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um 
die Arbeitsfreiheit ſicherzuſellen und jedem Zwiſchenfall entgegenzutreten. Er hat 
nicht unterlaſſen, ſich mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganiſationen in Ver— 
bindung zu ſetzen, um nach Möglichkeit die Löſung eines Konfliktes zu beſchleunigen, 
der ſchon durch ſeinen Umfang den Wohlſtand des Landes gefährdet. | 


Einführung des Franken bei den Kohlengruben. 
Einer der Gründe, den die Hüttenarbeiter bei ihrer Arbeitseinſtellung vorgebracht 
haben, war der in ihren Augen zu beträchtliche Unterſchied, der zwiſchen ihrem Lohn 
und dem Lohn beſteht, der vom 1. Juli ab den Bergleuten des Saarbeckens gezahlt 


werden ſoll. 


Die franzöſiſchen Staatsgruben haben, indem ſie Gebrauch machten von dem 
Recht, das ihnen der § 32 der Anlage zu Abſchnitt 4 (Teil III) des Vertrags von 
Verſailles zugeſteht, nach vorheriger Verſtändigung der Regierungskommiſſion von 
ihrer Abſicht beſchloſſen, ihr geſamtes Perſonal in Franken zu bezahlen und all ihre 
Geldgeſchäfte in Franken abzuwickeln. Dieſer Beſchluß hat die Regierungskommſſion 
nicht überraſcht; ihr letzter Bericht beweiſt, daß ſie mit dieſer Möglichkeit gerechnet 
hatte. Indem die franzöſiſchen Staatsgruben für die Lohnzahlung die Mark durch 
den Franken erſetzt haben, haben ſie den Wünſchen der Mehrheit ihrer Arbeiter, die 
den ſozialiſtiſchen Gewerkſchaften angehören, ſtattgegeben. Sie haben ohne Schwierig— 
keit neue Lohntarife aufgeſtellt, die nach dem Beiſpiel der Tarife ausgearbeitet wurden, 
die in den an das Saargebiet angrenzenden Kohlengruben von Franzöſiſch-Lothringen 
in Geltung ſind. Die Arbeiter unter Tage werden 23 Franken, die Arbeiter über 
Tage 20,50 Franken erhalten. Bisher erhielten ſie 51 und 45 Mark. Nach dem 
gegenwärtigen Wechſelkurs entſprechen ihre Frankenlöhne Beträgen von 69 und 
61,50 Mark. Der den Arbeitern zufallende Vorteil iſt alſo bemerkenswert. 

Dieſe Einführung des Franken bei den Gruben, die demnächſt die Kohlen an 
die ſaarländiſchen Verbraucher in Franken verkaufen und ſich des Franken bei all 
ihren Verträgen bedienen werden, bezeichnet wahrſcheinlich den Anfang einer neuen 
Periode in dem Wirtſchaftsleben des Saargebiets. Man wird ihre erſten Folgen erſt 
nach Ablauf einiger Wochen verzeichnen können. Heute muß man ſich auf die Feſt— 
ſtellung beſchränken, daß die öffentliche Meinung im Saargebiet gegen dieſen Beſchluß 
nicht die Proteſte erhoben hat, die gewiſſe Zeitungen vorausgeſagt hatten, und daß 
ſogar die ſozialiſtiſchen Gewerkſchaften der Hütteninduſtrie ſchon im Geheimen Forde— 
rungen formuliert haben, die auf die Einführung des Franken bei der Zahlung der 
Löhne an die Arbeiter ihrer Organiſation abzielen. 

Die Regierungskommiſſion verkennt nicht, daß ihr durch den bald zwangsweiſe 
verallgemeinerten Umlauf des Franken im Saarbecken ſchwere Probleme entgegen— 
treten werden. Sie beſchäftigt ſich damit ſchon jetzt und hat ſoeben die »Oberpreis— 
prüfungskommiſſion« reorganiſiert und ihrer Kontrolle unterſtellt, um in der Lage zu 
ſein, die Preisſteigerung in der Lebenshaltung zu bekämpfen, die ſie auf Grund der 
den Bergleuten zugeſtandenen materiellen Vorteile vorauszuſehen genötigt iſt. 


Das Budget des Saargebietes. 


Die Währungsfrage hängt mit der Budgetfrage eng zuſammen. Die Regierungs— 
kommiſſion kann nicht die Beunruhigung verſchweigen, die ihr die Finanzlage des 
Gebiets einflößt. Es iſt ihr ſehr ſchwer, die Grundlage für ein Budget zuſammen— 


eb 


zubringen, denn das Rechnungsweſen für das Saargebiet wurde von verſchiedenen 
deutſchen Behörden bearbeitet, und da das Gebiet durch deutſche, preußiſche und 
bayeriſche Bezirke oder Teile ſolcher Bezirke gebildet wird, iſt es oft unmöglich, auch 
nur annähernde Schätzungen zu erhalten. Die in dieſer Beziehung im Monat Juni 
beendeten Arbeiten haben zwar die Frage vorwärts gebracht, ohne daß jedoch ein 
endgültiges Ergebnis noch erzielt werden konnte. Immerhin ſteht ſchon heute feſt, 
daß das Saarbecken ein großes Defizit zu tragen hat, das für die Bevölkerung um 
ſo ſchwerer iſt, als während des Krieges und ſeit dem Waffenſtillſtand die Gemeinden 
und Kreiſe wie in ganz Deutſchland hohe Schulden eingegangen find, die ſich nament— 


— 


lich aus dem Ernährungsweſen ergeben. 


Außerdem wird die Regierungskommiſſion, ſolange das Saargebiet nicht ein von 
Deutſchland vollkommen unabhängiges Leben hat, nicht Herrin ihrer Ausgaben ſein. 
Die Beamten, Angeſtellten und Arbeiter der öffentlichen Betriebe wollen aller mate⸗ 
riellen Vorteile teilhaftig werden, die ihren deutſchen Kollegen gewährt werden. 
Daher hat die Regierungskommiſſion im Laufe des Monats Juni auf das Saar⸗ 
gebiet die Beſtimmungen des neuen deutſchen Geſetzes über die Beamtenbeſoldung aus⸗ 
dehnen müſſen. Hieraus wird ſich für das Budget des Saargebiets eine ſehr ſchwere 
Laſt ergeben; eine Nichtanwendung dieſes Geſetzes hätte aber eine Erſchwerung der 
an ſich ſchon heiklen Beamtenfrage bedeutet und vielleicht das Gebiet eines Perſonals 
beraubt, das zu erſetzen ſchwer möglich geweſen wäre. 


26 22 %% % „% %% „ „ „ „ „„ „„ „ „„ „„ „„ „„ „„ „„ „„ „ ee 


N 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗ 
bundsrat vom 25. Oktober 1920. 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 1. Jahrgang, Heft 8, S. 72f.) 
(berſetzung.) 


Finanzverwaltung. 


Die finanziellen Fragen haben die Regierungskommiſſion dauernd beſchäftigt; 
die vorbereitenden Arbeiten für die Aufſtellung des Budgets haben eine ſehr ſchwere 
Lage enthüllt und gezeigt, daß die Beunruhigung, von der in dem Bericht vom 
1. Juli die Rede war, nur zu begründet war. 


Es muß nämlich auf einen Umſtand der Ungewißheit hingewieſen werden, der 
jede budgetmäßige Berechnung illuſoriſch macht. 

In Anwendung des ihr durch den Vertrag zugeſtandenen Rechtes hat die Ver⸗ 
waltung der franzöſiſchen Staatsgruben vom Monat Juli ab ihre Arbeiter in Franken 
entlohnen und alle Kohlenverkäufe in Franken vornehmen laſſen. Schon jetzt und 
ohne Rückſicht auf eine etwaige Verallgemeinerung des Frankenumlaufs in dem Gebiet 
wird die Landeskaſſe Steuern in Franken erheben (Kohlenſteuer) und andererſeits 
Franken verausgaben müſſen (Kohlen für die Eiſenbahn). Nun iſt der Wert des 
Franken in Beziehung zur Mark plötzlichen und ſtarken Schwankungen unterworfen. 
25 i ew des ſaarländiſchen Budgets hängt alſo von den Bewegungen der 
Börſe ab. 


Es wird für die Finanzen des Gebiets keine Stabilität geben, ſolange dieſe 
beiden Währungen nebeneinander beſtehen und ſolange ihr gegenſeitiger Kurs be— 
trächtliche Unterſchiede aufweiſt. 

Das laufende Finanzjahr (wem 1. April 1920 bis 31. März 1921) ſtellt ſich 
unter ganz beſonderen Schwierigkeiten dar. 


Der Bericht vom 1. Juli hat ſchon auf das erſchreckende Defizit hingewieſen, 


daß die Verwaltung der Eifenbahnen kennzeichnet. Dieſes Defizit wird die Summe 
von 250 Millionen Mark, auf die man es anfänglich ſchätzen zu können glaubte, ſogar 


ſtark überſchreiten. 

Die vorübergehende Zuſatzgebühr von 20 Mark auf die Tonne wird das Defizit 
nur teilweiſe decken; um nämlich nicht gewiſſe Zweige der Induſtrie und des Handels 
zu vernichten, mußten ziemlich umfangreiche Befreiungen von der Entrichtung dieſer 
Gebühr gewährt werden, und außerdem wird die Gebühr erſt ſeit dem 15. Juli 
erhoben. Man darf alſo von ihr keine Eingänge erwarten, die den Überſchuß der 
Ausgaben für einen Zeitraum von 3½ Monaten decken könnten. Die Erhebung der 
Zuſatzgebühr iſt ohne Schwierigkeiten und ohne Beſchwerden hervorzurufen vor ſich 
gegangen. Die Regierungskommiſſion konnte ſich in dieſer Beziehung nur lobend 
über die Mithilfe ausſprechen, die ihr die Handelskammer in Saarbrücken geleiſtet hat. 

Gewiſſe Ausgaben für die erſte Einrichtung werden außerdem das laufende Budget— 
jahr belaſten, nämlich Ausgaben, die durch die Einrichtung der neuen Regierung und 
durch die Errichtung von Zollbahnhöfen, ohne die der Handel an der Nordgrenze des 
Saargebiets unterbunden zu werden droht, veranlaßt find. 

Auf der anderen Seite ergibt die Prüfung der Einnahmen einen beträchtlichen 
Ausfall. Die deutſchen Behörden hatten ſeit dem Waffenſtillſtand die Steuererhebung 
ſtark vernachläſſigt. 

Sei es abſichtlich, ſei es infolge der Schwachheit einer durch die Revolution 
erſchütterten Regierung, ſei es wegen Mangel an Perſonal, jedenfalls iſt die Steuer 
veranlagung nur mit unverſtändlicher Verzögerung vorgenommen worden: dies iſt 
der Grund, weshalb trotz der nachdrücklichen Anweiſungen der Kommiſſion die 
9 für das laufende Jahr nicht überall am 1. Dezember aufgeſtellt ſein 
werden. 

Die Mißwirtſchaft war bei den indirekten Steuern noch ſchreiender. Für ſie 
beſtand eine Verwaltung ſozuſagen überhaupt nicht. Aus einer von Herrn R. D. Waugh, 
dem mit den Finanzangelegenheiten betrauten Mitglied der Kommiſſion, geleiteten 
Unterſuchung ergibt ſich, daß die Kaſſe des Saargebiets aus dieſem Grunde Zehner 
von Millionen verloren hat. 

Die vorſtehenden Angaben (unvorhergeſehenes Defizit und ausnahmsweiſe Aus- 
gaben auf der einen, Ausfall an Einnahmen auf der anderen Seite) werden ohne 
Zweifel geſtatten, ſich ein Bild von den außerordentlichen finanziellen Schwierigkeiten 
zu machen, mit denen die Regierungskommiſſion kämpft. 

Sie hat nach wirkſamen und alsbaldigen Mitteln zur Abhilfe geſucht. Die 
direkten Steuern konnten ihr in kurzer Zeit nicht beträchtliche Einnahmen bringen. 
Indes hat die Kommiſſion beſchloſſen, ſobald als möglich eine Steuergeſetzgebung 
prüfen zu laſſen, die der beſonderen Lage des Gebiets und den Gewohnheiten der 
Bevölkerung angepaßt iſt und zugleich ein einheitliches Steuerſyſtem ſchaffen ſoll; 
gegenwärtig iſt in dem Gebiet je nach der Gegend das preußiſche oder das bayeriſche 
Syſtem in Gebrauch, die voneinander beträchtlich abweichen. 

Die Kommiſſion hat die Einführung der nach der Revolution erlaſſenen deutſchen 
Finanzgeſetze im Saargebiet für unzweckmäßig erklärt. Die in dieſer Beziehung im 
Reich gemachten Erfahrungen ſind wenig ermutigend; für ein großes Land erlaſſen, 
paſſen dieſe Geſetze nicht auf ein ſo kleines und ausſchließlich induſtrielles Gebiet wie 
das Saarbecken. 

Übrigens erhebt die Kommiſſion gegenwärtig jo viel direkte Steuern, und die 
Sätze der Einkommenſteuer ſind ſo hoch, daß es unklug erſcheint, von dieſer Art von 
Steuern beträchtliche Eingänge zu erwarten. 

Vielmehr ſind Maßnahmen hinſichtlich der indirekten Steuern ergriffen worden. 
Auf Anordnung von Herrn R. D. Waugh ſind Entwürfe, die gegenwärtig den ört— 
lichen Vertretungen vorliegen, ausgearbeitet worden, die ſowohl die Erhebung von 
Abgaben wie neue Vereinnahmungsmethoden vorſehen. Das nötige Perſonal iſt 


Ber 


zuſammengeſtellt, und Behörden find eingerichtet worden. In einigen Wochen, wenn 
die örtlichen Vertretungen gehört ſein werden, wird die Regierungskommiſſion die 
Verordnungen erlaſſen, die ihr 30 bis 40 Millionen Mark neue Einnahmen ver— 
ſchaffen werden. 

Um aber das Gleichgewicht ihres Budgets herzuſtellen, hat die Kommiſſion ſich 
genötigt geſehen, eine andere, ſehr wichtige Maßnahme zu treffen, die ſie erläutern muß. 

Bei der Übernahme ihrer Befugniſſe hat ſie eine Kohlenſteuer von 20 v. H. 
vorgefunden, die durch ein datſches Geſetz vom April 1917 geſchaffen und daher 
gemäß § 25 der Anlage auf das Saargebiet anwendbar war. In Unkenntnis der 
budgetären Schwierigkeiten, denen ſie ſich gegenüber befinden ſollte, ferner in dem 
Wunſche, den Verbrauchern der Kohle eine Laſt zu erleichtern, deren Gewicht ſie nicht 
verkannte, ſowie in der Befürchtung, daß die Verwaltung der franzöſiſchen Staats— 
gruben, die nach den Beſtimmungen des Geſetzes die Steuer ſelbſt erhob, berechtigt 
ſein könnte, ſich auf den den Beitrag der Kohlengruben zu den Ausgaben des Gebiets 
bezüglichen $ 13 der Anlage des Vertrags zu berufen, hat die Kommiſſion im Monat 
März beſchloſſen, den Steuerſatz vom Monat April ab von 20 auf 10 v. H. herab⸗ 
zuſetzen. Sie hat aber ausdrücklich ihr Recht aufrechterhalten, die Steuer ſelbſt bei— 
zubehalten und ihre Sätze je nach den Umſtänden zu ändern. Das deutſche Geſetz 
vom April 1917 trat nun mit dem 31. Juli 1920 außer Kraft. Um die Steuer 
über dieſes Datum hinaus erheben zu können, mußte die Kommiſſion eine beſondere 
Verordnung erlaſſen und hierüber gemäß § 26 der Anlage die gewählten Vertreter 
der Bevölkerung befragen. 

Die Kreis- und Bezirkstage ſowie die Stadtverordnetenverſammlung von Saar— 
brücken wurden im Laufe des Monats Auguſt befragt. Sie haben ſich einſtimmig 
in dringlicher Form für die Aufrechterhaltung der Kohlenſteuer und für die Wieder— 
einführung des anfänglichen Satzes von 20 v. H. ausgeſprochen. Sie machten geltend, 
daß dieſe Steuer die Haupteinnahmequelle für das Land bilde, und daß die Finanz— 
lage weder einen Verzicht auf die Steuer noch eine Herabſetzung der Sätze geſtatte. 

Die Kommiſſion konnte den einſtimmigen Wunſch, den die gewählten Vertreter 
der Bevölkerung mit beſonderem Nachdruck zum Ausdruck brachten, nicht vernach⸗ 
läſſigen; wenn ſie ſich geweigert hätte, dieſen Wünſchen Rechnung zu tragen, wäre 
es ihr ſchwer geworden, von denſelben Vertretungen eine günſtige Außerung über 
die Einführung neuer Steuern zu erlangen, von deren Vorſchlag ſie ſpäter nicht wird 
abſehen können. 

Außerdem hatte die Unterſuchung der Finanzlage, die ſeit dem Monat März 
vorgenommen worden war, die vorſtehend beſchriebene ſchwierige Lage enthüllt. 

Demnach beſchloß die Regierungskommiſſion in ihrer Sitzung vom 11. Sep— 
tember, die Kohlenſteuer grundſätzlich beizubehalten und ihre Sätze vom 1. Oktober 
1920 ab wieder auf 20 v. H. zu erhöhen. Gleichzeitig entlaſtete ſie, um einem von 
dem Herrn Generaldirektor der franzöſiſchen Staatsgruben geäußerten Wunſche zu 
entſprechen, dieſe Verwaltung von der Sorge, ſelbſt die Kohlenſteuer zu erheben. 
Die Steuer wird in Zukunft von den Eiſenbahnbehörden erhoben werden. Auf 
dieſe Weiſe entfiel jeder Grund, die Steuer als eine Beſteuerung der Gruben zu 
erklären, vielmehr nahm dieſe den Charakter einer inneren Abgabe an. Die 
Regierungskommiſſion konnte demnach die Auffaſſung vertreten, daß der $ 13 der 
erwähnten Anlage auf die Kohlenſteuer nicht Anwendung findet. 

Die Kommiſſion verhehlt ſich jedoch nicht, daß dieſe in Deutſchland während 
des Krieges geſchaffene Steuer einen Ausnahmecharakter hat und daß es unmöglich 
ſein wird, ſie beizubehalten, wenn der Weltkohlenmarkt wieder normal geworden iſt. 
Sie weiß auch, daß eine ſchwere Steuer auf die Kohle dem Grundſatz einer klugen 
Wirtſchaft ebenſo zuwiderläuft wie die Belaſtung des Getreides oder des Mehles mit 
einer Steuer. Sie wird ſich deshalb bemühen, die Sätze der Kohlenſteuer ſobald als 
möglich herabzuſetzen. Sie glaubt außerdem zu wiſſen, daß die Regierung der 


franzöſiſchen Republik ſich nicht ohne Schwierigkeit mit dem Grundſatz einer Steuer 


N 
. 
1 


er) 


einverſtanden erklären wird, die in der Hauptſache den Franzöfifchen Verbraucher trifft, 
der den von den Staatsgruben, die Frankreich als Erſatz für die Zerſtörung der 
Gruben in Nordfrankreich erhalten hat, geförderten Brennſtoff erhält, und daß ſie 
vielleicht Proteſt erheben wird gegen den Satz von 20 v. H. mit der Begründung, 
daß der § 13 auf die Kohlenſteuer Anwendung finde. Die Regierungskommiſſion 
wird es übrigens nicht ablehnen, über dieſen Punkt in Verhandlungen einzutreten, 
die die Umſtände erfordern. 

Dies ſind die wichtigſten Beſchlüſſe finanzieller Natur, die die Regierungskom— 
miſſion vom Monat Juli bis zum Monat Oktober gefaßt hat. Es würde ermüden, 
außerdem noch die einzelnen Maßnahmen anzuführen, die neben dieſen allgemeinen 
Beſchlüſſen getroffen worden ſind, ſo die Regulierung der Ausgaben, die Veran— 
lagung zur Patentſteuer, die Reorganiſation gewiſſer Steuerkaſſen, die Beſchaffung 
des unentbehrlichen Perſonals ufw. 

Mehr und mehr nehmen die finanziellen und budgetären Fragen einen großen 
Teil der Tätigkeit der Kommiſſion in Anſpruch. 


, wm . 1 w anne e 3 u 


Nr. 173. 
Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker— 
bundsrat vom 25. Januar 1921. 
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 2. Jahrgang, Heft 2, S. 199 ff.) 
(Überſetzung.) | 


Die Währungsfrage. 

Die wirtſchaftlichen und ſozialen Probleme erhalten im Saargebiet eine befondere 
Prägung, weil zwei Währungen, der Frank und die Mark, dort gleichzeitig in 
Geltung ſind. 

Der Gebrauch des franzöſiſchen Geldes hat ſich ſeit der Abfaſſung des letzten 
Berichtes verallgemeinert. Wie dieſer Bericht ſchon andeutete, haben die Hüttenarbeiter 
im Laufe des Monats November eine Lohnerhöhung und die Zahlung der Löhne in 
Franken gefordert. Ihrem Verlangen iſt von den Eiſenwerken und einigen Gießereien 
ſtattgegeben worden. Immerhin haben ſie nicht ebenſo günſtige Lohnſätze erreicht wie 
die, die den Bergleuten zugeſtanden find. Die ſogenannte verarbeitende Induſtrie 
(mechaniſche und Metallinduſtrie, Glasinduſtrie, Keramik) lehnt die Zahlung aller ihrer 
Arbeiter in Franken ab, hat ihnen aber ſehr beträchtliche Lohnerhöhungen in Mark 
gewährt. Immerhin wird jetzt ſchon der größere Teil der Arbeiterbevölkerung in 
Franken bezahlt. 

Hieraus ergibt ſich eine ſehr verwickelte Lage, auf die die Aufmerkſamkeit der 
Regierungskommiſſion gelenkt werden mußte. In der Sitzung vom 1. Dezember hat 
der Präſident einen Bericht vorgelegt, der hier wiedergegeben werden muß, denn er 
faßt die verſchiedenen Seiten des Problems zuſammen, auf das in ſpäteren Berichten 
zurückzukommen ſein wird: 

Es ſteht außer Zweifel, daß das Saargebiet vor einer Wirtſchafts— 
und Finanzkriſis ſteht, mit der ſich zu befaſſen die Regierungskommiſſion 
die Pflicht hat. 

Das Perſonal der Gruben wird ſeit dem Monat Juli in Franken 
bezahlt. Die von der Grubenverwaltung gezahlten Gehälter und Löhne 
waren beträchtlich höher als die Gehälter und Löhne, die die Arbeiter und 
Beamten des Gebiets zu dieſer Zeit erhielten, als der Frank nur ungefähr 
3 Mark wert war. Das ſeit dem Monat September eingetretene Sinken der 
deutſchen Deviſen hat die Lage des Grubenperſonals noch vorteilhafter 
geitaltet. 


DE 


Andererſeits hat die Entwertung der Mark eine allgemeine Verteuerung 


der Lebenshaltung in Deutſchland herbeigeführt. Die Konkurrenz von Frank 


und Mark hat insbeſondere im Saargebiet die Preiſe in die Höhe getrieben. 
Es ſcheint erwieſen, daß nirgends die Lebenshaltung in Deutſchland ſo teuer 
iſt wie in Saarbrücken. 


Dies iſt der Grund, weshalb die Höhe der gegenwärtig im Saargebiet = 


gezahlten Gehälter und Löhne bemerkenswert niedrig geworden ift, wenn 
man von dem Grubenperſonal abſieht. Man kann ohne Übertreibung von 
dem Elend eines Teils der Arbeiterklaſſe und der kleinen Beamten ſprechen. 

Es überraſcht deshalb nicht, wenn die Arbeiter Lohnerhöhungen ver— 
langen. Die Hüttenarbeiter haben im Monat September gewiſſe Vorteile 
erreicht; immerhin haben ſie ſich nicht für befriedigt erklärt, und es iſt deshalb 


verabredet worden, daß neue Beſprechungen im November aufgenommen 


werden ſollen. 

Zu Beginn dieſes Monats haben ſich die Hüttenarbeiter mit dem Arbeit⸗ 
geberverband in Beziehung geſetzt. Schon im September hatten die ſozialiſtiſchen 
Gewerkſchaften die Frankenlöhnung verlangt. Gegenwärtig ſind alle Hütten⸗ 


arbeiter ohne Unterſchied der Gewerkſchaften einig in der Forderung, die 


Lohnzahlung in Franken in gleicher oder in größerer Höhe wie die in Loth⸗ 
ringen gezahlten Löhne zu verlangen. 

Man kann es als außerordentlich wahrſcheinlich anſehen, daß ſie mit 
ihrer Forderung durchdringen werden, wenn auch vielleicht nicht bezüglich 
der Höhe der Löhne, ſo doch wenigſtens bezüglich der Löhne in Franken. 

Unzweifelhaft werden gewiſſe Werke großen Schwierigkeiten begegnen, 
wenn ſie ihre Arbeiter in Franken bezahlen wollen, einige werden ſogar ihre 
Tore ſchließen. Man wird klugerweiſe mit Rückſicht hierauf mit einer ziemlich 
beträchtlichen Zahl von Arbeitsloſen rechnen. 

Immerhin muß der Fall ins Auge gefaßt werden, daß die Induſtriellen 
es ablehnen, den Franken alsbald zuzugeſtehen oder gewiſſe Lohnſätze zu ge— 
währen, die von den Arbeitern als Mindeſtforderung angeſehen werden. 
Für dieſen Fall ſcheint ein Generalſtreik der Hüttenarbeiter unvermeidlich. 
Seine Jolgen wären jetzt beim Eintritt des Winters beſonders ſchwer⸗ 
wiegend. 

Indes werden in jedem Fall, ſei es auf Grund von Verhandlungen, 
ſei es nach einem Streik, die Hüttenarbeiter Löhne in Franken erhalten. Das 
Beiſpiel wird von den Induſtriellen der Glas- und der keramiſchen Induſtrie 
befolgt werden. 

Welches wird dann die Lage ſein? Bei den Gruben zählt man 70 000, 
bei der Hütteninduſtrie und den anderen Großinduſtrien ungefähr 60 000 
Lohnempfänger. Nimmt man als Mindeſtmaß an, daß jeder Lohnempfänger 
außer für ſich ſelbſt noch für zwei andere Perſonen zu ſorgen hat, ſo er⸗ 


gibt ſich, daß 

(70 000 60 000) x 3 = 390 000, | 
d. h. annähernd 400 000 Bewohner von einer Bevölkerung von 700 000 
Perſonen künftig ihr Haupteinkommen in Franken beziehen werden. 


Es iſt hiernach leicht vorauszuſehen, daß die Kaufleute und Landwirte 
ihre Waren bzw. ihre Bodenerzeugniſſe in Franken verkaufen werden. Mit 
anderen Worten, der Gebrauch des Franken wird ſich im Saarbecken ver⸗ 
allgemeinern, die Tätigkeit der Wechſelſtuben wird zurückgehen: an Stelle 
der Mark wird allmählich der Franken treten. Man wird alſo im Saar- 
gebiet vor einem finanziellen und wirtſchaftlichen Umbildungsprozeß ſtehen, 
der in ſeinen Wirkungen um ſo ernſter ſein wird, je größer der Unterſchied 
zwiſchen Frank und Mark iſt. 


A a re ee a A : 5 
, 2 * 3 8 > 
— . 


e 


- Schon jetzt beſchäftigt dieſe Kriſis die Gemüter. Die Regierungs— 
kommiſſion kann ſich daran nicht desintereſſieren. Welches muß hierbei ihre 
Haltung ſein, und welche Maßnahmen kann ſie im Intereſſe der Bevölkerung 
ergreifen? 

Die Regierungskommiſſion kann natürlich nicht für oder gegen die 
Bezahlung der Arbeiter in Franken Stellung nehmen. 


Der Vertrag beſtimmt ausdrücklich ($ 32 der Anlage zu Abſchnitt IV 
Teil III), »daß der Umlauf des franzöſiſchen Geldes im Saarbeckengebiet 
keinem Verbot und keiner Beſchränkung unterliegt«. Wie könnte ſich auch 
die Regierungskommiſſion dem widerſetzen, daß die Wünſche der Arbeiter 
befriedigt werden, die, indem ſie ihre Löhne in Franken verlangen, günſtigere 
Daſeinsbedingungen zu erlangen ſtreben? Sie wäre übrigens außerſtande, 
dem Druck der wirtſchaftlichen Tatſachen zu widerſtehen, die wahrſcheinlich 
die Verallgemeinerung des Umlaufs des Franken im Saarbecken zum Ergebnis 
haben werden. 


Sie wird aber gewiſſe Probleme zu prüfen haben, auf die die Beteiligten 
ſelbſt nicht verfehlen werden, ihre Aufmerkſamkeit zu lenken. 


Die Regierungskommiſſion zählt ſelbſt zu den Arbeitgebern. Wenn die 
große Mehrheit der Arbeiter in Franken bezahlt wird, jo wird vielleicht das 
Perſonal der Eiſenbahn Luſt verſpüren, eine gleiche Behandlung zu verlangen. 
Schon jetzt ſind gewiſſe Anträge in dieſem Sinne an die Eiſenbahndirektion 
gerichtet worden. Die Beamten der Zentralverwaltung haben in großer 
Jahl beantragt, in Franken bezahlt zu werden. 


Ohne den Antworten, die die Regierungskommiſſion auf dieſe Anträge 
erteilen wird, vorzugreifen und gerade in der Abſicht, ſie zur Formulierung 
dieſer Antworten in die Lage zu ſetzen, müſſen die finanziellen Rückwirkungen, 
die die Entlöhnung dieſer oder jener Beamten oder Arbeiterklaſſe der Be— 
hörden mit ſich bringen würde, mit Sorgfalt geprüft werden. Die etwaigen 
Sätze einer Umwandlung der Gehälter und Löhne müßte Gegenſtand einer 
genauen Unterſuchung ſein. 


Ohne daß die Kommiſſion es wünſcht, und ſogar gegen ihren Willen 
kann ſie genötigt ſein, ihre Beamten und Angeſtellten in Franken zu 
bezahlen. Da ſie in dieſem Falle eine beträchtliche Summe von Franken 
verausgaben muß, wird ſie gezwungen ſein, ſich auch Einnahmen in dieſer 
Währung zu verſchaffen. Das Problem wird ſich vielleicht in erſter Linie 
mit Bezug auf die öffentlichen Verkehrsmittel ſtellen. Man weiß, eine wie 
ſchwierige Aufgabe die Aufſtellung eines Eiſenbahntarifs iſt. Die Erſetzung 
der Marktarife durch Frankentarife würde ein langes Studium erfordern. 
Außerdem wird die Verallgemeinerung des Frankenumlaufs unfehlbar ihre 
Rückwirkung auf das Finanzweſen haben. Verſchiedene Möglichkeiten ſind 
ins Auge zu faſſen, ſei es die Umrechnung der den Arbeitern in Franken 
1 Löhne in Mark zwecks Herſtellung der Steuerveranlagung, ſei es 
ie Erhebung der Einkommenſteuer in Franken nach Grundſätzen, die noch 
feſtzuſtellen ſein würden, ſei es endlich in letzter Linie die Einführung des 
Franken für die Erhebung aller Steuern. 


Wenn! der Franken ſich nach dem vorſtehend gekennzeichneten Schema 
verallgemeinert, werden ſich ſoziale Folgen daraus ergeben, die ins Auge 
zu faſſen die Regierungskommiſſion nicht unterlaſſen darf. 


Man kann annehmen, daß alle Bewohner des Gebiets, die ihren Le— 
bensunterhalt aus Arbeitseinkommen beſtreiten (Arbeiter, Beamte, Angeſtellte, 
Landwirte uſw.), früher oder ſpäter die Entlöhnung ihrer Arbeit in Franken 
erhalten werden. Nach einer mehr oder weniger langen und ſchmerzlichen 
Kriſis werden ſie wieder normale Daſeinsbedingungen finden. Ganz anders 


en A u 
- u zu 
” "2083 
g 


« 
= 
5 


— 22 — 
verhält es ſich aber mit den Perſonen, die von einem feſten Einkommen | 
in Mark leben (penfionierte Beamte, Kleinrentner, Kriegsbeſchädigte, Renten— 
empfänger aller Kategorien). g 

Die Verallgemeinerung des Gebrauchs des franzöſiſchen Geldes wird 
dieſe Klaſſen von Perſonen in eine ſehr ſchwierige Lage bringen. Eine 
Abwanderung wäre zu befürchten, aber die Mehrzahl von ihnen wäre, 
ſelbſt wenn ſie den Wunſch hätte auszuwandern, außer Stande, das Gebiet 
zu verlaſſen. Sie haben Anſpruch auf das wohlwollende Intereſſe der 
Regierungskommiſſion. Es wird alſo eine Aufſtellung über die Zahl dieſer 
Perſonen zu veranlaſſen und zu prüfen ſein, durch welche Mittel und in 
welchem Umfang es möglich wäre, ihnen zu Hilfe zu kommen. 


Es iſt ferner ſicher, daß der verallgemeinerte Umlauf des Franken aufs 
neue eine Verteuerung der Lebenshaltung im Saargebiet mit ſich bringen wird. 
Alles läßt vorausſehen, daß die Lebensbedingungen im Saargebiet dieſelben 
werden wie in Lothringen. Man muß alſo prüfen, welche Mittel geeignet 
wären, die Steigerung der Preiſe hintanzuhalten und zu hemmen. Man 
ſieht alſo, daß eine ganze Reihe von Problemen von größter Wichtigkeit 
ſich ſchon jetzt vor der Regierungskommiſſion aufwerfen. Sie ſind bereits 
in der Preſſe und in Kreiſen des Handels und der Induſtrie erörtert 
worden. Für gewiſſe Probleme ſind ſogar Löſungen vorgeſchlagen worden, 
mit denen die Regierungskommiſſion ſicher befaßt werden wird. 


Die Kommiſſion kann den Wert ſolcher Vorſchläge erſt feſtſtellen, 
wenn ſie dieſe Fragen hat prüfen laſſen und wenn ſie alle erforderlichen 
Unterlagen für ihre Information vereinigt hat. Daher ſcheint es uner— 
läßlich, ſchon jetzt die in Frage kommenden Abteilungen zur Vornahme aller 
zweckentſprechenden Unterſuchungen aufzufordern. Es ſcheint empfehlenswert, 
eine interminiſterielle Kommiſſion einzuſetzen, die ermächtigt iſt, nach allen 
Richtungen hin die Exkundigungen einzuziehen, die ihr wünſchenswert 
ſcheinen und Perſönlichkeiten aus der Finanz, aus dem Handel und der 
Induſtrie und aus der Arbeiterſchaft, deren Anſichten zu ihrer eigenen Auf— 
kärung dienlich ſein können, zu befragen. 


Dieſe einleitende Unterſuchung würde in keiner Weiſe die Handlungs— 
freiheit der Regierungskommiſſion einſchränken. Sie kann nicht ausgelegt 
werden als ein Schritt von ihr zugunſten eines verallgemeinerten Franken⸗ 
umlaufs. Sie würde nur lediglich den Wunſch der Kommiſſion bekunden, 
ſich nicht von den Ereigniſſen, deren baldiges Eintreten und deren Ernſt 
ſchon jetzt unmöglich zu verkennen iſt, überraſchen zu laſſen. 


Nachdem die Kommiſſion von dieſem Bericht Kenntnis genommen hatte, und 
nach einer eingehenden Prüfung hat ſie auf Vorſchlag des Präſidenten einſtimmig 
folgenden Beſchluß gefaßt: | 

Die Regierungskommiſſion stellt folgendes feſt: Seitdem die franzöſiſchen 
Staatsgruben gemäß dem Recht, das ihnen der Friedensvertrag gibt, den 
Franken bei all ihren Geldgeſchäften eingeführt und insbeſondere ihre Arbeiter 
und Angeſtellten in Franken bezahlt haben, bildet ſich unter den Arbeitern 
und ſogar unter gewiſſen Kategorien der Beamten eine von Tag zu Tag 
zunehmende Strömung zugunſten der Frankenzahlung; es iſt notoriſch, 
daß auf das dringende Erſuchen ihrer Arbeiter die großen Hüttenwerke vor 
der Annahme der Frankenzahlung ſtehen; alsbald nach dieſem Beſchluß wird 
eine unmittelbare Rückwirkung auf die Angeſtellten und Arbeiter der Eifen- 
bahn eintreten, deren Löhne immer zu denen der Hüttenarbeiter im Ver⸗ 
hältnis geſtanden haben; zur gegenwärtigen Stunde iſt ſchwer vorauszuſehen, 
welche finanziellen und wirtſchaftlichen Folgen dieſe Maßnahmen auf die 
Geſamtheit des Gebiets haben werden. 


5 
1 
fr 

1 

> 

3 

. 
5 4 
. * 
4 

— 


Die Regierungskommiſſion zieht ferner folgendes in Erwägung: 

Nach den Beſtimmungen der Anlage »Saar« des Friedensvertrags darf 
der Umlauf des franzöſiſchen Geldes im Saargebiet keinem Verbot oder 
keiner Beſchränkung unterliegen; unter dieſen Umſtänden erſcheint, ohne 
irgendwie der ſpäteren Entſcheidung der Kommiſſion vorzugreifen, eine ernſt— 
hafte und gründliche Unterſuchung über die verallgemeinerte Einführung des 
Franken in dem Gebiet angezeigt. 

Mit Rückſicht auf dieſe Erwägungen beſchließt die Regierungskommiſſion 
was folgt: 

Es ſoll eine Kommiſſion eingeſetzt werden, die den Auftrag hat, ſich 
gutachtlich über die finanziellen und wirtſchaftlichen Fragen auszuſprechen, 
die ſich bei einer verallgemeinerten Einführung des Franken ergeben. 

Dieſe Kommiſſion ſoll aus den Hauptmitarbeitern der Regierungs— 
kommiſſion beſtehen und außerdem berufene Vertreter des Handels, der 
Induſtrie, der Landwirtſchaft und der Volkswohlfahrt umfaſſen. 

Ein Rundſchreiben ſoll vorher an die verſchiedenen Vereinigungen, ein— 
ſchließlich die Arbeitergewerkſchaften, geſandt werden, mit dem Erſuchen um 
Kundgebung ihrer Anſicht zwecks Aufklärung der Mitglieder der Kommiſſion. 

Nebenher fordert die Kommiſſion mit Rückſicht darauf, daß die plötz— 
liche Einführung des Franken als Zahlungsmittel in der Hütteninduſtrie 
eine unmittelbare Rückwirkung auf die Arbeiter und Angeſtellten der Eiſen— 
bahn haben kann, die den ordnungsmäßigen Betrieb beeinfluſſen könnte, das 
mit den öffentlichen Arbeiten betraute Mitglied der Kommiſſion auf, eine 
Unterſuchung der Frage der Bezahlung der Arbeiter und Angeſtellten der 
Eiſenbahn in Franken, ſowie der Frage der als Folge hiervon ſich ergebenden 
Anderung der Eiſenbahntarife auf Grundlage des Franken vorzunehmen. 

In Ausführung dieſes Beſchluſſes iſt eine Kommiſſion unter dem Vorſitz des 
Generalſekretärs der Regierungs kommiſſion eingeſetzt worden. Sie hat ihre Arbeiten 
damit begonnen, daß ſie ein Rundſchreiben an die Verbände des Handels, der Arbeit— 
geber und der Arbeitnehmer ſandte und deren Außerungen und Anregungen bis zum 
15. Februar erbat. 

Die Regierungskommiſſion hat ſo gezeigt, daß ſie in der Währungsfrage eine 
unbedingte Neutralität zu bewahren beabſichtigt. Dieſe Abſicht hat ſich erſt kürzlich 
wieder kundgetan, als Herr Lambert, das mit den öffentlichen Arbeiten betraute Mit— 
glied der Kommiſſion, das Perſonal der Eiſenbahn auf Antrag der Gewerkſchafts— 
ſekretäre ermächtigte, eine Abſtimmung über die Entlöhnung in Franken oder in 
Mark vorzunehmen. Ungefähr 70 v. H. der Stimmen haben ſich zugunſten der 
Mark ausgeſprochen. 

Hingegen iſt die Regierungskommiſſion gezwungen geweſen, das geſamte Perſonal 
der Bergbehörden in Franken zu bezahlen. Dieſes Perſonal, das ſich tatſächlich aus 
Angeſtellten und Werkmeiſtern der Staatsgruben zuſammenſetzt, konnte in bezug auf 
die Bezahlung nicht anders behandelt werden als die Bergarbeiter. So bezahlt die 
Regierungskommiſſion ſchon heute ſaarländiſche Beamte in Franken. 


Finanzverwaltung. 


Ich habe bereits in einem früheren Bericht Gelegenheit gehabt auseinanderzu— 
ſetzen, welchen Schwierigkeiten die Aufſtellung eines Budgets begegnet, das Einnahmen 
und Ausgaben in zwei verſchiedenen Währungen, deren gegenſeitiger Kurs ſehr ver— 
änderlich iſt, vorſehen muß. Solange die Währungsfrage nicht eine allgemeine Löſung 
gefunden hat, wird es für die Regierungskommiſſion unmöglich ſein, geſunde Finanzen 
zu bekommen. 

Die Beſorgniſſe, die ich am 25. Oktober auszuſprechen mir erlaubt hatte, ſind 
ſeither noch ſtärker geworden. 


18 


. 


Der Markkurs iſt während des letzten Vierteljahrs ſehr niedrig geblieben. Die 
Koſten der Lebenshaltung haben ſich auf einer ſehr großen Höhe gehalten. Dem 
Beiſpiel Deutſchlands folgend, mußten den Beamten neue Beihilfen zugeſtanden 
werden, worüber ich mich weiter unten ausſprechen werde. Alle neuen Leiſtungen 
des Reichs gegenüber ſeinen Beamten drohen, im Saargebiet ihre Rückwirkung aus⸗ 
zuüben, und doch beſitzt das Saargebiet nicht wie die Reichsregierung das Hilfs— 
mittel, Papiergeld auszugeben, um neue Ausgaben leiſten zu können. 

Die Entwertung des deutſchen Geldes — man kann dies nicht oft genug wieder- 
holen — laſtet ſchwer auf den Finanzen des Gebiets. So ergibt die Ausbeutung 
der Eiſenbahnen nur deshalb ein großes Defizit, weil die Benutzer der Bahn in einer 
entwerteten Währung bezahlen. Mag man die Tarife auch noch ſo oft erneuern, 
fo können fie doch tatſächlich nicht in dem Maße erhöht werden, wie die Mark ſinkt. 

Je mehr die Mark ſinkt, deſto mehr ſinkt der wahre Wert der Einnahmen der 
ſaarländiſchen Kaſſen und deſto höher ſteigen die ihr obliegenden Ausgaben wegen 
der Erhöhung der Gehälter, die die Verteuerung der Lebenshaltung mit ſich bringt. 


Ferner hört die Steigerung der Ausgaben nicht auf. Beträchtliche Kredite haben 
für die Unterhaltung der Wege und Eiſenbahnen, für die erſten Arbeiten zur Er⸗ 
richtung von Zollbahnhöfen, für die öffentliche Armenpflege uſw. bereitgeſtellt werden 
müſſen. Trotz der äußerſten Sparſamkeit, die die Regierungskommiſſion ſich auf 
erlegt, iſt ſie gezwungen, neue Ausgabepoſten ins Auge zu faſſen, nämlich im Hinblick 
auf die Sozialverſicherung, auf die Errichtung von Zollbahnhöfen, die unerläßlich iſt, 
um eine Verſtopfung des faarländijchen Eiſenbahnnetzes zu vermeiden, und die un- 
gefähr 500 Millionen Mark erfordern wird. 5 


Indes muß die Kommiſſion mit einer beträchtlichen Verminderung der wichtigſten 
Einnahmequelle, über die ſie verfügt, rechnen, nämlich der Kohlenſteuer. Wenn dieſe 
Steuer bei ihrer jetzigen Höhe (20 v. H.) belaſſen wird, ſo beſteht die Gefahr, daß 
fie den Verkauf der Saarkohlen verhindert und die örtliche Induſtrie zum Feiern ver⸗ 
urteilt. Die franzöſiſche Regierung hat übrigens gegen die Erhebung dieſer Steuer 
amtlich Proteſt erhoben, und ſie würde ſicher ihre Vorſtellungen erneuern, wenn es 
ihr erwieſen ſcheinen ſollte, daß deren Höhe die Ausbeutung der ihr gehörigen Gruben 
beeinträchtigt. Die Regierungskommiſſion muß daher eine beträchtliche Herabſetzung 
der Steuer ins Auge faſſen. Das Gleichgewicht des Budgets wird dadurch unwider— 
ruflich zerſtört werden. 


Es iſt indes kein Mittel vernachläſſigt worden, um die Einnahmen der Landes⸗ 
kaſſe zu vermehren. Die Geſetzentwürfe über indirekte Steuern ſind nach Einholung 
der Anſicht der gewählten Vertreter der Bevölkerung in Kraft geſetzt worden. Ihre 
Einführung hat zu keiner ernſtlichen Schwierigkeit Anlaß gegeben. Die Einnahmen, 
die aus dieſen Steuern erzielt werden, find ſchon jetzt ſehr bemerkenswert. Gewiſſe 
Beſtimmungen des Einkommenſteuergeſetzes ſind in Einklang gebracht worden mit der 
allgemeinen Erhöhung der Gehälter und Löhne; die Wandergewerbeſteuer und die 
Eichgebühren ſind erhöht worden; Maßnahmen ſind ergriffen worden, damit die Ver⸗ 
ſicherungsgeſellſchaften ſich ihrer Pflicht zur Entrichtung von Stempelmarken zugunſten 
des Saargebiets und nicht zugunſten der benachbarten Länder entledigen; verſchiedene 
Gebühren für die Ausſtellung öffentlicher Urkunden ſind erhöht oder neu geſchaffen 
worden. Die Eiſenbahntarife find am 1. Dezember erhöht worden; ein Wirtſchaftsamt 
iſt auf Antrag des Herrn M. Lambert, des mit den öffentlichen Arbeiten betrauten 
Mitgliedes der Regierungskommiſſion, geſchaffen worden, um die Mittel und Wege 
zur Verminderung der Ausgaben der Eiſenbahn zu prüfen. 5 


Cin ſorgfältiges Studium iſt der Finanzverwaltung gewidmet worden. Eine 
Neueinteilung der Steuerämter iſt vorgenommen worden. Berufungskommiſſionen, 
die die Aufgabe haben, Berufungen der Steuerpflichtigen zu prüfen, ſind in den 
preußiſchen und in den pfälziſchen Teilen des Gebiets geſchaffen worden. Eine 
Prüfungsſtelle für die Steuerbücher wird errichtet werden, um Hinterziehungen zu 


Se en . 


N Ir 5 { Era Te: .. * 2 
4 * 5 in 2 e 
fe Rn 8 7 12 n 
5 r > * 
9 ; > > “ # 
er 5 * 
1 


unterdrücken. Kurz, nichts iſt vernachläſſigt worden, was geeignet erſcheint, der 
FJinanznot des Gebiets abzuhelfen. 


Trotzdem iſt die Regierungskommiſſion der Anſicht, daß eine allgemeine Um— 


= bildung des Steuerſyſtems nötig iſt. Im Saarbecken find noch die preußiſchen und 


bayeriſchen Geſetze aus der Vorkriegszeit in Geltung. Die Beſtimmungen des 


& Friedensvertrags haben ihm die in Deutſchland anfangs 1920 auf Betreiben des 


Miniſters Erzberger in Kraft geſetzten Reformen erſpart. Die Regierungskommiſſion 


8 hat es abgelehnt, dieſe Geſetze einzuführen, die wenig befriedigende Ergebniſſe gezeitigt 


haben und eine außerordentlich große Zahl von Beamten erfordern. Sie hat be— 
ſchloſſen, daß für das Gebiet ein Steuerrecht geſchaffen werden ſoll, daß ſeiner Eigen— 
art entſpricht und ſowohl ſeiner politiſchen Lage wie ſeinen wirtſchaftlichen Hilfs— 
quellen und den Sitten der Bewohner Rechnung trägt. Ein Finanzinſpektor iſt 


beauftragt worden, eine eingehende Prüfung dieſer Frage vorzunehmen. Die Re— 


rn wird ſich bemühen, ſo ſchnell wie möglich neue Geſetze zu erlaſſen, 
ie geeignet ſind, die ihr unerläßlichen Einkünfte zu verſchaffen. 

Immerhin iſt es ſchon jetzt wahrſcheinlich, daß die Regierungskommiſſion gezwungen 
ſein wird, ihre Zuflucht zu einer Anleihe zu nehmen. Dem Saargebiet werden 


nämlich noch vier Jahre lang alle Zolleinnahmen fehlen, da die deutſchen Waren bis 


zum 10. Januar 1925 zollfrei hereinkommen. Die Finanzlage, die man von 1925 ab 
als verhältnismäßig günſtig anſehen kann, wird bis zu dieſem Tage kritiſch bleiben, 
und um die ſchon durch den Krieg erſchöpfte Bevölkerung nicht zu überlaſten, wird 
3 wie alle Regierungen, den Kredit in Anſpruch nehmen 
müſſen. 


— rr 


Nr. 174. 


Rundſchreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 
17. Januar 1921 über die Erweiterung des Frankenumlaufs. 


— Saarbrücken, den 17. Januar 1921. 

Die Regierungskommiſſion mußte die Wahrnehmung machen, daß, ſeitdem die 
franzöſiſchen fiskaliſchen Gruben gemäß des ihnen durch den Friedensvertrag zu— 
erkannten Rechtes ſich der Frankenauszahlung bei allen ihren Geſchäftsgebahrungen 
bedienen und insbeſondere ihre Arbeiter und Angeſtellten in Franken entlohnen, ſich 
bei den Arbeitern und zumal bei Staatsarbeitern und Beamtengruppen eine täglich 
wachſende Strömung zugunſten der Frankenentlohnung geltend macht. 


Andererſeits iſt es allgemein bekannt, daß auf die dringenden Bitten ihrer Ar— 
beiter hin die großen Eiſenwerke dazu übergegangen ſind, die Auszahlung der Löhne 
ebenfalls in Franken erfolgen zu laſſen. Zur Stunde iſt es ſchwer vorauszuſehen, 
welche finanziellen und wirtſchaftlichen Folgen dieſe Ereigniſſe für die Geſamt— 
bevölkerung des Saargebiets haben werden. 

Ferner iſt die Tatſache in Betracht zu ziehen, daß gemäß § 32 der Anlage 
(Abſchnitt IV Teil 3) zum Friedensvertrage weder ein Verbot erlaſſen, noch eine 
Beſchränkung auf den Umlauf des franzöſiſchen Geldes im Saargebiet ausgeübt 
werden darf. 

Unter dieſen Umſtänden iſt es angezeigt, ohne deshalb einer ſpäteren Entſcheidung 
der Regierungskommiſſion vorzugreifen, daß der weitere Umlauf des Franken im 
Saargebiet den Gegenſtand einer ernſten und eingehenden Unterſuchung bildet. 


Die Regierungskommiſſion hat deshalb eine Kommiſſion gebildet, welche be— 
auftragt iſt, ſich mit den gutachtlichen Außerungen über die Fragen der finanziellen 
und wirtſchaftlichen Folgen zu befaſſen, welche ſich bei dem erweiterten Umlauf des 


18 * 


— 


3 


Franken aufwerfen. Dieſe Kommiſſion ſetzt ſich zuſammen aus Mitarbeitern der 
Regierungskommiſſion und aus maßgebenden Vertretern des Handels, der Induſtrie, 
der Landwirtſchaft und der Volkswohlfahrt. 

Die verſchiedenen Erwerbszweige des Saargebiets werden deshalb erſucht, eine 
gutachtliche Außerung über die Folgen aufzuſtellen, welche der erweiterte Umlauf des 
Franken nach ſich ziehen würde, und des weiteren die Maßnahmen zu erwägen, welche 
daraufhin erforderlich ſein würden. Dieſe Außerung ſollte ſich namentlich auf die 
Rückwirkung des erweiterten Frankenumlaufs, auf die Beſchaffung von Lebensmitteln 
und Rohſtoffen, auf die Herſtellungsbedingungen, die Abſatzmöglichkeiten, auf die Ent— 
wicklung der Preiſe, der Löhne und Gehälter, auf die Regelung der Verträge und 
ſchließlich auf alle finanziellen Verhältniſſe erſtrecken. 

Die Kommiſſion legt großen Wert darauf, daß die Antworten ihr bis zum 
15. Februar an folgende Adreſſe zugeſtellt werden: 


»Generalſekretariat der Regierungskommiſſion, 
Saarbrücken 1, Schloßplatz 15.« 


(Unterſchrift.) 


Nr. 175. 


Gutachten der wirtſchaftlichen Verbände des Saargebiets über den 
| erweiterten Frankenumlauf. | 


a. Gutachten des Schutzvereins für Handel und Gewerbe im Saargebiet. 


Saarbrücken, den 15. Februar 1921. 
An 


den Herrn Generalſekretär der Regierungskommiſſion des Saargebiets 
Saarbrücken 1 


Schloßplatz. 
Auf Ihre Anfrage vom 17. Januar 1921 über 


die wirtſchaftlichen Folgen eines erweiterten Frankenumlaufs für den ſaar⸗ 
ländiſchen Handel 


erwidern wir ergebenſt: 


Als Geſamtorganiſation der vereinigten ſaarländiſchen Handelsverbände hat ſich 
der Schutzverein für Handel und Gewerbe im Saargebiet e. V. um eine ausreichende 
. Ihrer Frage bemüht. Unſere Arbeit war jedoch mit Schwierigkeiten 
verbunden. 


Vielfach wurde eine Antwort abgelehnt mit der Begründung, daß unter den 
obwaltenden Umſtänden eine Stellungnahme gegen den Franken dem einzelnen wirt- 
ſchaftliche Nachteile bringen würde. Weiter zeigte ſich — beſonders in der breiten 
Maſſe der kleineren Firmen — ein Mißtrauen gegen jede Maßnahme, die, wie er- 
klärt wurde, eine zwangsmäßige Weſtorientierung irgendwie unterſtützen könne. 

Mir find dieſer Abmigung gegen eine klare Antwort energiſch entgegengetreten. 
Nach unſerer Auffaſſung iſt ein ſachliches Urteil aller das Wirtſchaftsleben unparteiiſch 
überſchauender Kaufleute für das Saargebiet von lebenswichtiger Bedeutung. Kann 
es doch den Beginn einer Wirtſchaftspolitik bedeuten, die ſich frei von äußeren Hemm— 
niſſen den Bedürfniſſen der ſaarländiſchen Bevölkerung allein anpaßt. 

Unſer Vorſtand hat deshalb veranlaßt, daß ein in fachliche Unterpunkte zer- 
gliederter Fragebogen unſeren Mitgliedsfirmen — im Groß- und Einzelhandel, in 
Stadt und Land, dazu den angeſchloſſenen Banken und mittleren Gewerbebetrieben — 
zur Beantwortung vorgelegt wurde. 


— 267 — 


BR Das Ergebnis — 694 zum Teil recht ausführliche Antworten aller bedeutenderen 
Firmen des Saargebietes — hat unſer Büro wie folgt zuſammengeſtellt. 


Eine erhebliche Erweiterung des Frankenumlaufs iſt für den ſaarländiſchen 


Handel zunächſt nur denkbar, wenn auch der Wareneinkauf in dieſer Währung er— 


folgen kann, wenn alſo der ſaarländiſche Bedarf innerhalb des franzöſiſchen Zoll— 
gebiets in normalem Umfange gedeckt zu werden vermag. f 


Bisheriger Warenbezug des ſaarländiſchen Handels aus Frankreich 
| (einſchl Elſaß-Lothringen). 

Der Anteil Frankreichs an der Belieferung des Saargebiets iſt gegenwärtig ledig— 

lich bei Lebens⸗ und Genußmitteln (Wein) ſowie bei Textilien von größerer Bedeutung. 

Dieſer Warenbezug beruht zum Teil auf den auch heute noch nicht ganz unter— 


bundenen wirtſchaftlichen Beziehungen des Saargebiets zu Elſaß-Lothringen. Nach 


wie vor kauft der Textilhandel Baumwollſtoffe der ihm bekannten elſäſſiſchen as 
brikanten, Halbwollſtoffe der Markircher Induſtrie, Nähgarne des DME- wonzerns 
(wie im Frieden etwa 20 v. H. des ſaarländiſchen Geſamttextilverbrauchs). Die 
lothringiſche Landwirtſchaft bleibt mit ihren Produkten in erheblichem Umfang auf 
den Abſatz im Saargebiet angewieſen, mag auch der hier gebotene Markpreis nicht 
immer als ausreichend angeſehen werden. Weiter hat der Bezug von Überſeeware 
über franzöſiſche Häfen an Umfang zugenommen, vor allen in der Zeit, als der 
Stand des Guldens die Lieferung über holländiſche Häfen nahezu ausſchloß. Ins— 
beſondere bei Nahrungsmitteln (Kolonialwaren, Fette und Gefrierfleiſch) haben Le Havre 
und Marſeille an Bedeutung gewonnen, während amerikaniſche Ole und Petroleum 
nach wie vor über Antwerpen kommen. 

Das rein franzöſiſche Geſchäft iſt bei Schokoladen, Käſe und Seife erheblich ge— 
ER worden (etwa 50 bzw. 25 bzw. 30 v. H. Anteil), in den erſten beiden 
Fällen vor allem auf Koſten des Schweizer Imports. Nicht unbedeutend iſt auch, 
beſonders nach dem Steigen der deutſchen Valuta, der ſaarländiſche Verbrauch 
franzöſiſcher Rotweine (etwa 36 v. H. des geſamten Verbrauchs). Weiter konnten bei 
der gegenwärtigen Verſtopfung des franzöſiſchen Textilmarktes und dem daraus ſich 
ergebenden Entgegenkommen der Fabrikanten Roubaixer Tuche preiswert abgeſetzt 
werden. Endlich iſt infolge der zunehmenden Erhöhung der deutſchen Geſtehungskoſten 
der franzöſiſche Kraftwagen gegenüber dem deutſchen etwas mehr in Erſcheinung getreten. 

Geſunken dagegen iſt im Vergleich zum Jahre 1919 ſowohl der Bezug ſonſtiger 
rein franzöſiſcher Textilwaren (z. B. Wirkwaren) wie auch der von Werkzeug und 
techniſchem Induſtriebedarf. 

Bei allen übrigen Warengruppen beträgt der Anteil Frankreichs nur einen 
Bruchteil, der nur bei Drogen und Schuhen etwa 8 bis 9 v. H. erreicht. 


Bisheriger Warenbezug aus den übrigen Ländern, insbeſondere aus 
Deutſchland. 

Die beſtehenden Unterſchiede in der Bewertung der einzelnen Deviſen haben es 
mit ſich gebracht, daß Fertigwaren valutaſtarker Länder vom ſaarländiſchen Markt 
faſt völlig verſchwunden ſind. So iſt z. B. ein Bezug preiswerter engliſcher Stoffe 
oder Strumpfwaren gegenwärtig noch unmöglich. Von Nahrungsmitteln ſowie Roh— 
und Halbfabrikaten der Induſtrie abgeſehen, iſt deshalb nahezu der geſamte ſaar— 
ländiſche Handel — auch unter Berückſichtigung des ſaarländiſch⸗franzöſiſchen Waren- 
verkehrs — auf Deutſchland eingeſtellt. So ſind bei 


Eiſenwaren Elektrotechnik 

Haus und Küchengerät Büchern und Papierwaren 
Fahrrädern und Nähmaſchinen Arzneien und Chemikalien 
Inſtallationsmaterial Klavieren 


andere als deutſche Waren nur in Ausnahmefällen bekannt und verkäuflich. Auf den 
übrigen Warenzweigen macht der Bezug von deutſcher Seite her über 90 v. H. des 
Geſamtverbrauchs aus. 


Außer auf dieſen mengenmäßigen Anteil wird von einzelnen Branchen auch auf N 


die tatſächliche Bedeutung der deutſchen Lieferungen hingewieſen. So bildet u. a. 
die Verſorgung mit deutſchem Brotgetreide und Kartoffeln den Grundſtock der ſaar— 
ländiſchen Ernährung. Endlich kann auch ein Teil der Überfeewaren nur durch Ver⸗ 
mittlung des mit den ſaarländiſchen Bedürfniſſen vertrauten deutſchen Importeurs 
bezogen werden. 


Umſtellung des Saargebiets auf franzöſiſche Lieferungen. 

Die Löſung dieſer Frage liegt, nach Auffaſſung der befragten Firmen, weder 
bei dem Verbraucher noch bei dem ihn beliefernden Handel, ſondern allein bei der 
innerhalb des franzöſiſchen Zollgebiets arbeitenden Induſtrie. Gelingt es dieſer, die 
bisher auf dem ſaarländiſchen Markt vorherrſchende Ware an Brauchbarkeit, Ge⸗ 
ſchmacksanpaſſung und Billigkeit zu übertreffen, fo find bei dem prattiſchen Sinn 
der ſaarländiſchen Bevölkerung alle Vorausſetzungen für den Verbrauch franzöſiſcher 
Waren gegeben. Die Möglichkeit einer ſolchen Umſtellung wird von 37 Firmen 
(22 der Lebensmittelbranche) für ihren Geſchäftszweig teils ganz, teils in beſchränktem 
Umfang bejaht, von den übrigen Antwortenden verneint. 

Die innerfranzöſiſche Induſtrie iſt nach der allgemeinen Auffaſſung leiſtungsfähig 
genug, ein ſo kleines Land wie das Saargebiet mit zu beliefern. Eine erhebliche 
Einſchränkung ergibt ſich jedoch, ganz abgeſehen vom Preis, daraus, daß der aus— 
geſprochene franzöſiſche Geſchmack von den ſaarländiſchen Lebensgewohnheiten weſentlich 
abweicht. Damenwäſche, Arbeiterunterkleidung, Konfektion, Wirk- und Kurzwaren 
werden allein auf dem Gebiet der Textilien als Beiſpiele angeführt. Die runden 
deutſchen Möbel find dem franzöſiſchen Fabrikanten völlig fremd. Küchen- und 
Hausgerät beider Länder weichen erheblich voneinander ab. Schreib- und Regiſtratur⸗ 
maſchinen ſowie Fahrräder und Nähmaſchinen des franzöſiſchen Marktes zeigen er— 
hebliche Nachteile gegenüber den bisher hier gebrauchten. 

Die Möglichkeit, innerhalb des franzöſiſchen Zollbezirks eine Produktion aufzu⸗ 
bauen, die ſich dieſen Eigenheiten des ſaarländiſchen Verbrauchs anpaßt, wird nahezu 
durchweg verneint. Auch die Eigenproduktion im Saargebiet ſelbſt, die faſt auf 
allen Warengebieten zunächſt ins Auge gefaßt war, wird nur in ganz beſcheidenem 
Umfang — bei Produktionsſtufen, die keine beſonderen maſchinellen Vorrichtungen 
und techniſchen Erfahrungen erfordern — durchgeführt werden können. Die Bau⸗ 
ſchwierigkeiten, das beweiſt die neu entſtandene Tabakinduftr e, wären nicht unüber⸗ 
windlich. Eine Reihe von Speſen wäre ſogar geringer als im Innern Frankreichs. 
Es fehlt jedoch die Hauptſache, ein ausreichendes Abſatzgebiet. Als ſolches kann ein 
Land mit 700 000 Köpfen nicht angeſehen werden. In noch höherem Maße muß 
deshalb die Möglichkeit einer Umſtellung der innerfranzöſiſchen Induſtrie auf den 
Saarabſatz bezweifelt werden. 


Die vorhandenen Unterſchiede in Geſchmacksrichtung und teilweiſe auch in der 
Qualität könnten allerdings zwangsweiſe durch entſprechende Zoll- und Einfuhrmaß⸗ 
nahmen behoben werden. Tritt dadurch eine erhebliche Verteuerung der deutſchen 
Fabrikate ein, ſo kann damit gerechnet werden, daß z. B. Eiſen-Halbfabrikate, wie 
Träger und Röhren, aus Lothringen bezogen werden und der franzöſiſche Anteil 
an den Textilverbrauch auf etwa 40 v. H. ſteigt. Allein in einer großen Reihe von 
Warengebieten läßt ſich auch hierdurch eine Umftllung nicht erzwingen. In allen 
techniſchen Betrieben, vom Handwerk bis zur Hütte, iſt bei der vo geſchrittenen Typi⸗ 
ſierung der bisher verwendeten Maſchinen, Werkzeuge, Hilfsinſtrumente, auch Ge⸗ 
windeteile uſw. ein Warenblock von vielen Millionen Mark vorhanden, der infolge 
andersartiger Normung auf dem franzöſiſchen Markt weder Erſatz- noch Zubehörteile 
finden kann. Der geſamte Werkzeug- und Maſchinenhandel kann deshalb erſt dann 
mit einem Abſatz franzöſiſcher Fabrikate rechnen, wenn trotz der ungeheueren dabei 
verlorengehenden Werte ganze Betriebsteile auf die neue Technik umgebaut werden. 
In gleicher Weiſe laſſen ſich auf dem eclektrotechniſchen Markt bei Baubeſchlägen, 


el 


i 1 und Kleineiſenwaren franzöſiſche Erſatz wie Zubehörteile auf lange Jahre 
| 2 binaus nur in beſchränktem Maße abſetzen. 


Auch auf den übrigen Märkten müſſen erhebliche Lücken in der Belieferung ent- 


ſtehen, fobald die deutſche Ware nicht mehr oder nicht in vollem Umfang zur Ver— 
fügung ſteht. Der ſchwere württembergiſche Arbeitsſchuh kann durch den ſchmaleren 


franzöfiichen Typ nicht erſetzt werden. Eine große Reihe konfektionierter Ware 


5 franzöſiſchen Urſprungs iſt, wie die bisherigen Erfahrungen zeigten, im Saargebiet 


nicht abſetzbar, weil die Figur der Saarländer Frauen von der einer Franzöſin 
weſentlich abweicht. Der Drogen- und Chemikalienhandel weiſt ebenſo wie die 


Apotheken darauf hin, daß eine große Anzahl deutſcher Präparate in Frankreich über— 


haupt nicht hergeſtellt wird. Endlich weiſt der Buchhandel nach, daß er, abgeſehen 
von den Bedürfniſſen der hieſigen franzöſiſchen Kolonie, lediglich Bücher abſetzen könne, 
die in deutſcher Sprache geſchrieben ſind. 

Läßt ſich danach ein erheblicher Teil des bisherigen Mark-Warenbezuges aus 
techniſchen Gründen nicht ausſchalten, ſo erhebt ſich die Frage, ob der übrige Teil 
des ſaarländiſchen Verbrauchs — bei nicht allzu erheblichen Preisunterſchieden — 
durch Sondervorteile, die der franzöſiſche Lieferant dem franzöſiſchen Abnehmer gewährt, 
nicht ſtärker als bisher auf dem franzöſiſchen Markt, alſo in Frank eingekauft werden 
kann. Die Antwort iſt abhängig von der Feſtſtellung, ob die Einkäufe auf 
dem franzöſiſchen wie auf dem deutſchen Markt keine allzu große 
Unterſchiede in der Höhe der Geſtehungskoſten zeigen. 

40 der befragten Firmen halten dieſe Differenz für unweſentlich, 552 Kaufleute 


| dagegen rechnen mit weſentlich höheren Geſtehungskoſten, ſobald fie in größerem 
Umfang auf dem franzöſiſchen Markt einkaufen. In erſter Linie verweiſt man auf 


die allgemeine Tatfache, daß der niedrige Stand der deutſchen Valuta alle Produktions— 
koſten, wie Löhne, Feuerung uſw., aber auch die Vorſpeſen des Kaufmanns, wie 
Frachten, Verſicherung, Reiſekoſten, weſentlich unter dem franzöſiſchen Niveau zu halten 
vermag. So verweiſt der Textilhandel u. a. darauf, daß er ſeine Einkaufsreiſenden 
mit der gleichen Summe Geldes in Deutſchland drei Wochen, in Frankreich aber nur 
eine Woche unterhalten kann. 


Abgeſehen von dieſem grundlegenden Unterſchied der allgemeinen Preisbaſis, 
verweiſen einzelne Branchen auf den Umſtand, daß verſchiedene franzöſiſche Produktions- 
zweige infolge Fehlens einer breiten Maſſenherſtellung bereits in Friedenszeiten 
ungünſtigere Herſtellungsbedingungen aufwieſen. Als Beiſpiel werden verſchiedene 
Textilien (u. a. Wirkwaren), Hüte, Schäfte der Schuhfabrikation, Kleineiſenwaren, 


Beleuchtungsanlagen von Kraftwagen aufgeführt. 


Endlich glaubt die Mehrzahl der befragten Firmen damit rechnen zu müſſen, 
daß das Saargebiet auch bei einer völligen Eingliederung in das franzöſiſche Wirt— 
ſchafts- und Währungsgebiet auf die Dauer für die franzöſiſche Ware höbere Preiſe 
zu zahlen haben wird als der innerfranzöſiſche Bezieher. Dies ergäbe ſich einmal 
aus der erheblichen Entfernung des im franzöſiſchen Wirtſchaftsgebiet völlig dezentral 
liegenden Saarbeckens. Bisher bezog der hieſige Handel ſeine Ware im Durchſchnitt 
aus der Rheingegend und aus Süddeutſchland, alſo auf einer Frachtentfernung von 
200 bis 250 km. Bei dem Einkauf auf dem franzöſiſchen Markt iſt dagegen, da 
Paris beſonders für den Landesfremden den Mittelpunkt des Wareneinkaufs bildet, 
mit einer zuſätzlichen Frachtſtrecke von weiteren 130 bis 180 km zu rechnen. Der 


Eiſen⸗, Werkzeug. und Maſchinenhandel ſowie die Möbel- und Bauſtoffbranche ſehen 


hierin eine ſchwere Sonderbelaſtung. Verwieſen wird weiter darauf, daß der fran— 
zöͤſiſche Lieferant bei Lieferungen nach dem Saargebiet mit einer höheren Riſikoprämie 
rechnen wird, in ähnlicher Weiſe wie jeder Kaufmann bei Lieferungen ins Ausland 
ſeine Unkenntnis des dortigen Wirtſchaftslebens als Gefahrsmoment einkalkulieren 
muß. Eine Auskunft über die Kreditfähigkeit des ſaarländiſchen Beziehers ſtößt für 
den franzöſiſchen Lieferanten auf Schwierigteiten. Vereinbarungen über Kreditge— 
währung, Skontoabzüge, Lieferfriſten und ſonſtige Vertragsbedingungen, die die uns 


a 


angeſchloſſenen Verbände mit deutſchen Organiſationen in großem Umfang abge⸗ } % 


ſchloſſen haben, fehlen nach der weltlichen Seite heute noch völlig. Dazu ergibt die 
Verſchiedenheit des beiderſeitigen Rechtslebens ein weiteres Moment der Unſicherheit 
und Gefahr für den franzöſiſchen Lieferanten wie umgekehrt für den ſaarländiſchen 
Bezieher. 
Es wird ſich daher, ſo lautet die Antwort, der Verkaufspreis franzöſiſcher Ware 
im Saargebiet durchweg über den bisherigen Markpreiſen, wegen der Frachtentfernung 
und der mangelnden wirtſchaftlichen Fühlung auch über den innerfranzöſiſchen Preiſen 
halten. ö 

Läßt ſich der bisherige Markeinkauf weder ausſchalten noch in nennenswertem 
Maße verhindern, ſo bedarf es der Feſtſtellung, ob dieſer Warenbezug, der techniſch 
zugleich mit einem Verkauf in Mark verknüpft iſt, durch eine Erweiterung des 
Frankumlaufs auf anderen Wirtſchaftsgebieten nicht geſchädigt wird. In Frage 
kommen hierfür die Frankentlohnung der geſamten Induſtriearbeiterſchaft, der kauf⸗ 
männiſchen Angeſtellten, ſowie die Frankverrechnung der ſtaatlichen und kommunalen 
Abgaben und Gebühren. 


Können kaufmänniſche Angeſtellte weiter in Mark entlohnt werden, 
wenn die geſamte Induſtriearbeiterſchaft in Frank bezahlt wird? 


Von 73 Firmen wird die Frage bejaht, von 523 verneint. Z veifellos hat das 
Intereſſe der Arbeiter wie der Angeſtellten an einem Franklohn nachgelaſſen ſeitdem 
die Ausſichten einer günſtigen Deviſenſpekulation ſich verringert haben. Solange die 
in Frank gezahlten Löhne auch nur eine Umrechnung der bisherigen Markſätze be⸗ 
deuten, wird, von weiteren Lohnerhöhungen abgeſehen, die Markzahlung an kauf⸗ 
männiſche Angeſtellte aufrechterhalten werden können. Es iſt jedoch zu erwarten, 
daß die organiſierte Arbeiterſchaft in Zukunft innerfranzöſiſche Löhne zum mindeſten 
verlangen wird. Setzt ſich dieſer Anſpruch auch nur teilweiſe durch, ſo müßte als 
Ausgleich den Angeſtellten ein Gehalt bewilligt werden, das weit über den heutigen 
Sätzen läge. Auch der kaufmänniſche Großbetrieb rechnet nach ſeinen Friedens⸗ 
erfahrungen mit 10 v. H. als der Höchſtgrenze des Speſenſatzes für Löhne und 
Gehälter im Vergleich zum Umſatz. Dieſe obere Grenze des Erträglichen iſt jetzt 
bereits im Durchechnitt erreicht. Ein weiteres Emporſchnellen bedeutet den Beginn 
größerer Angeſtelltenentlaſſungen. 


Kann der kaufmänniſche Angeſtellte in Frank entlohnt, die Ware aber 
in Mark verkauft werden? 


577 Firmen halten eine ſolche Löſung für unmöglich, 39 ſind anderer Auffaſſung. 
Die Ablehnung wird einmal damit begründet, daß ähnlich wie gegenwärtig bei ein zelnen 
Hütten für jeden Zahltag Franken bei der Bank gekauft werden müßten. Vor allem 
aber ergeben ſich der Praxis der Buchführung erhebliche Schwierigkeiten, da eine 
ſolche lediglich auf eine Währung aufgebaut ſein kann, alle übrigen Geldmittel da⸗ 
gegen als Ware gehandelt werden müſſen. Letzten Endes bedeutet alſo eine ſolche 
Frankenentlohnung, daß ſie buchmäßig doch in Form von Markunkoſten aufgeführt 
werden muß. f 


Iſt der Markverkauf deutſcher Ware durchführbar, wenn die geſamten 
ſaarländiſchen Frachten, Gebühren und Steuern in Franken erhoben 
werden? 


Von 92 Firmen wird dies bejaht, von 527 verneint. Sobald die öffentlichen 
Verkehrsanſtalten und die Landes- und Kommunalverwaltungen ihr Perſonal in 
Franken entlohnen, müſſen — dies entſpricht ja auch den Außerungen von Ver⸗ 
tretern der Regierungskommiſſion der Preſſe gegenüber — automatiſch alle Ein⸗ 
nahmen, d. h. die geſamten Frachten und Gebühren, vor allem aber die Steuern, 


5 
. 


— Tue 


auf Franken umgeſtellt werden. Daß dies ein ungeheures Anſchwellen der bisherigen 
Mark⸗Warenſpeſen bedeutet, iſt die einhellige Auffaſſung aller Befragten. Der größte 
Teil iſt aber weiter der Anſicht, daß unter dieſen Umſtänden der Verkauf auch der 
aus Deutſchland bezogenen Waren in Mark ſich nicht mehr durchführen läßt. Viel— 


mehr würde das bisherige Hauptzahlungsmittel automatiſch durch den Franken aus 


dem faarlindifchen Verkehr verdrängt werden. 


Läßt ſich bei einer Erweiterung des Frankenumlaufs die Umſtellung des geſamten 
Warenverkaufs nicht vermeiden, ſo erhebt ſich die grundlegende Frage, ob der 
teils völlig, teils in überwiegendem Maße lebensnotwendige Warenbezug 
aus Deutſchland hierdurch beeinflußt wird. 


Nahezu einſtimmig — 607 Stimmen gegen 35 Stimmen — wird mit allem 
Nachdruck darauf verwieſen, daß der deutſche Inlandspreis aus der Saarbelieferung 
damit verſchwindet. Beſonders diejenigen führenden Geſchäftsleute, die für ihre 
Branche durch Verhandlungen mit den deutſchen Fabrikantenverbänden die bisherige 
5 Belieferung durchgeſetzt haben, erklären, daß damit ſowohl der Auslands— 
mindeſtpreis der Außenhandelsſtellen wie auch die Valutaabgabe und die etwa zu er— 


hebende Exportſteuer der Weſtmächte vom ſaarländiſchen Handel und damit auch vom 


ſaarländiſchen Verbraucher mitbezahlt werden müßten. Eine ſolche Maßnahme konnte 
bisher ſtets nur durch den Hinweis abgewehrt werden, daß die Ware im Saargebiet 
genau ſo wie im deutſchen Inland zu Mark verkauft werden würde. Für einzelne 
Geſchäftszweige, u. a für Eiſenwaren, werden Belege geliefert, wonach Fabrikanten 
ſich für den Fall einer ſolchen Umſtellung auf Frankenverkäuf bereits jetzt eine 
entſprechende Erhöhung der Preiſe vorbehalten. 


Die Wirkung einer ſolchen Maßnahme, welche die deutſche Induſtrie im Inter— 
eſſe ihrer Selbſterhaltung nicht vermeiden könne, wird für die Lebenshaltung im 
Saargebiet wie für die Produktionskoſten der geſamten an der Abſtimmung beteiligten 
Gewerbebetriebe für kataſtrophal angeſehen. Sie ſchneide dem Saargebiet die bis— 
herige billige deutſche Bezugsquelle ab, ohne es innerhalb des franzöſiſchen Wirtſchafts— 
gebiets zu etwas anderm machen zu können als zu einem weſensfremden iſolierten 
Anhängſel. Damit beginne, ſo ſchreibt ein maßgebendes Unternehmen, der Verfall 
des ſaarländiſchen Wirtſchaftslebens nach lothringiſchem Muſter. 


Weiter bedarf es der Feſtſtellung, welche Einwirkung ein erweiterter Franken— 
umlauf auf die Kapitalverhältniſſe der einzelnen Unternehmen wie auch auf die 
Kaufkraft der Kundſchaft vorausſichtlich haben wird. 


Einfluß des Frankenumſatzes auf das bisherige Mark-Betriebskapital. 


Die Folgen werden von 540 Firmen als äußerſt ungünſtig geſchildert. Überall 
dort, wo der Geſtehungspreis einer in Frankreich eingekauften Ware über dem 
deutſchen Marktpreis ſteht — und dies ſoll nach den Angaben auf nahezu allen 
Warengebieten der Fall fein —, wird der Kaufmann vor die Frage geſtellt, ob er 
ſein Betriebskapital vergrößern kann oder nicht. Andernfalls muß ſein Lager auch ganz 
weſentlich kleiner gehalten werden. Weiter müſſen die Erträge aus Reſervekapitalien 
uſw., die in Aktien, Grundbeſitz uſw. angelegt find, einem weiteren Frankenumſatz 
egenüber völlig unzureichend erſcheinen. Dazu hat der Handel in großem Umfange 
ieferverträge abgeſchloſſen, die auf dem bisher einkalkulierten deutſchen Inlandspreis 
beruhen. Fällt dieſe Baſis, ſo iſt die neu entſtehende wirtſchaftliche wie rechtliche 


Unſicherheit unüberſehbar. 


Neben dieſen in den einzelnen Branchen verſchieden gelagerten Geſichtspunkten 
wird allgemein betont, daß praktiſch ein erweiterter Frankenumlauf außer der Aus— 
ſchaltung von Markverkäufen auch zu einem Umtauſch der geſamten flüſſigen Betriebs- 
kapitalien aus Mark in Franken führen müſſe. Wenn man auch, ſo wird betont, 
mit einem nennenswerten Steigen des deutſchen Deviſenſtandes in der nächſten Zeit 


— 


ae EEE TE RE on n 
ro 4 e ine Be 1 
5 W 8 8 F 


. 


nicht rechnen könne, ſo werden ſich doch vorausſichtlich die Unterſchiede zwiſchen den 5 = 


verſchiedenen europäiſchen Valuten, insbeſondere zwifchen Franken und Mark, allmählich 


ausgleichen. Eine Umwechſlung im gegenwärtigen Augenblick bedeutet daher unter 


Umſtänden den Verluſt eines erheblichen Teils des Betriebskapitals. 


Einwirkung des Warenverkaufs in Franken und des Zollabſchluſſes 
gegenüber deutſchen Warenlieferungen auf die ſaarländiſche 
Lebenshaltung. 


Mehr noch als bei den übrigen Fragen wird hier betont, daß nicht ein Urteil, 


ſondern nur eine Vermutung über die vorausſichtliche Entwicklung der Dinge ausge⸗ 


ſprochen werden könne. Der Verluſt deutſcher Lieferungen zu Inlandspreiſen bedeute, 
jo erklärt man, bereits einen erheblichen Teil jenes Zollabſchluſſes, wie er nach dem 
Friedensvertrage ab 1925 vorgeſehen iſt. In beiden Fällen rechnet man, wie die 
bisherigen Antworten ergaben, mit einer erheblichen Preisſteigerung, zum Teil ſogar 
mit Lücken innerhalb der Bedarfsdeckung. Die allgemeine Kaufkraft wird, nach der 
einheitlichen Auffaſſung der befragten Firmen (505 gegen 5), aus zwei Gründen 
nachteilig beeinflußt werden. Bei einer allgemeinen Frankregulierung von Käufen 
und Verkäufen, Löhnen und Steuern ſchwindet zunächſt die erhöhte Kaufkraft, deren 
ſich bisher ſowohl die hieſigen franzöſiſchen Kolonien, wie die Berg- und Metall⸗ 
anbeiterfchaft erfreuten. Die Möglichkeit, mit einem beſtimmten Frankeinkommen in 
Saarbrücken billiger als in Metz und Straßburg zu leben, wird in Zukunft nicht 
mehr vorhanden ſein, zum Teil ſogar in das Gegenteil ſich umwandeln. Damit 


fällt für den ſaarländiſchen Handel gerade derjenige Kunde weg, der bisher den 
hieſigen Warenumſatz über den des übrigen Deutſchland teilweiſe hinausgehoben hat. 


Weiter wird von den mit der Schwerinduſtrie zuſammenarbeitenden Firmen 


erklärt, daß dieſe, wolle ſie nicht auch auf dem innerfranzöſiſchen Markt ihre Kon⸗ 
kurrenzfähigkeit völlig verlieren, keinesfalls die vollen innerfranzöſiſchen Löhne zahlen könne. 
Im Saargebiet ſtände deshalb einer durch die Frachtentfernung verteuerten Ware die unter 
dem franzöſiſchen Durchſchnitt ſtehende Kaufkraft der ſaarländiſchen Bevölkerung gegenüber. 


Nicht unerwähnt bleiben darf, daß bei einer Verminderung des Deviſenumlaufs 
nach der einen wie der anderen Seite hin den zahlreichen ortsanſäſſigen Banken die 


wirtſchaftliche Grundlage zum Teil entzogen wird. 

Endlich weiſt eine Reihe der befragten Firmen darauf hin, daß die nach Mit⸗ 
teilung der Regierungskommiſſion im Saargebiet vorhandenen 30 000 Perſonen, 
welche heute bereits auf völlig unzureichende Renten und ſoziale Unterſtützungen an⸗ 
gewieſen ſind, bei einer Erweiterung des Frankumlaufs nahezu mittellos daſtänden. 
Ihr Kreis würde aber dann noch vermehrt werden durch alle diejenigen Perſonen, 
die ſich bisher durch Zinſen kleiner Kapitalien ſelbſt notdürftig über Waſſer gehalten haben. 

Zu berückſichtigen iſt weiter die Einwirkung eines vermehrten Franken⸗ 
umlaufs auf den über die Saargrenzen hinausgehenden Wagenverkehr. 
Hierzu gehört einmal nahezu die geſamte Tätigkeit des ſaarländiſchen Großhandels. 
Bereits jetzt hat dieſer den größten Teil ſeines ehemals blühenden, von Luxemburg 
bis herunter nach dem Elſaß reichenden Arbeitsfeldes verloren. Geſchäftsniederlaſſungen 
in Lothringen ſind liquidiert, die Lieferverbindungen mit den alten lothringiſchen 
Kunden find durch die zunehmenden Zollerſchwerungen unterbunden. Auch die Lie⸗ 
ferungen nach den angrenzenden deutſchen Landesteilen laſſen ſich infolge der beſtehenden 
Verkehrsſchwierigkeiten u. a. beim Lebensmittelgroßhandel auf direktem Wege nicht 
mehr durchführen. Den Reſt der noch beſtehenden Abſatzmöglichkeit in den an⸗ 
grenzenden deutſchen Landſchaften gilt es daher unter allen Umſtänden zu erhalten. 
In gleicher Lage iſt aber auch der in den Grenzſtädten des Saargebietes ortsanſäſſige 
Kleinhandel. Auf Grund jahrzehntelanger Geſchäftsbeziehungen ſind Orte wie Mettlach, 
Merzig, Lebach, St. Wendel, Ottweiler, Neunkirchen und Homburg faſt völlig auf die 
Wirtſchaftsverbindung, insbeſondere auf den Warenabſatz nach dem Hochwald, dem 
Fürſtentum Birkenfeld und der Pfalz angewieſen. 428 an dem Großhandel oder an 


ER ae — 
E 5 1 


S Eee Na ro Der 


dem kleinen Grenzverkehr mittelbar und unmittelbar beteiligte Firmen erklären, daß 
„ ein erweiterter Frankumlauf im Saargebiet ihren Abſatz in den reichsdeutſchen Nach— 


barländern völlig unterbinden müſſe. Wie der ſaarländiſche Käufer nur bei einem 


N ganz beſonders günſtigen Valutaſtande ein Intereſſe habe, in Lothringen einzukaufen, 


EL würde der Pfälzer und Hochwäldler nicht daran denken, in einer fremden Währung 
Ware einzukaufen, die in Deutſchland dann billiger zu haben ſein wird. 

Auch die Möglichkeit, an Stelle des verlorengehenden reichsdeutſchen Abſatzgebietes 

an Teile der alten lothringiſchen Kundſchaft wieder zu erhalten, wird von 


dem Großhandel wie von dem mitbeteiligten Einzelhandel, wie das Ergebnis der Ab— 
ſtimmung — 478 gegen 21 — zeigt, für äußerſt gering gehalten. Die wiederholten 


Außerungen in dem franzöſiſchen Parlament hätten gezeigt, daß man die ſaarländiſch— 
lothringiſche Grenzſperre eher verſtärken als abbauen wolle. 
Wir geſtatten uns, die Auffaſſung von 694 ſaarländiſchen Handeslsfirmen über 
die Wirkung eines erweiterten Frankumlaufs im Saargebiet zuſammenzufaſſen: 
1. Das Saargebiet verliert, in ähnlicher Weiſe wie durch einen Zollabſchluß 
den Bezug billiger, zum Teil unerſetzbarer deutſcher Ware, 
2. die Koſten der ſaarländiſchen Lebenshaltung müſſen ſich erhöhen unter gleich— 
zeitiger Schmälerung der allgemeinen Kaufkraft, 
3. der ſaarländiſche Handel wird durch erhebliche Verminderungen ſeines 
Umſatzes zuſammen mit Verluſten an Betriebskapital aufs ſchwerſte gefährdet, 
4. eine Neubelebung des ſaarländiſchen Wirtſchaftslebens iſt nur denkbar, wenn 
die angrenzenden Warenmärkte im freien Spiel der Kräfte die allgemeine 
Preisbaſis ſenken. Dazu iſt erforderlich: Wirtſchaftsfreiheit und 
Verkehrsfreiheit nach beiden Seiten. 


Hochachtungsvoll 
Schutzverein für Handel und Gewerbe. 
Der Syndikus: 
(Unterſchrift.) 


b. Gutachten des Arbeitgeberverbandes der Saarinduſtrie. 
Saarbrücken, den 15. Februar 1921. 


Die Wirkungen eines erweiterten Umlaufs des Franken im Saargebiet ſind in 
erſter Linie und hauptſächlich wirtſchaftlicher Art. 

Die Behandlung dieſer Frage iſt daher vornehmlich Aufgabe einerſeits derjenigen 
Korporationen und Verbände, die ſich mit wirtſchaftlichen Fragen befaſſen, anderer— 
jeit8 derjenigen Kreiſe, die von den Wirkungen des erweiterten Frankenumlaufs un— 
mittelbar betroffen werden. 

Demgegenüber kann ſich der unterzeichnete Verband, deſſen Hauptaufgaben auf 

ſozialpolitiſchem Gebiet liegen, darauf beſchränken, ſich über die Wirkungen auf dieſem 


Gebiet zu äußern; dabei können aber die Wirkungen, ſoweit ſie die ſoziale Verſiche— 


rung, namentlich die Krankenverſicherung betreffen, unerörtert bleiben, da in dieſer 
Beziehung der Verband zur Wahrung der Intereſſen der Betriebskrankenkaſſen im 
Saargebiet ein eingehendes Gutachten bereits erſtattet hat, jo daß nur noch die Wir- 
kungen des erweiterten Frankenumlaufs auf Gehälter und Löhne einerſeits und auf 
den Arbeitsmarkt andererſeits zu prüfen ſind. 

Die Erfahrungen des zweiten Halbjahres 1920 bei der Einführung der Franken⸗ 
löhnung im Bergbau und in der Hütteninduſtrie haben bewieſen, daß dieſe Maß— 
nahme nur möglich war unter einer gleichzeitigen erheblichen Steigerung der Gehälter 
und Löhne. Die ſeit Mitte 1920 eingetretene Verſchlechterung der deutſchen Mark 
hat dieſe Steigerung zunächſt im Bergbau ſo erheblich werden laſſen, daß die Kauf⸗ 
kraft der Bergarbeiterbevölkerung in unerwarteter Weiſe zunahm. So ſehr man 
es begrüßen kann, haß die Bergleute hierdurch in die Lage verſetzt waren, ihre wirt— 
ſchaftlichen Verhältniſſe weſentlich zu verbeſſern, ſo müſſen die Folgeerſcheinungen 

beklagt werden, die im übrigen zutage traten. 


LT 


Einerſeits nahmen die Bergleute infolge ihrer erhöhten Kaufkraft einen wefent- 


lich größeren Teil der ſehr knappen Lebensmitteldecke — ſoweit Landesprodukte in 


Frage kommen — in Anſpruch, ſo daß die Induſtriearbeiterſchaft ſich zu erheblichen 
Lohnforderungen gezwungen ſah, deren teilweiſer Befriedigung die Induſtrie nach Lage 
der Dinge ſich nicht entziehen konnte, andererſeits legte die Steigerung der Kohlen⸗ 


preiſe der Induſtrie neue erhebliche Laſten auf, die bei ſinkenden Preiſen für ihre 


Produkte für fie unerträglich wurden, um ſo mehr, als die Kohlenpreiſe in Franken 
zu entrichten waren, alſo in einer Währung, die ſich gegenüber der Mark ſeit Mitte 
1920 weſentlich gefeſtigt hatte. | 

Ein weiterer Umlauf des Franken kann dieſe Erſcheinungen nur verſtärken. 
Wir können uns darauf beziehen, daß nach allen Gutachten, die uns bis heute be- 
kannt geworden ſind, eine weſentliche Verteuerung der Geſamtlebenshaltung zu er⸗ 
warten iſt, ſo daß der ſo dringend notwendige Abbau der Löhne ernſte Hemmniſſe 
erfährt, die wiederum ihre Wirkung auf die Geſtaltung der Kohlenpreiſe und damit 
auf die Grundlagen der ſaarländiſchen Wirtſchaft nicht verfehlen können. Die heute 


ſchon notwendigen Betriebseinſchränkungen, die zu Feierſchichten und hier und da 


auch zu Entlaſſungen Anlaß geben, werden dann mehr und mehr zur gebieteriſchen 
Notwendigkeit. g 
Das leitet von ſelbſt über zur Betrachtung der Wirkung auf dem Arbeitsmarkt. 
Der Arbeitsmarkt iſt ſchon heute außerordentlich flau. Wenn die Zahl der 
Arbeitsloſen heute noch nicht größer iſt, ſo läßt das nicht den Schluß zu, daß die 
noch Arbeitenden auch nur annähernd voll beſchäftigt find; vielmehr iſt ſich die 


Induſtrie ihrer Verantwortung bewußt und tut alles irgend möglich Erſcheinende, 


um der Mehrzahl ihrer Arbeiterſchaft Brot und Verdienſt zu geben. Bei weiteren 


Belaſtungen, wie fie der erweiterte Frankenumlauf, ſei es abſolut, ſei es relativ, mit 


ſich bringen wird, iſt die Induſtrie hierzu außerſtande; Entlaſſungen in größerem 
Umfange ſind dann unvermeidlich, wobei die Mehrzahl dieſer Arbeiter der öffentlichen 


Erwerbsloſenfürſorge zur Laſt fällt. Abgeſehen von den ſchwerwiegenden finanziellen 


Folgen für die Gemeinden ſowohl wie für das geſamte Saargebiet, iſt es in mehr 
als einer Beziehung außerordentlich bedenklich, die Zahl der Erwerbsloſen zu ver⸗ 
mehren. Selbſt wenn es gelänge, die Erwerbsloſenunterſtützung ſo zu geſtalten, daß 
die Erhaltung der nackten Exiſtenz einigermaßen geſichert erſcheint, hat die reine Tat⸗ 
ſache, daß ein Teil der Bevölkerung ohne Arbeit iſt, die Folge, daß dieſer Teil die 
Arbeit bis zu einem gewiſſen Grad verlernt. Was das volkswirtſchaftlich bedeutet, 
brauchen wir nicht beſonders hervorzuheben. Noch bedenklicher erſcheint aber die Folge, 
daß Arbeitsloſe radikalen Einflüſſen in erheblichem Maße zugänglich ſind, ſomit nicht 
nur eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit durch Zunahme der Eigentums⸗ 


und ſonſtigen Delikte und durch die Neigung zu Putſchen und Aufſtänden Hand in 


Hand geht, ſondern auch die Beeinträchtigung der Arbeitsfreudigkeit und Arbeits⸗ 


fähigkeit der noch arbeitenden Bevölkerung. Dieſe Befürchtungen nehmen natürlich 


in dem Maße zu, als es nicht gelingt, der Erwerbsloſenunterſtützung ein Ausmaß 
zu geben, daß der reine Lebensunterhalt damit gedeckt werden kann. Und das er⸗ 
ſcheint uns bei der Finanzlage des Saargebiets und der Gemeinden von vornherein 
ausgeſchloſſen. 

Eine derartig einſchneidende Maßnahme, wie ſie die Erweiterung des Umlaufes 
eines Zahlungsmittels bedeutet, das, wie der Franken, dem Wirtſchaftskörper bisher fremd 


war, iſt ſchon in Zeiten normaler Wirtſchaftslage von ernſten Folgen begleitet; bei 


nicht normaler, namentlich ſinkender Wirtſchaftslage muß aber eine ſolche Maßnahme 
die Vernichtung ſelbſt ſolcher wirtſchaftlicher Exiſtenzen mit ſich bringen, die als durch— 
aus ſicher gelten konnten; wie vielmehr nicht derjenigen, die, wie die werktätige Be— 
völkerung, im weſentlichen von ihrer Hände oder ihres Kopfes Arbeit leben. 
Arbeitgeberverband der Saarinduſtrie e. V. 
Die Geſchäftsführung 
(òUnterſchrift.) 


e. Gutachten der eiſenſchaffenden Induſtrien des Saargebiets. 


Saarbrücken, den 14. Februar 1921. 


Die unterzeichneten Werke geſtatten ſich, das auch in der Preſſe veröffentlichte 
RNundſchreiben der verehrlichen Regierungskommiſſion vom 17. Januar, das die Folgen 
eeines etwaigen erweiterten Umlaufes des Franken behandelt, gemeinſam wie folgt 
zu beantworten: | 
A Zunächſt iſt als leitender Geſichtspunkt feſtzuhalten, daß die Lebens- und Wett— 
bewerbsfähigkeit der Saarinduſtrie ihre ſtärkſten Wurzeln in der Saarkohle hat. 
Der preußiſche Fiskus hat dieſer Tatſache auch bei feiner ganzen Preispolitik Rechnung 
getragen, da er ſich darüber klar war, daß die Saarhütten in dem Augenblick ihrer 
eigentlichen Daſeinsbedingungen beraubt ſind, in dem ihnen die weſentlichſte 
Lebensader, die Saarkohle zu billigen Preiſen und in angemeſſenen Mengen zu 
erhalten, abgeſchnitten wird. Vor dem Kriege hatte die Saareiſeninduſtrie ihr maß— 
gebendes Abſatzgebiet in Mitteldentſchland und Süddeutſchland, ſowie in Italien und 
der Schweiz. Das überſeeiſche Geſchäft wurde zwar auch gepflegt, ſpielte aber an 
ſich keine beſonders hervorſtechende Rolle, da die langen Frachtwege, die bis zu den 
phauptſächlichſten Verſchiffungshäfen zurückzulegen waren, für die Saarinduſtrie — 
trotz teilweiſe günſtiger Ausnahmetarife, wie beiſpielsweiſe auf den belgiſchen Bahnen — 
an ſich doch nachteilig waren. Nach eingetretenem Waffenſtillſtand ermöglichte es die 
beſondere Lage des Saargebiets, den auf der ganzen Welt feſtzuſtellenden Eiſenhunger 
vom Saargebiet aus zu befriedigen. Dieſe Entwicklung war für die Saarhütten 
inſofern günſtig, als ſie für den Verkauf ihrer Erzeugniſſe nach dem Ausland vielfach 
gute Deviſen einzutauſchen vermochten. Das deutſche Geſchäft wurde eigentlich nur 
noch zum Zweck der Erhaltung der langjährigen Kundſchaft in beſcheidenem Umfang 
und zur Erlangung von Rohſtofflieferungen zu deutſchen Inlandpreiſen gepflegt. Tat— 
ſächlich hatten ſich auch die bisherigen Handelsgrundlagen für die Saarinduſtrie durch 
die faſt kaufkraftlos gewordene Mark — der Franken ſtand zeitweilig auf 7 bis 8 Mark 

— völlig verſchoben. Trotz beſchränkter Produktionsmöglichkeiten vermochten die 

Saarhütten aus den Valutaſchwankungen inſofern Vorteile zu ziehen, als fie aus 

umfangreichen Bedarfsliſten aus allen Ländern jeweils paſſende Beſtellungen 

nach Belieben auszuf chen vermochten, denn die Auslandsmärkte nehmen alles Eiſen 
auch mit recht hohen Valutaaufſchlägen gierig auf. Erleichtert wurden der 

Saarinduſtrie gewinnbringende Geſchäfte noch durch den Umſtand, daß die rheiniſch— 

weſtfäliſche Eiſen⸗ und Stahlinduſtrie zunächſt als ernſthafter Wettbewerber auf den 

Auslandsmärkten nicht in Frage kam, da einmal die wilden Zuckungen, die nach der 

Revolution den deutſchen Wirtſchaftskörper durchtobten, dann aber auch die Feſſeln 

der Zwangswirtſchaft die Unternehmungsluſt der deutſchen Eiſenhütten bis zu einem 

gewiſſen Grade lahmlegten. Erſt im Sommer 1920 wurden vom Reichskommiſſar 
für die Eiſenwirtſchaft die Prozentſätze der deutſchen Ausfuhr wie folgt erhöht: 
bei Halbzeug = 15 v. H., Formeiſen = 25 v. H., Stabeiſen = 30 v. H., Univerfal- 
eiſen = 10 v. H., Bandeiſen = 35 v. H., Grobbleche = 25 v. H. und bei Walz 

draht = 35 v. H. 

Der im Februar 1920 auf 7 bis 8 Mark geſtiegene Frankenwert begann im 

März April eine Senkung auf 5 Mark und hielt ſich bis zum Herbſt auf etwa 3 Mark, 

um dann wieder auf 4 bis 5 Mark zu ſteigen. Die Valuta in den übrigen Ländern 
verſchob ſich in ähnlicher Weiſe. Die hierdurch bedingte Schmälerung des Export— 
erlöfes verwirrte die Handelsbaſis für die Saarhütten von neuem. Eine nochmalige 

Umwälzung und Verſchiebung in den Abſatzgebieten war die unausbleibliche Folge 

dieſer Entwicklung. 

Der am 1. April 1920 durch geſetzliche Maßnahme gegründete Deutſche Eiſen— 
wirtſchaftsbund (Selbſtverwaltungskörper) begann ſeine Tätigkeit mit einer Erhöhung 
des Stabeiſenpreiſes auf 3 650 Mark pro Tonne. Trotz des anſchließenden Preis— 
abbaues auf 3 200 Mark am 1. Juni, 2840 Mark am 1. Auguſt und 2 440 Mark 


ER CB nere v a en 


Se TER 


am 1. November 1920 blieb aber immer noch ein Überangebot an Eiſen zu erkennen. 


— 
24 


Dieſes Überangebot machte fid) aber nicht nur auf dem deutſchen Markt bemerkbar; 
es übertrug ſich von der Mitte des Jahres 1920 ab allmählich auch auf die Auslands 
märkte. Während die franzöſiſche, die belgiſche und die luxemburgiſche Eiſeninduſtrie 


ſowohl im Jahre 1919 wie auch noch zum Teil im Jahre 1920 einmal unter den 


Nachwirkungen der Zerſtörungen des Krieges, ſodann aber auch unter den Zeichen 


der ſich ſchärfſtens bemerkbar machenden Kohlennot ſtand, änderte ſich dieſe Sachlage 


von Mitte 1920 an, und es machte ſich für die Saareiſeninduſtrie überall der Wett 


bewerb des belgiſchen, luxemburgiſchen und franzöſiſchen Eiſens bemerkbar. Erſchwerend 
und nachteilig beeinflußt wurde die Wettbewerbsfähigkeit der Saarhütten aber auch 
dadurch, daß die Bergverwaltung vom 1. Auguſt 1920 ab ihre Kohlen in franzöſiſcher 
Währung bezahlt erhielt. Der ſchlechte Stand der Mark hatte in den vorangegangenen 
Monaten die Saareiſeninduſtrie um deswillen in ihrer wirtſchaftlichen Betätigung 
nicht ungünſtig beeinflußt, als ja die Kohlenpreiſe ebenfalls in Mark bezahlt werden 
konnten. Während ſchon die Notwendigkeit, die Kohlen in Franken bezahlen zu müſſen, 
die Wettbewerbsmöglichkeiten der Saarhütten einſchränkte, bedeutete naturgemäß die 
mit Wirkung vom 1. Dezember 1920 beſchloſſene Löhnung der geſamten Angeſtellten 
und Arbeiter in Franken eine weitere Verſchiebung in den bisherigen Abſatzverhältniſſen 


zuungunſten der Saarinduſtrie. Der ſtarke Frankenbedarf der Saarhütten, von 


denen jede monatlich etwa 10 bis 15 Millionen Franken für Kohlen und Lohne bereit⸗ 
zuſtellen hat, fiel zeitlich faſt zuſammen mit der ſich in zunehmendem Maße bemerkbar 
machenden Verdrängung vom Auslandsmarkt. Es zeigte ſich alſo, daß die Saarhütten 
dieſe Franken nicht mehr auf Grund ihrer durch Auslandsgeſchäfte verfügbar ge— 


machten Deviſen zu beſchaffen vermochten, vielmehr mußten ſie ihren Frankenbedarf 


mit der deutſchen Mark — dem hauptſächlichſten Gegenwert ihrer Erzeugung — 
kaufen. Heute iſt die Lage für die Saarhütten in der Tat ſo, daß ſie einen 
ſehr erheblichen Teil ihrer Erzeugung wiederum in ihr früheres mittel- und ſüd⸗ 


deutſches Abſatzgebiet werfen müſſen. In dieſen Gebieten aber iſt die Saar⸗ 
induſtrie dem überlegenen Wettbewerb der rheiniſch-weſtfaliſchen Eiſeninduſtrie, die 
ſowohl ihre Kohlen wie auch ihre Löhne in der deutſchen Mark bezahlt, ausgeſetzt. 


Begünſtigt durch vorteilhafte Waſſerverfrachtung mit eigenen Schiffen, hatten in der 
Zwiſchenzeit die rheiniſch-weſtfäliſchen Hüttenkonzerne, wie Thyſſen, Gutehoffnungs⸗ 
hütte, Rheinſtahl, Union uſw., ihre füddeutfchen Lager zum Ausgleich für den durch 
die Beſſerung der Mark erſchwerten Export aufgefüllt und eroberten nunmehr den 
durch vermehrtes Überangebot auch aus dem Saargebiet geſättigten mittel- und ſüd⸗ 
deutſchen Markt durch die ihnen im Vergleich zur Saarinduſtrie ohne Schwierigkeiten 
möglichen Preiszugeſtändniſſe nahezu vollſtändig. Im November zwang die verminderte 
Aufnahmefähigkeit des deutſchen Marktes bereits zur Aufhebung der ſozialen Ausfuhr⸗ 
abgabe, um für die deutſche Eifen- und Stahlinduſtrie wenigſtens einen gewiſſen 
Abfluß nach dem Ausland zu ſchaffen. Heute ſtellen ſich für die deutſche Eiſeninduſtrie 
die Aus fuhrpreiſe ſchon vielfach fo, daß fie unter dem inländiſchen Preis- 
ſtand bleiben. Es zeigt ſich alſo mit klarer Deutlichkeit die große Gefahr, daß der 
Saareiſeninduſtrie ihre angeſtammten Abſatzgebiete in Mittel- und Süddeutſchland 
endgültig verlorengehen müſſen, wenn ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht durch be— 
ſondere Maßnahmen eine Stütze erfährt. Wie ernſt die Lage iſt, geht aus 
den von den Saarhütten vorliegenden Klagen hervor, daß der deutſche Wettbewerber 
durchweg infolge der billigeren und beſſeren deutſchen Kohle und der niedrigeren 
Löhne unter vorteilhafteren Bedingungen als die ſaarländiſche eiſenſchaffende Induſtrie 
zu erzeugen vermag. Die Höchſtpreiſe des Eiſenwirtſchaftsbundes ſtehen lediglich auf 


dem Papier, Angebot und Nachfrage beſtimmen unbekümmert um den Eiſen⸗ 


wirtſchaftsbund den Preis. In recht empfindlicher Weiſe machen ſich die niedrigeren 
deutſchen Geſtehungskoſten ſchon heute für eine Reihe von Erzeugniſſen geltend, 
indem im Reiche dieſe Artikel zur Zeit zu einem Preis angeboten werden, bei 
welchem die ſaarländiſche Induſtrie ihre Rechnung ſchlechterdings nicht mehr zu 
finden vermag. Anderſeits wird einigen Saarhütten bereits auch in Luxemburger 


9 
WAR, 


ZIERT 
vn 


3 


e ene 


N 


Pr x zießerei⸗Roheiſen auf dem deutſchen Markt durch die Lothringer und Luxem— 
burger Hochofenwerke ſeit kurzem ein geradezu unerträglicher Wettbewerb bereitet. 


dieſe Werke, welche zumeiſt eigene Erzgruben beſitzen und infolgedeſſen auf die hoch— 
. e Erze des franzöſiſchen Erz-Syndikates nicht angewieſen ſind, können, zumal 
iR ihr okspreis ſich jetzt niedriger als der unſrige ſtellt, gegenwärtig unter 


x 
* 
** 


de 


vorteilhafteren Bedingungen als wir ihr Roheiſen erblaſen. Der Abſatz hierin im 
Ausland iſt aber äußerſt ſchlecht, ſo daß uns ſchon ſeit einigen Wochen in Luxem⸗ 


burger Gießerei⸗Roheiſen eine außerordentlich heftige Konkurrenz in Deutſchland er— 
wachſen iſt, was einen beträchtlichen Preisrückgang zur Folge gehabt hat. 


Dieſe Entwicklung wiederum verſchafft den deutſchen Gießereien Vorteile und ſetzt fie 


in die Lage, beiſpielsweiſe die mitunterzeichnete Halbergerhütte in den allermeiſten 


Fällen noch mehr als bisher zu unterbieten. 


Zuſammenfaſſend vermögen wir auf Grund unſeres Einblickes in 
die Lage des Eiſenmarktes vor allem feſtzuſtellen, daß die unleugbar 
großen Schwierigkeiten für die Eifen- und Stahlwerke im Saargebiet 

nicht ſo ſehr auf die im Saargebiet zur Zeit nebeneinander herlaufen— 

den 2 Währungen zurückzuführen find, fie erklären fich vielmehr immer 
wieder durch die Tatſache, daß ſich die Selbſtkoſten auf der höheren 
Währung des Franken aufbauen, während die Verkaufserlöſe zum 
großen Teil in der niedrigeren Markwährung eingehen. Ein gewiſſer 
Ausgleich könnte wohl nur dadurch geſchaffen werden, daß das ſaar— 
ländiſche Eiſen in zunehmendem Maße nach Frankreich abgeſetzt wird. 
Die letzten Monate erweiſen aber zwingend, daß der Abſatz nach Frankreich für die 
Saarwerke durch die ſtark in Betrieb gekommene Lothringer Induſtrie überaus er— 
ſchwert wird. Mit dieſem Zuſtand wird aber auch in Zukunft unter allen Um- 


ſtänden zu rechnen ſein, da Frankreich jetzt über weit mehr Eiſen verfügt, als es 


ſelbſt verarbeiten kann. Für die Saarwerke bleibt daher um ſo weniger Raum für 
Abſatzmöglichkeiten, als ſie — abgeſehen von ihren ſonſtigen Schwierigkeiten — für 
Frankreich frachtlich auch weit ungünſtiger liegen als die Lothringer Werke. 

Im britiſchen Roheiſenexport herrſcht jetzt ebenfalls vollſtändige Ruhe. Die 


u Exportpreiſe zeigten im Jahre 1920 folgende Entwicklung: 


r 


1. Januar 31. Dezember 
sh pro engl. Tonne 


Nr. 1 G. M. B. M'bro Gießerei Middlesbr. ... 193,0 242,6 
» 3 8 » » » 185,0 230,0 
* 1, 2, 3 3 » Hämatit » 230,0 260,0 
» 1 Sondermarken Schott. Gießereiroheiſen 227,6 302,6 
1 gewöhnliche Marken Gießereiroheiſen .. 222,6 300,0 
» 3 Sondermarken Gießereiroheiſen .. ..... 222,6 295,0 
» 3 gewöhnliche Marken Gießereiroheiſen .. 220,0 290,0 


Die erſten drei Sorten verſtehen ſich fob Middlesbro', Flußgebühr extra. Die 
übrigen frei Längsſeite Schiff Glasgow, Leith oder Grangemouth. 
| Das luxemburgiſche Roheiſen iſt in den letzten Wochen von 450 Franken auf 
380 Franken gefallen und ſtellt ſich unter Zugrundelegung des Wechſelkurſes in der 
erſten Januarwoche ungefähr auf den gleichen Preis wie das deutſche, das jetzt 
1 600 Mark pro Tonne ab Hütte koſtet. Tatſächlich wird aber dieſer Preis jetzt 
vielfach nicht mehr gehalten, vielmehr iſt bereits das luxemburgiſche Roheiſen in letzter 
Zeit wiederholt zu 300 Franken, zu 290 Franken, vereinzelt ſogar unter 290 Franken 
angeboten worden. Nach allen Anzeichen ſcheinen aber noch weitere Preisrückgänge 
bevorzuſt ehen. 
Es iſt gewiß zuzugeben, daß die gekennzeichnete Lage in dem Augenblick wieder 
eine Verſchiebung zugunſten der Saarhütten erfährt, in dem ſich die deutſche Mark 
beſſert. Bei welchem Valutaſtand der Mark ſich die Ausſichten der Saareiſeninduſtrie 


— 


„ een, * 
Ex 1 e 
* Fra . = Fe 5 
\ j N 2 ET 


für die Eroberung des mittel- und ſüddeutſchen Abſatzmarktes günſtiger geſtalten, läßt en 
fich aber ſchwer ſagen. Es ſcheint aber, daß die Lage erſt dann als hergeſtellt gelten 


kann, wenn der Frank etwa einem Werte von 2,50 Mark entſpricht. Bei dem heu⸗ 
tigen Valutaſtande (1 Frank = 4,40 Mark) iſt es der Saarinduſtrie für die Dauer 
unmöglich, ſich das deutſche Abſatzgebiet zurückzuerobern oder zu erhalten. Bei einer 
Prüfung unſerer Zukunftsausſichten erſcheint es nur folgerichtig, wenn wir wiederum 
zu dem Ergebnis gelangen, daß ſtarke Zugeſtändniſſe in der Frage des 
Kohlenpreiſes unerläßliche Vorausſetzung für die Erhaltung der Wett- 
bewerbsfähigkeit der ſaarländiſchen Eiſeninduſtrie ſind. Schon beim 
Übergang zur Frankenlohnung haben wir hervorgehoben, daß wir die Frankenlöhnung 


für die Dauer nur dann zu ertragen in der Lage ſeien, wenn die von uns begehrte 


Herabſetzung der Kohlenpreiſe Verwirklichung fände. | 
Wir möchten daher auch der Regierungskommiſſion gegenüber der Bitte Aus⸗ 


druck geben, ſich im Intereſſe der dringend notwendigen Erleichterung der Daſeins⸗ 


bedingungen unſerer ſaarländiſchen Eiſeninduſtrie mit allem Nachdruck für eine weitere 
ftarfe Herabſetzung der Kohlenpreiſe einſetzen zu wollen. Bei unſeren 
bisherigen Darlegungen haben wir die Folgewirkungen noch gar nicht berückſichtigt, 
die einem etwaigen erweiterten Frankenumlauf im Saargebiet entſpringen 
müſſen. Nach unſerer Auffaſſung wird es unvermeidlich ſein, daß ein erweiterter 
Frankenumlauf auf die Beſchaffung von Lebensmitteln ſowohl wie auch gewiſſer 
Roh- und Hilfsſtoffe inſofern ungünſtige Rückwirkungen ausüben muß, als vermutlich 


die bisherige Belieferung des Saargebiets zu deutſchen Inlandpreiſen in Wegfall 


kommen dürfte. Die dadurch unerläßliche Folgewirkung, Steigerung der Preiſe für 


Lebensmittel, Kleidung und Wohnungsmieten, wird auf die Löhne und Gehälter nicht 
ohne Einfluß bleiben können. Es kommt hinzu, daß in Verbindung mit einem er⸗ 
weiterten Frankenumlauf vorausſichtlich auch die Tarife des öffentlichen Verkehrs 


weſentlich in die Höhe gehen werden. Unſere Selbſtkoſten, die uns ſchon heute der 
deutſchen Eiſen⸗ und Stahlinduſtrie gegenüber ins Hintertreffen geraten ließen, erfahren 


alſo noch einmal eine Verſchiebung zu unſeren Ungunſten. 

Die Notwendigkeit einer ſtarken Herabſetzung der Kohlenpreiſe 
wird alſo bei einer Erweiterung des Frankenumlaufs nur um ſo 
dringlicher. a 

Halbergerhütte G. m. b. H. 
(Unterſchriften.) 


Aktien⸗Geſellſchaft der Dillinger Hüttenwerke 
(Unterjchriften.) 
ppa. Röchling'ſche Eifen- und Stahlwerke, G. m. b. H. 
(UUnterſchriften.) 


Société des Acieries et Usines & Tubes de la Sarre 
(Unterfchrift.) 


Neunkircher Eiſenwerk A. G. vorm. Gebrüder Stumm 
(Unterſchriften.) 


d. Gutachten der weiterverarbeitenden Eiſeninduſtrie. 


Die unterzeichneten Firmen, die ſich mit der Weiterverarbeitung von Eiſen und 
Stahl beſchäftigen, geſtatten ſich, der Regierungskommiſſion das mit Rundſchreiben 
vom 17. Januar 1921 geforderte Gutachten über die Wirkung des vermehrten 
Frankenumlaufs im Saargebiet unter dem Geſichtspunkt der eigenen Intereſſen zu 
erſtatten. Die gutachtliche Behandlung der Allgemeinintereſſen dürfte von den wirt⸗ 
ſchaftlichen und ſozialpolitiſchen Verbänden und von den berufenen amtlichen Ver⸗ 
tretungen von Induſtrie und Handel erfolgen. 


* 


Odbberſter Grundſatz muß im Intereſſe unſerer Werke und der Werksangehörigen 
die Aufrechterhaltung der Betriebe durch Sicherung der Erzeugung und des Abſatzes 
ſein. Erzeugung und Abſatz können jedoch nur geſichert ſein, wenn die Wettbewerbs— 
fähigkeit der Induſtrie in jeder Beziehung gefördert wird, die ihrerſeits wieder ab— 
hängig iſt von der Geſtaltung der Selbſtkoſten. 

Die Frage ſtellt ſich für uns alſo ſo: 
Inwieweit wird die Wettbewerbsfähigkeit der Eiſen und Stahl ver— 


arbeitenden Induſtrie im Saargebiet durch die Veränderung der Höhe der 
Selbſtkoſten infolge des vermehrten Frankenumlaufs beeinflußt? 


Ein Blick auf die gegenwärtigen Wettbewerbsmöglichkeiten zeigt uns kein freund— 
liches Bild. Welcher Zweig der Eiſen und Stahl verarbeitenden Induſtrie auch be— 
trachtet werden mag, ob es ſich um den reinen Maſchinenbau handelt oder um die 
Herſtellung von Anlagen zum Transport von Maſſengütern oder um Eiſenhochbau 
oder um Waggonbau oder um Kleineifen- und Stahlerzeugniſſe, wie Beſchlagteile, 
Schrauben, Fittings, Armaturen, Drahtſeile, Drahtgewebe, überall iſt heute eine 
ausgeſprochen kriſenhafte Lage zu beobachten. Dieſe Erſcheinung iſt allgemein in 
der geſamten Weltwirtſchaft. Ein Vergleich mit den Verhältniſſen der für uns 
hauptſächlich in Betracht kommenden Märkte zeigt aber, daß die Verhältniſſe für das 
Saargebiet ganz beſonders beſorgniserregend ſind. Die Wettbewerbsfähigkeit auf 
dem deutſchen Markt iſt infolge der höheren Kohlen- und Strompreiſe, infolge der 
höheren Löhne, durch den Frachtenzuſchlag, durch die frachtlich ungünſtige Lage des 
Saargebiets, durch die Zollkontrolle und die damit verbundenen Formalitäten und 
Koſten ganz außerordentlich eingeſchränkt. Es dürfte ſich erübrigen, zahlenmäßige 
Belege dafür zu geben, da die angeführten Tatſachen allgemein bekannt ſind. Auch 
der Wettbewerb auf dem franzöſiſchen Markt iſt in hohem Maße erſchwert. Einer— 
ſeits leidet die franzöſiſche eifen- und ſtahlverarbeitende Induſtrie ſelbſt unter großen 
Abſatzſchwierigkeiten, anderſeits rn wir häufig dem Wettbewerb der unter 
günftigeren Bedingungen arbeitenden belgifchen und deutſchen Konkurrenz. Dazu 
kommt die große Unſicherheit bezüglich der Frage des für unſere Induſtrie gemäß den 
Friedensbedingungen zollfrei bleibenden Kontingents. Für eine große Anzahl unſerer 
Werke kommt aber der franzöſiſche Markt überhaupt nicht in Frage, nämlich überall 
da, wo die Herſtellung der Fabrikate nach deutſchen Normalien vorgenommen wird, 
die in Frankreich nicht üblich iſt. 


So iſt es völlig ausgeſchloſſen, daß die nach deutſchen Normalien arbeitenden 
ſaarländiſchen Schraubenfabriken nach Frankreich — außer Elſaß Lothringen — 
Schrauben verkaufen können, da in Frankreich das S. O.-Gewinde ausſchließlich üb— 
lich iſt, während die in Deutſchland übliche Schraube nach Witworth-Gewinde ge— 
ſchnitten wird. Auch die nach den deutſchen Normalien hergeſtellten Fabrikate der 
elektrotechniſchen Induſtrie ſind bei franzöſiſchen in der Regel nicht verwendbar; 
Dane! gilt von den Geſenkſchmiedereien, die in großem Maßſtabe Beſchlagteile für 
en deutſchen Waggonbau herſtellen. Die dafür benötigten Stahlmatrizen repräſen— 
tieren einen ganz erheblichen Teil des geſamten Betriebskapitals und ſind für die 
Fabrikation nach anderen Normenvorſchriften unverwendbar. 


Was für uns ganz beſonders bedenklich iſt, iſt die Tatſache, daß ſelbſt im engeren 
Saargebiet die Wettbewerbsfahigkeit unſerer Induſtrie ſtark bedroht erſcheint. Wir 
wollen nur auf die Tatſache hinweiſen, daß die Administration des Mines 
Domaniales de la Sarre vor kurzer Zeit einen großen Auftrag über Förderwagen 
an eine rechtsrheiniſche Firma zu Preiſen vergeben hat, die für die in Konkurrenz 
ſtehenden ſaarländiſchen Firmen außerordentlich verluſtbringend geweſen wären. Auch 
iſt zu beklagen, daß die Verwaltung der Saarbahnen Aufträge über Beſchlagteile 
trotz unweſentlicher Preisunterſchiede an nichtſaarländiſche Firmen vergeben hat. 
Daß auch unſere Werke vielfach nicht in der Lage ſind, wegen der hohen Preiſe 
Walzprodukte der ſaarländiſchen Hüttenwerke zu verwenden und umgekehrt die ſaar— 


19 


8 


ländiſchen Hüttenwerke ihren Bedarf an äußeren Fabrikaten auf dem deutſchen Markte 
decken, verdient in dieſem Zuſammenhang auch erwähnt zu werden. | 

Soweit die gegenwärtige Lage, deren ſkizzenhafte Schilderung zeigt, daß die 
Selbſtkoſten unſerer Werke heute eine Höhe erreicht haben, die auf die Dauer uner⸗ 
träglich iſt. 

Der Einfluß des erweiterten Frankenumlaufs auf die weitere Geſtaltung der 
Selbſtkoſten ergibt ſich nun aus folgenden Erörterungen: 

Es darf als bekannt vorausgeſetzt werden, daß die Eiſen und Stahl weiter 
verarbeitende Induſtrie den weitaus größten Teil der von ihr benötigten Hilfsſtoffe, 
Rohſtoffe und Halbfabrikate zu deutſchen Inlandspreiſen aus Deutſchland bezieht; 
ein anderweitiger Bezug kommt für uns zur Zeit nicht in Frage, da teils die Preiſe 
in anderen Bezugsgebieten erheblich höher ſind, eine Tatſache, die mit dem Valuta— 
problem im Zuſammenhang ſteht, teils die deutſchen Lieferungen durch andere Fabrikate 
nicht erſetzt werden können, da wir auf die Verwendung ſolcher Fabrikate angewieſen 
ſind, die nach deutſchen Normalien hergeſtellt ſind. Wir erinnern an Reſerveteile 
für maſchinelle Anlagen, an eine Reihe von Bearbeitungs- und Maßwerkzeugen und 
auch hier wieder an Beſchlagteile, Schrauben, elektriſche Inſtallationsartikel u. a. m. 

Es muß aber betont werden, daß die deutſchen Außenhandelsſtellen die Be- 
lieferung der Saarinduſtrie zu deutſchen Inlandspreiſen keineswegs freiwillig vor⸗ 
genommen haben, ſondern es hat mühevoller Arbeit und unzähliger eindringlicher 
Verhandlungen bedurft, um die deutſchen Außenhandelsſtellen davon zu überzeugen, 
daß die Belieferung zu Inlandspreiſen für das Saargebiet eine Lebensfrage bedeutet. 
Der Hinweis auf die im Saargebiet vorherrſchende Markwährung hat bei dieſen 
Verhandlungen eine ausſchlaggebende Rolle geſpielt. 1 

Je mehr nun der Franken im Saargebiet die Mark verdrängt und infolgedeſſen 
auch die Induſtrie gezwungen wird, ſich des Franken als Zahlungsmittel zu bedienen, 
um ſo mehr werden die deutſchen Außenhandelsſtellen zum Schutz der eigenen Induſtrie 
und aus währungspolitiſchen Erwägungen heraus ſich gezwungen fühlen, das Saar⸗ 
gebiet in jeder Beziehung als Ausland zu behandeln und damit auch die Vorzugs- 
belieferung zu deutſchen Inlandspreiſen aufzuheben. be 

Das iſt keineswegs eine reine Befürchtung, ſondern unumſtößliche Gewißheit, 
da auch heute ſchon einflußreiche deutſche Induſtrielle unter Hinweis auf die durch 
die Friedensbedingungen geſchaffene vermeintliche Vorzugsſtellung des Saargebiets 
einer Belieferung des Saargebiets zu Auslandspreiſen energiſch das Wort reden. Es 
iſt unzweifelhaft, daß dieſe Beſtrebungen durch den vermehrten Umlauf des Franken 
einen kräftigen Impuls bekommen. Hun 

Damit wäre dann der wichtigſte Faktor für die Selbſtkoſtenbildung in um 
günſtigſter Weiſe beeinflußt. i 

Wenn wir uns nunmehr zu der Entwicklung der Löhne und Gehälter wenden, 
jo heben wir zunächſt hervor, daß ſchon die Einführung der Frankenentlohnung im 
Bergbau ſtark ſteigernd auf die Löhne und Gehälter gewirkt hat. Während noch 
zu Anfang des Sommers 1920 die Löhne und Gehälter gegenüber den benachbarten 
deutſchen Gebieten ſich etwa in gleicher Höhe hielten, ſetzte ſeit September, wo ſich 
die Entlöhnung der Bergarbeiter in Franken zuerſt auszuwirken begann, eine ſtarke 
Lohnbewegung ein. Da unter der Wirkung der Frankenlöhnung die Lebensmittel⸗ 
preiſe, namentlich ſoweit Landesprodukte in Frage kamen, ganz erheblich ſtiegen, ſo 
erreichten auch die Löhne eine Höhe, die das Gleichgewicht mit den Löhnen in den 
benachbarten deutſchen Gebieten zuungunſten unſerer Induſtrie empfindlich ſtörte, 

Die weitere Einführung der Frankenentlöhnung bei den Eiſenhütten, die ohne 
eine gleichzeitige Lohnerhöhung nicht durchf ahrbar war, zwang auch unſere Induſtrie 
zu weiteren ſehr erheblichen Lohnzugeſtändniſſen, obwohl wir uns darüber klar waren, 
daß wir damit über unſere Leiſtungsfähigkeit weit hinausgingen. 303 

Sollte nun der vermehrte Frankenumlauf zur Tatſache werden, ſo iſt abermals 
mit einer weiteren Steigerung der Lebensmittelpreiſe zu rechnen, ſoweit die. Pebens- 


* 


mittel zu deutſchen Inlandspreiſen dem Saargebiet zugeführt werden, was in erſter 
Linie bei den wichtigſten Lebensmitteln, Brotgetreide und Kartoffeln, zutrifft, denn 
bei der außerordentlich kurzen Nahrungsmitteldecke, die der deutſchen Bevölkerung zur 
Verfügung ſteht, wird nicht nur die deutſche Regierung, ſondern auch weite Kreiſe 
der werktätigen Bevölkerung keinen Grund mehr einſehen, warum die Bevölkerung 
des Saargebietes, die beim vermehrten Frankenumlauf in noch größerem Maße als 
bisher ihren Arbeitslohn in Franken bezieht, der Wohltaten der Belieferung mit 
billigen inländiſchen Lebensmitteln auf Koften der deutſchen Bevölkerung teilhaftig 
werden ſoll. 

Es iſt ja noch in friſcher Erinnerung, daß die Eiſenbahner der benachbarten 
deutſchen Gebiete ſich im vergangenen Herbſt geweigert haben, Kartoffeltransporte für 
das Saargebiet durchzuführen, eine Erſcheinung, die ſich in viel ſtärkerem Maße 
wiederholen und auch zu Maßnahmen der deutſchen Regierung in der gleichen Richtung 
führen wird, wenn der überwiegende Teil der Saargebietsbevölkerung Frankenlohn— 
empfänger und damit anſcheinend kaufkräftiger wird. 

Das gleiche gilt von der Belieferung mit Textilwaren, zum mindeſten ſoweit die 
mit Hilfe der produktiven Erwerbsloſenfürſorge verbilligten Textilwaren in Frage 
kommen. | 

Ferner darf nicht achtlos daran vorübergegangen werden, daß der vermehrte 
Frankenumlauf zweifellos eine ſtarke Steigerung der Wohnungsmieten durch Anpaſſung 
an die in Lothringen üblichen Mieten mit ſich bringen wird. Dieſe Folgen aber, 
Verteuerung der Lebensmittel, Kleidung und Wohnungsmieten, treffen in erſter Linie 
die Arbeiter, Angeſtellten und Beamten und werden nach den bisherigen Erfahrungen 
mit aller Beſtimmtheit eine lebhafte Lohnbewegung auslöſen, um den Verſuch der 
Abwälzung auf den Arbeitgeber zu machen. Ob eine derartige Lohnbewegung für 
die Arbeitnehmerſchaft von Erfolg begleitet ſein wird, iſt jedoch mehr als fraglich, 
da ſchon die heutigen Löhne und Gehälter für die weitaus größte Mehrzahl unſerer 
Werke eine auf die Dauer unerträgliche Belaſtung darſtellt. Es muß dann nicht 
nur mit der Notwendigkeit gerechnet werden, in weitgehendem Maße Feierſchichten 
einzulegen, ſondern umfangreiche Arbeiterentlaſſungen werden zur gebieteriſchen Not— 
wendigkeit werden. 

Es iſt danach klar, daß auch durch die Entwicklung der Löhne und Gehälter die 
Selbſtloſten in der ungünſtigſten Weiſe beeinflußt werden und die Wettbewerbsfähigkeit 
der weiterverarbeitenden Eiſeninduſtrie im Saargebiet, die ſchon heute durch die hohen 
Kohlen- und Strompreiſe, durch den Frachtenzuſchlag und durch die mit der Zoll— 
kontrolle verbundenen Formalitäten und Koſten eine ungeheuer große Einſchränkung 
erfahren hat, einen vernichtenden Stoß erhalten wird. 

Es kann ferner keinem Zweifel unterliegen, daß der vermehrte Frankenumlauf 
auch eine Umgeſtaltung der Tarife im Verkehrsweſen nach ſich ziehen wird. Ob 
damit eine Erhöhung der Selbſtkoſten verbunden ſein wird, hängt natürlich davon 
ab, welche Höhe die Tarife erreichen werden. Es kann aber mit aller Beſtimmtheit 
angenommen werden, daß die Tarife ſich eng an die franzöſiſchen Tarife anſchließen 
werden, ſo daß wenigſtens beim heutigen Stande der ſaarländiſchen und franzöſiſchen 
Tarife und beim heutigen Stande der deutſchen Valuta eine weſentliche Steigerung 
der Selbſtkoſten die Folge der geänderten Tarifpolitik ſein wird. Das iſt für uns 
um ſo bedenklicher, als wir bei der Grenzlage des Saargebiets ſowohl beim Wett— 
bewerb auf dem deutſchen wie beim Wettbewerb auf dem franzöſiſchen Markt gegen— 
über dem inländiſchen Herſteller erhebliche Vorfrachten zu leiſten haben, ſo daß eine 
Erhöhung der Eiſenbahntarife uns doppelt trifft. 

Wie man das Problem des erweiterten Frankenumlaufs im Saargebiet alſo auch 
betrachten mag, wir erkennen ſtets nur die eine Wirkung, daß uns die vitalſte 
Grundlage für die Sicherung von Erzeugung und Abſatz entzogen wird. 

Jedem Sehenden müſſen danach auch die finanziellen Wirkungen durchaus un— 
zweifelhaft ſein. Sei es, daß wir uns in der Hoffnung auf eine günſtigere Ent— 

19* 


„ 


wicklung der Wirtſchaftslage dazu entſchließen, mit großen Opfern weiterzuarbeiten, 
ſei es, daß wir gezwungen ſind, die Betriebe zu ſchließen, ſtets wird die ſchon bei 
der heutigen Wirtſchaftslage zu beobachtende Entwertung des Betriebskapitals in 
einer kataſtrophalen Weiſe geſteigert, im erſten Fall durch die Schwächung der Be— 
triebsmittel, im zweiten Fall durch die gänzliche Unproduktivität. Wir wollen es 
uns verſagen zu unterſuchen, welche Wirkung die Entwertung der Betriebskapitalien 
auf die öffentlichen Finanzen haben wird, da hierüber berufenere Kreiſe werden zu 
urteilen haben. 


Noch einige Worte über die Wirkung des erweiterten Frankenumlaufs im Saar⸗ 
gebiet auf laufende Verträge. 


Bei der Beurteilung dieſer Frage kommen für uns hauptſächlich die Lieferungs⸗ 
verträge und Dienſtverträge in Betracht. 


Soweit Lieferungsverträge mit feſten Preiſen abgeſchloſſen ſind, wird der Käufer 
ſich unter allen Umſtänden an den Vertrag zu halten ſuchen und damit dem liefernden 
Werk die Mehrkoſten für die Herſtellung allein aufbürden. Zwar ſind in einigen 
Lieferverträgen Währungsvorbehalte gemacht worden, jedoch mußte in letzter Zeit von 
dieſer Abung Abſtand genommen werden, da an der Beibehaltung der Währungs— 
klauſel eine Reihe von Aufträgen zu ſcheitern drohten und auch tatſächlich geſcheitert 
ſind. Bemerkenswert iſt ein Fall, in dem ſich ein franzöſiſcher Käufer ausdrücklich 
das Recht vorbehalten hat, vom Vertrage zurückzutreten, wenn die Frankenentlohnung 
im Saargebiet allgemein zur Einführung kommen ſollte. 


Wo Währungsvorbehalte fehlen, iſt es fraglich, ob nicht trotzdem der Vertrag 
aufgehoben werden kann oder der Verkäufer berechtigt iſt, höhere Preiſe zu fordern, 
da die Rechtſprechung der neueren Zeit vielfach den Grundſatz aufgeſtellt hat, daß 
Verträge, ſeit deren Abſchluß ſich die grundlegenden Verhältniſſe weſentlich geändert 
haben, abgeändert werden können. Neben der Schwächung der Rechtsgrundlage für 
den Abſchluß von Verträgen hat die Fortſetzung dieſer Praxis, die im Intereſſe des 
Lieferanten häufig nicht zu umgehen iſt, den großen Nachteil, daß eine Fülle von 
Arbeitskraft auf die Austragung der entſtehenden Streitigkeiten unproduktiv verwendet 
wird, wodurch eine weitere Steigerung der Selbſtkoſten eintritt. | 


Bei Lieferverträgen mit gleitenden Preiſen, die heute jedoch relativ felten ge⸗ 
worden ſind, iſt der Lieferant theoretiſch in einer günſtigeren Lage, weil er berechtigt 
iſt, den durch die Steigerung der Selbſtkoſten entſtehenden Mehrpreis zu fordern. 
Praktiſch ergeben ſich jedoch ebenfalls eine Fülle von Schwierigkeiten, da ihn bezüglich 
der Mehrkoſten die Beweiskraft trifft und der Käufer ſich um ſo weniger geneigt 
zeigt, die Mehrkoſten zu bezahlen, je höher ſie über dem Angebotspreis liegen. Die 
notwendigen Auseinanderſetzungen erfordern umfangreiche Verhandlungen, führen 
häufig zu Klagen und nehmen die Arbeitskraft namentlich der leitenden Beamten 
über Gebühr in Anſpruch. der 


Bei den Dienftverträgen werden die Beſtimmungen über die Gehälter durch den 
vermehrten Frankenumlauf berührt, da durch dieſen Verhältniſſe geſchaffen werden, 
die ſich gegenüber den beim Abſchluß des Dienſtvertrages herrſchenden weſentlich 
unterſcheiden. Bei dem ſchon erwähnten Grundſatz der neueren Rechtſprechung kann 
durchaus die Folge eintreten, daß die beſtehenden Vertragsbeſtimmungen über die 
Gehälter als nichtig betrachtet werden müſſen. Nach § 139 BGB. iſt aber ein Rechts- 
geſchäft, alſo auch ein Dienſtvertrag nichtig, wenn ein Teil des Rechtsgeſchäfts nichtig 
iſt, ſofern nicht anzunehmen iſt, daß es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen 
ſein würde. Die Vorausſetzung des Nachſatzes dürfte aber in vielen Fällen nicht 
gegeben ſein. 


Der vermehrte Frankenumlauf wird demnach unſerer Anſicht nach in ſeiner 
Wirkung auf Verträge zu einer bedenklichen und langandauernden Rechtsunſicherheit 
führen. | 


— 283 — 


Wir können den Inhalt des vorliegenden Gutachtens wie folgt kurz zuſammen— 
raffen: 

Bei der gegenwärtig außerordentlich gedrückten Wirtſchaftslage der Eifen und 
Stahl weiterverarbeitenden Induſtrie, die heute bereits weſentlich ſchärfer zutage tritt 
als in anderen Wirtſchaftsgebieten, würde der erweiterte Frankenumlauf vernichtend 
wirken, da hierdurch die Preiſe der von unſerer Induſtrie benötigten Roh- und Hilfs— 
ſtoffe ſowie Halbfabrikate, ferner infolge Steigerung der Preiſe für Lebensmittel, 
Kleidung und Wohnungsmieten auch die Löhne und Gehälter, ſchließlich die Tarife 
des öffentlichen Verkehrs weſentlich in die Höhe gehen und dadurch unſere Selbſt— 
koſten jo ungünſtig beeinfluſſen würden, daß die ohnedies ſchon ſtark beſchränkte Wett— 
bewerbsfähigkeit unſerer Induſtrie völlig unterbunden würde. Erzeugung und Abſatz, 
die Grundpfeiler für jede private und öffentliche Wirtſchaft, würden der notwendigen 
Sicherung entbehren, ſo daß wir nur dringend befürworten können, den vermehrten 
Frankenumlauf im Saargebiet nicht zu fördern und darüber hinaus Maßnahmen zu 
ergreifen, die geeignet ſind, die Wettbewerbsfähigkeit unſerer Induſtrie zu fördern. 

Ein beſonders wirkungsvolles Mittel würden wir darin erblicken, daß die 
Regierungskommiſſion des Saargebiets ſich bei der franzöſiſchen Regierung für eine 
erhebliche Ermäßigung der Grundpreiſe für Saarkohlen einſetzt. 


e. Gutachten der Glas- und keramiſchen Induſtrie. 


Die unterzeichneten Firmen, die ſich mit der Herſtellung von keramiſchen und 
Glaserzeugniſſen befaſſen, geſtatten ſich, der Regierungskommiſſion das mit Rund— 
ſchreiben vom 17. Januar 1921 erbetene Gutachten nachſtehend zu unterbreiten mit 
der Bemerkung, daß ſie dies unter dem Geſichtspunkt der eigenen Intereſſen und 
der ihrer Arbeiter tun. 

Wenn wir am Ende unſerer Ausführungen zu dem Ergebnis kommen, daß nach 
menſchlichem Ermeſſen die keramiſche ſowohl wie die Glasinduſtrie durch die Ein— 
führung der Frankenwährung im Saargebiet nicht mehr exiſtenzfähig bleiben kann, 
ſo unterſtützen uns in unſeren Darlegungen die Erfahrungen der letzten Monate, 
während deren die Lage der Saarinduſtrie durch die teilweiſe Einführung des Franken 
bereits eine ganz beſorgniserregende geworden iſt. Da Zahlen in derartigen Fragen 
die beſte Uberzeugungskraft haben, ſeien ſolche aus einigen der bedeutendſten Betriebe 
der Glasinduſtrie und Keramik angeführt. 

Vor dem Kriege ging nahezu die ganze Produktion der keramiſchen und auch 
der Glasinduſtrie nach Deutſchland. Der größte Betrieb der keramiſchen Induſtrie 
verſandte in den Jahren 1911/13 78,42 v. H. feiner geſamten Produktion in das 
deutſche Wirtſchaftsgebiet, die Fenſterglasbetriebe ſogar 80 v. H. Die beiden Induſtrien, 
die Kohlen nicht nur allein für die Inbetriebſetzung von Maſchinen und zur Er— 
zeugung von Kraft benötigen, ſondern in der Hauptſache für das Brennen und 
Schmelzen des Glaſes, haben mit einem weſentlich höheren Prozentſatz an Ausgaben 
für Kohlen zu rechnen wie andere Betriebe. Vor dem Kriege entfielen annähernd 
12 v. H. der Produktionskoſten auf die Kohlen bei der Keramik und bei der Fenſter— 
glasinduſtrie ſogar 25 v. H. Jetzt, nach Bezahlung der Kohlen in Franken, iſt das 
Verhältnis auf 29,4 v. H. bei der Keramik geſtiegen und auf 35 v. H. bei der Feniter- 
glasinduſtrie. Wenn in Betracht gezogen wird, daß bei dem Frankenkurſe der letzten 
Monate die Tonne Kohle im Saargebiet ſich auf 600 Mark ſtellte, während eine für 
dieſelben Zwecke geeignete Kohle in Deutſchland aber nur auf 250 Mark kam, ſo 
ergibt ſich, daß ſowohl die keramiſche als auch die Glasinduſtrie bei ihren Lieferungen 
nach Deutſchland mit Verluſt arbeiten muß, denn eine Steigerung der Produktions- 
koſten um 17 v. H. iſt unerträglich. Mit anderen Worten, eine Glashütte an der 
Saar kann nicht 10 Millionen Mark mehr für Kohlen im Jahr ausgeben als ein 
gleich großes Unternehmen in Deutſchland. 

Es ergibt ſich aus dem vorher Geſagten, daß der deutſche Markt ohne weiteres 
für unſere Produkte unbedingt verloren fein würde, wenn abgeſehen von den auf 


— 284 — 


die Dauer unerträglichen Kohlenpreiſen auch noch Material, Löhne uſw. in Franken 
bezahlt werden müßten. Es bleibt nun zu unterſuchen, ob die in den Saarbetrieben 
erzeugte Ware anderwärts überhaupt abgeſetzt werden kann. 

Wir greifen zurück auf die bereits eingangs erwähnte Ziffer, daß mindeſtens 
¼ der geſamten Produktion nach Deutſchland gingen, daß mithin nur ¼ exportiert 
worden iſt. 

Man begegnet ſehr oft Auffaſſungen, daß der franzöſiſche Markt das nächſt— 
liegende Abſatzgebiet iſt, weil wir im Saargebiet dem franzöfiſchen Zollgebiet jetzt 
angeſchloſſen ſind. 

Der franzöſiſche Markt fällt aber aus zwei Gründen faſt vollſtändig für die 
Aufnahme von Produkten der Keramik und von Glas aus: 

1. Frankreich hat ſelbſt eine ſehr ſtark entwickelte Keramik- und Glasinduſtrie, 
und es muß außerdem darauf hingewieſen werden, daß 

a) die wieder neu und modern aufgebauten Werke im Norden eine bedeutend 

höhere Leiſtungsfähigkeit entwickeln werden, als ſie vorher hatten, und 

b) daß bereits neue bedeutende Fabriken in Elſaß-Lothringen nunmehr ihr Ab- 

ſatzgebiet in Frankreich verlangen, weil ſie eben ein Teil des franzöſiſchen 
Staates geworden find. Wir nennen hierbei die Fabriken von Utzſchneider & Co. 
in Saargemünd, die Steingutfabrik in Niederweiler, die Glasfabriken in 
Valeristal und Meiſental. 

2. Frankreich hat die Einfuhr von Keramik und Glas ab 1. Januar 1921 kon⸗ 
tingentiert. Es dürfen nur eingeführt werden die Durchſchnittsmengen der Vorkriegs⸗ 
jahre 1911/13. 2 

Auch aus dieſem Grunde iſt eine Unterbringung der Produktion, die nicht mehr 
in Deutſchland erfolgen kann, in Frankreich ausgeſchloſſen, ganz abgeſehen davon, 
daß die Einfuhr vor dem Kriege z. B. in keramiſchen Erzeugniſſen nur 1,07 v. H., 
in Fenſterglas etwa 11 v H. betrug. | 

Dieſe durch die Konkurrenzverhältniſſe und die Kontingentierung geſchaffene un- 
günſtige Lage wird noch verſchärft durch eine allgemein feſtzuſtellende Abneigung gegen 
Produkte des Saargebiets, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß z. B. der Ver⸗ 
ſand zweier großer Unternehmungen in der Zeit nach Friedensſchluß in das franzö— 
ſiſche Wirtſchaftsgebiet nur etwa 7 v. H. der Produktion betrug gegen etwa 12 v. H. 
vor dem Kriege. Wir haben alſo bei zollfreier Einfuhr in der letzten Zeit eine Ver⸗ 
ringerung des Verſandes nach Frankreich gegenüber der Zeit vor dem Kriege feſt— 
zuſtellen. Verringert wird die Abſatzmöglichkeit in dem franzöſiſchen Abſatzgebiet für 
den bedentendſten Teil der Glasinduſtrie noch dadurch, daß die nach deutſchen 
Normalien vorgenommene Erzeugung in Frankreich nicht beliebt, eine Anpaſſung von 
Seiten der Saarinduſtrie aber nicht möglich iſt, weil bei der rein handwerksmäßigen 
Herſtellung eine Umſtellung der Betriebe erſt nach vielen Jahren nach Anlernung 
jüngerer Kräfte möglich iſt, während mit den bereits vorhandenen Arbeitern überhaupt 
ein dem franzöſiſchen Markt zuſagendes Produkt nicht erzielt werden kann. 

Von vielen Seiten wird oft die Einwendung gemacht, daß man ſich in ſolchen 
Fällen nach anderen Exportmärkten umſehen müſſe. 

Man macht es ſich oft ſehr leicht, indem man einfach ſagt, die ganze Welt ſteht 
für den Verkauf noch offen, das klingt zwar durchaus logiſch, iſt es aber nicht. 

Es iſt zu berückſichtigen, daß die übrigen Märkte auf der Welt, ſie mögen heißen 
wie fie wollen, auch früher ſchon beliefert worden find, daß dieſe Märkte alſo ſchon 
ihre Bezugsquellen hatten, mit denen ſie ſich auch eingearbeitet haben. Außerdem 
tritt noch für dieſe Märkte kein neuer Bedarf hinzu, und wir können uns keine Mittel 
denken, womit es möglich ſein ſollte, um für ſo bedeutende Produktionsquantitäten 
die ſeitherigen Lieferanten für dieſe Exportländer zu verdrängen. 15 

Wir glauben mit Vorſtehendem klar bewieſen zu haben, daß die keramiſche und 
die Glasinduſtrie ruiniert ſein würden, wenn nicht mehr die Möglichkeit beſtände, 
nach Deutſchland den größten Teil der Produktion zu verkaufen. 


in A ie 


Man kann das Problem des erweiterten Frankenumlaufs im Saargebiet be- 
trachten wie man will, ein Punkt drängt ſich ſtets in den Vordergrund, und das 
iſt die Erkenntnis, daß uns die Grundlage für die Sicherung von Erzeugung und 
Abſatz entzogen wird und kein Ausgleich dafür geſchaffen werden kann. 

Zum Schluſſe möchten wir noch im Intereſſe unſerer Arbeiter darauf hinweiſen, 
daß eine große Menge alter, arbeitsunfähiger und kranker ehemaliger Beamten und 
Arbeiter unſerer Werke vorhanden ſind, deren Penſionen oder Unterſtützungsmittel 
in Franken weder bei den Penſionskaſſen und den Krankenkaſſen, noch bei den Firmen 
zur Verfügung ſtehen. 

Die Firmen ſelbſt wüßten nicht, woher ſie die erheblichen Betriebsmittel beſchaffen 
könnten, wenn fie für die Bezahlung ihrer Arbeiter und Materialien Franken auf— 
wenden müßten. 

f. Schlußfolgerungen anderer Gutachten. 

J. Das Gutachten des Arbeitgeberverbandes für das Baugewerbe und 
die verwandten Betriebe im Saargebiet kommt zu folgendem Schluß: »Wir 
ſprechen uns daher entſchieden gegen eine zunehmende Durchſetzung des Franken im 
ſaarländiſchen Wirtſchaftsleben aus «. 

2. Das Gutachten des Arbeitgeberverbandes für die Transport-, 
Handels⸗ und Verkehrsgewerbe im Saargebiet ſpricht ſich dahin aus, daß der 
erweiterte Umlauf des Franken kataſtrophale Folgen für die einzelnen Zweige des 
Verbandes nach ſich ziehen müſſe. 

3. Das Gutachten des Vereins der Holzintereſſenten an der Saar 
erklärt, daß die Umſtellung der ſaarländiſchen Holzinduſtrie und des Holzhandels auf 
Frankenentlohnung und auf Verkauf zu Frankenpreiſen nach einſtimmiger Anſicht der 
Mitglieder keine wirtſchaftlichen Vorteile, ſondern Nachteile bringen wuͤrde. 

4. Das Gutachten des Verbandes der Brauereien des Saargebiets 
erwartet von dem erweiterten Frankenumlauf Vermehrung der Selbſtkoſten, Verteuerung 
der Materialbeſchaffung und der Lebenshaltung, ſowie Verluſt der Abſatzmärkte ſo— 
wohl außerhalb wie innerhalb des Saargebiets ohne die Möglichkeit eines Erſatzes. 

5. Das Gutachten der Schloßbrauerei Neunkirchen bringt ernſtliche Be— 
denken gegen eine Erweiterung des Frankenumlaufs zum Ausdruck. 

6. Das Gutachten des Vereins der Spediteure des Saargebiets erklärt: »Im 
Speditionsgewerbe wird ein erweiterter Frankenumlauf als direkt ruinös bezeichnet«. 

7. Das Gutachten des Vereins ſaarländiſcher Zigarettenfabriken 
ſchließt mit folgenden Worten: »Aus allen vorgenannten Gründen müſſen wir eine 
derzeitige Einführung der Frankenentlohnung ganz entſchieden ablehnen «. 


Nr. 176. 
Abänderung des Handelsgeſetzbuchs. 


Verordnung, betreffend Aufſtellung der Bilanz. 
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets Nr. 5 vom 15. März 1921.) 

Die Regierungskommiſſion des Saargebiets verordnet auf Grund des $ 32 der 
Anlage zum Abſchnitt 4 (Teil 3) des Friedesvertrages von Verſailles und gemäß des 
Beſchluſſes in ihrer Sitzung vom heutigen Tage: 

Die Aufſtellung der Bilanz im Sinne des § 40 Abf. 1 des Handelsgeſetzbuches 
des deutſchen Reiches!) kann entweder in der Währung des deutſchen Reiches oder 
in der Währung der franzöſiſchen Republik erfolgen. 

Saarbrücken, den 5. März 1921. 

Im Namen der Regierungskommiſſion 
Der Präſident 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


1) § 40 Abf. 1 des deutſchen Handelsgeſetzbuches lautet: »Die Bilanz iſt in Reichswährung aufzuſtellen« 


8 


N. 177. 

Einführung des Franken bei Eiſenbahn und Poſt. 
Verordnung, betreffend die Einnahme der Eiſenbahn ſowie der Poſt— 
und Telegraphenverwaltung in Franken. 

(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets Nr. 5 vom 15. März 1921.) 

Auf Grund der §§ 19 und 32 des Kapitels 2 der Anlage zum Abſchnitt IV 


(Teil 3) des Friedensvertrags hat die Regierungskommiſſion in ihrer Sitzung vom 
16. März 1921 folgendes beſchloſſen: 
§ 1. 


Vom J. Mai 1921 ab werden ſämtliche Einnahmen, gleichviel welcher Art, 
der Eiſenbahn⸗ ſowie der Poſt- und Telegraphenverwaltung in Franken erhoben. 


§ 2. | 
Vom gleichen Tage ab wird das Perſonal der Eiſenbahn ſowie der Poſt- und 
Telegraphenverwaltung in Franken beſoldet bzw. entlohnt. 


§ 3. 
Der Regierungskommiſſar für öffentliche Arbeiten, Eiſenbahn⸗, Poſt⸗ und Tele⸗ 
graphenweſen iſt mit dem Vollzug dieſer Verordnung beauftragt. | 


Saarbrücken, den 16. März 1921. 
Im Namen der Regierungskommiſſion 
Der Präſident 
gez. V. Rault. 


Nr, 78. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 18. April 1921. 


Auswärtiges Amt Berlin, den 18. April 1921. 


Nr. II S. G. 743. 


Herr Präſident! 


Die Regierungskommiſſion des Saargebiets hat am 16. März eine Verordnung 
erlaſſen, wonach vom 1. Mai d. J. ab alle Gebühren im Eifenbahn-, Poſt⸗, Tele⸗ 
graphen⸗ und Telephonverkehr in Franken erhoben und vom gleichen Tage ab die 
Gehälter und Löhne des Perſonals der Eiſenbahn und der Poſt- und der Tele- 
graphenverwaltung in Franken bezahlt werden ſollen. 

Dieſe Verordnung verſtößt gegen den Vertrag von Verſailles. Die Währungs⸗ 
verhältniſſe im Saargebiet ſind durch § 32 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des 
Vertrags feſtgelegt. In dieſer Beſtimmung iſt der Grundſatz aufgeſtellt, daß der 
Umlauf des franzöſiſchen Geldes im Saargebiet nicht verboten und nicht beſchränkt 
werden darf. Dieſer Grundſatz beruht auf der Vorausſetzung, daß die Mark die 
alleinige geſetzliche Währung im Saargebiet bleibt; jedoch wird es dem Belieben von 
Gläubiger und Schuldner freigeſtellt, ſich in gegenſeitiger Abereinkunft neben der 
Mark des Franken zu bedienen, und in dieſer Beziehung iſt eine Einſchränkung der 
Vertragsfreiheit verboten. Die Mark iſt alſo das einzige geſetzliche Währungsgeld, 
der Frank nur ein geſetzlich geduldetes Umlaufsgeld im Saargebiet. Nur ausnahms⸗ 
weiſe räumt der Vertrag dem Franken dieſelben bevorrechteten Eigenſchaften ein wie 
der Mark, nämlich Geldverbindlichkeiten tilgen zu können, ohne daß es des Ein- 
verſtändniſſes zwiſchen Gläubiger und Schuldner über die Zahlung in dieſer Währung 


— 287 — 


bedarf. Dies gilt aber gemäß dem erwähnten $ 32 nur inſoweit, als der fran- 
zöſiſche Staat das Recht hat, ſich bei Käufen, Zahlungen und Verträgen über die 
Ausbeutung der Kohlengruben und ihrer Nebenanlagen des franzöſiſchen Geldes zu 
bedienen. Die Gleichſtellung mit der Mark genießt der Frank alſo nur in einem 
Umfang, der ſubjektiv und objektiv genau begrenzt iſt; ſubjektiv gilt die Gleichſtellung 
nur für Geldverbindlichkeiten, bei denen der franzöſiſche Staat beteiligt iſt, und ob— 
jektiv greift ſie nur Platz, ſoweit es ſich um Verbindlichkeiten handelt, die aus der 
Ausbeutung der Gruben und ihrer Nebenanlagen herrühren. Es muß beſonders 
betont werden, daß dieſe Beſtimmung eine Ausnahme darſtellt; deshalb bleibt für 
alle anderen Beziehungen der allgemeine Grund ſatz des § 32 beſtehen, wonach nur 
der Mark die Eigenſchaft als geſetzlicher Währung im Saargebiet zukommt. 

Mit dieſen vertraglich feſtgelegten Grundſätzen ſetzt ſich die Verordnung der 
Regierungskommiſſion vom 16. März in Widerſpruch. Dieſe Verordnung will für 
eine große Zahl von Geldverbindlichkeiten im Saargebiet an Stelle der geſetzlichen 
Währung eine andere ſetzen, und zwar für Verbindlichkeiten zwiſchen der Regierung 
und der Bevölkerung. An dieſen Verbindlichkeiten iſt weder der franzöſiſche Staat 
beteiligt, noch ſteht die Ausbeutung der Gruben und ihrer Nebenanlage in Frage. 
Deshalb wären hier Zahlungen in Franken nur bei freier Vereinbarung zwiſchen 
Gläubiger und Schuldner zuläſſig. Tatſächlich aber will die Verordnung einen ge— 
ſetzlichen Zwang zur Zahlung in Franken einführen derart, daß die Leiſtungen der 
Eiſenbahn und Poſt nur gegen Entrichtung der Gebühren in Franken bewirkt werden 
ſollen. Hierdurch wird alſo dem Franken die Eigenſchaft eines geſetzlichen Währungs— 
geldes beigelegt, und zwar nicht etwa nur neben der Mark, wie es der Vertrag 
ſogar bei dem erwähnten Ausnahmerecht des franzöſiſchen Staats vorſieht, ſondern 
unter voller Ausſchaltung der Mark, des einzigen geſetz ichen Zahlungsmittels. 

Die Verordnung der Regierungskommiſſion vom 16. März bedeutet daher eine 
Abänderung des Vertrags von Verſailles in einer Frage von grundlegender Be— 
deutung. Die Deutſche Regierung erhebt mit allem Nachdruck Einſpruch gegen dieſe 
Verordnung und verlangt ihre Aufhebung. 

Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker— 
bundes zugehen laſſen. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 

gez. Simons. 

An 
die Regierungskommiſſion des Saargebiets, 

zu Händen des Präſidenten, 
Herrn Staatsrats Rault, 
Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


(Die Note iſt ohne Antwort geblieben.) 


Nr. 179. 
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 18. April 1921. 


Auswärti 1 a ö 
Nr. II 5 Berlin, den 18. April 1921. 


Herr Generalſekretär! 
Ich beehre mich, Ihnen anbei eine Abſchrift eines Schreibens an die Regierungs— 
kommiſſion des Saargebiets zu überſenden, in dem ich namens der Deutſchen Regierung 
Einſpruch erhoben habe gegen eine Verordnung der Regierungskommiſſion, wonach 


. 


vom 1. Mai d. J. ab die Bahn-, Poſt⸗, Telegraphen- und Telephongebühren in Franken 
erhoben und die Gehälter und Löhne des Perſonals der betreffenden Verwaltungen 
in Franken ausbezahlt werden ſollen. 


Auch dem Völkerbunde gegenüber legt die Deutſche Regierung Verwahrung ein 
gegen dieſe Verordnung, durch die wichtige Grundſätze des Vertrags von Verſailles 
verletzt werden. 

Ich bitte Sie, den Mitgliedern des Völkerbundes von dieſem Schreiben und 
ſeiner Anlage Kenntnis zu geben und eine Entſcheidung des Bundes in der Ange— 
legenheit herbeizuführen. | 

Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung). 


gez. Simons. 


An 

den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes, 
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond, 
K. C. M. G. C. B. 


Genf. 
Nr. 180. 
Note des Völkerbundes an die deutſche Regierung vom 25. Juni 1921. 
| (Überfeßung.) 
Völkerbund. Genf, den 25. Juni 1921. 


3/13555/12247. 


Herr Minifter! | 

Mit Beziehung auf mein Schreiben vom 2. Mai 19212) und Ihre Mitteilung 
vom 18. April (nebſt Anlage), betreffend den Gebrauch franzöſiſchen Geldes bei den 
Behörden des Saargebiets, habe ich die Ehre Ihnen mitzuteilen, daß der Völker⸗ 
bundsrat in ſeiner Sitzung vom 20. Juni 1921 erklärt hat, die Entſcheidung die die 
Regierungskommiſſion hierüber durch Verordnung vom 16. März 1921 getroffen hat, 
gebe keine Veranlaſſung zu irgendwelcher Bemerkung ſeitens des Völkerbundsrats. 
Abſchriften Ihrer Schreiben in dieſer Frage werde ich den Mitgliedern des Völkerbundes 
zur Information mitteilen. 

Ich bitte Eure Exzellenz die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung 
genehmigen zu wollen. | 


gez. Eric Drummond, Generalſekretär. 


Seiner Exzellenz 
dem deutſchen Herrn Miniſter des Auswärtigen, 


Berlin. 


1) Der Note iſt eine Abſchrift der unter Nr. 178 wiedergegebenen Note beigefügt worden. 


2) Mit dieſem Schreiben war der Empfang der Note der deutſchen Regierung vom 18. April 
beſtätigt worden. 


Fee 


u. 


Nr. 181 


Bericht der Regierungskommſſion des Saargebiets an den Völker— 
bundsrat vom 12. Mai 1921. 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 2. Jahrgang, Heft 5/6, S. 624 ff.) 
| (berſetzung.) 


J. Allgemeine Lage. 


Ich habe wiederum die Befriedigung feſtzuſtellen, daß im Laufe der letzten drei 
Monate kein ernſtes Ereignis eingetreten iſt. Es gab weder Unruhen noch Streiks. 
Die Wirtſchaftslage iſt zwar nicht glänzend, kann aber nicht als ſchlecht angeſehen 
werden. Die Wirtſchaftskriſis, die der größte Teil Europas durchmacht, hat be— 
gonnen, das Saarbecken in Mitleidenſchaft zu ziehen. Die Zahl der Arbeitsloſen iſt 
von 2000 auf 2600 geſtiegen (gegen etwa 1 400 in normalen Zeiten). Die franzöſiſchen 
Staatsgruben haben aus den Gründen, die ich in meinem letzten Bericht angegeben 
habe, die Förderung einſchränken und ihren Arbeitern in den Monaten Februar, März 
und April einige Feierſchichten auferlegen müſſen. Immerhin ſind die Ausſichten für 
den Monat Mai beſſer, währenddeſſen die Arbeit ſehr wahrſcheinlich nur an den 
Sonn- und Feiertagen unterbrochen werden wird. 


Der Grubenverwaltung iſt es gelungen, ſich neue Abſatzgebiete zu verſchaffen, 
und die von ihr angenommene Preisherabſetzung wird die Abbeförderung der Kohle 
erleichtern. Dieſe Preisherabſetzung hat erſt nach einer Herabſetzung der Löhne vor— 
genommen werden können. Letztere hat einige Beſchwerden ſeitens der Arbeiter hervor— 
gerufen, iſt aber von ihnen mit einer Selbſtverleugnung und einem Verantwortlichkeits— 
gefühl angenommen worden, denen die Anerkennung zu verſagen ungerecht wäre. Die 
Regierungskommiſſion hat auch ihrerſeits den Verkauf der Saarkohle erleichtert und 
folglich zur Beendigung der Arbeitsloſigkeit der Bergleute beigetragen, indem ſie vom 
1. April ab den Satz der Kohlenſteuer von 20 auf 10% herabſetzte. 


Eine gewiſſe Anzahl von induſtriellen Unternehmungen, namentlich bei der Eiſen— 
induſtrie, waren wegen Mangels an Aufträgen zu Arbeiterentlaſſungen genötigt. 
Immerhin iſt die Lage im Saarbecken beſſer als in den meiſten Nachbargegenden. 

Ich muß indes hinzufügen, daß die Arbeitgeber der Eiſeninduſtrie eine baldige 
Lohnherabſetzung ins Auge faſſen; dieſe iſt bisher vermieden worden, namentlich auf 
Grund der im Stillen bewirkten dringlichen Vorſtellungen meiner Behörden. Sie wird 
vermutlich nach einigen Wochen in Kraft treten. 

Im März d. J. hat eine vom Internationalen Gewerkſchaftsbund in Amſterdam 
ernannte Studienkommiſſion das Saargebiet beſucht und ſich über die Lage der 
Arbeiterklaſſe unterrichtet. Sie beſtand aus einem deutſchen, einem engliſchen, einem 
franzöſiſchen und einem ſchweizeriſchen Mitglied. Sie konnte in voller Freiheit ihre 
Ermittelungen vornehmen. 


II. Die Währungsfrage. 


In meinem vorhergehenden Bericht hatte ich die Ehre, mit einigen Einzelheiten 
das Problem auseinanderzuſetzen, das ſich im Saarbecken ergibt. 

Im Lauf der vorbereitenden Arbeiten für die Aufſtellung des Budgets für das 
Finanzjahr 1921/22 iſt klar zutage getreten, daß für die Ausbeutung der großen 
Betriebe einigermaßen lohnende Bedingungen ſolange nicht geſichert werden können, als 
die Mark, eine entwertete Währung, beibehalten wird. 


5 


In der Sitzung vom 16. März 1920 hat der Präſident im Einvernehmen mit 
ſeinem mit den öffentlichen Arbeiten betrauten Kollegen der Regierungskommiſſion 
folgenden Bericht unterbreitet: | a 

»Im Augenblick der Aufſtellung des Budgets für das Jahr 1921/22, das nicht 
mehr eine einfache Rechnung über Einnahmen und Ausgaben, ſondern ein endgültiges 
Budget ſein ſoll, hat die Regierungskommiſſion die Pflicht zu unterſuchen, unter 
welchen Bedingungen es möglich iſt, ihre Finanzen zu ſanieren und die Stabilität und 
das Gleichgewicht des Budgets ficherzuftellen. Das Jahr 1920/21 war gekennzeichnet 
durch häufige und plötzliche Kreditanforderungen; es ſchienen ſogar die Grundlagen 
des Finanzgebäudes zu ſchwanken. Man muß der Wurzel des Übels nachſpüren, um 
vom Beginn des neuen Finanzjahrs ab ein Heilmittel anwenden zu können. 


Das ſtärkſte Defizit, das der Regierungskommiſſion im Lauf dieſes Jahres ent- 
ſtanden iſt, und die größten finanziellen Schwierigkeiten, die ihr erwachſen find, er- 
geben ſich aus der Ausbeutung der Eiſenbahnen ſowie von Poſt, Telegraph und 
Telephon. Mehr als zwei Drittel der in dem allgemeinen Budget des Gebiets ent- 
haltenen Ausgaben entfallen auf dieſe beiden Verwaltungszweige. Solange dieſe nicht 
dazu gelangen, ihr Betriebsdefizit auf mäßige Verhältniſſe zu beſchränken, iſt es müßig, 
auf eine Beſſerung der Finanzlage des Gebiets zu ſinnen. Br 


Die Prüfung des Budgets der Eiſenbahnen ergibt nun, daß trotz energiſcher 
Einſchränkung der Ausgaben das Gleichgewicht ſolange nicht hergeſtellt werden wird, 
als das Budget in einer ſo unſtabilen Währung wie der Mark aufgeſtellt iſt. Die 
Transportgebühren, d. h. alle Einnahmen der Eiſenbahn, werden in Mark erhoben, 
Was die Ausgaben betrifft, ſo müſſen drei Arten unterſchieden werden: 1. Ankauf 
von Kohlen, 2. Ausgaben für Bauten und für Ankauf von Material, 3. Entlöhnung 
des Perſonals. b ie 


Seit dem Monat Auguſt v. J. wird die Kohle von den franzöſiſchen Staatsgruben 
in Franken verkauft; deshalb müſſen die Eiſenbahnen, obwohl ſie ſelbſt nur Mark 
einnehmen, mehrere Zehner von Millionen Franken ausgeben. 8 


Im Lauf des nächſten Budgetjahres müſſen gewiſſe Ankäufe von Material, nament⸗ 
lich von Lokomotiven und Waggons, ins Auge gefaßt werden. Mit Frankreich ſind 
Verhandlungen eingeleitet worden, um zu erreichen, daß dem Saargebiet deutſches 
Material, das auf Grund des Waffenſtillſtandsabkommens an Frankreich geliefert 
worden iſt, von dieſem aber nur ſchwer verwertet werden kann, überlaſſen wird, 
Frankreich ſcheint geneigt, das Material an das ſaarländiſche Eiſenbahnnetz zu beſonders 
günſtigen Bedingungen zu verkaufen; aber der Vertrag wird nur in Franken ab⸗ 
geſchloſſen werden können. Ferner werden die ſaarländiſchen Eiſenwerke für die 
Lieferung von rollendem Material oder von Streckenmaterial, das bei ihnen wird 
beſtellt werden müſſen, Bezahlung in Franken verlangen. | 2 

Was die Ausgaben für das Perſonal betrifft, ſo betragen fie bekanntlich 50 
bis 55 v. H. der Ausgaben der Eiſenbahnen. Man kann hiernach leicht die rieſige 
Laſt ermeſſen, die die Gehälter und Löhne im Laufe des Jahres 1920/21 auf die 
Ausbeutung der Eiſenbahnen des Saargebiets gelegt haben. In viermaligen Zahlungen 
ſind mehr als 80 Millionen Mark an das Perſonal ausgegeben worden, ungerechnet 
die in Deutſchland bewilligten und im Saargebiet eingeführten Erhöhungen, die ſich 
aufeinander folgten. Trotz dieſer ausnahmsweiſen Zuwendungen iſt die Lage der 
Eiſenbahner mißlich geblieben; ſie haben neue Eingaben an die Regierungskommiſſion 
gerichtet. f 

Die Not der Eiſenbahner und die Forderungen, die ſie hervorruft, haben keinen 
anderen Urſprung als die Entwertung der Mark und die daraus ſich ergebende Ver- 
teuerung der Lebenshaltung. Die Eiſenbahnverwaltung erhält nur Mark, ein entwertetes 
Geld. Die Tarife können nicht unaufhörlich umgeändert werden, d. h. ſie halten nicht 
Schritt mit der Entwertung der Mark, und der Unterſchied zwiſchen Ausgaben und 
Einnahmen wächſt dauernd. Dieſe kurze Prüfung genügt, um zu zeigen, daß ein auf 


me 


der Markbaſis ruhender Eiſenbahnbetrieb dazu verurteilt iſt, dauernd eine Defizitwirt— 
ſchaft zu bleiben. 


Außerdem iſt es hierbei unmöglich, für ein geſamtes Budgetjahr ernſthafte Vor’ 
anſchläge zu machen. Alle Berechnungen können durch die Schwankungen der Mark 
über den Haufen geworfen werden. Von dieſen Schwankungen hangt das Gleich— 
gewicht des Budgets nicht nur bei den Eiſenbahnen, ſondern auch beim Saargebiet 
ab. Die Staatsfinanzen ſind alſo der Spekulation preisgegeben Beiſpielsweiſe würde 
eine neue Baiſſe nicht nur die Kohle verteuern, ſondern auch neue Zugeſtändniſſe an 
die Beamten und Arbeiter nötig machen, deren Elend die Regierungskommiſſion nicht 
verkennen kann. Neue Millionen müßten dann in den Abgrund geworfen werden. 


Eine von der Abteilung der öffentlichen Arbeiten verfaßte beſondere Note wird 
angeben, in welcher Weiſe es möglich iſt, in Franken ein wirklich ordnungsmäßiges 
Budget für Eiſenbahn, Poſt und Telegraphen aufzuſtellen. Die Stabilität dieſer 
Währung geſtattet, vernünftige Voranſchläge zu machen. Sobald man das Budget 
der Eiſenbahnen und von Poſt und Telegraphen in Franken aufſtellt, wird man die 
Finanzlage des Gebiets weſentlich verbeſſert haben. In der Tat wird eine der Haupt- 
einnahmen des allgemeinen Budgets, die Kohlenſteuer, ſchon jetzt in Franken erhoben. 
Da die Sonderbudgets der Eiſenbahnen und der Poſt für ſich allein zwei Drittel des 
allgemeinen Budgets ausmachen, iſt erſichtlich, daß von dem Tage an, an dem ſie in 
Franken aufgeſtellt werden, das Moment der Ungewißheit bei der Aufſtellung der 
nehmen und Ausgaben des Gebiets in ſehr ſtarkem Maß eingeſchränkt fein 
wird. 


Eine Beibehaltung der Mark bei Eiſenbahn und Poſt würde dieſe Betriebe dazu 
verurteilen, Defizitbetriebe zu bleiben, und den leitenden Perſönlichkeiten verbieten, 
irgendeinen ernſthaften Voranſchlag zu machen; die Regierungskommiſſion würde dem— 
nach für das Jahr 1921/22 vor dieſelben Schwierigkeiten geſtellt werden, die ſie im 
Lauf des zu Ende gehenden Finanzjahres gehabt hat. 


Zugleich würde man damit auch das Saargebiet einen regelrechten Tribut an 
Deutſchland zahlen laſſen und ihm im Widerſpruch mit den Beſtimmungen des 
Friedensvertrags einen Teil der Reparationen aufbürden. Nur durch unbegrenzte 
Ausgabe von Papiergeld hält nämlich Deutſchland ſein Budget im Gleichgewicht, 
bediacht feine Schulden gegenüber den Alliierten, hält künſtlich niedrige Produktions- 
bedingungen aufrecht und vergeudet in demagogiſcher Abſicht große Gehälter an ſeine 
Beamten. Dieſe Geldinflation hat die Entwertung der Mark und der in Mark aus- 
gedrückten Werte zur Folge. Der ganze Vorteil dieſer Politik, die für das öffentliche 
und private Vermögen und für die Finanzen des Saargebiets die vernichtendſten 
Folgen hat, kommt Deutſchland zugute. Jeder von der Reichsbank ausgegebene 
Schein bedeutet die Erhebung einer Steuer vom Saarbecken und erſchwert die Aus— 
| ſeiner öffentlichen Betriebe. 


Es erſcheint hiernach unerläßlich, aus Gründen rein budgetärer Art das mit 
den 1 Arbeiten betraute Mitglied der Regierungskommiſſion zu ermächtigen, 
vom 1. Mai ab den Franken als einzige Währung in dem Budget der Eifenbabn-, 
Poſt⸗, Telegraphen⸗ und Telephonverwaltung einzuführen. Von dieſem Tage ab 
würden die Tarife der Eiſenbahn und der Poſt in Franken aufzuſtellen ſein. 


Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine derartige Entſcheidung durch die Be— 
ſtimmungen des Friedensvertrages gerechtfertigt iſt. Der § 32 der Anlage zu Abſchnitt IV 
(Teil III) beſtimmt, daß dem Umlauf des franzöſiſchen Geldes im Saargebiet keinerlei 
Verbot oder Beſchränkung entgegengeſtellt werden darf. Die Ausdrucksweiſe dieſes 
Paragraphen iſt ſehr allgemein; es handelt ſich um den Umlauf des Franken ſchlecht 
hin; die Sonderrechte der Gruben bilden den Gegenſtand des zweiten Abſatzes des 
Artikels 32. Unbeſtreitbar würde dem Umlauf des Franken eine Beſchränkung auf 
erlegt 8 wenn die Regierung nicht das Recht hätte, den Gebrauch dieſes Geldes 


292 


bei den Behörden vorzufchreiben, wo fie doch dieſe Maßnahme im Intereſſe der Be 
völkerung für erforderlich hält. 


Ferner hat die Regierungskommiſſion volle Freiheit in der Verwaltung Me 
Ausbeutung der Eiſenbahnen, Kanäle und ſonſtigen öffentlichen Betriebe (§ 19 der 
Anlage). Dieſe Freiheit wäre in auffallender Weiſe beſchränkt, wenn ſie nicht das 
Recht haben ſollte zu beſtimmen, in weſcher. Währung das Budget dieſer öffentlichen 
Betriebe aufgeſtellt werden ſoll. 


Wenn übrigens der Regierungskommiſſion dieſes Recht beſtritten werden ſollte, 
jo hätte fie ſelbſt die Tragweite ihrer Befugniſſe zu beſtimmen (§ 33 der Anlage). 


Über die Rechtsfrage kann alſo kein Zweifel beſtehen. Auf Grund der Unab⸗ 
hängigkeit, die ihr der Friedensvertrag überträgt, und in dem Bewußtſein ihrer 
Verantwortlichkeit gegenüber der Bevölkerung, für deren Wohlergehen zu ſorgen ſie 
beauftragt iſt, wird die Regierungskommiſſion das Budget der großen öffentlichen 
Betriebe in der Währung aufſtellen, die kraft ihrer Stabilität ernſthafte Voran⸗ 
ſchläge und eine ordnungsmäßige Verwaltung ermöglicht. 


Die Ergebniſſe dieſes Berichts wurden nach reiflicher Prüfung von der Re— 
gierungskommiſſion einſtimmig angenommen. 


Demgemäß und entſprechend den techniſchen Vorſchlägen von Herrn Lambert, 
dem mit den öffentlichen Arbeiten betrauten Mitglied der Regierungskommiſſion, hat 
die Kommiſſion beſchloſſen, daß vom 1. Mai ab die Tarife der Eiſenbahn ſowie die 
Gebühren der Poſt-, Telegraphen und Telephonverwaltung in franzöſiſchen Franken 
und Centimes aufzuſtellen ſeien. Die Eiſenbahntarife find im Laufe des Monats 
April nach Befragung der intereſſierten Kreiſe des Handels und der Induſtrie, 
namentlich der Handelskammer in Saarbrücken, feſtgeſetzt worden. Sie nähern ſich 
den in Elſaß⸗Lothringen geltenden Tarifen, immerhin ohne ſie zu erreichen. 


Vom 1. Mai ab wird auch das Perſonal der Eiſenbahnen und der Poſt⸗, Tele 
graphen- und Telephonverwaltung in Franken beſoldet werden. Die Berechnung der 
neuen Gehälter und Löhne iſt einer Sonderkommiſſion übertragen worden, die den von 
dem Beamtenbund des Saargebiets vorgebrachten Bemerkungen weitgehend IR 
getragen bat. 


Als die am 16. März von der Regierungskommiſſion gefaßten Beſchlüſſe bei den 
Beamten der Zentralverwaltung bekannt wurden, verlangten die Gendarmen, die Polizei⸗ 
beamten von Saarbrücken und das Perſonal der Waſſerbauverwaltung Bezahlung in 
Franken. Ihrem Antrag iſt vom 1. Mai ab entſprochen worden. 


Im allgemeinen entſprechen die Gehälter und Löhne in Franken einem Drittel 
der am J. April 1921 in Mark bezogenen Gehälter und Löhne, jedoch unter Abzug 
gewiſſer neuer Erhöhungen der Teuerungszulagen. 


Übrigens find dieſe Gehälter und Löhne nur vorläufig feſtgeſetzt worden. Die 
Regierungskommiſſion hat eine Kommiſſion beauftragt, eine neue Einteilung und eine 
neue Beſoldungsordnung für die Beamtenſchaft vorzubereiten; hierbei wird ae 
den beſonderen Bedingungen des Gebiets Rechnung getragen werden. 


Als die Kommiſſion in ihrer Sitzung vom 16. März die vorſtehend geſchilbetteg 
Beſchlüſſe faßte, verkannte ſie nicht, daß ſie eine Verallgemeinerung des Frankenumlaufs 
im Saargebiet zur Folge haben würden. Daß dieſer Umlauf für einen Teil der Be⸗ 
völkerung ſchwere Folgen haben werde, hatte der Präſident der Regierungskommiſſion in 
einer in der Sitzung vom 1. Dezember 1920 vorgelegten Note, die unverändert in den 
Bericht aufgenommen worden iſt, den ich am 25. Januar d. J. an Sie zu richten die 
Ehre hatte auseinandergeſetzt. Es erſchien angezeigt, geeignete Mittel zu erwägen, um 
für die Bewohner, die außerſtande ſind, ſich Einkünfte in Franken zu verſchaffen, 
d. h. für Rentner, Penſionäre und K Kriegsbeſchädigte den Währungsumſchwung, der 
ih im Saargebiet abſpielt, fo wenig empfindlich wie möglich zu geſtalten. Fre 


— 293 — 


Die Regierungskommiſſion hat daher in ihrer Sitzung vom 16. März eine Kom— 
miſſion eingeſetzt, die mit der Prüfung der Lage dieſer Klaſſe von Bewohnern und 
mit der Prüfung, in welchem Maße und auf welchem Wege ihnen Hilfe gewährt 
werden kann, beauftragt iſt. Dieſe Kommiſſion ſteht unter dem Vorſitz des Herrn 
Dr. Hector, dem mit der Volkswohlfahrt beauftragten ſaarländiſchen Mitglied der 
Regierungskommiſſion, und hat ihre Arbeiten begonnen, die zur Stunde noch nicht be— 
endet ſind. 

Die Regierungskommiſſion hatte die Pflicht, ſich mit dem Währungsproblem zu 
befaſſen, das im Saargebiet ſowohl durch die Beſtimmungen des Friedensvertrags wie 
durch das freie Spiel der wirtſchaftlichen Tatſachen auftauchte. Sie hat ſich gezwungen 
geſehen, in den öffentlichen Finanzen von den Währungen, die im Saarbecken um— 
laufen, der geſündeſten und ſtabilſten einen immer größeren Platz einzuräumen. Die 
Beſchlüſſe, die ſie am 16. März gefaßt hat, ſind ihr eingegeben worden von dem Ver— 
antwortlichkeitsgefühl gegenüber der Bevölkerung, die fie verwaltet. Sie hat zugleich 
gezeigt, daß ſie ſich keineswegs an dem Los ſolcher Bewohner desintereſſierte, die durch 
einen erweiterten Frankenumlauf Gefahr laufen, in eine ſchwierige Lage zu geraten. 


III. Verwaltungsmaßnahmen. 


1. Zentralverwaltung. 


AÜGber die Zentralverwaltung iſt wenig zu melden. Die Regierungskommiſſion 
= auch weiterhin den Beamten Beweiſe ihres Wohlwollens gegeben, indem fie ihnen 
ie Wohltaten gewiſſer kürzlich in Deutſchland ergangener Geſetze zuͤkommen ließ, die 
ſich vornehmlich auf Teuerungs- und Familienzulagen bezogen. 

Sie hat eine Nachprüfung der Ortsklaſſeneinteilung des Gebiets vorgenommen, 
die als Grundlage für die Berechnung der Teuerungs- und Ortszulagen dient; durch 
dieſe Nachprüfung ſollten dieſe Zulagen mit den beſonderen Verhältniſſen im Saar— 
gebiet in Einklang gebracht werden. Nach Zuſammenſtellung der erforderlichen ſta— 
tiſtiſchen Unterlagen erkannte ſie, daß es »der Billigkeit entſpräche, die Mehrzahl der 
Gemeinden in die höchſte Klaſſe einzuſtufen«. Sie hat die Wohltaten dieſer Einteilung 
auch den Staatsarbeitern zugute kommen laſſen. 

Die Regierungskommiſſion hat das Statut der Beamten der Zentralverwaltung 
ergänzt und eine Verordnung über die Zuſtändigkeit und das Verfahren des Ver— 
waltungsgerichtshofs angenommen. 

Die Aufmerkſamkeit der Regierungskommiſſion iſt insbeſondere auf die ſchlechte 
Finanzlage der Kommunen gelenkt worden, denen die deutſche Regierung während 
des Krieges, um ihr eigenes Budget zu entlaſten, Laſten aufgebürdet hatte, die außer 
Verhältnis zu ihren Hilfsquellen ſtanden. Auf einem kürzlich in Köln abgehaltenen 
deutſchen Städtetag iſt anerkannt worden, daß die Geſamtſchulden der 50 größten 
preußiſchen Städte um 250 und die Ausgaben um 400 v. H. geſtiegen ſind. Im 
Saargebiet liegen die Dinge ebenſo. Die Regierungskommiſſion hat Maßnahmen 
getroffen, um die Kommunen zu einer Einſchränkung ihrer Ausgaben, namentlich be— 
züglich der Beſoldung der Kommunalbeamten, und zu einer Begrenzung der den 
Steuerpflichtigen auferlegten finanziellen Laſten zu veranlaſſen. Durch eine Verord— 
nung iſt eine Grenze für die Steuerzuſchläge feſtgeſetzt worden, die die Kommunen 
zu erheben berechtigt ſind. 

Der Beamtenkörper der Kommunen des Saargebiets iſt vervollſtändigt worden. 
Die Stadt Saarbrücken hat einen neuen Bürgermeiſter und neue Beigeordnete gewählt. 
Die Wahl iſt von dem Präſidenten der Regierungskommiſſion beſtätigt worden. 


2. Finanzen. 

Herr R. D. Waugh, das mit den Finanzen betraute Mitglied der Regierungs 
kommiſſion, konnte der Regierungskommiſſion das Budget des Saargebiets mit Ein— 
ſchluß des Budgets der Eiſenbahnen für das erſte Finanzjahr 1920/21 vorlegen; 
es weiſt einen Überſchuß von ungefähr 25 Millionen Mark auf. 


Bu er 


Der Satz der Kohlenſteuer ift vom 1. April 1921 ab von 20 auf 10 v. H. 
herabgeſetzt worden. Dieſe Maßnahme wurde ergriffen, um den Abſatz der Saarkohle 
zu ermöglichen und um der Induſtrie des Saarbeckens die Konkurrenz mit den Nachbar⸗ 
ländern zu geſtatten. Eine neue Art der Vereinnahmung dieſer Steuer — durch den 
Bergwerksunternehmer — iſt am 1. März angenommen worden. 


Die Regierungskommiſſion hat die Vorſchläge der Finanzabteilung zwecks Ein— 
richtung einer ſtrengen Kontrolle der Ausgaben angenommen. Die Kontrollbehörde 
wird binnen kurzem ihre Arbeiten beginnen. Die Finanzabteilung hat die Steuer— 
ämter für die indirekten Steuern reorganiſiert, um die regelmäßige Erhebung der 
Abgaben ſicherzuſtellen. Die Alkoholſteuer iſt erhöht worden. 


Die Verwaltung der direkten Steuern hat ebenfalls den Gegenſtand eingehender 
Prüfung gebildet. Sie war ebenſo wie die der indirekten Steuern ſeit dem Kriege 
ſtark vernachläſſigt worden, und die Arbeit bei ihr ließ viel zu wünſchen übrig. 


Während der letzten drei Monate iſt die Reorganiſation dieſer Verwaltungen 
beträchtlich gefördert worden. Neue Amter ſind errichtet, und ihre Bezirke ſind ſo 
abgegrenzt worden, daß ſie die Beziehungen zur Bevölkerung und die Erhebung der 
Steuern erleichtern. 


Im Hinblick auf das kommende Finanzjahr iſt der Tarif der Einkommenſteuer 
umgeändert worden; ſehr erhebliche ſteuerliche Entlaſtungen find den niedrigen Ein- 
kommen gewährt worden, um der Entwertung der Mark Rechnung zu tragen. 


Sehr verwickelte Fragen wie die der Beſteuerung der Beamten der franzöſiſchen 
Staatsgruben, des Perſonals der franzöſiſchen Zollämter und der fremden Beamten, 
ſowie der Bergleute, die ſich auf die ihnen vom preußiſchen Staat bewilligten Privi⸗ 
legien beriefen, haben den Gegenſtand eingehenden Studiums ſeitens der Finanzabteilung 
und der Regierungskommiſſion gebildet. Das gleiche war der Fall für die Beſtimmung 
des Kurſes der Umwechſlung von Frank in Mark für ſolche Steuerpflichtige, die ihr 
Gehalt oder ihren Lohn in Franken erhalten. Alle dieſe Fragen ſind nach dem 
Grundſatz der Billigkeit geregelt worden. | 


Nach mehreren Beratungen iſt faft in allen Fragen, die zwiſchen der Forſtver⸗ 
waltung und der Verwaltung der franzöſiſchen Staatsgruben zu regeln waren, eine 
befriedigende Löſung erzielt worden. 


F , PETER RM ie oe 


Nr. 182. 


Abänderung des Bürgerlichen Geſetzbuchs, des Handelsgeſetzbuchs, 
der Konkursordnung und der Grundbuchordnung. 


Vet dag, betreffend Abänderung der Juſtizgeſetze und der Maße 
ſtehend genannten Einzelgeſetze. | 


(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 11 
vom 3. Auguſt 1921.) 


Auf Grund der §s 19 und 23 der Anlage zum Abſchnitt IV (Teil 3) des 
Friedensvertrages von Verſailles und gemäß ihrem Beſchluſſe vom 2. Auguſt 1921 
verordnet die Regierungskommiſſion was folgt: 


33 


Artikel J. 


Die nachbenannten, im Saargebiet in Geltung befindlichen Geſetze werden ab— 
weinen, wie nachſtehend im einzelnen angegeben iſt. 


T e ene in nne 


TS , eee 


8 $ 244 erhält Abſ. 1 folgende Faſſung ): 

3 »Iſt eine in fremder Währung ee Geldſchuld im Saargebiet 
zu zahlen, ſo kann die Zahlung in Landeswährungen dieſes Gebiets er— 
folgen, es ſei denn, daß Zahlung in fremder Währung ausdrücklich be— 

dungen iſt.« 


9 § 40 Abſ. 12) wird das Wort „Reichswährung⸗ durch die Worte »in einer 
der Landeswährungen⸗ erſetzt. 


In 8 195 Abſ. 3 Satz 33) werden die Worte »in deutſchem Gelde, in Reichs— 
kaſſenſcheinen ſowie in geſetzlich zugelaſſenen Noten deutſcher Banken« durch die Worte 
»in Landeswährungen« erfetzt. 


ee t t eee eee a e eee „e „e „ 


e eee eee eee eee eee me 


In $ 695) wird das Wort »Reichswährung« durch die Worte »in einer der 
Landeswährungen⸗ erſetzt. 


I D eee 


) Bisherige Faſſung: »Iſt eine in ausländiſcher Währung ausgedrückte Geldſchuld im Julande 
zu zahlen, jo kann die Zahlung in Reichswährung erfolgen, es ſei denn, daß Zahlung in ausländiſcher 
Währung ausdrücklich bedungen iſt.« 

9) Vgl. Nr. 176. 

) Bisherige Faſſung: »Als Barzahlung (d. h. des eingeforderten Betrags auf Aktien) gilt nur die 
Zahlung in deutſchem Gelde, in Reichskaſſenſcheinen ſowie in geſetzlich zugelaſſenen Noten deutſcher Banken.« 

) Bisherige Faſſung: »Forderungen, welche nicht auf einen Geldbetrag gerichtet ſind, oder deren 
Geldbetrag unbeſtimmt oder ungewiß oder nicht in Reichswährung feſtgeſetzt iſt, ſind nach ihrem 
Schaͤtzungswerte in Reichswährung geltend zu machen. « 

) Bisherige Faſſung: »In der Eintragı ungsbewilligung oder, wenn eine ſolche nicht erforderlich 
iſt, in dem Eintragungsantrag iſt das Grundſtück übereinftimmenb mit dem Grundbuch oder durch Hin, 
en auf das Grundbuchblatt zu bezeichnen. Einzutragende Geldbeträge ſind in Reichswährung an— 
zugeben. « 


20 


| 2 


Nr. 183. 


Runderlaß der Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 
15. Juli 1921, betreffend Verbot der Bewilligung von Ausgleichs⸗ 
zulagen durch die Kommunalverwaltungen in Mark. 


Regierungskommmiſſion des Saargebiets. . | 
Direktorium des Innern. | Saarbrücken, den 15. Juli 1921. 


J. C. VIII. A. B. 516. 


Aus vorgebrachten Anträgen erſehe ich, daß einzelne Gemeinden und Körper⸗ 
ſchaften in Erwägung gezogen haben, ihren Beamten und Angeſtellten Ausgleichs- 
zulagen zu bewilligen in der Weiſe, daß Zuſchüſſe in Höhe der Differenz zwiſchen 
ihrem jetzigen und einem in Franken gerechneten Gehalt gewährt werden ſollen. 

Es bedarf keiner Erörterung, daß die Finanzlage aller Gemeinden ohne eine 
tiefgehende Anderung eine ſolche Belaſtung des Etats zur Zeit nicht zuläßt, ſo daß es 
unter keinen Umſtänden angängig erſcheint, Ausgaben zu bewilligen, für deren Deckung 
keinerlei Sicherheit beſteht. Zum anderen bedarf die Frage einer einheitlichen Prüfung, 
und es liegt nicht im Intereſſe der Gemeindeverwaltungen, wenn einzelne Gemeinden 
unabhängig und ohne Rückſicht auf die allgemeine Lage Regelungen dieſer Art be- 
ſchließen. 

Es wird daher angeordnet, daß bis auf weiteres ohne die Genehmigung der 
Behörde keine Gemeinde und andere Körperſchaft ſolche Ausgleichszulagen bewilligen 
ſoll. Sofern Anträge von Beamtengruppen oder Verbänden vorgelegt werden, iſt 
der Aufſichtsbehörde darüber zu berichten. 


Ich erſuche, die unterſtellten Dienſtſtellen von dieſer Anordnung in Kenntnis 


zu ſetzen. 
Der Präſident der Regierungskommiſſion. 


gez. V. Rault, Staatsrat. 


Nr. 184. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗ 
bundsrat vom 1. Auguſt 1921. 


(Vgl. Druckſachen des Völkerbundes, C. 264. M. 195. 1921. I, S. 3, 8f., 14.) 


(berſetzung 


Allgemeine Lage. 


Das Saarbecken iſt im Lauf der letzten drei Monate von der Wirtſchaftskriſis, 
deren Folgen die meiſten europäiſchen Staaten verſpüren, ſtark in Mitleidenſchaft ge- 
zogen worden. 


Immerhin haben die Staatsgruben wieder eine normale Förderung aufnehmen 
können. Nicht eine Feierſchicht iſt den Arbeitern auferlegt worden; man hat ihnen 
ſogar die am 1. April eingeſtellte Bezahlung der Urlaubszeit wieder bewilligt. Die 
Förderung iſt ziemlich mühelos abgefahren worden, und die Haldenbeſtände haben ſich 
leicht verringert. Immerhin wird die Wiederaufnahme der Arbeit in den engliſchen 
Gruben ohne Zweifel den Verkauf der Saarkohle in den nächſten Wochen trotz der 
nachhaltigen Bemühungen der Gruben verwaltung, ſich regelmäßige Abſatzgebiete zu 
ſichern, beeinträchtigen. 


— 297 — 


Hingegen hat ſich die Lage der Eiſeninduſtrie verſchlimmert. Die Beſtellungen 
waren ſehr ſelten und die gebotenen Preiſe in keiner Weiſe lohnend. Im Monat 
Mai d. J ſahen ſich die großen Hüttenwerke des Beckens gezwungen, dem von den 
Gruben einige Wochen vorher gegebenen Beiſpiel zu folgen und eine Herabſetzung der 
Löhne um etwa 20 v. H. anzukündigen. Die Arbeiter haben ſich damit nicht ohne 
12 wiſſe Schwierigkeiten abgefunden, und bei einigen Unternehmen iſt es in den letzten 

gen des Mai zum Streik gekommen. Auf Grund eines Schiedsſpruchs iſt Einigkeit 


darüber erzielt worden, daß die Herabſetzung der Löhne auf drei Monate verteilt 


e ſollte; die Arbeit iſt überall wieder aufgenommen worden. Trotz der Herab— 
der Unkoſten für Arbeiterlöhne ſteht die Schwerinduſtrie vor beängftigenoen 
n. Die verhältnismäßig hohen Kohlenpreiſe geſtatten ihr kaum, ſich 
in angeſtammten Abſatzgebiete zu erhalten. Ihre Zukunft erſcheint bedroht, wenn 
nicht in kurzer Friſt geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um ſie in die Lage zu 
verſetzen, die Konkurrenz der Nachbarländer auszuhalten. Die Regierungskommiſſion 
wird nicht verfehlen, ſich das Wohlergehen einer Induſtrie angelegen ſein zu laſſen, 
die für 40000 Arbeiter Lebensunterhalt ſchafft. Die weiterverarbeitenden Induſtrien 
(Eiſenkonſtruktion und Maſchinenbau, Glas- und keramiſche Induſtrie) ſind auch nicht 
verſchont geblieben. Die geringe Zahl der Beſtellungen und ihre hohen Geſtehungs— 
koſten haben es ihnen bisher nicht geſtattet, die von ihren Arbeitern dringend gefor— 
derten Lohnerhöhungen zu bewilligen. Ihre Arbeiter werden in Mark entlohnt, 
während die Bergleute und die Arbeiter der Schwerinduſtrie und der Eiſenbahn in 
Franken bezahlt werden; der ſoeben eingetretene jähe Sturz der Mark hat ihre Lage 
ſehr mißlich geſtaltet. Ende Juli iſt das Perſonal einer großen Zahl von Werken 
in den Streik getreten. Gegenwärtig haben im Saarbecken 12 000 Arbeiter die Arbeit 
eingeſtellt, und man kann das Ende des Konflikts ſchwer vorausſagen. Das Los der 
Arbeiter iſt des größten Intereſſes wert; ſie ſind die Opfer der Entwertung der Wäh— 
rung, in der ſie entlohnt werden; aber auf der anderen Seite kann man die bedroh— 
liche Kriſis, die ihre Arbeitgeber durchmachen, nicht verkennen. 


Die Regierungskommiſſion verfolgt dieſe Ereigniſſe mit äußerſter Aufmerkſamkeit 
und wird ſich bemühen, ſobald ſie die Möglichkeit dafür bemerkt, die Wiederaufnahme 
der Arbeit herbeizuführen. 


Aus Anlaß des Streiks iſt kein Zwiſchenfall vorgekommen, und im allgemeinen 
war im Laufe dieſes Vierteljahrs die Ordnung in keinem Augenblick geſtört. Der 
1. Mai iſt ruhig verlaufen. Wie im letzten Jahre haben ſich impoſante, von den 
ſozialiſtiſchen und den freien Gewerkſchaften veranſtaltete Umzüge durch die Straßen 
Saarbrückens und der ſonſtigen Hauptorte des Gebiets bewegt. 


u. 0, 0 . ‚‚ ‚⏑‚‚‚οο Er DE EL ER mr re Br u u 


ZT eee 


Maßnahmen auf dem Gebiete der Verwaltung. 
A. Allgemeine Verwaltung. 


Im Laufe des verſtrichenen Zeitabſchnittes ſind alle noch offenen Bürgermeiſter— 
ſtellen beſetzt worden; hierdurch war es möglich, eine beſſere Verwaltung durch ein 
Perſonal, in das die Regierungskommiſſion Vertrauen ſetzen kann, ſicherzuſtellen. 


Beſonders große Bemühungen ſind zwecks Geſundung der Finanzen der Kommunen 
unternommen worden, die ſich infolge des Krieges zumeiſt in einer beklagenswerten 
Lage befinden. Den Kommunalverwaltungen ſind namentlich genaue Weiſungen erteilt 
worden, um ſie zu einer Herabſetzung der wirklich übermäßig großen Zahl ihrer An⸗ 
geſtellten und zu beträchtlichen Erſparniſſen zu veranlaſſen. Außerdem iſt eine Höchſt— 
grenze feſtgeſetzt worden, über die hinaus die Kommunen Steuerzuſchläge nicht mehr 
erheben dürfen. 


20* 


— 298 — 


Die Regierungskommiſſion hat einen Beſchluß gefaßt, demzufolge es den Ver⸗ 
bänden und Kommunen des Gebiets unterſagt iſt, Unterſtätzungen von Behörden an— 
zunehmen, die ihren Sitz außerhalb der Grenzen des Gebiets haben ). 


B. Finanzen. 


Eine große Zahl von Verordnungen iſt im Laufe der letzten drei Monate auf 
Anregung der Finanzabteilung erlaſſen werden. Es mag genügen, die Verordnungen 
über die Veranlagung zu den für Rechnung der Kommunen erhobenen Steuer⸗ 
zuſchlägen, über die Aufſtellung eines Tarifs für die progreſſive Beſteuerung, über 
Anderung der Beſtimmungen über die Anlegung des Vermögens von Minderjährigen 
und Handlungsunfähigen, über Anderung des preußiſchen Kommunalabgabengeſetzes, über 
Vermeidung von Doppelbeſteuerung im Saargebiet und in Deutſchland und über die 
Beſteuerung der Geſellſchaften mit beſchränkter Haftung anzuführen. 

Beſondere Abgaben ſind für Kraftfahrzeuge eingeführt worden. 

Die Forſtverwaltung hat mit der Direktion der Staatsgruben Verträge über 
die Beſetzung gewiſſer Grundſtücke und den Bau von Kanaliſationsanlagen abgeſchloſſen. 

Der Finanzkontrolldienſt iſt nunmehr in Tätigkeit. Hierfür ſind von dem mit 
den Finanzen betrauten Mitglied der Regierungskommiſſion allgemeine Inſtruktionen 
verfaßt und von der Regierungskommiſſion genehmigt worden. 

Die Reorganiſation der Finanz und Forſtverwaltung, die durch die Errichtung 
des Saargebiets erforderlich geworden iſt, iſt jetzt beendet. N 

Die Einheitlichkeit der Verwaltung der bisher preußiſchen und bayeriſchen Teile 
des Saargebiets iſt, was das Budget und die indirekten Steuern betrifft, verwirklicht. 
Bezüglich der übrigen Zweige der Finanzverwaltung ſind vorbereitende Maßnahmen 
ins Auge gefaßt, deren Durchführung ebenfalls zu einem Einheitsregime führen wird. 
Auf dem Gebiet der direkten Steuern werden gewiſſe befondere Beſtimmungen ſchon 
für dieſes Jahr ermöglichen, ein gleichartiges Syſtem zu erzielen. f 

Die Regierungskommiſſion iſt im allgemeinen der Anſicht, daß die Klaſſen der 
Bevölkerung, die ein geringes Einkommen beſitzen, aus ſozialen Gründen Anſpruch auf 
beträchtliche Steuerbefreiungen haben. 

Um die Einnahmen aus den direkten und indirekten Steuern zu erhöhen, mußte 
eine gewiſſe Anzahl neuer Behörden geſchaffen werden. Dieſe Aufgabe iſt heute, von 
einigen Ausnahmen abgeſehen, vollſtändig beendet. Schon jetzt iſt eine beträchtliche 
Erhöhung der Einnahmen feſtzuſtellen, bie einer beſſeren Erfaſſung der Steuerquellen 
zu verdanken iſt. 

Die benötigten Beamten für dieſe neuen Behörden ſind vorzugsweiſe aus Ein⸗ 
wohnern des Saargebiets entnommen worden; Abweichungen von dieſem Grundſatz 
ſind nur erfolgt, wenn in dem Gebiet keine Bewerber mit den erforderlichen Fach⸗ 
kenntniſſen und der nötigen Erfahrung gefunden werden konnten. 


C. Offentliche Arbeiten, Eiſenbahn, Poſt und Telegraph. 
J. Eiſenbahn. Die in der Sitzung vom 13. März beſchloſſene Einführung 
des Franken für Tarife und Löhne iſt am 1. Mai vorgenommen worden. 
Da alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen worden waren, um die Kaſſen mit 
franzöſiſchem Gelde und mit Kleingeld zu verſehen, hatte das Publikum an den Schal⸗ 
tern keinerlei üben zu erdulden. 


9 Dieſer Beſchluß iſt im Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Scarabiets Mr. 9 vom 
25. Juni 1921) veröffentlicht. Er lautet: 
Auf Grund des § 19 der Anlage zu Abſchnitt IV Teil 3 des Friedensvertrages und 
des Beſchluſſes der Regierungskommiſſion vom 11. Mai 1921 wird folgendes beſtimmt: 

Cs iſt den Gemeinden ſowie allen öffentlichen Anſtalten und Körperfchaften des Saar⸗ 
gebiets verboten, Unterſtützungen oder Zuſchüſſe des Deutſchen Reichs, des preußiſchen oder 
bayerifchen Staates oder einer Dienſtſtelle dieſer Regierungen ohne Genehmigung der Re 
gierungskommiſſion zu beantragen oder anzunehmen. 17 

Saarbrücken, den 23. Mai 1921. 
Der Präſident der Regierungskommiſſion: 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


29 


Man kann ſchon jetzt die glücklichen Wirkungen dieſer Reform erkennen. Sie hat 
neuen Lohnforderungen, die mit dem Zurückgehen des Markkurſes unfehlbar geſtellt 
worden wären, vorgebeugt. 


D „„ een eee e 


Der Regierungskommiſſion iſt der Entwurf eines Budgets für die Eiſenbahnen 
in Franken vorgelegt worden. Er weiſt ein Defizit von 20 Millionen auf, das man 
noch verringern zu können hofft. Durch die Einführung des Franken, die die Finanzen 
der Eiſenbahnen ſtabiliſierte, iſt es möglich geworden, ſicherere Voranſchläge für die 
Ausgaben zu machen, ſelbſt was die tätſächlich in Mark zu bewirkenden Ausgaben 
betrifft. Übrigens beſteht Hoffnung, daß mit Rückſicht auf den günſtigen Wechſelkurs 
die für Materialankäufe auf der Grundlage von 1 Fr. - 1 eingeſetzten Kredite 
wirt voll in Anspruch genommen zu werden brauchen. 


, A K „ % % e „ e 


0% 2, Poſt. ‚Der: Budgetentwurf für dieſe Verwaltung iſt der Regierungskommiſſion 
vorgelegt worden. Er weiſt ein Defizit von ungefähr 6 400 000 Fr. auf. Dieſes 
erklärt ſich durch die umfangreichen Arbeiten, die zur Verbeſſerung der während des 
Krieges ungenügend unterhaltenen Telegraphen- und Telephoneinrichtungen, die übrigens 
auch einen ſteigenden Verkehr zu bewältigen haben, ausgeführt werden müſſen. 


e „ via, „ ie 


r i „„ „„ 


Schluß. | 
Aus dem vorliegenden Bericht wird man ohne Zweifel erkennen, daß die Auf⸗ 
gabe der Regierungskommiſſion im Laufe der letzten drei Monate beſonders ſchwer 
war. Auf dem Gebiet der Geſetzgebung und Verwaltung find große Leiſtungen voll- 
bracht worden; wichtige Fragen ſind im Verhandlungswege geregelt worden. Im 
übrigen hat die Lage ziemlich düſtere Ausſichten gezeigt und zeigt ſie noch. Die Wirt— 
ſchaftskriſis, auf deren baldiges Ende zu hoffen unklug wäre, ſcheint dem Saarbecken 
nicht erſpart bleiben zu ſollen. Ihre Wirkungen ſind für ein reines Induſtrieland, in 
dem faſt die ganze Bevölkerung zur Arbeiterklaſſe gehört, beſonders beſorgniserregend. 
Aber die Regierungskommiſſion hat eine große Rückenſtärkung erhalten. Ihr 
Präſident hatte die Ehre, ihr Mitteilung zu machen von den Glückwünſchen, die der 
Rat des Völkerbundes in ſeiner Sitzung vom 20. Juni d. J. ihm auszuſprechen die 
Güte hatte. Die Entſcheidungen des Rates haben ihre Autorität gefeſtigt und ſie 
überzeugt, daß ſie bisher die ihr anvertraute Aufgabe getreulich erfüllt hat; ſie bilden 
für ſie die koſtbarſte aller Ermutigungen. 


Nr. 185. 


Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die Kom⸗ 
munalverwaltungen des Saargebiets, betreffend Einführung des 
Franken in den Kommunalverwaltungen, vom 1. September 1921. 


een dee Innen Saarbrücken, den 1. September 1921. 


J. C. VII. 595. 


In zahlreichen Eingaben ſind im Laufe der letzten Monate und insbeſondere der 
letzten Wochen die Beamten, Angeſtellten und Arbeiter der Kommunalverwaltungen 
bei der Regierungskommiſſion vorſtellig geworden, unter Hinweis auf die außer 
ordentliche Notlage, in die ſie die Unzulänglichkeit ihrer Gehälter und Löhne verſetzt. 
Hierbei haben ſie auf den erheblichen Unterſchied zwiſchen ihren Einkommen und dem 
jenigen der ſtaatlichen Beamten, Angeſtellten und Arbeiter hingewieſen. 


EA 


Die Regierungskommiſſion hat diefe Beſchwerden geprüft und fie im wefentlichen 
als unbedingt gerechtfertigt gefunden. Geleitet von der Abſicht, dieſer Lage unter 
Wahrung der Selbſtverwaltungsrechte der Gemeinden abzuhelfen, habe ich mit den 
übrigen Mitgliedern der Regierungskommiſſion die in Betracht kommenden Maß⸗ 
nahmen eingehend erwogen. Hierbei ſind wir übereinſtimmend zu der Erkenntnis 
gelangt, daß mit einer Erhöhung der Gehälter in Mark, ſei es durch die Gewährung 
einmaliger oder zeitweiliger Zulagen oder durch eigentliche Gehaltserhöhungen, das 
Problem nicht gelöſt werden kann. Die ſtändigen Schwankungen des Markkurſes 
und die völlige Ungewißheit, wie das Verhältnis der beiden Währungen in Zukunft 
ſich geſtalten wird, machen es zur Unmöglichkeit, auf dieſem Wege die Gleichſtellung 
der Kommunalbeamten mit den Staatsbeamten zu erzielen, die mit Recht von den 
erſteren erſtrebt wird. 


Nach längeren Beratungen iſt daher die Regierungskommiſſion zu der Über⸗ 
zeugung gelangt, daß den fraglichen Anſprüchen nur in der Weiſe Folge gegeben 
werden kann, daß die Beamten und Angeſtellten der Kommunalverwaltungen in 
gleicher Weiſe wie diejenigen des Staates beſoldet werden, d. h. in der gleichen 
Währung. 

Es wird nicht verkannt, daß eine ſolche Gehaltsform vorausſetzt, daß die 
Kommunalverwaltungen über die erforderlichen Frankeneinnahmen verfügen. Im Laufe 
des vorliegenden Rechnungsjahres iſt jedoch eine derartige Umgeſtaltung der Erhöhung 
der Gemeindeeinnahmen nicht angängig. Erſt vom 1. April 1922 ab, dem Beginne 
des neuen Rechnungsjahres an, wäre deren Durchführung möglich. | 


Die Notlage der Beteiligten ift jedoch derart, daß ihnen nicht zugemutet werden 
kann, noch weitere ſieben Monate zu warten. Die Regierungskommiſſion hat daher 
in ihrer geſtrigen Sitzung beſchloſſen, ſogleich diejenigen Kommunalverwaltungen 
entſprechend zu unterſtützen, die angeſichts der Lage ihrer Beamten, Angeſtellten und 
Arbeiter dieſen die Frankenbeſoldung bewilligen. Demgemäß wird die Regierungs⸗ 
kommiſſion den einzelnen Kommunalverwaltungen auf Antrag nach entſprechender 
Beſchlußfaſſung der Kommunalvertretungen die Frankenbeſoldung für die Zeit vom 
1. Oktober 1921 bis 1. April 1922 ermöglichen durch die Gewährung einer finanziellen 
Beihilfe in folgender Geſtalt: 

1. Die Landeskaſſe wird die im Haushaltsplan für Löhne und Gehälter des 
Perſonals (Beamten, Angeſtellte und Arbeiter) für den fraglichen Zeitraum 
vorgeſehenen Beträge zu dem günſtigen Kurs von 1 Franken für je 5 Mark 
umwechſeln. N 

2. Die Regierungskommiſſion gewährt weiter den betreffenden Kommunal⸗ 
verwaltungen unentgeltlich einen entſprechenden Frankenzuſchuß, der die 
Kommunalverwaltungen in die Lage verſetzt, dieſelben Gehälter und Löhne 
zu bezahlen, wie ſie die Beamten, Angeſtellten und Arbeiter des Staates 
erhalten, denen ihre Tätigkeit gleichgeſtellt werden kann. 

Dieſe außerordentliche Unterſtützung kann ſelbſtverſtändlich nur für die letzten 
ſechs Monate des laufenden Rechnungsjahres gewährt werden. Den Kommunal⸗ 
verwaltungen erwächſt daher die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, daß für die künftige 
Zeit ihren Frankenausgaben entſprechende Frankeneinnahmen gegenüberſtehen, namentlich 
bei ihren gewerblichen Betrieben (Gas, Waſſer, Elektrizität, Straßenbahn). 

Ich erſuche ergebenſt, dieſe Entſchließung zur Kenntnis der beteiligten Kommunal⸗ 
verwaltungen zu bringen und insbeſondere darauf hinzuweiſen, daß die Beſchlüſſe der 
Kommunalvertretungen, welche der erwähnten beſonderen Vorteile teilhaftig zu werden 
wünſchen, mir in kürzeſter Zeit, und zwar tunlichſt bis zum 20. September d. J. 
mitgeteilt werden. Weiter erſuche ich zu ihrer Kenntnis zu bringen, daß die Regierungs⸗ 
kommiſſion, ſo ſehr ſie auch den Beamten, Angeſtellten und Arbeitern der Kommunal⸗ 
verwaltungen entgegenzukommen wünſcht, außerſtande iſt, eine andere Form der 
Beihilfe zu genehmigen. Die Achtung vor den Rechten der Selbſtverwaltung kann 
nicht dazu führen, die Pflichten außer acht zu laſſen, welche die Aufſicht über die 


— 301 — 


Kommunalverwaltungen mit ſich bringt. Dieſe macht es der Regierungskommiſſion 
aus den bereits angeführten Gründen zur Pflicht, darüber zu wachen, daß nicht die 
Finanzen der Kommunalverwaltungen durch unbedachte Gehaltserhöhungen in Mark 
verhängnisvolle finanzielle Nachteile erleiden. 


Der Präſident der Regierungskommiſſion: 


gez. Rault, Staatsrat; 
begl. Delfau. 


Nr. 186. 


Rundſchreiben des Vereins zur Wahrung der gemeinſamen wirt- 
ſchaftlichen Intereſſen im Saargebiet an die Kommunalverwaltungen, 
betreffend die Einführung der Frankenbeſoldung in den 
Kommunalverwaltungen. 


Saarbrücken, den 16. September 1921. 


Der Verein zur Wahrung der gemeinſamen wirtſchaftlichen Intereſſen im Saar— 
gebiet, der mit feinen verſchiedenen Fachgruppen alle ſaarländiſchen Induſtrie- und 
Handelszweige umfaßt und in berufenſter Weiſe vertritt, hat in der Sitzung ſeines 
Vorstandes vom 15. d. Mts. erneut Stellung zu dem mehr als je brennend ge— 
wordenen Problem der Erweiterung des Frankenumlaufs im Saargebiet genommen. 
Anlaß dazu bot die durch das bekannte Schreiben vom 1. September an alle ſaar— 
ländiſchen Kommunalverwaltungen gerichtete Aufforderung der Regierungskommiſſion, 
eine Gehaltserhöhung der Beamten, Angeſtellten und Arbeiter der Kommunalver— 
waltungen durch die Einführung der Frankenbeſoldung mit ſofortiger Wirkung ins 
Auge zu fallen, mit aller Beſchleunigung entſprechende Beſchlußfaſſungen der Kom— 
munalverwaltungen herbeizuführen und das Ergebnis bis ſpäteſtens den 20. d. Mts. 
der Regierungskommiſſion kundzutun. 

Der Vorſtand unſeres Wirtſchaftlichen Vereins, der ſich eingehend mit den 
wirtſchaftlichen Folgewirkungen beſchäftigt hat, die die mit dieſem Schreiben ange— 
ſtrebte Einführung der Frankenbeſoldung bei den Kommunen notwendigerweiſe aus— 
löfen muß, kam bei ſeinen Beratungen zu dem Ergebnis, daß ihn fein Verant— 
wortlichkeitsgefühl vor der Geſchichte ſowohl wie auch der Saarbevölkerung gegen— 
über verpflichte, noch in letzter Stunde ſeine warnende Stimme zu erheben. Schon 
im Februar 1921 haben wir der Regierungskommiſſion gegenüber in ernſter und 
eindringlicher Weiſe die Folgen gekennzeichnet, die einer Erweiterung des Franken— 
umlaufs entſpringen müßten. Trotz der ablehnenden Haltung, die die am Wirt— 
ſchaftsleben beteiligten Kreiſe der damaligen Rundfrage der Regierungskommiſſion 
gegenüber einnahmen, hat die Regierungskommiſſion geglaubt, ſich über die Auf— 
faſſung gerade dieſer Wirtſchaftskreiſe hinwegſetzen zu dürfen. Wir ſtellen feſt, daß 
die Wirkungen, die wir ſchon damals bei einer Erweiterung des Frankenumlaufs auf 
Grund unſerer Einſicht in die wirtſchaftlichen Zuſammenhänge vorausgeſagt haben, 
ſich leider als im vollen Umfange zutreffend erwieſen. Heute laſtet auf dem Wirt— 
ſchaftsleben des Saargebiets eine jo ſchwere und erdrückende Kriſis, daß die verant— 
wortlichen Führer des Wirtſchaftslebens nur mit den lebhafteſten Beſorgniſſen der 
künftigen Entwicklung gegenüberſtehen. Wir ſind uns angeſichts der ſchweren Be— 
laſtung, die unſer Wirtſchaftsleben ſchon unter den heutigen Verhältniſſen zu tragen 
hat, durchaus darüber klar, nur nüchtern und ſachlich zu urteilen, wenn wir die 
Erklärung abgeben, daß die mit der Befolgung des Schreibens der Regierungs— 
kommiſſion verwirklichte abermalige Erweiterung des Frankenumlaufs die weitere 
wirtſchaftliche Betätigung einem allmählichen Stillſtand entgegenführen muß. Das 
wirtſchaftlich ſo hoch entwickelte Saargebiet iſt zum Zuſammenbruch verurteilt, wenn 
es nicht gelingt, eine Umkehr auf den bisherigen Wegen herbeizuführen. Die ſteuer— 


— 302 — 


lichen Erträgniſſe müſſen in der empfindlichſten Weiſe zurückgehen, wenn es nicht 
gelingt, die ſchon jetzt einer regen und erfolgreichen wirtſchaftlichen Betätigung ent⸗ 
gegenſtehenden Schwierigkeiten zu beſeitigen. Keinesfalls aber iſt das ſchwer um ſeine 
Exiſtenz ringende ſaarländiſche Wirtſchaftsleben in der Lage, noch weitere ungeheuer⸗ 
liche Belaſtungsproben zu ertragen, wie wir ſie in der Verwirklichung des Schreibens der 
Regierungskommiſſion erblicken müſſen. Der uns naheſtehenden Kreiſe hat ſich bereits eine 
ſtarke Entmutigung bemächtigt, Unternehmungsluſt und Arbeitsfreudigkeit, die für die 
Führer unſeres Wirtſchaftslebens unerläßliche Vorausſetzung zum Erfolge ſind, drohen 
völlig zu ſchwinden. Die Kommunalverwaltungen tragen der in verſchiedenen Schichten 
ſchon darbenden und verzweifelten Bevölkerung des Saargebiets gegenüber eine un— 
geheure Verantwortung, wenn ſie nicht in ernſter Prüfung verſuchen, einen anderen 
gangbaren und erträglichen Weg aus der jetzigen Lage zu finden. Nach unſerer Auf⸗ 
faſſung ſollte verſucht werden, die Regierungskommiſſion um eine Verlängerung der 
am 20. September ablaufenden Friſt um etwa ſechs Wochen zu bitten. Wir haben 
uns unſererſeits bereits geſtattet, in dieſem Sinne bei der Regierungskommiſſion vor⸗ 
ſtellig zu werden. Weiter müßte der Regierungskommiſſion mit allem Nachdruck die 
Bitte unterbreitet werden, die erforderlichen Erhöhungen der in Frage ſtehenden Be— 
züge zum mindeſten bis zum 1. April 1922 in Mark vornehmen zu können. Viel⸗ 
leicht ſehen wir alle in einigen Monaten klarer und können dann einen Ausweg vor⸗ 
ſchlagen, der wenigſtens nicht unmittelbar zur Lähmung der wiriſchaftlichen Betätigung 
führen muß. Daß eine Befolgung der Anregung der Regieruugskommiſſion, ſich 
ſchon jetzt Franken von der Landeskaſſe zur Verfügung ſtellen zu laſſen, zur finanziellen 
Abhängigkeit und damit auch zur allmählichen Vernichtung der Selbſtverwaltung führen 
muß, erwähnen wir nur nebenbei, da wir es für überflüſſig erachten, die in der Selbft- 
verwaltung ſtehenden und von deren Notwendigkeit überzeugten Perſönlichkeiten auf 
die nach dieſer Richtung drohenden Gefahren beſonders aufmerkſam machen zu müſſen. 

Wir wären Ihnen aufrichtig dankbar, wenn Sie die Güte hätten, bei den in 
Ausſicht ſtehenden Beratungen über das Schreiben der Regierungskommiſſion unſeren, 
einer eingehenden Kenntnis der wirtſchaftlichen Verhältniſſe des Saargebiets entjprin- 
genden Warnruf ernſtlich zu beachten. Vom Standpunkt des Wirtſchaftslebens aus 
glauben wir unſere Pflicht getan zu haben. Die ſchwerwiegende Verantwortung für 
die unvermeidlichen Folgewirkungen, die ſich ergeben müſſen, wenn unſere heutige 
Mahnung in den Wind geſchlagen wird, fällt nicht uns zu, ſondern gegebenenfalls 
denjenigen Kreiſen, die glauben, blindlings über wirtſchaftliche Notwendigkeiten zur 
Tagesordnung übergehen zu können. 


Verein zur Wahrung der gemeinſamen wirtſchaftlichen Intereſſen im Saargebiet. 
9 8 
Der Generalſekretär: 
(Unterſchrift.) 


Nr. 187. 


Beſchlüſſe verſchiedener Kommunalverwaltungen zur Frage der 
Frankenbeſoldung der Kommunalbeamten. 


a. Beſchluß des Stadtrats St. Ingbert vom 13. September 1921. 


Der Stadtrat nimmt Kenntnis von der Verfügung der Regierung, betreffend 
Gehaltszahlung in Franken. Der Stadtrat iſt ſich bewußt, daß den Arbeitern und 
Beamten geholfen werden muß. Der Stadtrat erkennt an, daß nur die eine Möglich- 
keit beſteht, wie fie die Regierungsverordnung hier anregt, und daß die Stadtver- 
waltung ſich gleichzeitig die Vorteile, die hier geboten werden, zunutze machen will. 
Der Stadtrat iſt ſich der Tragweite nicht voll bewußt und wünſcht genauere Unter⸗ 
lagen ſeitens der Regierung ). | 


) Nach Einziehung näherer Erkundigungen lehnte der Stadtrat in einer ſpäteren Sitzung die 
Frankenbeſoldung ab. 


— 303 — 


b. Beſchluß des Bürgermeiſtereirats Völklingen vom 15. September 1921. 


Die von der Regierungskommiſſion angeregte Beamtenbeſoldung der Kommunal— 
beamten und »angeftellten ab 1. Oktober 1921 ..... wird einſtimmig abgelehnt. Die 
Bürgermeiſtereivertretung beſchließt jedoch, die Notlage der Beamten nd Angeſtellten 
anerkennend, Vorſchüſſe zu bewilligen, und zwar follen erhalten...... . ...... 


c. Beſchluß der Stadtverordnetenverſammlung Merzig vom 
16. September 1921. 


Der Vorſchlag der Regierungskommiſſion wurde einſtimmig abgelehnt mit dem 

Beſchluß, der Ablehnung als Begründung folgende, von der Zentrumsfraktion ein— 
gebrachte Reſolution beizugeben: 
»Die Zentrumsfraktion erkennt an, daß durch die Gewährung der Franken— 
zahlung an die Staatsbeamten ſich mit Recht bei den in Mark beſoldeten Kommunal— 
beamten eine große Unzufriedenheit laut gemacht hat. Sie iſt deshalb auch grund— 
ſätzlich nicht abgeneigt, durch eine Erhöhung der Gehälter in Mark einen gewiſſen 
Ausgleich zu ſchaffen. Dagegen iſt die Fraktion nicht in der Lage, das Gehalt der 
Kommunalbeamten und Angeſtellten in Franken zu bewilligen; dies könnte ſie nur 
dann, wenn der Stadt genügend Einnahmequellen in Franken zur Verfügung ſtünden. 
Dies iſt aber nicht der Fall. ... Die Stadtverwaltung müßte alſo dazu übergehen, 
die Steuern ganz oder doch wenigſtens zum großen Teile in Franken zu erheben. 
Dies wäre allerdings bei denen, die bereits Frankenempfänger ſind, ohne weiteres 
möglich; die Zahl dieſer iſt jedoch in der Stadt Merzig gering, abgeſehen davon, 
daß ſie zum größten Teile im Genuß des Steuerprivilegs ſich befinden. Verhängnis— 
voll wäre dagegen die Steuererhebung in Franken ſeitens derjenigen, deren Einnah— 
men auf Mark abgeſtellt ſind. Sie wären, ſoweit ſie überhaupt dazu in der Lage 
ſind, gezwungen, ſich Frankeneinnahmequellen zu verſchaffen; hierdurch würde aber 
die ſchon für viele äußerſt harte Teuerung ins Unerträgliche geſteigert, und zwar be— 
ſonders für diejenigen, die nicht in der Lage ſind, Franken zu verdienen. Die Zahl 
dieſer iſt aber in der Stadt Merzig ſehr groß. . . . Eine Verelendung der breiten 
Maſſe der Bevölkerung wäre die unvermeidliche Folge. Die Fraktion iſt nicht gewillt, 
die Verantwortung hierfür zu übernehmen. 

Vorſtehende Erwägungen veranlaſſen auch die Zentrumsfraktion, das Angebot 
der Saarregierung, die bis zum 1. April 1922 zur Frankenbeſoldung erforderlichen 
Franken zu einem niedrigeren Kurſe bzw. umſonſt zur Verfügung zu ſtellen, abzulehnen, 
da die Folgen der Annahme eines ſolchen Angebots ſich zur Zeit nicht überſehen laſſen.« 


d. Beſchluß des Bürgermeiſterei- und Gemeinderats Neunkirchen 
vom 16. September 1921. 


Der Bürgermeiſterei- bzw. Gemeinderat ſieht ſich nach Lage der Verhältniſſe 
gezwungen, der ſofortigen Frankenbeſoldung der Bürgermeiſterei- (Gemeinde-) Beamten, 
Angeſtellten und Arbeiter zuzuſtimmen, weil dieſe Zuſtimmung das einzige Mittel 
zur Linderung der augenblicklichen Not der betreffenden Kategorien und damit ein 
Gebot der ſozialen Gerechtigkeit darſtellt. Die Zuſtimmung erfolgt jedoch unter 
Proteſt gegen die Maßnahmen, unter denen die Saarregierung die Gemeinden indirekt 
dazu zwingt, der Frankenwährung im Saargebiet die Wege zu ebnen. Der Bürger— 
meiſtereirat (Gemeinderat) iſt ſich keinen Augenblick im Unklaren über die Tendenz 
der betreffenden Regierungsmaßnahme und überläßt der Regierung die Verantwortung 
für die unabſehbaren wirtſchaftlichen Folgen der Währungsänderung. (Stimmen— 
verhältnis: 21 gegen 5.) 


e. Beſchluß des Kreisausſchuſſes Saarlouis vom 17. September 1921. 


Der Kreisausſchuß iſt der Anſicht, daß die Angeſtellten und Beamten ſofort 
entſprechend aufzubeſſern ſeien, und zwar in Mark. Eine Gehaltszahlung in Franken 


— 304 — 


würde notwendigerweiſe nach dem 1. April 1922 die Einziehung der Steuern uſw. in 
Franken nach ſich ziehen, was in weiterer Folge die allgemeine Einführung des Franken 
mit ſich bringen würde. Die Folgen dieſer allgemeinen Einführung des Franken find 
aber ſo tief eingreifend und von ſolcher Tragweite für das geſamte Wirtſchaftsleben 
an der Saar, daß es gründlichſter Prüfung bedarf. Dazu reicht die von der 
Regierungskommiſſion geſetzte Friſt nicht aus. Der Kreisausſchuß beſchließt daher, 
da unter dieſen Umſtänden eine Verantwortung für die Bewilligung der Gehälter in 
Franken ohne dieſe Prüfung nicht angenommen werden kann, den Antrag zu vertagen. 
(Einſtimmig angenommen gegen die Stimme des Landrats.) i 


f, Beſchluß des Bürgermeiſtereirats Namborn vom 17. September 1921. 


Da die Regierungskommiſſion eine Erhöhung der Gehälter in Mark abgelehnt 
hat, erklärt ſich der Bürgermeiſtereirat in Anbetracht der wirtſchaftlichen Notlage der 
Beamten und Angeſtellten mit der Beſoldung in Franken für die Zeit vom 
1. Oktober 1921 bis 31. März 1922 und nur für dieſen Zeitraum einverſtanden. 
Eine finanzielle Mehrbelaſtung der Bürgermeiſterei darf in keiner Weiſe erfolgen. 
Der Bürgermeiſtereirat betont, daß er ſich hierdurch nicht für die allgemeine Franken⸗ 
währung ausſpricht. (Stimmenverhältnis: 5 gegen 5.) 


g. Beſchluß des Bürgermeiftereirats Illingen vom 19. September 1921. 


Die Bürgermeiſtereivertretung iſt auch heute noch einſtimmig gegen die Ein— 
führung des Franken und die Beſoldung der Gemeindebeamten in Franken. In 
Anbetracht der Verfügung der Regierungskommiſſion und nach Kenntnisnahme der 
weiteren Erklärungen zu dieſer Verfügung ſieht fie ſich direkt gezwungen, dem Willen 
dieſer Verfügung nachzukommen und in die Bezahlung der Beamten, Angeſtellten 
und Arbeiter der Bürgermeiſterei und Gemeinden in Franken einzuwilligen, damit 
der Notlage der Beamten Rechnung getragen wird und Ungleichheiten vermieden 
werden. Sie ſieht es aber als ihre heiligſte Pflicht vor ihren Wählern an, nad)- 
drücklichſt Einſpruch zu erheben gegen dieſen Zwang der Regierungskommiſſion, der 
das Selbſtverwaltungsrecht der Gemeinden völlig ausſchaltet und mißachtet. Sie 
erklärt ausdrücklich, daß ſie aus freien Stücken niemals zugeſtimmt hätte und lehnt 
alle Verantwortung für die Folgen ab. Die Vertretung verlangt, daß der Beſchluß 
wörtlich der Saarregierung vorgelegt wird. 


h. Bericht über den Beſchluß des Bürgermeiſtereirats Brebach vom 
19. September 1921. 


Obwohl die Bürgermeiſtereivertretung in ihrer Mehrzahl die Notlage der 
Kommunalbeamten, angeſtellten und „arbeiter anerkannte, konnte fie doch in dem 
von der Regierungskommiſſion gemachten Vorſchlage nicht den richtigen Weg für 
eine Verbeſſerung der Beamtenbeſoldung erblicken. Sie hält vielmehr die Bewilligung 
einer Beſoldungserhöhung in Markwährung für angebracht und war hierzu auch 
bereit, ohne zunächſt beſtimmte Beträge feſtzuſetzen. Die Einführung der Franken⸗ 
beſoldung wurde daher mit allen gegen zwei Stimmen abgelehnt. 


i. Beſchluß des Stadtrats Homburg vom 19. September 1921. 


Wir erkennen die Notwendigkeit einer Einkommensaufbeſſerung für die ſtädtiſchen 
Beamten, Angeſtellten und Arbeiter an. Deshalb ſind wir bereit, die Mittel dafür 
zu bewilligen, können uns aber nicht dazu entſchließen, der Beſoldung in Franken⸗ 
währung zuzuſtimmen. Wir müſſen insbeſondere das der Stadt durch das Geſetz 
zuſtehende Recht der freien Selbſtverwaltung hochhalten und dieſes Recht auch für 
die Beſtimmung der Bezahlung der ſtädtiſchen Beamten, Angeſtellten und Arbeiter 
in Anſpruch nehmen. 


— 305 — 


k. Beſchluß der Stadtverordnetenverſammlung Saarbrücken 
vom 20. September 1921. 


J. Erklärung der liberal-demokratiſchen Arbeitsgemeinſchaft: 


Die liberal demokratiſche Arbeitsgemeinſchaft erkennt an, daß die ſteigende 

Teuerung im Saargebiet eine in gleicher Weiſe ſteigende Beſoldung der Beamten 
und Angeſtellten der Stadt erfordert. Sie lehnt aber die Einführung der Franken⸗ 
beſoldung ab. 
| Begründung: 
In einem Lande können nicht zwei gleichberechtigte ſelbſtändige Währungen mit 
ſtark ſchwankenden Wertverhältniſſen nebeneinander beſtehen, ohne daß die wirtſchaftliche 
Struktur des Landes zugrunde geht. Dies zeigt ſich deutlich im Saargebiet, wo 
die Einführung der Frankenlöhnung im Bergbau, welche nicht notwendigerweiſe eine 
Folge des Friedensvertrages war, den Beginn und die Urſache des wirtſchaftlichen 
Zerfalls bedeutet. 

Dieſe Frankenlöhnung hat die Bevölkerung, ſoweit ſie feſt beſoldet iſt, in zwei 
Schichten geſpalten. 

Die eine, Franken empfangende Schicht iſt gegenüber der Mark empfangenden 
privilegiert. Erſtere kauft ihren Lebensbedarf nicht in Franken, ſondern in Mark 
und verfügt daher bei ſteigendem Frankenkurs über ſteigende Einnahmen, während 
ſich die Einnahmen der Markempfänger den Kursſteigerungen nicht fo ſchnell anpaſſen 
können. Infolgedeſſen leiden zur Zeit große Teile der markverdienenden Bevölkerung 
Not. Schuld hieran trägt die teilweiſe Einführung der Frankenlöhnung. Die 
Frankenlöhnung hat preisverteuernd gewirkt, einmal durch Erhöhung der Kaufkraft 
der privilegierten Schicht und das andere Mal durch Erhöhung der Produktions- 
und Verwaltungskoſten des Bergbaus, der Induſtrie und des Verkehrs Es iſt zu 
verſtehen, daß derjenige Teil der Bevölkerung, welcher auf feſte Markbezüge angewieſen 
iſt, ebenſo geſtellt zu werden verlangt wie derjenige, welcher Franken empfängt. Er— 
klärlich iſt es auch, daß die Geſuche von Markempfängern um Einführung von 

rankenbeſoldung immer dringender werden, weil derjenige, welcher die mit dem 
uno verbundene höhere Beſoldung als letzter empfängt, kein Privilegium mehr 
genießt. 

Die Teuerung im Saargebiet hat naturgemäß eine unaufhörliche Reihe von 
Lohnkämpfen herbeigeführt und die Durchſchnittslohnhöhe über diejenige des deutſchen 
Produktions- und Abſatzgebietes hinaus geſteigert. Hierdurch iſt das Saargebiet auf 
dem deutſchen Markt, welcher ſein bisheriges Abſatzgebiet war, konkurrenzunfähig 
geworden, ohne daß es gelang, andere gleichwertige Abſatzgebiete zu erſchließen. Die 
Stillegung von früher blühenden Induſtrieanlagen und die zunehmende Arbeitsloſig— 
keit im Saargebiet ſind die ſichtbaren Folgen. 

Je weiter die Frankenbeſoldung unter deu gegenwärtigen Verhältniſſen um ſich 
greift, deſto teurer wird die Lebenshaltung, zugleich aber auch deſto größer die 
Arbeitsloſigkeit. 

Die Frage der Frankenbeſoldung der kommunalen Beamten uſw. kann daher 
nicht lediglich nach der vorübergehenden Einkommenſteigerung beurteilt werden, welche 
die Kommunalangeſtellten erlangen würden. Vielmehr muß die Wirkung auf die 
wirtſchaftliche Lage des Saargebiets ins Auge gefaßt werden. Dieſe Wirkung iſt 
kataſtrophal. Die nächſte Folge wird vorausſichtlich die Einführung der Steuer— 
zahlung in Franken ſein. Der immer kleiner werdende Teil der Bevölkerung, der 
auf Markeinnahmen angewieſen ift, wird die Steuern und ſonſtigen erhöhten Laſten 
nicht tragen können, ohne ſelbſt Einnahmen in Franken zu fordern und zu erhalten. 

Damit gelangt das Saargebiet nach einer gewiſſen Übergangszeit zu dem Punkte, 
wo die allgemeine Einführung der Frankenwährung vollzogen iſt. 

Wenn auch dieſe völlige Einführung der Frankenwährung zweifellos den not- 
wendigen Intereſſenausgleich innerhalb der Bevölkerung des Saargebiets, wie er vor— 
her bei der Markwährung beſtand — mit Ausnahme der notleidenden Markrentner — 


u DE 


zurückbringt, alſo eine Privilegierung einzelner Schichten beſeitigt, jo werden aber 
die Intereſſen der Geſamtheit durch die für das Induſtriegebiet unerträgliche Steigerung 
der Produktionskoſten empfindlich geſchädigt. Das Saargebiet iſt Induſtriegebiet und 
auf den Verkauf ſeiner Erzeugniſſe insbeſondere nach Süddeutſchland angewieſen. 
Durch Einführung der Frankenwährung ſägt die Bevölkerung den Aſt ab, auf dem 
ſie ſitzt. Solange der gegenwärtige Zuſtand der ſchwankenden Valuten beſteht, wird 
daher eine dauernd fortſchreitende Verarmung und Abwanderung der Bevölkerung des 
ganzen Gebietes die unausbleibliche Folge ſein. Erſt wenn einmal eine Stabiliſierung 
der Mark und Frankenwährungen erreicht fein wird, können beide Währungen in 
dem Wirtſchaftskörper des Saargebiets nebeneinander ohne erhebliche wirtſchaftliche 
Nachteile exiſtieren. 

Wir vermögen daher die Verantwortung für die derzeitige weitere Ausdehnung 
der Frankenwährung im Saargebiet durch Einführung der Frankenbeſoldung der 
ſtädtiſchen Angerellten nicht zu übernehmen. 

Auch der durch die Regierungskommiſſion angebotene Vorteil für die Gemeinden, 
daß die Landeskaſſe die Mehrleiſtung bis zum 1. April 1922 übernimmt, ändert die 
Sachlage nicht, denn die Entlaſtung der Gemeinden bedeutet eine Belaſtung des Etats 
des Saargebiets und damit auch der Steuerzahler, welche die Koſten zu tragen haben. 

Die liberal⸗demokratiſche Arbeitsgemeinſchaft iſt bereit, die bei ſteigender Teuerung 
erf orderliche Einkommensverbeſſerung der Kommunalangeſtellten in Mark in der. 
Form von Teuerungszulagen zu bewilligen, ſoweit die Steuerkraft der Bevölkerung 
dies zuläßt. | 

2. Gemeinſame Erklärung der ſozialdemokratiſchen und der Zen: 
trumsfraktion: 

Die unterzeichneten Fraktionen der Stadtverordnetenverſammlung erkennen die 
große wirtſchaftliche Not der ſtädtiſchen Beamten, Angeſtellten und Arbeiter an. Die 
ins Ungeheure ſteigende Teuerung gebietet ſchleunige Hilfe. Die Fraktionen ſind 
bereit, die dazu nötigen Mittel zu bewilligen. Sie können ſich aber nicht entſchließen, 
dieſe Aufbeſſerung der Gehälter und Löhne dadurch zu leiſten, daß ſie den Frank in 
das Gemeindebudget einführen. Nach dem Friedensvertrag iſt die Währungsmünze 
im Saargebiet die deutſche Mark. Die Fraktionen find überzeugt, daß die teilweife 
Einführung des Franken und der dadurch herbeigeführte Dualismus zwiſchen Frank 
und Mark die ungeheuren wirtſchaftlichen Schwierigkeiten und Nöte des Saargebiets 
mit herbeigeführt hat. Welche Folgen die Einführung des Franken im Gemeinde— 
budget zeitigen würde, läßt ſich zur Stunde noch nicht überſehen. Soviel ſteht aber 
feſt, daß dadurch eine unerſchwingliche Erhöhung der Gemeindelaſten bewirkt wird. 
Als gewählte Vertreter der Bevölkerung haben aber die Fraktionen auch auf das 
Wohl der geſamten Bevölkerung des Saargebiets Rückſicht zu nehmen. Es liegt 
auf der Hand, daß der Teil der Bevölkerung, der keine Frankeneinnahmen hat, wirt— 
ſchaftlich immer ſchlechter geſtellt wird, je ſtärker der Frank als Zahlungsmittel auf 
tritt. Bisher ſind von der Regierungskommiſſion keine Maßnahmen getroffen worden, 
um dieſem Übelſtand entgegenzuwirken. Die Fraktionen ſind deshalb der Anſicht, 
daß die Aufbeſſerung, die den ſtädtiſchen Beamten, Angeſtellten und Arbeitern ge 
währt werden muß, nur in Mark gewährt werden kann. Dazu geben ſie ihre 
Zuſtimmung. Die Bedenken, welche die Regierungskommiſſion für die Ablehnung 
der Gehaltsaufbeſſerung in Mark anführt ſind nicht einleuchtend und werden von 
den Fraktionen der Stadtverordnetenverſammlung nicht geteilt. 


3. Nach anſchließender Debatte wurde der Vorſchlag der Regierungskommiſſion mit 
allen gegen zwei Stimmen abgelehnt. 


J. Beſchluß der Bürgermeiſtereiverſammlung Dudweiler 
vom 20. September 1921. 
Die Bürgermeiſtereiverſammlung erkennt die Notlage der Beamten und An— 
geſtellten an, iſt aber nicht gewillt, den Franken zu fordern. Da es aber der 


307 — 


Bürgermeiſterei verſagt iſt, die wirtſchaftliche Notlage der Beamten uſw. in anderer 
Weiſe zu beheben, nimmt die Verſammlung mit allen Stimmen die Verfügung der 
Regierungskommiſſion vom 1. September 1921 an und bittet, den Beamten und 
Angeſtellten vom 1. Oktober 1921 ab ihre Gebührniſſe in Franken zu zahlen. Die 
Bürgermeiſtereiverſammlung ſtimmt jedoch der Zahlung in Franken nur für die Zeit 
vom 1. Oktober 1921 bis 31. März 1922 zu. 


m. Beſchluß des Gemeinderats Sulzbach vom 21. September 1921. 


Die wirtſchaftliche Notlage der Gemeindebeamten, angeſtellten und arbeiter 
wird nicht verkannt. Die Gemeindevertretung iſt auch bereit, durch Gewährung 
weſentlicher Gehaltsaufbeſſerungen in Mark zu helfen, wie ſie das früher ſchon be— 
ſchloſſen hat. Im Hinblick auf die ſchweren, nachteiligen Folgen für das Wirtſchafts⸗ 
leben kann ſie ſich indeſſen nicht damit einverſtanden erklären, die Gehälter in Franken 
nach Maßgabe der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 1. September 1921 
aufzubeſſern!). 


Nr. 188. 


Entſchließungen verſchiedener Verbände über die Frankenfrage. 


a. HenHöliehung de8 Schußverbandes für Handel und Gewerbe und des 
Gewerbevereins Homburg vom 17. September 1921. 


Die am 17. September 1921 im Karlsbergſaale zu Homburg verſammelten 
Bürger und Bürgerinnen von Homburg und feinen Annexen Beeden Schwarzenbach 
erblicken! in der erweiterten Einführung des Franken im Saargebiet, ſpeziell in Homburg, 
eine ungeheure Schädigung des wirtſchaftlichen Lebens. Die Schädigung trifft das 
ganze Sgargebiet, vor allem aber feine öſtlichſte Grenzſtadt Homburg. Die Ver— 
ammlung erſucht den Herrn Bürgermeiſter und die Herren Stadträte dringend, die 
em Homburger Handel, dem Gewerbe und der Induſtrie und damit der Arbeiter— 
ſchaft drohende Gefahr wirtſchaftlicher Vernichtung durch Verweigerung der Beſoldung 
der ſtädtiſchen Beamten und Angeſtellten in Franken abzuwenden, da dieſe Gehälter— 
zahlung in Franken zur unausbleiblichen Folge die Einforderung aller ſtädtiſchen Ge- 
fälle in Franken haben würde. Die als notwendig zu erkennende Aufbeſſerung 
wolle in Mark vom Stadtrate beſchloſſen werden. Die Verſammlung macht Bürger⸗ 
meiſter und Stadtrat darauf aufmerkſam, daß der am 19. September in Homburg 

zu faſſende Stadtratsbeſchluß ein Markſtein in der Geſchichte Homburgs und des 
Sodrgebiets ſein wird. Jeder einzelne Stadtrat wird ihn vor ſeiner Wählerſchaft 
und der Gefchichte Homburgs zu verantworten haben. Handel und Gewerbe, Arbeit— 
nehmer und Arbeitgeber der Induſtrie, Vertreter aller ſchaffenden Stände haben ihre 
Stimme erhoben, um die Stadt Homburg und das Saargebiet vor dem drohenden 
wirtſchaftlichen Untergang zu bewahren. Die Wucht der Verantwortung tragen 
nunmehr Bürgermeiſter und Stadtrat?). 


b. Entſchließung des Schutzvereins für Handel und Gewerbe und des 
| Gewerbevereins St. Ingbert vom 25. September 1921. 


Der Schutzverein für Handel und Gewerbe und der Gewerbeverein St. Jugbert 
ſind in ihrer heutigen gemeinſamen Verſammlung zu der Überzeugung gelangt, daß 
eine Erweiterung des Frankenumlaufs mit Sicherheit den wirtſchaftlichen Zuſammen— 
2 des Saargebiets zur Folge haben muß, weil Induſtrie, Handel und Gewerbe 


0 Die Mehrzahl der Kommunalverwaltungen hat die Vorſchläge der Regierungskommiſſion ab— 
gelehnt. Zugeſtimmt haben eine geringe Anzahl kleinerer Kommunen, meiſt aber unter Proteſt und nur 
mit gewiſſen Vorbehalten. 


2) Vgl. Nr. 1871. 


nur auf der Markbaſis lebensfähig find. Die Verſammlung richtet daher die dringende 
Bitte an die Regierungskommiſſion, von einer Erweiterung des Frankenumlaufs Ab— 
ſtand zu nehmen. Die Verſammlung erkennt die Notwendigkeit einer finanziellen 
Beſſerſtellung der ſtädtiſchen Beamten und Arbeiter durchaus an, glaubt allerdings, 
daß dies aus den oben angeführten Gründen nur durch Erhöhung der Markbezüge 


geſchehen darf. 


o. Entſchließung der Freien Bauernſchaft des Saargebietes 
vom 1. Oktober 1921. 


Der am 1. Oktober 1921 zu Saarbrücken tagende Landesausſchuß der Freien 
Bauernſchaft des Saargebietes iſt mit den Vertretern der Induſtrie der Anſicht, daß 
die gegenwärtige ſaarländiſche Wirtſchaftskriſe auf den ſtändig zunehmenden Franken⸗ 
umlauf zurückgeführt werden muß. Die Freie Bauernſchaft iſt mit der Induſtrie 
weiterhin der Überzeugung, daß nur eine Beſeitigung des Währungsdualismus, eine 
Wiedereinführung des reinen Markumlaufes die notwendige Beſſerung hervorrufen 
kann. Auch die ſaarländiſche Landwirtſchaft iſt infolge des ggenwärtigen Zuſtandes 
vor große Schwierigkeiten geſtellt, die in fortwährendem Wachſen begriffen ſind. Die 
Landwirtſchaft hat ebenſo wie die Induſtrie ein Intereſſe an dem Fortbeſtande des 
ſaarländiſchen Wirtſchaftslebens und vor allem daran, daß die Ernährung der ſaar— 
ländiſchen Bevölkerung ſichergeſtellt bleibt. Bei dem gegenwärtigen Währungs- 
dualismus aber müſſen für die bäuerlichen Betriebe, deren Einnahmen ſich ausſchließlich 
aus dem entwerteten Gelde deutſcher Währung zuſammenſetzen, überaus ſchädliche 
Folgen entſtehen. Die Freie Bauernſchaft erwartet, daß die Regierungskommiſſion 
unverzüglich die Schwierigkeiten beſeitigt, die der Schaffenskraft der Induſtrie und 
Landwirtſchaft entgegenſtehen. Die Freie Bauernſchaft müßte die Regierungskommiſſion 
verantwortlich machen für die Folgen, die aus einer ablehnenden Haltung der 
Regierungskommiſſion ſich unweigerlich ergeben. Der Landesausſchuß bittet die 
Regierungskommiſſion um gütige Rückäußerung bis zum 15. Oktober 1921, ob die 
Regierungskommiſſion gewillt iſt, den Forderungen der Induſtrie und der Landwirt⸗ 
ſchaft entgegenzukommen. 


Nr. 189. 


Stellungnahme der Regierungskommiſſion des Saargebiets 
zur Frage der Frankenbeſoldung der Kommunalbeamten. 


Preſſemeldungen: 


a) Saarbrücken, 6. Oktober 1921. Wie der Vertreter der Abteilung des Innern 
der Regierungskommiſſion, Herr Delfau, in einer Verſammlung der Bürgermeiſter 
des Saargebiets verlauten ließ, iſt die Gleichſtellung der Gemeindebeamten mit den 
Staatsbeamten des Saargebiets in Kürze auf dem Verordnungswege zu erwarten. 

b) Saarbrücken, 6. Oktober 1921. Ein Bürgermeiſter aus dem Saargebiet, der 
den Angeſtellten und Arbeitern der Gemeinde angeſichts der drückenden Notlage aus 
eigenem Entſchluß eine Gehaltszulage, und zwar entgegen dem Verbot der Regierungs— 
kommiſſion, die ſolche Zahlungen in Franken vorſchreibt, in Mark bewilligt hatte, 
wurde von der Regierungskommiſſion aufgefordert, ſich deshalb zu verantworten, 
überdies wurde gegen ihn ein Difziplinarverfahren eingeleitet. 


5 


. 5 


Zollfragen. 
Nr. 190. 


Note der deutſchen Botſchaft in Paris vom 22. Auguſt 1921, betreffend 
Zollfreiheit der aus dem übrigen Deutſchland in das Saargebiet 
kommenden Waren. 


Deutſche Botſchaft in Frankreich. 
Nr. 3349. 


Herr Miniſterpräſident! 


Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich folgendes zur Kenntnis Euerer 

ellenz zu bringen: 

Die franzöſiſchen Zollbehörden im Saargebiet erkennen die im Vertrag von 
Verſailles der deutſchen Einfuhr nach dem Saargebiet zugeſicherte Zollfreiheit nur 
ſolchen Waren zu, die deutſchen Urſprungs ſind. 

Die Deutſche Regierung iſt der Anſicht, daß dieſes Verhalten der franzöſiſchen 
Zollbehörden den Beſtimmungen des Vertrages von Verſailles nicht gerecht wird. 

Nach § 31 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrages ſollen die aus dem 
Saargebiet ſtammenden, von dort ausgeführten Erzeugniſſe fünf Jahre lang zollfreie 
Einfuhr in Deutſchland genießen. Umgekehrt ſoll während derſelben Zeit die deutſche 
Einfuhr (»importation d' Allemagne, „articles imported from Germany) für 
Gegenſtände des örtlichen Verbrauchs von Zollabgaben befreit bleiben. Der Vertrag 
begrenzt alſo die Zollfreiheit für die Ausfuhr aus dem Saargebiet mit genauen und 
klaren Worten auf ſolche Waren, die aus dieſem Gebiet ſtammen und von dort aus— 
geführt werden, während er anderſeits bei der deutſchen Einfuhr eine entſprechende 
Einſchränkung unterläßt und ganz allgemein von der »Einfuhr aus Deutfchland« 
ſpricht. Dieſe verſchiedene Ausdrucksweiſe iſt ſo auffällig, daß es ſchon aus dieſem 
Grunde nicht angängig erſcheint, die einſchränkende Beſtimmung für die Ausfuhr aus 
dem einen Gebiet auf die Ausfuhr aus dem anderen Gebiet zu übertragen. Der 
Vertrag läßt aber auch in anderer Weiſe erkennen, daß er die beiden Ausfuhren nicht 
gleichſtellen wollte. Die Zollbefreiungen ſind in beiden Fällen nach verſchiedenen 
Geſichtspunkten begrenzt. Die zollfreie Einfuhr aus dem Saargebiet iſt beſchränkt 
auf die aus dieſem Gebiet ſtammenden und von dort ausgeführten Waren, während 
die zollfreie Einfuhr aus Deutſchland inſoweit begrenzt iſt, als die eingeführten 
Gegenſtände für den örtlichen Verbrauch des Saargebiets beſtimmt ſein müſſen. Daß 
dieſe Einfuhr aus Deutſchland außerdem noch auf Gegenſtände deutſchen Urſprungs 
beſchränkt werden ſollte, kann hiernach nicht angenommen werden. 

Aus dieſen Gründen iſt die Deutſche Regierung der Anſicht, daß die im § 31 
der erwähnten Anlage feſtgeſetzten Zollerleichterungen auf alle Waren Anwendung 
. die aus Deutſchland kommen und für den örtlichen Verbrauch im Saargebiet 
eſtimmt ſind. Sie bittet die Franzöſiſche Regierung, die Angelegenheit einer Prüfung 
zu unterziehen und die Zollbehörden im Saargebiet mit der erforderlichen Weiſung 
zu verſehen. 

Genebmigen Sie, Herr Miniſterpräſident, den Ausdruck meiner ausgezeichnetſten 


Hochachtung. 


Seiner Exellenz 
dem Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten 
Herrn Briand . 


Paris, den 22. Auguſt 1921, 


gez. v. Hoeſch. 


Paris. 


— 8 


Nr 191. 


Note der deutſchen Botſchaft in Paris vom 24. Auguſt 1921, betreffend 
Zollfreiheit von Reparatur- und Rückwaren. 


Rn Botſchaft in Frankreich. 4 24. 2 192 
J. Ar. A. 3350, Paris, den . Auguſt 1921. 


Herr Miniſterpräſident! 


Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich Euerer Exzellenz folgendes mit⸗ 
zuteilen: 


Nach § 31 Abſ. 4 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Vertrages von Ver⸗ 
ſailles iſt die Einfuhr aus Deutſchland in das Saargebiet für Gegenſtände, die zum 
örtlichen Verbrauch beſtimmt ſind, während eines Zeitraums von 5 Jahren von 
Zollabgaben befreit. 


Von dieſer Vergünſtigung werden von den franzöſiſchen Zollbehörden im Saar⸗ 
gebiet Waren, die zu einem beſtimmten Zweck, wie z. B. zum Färben, Reinigen oder 
Reparieren, aus dem Saargebiet in das deutſche Zollgebiet geſandt und alsdann 
wieder in das Saargebiet zurückgeleitet werden, ausgeſchloſſen. 

Der Deutſchen Regierung ſcheint dieſes Verfahren der franzöſiſchen Zollbehörden 
nicht in Einklang zu ſtehen mit den Beſtimmungen des Vertrages von Verfailles. 

Wie ich in anderem Zuſammenhange bereits näher auszuführen die Ehre hatte, 
erſtreckt ſich die Zollfreiheit nach dem Wortlaut des Vertrages auf die geſamte Einfuhr 
aus Deutſchland. Eine Einſchränkung iſt nur inſoweit vorgeſehen, als die Gegen— 
ſtände für den örtlichen Verbrauch beſtimmt ſein müſſen. Daß dieſe Einſchränkung 
auf Waren von der in Rede ſtehenden Art zutrifft, unterliegt keinem Zweifel. 
Andere Einſchränkungen ſieht der Vertrag für die Einfuhr aus Deutſchland aber 
nicht vor. Nach dem Wortlaut des Vertrages erſcheint alſo die Erhebung von Zoll— 
gebühren von derartigen Waren nicht gerechtfertigt. 


Dieſe Zollerhebung entſpricht nach Anſicht der Deutſchen Regierung auch nicht 
dem Geiſt der Beſtimmungen des Vertrages. Wenn der Vertrag die Zollfreiheit 
ſogar den zum erſtenmal aus Deutſchland in das Saargebiet eingeführten Waren 
gewährt, ſo muß dieſe Befreiung erſt recht ſolchen Waren zugute kommen, die aus 
dem Saargebiet ſelbſt kommen und nach vorübergehendem Aufenthalt im deutſchen 
Zollgebiet in das Saargebiet zurückkehren. Da der Vertrag ſolchen Waren Zoll⸗ 
freiheit zuſichert, wenn ſie in das deutſche Zollgebiet eingeführt werden, kann es 
nicht ſeinem Geiſte entſprechen, wenn dieſe Waren bei der Wiedereinfuhr in ihr 
eigenes Urſprungsland einer Zollabgabe unterworfen werden. 


Mit Rückſicht auf vorſtehende Erwägungen bittet die Deutſche Regierung die 
Franzöſiſche Regierung, ihre Zollbehörden im Saargebiet anweiſen zu wollen, daß 
ſie von der Erhebung von Zollgebühren auf Waren der erwähnten Art Abſtand 
nehmen. 


Genehmigen Sie, Herr Miniſterpräſident, den Ausdruck meiner ausgezeichnetſten 
Hochachtung. 


gez. v. Hoeſch. 


Sr. Exzellenz 


dem Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten 
Herrn Briand 


Paris. 


— 311 — 


Nr. 192. 


Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris vom 28. Auguſt 1921, 
betreffend die Erhebung einer Ausfuhrabgabe auf Thomasmehl. 


Deutſche Botſchaft in Frankreich. 
J. Nr. A: 3352. 


Verbalnote. 

Die Deutſche Botſchaft beehrt ſich im Auftrage ihrer Regierung dem Miniſterium 

der Auswärtigen Angelegenheiten folgendes mitzuteilen: 
Die Düngerfabrik Neumühle in Kuſel hat im März d. J. 227,7 Tonnen 
Thomasſchlacke aus dem Saargebiet bezogen. Die franzöſiſche Zollbehörde in Hom— 
burg erhob auf dieſe Sendung eine Ausfuhrabgabe von rund 12000 Mark, teilte 
aber zugleich mit, daß dieſer Betrag zurückvergütet werden würde, wenn der Emp- 
fänger Fuel 4 Wochen durch beglaubigte Beſcheinigung nachweife, daß die Ware 
in ſeine Hände gelangt ſei. Der Empfänger iſt dieſem Verlangen ſofort nachgekom— 
men, doch iſt eine Rückzahlung des Betrages an ihn nicht erfolgt, vielmehr hat ihm 
die Zollbehörde in Homburg mit einem Schreiben vom 28. Mai d. J. mitgeteilt, der 
Betrag müſſe einbehalten bleiben, bis die Generaldirektion der Zölle in Paris ent— 
ſchieden habe, ob die Erhebung der Ausfuhrabgabe zu Recht erfolgt ſei oder nicht. 
Vor einiger Zeit hat nun die Generaldirektion der Zölle dieſe Frage bejaht. 

Soviel der Deutſchen Regierung bekannt, beruht die Erhebung der Abgabe auf 
einem ſpäter wieder aufgehobenen Dekret der Franzöſiſchen Regierung vom 4. Februar 
d. J., durch das eine Ausfuhrabgabe auf phosphorhaltige Schlacke in Höhe von 150 
Franken für 100 Kilogramm brutto eingeführt wurde. Dieſes Dekret iſt nach An— 
ſicht der Deutſchen Regierung mit dem Vertrage von Verſailles nicht vereinbar. Nach 
§ 31 Abſ. 2 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 bes Vertrages darf von Erzeugniſſen der 
Hütteninduſtrie, die aus dem Saargebiet nach dem deutſchen Zollgebiet ausgeführt 
werden, feine Ausfuhrabgabe erhoben werden. Da Thomasmehl ein Nebenprodukt 
des Verhüttungsprozeſſes iſt, iſt dieſe Beſtimmung im vorliegenden Falle anwendbar. 
Außerdem hat die franzöſiſche Zollbehörde, offenbar mit Rückſicht auf dieſe Beſtimmung 
des Verſailler Vertrages, die Rückvergütung der erhobenen Abgabe ausdrücklich zugeſagt. 

Aus dieſen Gründen wäre die Deutſche Regierung der Franzöſiſchen Regierung 
dankbar, wenn ſie die Rückzahlung des erhobenen Betrages anordnen wollte. 


Paris, den 28. Auguſt 1921. 


An 
das Miniſterium der Auswärtigen Angelegenheiten 
| Paris. 
Nr, 193. 


Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris vom 12. September 1921, 
betreffend Zollſyſtem und Markenſchutz. 


Deutſche Botſchaft in Frankreich. 
J. Nr. A. 3636. 


Verbalnote. 

Die Deutſche Botſchaft beehrt ſich im Auftrage ihrer Regierung folgendes zur 
Kenntnis des Miniſteriums der Auswärtigen Angelegenheiten zu bringen: 

Es haben ſich bereits wiederholt Schwierigkeiten daraus ergeben, daß die fran 
zoͤſiſchen Zollbehörden im Saargebiet den Artikel 15 des franzöſiſchen Geſetzes vom 
11. Januar 1892 bei der Einfuhr deutſcher Waren in das Saargebiet zur An— 
wendung bringen. 


21 


— 312 — 


Das Saargebiet iſt zwar nach § 31 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des Ver- 
ſailler Vertrages dem franzöſiſchen Zollſyſtem eingeordnet worden. Jedoch ergibt 
ſich hieraus die Anwendbarkeit des Artikels 15 des franzöſiſchen Geſetzes vom 
11. Januar 1892 nach Anſicht der Deutſchen Regierung nicht ohne weiteres. Dieſer 
Artikel gehört der Zollgeſetzgebung nur inſofern an, als die Zollbehörden mit ſeiner 
Durchführung betraut ſind. Materiell bildet er einen Teil der Geſetzgebung über 
den Markenſchutz. Mit Rückſicht hierauf hat ſeine Anwendung die Geltung des 
franzöſiſchen Markenſchutzrechts zur Vorausſetzung. Nun gilt aber im Saargebiet 
nicht das franzöſiſche, ſondern gemäß § 23 der Anlage zu Artikel 45 bis 50 des 
Verſailler Vertrages das deutſche Markenſchutzrecht, insbeſondere das Geſetz zum 
Schutze der Warenbezeichnungen vom 12. Mai 1894. Ob eine Warenbezeichnung 
im Saargebiet Schutz genießt oder nicht, iſt demnach nach den Beſtimmungen dieſes 
Geſetzes zu beurteilen. Die Anwendung des Artikels 15 des franzöſiſchen Geſetzes 
vom 11. Januar 1892 führt aber dazu, daß gerade die Waren, deren Bezeichnungen 
im Saargebiet geſetzlich geſchützt ſind, von der Einfuhr ausgeſchloſſen und umgekehrt 
Waren mit geſetzwidriger Bezeichnung zugelaſſen werden. Der innere Widerſpruch, 
der hierin liegt, beweiſt, daß für die Anwendung des Artikels 15 des franzöſiſchen 
Geſetzes vom 11. Januar 1892 im Saargebiet kein Raum iſt. 

Aus dieſen Gründen bittet die Deutſche Regierung die Franzöſiſche Regierung, 
die franzöſiſchen Zollbehörden im Saargebiet anweiſen zu wollen, daß ſie den 
Artikel 15 des franzöſiſchen Geſetzes vom 11. Januar 1892 bei der Einfuhr von 
Waren in das Saargebiet nicht mehr in Anwendung bringen. 


Paris, den 12. September 1921. 


An 
das Miniſterium der Auswärtigen Angelegenheiten 
Paris. 


XV. 
Schule und Sprache. 


Nr. 194. 


Die einſchlägigen Beſtimmungen des Vertrages von Verſailles. 
Teil III, Abſchnitt IV, Anlage zu Artikel 45 bis 50. 
$ 14. 


Der franzöſiſche Staat kann jederzeit als Nebenanlagen der Gruben Volksſchulen 
oder techniſche Schulen für das Perſonal und die Kinder des Perſonals gründen 
und unterhalten und den Unterricht darin in franzöſiſcher Sprache nach einem von 
ihm feſtgeſetzten Lehrplan durch von ihm ausgewählte Lehrer erteilen laſſen. 


8 28. 


Die Einwohner behalten unter der Überwachung der Regierungskommiſſion ihre 
örtlichen Vertretungen, ihre religiöſen Freiheiten, ihre Schulen und ihre Sprache. 


, ser Be EN rt 


1 
Nr. 195. 


Verordnungen der Regierungskommiſſion des Saargebiets über den 
Beſuch der Schulen der franzöſiſchen Grubenverwaltung. 


(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 7 vom 24. Juli 1920.) 


a. Verfügung betreffend Schulen der Berg verwaltung. 

Auf Grund der SS 14, 19 und 23 der Anlage zum Abſchnitt IV (Teil III) des 
Friedens vertrags und gemäß ihrem Beſchluſſe vom 7. Juli 1920 verfügt die Re— 
gierungskommiſſion was folgt: 

Einziger Artikel. 
| Die Kinder des Perſonals der Bergverwaltung, welche die gemäß § 14 der er— 
wähnten Anlage des Friedensvertrags von der Bergverwaltung gegründeten Schulen 
beſuchen — ohne Rückſicht auf die Staatsangehörigkeit —, genügen damit den Vor- 
ſchriften des preußiſchen Geſetzes vom 14. Mai 1825 und des bayeriſchen Geſetzes 
vom 4. Juni 1903 über die Schulpflicht. 


Saarbrücken, den 10. Juli 1920. 


Der Präſident der Regierungskommiſſion. 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


b. Verordnung betreffend Benutzung der Schulen der Berg verwaltung, 

Auf Grund der SS 14, 19 und 23 der Anlage zum Abſchnitt IV (Teil III) 
des Friedensvertrags, gemäß der Verfügung der Kgl. Regierung in Trier vom 
13. Juni 1892 und gemäß dem Beſchluſſe der Regierungskommiſſion in der Sitzung 
vom 7. Juli 1920 verordnet die Regierungskommiſſion was folgt: 


Artikel 1. 

Die Schulbehörde kann denjenigen Eltern, die darum einkommen, die Erlaubnis 
erteilen, ihre Kinder in die gemäß § 14 der erwähnten Anlage des Friedensvertrags 
von der Bergverwaltung gegründeten Schulen zu ſchicken, auch wenn die Eltern nicht 
zum Perſonal der Bergverwaltung gehören. 


Artikel 2. 
Die diesbezüglichen Geſuche find unmittelbar an die Regierungskommiſſion (Ab— 
teilung für Kultus und Schulweſen) zu richten. 
Saarbrücken, den 10. Juli 1920. 


Der Präſident der Regierungskommiſſion. 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


Nr. 196. 


Motivenbericht zu den unter Nr. 191 wiedergegebenen Verordnungen. 
(Überſetzung.) 

I. Nach § 14 des Kapitels 1 der Anlage zu Aſchnitt IV (Teil III) des Friedens- 
vertrags vom 28. Juni 1919 »kann der franzöſiſche Staat jederzeit als Nebenanlagen 
der Gruben Volksſchulen oder techniſche Schulen für das Perſonal und die Kinder des 
Perſonals gründen und unterhalten und den Unterricht darin ın franzöſiſcher Sprache nach 
einem von ihm feſtgeſetzten Lehrplan durch von ihm ausgewählte Lehrer erteilen laſſen«. 

Dieſes Recht erſtreckt ſich nicht nur auf das franzöſiſche Perſonal, ſondern auch 
auf das Perſonal jeder anderen Staatsangehörigkeit. Wenn es ſich nur um das 
franzöſiſche Perſonal handeln 3 würde der Text des Vertrags nicht beſonders 


21* 


SIE 


betonen, daß der franzöſiſche Staat den Unterricht in franzöſiſcher Sprache erteilen 
laſſen kann. | 

Um die vollſtändige Anwendung des Vertrags in dieſem beſonderen Punkt zu 
ermöglichen, wird es alſo genügen, durch eine Verordnung bekanntzugeben, daß der 
Beſuch der franzöſiſchen Schulen für alle zum Grubenperſonal gehörenden Eltern die 
Erfüllung der geſetzmäßigen Schulpflicht bedeutet. 


II. In dem Vertrag iſt nur von dem Grubenperſonal die Rede. Es erhebt ſich 
aber die Frage, ob nicht auch andere Schüler die franzöfifchen Schulen beſuchen 
können. In Saarlouis insbeſondere hat eine Anzahl von Einwohnern, die nicht bei 
den Gruben beſchäftigt ſind, den Wunſch geäußert, ihre Kinder in die dort errichtete 
franzöſiſche Schule zu ſenden. Die Gründe, die fie anführen, find u. a. der Wunſch, 
ihren Kindern den Unterricht in beiden Sprachen zu ermöglichen, wie er in den 
franzöſiſchen Schulen gehandhabt wird, und der Wunſch, ſie nach der franzöſiſchen 
Kultur zu bilden. 

Iſt es vom rechtlichen Standpunkt aus möglich, ihren Wünſchen ſtattzugeben? 

Das preußiſche Recht, durch eine ſtändige Rechtſprechung beſtätigt, verpflichtet 
die Kinder preußiſcher Staatsangehörigkeit zum Beſuch der preußiſchen Schulen. 

Aber aus einer Verfügung der Königlichen Regierung in Trier vom 13. Juni 1892 
(vgl. Flügel S. 349) ergibt ſich, daß die Schulbehörden die Ermächtigung zum Beſuch 
anderer Schulen erteilen können. 

Die Rechtsfrage könnte alſo zur Not im bejahenden Sinn entſchieden werden. 

Allerdings ſcheint dieſe Ermächtigung in Preußen eine ganz ausnahmsweiſe ge⸗ 
weſen zu ſein. n | | 
III. Aber bei der beſonderen Lage, in der ſich das Saarbecken befindet, kann 
die Frage nicht lediglich vom Rechtsſtandpunkt aus entſchieden werden. | | 

Man muß den Geiſt des Vertrags in Betracht ziehen. Dieſer Geift beſteht 
darin, den Bewohnern unter der Aufſicht des Völkerbundes das größtmögliche Maß 
von Freiheiten zu gewähren und die Intereſſen und das Wohlergehen der Bevölkerung, 
ſowohl das moraliſche wie das materielle, zu wahren. Unter dieſem Geſichtspunkt 
erfordert das Geſuch einiger Bewohner, für ihre Kinder frei den Unterricht in einer 
franzöſiſchen Schule wählen zu dürfen, ſeitens der Regierung eine grundſätzliche Ent- 
ſcheidung, deren Bedeutung zu unterſtreichen ſich erübrigt. | a] mi 

Eine günftige Entſcheidung der Regierungskommiſſion, die geeignet ift, neue der- 
artige Geſuche um Ermächtigung hervorzurufen, darf die Intereſſenten nicht im un⸗ 
klaren laſſen über die praktiſchen Nachteile, die ſich für ſie daraus ergeben können. 

Es wird erforderlich ſein, die Intereſſenten hierüber ordnungsmäßig zu ver⸗ 
ſtändigen. | 8 

Immerhin erſcheinen die Vorteile, die ſich für fie und ihre Kinder daraus er- 
geben, entſcheidender als die Nachteile: Ein materieller Vorteil liegt in der prak⸗ 
tiſchen Kenntnis der beiden Sprachen in einem Grenzland, ferner in der höheren 
Befähigung, eine Verwendung auf den im Friedensvertrag vorgeſehenen internatio⸗ 
nalen Poſten ſowie bei der Verwaltung der Gruben, Zölle uſw. des Saarbeckens 
verlangen zu können. 

Es beſteht alſo kein Anlaß, ſich grundſätzlich dagegen auszuſprechen, daß den 
Eltern, die ein mit Gründen verſehenes Geſuch um Erlaubnis zum Beſuch der fran⸗ 
zöſiſchen Schulen durch ihre Kinder einreichen, dieſe Erlaubnis erteilt wird; man kann 
nur fragen, auf welchem Wege man ihnen im Rahmen der Geſetze und der Recht⸗ 
ſprechung des Landes ſowie des Friedensvertrags entſprechen kann. | 

Die Ermächtigung zum Beſuch der franzöſiſchen Schulen, die von der Regierungs⸗ 
kommiſſion auf Grund der ihr durch den Friedensvertrag übertragenen Vollmachten 
erteilt wird, hat auf der anderen Seite aber natürlich für die Schulen die Ver⸗ 
pflichtung zur Folge, den Schulvorſchriften des Saarbeckens in Bezug auf das 
Lehrprogramm, auf die Dauer des ſchulpflichtigen Alters und die Regelmäßigkeit des 
Schulbeſuchs Genüge zu leiſten. | | 


— 315 — 


Antragsformular für die Eltern. | 
(berſetzung.) 
Der 1 amen mamen ) l . . e e Nees 
ei. „. dul 
Geburtstag und D re ei 
r e 
r LEER ESSEN ⁰· wirr. 5 
r ß ᷣͤ 
, è Ü˙ , œ omͥͤm é c. BB... ̃ ˙ Rm 


als regelmäßigen Schüler in die franzöſiſche Schule iinns. 
eröffnet gemäß § 14 der Anlage zu Abſchnitt IV (Teil III) des Friedensvertrags, 
A zu dürfen, um dort der Schulpflicht zu genügen. 

Er hat von der in dieſer Schule geltenden Schulordnung Kenntnis genommen 
und wird ſich nach den darin enthaltenen Vorſchriften richten. 

Er beſtätigt, über die Folgen ), die ſich aus der vorliegenden Ermächtigung 
ergeben können, unterrichtet worden zu ſein. 


Unterſchrift: Ermächtigung: 


) Im allgemeinen ſteht die Ausbildung in den Elementarſchulen in der franzöſiſchen Schule auf 
derſelben Stufe wie in einer deutſchen Schule. Es iſt aber anzunehmen, daß ein Schüler, der eine 
franzöſiſche Schule beſucht hat, weder ſeine Ausbildung in den höheren deutschen Lehranſtalten fortſetzen 
noch eine Anſtellung bei einer deutſchen Behörde erlangen können wird. Umgekehrt wird er ſich, da er 
ſowohl das Deutſche wie das Franzöſiſche erlernen wird, um Anſtellungen bewerben können, bei denen 
die Kenntnis beider Sprachen erforderlich iſt. (Dieſe Fußnote ſteht im Formular). 


Nr. 197. 


Werbeſchreiben der Vereinigung der Elſaß⸗Lothringer des Saar— 
beckens für den Beſuch der franzöſiſchen Bergſchulen. 


9 0 nn een N Saarbrücken, den 26. Januar 1921. 


Herrn Präſident der Vereinigung der Elſaß-Lothringer 
PPP 


Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß auf Wunſch mehrerer Saarländer 5 
die Bergwerksdirektion ſich entſchloſſen hat, franzöſiſche Schulen in allen bedeutenden 
ften zu eröffnen. Zweck dieſes gegenwärtigen Schreibens iſt, Sie zu bitten, 
mir in kürzeſter Zeit die Anzahl und das namentliche Verzeichnis der Kinder zukommen 
zu laſſen, deren Eltern Wunſch es wäre, ſie in eine franzöſiſche Schule zu ſchicken. 
Auf dieſem Verzeichnis muß bemerkt ſein, ob die Kinder Franzoſen oder Saarländer 
ſind. Abrigens werden alle, gleich welcher Nationalität ſie ſeien, bereitwilligſt auf— 
genommen. 
Der Unterricht in dieſen Schulen iſt unentgeltlich, wie auch die Belieferung von 
Büchern an bedürftige Kinder. Der Unterricht erſtreckt ſich auf die franzöſiſche und 
deutſche Sprache ſowie auf die wiſſenſchaftlichen Studien. Das Lehrperſonal ſetzt 
ſich aus ſaarländiſchen und franzöſiſchen Lehrern zuſammen. Der Religionsunterricht 
wird durch die Feldgeiſtlichen der verſchiedenen Konfeſſionen erteilt, unterſtützt von 
den Ortsgeiſtlichen. Die geſundheitliche Fürſorge dieſer Schulen ſichert die Geſund— 
heitsabteilung der Bergwerksdirektion. 
Es erübrigt ſich zu erwähnen, daß die Gründer dieſer Schulen von dem 
Wunſche beſeelt ſind, der ſaarländiſchen Bevölkerung und beſonders der Vereinigung 
der Elſaß⸗ Lothringer einen wertvollen Dienſt zu erweiſen. Damit iſt gleichzeitig ge— 


— 316 — 


ſagt, daß alle vernünftigen Wünſche, die eingebracht werden, berückſichtigt werden. 
Insbeſondere können Sprachenkurſe für Erwachſene ins Leben gerufen werden und 
an den für die Teilnehmer bequemſten Stunden ſtattfinden. f 

Ich bitte Sie, Herr Präſident, ſich der Wichtigkeit dieſer meiner Mitteilung 
bewußt zu ſein und ſie ſobald als möglich zur Kenntnis Ihrer Mitglieder zu bringen 
und mir ſodann die vorſtehend erwähnte Liſte zukommen zu laſſen. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner vorzüglichen Hoch⸗ 
achtung. | 

Association des Alsaciens-Lorrains. 
(Unterſchrift) 


Nr. 198. 
Abänderung des Bürgerlichen Geſetzbuchs. 


Verordnung betr. Abänderung der Juſtizgeſetze und der nachſtehend 
bezeichneten Einzelgeſetze)). 
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets Nr. 11 vom 3. Auguſt 1921). 


een e ee 


r Dne Fr ut Ta ar I Kar er uyer Zar 


„ IL ae in. IE. 1 ta u Fee 


iu, la Ti, oe ²mm ' ½ůãa e . oe u 0.0 ‚ ο⏑⏑ 9 


Nr. 199. 
Berichte der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker⸗ 
bundsrat. 


a. Bericht vom 12. Mai 1921. | 
(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 2. Jahrgang, Heft 5/6, S. 630 f.) 
(Aberſetzung.) 


. ee 0 „„ „% „%„0 „ „ „„ „„ „ % „„ „„ „ „%% „ „„ „„ oe 


Unterrichtsweſen. 


Die Regierungskommiſſion hat eine Verordnung angenommen, durch die die 
für Übertretung der Geſetze über den Schulbeſuch vorgeſehenen Geldſtrafen erhöht 
wurden. Dieſe Maßnahme war nötig, um einer ſeit dem Kriege feſtgeſtellten Nach⸗ 
läſſigkeit, deren Folgen unfehlbar verderblich geweſen wären, ein Ende zu machen. 


Die Anträge von Eltern deutſcher Staatsangehörigkeit auf Erteilung der Er- 
laubnis, ihre Kinder in den von den franzöſiſchen Staatsgruben eröffneten Schulen, 
die im Friedensvertrag (§ 14 der Anlage zu Abſchnitt IV Titel III) vorgeſehen find, 
einzuſchreiben, werden immer häufiger. Die Erleichterungen, die ihnen durch die Ver⸗ 
ordnung vom 10. Juli 1920 gewährt worden ſind, ſcheinen einem wirklichen Be⸗ 
dürfnis der Bevölkerung zu entſprechen. In einem Grenzlande wie im Saargebiet 
verſchafft ja auch tatſächlich die Kenntnis beider Sprachen eine offenſichtliche Über⸗ 
legenheit und ſtellt einen wirklichen Vorteil dar. Die Tatſache, daß gewiſſe Kom⸗ 
munalverwaltungen die Einführung des Unterrichts im Franzöſiſchen in den ſtaatlichen 
Volksſchulen beantragt haben, beſtätigt dieſe Anſicht. Die Abteilung für Unterrichts⸗ 


1) Vgl. Nr. 182. 


2) Dieſer Paragraph lautet: »Über die Errichtung des Teſtaments muß ein Protokoll in deutſcher 
Sprache aufgenommen werden. 


— 317 — 


weſen beabſichtigt, in dieſem Punkte dem von der Bevölkerung ausgedrückten Wunſche 
ſtattzugeben und vom Herbſt ab freiwillige Kurſe im Franzöſiſchen für Volksſchüler 
von 10 bis 13 Jahren einzurichten. | 


Was den Lehrkörper der Volksſchulen betrifft, jo find zwei wichtige Maßnahmen 
von der Regierungskommiſſion getroffen worden: 


a) die Bezüge der Lehrer ſind beträchtlich aufgebeſſert worden; 


b) die Befugniſſe der Rektoren, d. h. der Leiter von Volksſchulen, ſind zum 
Gegenſtand einer Neuregelung gemacht worden. 


Der Widerſtand, dem letztere bei der Ausübung ihres Amtes ſeitens der Lehrer 
begegneten, war ſeit mehreren Jahren latent, hatte während des Krieges zugenommen 
und war ſeit der Revolution unerträglich geworden. Der Grundſatz der Autorität 
war ſchwer gefährdet. Mit der Neuregelung der Befugniſſe der Rektoren hat die 
Regierungskommiſſion die Intereſſen der Schule und der Diſziplin gewahrt und dabei 
gleichwohl gewiſſe berechtigte Forderungen zugelaſſen. Die große Mehrzahl der Lehrer 
ſcheint mit dem Beſchluß der Regierungskommiſſion zufrieden zu ſein. Im Oktober 
1920 iſt eine beſondere Kommiſſion eingeſetzt worden, um ein allgemeines Programm 
für eine Schulreform aufzuſtellen. Unter Ausſcheidung extremer Löſungen wie der 
der »Einheitsſchule« hatte fie ſich u. a. von folgendem Grundſatz leiten zu laffen: 
Anderung des geſamten gegenwärtigen Schulſyſtems derart, daß die begabteſten Schüler 
der Volksſchulen im Lauf ihrer Schulzeit ſich zu einem ihrer Veranlagung entſprechen— 
den Studium (Univerſitäts⸗ oder techniſches Studium) vorbereiten und fo leichter zu 
einer höheren Laufbahn gelangen können. 


Dieſe Kommiſſion hat ſoeben ihre Arbeiten beendet. Sie werden unter Leitung 
der Abteilung für Unterrichtsweſen überprüft und vervollſtändigt werden. Dieſe wird 
ſpäter in einem eingehenden Bericht über die erzielten Ergebniſſe Rechnung legen. 
Als natürliche Ergänzung der geplanten Reform wird die Gründung einer techniſchen 
Hochſchule ins Auge gefaßt. Preußen hatte die Errichtung einer ſolchen Schule ſyſte— 
matiſch hinausgeſchoben, um die Jugend des Saargebiets zum Beſuch der Anſtalten 
im Innern Preußens zu zwingen !). Mit der Errichtung einer derartigen, für dieſe 
1 und induſtrielle Gegend unentbehrlichen Anſtalt wird den Wünſchen faar- 
ländiſcher Kreiſe entſprochen werden, die ihre berufliche Ausbildung im Lande ſelbſt 
beendigen zu können wünſchen. 


r , , ß „ „% „ „% „ „ „% „ 60 


| b. Bericht vom 1. Auguſt 1921. 
(Vgl. Druckſachen des Völkerbundes, C. 264. M. 195. 1921. I, S. 10f.) 
(berſetzung.) 


Eger en nie He ie ea re rue 


Unterrichtsweſen, Juſtiz und Kultus. 


1. Der Zuſtrom von Schülern zu den Schulen der Staatsgruben ſowie die 
Anträge, mit denen die Abteilung für Unterrichtsweſen befaßt worden iſt, haben den 
Herrn Grafen von Moltke⸗Huitfeldt, das mit dieſem Zweig der Verwaltung betraute 
Mitglied der Regierungskommiſſion, in der Anſicht beſtärkt, daß ein beträchtlicher Teil 
der Bevölkerung die Einführung des Unterrichts im Franzöſiſchen bei den Volksſchulen 
wünſcht, wie es in dem ihm vorgelegten Bericht der vollſtändig aus Bewohnern des 
Saargebiets zuſammengeſetzten Kommiſſion für Schulreformen auseinandergeſetzt war. 
Er hat daher beſchloſſen, vom Herbſt ab in einer gewiſſen Zahl von Ortſchaften 
fakultative Kurſe im Franzöſiſchen für Volksſchüler von 10 bis 13 Jahren einzu— 


) Bekanntlich iſt Aachen Sitz einer Preußiſchen Techniſchen Hochſchule. 


318 — 


richten. Um das für dieſe Kurſe nötige Perſonal vorzubereiten, iſt zunächſt folgende 
Maßnahme ergriffen worden: Etwa 40 Lehrer und Lehrerinnen ſind zu den Ferien⸗ 
kurſen in Boulogne-ſur-Mer und Nancy entſandt worden, um ſich dort in ihrer 
Kenntnis des Franzöſiſchen zu vervollkommnen. Man hatte zu dieſem Zweck ſolche 
Perſonen ausgeſucht, die auf Grund einer ſchriftlichen und mündlichen Prüfung als 
die Geeignetſten erſchienen. Dieſe Prüfungen waren natürlich freiwillig und bei den 
Bewerbern war vorher angefragt worden, ob ſie gegebenenfalls bereit wären, Kurſe 
in Frankreich mitzumachen. Ferner werden vom Herbſt ab Kurſe zur Vervollkomm⸗ 
nung im Franzöſiſchen für Lehrer und Lehrerinnen in verſchiedenen Orten des Saar⸗ 
gebiets eingerichtet werden, um ſo allmählich die Zahl der Lehrer, die Unterricht im 
Franzöſiſchen erteilen können, zu vermehren. 

2. Vom 1. Auguſt 1921 ab werden die Beamten der Unterrichtsverwaltung und 
der Juſtiz in Franken beſoldet werden. Die ganz überwiegende Mehrzahl wartete auf 
dieſe Löſung, und bei den Abteilungen für das Unterrichtsweſen und für die Juſtiz 
waren Schritte in dieſem Sinne unternommen worden. Die Regierungskommiſſion 
hatte beſchloſſen, grundfätzlich die Bezahlung des Gehalts in Franken den Beamten⸗ 
klaſſen zu bewilligen, die dies amtlich beantragen würden. Ein Antrag dieſer Art iſt 
der Abteilung für Unterrichtsweſen im Laufe des Monats Mai für den Lehrkörper von 
zwei Gymnaſien zugegangen. Dies Beiſpiel hat Nachahmung gefunden. Die ermäch⸗ 
tigten Vertreter der übrigen höheren Lehranſtalten und der Mittelſchulen und ſodann 
der Lehrer und Lehrerinnen der Volksſchulen haben einen entſprechenden Schritt unter⸗ 
nommen, indem ſie ſich dafür verbürgten, daß keiner ihrer Auftraggeber Widerſtand 
leiſten würde. Demgemäß iſt die Beſoldung der Lehrerſchaft in Franken beſchloſſen 
worden. 

Schließlich hat auch der Präſident des Landgerichts in Saarbrücken dem Direktor 
der Juſtizabteilung ein Schreiben übermittelt, worin er im Namen der Juſtizbeamten 
dieſelben Verſicherungen abgab. Es ergibt ſich alſo hieraus, daß gegenwärtig alle 
Staatsbeamten im Saargebiet, ausgenommen ungefähr 50, in Franken beſoldet 
werden. | 

3. Im letzten Bericht war die Neuregelung der Volksſchulleitung erwähnt worden. 
Andere Maßnahmen auf dem Gebiet der Schulreform ſind im Laufe des verfloſſenen 
Vierteljahrs getroffen worden. Die Zahl der Schulinſpektoren iſt vermehrt worden. 
Eine gewiſſe Vernachläſſigung, die dem Krieg und ſeinen Folgen zuzuſchreiben iſt, 
machte nämlich häufigere Inſpektionen nötig. Die durch Geiſtliche ausgeübte Schul⸗ 
inſpektion iſt aufgehoben worden. Dieſe ſehr alte Einrichtung, in Deutſchland durch 
die Einſetzung weltlicher Kreisſchulinſpektoren ſchon ſtark durchlöchert, hat bis zur Re⸗ 
volution als Ortsſchulinſpektion fortbeſtanden. Sie war im Saarbeckengebiet nicht be- 
ſeitigt worden; in einer gewiſſen Anzahl von Kirchenſprengeln waren proteſtantiſche 
und katholiſche Geiſtliche vom Staat noch mit der Überwachung der Schulen und der 
Kontrolle des darin erteilten Unterrichts betraut. Die Regierungskommiſſion hat ge⸗ 
glaubt, den Geiſtlichen dieſe Befugniſſe nicht belaſſen zu ſollen. Die überwältigende 
Mehrheit der Lehrer verlangte ſchon lange, und zwar ohne Unterſchied der Konfeſſion, 
nur der Überwachung durch Fachleute, die aus ihren eigenen Reihen hervorgegangen 
waren, unterſtellt zu werden. Da andererſeits die Religion ein Pflichtfach im Unter⸗ 
richt iſt, ſind im Einvernehmen mit den Bistümern Trier und Speyer alle erforder⸗ 
lichen Maßnahmen ergriffen worden, um die berechtigten Intereſſen der chriſtlichen 
Konfeſſionen hinſichtlich der Erteilung des Religionsunterrichts in der Schule zu wahren. 

Um ferner die Gewiſſensfreiheit zu gewährl eiften, iſt die Frage der Befreiung 
vom Religionsunterricht zum Gegenſtand einer beſonderen Regelung gemacht worden. 
Mit Ausnahme der Schüler der Mittelſchulen kann jedes Kind vom Religionsunter⸗ 
richt befreit werden, wenn beide Eltern dies gemeinſam bei der Schulbehörde bean⸗ 
tragen. Um dieſe wichtige Entſchließung mit den wünſchenswerten Garantien zu um⸗ 
geben, iſt beſtimmt, daß dem Antrag erſt dann endgültig ſtattgegeben wird, wenn er 
im Laufe eines Monats erneuert wird. 


— 319 — 


Im letzten Bericht war erwähnt, daß die Kommiſſion für Schulreformen ihren 
Geſamtplan, mit deſſen Ausarbeitung ſie beauftragt worden war, beendet hatte. Die 
Unterkommiſſion, die die Reform des Lehrplans für die Volksſchulen überprüfen ſoll, 
iſt ſoeben eingeſetzt worden und hat ihre Arbeiten begonnen. Sie ſetzt ſich aus un— 
gefähr vierzig Mitgliedern zuſammen, die nach den Hauptfächern des Volksſchulunter— 
richts in ſieben Gruppen eingeteilt worden ſind. 

Ich bemerke ſchließlich, was die Juſtiz betrifft, daß eine Kommiſſion für Gnaden— 
ſachen eingeſetzt worden iſt und daß die Gerichtsgebühren erhöht worden ſind, um der 
Geldentwertung Rechnung zu tragen. 

Da die Aufmerkſamkeit der Regierungskommiſſion auf die ungünſtige materielle 
Lage des Klerus gelenkt worden war, hat ſie ihm, ohne daß er darum nachgeſucht 
hätte, eine Erhöhung der Bezüge bewilligt. 


eee 


XVI. 


Beſchwerden der Regierungskommiſſion des Saargebiets 
über angebliche Einmiſchungen der deutſchen Regierung. 
Nr. 200. | 


Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an 
die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 21. Dezember 1920. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz 
als Reichskommiſſar für die Übergabe Coblenz, den 21. Dezember 1920. 


des Saargebiets. 
S. No. 3071. 


Herr Präſident! 


8 Die Regierungskommiſſion des Saargebiets hat in letzter Zeit mehrere Bürger- 
meiſter und andere Kommunalbeamte ihres Amtes enthoben und der deutſchen 


Regierung zur Verfügung geſtellt. Dieſe Maßnahme iſt den Beamten gegenüber 
der d 


in der Form erfolgt, daß ihnen mitgeteilt wurde, fie feien von ihren Dienſtgeſchäften 
entbunden oder ſie könnten zur Eidesleiſtung nicht zugelaſſen werden. Ein Grund 
für ſolche Erklärungen iſt meines Wiſſens in keinem Falle angegeben worden. Ins— 
beſondere iſt das Vorgehen der Saarregierung nicht darauf geſtützt worden, daß dem 
Betreffenden Vorwürfe wegen der Art ſeiner Amtsführung zu machen ſeien. Im 
Gegenteil ſcheint es ſich bei dieſen Maßregelungen vorwiegend um ſolche Beamte zu 
handeln, die ihren Dienſt durchaus einwandfrei verſahen und vor allem auch das 
Vertrauen ihrer Gemeinde oder des Kommunalverbandes beſaßen. Ich erwähne als 
Beiſpiel nur den Fall des Bürgermeiſters Pint der Bürgermeiſterei Merzig-Land. 


Ohne unterſuchen zu wollen, ob der von der Saarregierung als Grundlage ihres 
Vorgehens angezogene § 19 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50 des Friedens- 
vertrags ihr das Recht geben würde, gegen unmittelbare Staatsbeamte in der 
beſchriebenen Weiſe zu verfahren, ſehe ich mich im Intereſſe der betroffenen 
Perſonen und Kommunalverbände veranlaßt, die Regierungskommiſſion darauf hin— 
zuweiſen, daß nach dem auch im Saargebiet gültigen Kommunalbeamtenrecht dieſe 
Beamten Angeſtellte des Kommunalverbandes find und nur mittelbar und beſchränkt 
der Gewalt der Landesregierung unterſtehen. Dieſes Verhältnis beſteht und erſchöpft 
ſich in dem der Regierung zuſtehenden Recht der Beſtätigung und der dißziplinariſchen 


— 320 — 


Aufſicht, und zwar in dem Sinne, daß ein einmal beſtätigter Beamter nur im Wege 
des Diſziplinarverfahrens vor Ablauf ſeiner Wahlzeit aus ſeinem Amte entfernt 
werden kann. Eine Zurücknahme der ſtaatlichen Beſtätigung als reine Verwaltungs- 
maßnahme kennt das maßgebende Beamtenrecht nicht. | 


Steht hiernach die mehrfach getroffene Maßnahme der Regierungskommiſſion 
mit dem beſtehenden Recht nicht in Einklang, ſo entſtehen weiterhin in ihrem Gefolge 
ſchwere Unzuträglichkeiten, ja Schädigungen für den Kommunalverband und für den 
Beamten. Erſterer wird vorzeitig einer manchmal ſchwer erſetzlichen Arbeitskraft 
beraubt, anderſeits aber von ſeiner geſetzlichen Verpflichtung, dem abgeſetzten Beamten 
ſeine Dienſtbezüge zu gewähren, fürs erſte nicht befreit, jo daß er ohne Vermögens⸗ 
einbuße nicht in der Lage iſt, deſſen Stelle wieder zu beſetzen. (Hiervon kann ihn auch 
eine etwaige Sperrverfügung der Regierung, da ſie ungeſehlich wäre, nicht entbinden.) 
Der Beamte ſeinerſeits, der unerwartet aus ſeinem Wirkungskreis geriſſen wird, ſieht 
ſich genötigt, ſich um eine andere Stelle zu bemühen und gewöhnlich mit Familie 
nach einem anderen Orte überzuſiedeln, was in heutiger Zeit nicht ohne große 
Schwierigkeiten und geldliche Opfer möglich iſt. Die meiſten Kommunalbeamten, die 
das Saargebiet mehr oder weniger unfreiwillig verlaſſen, wenden ſich nach dem Rheinland 
und ſuchen, ſoweit ſie Preußen ſind, in der Rheinprovinz durch meine Vermittlung 
eine neue Anſtellung zu erhalten. Bei dem großen Andrang, der ohnehin heutzutage 
zu dieſer Laufbahn beſteht, ſehe ich mich aber nur ſelten in der Lage, den Bewerbern 
aus dem Saargebiet entſprechend ihren Wünſchen behilflich zu ſein, zumal infolge der 
innerpolitiſchen Entwicklung die Selbſtändigkeit der Kommunalverbände in der 
Auswahl ihrer Beamten eine weitere Stärkung erfahren hat. 


Bei dieſer Lage der Dinge wird es den entlaſſenen Beamten nicht zu verdenken 
ſein, wenn fie ihre geſetzlichen Anſprüche gegen den Kommunalverband des Saar⸗ 
gebietes, der ſie angeſtellt hat, bis zum äußerſten geltend machen. Den in Anſpruch 
genommenen Kommunalverbänden, die etwa nicht gewillt wären, den Schaden zu 
tragen, würde aber der Weg des zivilrechtlichen Regreſſes an den Fiskus des Saar⸗ 
gebietes offen bleiben. | 


Wenn ich mich darauf beſchränke, die Aufmerkſamkeit der Regierungskommiſſion 
auf dieſe materielle Seite der Angelegenheit zu lenken, ſo geſchieht es, weil ich an⸗ 
nehme, daß die Regierungskommiſſion ſchon bei näherer Würdigung der finanziellen 
Tragweite ihrer Handlungsweiſe geneigt fein dürfte, mit Amtsenthebungen der ge- 
dachten Art innezuhalten. Für den Fall, daß ich mich in dieſer Annahme täuſchen 
ſollte, müßte ich mir und meiner Regierung weitere Vorſtellungen vorbehalten. 


Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ange Hoch⸗ 
achtung. 
gez. von Groote. 


An 


den Präſidenten der Regierungskommiſſion, Herrn Staatsrat Rault, 
Hochwohlgeboren, 


Saarbrücken. 


— 321 — 


Nr. 201. 


Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Reichs— 
kommiſſar für die Übergabe des Saargebiets vom 7. Januar 1921. 


(Aberſetzung.) 
Regierungskommiſſion des Saargebiets. Saarbrücken, den 7. Januar 1921. 
Generalſekretariat. 
S. R. 2523. 
Vertraulich! 


Herr Präſident! 


Ich beehre mich, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 21. Dezember 1920 
zu beſtätigen und kann nicht umhin, Ihnen die Überraſchung auszudrücken, mit der 
ich davon Kenntnis genommen habe. 

»Was die darin behandelte Sache ſelbſt anlangt, fo beſchränke ich mich darauf, 
Sie an den Wortlaut der Verordnung der Regierungskommiſſion vom 16. März 1920 
zu erinnern, der folgendermaßen lautet: 9 

»Artikel I. Als Vertreterin des Völkerbundes im Saargebiet behält die Regierungs— 
kommiſſion die Beamten und Angeſtellten, welche von der deutſchen, preußiſchen und 
bayeriſchen Regierung ernannt oder beſtätigt waren und zur Zeit im Saargebiet im 
Dienſt ſind, in ihren Amtsſtellungen bei. Indeſſen ſteht es ſchon jetzt und während 
eines Verlaufes von 6 Monaten vom Tage an gerechnet, an dem die Verhandlungen 
mit Deutſchland abgeſchloſſen ſein werden, der Regierungskommiſſion frei, auf ihre 
Dienſte zu verzichten und ſie ihren urſprünglichen Regierungen zur Verfügung zu ſtellen.« 

Aus dieſem formellen Wortlaut geht hervor, daß der Regierungskommiſſion das 
Recht zuſteht, die Bürgermeiſter und Kommunalbeamten, die unter die Kategorie der 
von der deutſchen, preußiſchen und bayeriſchen Regierung ernannten oder beſtätigten 
1 und Angeſtellten fallen, ihren urſprünglichen Regierungen zur Verfügung 
zu ſtellen. 

Dies vorausgeſchickt, habe ich die Pflicht, darauf hinzuweiſen, daß es weder der 
deutſchen Regierung noch dem Herrn Reichskommiſſar für die Übergabe des Saar— 
gebietes zuſteht, der Regierungskommiſſion gegenüber die Vertretung oder die Ver— 
teidigung der Intereſſen der Gemeinden oder Kommunalverbände des Gebietes zu über— 
nehmen. Die Regierungskommiſſion allein hat für dieſe Vertretung und für dieſe 
Verteidigung 1 ſorgen: Die Reichsregierung ſowie die preußiſche oder bayeriſche 
Regierung ſind von jeder Verantwortlichkeit gegenüber den Gemeinden oder den 
Kommunalverbänden entbunden, auf deren Verwaltung ſie durch die Unterſchrift des 
Friedensvertrages von Verſailles verzichtet haben. 

Die Regierungskommiſſion erhebt daher formellen Proteſt gegen die unzuläſſige 
Einmiſchung in die Verwaltung des Saargebietes, welche Ihr Schreiben vom 
21. Dezember 1920 darſtellt. 

Des weiteren ergreift ſie dieſe Gelegenheit, um der deutſchen Regierung durch 
Ihre Vermittlung das Erſtaunen auszudrücken, womit ſie von einem am 28. September v. J. 
von der deutſchen Regierung erlaſſenen Beſchluß Kenntnis genommen hat, welcher 
Gegenſtand eines Rundſchreibens des Herrn Reichsminiſters des Innern vom 
13. Oktober iſt. 

Dieſe Urkunde, deren Echtheit keinem Zweifel unterliegt, enthüllt eine unerträg— 
liche Einmiſchung Deutſchlands in die Regierung des Saarbeckens. Die Regierungs— 
kommiſſion wird nicht verfehlen, dem Völkerbund damit zu befaſſen und macht alle 
Vorbehalte hinſichtlich der Folgen, die ſich aus dem Beſchluß der deutſchen Regierung 
vom 28. September v. J. ergeben. 

Die deutſche Regierung hat darin in der Tat ihren Willen bekundet, trotz der 
formellen Beſtimmungen des Friedensvertrags von Verſailles eine unmittelbare Auto— 
rität über die im Dienſte des Saargebiets ſtehenden Beamten zu behalten. 


Be 


Sie läßt ihren Beamten ein beſonderes Aufrückungsſyſtem angedeihen, ergäugt 
in gewiſſen Fälle ihre Bezüge, legt dem von ihnen der Regierungskommiſſion ge⸗ 
leiſteten Eid keinerlei Wert bei, fie erklärt die von Regierungskommiſſion dieſen Be 
amten gegenüber ergangenen Maßregelungen für unwirkſam und unterhält auch 
weiterhin noch unmittelbare Verbindungen mit den örtlichen Beamtenvereinigungen. 


Die deutſche Regierung hat »aus naheliegenden Gründen« von einer Ver⸗ 
öffentlichung des Rundſchreibens des Herrn Reichsminiſters des Innern Abſtand ge- 
nommen; jedoch hat ſie, ohne Vorwiſſen der Regierungskommiſſion, deſſen Wortlaut 
den im Dienſte des Saargebiets ſtehenden Beamten zugeſtellt; ja, ſie hat ihn ſogar 
darüber hinaus noch bei verſchiedenen Verſammlungen von Beamtenvereinigungen 
verleſen laſſen. 


»Ich habe den Herrn Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets«, ſo 
ſagt der Herr Reichsminiſter des Innern, »gebeten, dieſen Beſchluß in geeigneter 
Weiſe zur Kenntnis der nach dem Saargebiet beurlaubten Reichsbeamten zu bringen. 
Ich bitte Sie dringend, ihn den Beamten Ihres Reſſorts bekanntgeben zu wollen, 
ſobald ſich dazu eine paſſende Gelegenheit bietet.« 


Die Regierungskommiſſion beſitzt mithin den Beweis, daß die deutſchen Behörden 
und insbeſondere der Herr Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebietes ohne 
ihr Vorwiſſen unmittelbare Beziehungen zu den im Dienſte der Regierungskommiſſion 
ſtehenden Beamten unterhalten, ihnen Anweiſungen erteilen und ihnen Beſchlüſſe der 
Reichsregierung mitteilen, die geheim gehalten werden ſollen. 

So bekundet ſich alſo in unwiderleglicher Weiſe der Wille dieſer Regierung, 
durch Vermittlung der Beamten und mittels eines geheimen Schriftwechſels noch 
fortdauernd die Verwaltung eines Gebiets auszuüben, auf deſſen Regierung ſie ver⸗ 
zichtet hat. Die Regierungskommiſſion ſtellt dieſe Verletzung des Friedensvertrags 
von Verſailles feſt und behält ſich vor, alle Maßnahmen zu treffen, die ſich infolge 
der durch den Beſchluß vom 28. September 1920 enthüllten Haltung der Deukihtik: 
Regierung als notwendig erweiſen. 

Schließlich habe ich die Pflicht, Herr Präſident, dagegen Einſpruch zu W e 
daß Herr Fuchs, Regierungspräſident in Trier, am 31. Oktober 1920 unmittelbar 
an die Handelskammer Saarbrücken ein Schreiben gerichtet hat, worin er um Aus⸗ 
kunft über die Lage des Arbeitsmarkts hinſichtlich des Baugewerbes und insbeſondere 
bezüglich einer etwaigen Auswanderung der Arbeiter dieſes Gewerbes nach Frankreich 
erſuchte. Auch hier ſtelle ich wiederum die Abſicht eines hohen deutſchen Beamten 
feſt, die Regierungskommiſſion zu übergehen und unmittelbar in die Bieren des 
Gebiets einzugreifen. f 

Die Regierungskommiſſion, entſchloſſen, die ihr vom Völkerbund übertragene 
Aufgabe zu erfüllen und den Beſtimmungen des Friedensvertrags von Verfailles 

Geltung zu verſchaffen, proteſtiert gegen die Einmiſchung, von der ſie vorſtehend drei 
Beiſpiele angeführt hat. Sie bittet Sie, dieſen förmlichen Proteſt zur Kenntnis der 
deutſchen Regierung zu bringen. 

Genehmigen A Herr Präſident, die Verſicherung meiner Guähejölläneten 
Boll e ! | | 1 7 

gez. V. Rault. 


An 


Herrn von Groote, 
Oberpräſidenten der Rheinprovinz, 
enn für die Übergabe des Shi gebiens 


Go benz 


— 323 — 


Nr. 202. 


Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an 
die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 24. Januar 1921. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz 5 b u 
als Reichskommiſſar für die Übergabe Koblenz, den 24, Januar 192], 
des Saargebiets. 
J. Nr. S. 192. 


Herr Präſident! 


Ich beehre mich, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 7. Januar 1921 

— S. R. Nr. 2523 — zu beſtätigen. Ihrem Wunſche gemäß habe ich es zur 
Kenntnis der deutſchen Regierung gebracht. 
Scoweit das Schreiben ſich mit meiner Vorſtellung vom 21. Dezember 1920 
— S. 3071 — befaßt, und ſoweit es gegen mich wu den Regierungspräſidenten 
in Trier Vorwürfe erhebt, ſehe ich mich veranlaßt, ſchon ſelbſt auf ſeinen Inhalt 
einzugehen. 

Die Antwort, die mir auf mein Eintreten für die ihres Amtes enthobenen 
Gemeinde⸗ und Kommunalbeamten zuteil geworden iſt, läßt ein Eingehen auf den 
Kern meiner Ausführungen vermiſſen. Dem Hinweis auf die Verordnung der 
Regierungskommiſſion vom 16. März 1920 kann ich eine durchſchlagende Wirkung 
nicht zuerkennen, zumal, wie ich in meinem weiteren Schreiben vom 30. Dezem— 
ber 1920 — S. 3119 — ausgeführt habe, die Sechsmonatsfriſt des Artikels I jener 
Verordnung zur Zeit der Dienſtenthebung der letzthin entlaſſenen Beamten bereits 
abgelaufen war. 3 
Mit Erſtaunen habe ich von der Beurteilung Kenntnis genommen, die meine 
Hervorhebung der Intereſſen der Gemeinden und Kommunalverbände erfahren hat. 
In dieſem Punkte iſt die Auffaſſung der R'gierungskommiſſion jedenfalls irrig. Wenn 
ich erwähnt habe, daß es auch den Intereſſen der Gemeinden und Kommunalverbände 
widerſpreche, wenn ihre Beamten durch Machtſpruch der Regierung abgeſetzt würden, 
ſo geſchah dies nicht, um die Intereſſen der Gemeindeverbände gegenüber der Re— 
gierungskommiſſion zu vertreten, ſondern vielmehr, um die Regierungskommiſſion in 
ihrem eigenen Intereſſe auf die geſetzlichen Bedenken und die ſchädigenden Folgen 
ihrer Handlungsweiſe aufmerkſam zu machen. Mit meiner Aufgabe, die Verwaltung 
des Saargebiets der Regierungskommiſſion zu übergeben, würde es meines Erachtens 
nicht zu vereinigen ſein, jedenfalls aber ſcheint es mir gegen eine Anſtandspflicht 
gegenüber der Regierungskommiſſion zu verſtoßen, wenn ich derartige Hinweiſe unter— 
laſſen wollte. Eine unzuläſſige Einmiſchung in die Verwaltung des Saargebiets und 
die Befugniſſe der Regierungskommiſſion habe ich alſo nicht beabſichtigt. Sie kann 
in meinen Ausführungen bei unvoreingenommener Prüfung auch nicht gefunden werden. 


Was ſodann meine Beteiligung an der Bekanntgabe des Reichskabinettsbeſchluſſes 
vom 28. September 1920 anbelangt, ſo beſchränkt ſie ſich darauf, daß ich gelegentlich 
einzelnen Beamten, die meine Referenten mündlich um Auskunft baten, den Inhalt 
des Beſchluſſes habe mitteilen laſſen. Ein Briefwechſel zwiſchen Beamtenverbänden 
des Saargebiets und mir hat dagegen nicht ſtattgefunden. Noch viel weniger habe 
ich den Beamten des Saargebiets Anweiſungen erteilt oder den Beſchluß in ihren 
Verſammlungen verleſen laſſen. 

Ich vermeide es vielmehr peinlichſt, mit den im Dienſte der Regierungskommiſſion 
ſtehenden Beamten unmittelbare Beziehungen zu unterhalten. Dabei gewinne ich 
allerdings immer mehr die berzeugumg, daß gerade dieſes Verhalten der Heritellung 
vertrauensvoller Beziehungen zwiſchen der Regierungskommiſſion und ihren Beamten 
eher hinderlich als förderlich iſt, da es mir die Gelegenheit nimmt, nach beiden Seiten 
aufklärend und vermittelnd zu wirken. 


a 


„In der ſchließlich von Ihnen beanſtandeten Tatfache, daß der Regierungspräſident 
von Trier eine unmittelbare Anfrage an die Handelskammer in Saarbrücken gerichtet 
habe, um Auskunft über die Lage des Arbeitsmarktes zu erhalten, kann ich ebenfalls 
nicht einen Verſuch erblicken, in die Verwaltung des Gebietes einzugreifen. Derartige 
unmittelbare Auskunftserſuchen pflegen meines Wiſſens ſelbſt die Vertreter fremder 
Nationen an die Handelskammern des Landes, bei deſſen Regierung ſie beglaubigt 
ſind, zu richten, ohne daß letztere Anſtoß daran nimmt. Um ſo mehr muß es zuläſſig 
ſein, daß eine deutſche Behörde eine deutſche Handelskammer in einer wirtſchaftlichen 
Frage unmittelbar um Auskunft bittet, wenn das deutſche Gebiet, in dem die Handels— 
kammer ihren Sitz hat, unter einer neutralen Regierung ſteht. | 
Im übrigen kann ich nicht unterlaſſen zu bemerken, daß gerade der Regierungs⸗ 
präſident Fuchs durch ſein entgegenkommendes Verhalten viel dazu beigetragen hat, 
um es der Regierungskommiſſion zu erleichtern, die Verwaltung des Saargebiets zu 
organiſieren. 
Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 
| gez. von Groote. 


An 
den Präſidenten der Regierungskommiſſion 
für das Saargebiet, Herrn Staatsrat Rault, 
Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


Nr. 203. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 22. April 1921. 


Auswärtiges Amt. 58 5 
4 Berlin, den 22. April 1921. 


Herr Präſident! 


Der Herr Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets hat mir Kenntnis 
von Ihrem an ihn gerichteten Schreiben vom 7. Januar gegeben, worin Sie gegen 
drei Fälle von angeblichen Einmiſchungen deutſcher Behörden in die Verwaltung des 
Saargebiets Einſpruch erheben. 0 

Ich beehre mich, Ihnen zu erwidern, daß die Deutſche Regierung Ihre Aus⸗ 
führungen ſorgfältig geprüft hat, jedoch Ihre Beſchwerden nicht als begründet an⸗ 
erkennen kann. 8 

Soweit in Ihrem Schreiben Vorwürfe gegen den Herrn Reichskommiſſar erboben 
ſind, hat dieſer bereits ſelbſt in ſeiner Antwort vom 24. Januar die Regierungs⸗ 
kommiſſion darüber aufgeklärt, daß ſie ſein Schreiben vom 21. Dezember, das er an⸗ 
läßlich der Amtsenthebung von verſchiedenen Gemeinde- und Kommunalbeamten an 
die Regierungskommiſſion gerichtet hatte, nicht zutreffend auffaſſe. Die Deutſche Re⸗ 
gierung iſt derſelben Anſicht. Sie kann in dieſem Schreiben nicht die Abſicht erblicken, 
ſich in die Rechte der Regierungskommiſſion einzumiſchen, ſondern nur den Wunſch, 
die Regierungskommiſſion über die rechtlichen Folgen der Amtsenthebungen aufzuklären. 
An der Angelegenheit iſt die Deutſche Regierung übrigens inſofern unmittelbar inter⸗ 
eſſiert, als ſie für die ihres Amtes enthobenen Beamten ſorgen muß. 

Der weitere Einſpruch, den Sie erheben, weil der Herr Regierungspräſident in 
Trier unmittelbar eine Auskunft von der Handelskammer in Saarbrücken erbeten 
hat, iſt ebenſowenig begründet. Bei den preußiſchen Handelskammern gehen häufig 
unmittelbare Anfragen von fremden Konſulaten des In- und Auslandes, von anderen 


ge 


fremden Behörden, ja ſogar von fremden Regierungen ein. Das auch für die 
Saarbrücker Handelskammer geltende preußiſche Handelskammergeſetz verbietet den 
Handelskammern die Beantwortung derartiger Anfragen nicht. Übrigens iſt ein ein- 
faches Erſuchen um Auskunft noch nicht eine Einmiſchung in die Verwaltung. 


Über den Beſchluß, den die Reichsregierung am 28. September v. J. hinſichtlich 
der Beamten im Saargebiet gefaßt hat, iſt folgendes zu bemerken: 


Die Deutſche Regierung hat von Anfang an die beſonderen Schwierigkeiten vor— 
ausgeſehen, die die Frage der Sicherſtellung der Beamten für das Saargebiet mit 
ſich bringen muß. Die deutſchen Reichs- und Staatsbeamten ſind durch die heimiſche 
Beamtengeſetzgebung, insbeſondere die Geſetze über die Ruhegehälter und die Witwen— 
und Waiſengelder, an eine ſehr weitgehende Sicherſtellung ihrer und ihrer Hinter— 
bliebenen Zukunft gewöhnt. Da das Saargebiet nach dem Friedensvertrag voraus— 
ſichtlich nur eine auf 15 Jahre beſchränkte Lebensdauer hat, kann es der Natur der 
Sache nach den Beamten nicht dieſelbe Sicherung gewähren. Aus dieſer Erkenntnis 
heraus hatte die Deutſche Regierung in Übereinſtimmung mit den Wünſchen der Be— 
amtenſchaft die Abſicht, dieſer mangelnden Sicherheit durch einen Vertrag zwiſchen dem 
Deutſchen Reich und der Regierungskommiſſion abzuhelfen. Darauf iſt leider die 
Regierungskommiſſion nicht eingegangen, ſondern fie hat verſucht, die Fragen ein- 
ſeitig durch Erlaß eines Beamtenſtatuts zu löſen. Dieſe Löſung war aber unvoll- 
ändig und mußte unvollſtändig fein, weil, wie geſagt, das Saargebiet als ein 
vorübergehendes Gebilde nicht dieſelben Bürgſchaften wie das Deutſche Reich 
gewähren kann. i g 


So wurden nun das Deutſche Reich und der Preußiſche und Bayeriſche Staat 
gezwungen, auch ihrerſeits einſeitig vorzugehen. Es handelt ſich um Beamte, die mit 
Rückſicht auf ihre teilweiſe ſchon langjährigen, dem Reiche und den Ländern geleiſteten 
Dienſte wohlerworbene Rechte beſaßen. 


Bei den deutſcherſeits erlaſſenen Richtlinien iſt aber peinlichſt darauf Bedacht 
genommen worden, die beiden Seiten in der eigentümlichen Rechtslage der deutſchen, 
in den Dienſt des Saargebiets übergetretenen Beamten ſtreng auseinanderzuhalten: die 
Rechte gegenüber der Regierungskommiſſion und die Rechte gegenüber der deutſchen 
Heimatregierung. 

Einzig und allein die Rechtsverhältniſſe der letzteren Art werden durch die 
Beſchlüſſe der Regierungen des Reichs, Preußens und Bayerns geregelt. Deutlich 
kommt dies zum Ausdruck in der Beſtimmung, daß die Ablegung des Eides gegen— 
über der Regierungskommiſſion die Rechtsſtellung der Beamten gegenüber ihrer 
Heimatregierung nicht berühre, und daß daher eine Eidesverweigerung nicht als 
begründet angeſehen werden könne. Hierin kann in keiner Weiſe auch nur eine Ab— 
ſchwächung der Bedeutung des der Regierungskommiſſion geleiſteten Eides erblickt 
werden. Auch alle übrigen Beſtimmungen des Beſchluſſes der Reichsregierung berühren 
die Rechte der Regierungskommiſſion in keiner Weiſe, ſondern beziehen ſich nur auf 
das Verhältnis der Beamten zur Reichsregierung. 


Im übrigen ſind derartige Beſtimmungen bei Beurlaubung von Beamten in die 
Dienſte einer fremden Regierung häufiger getroffen worden, ohne daß dies jemals 
Anlaß zu einem Einſpruch dieſer fremden Regierung gegeben hätte. Üblich ſind ins— 
beſondere die Beſtimmungen über die Garantie des nach deutſchem Reichsrecht fälligen 
Dienſteinkommens und über die Berechnung des Ruhegehalts-Dienſtalters. Dieſe 
Punkte ſind in Ihrem Schreiben irrtümlich als »beſonderes Beförderungsſyſtem« und 
»Ergänzung der Dienſtbezüge« bezeichnet; tatſächlich iſt hiervon an keiner Stelle des 
Beſchluſſes der Reichsregierung die Rede, weshalb ich vermute, daß Ihnen eine un— 
genaue Überſetzung dieſes Beſchluſſes vorgelegen hat. Daß die diſziplinariſchen Maß— 
nahmen der Regierungskommiſſion für die Rechtsſtellung der Beamten zu ihrer 
Heimatregierung nicht ohne weiteres als maßgeblich anerkannt werden können, iſt 
ſelbſtverſtändlich. 


Wenn die Reichsregierung von einer Veröffentlichung ihres Beſchluſſes abgeſehen 
hat, ſo geſchah es lediglich mit Rückſicht darauf, daß die Deutſche Regierung die 
Hoffnung auf ein ſchließliches Zuſtandekommen eines Beamtenvertrages mit der 
Regierungskommiſſion noch nicht endgültig aufgegeben hat und natürlich ihre Stellung 
in dieſen Verhandlungen nicht durch Bekanntwerden ihrer einſeitigen Zugeſtändniſſe 
an die Beamtenſchaft ſchwächen wollte. Dagegen enthält der Beſchluß nichts, was 
das Licht der Offentlichkeit zu ſcheuen braucht. 

Es lag ſomit keinerlei Anlaß vor, in dieſem lediglich durch die Fürſorge für 
ihre alte Beamtenſchaft diktierten Vorgehen der Deutſchen Regierung geheime Pläne 
und Abſichten auf eine Verwaltung des Saargebiets durch Vermittlung der Beamten 
und mit Hilfe einer geheimen Korreſpondenz zu vermuten. a 

Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker⸗ 
bundes überſandt. | | 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch⸗ 
achtung. | 057 

gez. Simons. 
An 


die Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
zu Händen des Präſidenten, 
Herrn Staatsrats Rault, 
Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


Nr. 204. 
Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund vom 22. April 1921. 


Auswärtiges Amt. 8 5 1 
Nr. II S. G. 345. Berlin, den 22. April 1921. 


Herr Generalſekretär! 


Der Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets hat an den Herrn 
Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets am 7. Januar d. J. ein Schreiben 
gerichtet, worin er wegen angeblicher Einmiſchung der Deutſchen Regierung in die 
Verwaltung des Saargebiets Einſpruch erhebt. x | 

Ich beehre mich, Ihnen anbei eine Abſchrift dieſes Schreibens zugehen zu laſſen 
zugleich mit einer Abſchrift meines Antwortſchreibens, aus dem hervorgeht, daß der 
Einſpruch der Regierungskommiſſion unbegründet iſt. N 

Indem ich eine franzöſiſche Überſetzung dieſes Schreibens und meines Schreibens 
an den Herrn Präſidenten der Regierungskommiſſion beifüge, bitte ich Sie, Herr 
Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung entgegennehmen 
zu wollen ). a 
| gez. Simons. 

An 
den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes, 


den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond, 
KO. M. G., GB. 


Genf. 


) Der Note ſind Abſchriften der unter Nr. 201 und 203 wiedergegebenen Noten beigefügt worden. 


Nr. 205. 


Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an die deutſche 
Regierung vom 29. Januar 1921. 


(Überſetzung.) 


gier iſſion des Saargebiets. 8 | 
a a 9 Saarbrücken, den 29. Januar 1921. 


Pr Herr Minifter! 


Der Herr Reichsminiſter des Innern hat an die Polizeiverwaltung in Saarbrücken 
folgende Erlaſſe gerichtet: 


I. am 22. Januar ein Telegramm an die »Staatliche Polizeiverwaltung Saar— 
brücken« mit der Weiſung, den zur Volksabſtimmung in Oberſchleſien reiſenden Per— 
ſonen unentgeltlich Ausweiskarten auszuſtellen; 


2. am 25. Januar ein Telegramm an die » Polizeidirektion Saarbrücken«, worin 
der Inhalt eines Abkommens zwiſchen der deutſchen und der polniſchen Regierung 
über den Verkehr der polniſchen Kuriere wiedergegeben wurde, die die Verbindung 
zwiſchen den in verſchiedenen Orten Deutſchlands gegründeten polniſchen Vereinigungen 
und Oberſchleſien herſtellen; dieſes Telegramm wies die Polizeidirektion in Saarbrücken 
an, alle geeigneten Maßnahmen für die Kontrolle und die Schließung des Gepäcks 
dieſer Kuriere zu treffen; 


3. ein Zirkularſchreiben vom 25. Januar — 08 159 —, gerichtet an »Alle 
ſtaatlichen Polizeiverwaltungen«, worin der vollſtändige Text des in dem obigen 
Telegramm erwähnten deutjch-polnifchen Abkommens mitgeteilt und die in dieſem 
Telegramm enthaltenen Weiſungen beſtätigt wurden. 


Namens der Regierungskommiſſion des Saargebiets erhebe ich in nachdrücklichſter 
Form Einſpruch dagegen, daß der Herr Reichsminiſter des Innern den Polizeibehörden 
des Saargebiets Weiſungen erteilt, noch dazu auf unmittelbarem Wege. Der Anlaß, 
aus dem dieſe Weiſungen erteilt worden find, iſt noch ſeltſamer, da es ſich um ein 
Abkommen zwiſchen der deutſchen und der polniſchen Regierung handelt, alſo eine 
Angelegenheit, die das Saargebiet in keiner Weiſe berührt. 

Ich wäre Eurer Exzellenz dankbar, wenn Sie Ihren Kollegen, den Herrn Miniſter 
des Innern, daran erinnern wollten, daß im Saargebiet die Regierungskommiſſion 
allein alle Befugniſſe ausübt, die bisher dem Deutſchen Reich, Preußen und Bayern 
zuſtanden, und daß es für die der Regierungskommiſſion unterſtellten Polizeiver— 
waltungen oder andere Behörden nicht in Frage kommen kann, von deutſchen, folglich 
fremden Behörden, irgendeine Anweiſung entgegenzunehmen. 

Ich werde es nicht unterlaſſen, den Rat des Völkerbundes von dieſer neuen, ſich 
an eine ſchon recht lange Reihe anſchließenden Verletzung der Beſtimmungen des 
Vertrages von Verſailles über das Saargebiet in Kenntnis zu ſetzen, auch mache ich 
alle Vorbehalte bezüglich der Folgen, zu denen dieſer Zwiſchenfall Anlaß bieten kann. 

Genehmigen Sie, Herr Miniſter, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung. 


gez. V. Rault. 
Seiner Exzellenz 


Herrn Dr. Simons, Miniſter des Auswärtigen, 
Berlin. 


— 328 — 


Nr. 206. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 17. Februar 1921. | 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 17. Februar 1921. 
Nr. II. S. G. 315. | 


Herr Staatsrat! 


Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 29. Januar 
zu beſtätigen, worin Sie namens der Regierungskommiſſion Einſpruch dagegen er⸗ 
heben, daß der Herr Reichsminiſter des Innern den Polizeibehörden im Saargebiet 
Weiſungen erteile. 


Bei den drei Fällen, die Sie in Ihrem Schreiben erwähnen, handelt es ſich in 
der Tat um bedauerliche Verſehen, die ich zu entſchuldigen bitte. Ich habe das Er- 
forderliche veranlaßt, um der Wiederholung derartiger Verſehen vorzubeugen. 


Zur Erklärung der vorgekommenen Verſehen muß ich einige erläuternde Worte 
hinzufügen. Die in Ihrem Schreiben angeführten drei Anweiſungen an die Polizei⸗ 
behörde in Saarbrücken, die übrigens nicht von dem Reichsminiſterium, ſondern von 
dem Preußiſchen Miniſterium des Innern ausgegangen ſind, ſtellen Runderlaſſe dar, 
die an alle Regierungspräſidenten und an alle ſtaatlichen Polizeiverwaltungen in 
Preußen gerichtet waren. Bei derartigen Erlaſſen wird, wie übrigens aus dem 
Rundſchreiben vom 25. Januar — O. S. 159 — zu erſehen iſt, von den verant⸗ 
wortlichen Beamten lediglich eine Sammeladreſſe, wie z. B. »An alle ftaatlichen 
Polizeiverwaltungen« oder »An alle Polizeipräſidenten« angegeben, während die 
Adreſſierung im einzelnen von Kanzleibeamten an der Hand von Adreſſenliſten er⸗ 
folgt. In den vorliegenden Fällen iſt, wie die Ermittelungen ergeben haben, eine 
alte Adreſſenliſte verwendet worden, in der die Polizeiverwaltung in Saarbrücken 
noch nicht geſtrichen war. 

Es handelt ſich alſo nicht, wie Sie in Ihrem Schreiben anzunehmen ſcheinen, 
um einen abſichtlichen Verſtoß gegen die Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles, 
ſondern um ein ohne Kenntnis eines leitenden Beamten untergelaufenes büro— 
techniſches Verſehen. 


Wenn Sie am Schluſſe Ihres Schreibens von einer langen Lifte von Vertrags⸗ 
verletzungen ſprechen zu ſollen glauben, ſo kann ich dieſen Vorwurf nur mit aller 
Entſchiedenheit zurückweiſen. Falls wirklich einzelne Behörden Maßnahmen getroffen 
haben ſollten, die mit dem Vertrag von Verſailles nicht vereinbar ſind, ſo kann es 
ſich, wie im vorliegenden Falle, nur um einfache Verſehen oder Mißverſtändniſſe 
handeln, die übrigens bei der beſonders verwickelten Regelung, die der Vertrag von 
Verſailles für das Saargebiet getroffen hat, nicht unerklärlich find. Wie die vor⸗ 
liegende Angelegenheit beweiſt, bin ich gern bereit, derartige Verſehen abzuſtellen. 
Nachdrücklich muß ich aber gegen den Verſuch der Regierungskommiſſion Stellung 
nehmen, ſo geringfügige, als bloße Verſehen leicht erkennbare Vorkommniſſe wie das 
vorliegende zu Vertragsverletzungen zu ſtempeln. Von einer langen Reihe von Ver⸗ 
tragsverletzungen iſt mir zudem nichts bekannt, auch hat die Regierungskommiſſion 
ſolche Verletzungen bei mir nicht zur Sprache gebracht, abgeſehen von einem Schreiben 
an den Herrn Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets vom 7. Januar, 
auf das ich noch zurückkommen werde!). N 


) Vgl. Nr. 201, 202 und 203. 


nr EEE TR, 


= 


Eine Abſchrift dieſes Schreibens habe ich dem Herrn Generalſekretär des Völker— 
bundes zugehen laſſen. 
Genehmigen Sie, Herr Staatsrat, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 


Hochachtung. 
In Vertretung 


gez. von Haniel. 
An 


die Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 
Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


Nr. 207. 


Note der deutſchen Regierung an den Völkerbund 
vom 17. Februar 1921. 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 17. Februar 1921. 
Nr. II S. G. 315. 


Herr Generalſekretär! 


Der Herr Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets hat am 29. Januar 
ein Schreiben an mich gerichtet, in dem er Beſcherde darüber erhebt, daß der Herr 
Reichsminiſter des Innern die Polizeibehörde in Saarbrücken mit Weiſungen verſehe. 

Eine Abſchrift dieſes Schreibens ſowie meiner Antwort, die ich dem Herrn 
Präſidenten der Regierungskommiſſion erteilt habe, beehre ich mich Ihnen anbei nebſt 
einer Überſetzung in franzöſiſcher Sprache zu überſenden ). 

Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 

In Vertretung 
gez. von Haniel. 
An 


den Herrn Generalſekretär des Völkerbundes, 
den Ehrenwerten Sir James Erie Drummond, 
m eM, ., C. B,, 


Genf. 


Nr. 208. 


Bericht der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Völker— 
bundsrat vom 25. Januar 1921. 


(Vgl. Journal Officiel des Völkerbundes, 2. Jahrgang, Heft 2, S. 206f.) 
(berſetzung.) 
Einmiſchungen der deutſchen Regierung. 


eee 


Die Beſchlüſſe der Regierungskommiſſion, über die vorſtehend berichtet worden 
iſt, haben ſeitens des Herrn von Groote, Oberpräſidenten der Rheinprovinz und 
Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets, eine Einmiſchung hervorgerufen, 
die hier erwähnt zu werden verdient. Übrigens iſt bereits die Aufmerkſamkeit des 


) Der Note find Abſchriften der unter Nr. 205 u. 206 wiedergegebenen Noten beigefügt worden. 


22* 


Herrn Generalſekretärs des Völkerbundes auf dieſe Einmiſchung durch ein Schreiben 
vom 11. Januar gelenkt worden, womit ich die Ehre hatte, ihm Abſchrift des Schrift- 
wechſels mit Herrn von Groote zu überſenden. e 
Der Herr Reichskommiſſar hat der Regierungskommiſſion das Recht beſtritten, 
ihrer Urſprungsregierung unmittelbare oder mittelbare (d. h. im vorliegenden Falle 
Bürgermeiſter oder Bürgermeiſterſekretäre) Beamte zur Verfügung zu ſtellen, die die 
Regierungskommiſſion nicht in ihren Dienſten behalten zu ſollen glaubte. Es konnte 
ihm leicht erwidert werden, daß die Regierungskommiſſion dieſes Recht auf Grund 
des Friedensvertrags von Verſailles und der Beſtimmungen in ihren Verordnungen 
vom 16. März und 29. Juli 1920 beſitzt. Der Präſident iſt ferner genötigt geweſen, 
in einem Schreiben vom 7. Januar, deſſen Wortlaut die Kommiſſion einſtimmig 
genehmigt hat, Herrn von Groote darauf hinzuweiſen, daß er ſich, indem er die 
Beamten aufreize, die Beſchlüſſe der Regierungskommiſſion nicht anzuerkennen, und 
indem er ihre Verteidigung gegenüber der Regierungskommiſſion übernehme, ſich im 
Namen der deutſchen Regierung in die Regierung des Saargebiets einmiſche. 


Dieſer Einſpruch war um ſo notwendiger, als die Regierungskommiſſion ſeit 
einigen Tagen im Beſitz einer Urkunde war, die ich meinem angezogenen Schreiben 
vom 11. Januar in Abſchrift beizufügen die Ehre hatte. Es handelt ſich um ein 
vertrauliches Rundſchreiben des Herrn Reichsminiſters des Innern, datiert vom 
13. Oktober, worin ein von dem Reichskabinett am 28. September gefaßter Beſchluß 
wiedergegeben iſt. 

Dieſes Rundſchreiben ſagt, daß die in Dienſten der Regierungskommiſſion ſtehenden 
deutſchen Beamten »deutſche Beamte« bleiben, daß ſie ohne Beteiligung der Regierungs⸗ 
kommiſſion von der deutſchen Regierung befördert werden ſollen, daß ſie keinesfalls 
der Regierungskommiſſion den Eid verweigern dürfen, daß aber dieſer Eid in keiner 
Weiſe ihr Verhältnis gegenüber Deutſchland ändert, daß die von den ſaarländiſchen 
Behörden getroffenen diſziplinariſchen Maßnahmen ohne Wert ſind, daß die im Saar⸗ 
gebiet verbrachte Dienſtzeit den Beamten befondere Vorteile einbringe uſw. Das 
Rundſchreiben bekundet den Willen Deutſchlands, feine Autorität über die im Saar— 
gebiet in Dienſt ſtehenden Beamten zu betonen und durch deren Vermittlung das 
Gebiet zu verwalten. 

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Haltung der deutſchen Regierung, ſo wie 
ſie durch dieſe Urkunden enthüllt wird, eine flagrante Verletzung der Beſtimmungen 
des Friedensvertrages von Verſailles darſtellt. Der Herr Reichsminiſter des Innern 
erkennt dies übrigens mittelbar ſelbſt an, indem er ſchreibt, daß er »aus naheliegenden 
Gründen« auf eine Veröffentlichung des Beſchluſſes des Reichskabinetts verzichtet habe, 
aber er hat ſich nicht gefürchtet, hinzuzufügen, daß er den Herrn Oberpräſidenten und 
Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets auffordere, den Beſchluß »in 
geeigneter Weiſe« zur Kenntuis der Beamten des Saargebiets zu bringen, und 
daß er die Reſſortchefs auffordere, die im Saargebiet wohnenden Beamten ihres 
Geſchäftsbereichs bei jeder ſich bietenden günſtigen Gelegenheit von dem Beſchluß 
in Kenntnis zu ſetzen. 

So beſitzt die Regierungskommiſſion den Beweis, daß durch Vermittlung des 
Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets ihren Beamten geheime An⸗ 
weiſungen gegeben werden. Sie hat übrigens erfahren, daß der Wortlaut des Rund— 
ſchreibens im Saargebiet verteilt und auf verſchiedenen Zuſammenkünften der Beamten⸗ 
vereinigungen verleſen worden iſt. Gleichlautende Beſchlüſſe, wie die der Reichs— 
regierung, ſind von der preußiſchen und bayeriſchen Regierung gefaßt worden. Die 
Regierungskommiſſion beſitzt ein Rundſchreiben der preußiſchen Regierung vom 
23. Oktober, deſſen Wortlaut, von einigen Anderungen abgeſehen, derſelbe iſt wie der 
des Rundſchreibens des Reichsminiſters des Innern vom 13. Oktober. 5 

Es ſteht alſo feſt, daß die deutſche Regierung ſich heimlich in die Regierung 
eines Gebietes einmiſcht, auf deſſen Verwaltung ſie durch die Unterzeichnung des 
Friedensvertrags von Verſailles für 15 Jahre verzichtet hat. Das am 7. Januar 


an Herrn von Groote gerichtete Schreiben erwähnte noch eine andere Einmiſchung 
eines hohen preußiſchen Beamten, nämlich des Herrn Regierungspräſidenten in Trier, 
der am 31. Oktober v. J. unmittelbar an die Handelskammer in Saarbrücken ein 
Schreiben gerichtet und darin um Auskunft über den Arbeitsmarkt bezüglich des 
Baugewerbes und insbeſondere über eine etwaige Abwanderung von Arbeitern dieſes 
Gebietes nach Frankreich gebeten hatte. Ich habe ſo nochmals die von einem hohen 
preußiſchen Beamten bekundete Abſicht feſtſtellen müſſen, die Regierungskommiſſion 
zu umgehen. 

Dieſe konnte nicht darauf verzichten, einen formellen Proteſt gegen dieſe Ein— 
miſchung der deutſchen Behörden in das Saargebiet zu erheben; fie hat alle Vor- 
behalte hinſichtlich der Folgen gemacht, die derartige Zwiſchenfälle mit ſich bringen. 
Bisher iſt auf ihr Schreiben vom 7. Januar noch keine Antwort eingegangen. 
Seit dieſer Zeit hat der preußiſche Herr Miniſter des Innern geglaubt, unmittel— 
bar und auf telegraphiſchem Wege dem Polizeidirektor der Stadt Saarbrücken An— 
weiſungen bezüglich der den Bewohnern des Saargebiets, die zur Teilnahme an der 
Volksabſtimmung in Oberſchleſien berechtigt waren, zu gewährenden Erleichterungen 
erteilen zu können. Dieſe Erleichterungen werden natürlich durch meine Behörden 
gewährt werden, aber es iſt unzuläſſig, daß der preußiſche Miniſter des Innern ohne 
Wiſſen der Regierungskommiſſion den Behörden des Gebiets Anweiſungen erteilt. 

Ich erinnere endlich, wie ich ſchon die Ehre hatte, in einem am 16. Oktober v. J. 
an den Herrn Generalſekretär gerichteten Schreiben zu erwähnen, daß Herr von Groote 
ſich ſtändig des Titels »Saarkommiffar«') bedient. Dieſe Abkürzung ſeines richtigen 
Titels »Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets« iſt geeignet, die pein— 
lichſten Mißverſtändniſſe hervorzurufen. Sie iſt gleichſam das Symbol des Willens 
der deutſchen Regierung, die der Regierungskommiſſion übertragenen Rechte nicht an— 
zuerkennen. 


Et ·ĩĩ ·ͤ ô—c—«⁵ܲð—an» ⅛ . „% „%% „„ „„ „ 


Nr. 209. 


Note der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den Reichskommiſſar 
für die Übergabe des Saargebiets vom 19. Januar 1921. 


(berſetzung.) 


Regierungskommiſſion des Saargebiets. 
Generalſekretariat. Saarbrücken, den 19. Januar 1921. 
Nr. 2793. 


Der Staatsrat, Präſident der Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
an 
Herrn von Groote, Oberpräſidenten der Rheinprovinz, 
Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets, 


Coblenz. 
Herr Präſident! 
Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 12. Januar, 


Nr. 63, zu beſtätigen und beeile mich darauf ſofort zu antworten, um jedes Miß— 
verſtändnis zu rermeiden. 


) Es handelt ſich nicht um einen Titel, ſondern um eine aus Erſparnisgründen gewählte Tele 
grammadreſſe. Eine andere Telegrammadreſſe als »Saarkommiſſar« kam nicht in Frage, da das Wort 
»Reichskommiſſar« bereits als Telegrammadreſſe für den ebenfalls in Coblenz tätigen Reichskommiſſar für 
die beſetzten rheiniſchen Gebiete verwendet wurde. — In ihrem Bericht vom 1. Juni 1920 an den 
Völkerbund bezeichnet die Regierungskommiſſion Herrn von Groote als »Reichskommiſſar für das Saar— 
gebiet« (Commissaire d' Empire pour le Territoire de la Sarre); vgl. Journal Officiel des Völker 
bundes, 1. Jahrgang, Heft 5, S. 279. 


x 5 02 
— 332 — 


Durch mein Schreiben vom 29. Dezember 1920, S. R. 2416, hatte ich Sie 
gebeten, mir gefälligſt die auf die Aufſtellung einer Ortsklaſſeneinteilung bezüglichen 
Arbeiten des Preußiſchen Statiſtiſchen Amtes mitteilen zu wollen. 

Sie antworten mir nun hierauf, daß das Statiſtiſche Amt im Begriff ſtehe, 
eine neue Ortsklaſſeneinteilung herauszugeben. 

Die Regierungskommiſſion kann es natürlich nicht zulaſſen, daß das Statiſtiſche 
Amt ſich mit der Einteilung der Ortſchaften des Saargebiets befaßt; ſie legt ſchon 
im voraus gegen die Veröffentlichung einer ſolchen Liſte Verwahrung ein. Es ſteht 
allein den Behörden der Regierungskommiſſion zu, Maßnahmen dieſer Art zu treffen. 
Die Einreihung der Ortſchaften zwecks Feſtſtellung der Wohnungsgeldzuſchüſſe und 
Teuerungszulagen ſtellt unzweifelhaft einen Akt der Regierung bzw. Verwaltung dar. 
Die preußiſche Regierung hat daher in keiner Weiſe das Recht, ſich mit dieſer Ein⸗ 
reihung zu befaſſen. 

Mein Schreiben vom 29. Dezember verfolgte lediglich den Zweck, um Mitteilung 
der von dem Statiſtiſchen Amt vor dem Inkrafttreten des Vertrages geſammelten 
Unterlagen zu bitten, um hierdurch meine Behördeg in die Lage zu ſetzen, eine für 
das Saargebiet beſtimmte Ortsklaſſeneinteilung vorzunehmen. 

Ich benutze die Gelegenheit, um Sie davon in Kenntnis zu ſetzen, daß ich die 
Überfendung des Rundſchreibens des Herrn Präſidenten des Preußiſchen Statiſtiſchen 
Amtes vom 23. Dezember 1920 (Nr. 5905) an die Herren Landräte des Saargebiets 
nicht genehmigt habe; Sie hatten dieſes Rundſchreiben am 29. Dezember (Nr. 3192) 
an den Herrn Regierungspräſidenten in Trier weitergegeben und dieſer hatte es am 
7. Januar (Nr. I. A. 16) den Herren Landräten des Saargebiets durch Ver⸗ 
mittelung der Regierungskommiſſion zugehen laſſen. Der Herr Regierungspräſident 
in Trier hatte die Herren Landräte erſucht, ihm bis zum 20. Januar eine Antwort 
einzureichen. | 

Ich bin der Anficht, daß er den Herrn Landräten keinen Befehl diefer Art zu 
erteilen hat. Aus den oben angeführten Gründen kann ich nicht zulaſſen, daß das 
Statiſtiſche Amt ſich heute noch mit der Einreihung der Ortſchaften des Saar— 
gebiets befaßt. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 


Für den Präſidenten der Regierungskommiſſion: 
Der Generalſekretär 
gez. Morize. 


Nr. 210. 


Note des Reichskommiſſars für die Übergabe des Saargebiets an 
die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 18. April 1921. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz 


als Reichskommiſſar für die Über⸗ Coblenz, den 18. April 1921. 
gabe des Saargebiets. 55 
Nr. S. 1388. 


Herr Präſident! 


In Ihrem Schreiben vom 19. Januar haben Sie Einſpruch dagegen erhoben, 
daß das Preußiſche Statiſtiſche Landesamt ſich mit der Klaſſifizierung der Orte des 
Saargebiets befaſſe, und haben erklärt, daß eine ſolche Handlung, die einen Verwal⸗ 
tungsakt darſtelle, allein den Dienſtſtellen der Regierungskommiſſion zuſtehe. 


— 333 — 


Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich zu erwidern, daß in Ihrem 
Schreiben anſcheinend Sinn und Zweck der Arbeiten des Preußiſchen Statiſtiſchen 
Landesamts verkannt wird. Es liegt den deutſchen Behörden vollkommen fern, der 
Regierungskommiſſion irgendwie das Recht zur Aufſtellung eines Ortsklaſſenverzeich⸗ 
niſſes für das Saargebiet ſtreitig zu machen. Ein von der Regierungskommiſſion 
aufgeſtelltes Verzeichnis dieſer Art könnte jedoch natürlich nur für die von der Re— 
gierungskommiſſion beſoldeten Beamten Geltung haben. Tatſächlich leben aber im 
Saargebiet eine Anzahl von Beamten und Penſionären, die ihr Einkommen nicht von 
der Regierungskommiſſion, ſondern von der deutſchen Regierung oder von anderen 
deutſchen Stellen außerhalb des Saargebiets beziehen. Für dieſe Perſonen muß die 
Deutſche Regierung erklären, in welcher Ortsklaſſe ſie ihren im Saargebiet gelegenen 
Wohnſitz einzureihen gedenkt, da die Höhe ihrer Bezüge von dieſer Einreihung ab- 
hängig iſt. Ein Eingriff in die Rechte der Regierungskommiſſion liegt aber darin 
nicht. Ich erlaube mir in dieſem Zuſammenhang darauf hinzuweiſen, daß es bisher 
ſchon ſogar bei Orten außerhalb des Deutſchen Reichs üblich war, fie in das deutſche 
Ortsklaſſenverzeichnis einzureihen, wenn deutſche Beamte dort ihren dienſtlichen Wohnſitz 
hatten; ich verweiſe dieſerhalb auf § 30 Abſatz 2 des Reichsbeſoldungsgeſetzes vom 
5. Juli 1909, wo es heißt: »Welcher Ortsklaſſe ein außerhalb des Deutſchen Reichs 
gelegener Ort zuzuweiſen iſt, beſtimmt der Reichskanzler«, ferner auf § 2 Abſatz 5 des 
preußiſchen Geſetzes vom 25. Juni 1910, wo geſagt it: »Welcher Ortsklaſſe ein 
außerhalb Deutſchlands gelegener Ort, an dem preußiſche Beamte ihren dienſtlichen 
Wohnſitz haben, zugewieſen wird, wird durch den beteiligten Reſſortminiſter im Ein- 
vernehmen mit dem Finanzminiſter beſtimmt.« 

Sollte die Regierungskommiſſion aus praktiſchen Gründen Wert darauf legen, 
daß die von ihr beabſichtigte Ortsklaſſeneinteilung mit der deutſchen übereinſtimmt, 
ſo wäre meine Regierung gern bereit, die Ortsklaſſeneinteilung im Einvernehmen mit 
der Regierungskommiſſion feſtzuſetzen. Bejahendenfalls wäre ich für eine möglichſt 
baldige Antwort dankbar. Die gemeinſamen Beſprechungen könnten ſich allerdings 
nur auf das endgültige Ortsklaſſenverzeichnis beziehen, da die Herausgabe des vor— 
läufigen Verzeichniſſes keinen Aufſchub mehr zuläßt. 

Was ſchließlich die Aushändigung der bis zum Inkrafttreten des Vertrags von 
Verſailles geſammelten Unterlagen betrifft, ſo werde ich mir erlauben, Ihnen ſo bald 
als möglich eine endgültige Mitteilung zugehen zu laſſen. Nach einer vorläufigen 
Auskunft meiner Regierung iſt allerdings zu bezweifeln, ob ſich einſchlägiges Material 
vorfinden wird, da die Unterlagen in der Hauptſache erſt nach Inkrafttreten des 
Verſailler Vertrags geſammelt worden ſind. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Goch 
achtung. 


- gez. von Groote. 


An 


die Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 


Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


XVII. 


Regierungskommiſſion des Saargebiets und 
beſetztes Rheinland. 


Nr. 211. 


Schreiben des Präſidenten der interalliierten Rheinlandkommiſſion 
an den Reichskommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete vom 
7. Januar 1921. | 


(berſetzung.) 


Interalliierte Rheinlandkommiſſion. i 
Nr. Auen it Coblenz, den 7. Januar 1921. 


Der Präſident der Interalliierten Rheinlandkommiſſion 
an 
den Herrn deutſchen Kommiſſar für die beſetzten Gebiete, 
Coblenz. 


Die Aufmerkſamkeit der interalliierten Rheinlandkommiſſion iſt durch den Präſi⸗ 
denten der Regierungskommiſſion des Saargebiets auf den Fall des früheren Bürger⸗ 
meiſters von Weiskirchen namens Th. . . . gelenkt worden. | 

Kurz nach dem Waffenſtillſtand hat Th. . . . verſucht, die Angliederung feiner 
Bürgermeiſterei an das Saargebiet zu erreichen. Seitdem iſt er nach den Mitteilungen 
des Präſidenten der Saarregierung an die Rheinlandkommiſſion der Gegenſtand von 
Quälereien ſeitens ſeiner Vorgeſetzten. Um ihn in ſchlechten Ruf zu bringen, ſollen 
dieſe eine alte und längſt erledigte Beſchwerde ausgegraben haben, die ſich gegen ſeine 
Amtsführung während des Krieges richtete. Sogar ein gerichtliches Verfahren iſt 
gegen ihn eröffnet worden, und der Regierungspräſident in Trier hat ihn im Monat 
Juni 1920 ſeines Amtes enthoben. 

Nachdem Th. . . . an die Kommiſſion des Saargebiets ein Geſuch um Verwendung 
als Bürgermeiſter gerichtet hatte, hielt es die Regierungskommiſſion für notwendig, 
in Trier um Überſendung der Akten zu erſuchen. Die Akten ſind ihr nicht über⸗ 
ſandt worden, dagegen iſt Th. . . . am 18. Dezember auf Anordnung des Unterſuchungs⸗ 
richters in Trier verhaftet worden. 

Wegen des Zuſammenhangs, der zwiſchen dem Erſuchen der Regierungskom⸗ 
miſſion und der Verhaftung des Th. . . . zu beſtehen ſcheint, wünſcht die Nheinland- 
kommiſſion über dieſe Angelegenheit aufgeklärt zu werden. Sie hat mich beauftragt, 
Sie um möglichſt baldige Mitteilung aller Auskünfte zu erſuchen, die Sie hierüber 
beſitzen, und Ihnen mitzuteilen, daß ſie ihrem Delegierten in Trier den Auftrag er⸗ 
teilt hat, von den deutſchen Behörden alle geeigneten Auskünfte zu verlangen. 


Der Präſident der interalliierten Rheinlandkommiſſion. 
(Unterſchrift.) 
Nr. 212. 


Note der deutſchen Regierung an die Regierungskommiſſion des 
Saargebiets vom 25. Februar 1921. 


Auswärtiges Amt. Berlin, den 25. Februar 1921. 


II. S. G. 308. 
Herr Präſident! 


Durch den Herrn Reichskommiſſar für die beſetzten rheiniſchen Gebiete erhalte 
ich Kenntnis davon, daß die Regierungskommiſſion des Saargebiets ſich an die 


— 335 — 


interalliierte Rheinlandkommiſſion gewandt hat, um eine Auskunft der deutſchen 
Behörden über den früheren Bürgermeiſter Th. . .. von Weiskirchen zu erhalten. 


Dieſe Anfrage gibt mir Veranlaſſung, die Regierungskommiſſion darauf auf— 
merkſam zu machen, daß für den Verkehr mit fremden Regierungen in Bezug auf 
das beſetzte Gebiet die Rechte der Reichsregierung in vollem Umfang aufrechterhalten 
und nicht etwa der interalliierten Rheinlandkommiſſion übertragen worden ſind. 
Derartige Angelegenheiten ſind alſo keinem anderen Verfahren unterworfen als 
Angelegenheiten des unbeſetzten Gebiets. Wenn die Regierungskommiſſion des Saar— 
gebiets Auskunft über Vorkommniſſe oder Verhältniſſe des beſetzten Gebiets zu 
erhalten wünſcht, ſo wird ſie ihre Anfragen an das Auswärtige Amt oder an den 
Herrn Reichskommiſſar für die Übergabe des Saargebiets zu richten haben, es ſei 
denn, daß es ſich um Beſchwerden gegen Maßnahmen der Beſatzungstruppen oder 
der interalliierten Rheinlandkommiſſion handelt. 


Dies vorausgeſchickt, beehre ich mich, Ihnen über die vorliegende Angelegenheit 
folgendes mitzuteilen: 


Gegen den Bürgermeiſter Th. . . ſchwebte im Jahre 1919 ein Diſziplinarverfahren 
wegen Unterſchlagung. Wegen ungenügender Beweiſe und mit Rückſicht auf die 
Verordnung über die Gewährung von Straffreiheit und Strafmilderung in Diſziplinar— 
ſachen vom 12. Februar 1919 wurde das Verfahren am 2. November 1919 
eingeſtellt. 

Anfang 1920 Re von dritter Seite Anzeige gegen Th. . .. wegen Unterfchlagung. 
Die Ermittlungen in der auf Antrag der Staatsanwaltſchaft eröffneten Vorunter— 
ſuchung ergaben alsbald eine Anzahl von Unterſchlagungen und Fälſchungen von 
Ausgabebelegen. Nachdem im Mai 1920 der Unterſuchungsrichter erklärt hatte, daß 
es zur Erhebung der Anklage kommen werde, wurde Th. . . . durch den Herrn Re— 
gierungspräſidenten in Trier am 1. Juni 1920 gemäß § 20 des Diſziplinargeſetzes 
vom 21. Juli 1852 vom Amte ſuspendiert. Die Anwendung der erwähnten Ver— 
ordnung vom 16. Februar 1919 war nunmehr unzuläſſig, da nach Lage der Dinge 
die Annahme gerechtfertigt war, daß die endgültige Entſcheidung auf Dienſtentlaſſung 
lauten würde. 

Mit Rückſicht auf das eingeleitete Strafverfahren mußte der Regierungskommiſſion, 
als fie im Oktober 1920 um Überlaſſung der Perſonalakten gebeten hatte, geant— 
wortet werden, daß dieſe Akten nicht überſandt werden könnten, da ſie ſich noch 
beim Unterſuchungsrichter befänden und die Unterſuchung noch nicht abgeſchloſſen ſei. 


Im weiteren Verlauf der Vorunterſuchung wurde Th. . . . im Dezember 1920 
durch den Unterſuchungsrichter verhaftet, aber bald wieder entlaſſen, nachdem eine 
Sicherheit für ihn hinterlegt worden war. 

Ein Zuſammenhang zwiſchen dem Erſuchen der Regierungskommiſſion und der 
Verhaftung Th. .. . s beſteht nicht. Die Verhaftung ſowie die Freilaſſung war 
das Ergebnis freier richterlicher Entſchließung, wie überhaupt Th. . . . bis zum Ab— 
ſchluß des gerichtlichen Verfahrens jeder Einwirkung ſeiner Vorgeſetzten entzogen iſt. 

6 Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 


gez. von Haniel. 


An 


die Regierungskommiſſion des Saargebiets 
zu Händen des Präſidenten, Herrn Staatsrats Rault, 


Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 


— 336 — 


Nr. 213. 


Schreiben des Reichskommiſſars für die beſetzten rheiniſchen Gebiete 
an den Präſidenten der interalliierten Rheinlandkommiſſion 
vom 21. März 1921. 


Der Reichskommiſſar Coblenz, den 21. März 1921. 
für die beſetzten rheiniſchen Gebiete. a | R 
Tab. Nr. I. 463. | 


Der Reichskommiſſar für die beſetzten rheinischen Gebiete 
an 


den Herrn Vorſitzenden der Interalliierten Rheinlandkommiſſion, 
Coblenz. 


Auf das gefällige Schreiben vom 7. Januar 1921 2496/HCITR beehre ich mich 
folgendes zu erwidern: 

Gegen den Bürgermeiſter von Weiskirchen, Reſtkreis Merzig, Th. ..., ſchwebte im 
Jahre 1919 ein Diſziplinarverfahren wegen Unterſchlagung. Wegen ungenügenden 
Beweismaterials und im Hinblick auf die Verordnung über die Gewährung von 
Straffreiheit und Strafmilderung in Diſziplinarſachen vom 12. Februar 1919 (Ge⸗ 
ſetzſammlung S. 27) wurde das Verfahren unter dem 2. November 1919 eingeſtellt. 


r e 


Schließlich beehre ich mich noch zu bemerken, daß der Herr Reichsminiſter des 
Auswärtigen in Berlin der Regierungskommiſſion des Saargebiets die gewünſchte 
Auskunft bereits unmittelbar erteilt hat. 


gez. v. Starck. 


XVIII. 
Entſchädigung eines franzöſiſchen Kaufmanns für Tumult⸗ 


Schreiben des Generals Andlauer an den Bürgermeiſter von Saar⸗ 
brücken vom 18. November 1919. 
(berſetzung.) 


Oberſte Militärverwaltung des Saargebiets. n 18 - 1919. 
Generalſtab, I. Büro Nr. 185% 07 2 PA@Ebrügen den e enen e 
S. C. 4970 19. 11. 19. 


General Andlauer, Oberſter Militärverwalter . 


an 
den Herrn Bürgermeiſter von Saarbrücken. 


Betrifft: Verluſte und Schäden in Saar— 
brücken, hervorgerufen durch die Unruhen 
im Oktober 1919. 


Ich habe die Ehre, Ihnen amtlich die Verluſte der franzöſiſchen Truppen an 
Menſchenleben und die materiellen Schäden von Angehörigen franzöſiſcher Natio— 
nalität zur Kenntnis zu bringen, die in der Stadt Saarbrücken infolge des Streiks 
im Anfang Oktober 1919 verurſacht worden ſind. 


— 337 — 


3 Militärperſonen ſind unter den nachfolgend aufgeführten Umſtänden getötet 
worden, ſei es durch die Ausführung von Dienſtbefehlen, ſei es durch Unfälle, die 
eine Folge der Straßenunruhen waren. 

J. Bataillons-Chef Perrault bei der oberſten Militärverwaltung der Saar. 

Dieſer Offizier befand ſich um 7 Uhr in ſeinem Zimmer im erſten Stockwerk 
des Hotels Meßmer; er ſtand am Fenſter und ſprach mit ſeiner Frau, als eine von 
einem Wachhabenden Anamiten abgeſchoſſene Kugel ihn in das Geſicht traf und 
durch ſeine Hirnſchale ging. Der Tod trat augenblicklich ein. 

Dieſer bedauerliche Unfall wurde dadurch hervorgerufen, daß die militäriſchen 
Wachpoſten oder Patrouillen in den Straßen Befehl hatten, auf Schatten, die ſich 
an den Fenſtern zeigten, zu ſchießen, um zu verhindern, daß auf Truppen geſchoſſen 
werde, wie es häufig vorgekommen iſt. Mehrere Perſonen, die in der Nähe des 
Hotels anweſend waren, bezeugten, daß aus den Fenſtern einige Augenblicke vorher 
mit einem Revolver geſchoſſen worden iſt. Die Tat konnte allerdings nicht mit 
Gewißheit feſtgeſtellt werden. 

II. Jäger Olivier, Henri Louis, der erſten Kompagnie des 29. Jäger-Batl., 
wohnhaft in Le Havre (S. Inf.) Rue de la Halle 34; Familienverhältniſſe: 
Sohn einer Witwe, hat noch einen entlaſſenen Bruder und einen jüngeren 
Bruder; die Familie benötigt ihn ſehr. 

Der Jäger wurde unter folgenden Umſtänden erſchoſſen: Er war kommandiert 
zur Poſtkontrolle. Am 7. Oktober um 7 Uhr rief ein Artillerie-Unterleutnant 5 oder 
6 Ordonnanzen der Poſtkontrolle zur Hilfe, um die Läden zu ſchützen, die man anfing 
zu plündern. a 

Jäger Olivier ging mit einer Gruppe, die die Plünderer nach dem dunklen 
Leinpfad an der Saar unter der Brücke an der Dudweiler Straße zu verfolgen hatte. 

Als er eine Mauer überklettern wollte, um den Flüchtlingen den Rückweg abzu— 
ſchneiden, ſchoß einer der Soldaten unglücklicherweiſe aus ſeinem Gewehr. Die Kugel 
traf den Jäger, der ſchwer getroffen niederfiel. Sofort in das Lazarett eingeliefert, 
erlag er dort alsdann feinen Verletzungen. 

III. Jäger Tiſſier, Roger, der 5. Kompagnie des 29. Jäger-Batl., wohnhaft in 
Saiſy bei Monmorency (S. u. O.) Rue Blanche 28; Familienverhältniſſe: 
Vater und Mutter leben noch. 

Er wurde am 7. Oktober durch eine Revolverkugel eines Plünderers erſchoſſen. 
Der Jäger gehörte zu der Theatermannſchaft der 127. J. D. Er begab ſich allein zu 
einem Lieferanten der Diviſion, um eine Rechnung zu begleichen, als er in der Bahn— 
hofſtraße durch einen Revolverſchuß in den Hals tödlich getroffen wurde. Da der 
Jäger in dieſem Augenblick allein war, konnten die näheren Umſtände durch Zeugen 
nicht bewieſen werden, aber da er erſt einige Tage nach ſeiner Verwundung geſtorben 
iſt, konnte er noch Angaben machen und ausſagen, daß die Kugel von einem Ziviliſten 
abgeſchoſſen worden iſt. 

Verwundete. 

Außerdem wurde eine große Anzahl von Militärperſonen verwundet. Bis jetzt 
wurde ihr Zuſtand nicht als gefährlich betrachtet. Trotzdem muß Vorſorge 
getroffen werden für den Fall, daß ſich eine Arbeitsunfähigkeit für ſie daraus ergibt, 
da es ſich um Verwundungen in Ausübung des Dienſtes handelt. 


Geplünderte franzöſiſche Läden. | 

I. Der in der Kaiſerſtraße 25 befindliche Laden des Herrn M. Hirſch, wohnhaft 
in Paris, Rue Etienne Marcel 27. 

Der Laden wurde am 7. Oktober zwiſchen 6 und 7 Uhr geplündert. Am 
8. Oktober hat die örtliche Zivilverwaltung die Siegel an dem Laden angebracht, und 
ein Inventar der zurückgebliebenen Waren wurde aufgenommen. Der Betrag der 
geſtohlenen Waren (Tuchwaren, Leinen und Seide) beläuft ſich auf 629 783 Franken. 
Die Summe wurde aufgeſtellt an Hand der in dem Laden verbliebenen Waren und 
der Buchhaltung dieſes ufmanns 


— 338 — 


Übrigens hatten noch zwei franzöſiſche Kaufleute N. James und Ferd. Hertz in 
dem Laden von Hirſch Material (Kleidungsſtücke) untergebracht. Dieſe Waren ſind 
ebenfalls geſtohlen worden; der Schaden beläuft ſich wie folgt: | | 

Für, M. Jam 5ꝛĩ?i 19384 Franken, 
. Meir, ,, 5.303 » 

II. Der in der Dudweiler Straße 52 befindliche Laden des Herrn Simon Levy, 
Mitgliedes der Vereinigung der Elſaß-Lothringer in Saarbrücken. 

Dieſes Manufakturwarengeſchäft iſt am 7. Oktober um 730 Uhr abends geplündert 
worden. Der Schaden beläuft ſich auf 484 167,50 Mark. 

Beiliegend die Erklärungen dieſes Kaufmanns an den Miiitärverwalter von 
Saarbrücken. 

Folglich nehme ich an, daß die tödlichen Unfälle und die Materialſchäden eine 
Entſchädigungspflicht für die Stadtverwaltung von Saarbrücken zur Folge haben, die 
für die Bezahlung der Folgen aus dem Streik und der daraus hervorgegangenen 
Plünderungen mit bewaffneter Macht, die die ſtädtiſche Polizei nicht unterdrücken konnte, 
verantwortlich iſt. 

Was die getöteten Militärperſonen betrifft, ſo mache ich keinen Unterſchied zwiſchen 
denen, die durch die Kugel eines Plünderes getroffen worden ſind, und denen, die eine 
verirrte Kugel eines franzöſiſchen Soldaten getroffen hat, da die Soldaten in dieſem 
Falle von ihrer Waffe nur Gebrauch machten, um die öffentliche Ordnung wieder— 
herzuſtellen. 

Ich halte es für notwendig, der Stadt Saarbrücken folgende iz auf- 
zuerlegen: 


I. für Kommandant Perrault, verheiratet und Vater eines we 
Kindes, Frau und Kind ohne Verdienſt zurücklaſſend, die Summe von 
250 000 Franken, 

II. für Jäger Olivier, unverheiratet, Sohn einer Witwe, hat noch Brüder 
in jüngerem Alter, die Summe von 100 000 Franken. 


Was die Kaufleute Hirſch, Hertz und Levy anbetrifft, nehme ich an, daß fie ent- 
ſprechend ihrem Verluſt entſchädigt werden, den ſie ſchon bei der Stadtverwaltung 
angemeldet haben, im ſelben Maße, wie die hieſigen Kaufleute, die von der Plünderung 
betroffen wurden. Im Streitfall hat mich die franzöſiſche Regierung beauftragt, als 
ihr bevollmächtigter Vertreter im Saarbecken zu Gunſten der franzöſiſchen Kaufleute 
zu vermitteln. 

gez. Andlauer. 


Nr. 215. 
Rechtsſtreit zwiſchen der Stadtgemeinde Saarbrücken und dem 
franzöſiſchen Kaufmann Hirſch. 


(Aus einem amtlichen Bericht.) 


Bei den Unruhen im Oktober 1919 waren in Saarbrücken auch einige franzöſiſche 
Geſchäfte geplündert worden, u. a. die Geſchäftsräume der Firma Hirſch aus Paris. 
General Andlauer, der damalige Militärbefehlshaber der Beſatzungstruppen in Saar⸗ 
brücken, ordnete durch Befehl vom 20. Oktober 1919 an, daß die Stadt Saarbrücken 
an Hirſch auf die geltend gemachte Tumultſchadensforderung vorſchußweiſe 2536500 Mark 
zahle. Die Zahlung iſt auf Grund dieſes Befehls unter ausdrücklichem Vorbehalt 
und ohne Anerkennung der Berechtigung des Anfpruches erfolgt. Inzwiſchen haben 
die Zivilkammern des Landgerichts in Saarbrücken in mehreren Prozeſſen, die von 
anderen Geſchädigten gegen die Gemeinden ihres Bezirks angeſtrengt waren, entſchieden, 
daß eine Verpflichtung der Gemeinden zum Erſatz der bei den Oktoberunruhen ent⸗ 
ſtandenen Schäden nicht beſtehe, da es ſich nicht um Schäden im Sinne des alten 
preußiſchen Tumultgeſetzes handele. 


— 339 — 


Die Stadtgemeinde Saarbrücken hatte nun beim Amtsgericht in Saarbrücken 
gegen Hirſch den Erlaß eines Arreſtes in Höhe der nach ihrer Anſicht zu Unrecht 
geforderten und gezahlten 2 536 500 Mark nebſt Koſten beantragt und dabei geltend 
gemacht, es ſei zu befürchten, daß der Schuldner mit Rückſicht auf die erwähnten 

Vorentſchädigungen ſeine Niederlaſſung in Saarbrücken aufgeben und ſein Warenlager 
daſelbſt veräußern oder über die Grenze ſchaffen werde. Auf den am 14. Juni 1920 
eingegangenen Antrag machte das Amtsgericht durch Beſchluß vom 15. Juni den Exlaß 
des beantragten Arreſtes von einer Sicherheitsleiſtung in Höhe von 50000 Mark 
abhängig. Nachdem die Stadt die Sicherheitsleiſtung nachgewieſen hatte, erließ das 
Amtsgericht dann am 22. Juni den beantragten Arreſtbefehl mit der Begründung, 
der Schuldner ſei Ausländer und habe ſeine Hauptniederlaſſung in Paris, auch ſei zu 
befürchten, daß er ſeine in Saarbrücken lagernden Warenvorräte räumen oder über 
die Grenze ſchaffen werde. 

Am 26. Juni wurde Widerſpruch eingelegt, am 3. Juli ſtand Termin zur 
mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht an. Unmittelbar vor dem Termin 
ging bei dem Gericht eine Verfügung der »Regierungskommiſſion, Präſidialbüro« vom 
2. Juli, unterzeichnet von Präſident Rault, ein, worin dieſer erklärte, hiermit den 
Kompetenzkonflikt zu erheben. Es heißt dann weiter: 

»Ich erſuche, das Erforderliche zur einſtweiligen Einſtellung des Ver— 
fahrens zu veranlaſſen. Der Rechtsweg wird für unzuläſſig erachtet und 
eine weitere Begründung vorbehalten. 

Ich erſuche, die Akten dem Oberſten Gerichtshof des Saargebiets, deſſen 
Einrichtung als Kompetenzgerichtshof vorgeſehen iſt, durch die Juſtizabteilung 
der Regierungskommiſſion einzureichen.« 

Das Amtsgericht hat darauf durch Beſchluß das Verfahren eingeſtellt. . . . . . .. 


Nr. 216. 


Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets an den kom— 
miſſariſchen Bürgermeiſter von Saarbrücken vom 28. Juni 1920. 


(Überſetzung.) 


Regierungskommiſſion des ine 2 wo 
Saargebiets. Saarbrücken, den 28. Juni 1920. 


Auf Grund eines von der Stadt beim Amtsgericht Saarbrücken erwirkten Arreſt— 
befehls wurde das Warenlager des Herrn Hirſch, eines franzöſiſchen Staatsangehörigen, 
Kaiſerſtraße 31 in Saarbrücken, gepfändet. 

Das durch die Stadt alſo eingeleitete Verfahren bezweckt, obwohl dasſelbe gegen 
einen Privatmann gerichtet iſt, rechtlich und tatſächlich die Nichtigkeitserklärung einer 
Entſcheidung, welche im Namen eines fremden Staates durch die ihn vertretende 
Militärbehörde in dieſem damals beſetzten Gebiete getroffen worden iſt. Ohne daß 
es erforderlich iſt, zu unterſuchen, ob nach deutſchem Recht die ordentlichen Gerichte 
zuſtändig geweſen wären, ein Verfahren mit dem Ziel der Nichtigkeitserklärung einer 
derartigen, im Frieden und von der damaligen Regierung getroffenen Entſcheidung 
einzuleiten, kann kein Zweifel darüber beſtehen, daß dieſe Gerichte nicht zuſtändig ſind, 
die 1 einer von der Beſatzungsbehörde getroffenen Entſcheidung nach— 
zuprüfen. 

Die in Frage ſtehende Entſcheidung iſt vor dem Inkrafttreten des Friedensver— 
trages gefallen, zu einer Zeit alſo, wo nach internationalen Rechtsgrundſätzen das 
Saargebiet als ein noch von dem Feinde beſetztes Gebiet zu gelten hatte; es handelt 
ſich infolgedeſſen um eine Willensäußerung der damals höchſten Gewalt im Saargebiet, 
die lediglich durch einen Gnadenakt des franzöfifchen Staates, dem die Beſatzungstruppen 
unterſtanden, in ihren Folgen hätte abgeſchwächt werden können, und zwar vor ihrer 
Ausführung. 


„ 


Ich bin deshalb der Anſicht, daß die Stadt, die, ohne durch die Regierungs- 


kommiſſion hierzu ermächtigt zu ſein, das Gerichtsverfahren eingeleitet hat, das die 
Verfügung des Amtsgerichtes zur Folge gehabt hat, ihre Befugniſſe überſchritten und 
die Geſetzesvorſchriften verletzt hat. 

In Gemäßheit des § 83 der rheiniſchen Städteordnung fordere ich Sie deshalb 
hiermit auf, die Ausführung des Beſchluſſes der Stadt oder ihrer geſetzlichen Vertreter 
auf Grund deſſen das Verfahren eingeleitet worden iſt, zu verhindern und m 
einer Friſt von 6 (ſechs) Stunden nach Zuftellung dieſer Entſcheidung: 

J. dem Amtsgericht mitzuteilen, daß die Stadt ihren Klageantrag zurückzieht und 

nunmehr die Aufhebung des ergangenen Arreſtbefehles beantragt, 

2. Herrn Hirſch zu benachrichtigen, daß die Stadt die gegen ihn erhobene Klage 

zurückgezogen hat. 
Der Präſident der Regierungskommiſſion. 
gez. Rault, Staatsrat. 

An 
den Herrn kommiſſariſchen Bürgermeiſter, 

zu Händen des Herrn erſten Beigeordneten der Stadt 
Saarbrücken. 


„ 


Schreiben des kommiſſariſchen Bürgermeiſters der Stadt Saarbrücken 
an die Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 9. Juli 1920. 


Der komm. Bürgermeiſter. i 8 1195 
Tgb. Nr. 74888. Saarbrücken, den 9. Juli 1920. 
An 
die Regierungskommiſſion des Saargebiets, 
hier. 
Betrifft: 


Schadenſache Kaufmann Hirſch-Saarbrücken. 
Verfügung vom 28. Juni 1920. 


Mit Schreiben vom 28. Juni 1920 nahmen Sie Stellung zu dem zwiſchen dem 
franzöſiſchen Kaufmann Hirſch und 175 Stadt Saarbrücken ſchwebenden Gerichts— 
verfahren und forderten mich gemäß § 83 der rheiniſchen Städteordnung auf, die 
Ausführung des Beſchluſſes der Stadt "oh ihres geſetzlichen Vertreters, auf Grund 
deſſen das Verfahren eingeleitet worden iſt, zu verhindern und innerhalb einer Friſt 
von 6 Stunden nach Zuſtellung ihrer Entſcheidung: 


1. dem Amtsgericht mitzuteilen, daß die Stadt ihren Klageantrag zurückzieht 
und nunmehr die Aufhebung des ergangenen Arreſtbefehls beantragt, 
Herrn Hirſch zu benachrichtigen, daß die Stadt die gegen ihn erhobene Klage 
e hat. 

Ich nehme zunächſt Bezug auf die telephoniſche Beſprechung des Herrn Bei⸗ 
geordneten Dr. Bauer mit Herrn Dr. Carrieère, in welcher letzterem mitgeteilt wurde, 
daß der Prozeßbevollmächtigte der Stadt, Rechtsanwalt Dr. Wenderoth, bereits ohne 
Kenntnis von dem Schreiben der Regierungskommiſſion an die Stadt den Gerichts— 
vollzieher angewieſen hatte, die Vollſtreckung des Arreſtes auszuſetzen. Nachdem 
inzwiſchen die Regierungskommiſſion bezüglich des von der Stadt beantragten Arreſts 
den Kompetenzkonflikt erhoben und das Gericht das Arreſtverfahren bis zur Ent- 
ſcheidung über den Kompetenzkonflikt ausgeſetzt hat, ſehe ich die mir von der 
Regierungskommiſſion gegebene Aufforderung, bei Gericht die Aufhebung des Arreſt— 
befehls zu beantragen, als erledigt an. 


— 341 — 


Was die weitere Aufforderung an mich betrifft, auch den gegen Hirſch bean— 
tragten Klageantrag zurückziehen, ſo nehme ich auch dieſerhalb Bezug auf die tele— 
phoniſche Unterredung des Herrn Beigeordneten Dr. Bauer mit Herrn Dr. Carriere, 
in der ſich letzterer damit einverſtanden erklärte, daß die endgültige Entſcheidung über 
eine Zurücknahme der Klage bis zu meiner Rückkehr und bis zur nächſten Stadt— 
verordnetenverſammlung verſchoben werden könne. Ich habe der Stadtverordneten— 
verſammlung in der Sitzung vom 6. d. M. von der Beanſtandung ihres Beſchluſſes 
Kenntnis gegeben. Die Stadtverordnetenverſammlung hat beſchloſſen, die von der 
Stadt eingeleitete Widerklage nicht zurückzunehmen und wegen der Beanftanduug 
emäß § 83 der Städteordnung die Klage im Verwaltungsſtreitverfahren zu erheben. 
Öleichzeitig bin ich beauftragt worden, Ihnen die Gründe für dieſen Beſchluß und 
die einmütige Anſicht der Stadtverwaltung zu der Angelegenheit mitzuteilen. 


Was zunächſt die Weigerung der Klagezurücknahme betrifft, ſo hat die Bean— 
ſtandungserklärung zwar die rechtliche Folge, daß der beanſtandete Beſchluß mit auf— 
ſchiebender Wirkung außer Kraft geſetzt und damit der frühere Zuſtand wieder— 
hergeſtellt wird, wobei aber wohlerworbene Rechte, auch wenn dieſe auf dem 
beanſtandeten Beſchluß ruhen, erhalten bleiben. Ich halte mich deshalb wohl für 
verpflichtet, die Weiterausführung des Beſchluſſes, alſo auch die Weiterführung der 
Klage bis zur Entſcheidung über die Rechtmäßigkeit der Beanſtandung, zu verhindern 
und habe dahingehende Anweiſungen gegeben. Dagegen halte ich mich nicht für be— 
rechtigt, die Klage zurückzuziehen, zudem dadurch vermögensrechtliche Entſcheidungen 
getroffen würden, die mich unter Umſtänden der Stadt gegenüber haftbar machen 
könnten. Dazu kommt noch, daß die Klage an ſich von Hirſch ausgegangen iſt und 
die Stadt nur in der bereits von Hirſch angeſtrengten Klage die Widerklage erhoben 
hat. Würde ſie die Widerklage heute zurückziehen, ſo wäre ſie nicht mehr in der 
Lage, in Zukunft ihren Anſpruch gegen Hirſch geltend zu machen, während letzterer 
ſeine Anſprüche gegen die Stadt weiter verfolgen könnte. 


In der Sache ſelbſt ſtehen Stadtverwaltung und Stadtverordnetenverſammlung 
auf dem Standpunkt, daß es ſich ſowohl bei der Erhebung des Kompetenzkonfliktes 
wie auch bei dem Verlangen der Klagezurücknahme um einen durchaus unberechtigten 
Eingriff in die ſtädtiſche Selbſtverwaltung und die Rechtſprechung handelt. Die An— 
ſicht der Regierungskomuiſſion, daß die Frage der Haftpflicht der Stadt für die 
Plünderungsſchäden ſeinerzeit durch eine Willensäußerung der damals höchſten Gewalt 
im Saargebiet entſchieden worden ſei, kann nicht geteilt werden. Es handelte ſich 
bei den Plünderungsſchäden um rein zivilrechtliche Anſprüche. Weder das Völker— 
recht noch die Waffenſtillſtandsbedingungen gaben dem oberſten Befehlshaber 
des damals beſetzten Saargebietes die Befugnis, über zivilrechtliche Anſprüche 
Entſcheidungen zu treffen, zu denen allein die ordentlichen Gerichte zuſtändig 
waren. Tatſächlich haben die oberſten Befehlshaber auch während der Be— 
ſetzung ſich eines Eingriffes in die Rechtspflege enthalten. Die Anordnungen 
der Herren Andlauer und Wirbel bezüglich der Plünderungsſchäden können 
nur ſo verſtanden werden, daß die Stadt die geſchädigten ausländiſchen Kaufleute 
gegen weitere finanzielle Nachteile durch vorläufige Zahlungen ſichern ſollte, ohne indeſſen 
über die endgültige Haftpflicht der Stadt eine Entſcheidung zu treffen. Eine ſolche 
Entſcheidung wäre einſeitig e der ausländiſchen Kaufleute ergangen, während 
die deutſchen Kaufleute auf die gerichtliche Verfolgung ihrer Anſprüche angewieſen 
geblieben wären. Auch hätte es einer ſolchen Entſcheidung an der nötigen Beſtimmt— 
heit über die Höhe der von der Stadt endgültig zu leiſtenden Entſchädigungsſummen 
gefehlt; dieſe Summen ſind von dem Herrn oberſten Militärverwalter nie genannt 
worden; fie konnten auch nicht genannt werden, da die von den ausländiſchen Kauf: 
leuten geltend gemachten Erſatzanſprüche auch bezüglich ihrer Höhe noch nicht geprüft 
und von der Stadt deshalb auf ihre Richtigkeit hin angezweifelt wurden. Tatſäch— 
lich haben denn auch die ausländiſchen Kaufleute die ihnen auf Anordnung der 
Militärverwaltung gezahlten Summen unterſchriftlich ſtets als Darlehn anerkannt 


— 342 — 


und auch gegenüber der Militärverwaltung hat die Stadt ſtets betont, daß ihre 
Zahlungen nur Darlehn ſeien, während die Entſcheidung über die endgültige 
Zahlungsverpflichtung der Stadt den ordentlichen Gerichten vorbehalten bleiben müſſe. 

Die Stadt hat ſeinerzeit an die ausländiſchen Kaufleute insgeſamt 
501000 Franken gezahlt, die fie zum Teil zu außerordentlich hohem Kursſtande 
kaufen mußte. Allein für die im Falle Hirſch gezahlten 450 000 Franken mußte 
die Stadt 2 536 500 Mark aufwenden! Als nun eine Anzahl deutſcher Kaufleute 
inzwiſchen die Stadt auf Zahlung der Plünderungsſchäden verklagte und das Land- 
gericht Saarbrücken dieſe Klage abwies, teilte die Stadt den ausländiſchen Kauf⸗ 
leuten, an die ſie die erwähnten Darlehen gezahlt hatte, dieſe Rechtslage mit und 
forderte ſie auf, die gezahlten Darlehen zurückzuzahlen oder zu verzinſen. Auf dieſes 
Schreiben hat keiner der ausländiſchen Kaufleute geantwortet, vielmehr ſind letztere 
dazu übergegangen, ihrerſeits die Stadt auf Zahlung der Reſtſummen zu ver⸗ 
klagen. Der franzöſiſche Kaufmann Hirſch verklagte die Stadt Mitte April 1920, 
und in dem bereits anhängigen Prozeßverfahren erhob die Stadt dann Widerklage 
auf Zahlung der Darlehen. Da es ſich um einen Ausländer handelte und die Stadt 
bei dem Hirſch bekannten Urteil des Landgerichts befürchten mußte, daß Hirſch ſein 
greifbares Vermögen ins Ausland verbringen und die Stadt im Falle ihres Obſiegens 
leer ausgehen würde, beantragte ſie gegen Hirſch den dinglichen Arreſt, dem das 
Landgericht auch ſtattgab. Wie berechtigt die Befürchtung der Stadt war, ergibt ſich 
daraus, daß Hirſch bereits am 12. Februar ſein geſamtes hieſiges Bankguthaben ab⸗ 
gehoben hatte! Die anderen von der Stadt entſchädigten ausländiſchen Kaufleute 
find bereits in ihre Heimat zurückgekehrt und haben keinerlei Vermögen zurückgelaſſen. 

Die weiteren Vorgänge ſind der Regierungskommiſſion bekannt. Nach der ge⸗ 
ſchilderten Sachlage war das Eingreifen der Regierungskommiſſion in das ſchwebende 
Prozeßverfahren durchaus unberechtigt. Die Hinderung der Ausführung des Arreſt⸗ 
verfahrens, die rechtlich unhaltbare Erhebung des Kompetenzkonfliktes und die damit 
zuſammenhängende Verzögerung des Prozeßverfahrens werden die Stadt zweifellos 
finanziell ſchwer ſchädigen. Für dieſe Schäden muß die Stadt die Regierungs⸗ 
kommiſſion ſchon heute voll und ganz verantwortlich machen, was hiermit geſchieht. 


gez. Hobohm. 


XIX. 


Entſchädigung einer deutſchen Familie wegen Ermordung 
eines Familienmitgliedes. 
Nr. 218. 


Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung 
vom 16. Februar 1920. | 


Deutſche Botſchaft in Frankreich. Paris, den 16. Februar 1920. 


Herr Präſident! 


Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich, folgenden Fall zur Kenntnis 
Euerer Exzellenz zu bringen. 3 

Fräulein Maria Schnuer, die in Marburg ſtudierte, war am 19. Dezember 1918 
nach Heinitz bei Saarbrücken gekommen, um dort bei ihren Eltern die Weihnachtsferien 
zu verbringen. Am Tage nach ihrer Ankunft begab ſie ſich zum Beſuch einer Freundin 
nach Friedrichsthal. Unterwegs begegnete ſie einem franzöſiſchen Soldaten, der ihr 
unſittliche Anträge machte, auf ſie eindrang, und als ſie ſich wehrte, ihr mit dem 
Seitengewehr mehrmals über den Kopf ſchlug. Dann ſtach er fie mit dem Seiten— 


— 343 — 


gewehr in die Oberſchenkel und den Unterleib, daß die Eingeweide herausdrangen. 
Danach floh er, offenbar in der Meinung, daß ſein Opfer tot ſei. Wieder zu ſich 
gekommen, ſchleppte ſich Fräulein Schnuer bis zu einem Fahrweg, wo ſie aufgefunden 

Sie wurde nach Hauſe geſchafft und iſt am folgenden Tage ihren Verletzungen 
erlegen. Kurz vor ihrem Tode hat ſie dem franzöſiſchen Kommandanten von Heinitz 
der zu ihr gerufen wurde, den Hergang erzählt. Dieſer äußerte ſein Bedauern und 
verſprach ſtrenge Beſtrafung. 

Wie ſich aus dem anliegenden Telegramm der deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion 
vom 27. März 1919 ergibt, hatten gleichwohl noch am 21. März weder Herr General 

ayolle noch der Landrat des Kreiſes Saarbrücken Herr von Halfern davon Kenntnis, 
daß ein jo ſchweres Verbrechen in der Nähe von Saarbrücken begangen worden war. 
Es hat daher den Anſchein, als ob von irgendeiner Seite Schritte getan worden 
ſind, um die Unterſuchung zu unterdrücken. . 

Die Deutſche Regierung iſt erſt vor kurzem in den Beſitz näherer Nachrichten über 
den Vorfall gelangt. Eine Erklärung des Vaters der Ermordeten vom 1. Dezember 1919 
und eine Außerung des Knappſchaftsarztes Dr. Trittelvitz vom 29. November 1919 
ſind hier angeſchloſſen. 

Das Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten darf ich bitten, ſeine Ver— 
mittlung eintreten za laſſen, damit, ſoweit es nicht ſchon geſchehen fein ſollte, der 
Fall vollſtändig aufgeklärt wird, der ruchloſe Täter die verdiente Strafe findet und 
auch diejenigen, die etwa verſucht haben ſollten, die Unterſuchung zu unterdrücken, zur 
Verantwortung gezogen werden. 

Für eine baldige Mitteilung über den Stand der Angelegenheit würde ich dank— 
bar ſein. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung. 


gez. Dr. Mayer. 
Seiner Erzellenz 


dem Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten 
Herrn Millerand. 


Anlage 1. 


Telegramm der Deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion in Spa vom 
27. März 1919 an das Auswärtige Amt, Berlin. 


Nudant übergab: 


(Überſetzung.) 


»Genexal Fayolle ſchreibt mir unter Nr. 6357 vom 21. März folgendes: 

Ich habe die Ehre, Ihnen die Abſchrift eines Auszuges aus einem Nauener 
Funkfpruch vom 12. März vormittags zu überreichen. | 

Obſchon ich keinen Zweifel über die Natur der darin enthaltenen Behauptungen 

hatte, habe ich doch nicht verfehlt, eine Unterſuchung bei den mir unterſtellten Armeen 
vornehmen zu laſſen. Die Unterſuchung hat es ermöglicht, amtlich feſtzuſtellen, daß 
die Behauptungen der Nauener Preſſemeldung lügenhaften Charakter haben. Der 
deutſche Landrat in Saarbrücken hat dies außerdem in dem hier beigefügten Schreiben 
an den Verwalter von Saarbrücken⸗Stadt beſtätigt. 

Die Urheber derartiger Mitteilungen konnten ſich über deren Unverſchämtheit nicht 
im Unklaren befinden; ſie haben ſich wiſſentlich eine gehäſſige Beſchimpfung der fran— 
zöſiſchen Armeen zuſchulden kommen laſſen, um dieſe in den Augen der neutralen 
oder alliierten Mächte herabzuſetzen. 

Ich habe die Ehre, Sie zu bitten, an die deutſche Delegation der Kommiſſion in 
Spa einen nachdrücklichen Proteſt und die Forderung ſtrenger Beſtrafung der Schul— 
digen richten zu wollen.“ 5 


23 


Buy: Shen 


(Unteranlage 1.) Auszug aus dem Nauener Nachrichtendienſt vom 
12. März vormittags: 

»Die Bevölkerung der beſetzten Gebiete wird durch die von den Beſatzungstruppen 
begangenen Ausſchreitungen mehr und mehr zur Verzweiflung getrieben. Jetzt erfährt 
man, daß kürzlich in Saarbrücken ein franzöſiſcher Soldat eine Studentin aus Heidel- 
berg, Fräulein Schütz, vergewaltigt hat, und daß ſie infolge dieſer Mißhandlungen 
geſtorben iſt. Ebenſo wurde eine 22jährige Lehrerin durch Franzoſen vergewaltigt 
und durch einen Bajonettſtich ſo ſchwer verwundet, daß ſie daran geſtorben iſt.« 


(Unteranlage 2.) 
(Überſetzung.) 
2 »Saarbrücken, den 16. März 1919. 
An 
den Kommandanten Herrn d' Abrantes. 
Saarbrücken, 
Schloßplatz 15. 

Nach den von mir vorgenommenen Erkundigungen exiftiert Saarbrücken weder 
ein Fräulein Schütz noch eine Lehrerin, die das Opfer von Vergewaltigungen durch 
franzöſiſche Soldaten geworden wären, die den Tod zur Folge gehabt haben. Das 
Nauener Telegramm entſpricht nicht der Wahrheit. 


gez. von Halfern, Landrat.« 


Anlage 2. 


Am 19. Dezember 1918 kam meine Tochter von der Univerſität Marburg in 
die Weihnachtsferien nach Hauſe. Am anderen Tage fuhr ſie um 1 Uhr mittags 
mit der Poſt von Heinitz nach Friedrichsthal, um eine Freundin, Fräulein Ella Sch., 
welche mit ihr das Oberlyzeum I der Urſulinerinnen in Saarbrücken abſolviert hatte, 
zu beſuchen. In der Hälfte des Weges zwiſchen Heinitz und Friedrichsthal führt von 
der Hauptſtraße ein Waldweg nach der Kolonie Friedrichsthal. Dieſen Weg, den meine 
Tochter ſchon ſehr oft gegangen war, benutzte ſie auch an dieſem Tage. Als ſie un— 
gefähr 400 m gegangen war, kam ihr ein franzöſiſcher Soldat entgegen, ſprach fie 
gleich in unſittlicher Beziehung an. Meine Tochter, welche 12 Jahre lang in einem 
Kloſter erzogen wurde und von den Schlechtigkeiten der Welt keine Ahnung hatte, 
konnte nicht verſtehen, was der Soldat von ihr wollte; ſie glaubte, er hätte ſich 
verlaufen und wollte den Weg nach Elversberg ſuchen. Darauf ging ſie mit ihm in 
den Wald nach der Elversberger Straße. Kaum 50 m im Walde wurde er zudring⸗ 
licher, und als ſie ſich wehrte, ſchlug er mit ſeinem Seitengewehr ihr mehrmals auf 
den Kopf, daß ſie beſinnungslos hinfiel; damit nicht genug, weil er ſein Vorhaben nicht 
ausführen konnte, ſchlug und ſtach er in beſtialiſcher Weiſe auf ſie ein. Dann verließ 
er den Schauplatz ſeiner Schandtat in der Meinung, meine Tochter ſei tot. 
Nach ungefähr / Stunde kam fie durch die übergroßen Schmerzen wieder 
zu ſich, raffte ſich auf und ſchleppte ſich in dieſem elenden Zuſtande unter 
Weinen und Jammern nach der Heinitzer Straße. Dort brach ſie bewußtlos 
zuſammen. Hier fand ſie ein von Heinitz kommender Bergmann, gleichzeitig kam auch 
die Poſt wieder von Friedrichsthal zurück. Der Arbeiter machte den Kutſcher auf 
die Verletzte aufmerkſam. In der Poſt ſaß der penſionierte Einfahrer Donie aus 
Saarbrücken. Als er die Verletzte ſah, erkannte er in ihr meine Tochter. Nun 
wurde ſie von dem Kutſcher und dem Bergmann in den Wagen gehoben und nach 
meiner Wohnung in Heinitz gebracht. Dort angekommen, eilten die Nachbarinnen, 
Frau Oberſteiger Groß und Frau Fahrſteiger Jung, herbei und brachten ſie noch in 
bewußtloſem Zuſtande ins Bett. Nach einigen Belebungsverſuchen kam ſie wieder 


— 345 — 


zu ſich; ſie erzählte dann den Damen den ganzen Hergang. Darauf wurde ſie von 
Blut und Schmutz gereinigt. In welch elendem Zuſtande fand ich das arme Kind, 
das vor kaum 1½ Stunden geſund und munter mich verlaſſen hatte. Die Augen 
dick, ſchwarz verſchlagen, die Lippen durch Schläge angeſchwollen, der Kopf voller 
Beulen, der eine Oberſchenkel war mit dem Seitengewehr durch und durch geſtochen, 
mehrere Stiche im Unterleib, ſo daß an einer Stelle die Därme ausdrangen. Der 
herbeigerufene Arzt, Dr. Trittelvitz, legte einen Notverband an und ordnete die ſo— 
fortige Aberführung der Verletzten nach dem Krankenhaus St. Joſef in Neunkirchen zur 
Operation an. Während der Krankenwagen beſtellt wurde, brachte Herr Dr. Trittelvitz 
den franzöſiſchen Kommandanten von Heinitz, dem er den Fall mitgeteilt hatte, an das 
Krankenbett meiner Tochter. Hier frug der Kommandant meine Tochter in franzöſiſcher 
Sprache, wie ſich alles zugetragen habe, und auch, wie der Soldat bekleidet war, welche 
Größe ungefähr uſw. Nach dem Verhör ſprach er mir ſein Bedauern über den Fall 
aus mit dem Bemerken, nach dem Täter zu recherchieren und gründlich zu beſtrafen. 
Dann wurde die Verletzte nach Neunkirchen gebracht und abends noch von den Arzten 
Dr. Engelken und Schlaf operiert. Tags darauf iſt ſie dann wegen der allzuſchweren 
Verletzungen und des überaus großen Blutverluſtes abends gegen 11 Uhr geſtorben. 
Erwähnen will ich noch, daß der Kommandant andern Tags, während ich im Lazarett 
war, in meine Wohnung kam und meiner Haushälterin ſagte, er habe feſtgeſtellt, daß 
es von ſeinen Soldaten keiner geweſen ſei, er wolle auch durch den Elversberger Kom— 
mandanten recherchieren laſſen, auch habe er erfahren, daß an dem fraglichen Tage, 
mittags gegen ½2 Uhr, zwei Soldaten von Friedrichsthal nach dem Walde gegangen 
ſeien. Gegen 1 Uhr kamen vier franzöſiſche Offiziere in meine Wohnung und erklärten, 
von der Beſatzung Heinitz und Elversberg ſei der Täter nicht geweſen. Mein Sohn 
Aloys, der zugegen war, unterhielt ſich mit den Herren in franzöſiſcher Sprache und 
ſagte ihnen, daß Fräulein Sch. an dieſem Morgen im Lazarett bei meiner Tochter 
geweſen ſei. Sie ließ ſich den Soldaten beſchreiben und da ſtellte ſich heraus, daß 
der Betreffende ungefähr 10 Minuten vor der Tat im Gebüſch an dem Wege, der 
von Elversberg nach Friedrichsthal führt, ſtand und auf jemand lauerte. Fräulein Sch., 
welche zur Zeit Lehrerin in Elversberg war, ging dieſen Weg nach Hauſe, hatte Be— 
gleitung bei ſich, ſonſt wäre ſie wahrſcheinlich überfallen worden. 14 Tage ſpäter 
erhielt ich von der Kommandantur Friedrichsthal eine Aufforderung, mich dort vorzu— 
ſtellen. Dort wurde mir ein Schriftſtück zur Unterſchrift vorgelegt; der Sinn desſelben 
iſt mir heute noch nicht ganz klar. Der Kommandant war nicht anweſend. Um 
jedem ferneren Verhör auszuweichen, unterſchrieb ich das Schriftſtück. Weiter habe 
ich über die Sache nichts mehr gehört. 


J. Dezember 1919. 
gez. Schnuer, Fahrſteiger. 


Anlage 3. 


Elversberg, den 29. November 1919. 


Am 20. Dezember 1918 abends wurde ich nach Heinitz zu Herrn Fahrſteiger 
Schnuer beſtellt, weil ſeine Tochter verunglückt ſei. 

Ich fand Fräulein stud. phil. Maria Schnuer im Bett liegend vor, ihr Geſicht 
war in entſetzlicher Weiſe entſtellt, blutunterlaufen und geſchwollen. Ich ſtellte bei 
Fräulein Schnuer außerdem zwei Stichwunden feſt, eine ins Geſäß, die andere in den 
Bauch; aus letzterem hing ein Stück des Eingeweidennetzes hervor. 

Fräulein Schnuer war vollſtändig bei Beſinnung. Sie gab an, auf dem Wege 
von Heinitz nach Friedrichsthal im Walde von einem franzöſiſchen Soldaten angehalten 
worden zu ſein. Derſelbe habe ſie angeſprochen und von ihr Dinge gewünſcht, die 
ſie nicht verſtehen konnte, da ihr die »Vokabeln« fehlten. Sie habe dann den Verſuch 
gemacht, zu fliehen. Der Soldat packte ſie von hinten, würgte ſie, ſchlug ſie mit den 
Fäuſten in ihr Geſicht und ſtach ſie mit dem Meſſer. 


23* 


— 346 — 


Ich veranlaßte die Überführung des Fräulein Schnuer in das Krankenhaus zu 
Neunkirchen (Saar). | 

Vor dem Abtransport ſuchte ich den Kommandanten der franzöſiſchen Truppen 
in Heinitz auf und nahm ihn mit zu Fräulein Schnuer. 

Fräulein Schnuer wiederholte in franzöſiſcher Sprache den Vorgang des Überfalls. 
Der franzöſiſche Offizier äußerte ſein Bedauern und ſein Entſetzen über die abſcheuliche 
Tat. Er wiederholte immer wieder das Wort »un mauvais soldat« und verſprach 
ſtrenge Beſtrafung. | 

Fräulein Schnuer iſt an ihren Verletzungen im Krankenhaus geſtorben. 


gez. Dr. med. Trittelvitz, Knappſchaftsarzt. 


Nr. 219. 


Verbalnote der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche 
Regierung vom 27. Mai 1920. 


Deutſche Botſchaft in Frankreich. 
J. Nr. 559. 


| Verbalnote. 9 
Durch Note vom 16. Februar d. J. hat die deutſche Botſchaft die am 19. De⸗ 
zember 1918 erfolgte Ermordung des Fräulein Maria Schnuer in Heinitz bei Saar⸗ 
brücken durch einen franzöſiſchen Soldaten zur Kenntnis des Miniſteriums der aus- 
wärtigen Angelegenheiten gebracht und um baldige Mitteilung des Standes der 
Angelegenheit gebeten. | 
Da bisher keine Mitteilung erfolgt iſt, beehrt ſich die deutſche Botſchaft dem 
Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten dieſe Angelegenheit in Erinnerung zu 
bringen und ſieht einer Nachricht mit Dank entgegen. 


Paris, den 27. Mai 1920. 


An 
das Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten, 
Paris. 
Nr. 220. 


Note der franzöſiſchen Regierung an die deutſche Botſchaft in Paris 
vom 25. September 1920. 


(berſetzung.) 


Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten. | ER 
Abteilung für Verwaltungs- Paris, den 25. September 1920. 
und techniſche Angelegenheiten. 


Herr Geſchäftsträger! 


Durch Ihre Noten vom 16. Februar und 27. Mai d. J. haben Sie meine Auf⸗ 
merkſamkeit auf das Verbrechen gelenkt, deſſen Opfer am 20. Dezember 1918 in 
Heinitz die deutſche Staatsangehörige Fräulein Maria Schnuer geworden iſt. 

Die ſehr eingehende Unterſuchung durch den Oberbefehlshaber der Truppen des 
Saargebiets, die der Herr Kriegsminiſter veranlaßt hat, hat zu nachſtehenden Ergeb— 
niſſen geführt: 

1. Die Anhäufung von Truppen, die zu jener Zeit in der Gegend einquartiert 
waren, war beträchtlich. In Friedrichsthal lag das 162. Infanterieregiment und das 
268. Feldartillerieregiment. Das 169. Infanterieregiment lag in dem Raume Neun— 
kirchen-Heinitz-Elversberg. Alle Truppen gehörten zur 69. Infanteriediviſion. Schließlich 


— 347 — 


lag in St. Ingbert das 8. Jägerbataillon der 42. Infanteriediviſion. Da der Überfall 
zwiſchen Friedrichsthal-Elversberg und Heinitz ſtattgefunden hat, war es ſchwer, die 
Nachforſchungen auf den richtigen Weg zu leiten. 

2. Zu Be Zeitpunkt, als das Verbrechen begangen wurde, wurde eine gründliche 
Unterſuchung durch das Kriegsgericht der 69. Infanteriediviſion und durch die deutſche 
Polizei in Neunkirchen angeſtellt, von der das Ergebnis an den Staatsanwalt in 
Saarbrücken und an das Kriegsgericht der 69. Infanteriediviſion in Neunkirchen mit— 
geteilt wurde. 

3. Das Dementi, das der General Fayolle dem Nauener Funkſpruch vom 
12. März 1919 entgegengeſtellt hat und das durch den Landrat von Saarbrücken 
beſtätigt worden iſt, erklärt ſich aus den erheblichen Ungenauigkeiten, die der Funk— 
ſpruch enthielt. Denn dieſer ſprach a 

a) von einem in Saarbrücken begangenen Überfall (während er 15 km davon 

entfernt und im Kreiſe Ottweiler begangen war), : 

b) ſagte er »kürzlich«, während die Geſchehniſſe 3 Monate zurücklagen, 

e) meldete er zwei Opfer, während es nur eins war. 

4. Eine zweite Unterſuchung über dieſes Verbrechen iſt auf Anordnung des 
Oberſten Verwalters des Saargebiets, Herrn Generals Wirbel, anfangs 1920 von 
der Gendarmerie in Neunkirchen vorgenommen worden. 

5. Eine dritte Unterſuchung iſt jetzt vorgenommen worden. Auch ſie hat nicht 
zur Entdeckung des Schuldigen geführt, was nicht überraſchen kann; die Schwierig— 
keiten, zu einem Ergebnis zu kommen, waren ſchon zu der Zeit, als das Verbrechen 
begangen wurde, infolge der Anhäufung von Truppen, die in jener Gegend im 
Quartier lagen, und infolge der Ungenauigkeit der Beſchreibung des Soldaten, den 
man in Begleitung des Fräulein Schnuer geſehen hatte, beträchtlich. Gegenwärtig 
beſteht keinerlei Ausſicht, zum Ziele zu kommen. 

6. Aus der geſamten Unterſuchung ergibt ſich, daß keine Behörde, weder von 
franzöſiſcher noch von deutſcher Seite, verſucht hat, der Entdeckung der Wahrheit 
Hinderniſſe in den Weg zu legen. 5 

Genehmigen Sie, Herr Geſchäftsträger, die Verſicherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung. 


An 


den Deutſchen Geſchäftsträger in Paris, 
Herrn Dr. Mayer. 


gez. Maurice Herbette. 


Nr. 221. 


Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung 
vom 8. März 1921. 
e e e Paris, den 8. März 1921. 
Herr Miniſterpräſident! 

Unter Bezugnahme auf Euerer Exzellenz Note vom 25. September v. J. beehre 
ich mich im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz mitzuteilen, daß dieſelbe 
davon Kenntnis genommen hat, daß trotz der durch den Herrn Kriegsminiſter ange— 
ordneten Unterſuchung der Angehörige der franzöſiſchen Beſatzungstruppen, der im 
Dezember 1918 bei Heinitz die Studentin Marie Schnuer überfallen und mit dem 
Seitengewehr geſtochen hat, ſo daß ſie bald darauf ihren Verletzungen erlag, nicht 
hat ermittelt werden können. 

Wenn der Täter infolgedeſſen nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, 
ſo dürfte doch die völkerrechtliche Haftung der Franzöſiſchen Regierung für die Hand— 
lungen von Angehörigen ihrer Beſatzungstruppen fortbeſtehen. Dementſprechend beehre 


3 


ich mich den Wunſch meiner Regierung Euerer Exzellenz ergebenſt zu übermitteln, die 
Franzöſiſche Regierung möge zur Sühne für das begangene Verbrechen den Hinter— 
bliebenen des Fräulein Marie Schnuer eine angemeſſene Entſchädigung gewähren. 
Die Feſtſetzung der Höhe derſelben glaubt die Deutſche Regierung dem billigen Ermeſſen 
der Franzöſiſchen Regierung überlaſſen zu ſollen. 

Bezüglich des Punktes 3 der Note Euerer Exzellenz, betreffend den in ſeinen 
Angaben nicht genauen Funkſpruch der Station Nauen vom 12. W 1919, beehre 
ich mich auftragsgemäß noch folgendes zu bemerken: 

Der Funkſpruch enthielt die Angabe, daß in Saarbrücken eine Studentin aus 
Heidelberg namens Schütz ermordet worden ſei und daß ein anderes Mädchen ſo 
ſchwere Mißhandlungen erlitten habe, daß es nachträglich daran geſtorben ſei. Der 
Landrat in Saarbrücken hat in ſeiner Eigenſchaft als Polizeidirektor auf eine von 
dem General Fayolle an ihn gerichtete Anfrage damals lediglich erklärt, daß nach 
den von ihm eingezogenen Erkundigungen es in Saarbrücken ein Fräulein Schütz, 
welches von franzöſiſchen Soldaten mißhandelt und getötet worden ſei, nicht gäbe, 
und daß demgemäß die Angaben des Funkſpruchs den Tatſachen nicht entſprechen 
könnten. Dieſe Erklärung bezog ſich offenbar nur auf die Stadt Saarbrücken und 
konnte ſich nur auf dieſe beziehen, mithin konnten aus ihr keinerlei Schlußfolgerungen 
darüber gezogen werden, ob im Kreiſe Saarbrücken Gewalttaten überhaupt nicht vor⸗ 
gekommen ſeien, wie es die Franzöſiſche Regierung zur Belegung des von ihr der 
Preſſe mitgeteilten Dementis getan hat. Wenn die Deutſche Regierung auch bedauert, 
daß durch den Funkfpruch, für den ſie nicht verantwortlich iſt, unrichtige Angaben ver⸗ 
breitet worden ſind, ſo vermag ſie doch den Ausführungen der angeführten Note 
darin nicht vollſtändig zu folgen, daß dieſem Funkſpruch für die Frage der Auf- 
klärung und der weiteren Behandlung des Falles der Ermordung von Fräulein 
Schnuer irgendeine Bedeutung zukommen könnte. 

Genehmigen Sie, Herr Miniſterpräſident, den Ausdruck meiner ausgezeichnetſten 
Hochachtung. 

gez. Dr. Mayer. 

Seiner Exzellenz 

dem Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten, 


Herrn Briand, 
Paris. 


Nr. 222. 


Note der franzöſiſchen Regierung an die deutſche DONE in Paris 
vom 25. April 1921. 


(berſetzung.) 


Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten. 
Politiſche Abteilung. 


Betrifft: 
Überfall auf Fräulein Maria Schnuer 
bei Saarbrücken. 


Herr Botſchafter! | | 

Durch ein Schreiben vom 8. März d. J. haben Sie den Wunſch ausgeſprochen, 

die Franzöſiſche Regierung möge der Familie des Fräulein Maria Schnuer, die am 
20. Dezember 1918 bei Heinitz von einem die franzöſiſche Militäruniform tragenden 


Individuum angegriffen und am folgenden Tage an den Folgen ihrer Verwundungen 
geſtorben iſt, eine Entſchädigung gewähren. 


Paris, den 25. April 1921. 


— 349 — 


Gleich nach dem Überfall wurde eine Unterſuchung ſeitens der franzöſiſchen 
Militärbehörde im Dezember 1918 eingeleitet; ſie führte nicht zur Entdeckung der 
Schuldigen; eine zweite Unterſuchung im Januar und Februar 1920 hatte ebenſo wie 
die Nachforſchungen der deutſchen Polizei kein beſſeres Ergebnis; der Urheber des 
Verbrechens iſt unbekannt geblieben. Immerhin iſt, da es nicht bewieſen werden 
konnte, daß der Angreifer kein franzöſiſcher Soldat geweſen iſt, die Regierung der 
Republik bereit, eine Summe von 40 000 Mark als Entſchädigung an die Familie des 
Opfers jenes Verbrechens zu bewilligen. 


Genehmigen Sie, Herr Botſchafter, die Verſicherung meiner ausgezeichnetſten 
Hochachtung. 
Für den Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten. 
Der ee Miniſter und Direktor der politſchen und Handelsabteilung. 
gez. E. de Peretti della Rocca. 


An 


Seine Exzellenz Herrn Dr. Mayer, 
Deutſcher Botſchafter, 


Paris. 


Nr. 223. 


Note der deutſchen Botſchaft in Paris an die franzöſiſche Regierung 
vom 22. Mai 1921. 


Deutſche Botſchaft in Frankreich. Paris, den 22. Mai 1921. 
J. Nr. 2023. 


Herr Miniſterpräſident! 


In Beantwortung Ihres Schreibens vom 25. April 1921 in der Angelegenheit 
des verſtorbenen Fräuleins Marie Schnuer beehre ich mich Euerer Exzellenz mitzuteilen, 
daß meine Regierung davon Kenntnis genommen hat, daß die Franzöſiſche Regierung 
bereit iſt, der Familie der erwähnten jungen Deutſchen die Summe von 40000 Mark 
als Entſchädigung zu bewilligen. 

Im Auftrage meiner Regierung beehre ich mich Euere Exzellenz zu bitten, die 
zuſtändigen Behörden gütigſt anweiſen zu wollen, das Geld zwecks Weiterleitung an 
die Angehörigen des Opfers an die Deutſche Botſchaft zu zahlen. 

Genehmigen Sie, Herr Miniſterpräſident, den Ausdruck meiner ausgezeichnetſten 
Hochachtung. 

gez. Dr. Mayer. 


Seiner Exzellenz 


dem Miniſterpräſidenten und Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten, 
Herrn Briand, 
Paris. 


XX. 
Verſchiedenes. 


Nr. 224. 


Erlaß des franzöſiſchen Militärverwalters im Saargebiet über den 
Ausdruck „Boche“ uſw. 


(berſetzung.) 
Saarbrücken, den 10. Mai 1919. 


Seit der Veröffentlichung der Friedensbedingungen werden die Bewohner des 
Saargebiets nicht mehr als Feinde betrachtet. Infolgedeſſen erſtreckt ſich 

J. die Bezeichnung »Boches« nur auf die Preußen und die Deutſchen, die 
außerhalb des Saargebiets wohnen. 

2. Das Verhalten des Militärs auf den Straßen muß korrekt bleiben und 
aufhören anſpruchsvoll zu ſein. 

3. Die Weiden in der Umgebung der Garniſonen dürfen nicht mehr im Wege 
der Requiſition benutzt werden. 

4. Das für Offiziere beſtehende Verbot, an Eſſen bei den Einwohnern teilzu⸗ 
zunehmen oder Beſuche zu machen, wird aufgehoben. 


gez. Andlauer. 


Nr. 225. 
Ausweiſung des preußiſchen Landrats von Saarbrücken. 
a. Note des Generals Nudant vom 7. Dezember 1919. 


(berſetzung.) 
„ Köln, den 7. Dezember 1919. 
Nr. 2083/6. 
General Nudant, Präſident der interalliierten Waffenſtillſtandskommiſſion 
an 
den Präſidenten der deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion. 
Der Oberbefehlshaber der alliierten Armeen Marſchall Foch drahtet am 7. De- 
zember unter Nr. 5594: 
»Mit Rückſicht auf ihre Haltung während der Unruhen in Saarbrücken 
im Monat Oktober habe ich folgende Strafmaßnahmen gegen Beamte des 
Saargebiets ergriffen: 
1. Entfernung aus dem Amt und Ausweiſung aus dem beſetzten Gebiet 
gegen den Landrat von Saarbrücken von Halfern und den ihm zugeteilten 
Aſſeſſor von Salmuth; 
2. Verbot der Einreiſe in das beſetzte deutſche Gebiet ohne Genehmigung 
bei Strafe der Verhaftung gegen Braun von Stumm; 
3. Herr Eſſer iſt dazu beſtimmt worden, an die Stelle von Halfern als 
Landrat von Saarbrücken-Land zu treten. Ihm wird das Agreément 
als Verwaltungspräſident erteilt werden, wenn die deutſche Regierung 
es vorſchlägt«. 
Ich bitte Sie, mir baldmöglichſt die Antwort der deutſchen Regierung hinſichtlich 
des §3 mitzuteilen. 


Im Auftrage 
(L. S.) gez. Daniel. 


— 351 — 


b. Note der deutſchen Waffenſtillſtandskommiſſion vom 4. Januar 1920. 
Deutſche Waffenſtillſtandskommiſſion. 
Der Vertreter der Deutſchen Regierung 
an 


den Vorſitzenden der interalliierten Waffenſtillſtandskommiſſion. 


Die Deutſche Regierung hat aus der Note vom 7. Dezember entnommen, daß 
es der Oberſtkommandierende der alliierten Heere für nötig befunden hat, den Ver— 
waltungspräſidenten in Saarbrücken von Halfern und den ihm zugeteilten Regierungs— 
aſſeſſor von Salmuth von ihren Poſten zu entfernen und aus dem beſetzten Gebiet 
auszuweiſen. Weiter hat er dem Herrn Braun von Stumm bei Strafe der Ver- 
haftung verboten, ohne Genehmigung in das beſetzte deutſche Gebiet einzureiſen. Als 
Grund für dieſe Maßregeln hat Marſchall Foch die Haltung dieſer Herren während 
der Unruhen in Saarbrücken in den erſten Tagen des letzten Oktobers angegeben. 

Die Deutſche Regierung vermag nicht anzuerkennen, daß die Beſtimmungen des 
Waffenſtillſtandsvertrages dem Militärbefehlshaber der alliierten und affoziierten Mächte 
überhaupt ein Recht dazu geben, deutſche Beamte von ihrem Poſten zu entheben oder 
Reichsangehörige aus den beſetzten Gebieten auszuweiſen. Davon abgeſehen, muß die 
Deutſche Regierung aber beſonders ihrem Befremden darüber Ausdruck geben, daß 
der Oberſtkommandierende der alliierten Heere auf Ereigniſſe zurückkommt, die bereits 
Monate lang zurückliegen und ein Verhalten mißbilligt, das — inſofern die Herren 
von Halfern und von Salmuth in Frage kommen — von dem bisherigen Leiter der 
franzöſiſchen Militärverwaltung in Saarbrücken, der jene Ereigniſſe aus eigener An— 
ſchauung kannte, nicht nur nicht getadelt, ſondern als richtig anerkannt worden iſt. 
Das Vorgehen gegen den Verwaltungspräſidenten erſcheint um weniger verſtändlich, 
als Herr von Halfern ſich des uneingeſchränkten Vertrauens aller Bevölkerungskreiſe, 
aller politiſchen Parteien im Saargebiete erfreut und ſtets im beſten Einvernehmen 
mit den Beſatzungsbehörden geſtanden hat. f 

Dazu kommt noch, daß er aus den rheiniſchen Gebieten ſelbſt ſtammt und daß 
keine Perſönlichkeit vorhanden iſt, die neben dem Vertrauen der Bevölkerung die 
langjährige Erfahrung des Herrn von Halfern und ſeine genaue Kenntnis der Be— 
dürfniſſe und aller Verhältniſſe des Saarbeckens beſitzt. Ein vollwertiger Erſatz für 
Herrn von Halfern kann nicht gefunden werden, und ſeine Entfernung ſchädigt ſomit 
auf das ſchwerſte die Intereſſen der Saarbevölkerung, deren ſorgfältige Wahrung 
die alliierten und aſſoziierten Mächte ausdrücklich verſprochen haben. 

Was den Herrn Braun von Stumm anbelangt, ſo hat ſich dieſer in Begleitung 
ſeiner Gattin aus rein privaten Gründen nach dem Saargebiet begeben, wo ſein ge— 
ſamtes Vermögen inveſtiert iſt. Die vorſchriftsmäßige Genehmigung zur Einreiſe in 
das beſetzte Gebiet hatte er vorher eingeholt und erhalten. Mit den in Saarbrücken 
ausgebrochenen Unruhen hat er nicht das Geringſte zu tun gehabt. 


Die Deutſche Regierung muß feierlich Verwahrung gegen die angeordneten 
Maßregeln einlegen und gibt der Erwartung Ausdruck, daß die Angelegenheit einer 
neuen Prüfung unterzogen wird und daß die getroffene Verfügung zurückgenommen 
werden wird. 

Die Deutſche Regierung kann weiter die Art und Weiſe nicht mit Stillſchweigen 
übergehen, in der die Ausweiſung der Herren von Halfern und von Salmuth zur 
Ausführung gebracht worden iſt. Beide ſind um 5 Uhr morgens aus den Betten 
geholt und nach Gewährung einer kaum zweiſtündigen Friſt zur Ordnung ihrer Ange— 
legenheiten über den Rhein abgeſchoben worden. Ein derartiges ſchroffes Vorgehen 
erſcheint der Deutſchen Regierung durch nichts gerechtfertigt. Sie legt auch hiergegen 
Verwahrung ein und gibt in der beſtimmten Annahme, daß das eingeſchlagene Ver— 
fahren nicht den Abſichten des Marſchalls Foch entſpricht, der Überzeugung Ausdruck, 
daß die verantwortlichen Stellen auf die unangebrachte Rückſichtsloſigkeit ihres Vor— 
gehens werden hingewieſen werden. 


— 352 — 


Die Deutſche Regierung glaubt endlich auch dieſen Anlaß nicht vorübergehen 
laſſen zu dürfen, ohne erneut und ernſtlich auf die ſchwere Schädigung hinzuweiſen, 
die der deutſchen Verwaltung der beſetzten rheiniſchen Gebiete durch die fortgeſetzten 
Entfernungen von wichtigen Beamten zugefügt wird, ein Verfahren, das binnen 
kurzem zu einem völligen Zuſammenbruche dieſer Verwaltung führen muß. Die 
Deutſche Regierung behält ſich vor, auf dieſe Verhältniſſe in einem anderen Zu- 
ſammenhange zurückzukommen. | 

Die Preußiſche Regierung hat mitgeteilt, daß fie ſchon deshalb nicht in der 
Lage iſt, den Miniſterialdirektor Eſſer zum Landrat und Verwaltungspräſidenten in 
Saarbrücken zu ernennen, weil ſie die Verwendung dieſes Beamten auf einem anderen 
Poſten in Ausſicht genommen hat. Sie rechnet mit einer Reviſion der Verfügung 
des Marſchalls Foch und behält ſich die Entſcheidung über die zeitweilige Verwaltung 
des Landratsamtes Saarbrücken-Land vor. 

Es verſteht ſich im übrigen nach Anſicht der Deutſchen Regierung von ſelbſt, 
daß die Verfügung des Marſchalls Foch, wenn ſie etwa jetzt nicht ſchon wieder auf— 
gehoben werden ſollte, ihre Wirkſamkeit mit dem Inkrafttreten des Friedensvertrages 
verlieren würde. 


Düſſeldorf, den 4. Januar 1920. 
gez. Weiß. 
(Die Note iſt ohne Antwort geblieben.) 


Nr. 226. 


Wortlaut eines nach Inkrafttreten des Friedensvertrags erlaſſenen 
Ausweiſungsbefehls der Militärbehörde. 


Oberſte Militärverwaltung der Saar. 


Etat Major, 2 Büro O. G., den . . . . Februar 1920. 
Men. 
In Anbetracht, daß der genannte. ...... „wohnhaft inn 1 ſtraße ..., 


ſich aktiv beteiligt in einer Werbung gegen die öffentliche Ordnung. 
Geſehen die Note 562 I C. R. vom Marſchall und Chef der Verbündeten Armee 
iſt beſchloſſen in der Konferenz 
Verordnung. 
Artikel Li, Der genannte iſt ausgewieſen aus dem Gebiet der ver— 
bündeten Armeen. 
Artikel II. Der Kommandant der Prévöôté und der Militärverwalter von 
i ſind beauftragt beim Eintreffen dieſer Verordnung dieſelbe zu vollſtrecken. 
gez. Wirbel. 


Nr. 227. 


Belagerungszuſtand zwecks Sicherung des Eiſenbahnbetriebs. 


a. Verordnung, betreffend Sicherung des Eiſenbahnbetriebs. | 
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets Nr. 2 vom 1. Mai 1920.) 


Die Regierungskommiſſion des Saargebiets verordnet gemäß der Verfügung vom 

28. Februar 1920, betreffend die Eiſenbahn⸗Direktion in Saarbrücken (vgl. Amtsblatt 

Stück 1, Nr. 16), in Anbetracht der Notwendigkeit, das wirtſchaftliche Leben im Saar⸗ 
gebiet ſicherzuſtellen, 

auf Grund des Artikels 7 der Anlage zu Abteilung IV (Teil III) des Friedens- 

vertrags, 


— 353 — 


mit Rückſicht auf die Notwendigkeit, jederzeit die Verbindungslinien der interalliierten 
Heere zu ſichern, was nur vermittels der Eiſenbahn des Saargebiets geſchehen kann: 


. 
Der Belagerungszuſtand kann verhängt werden, um den normalen Betrieb der 
Eiſenbahn zu ſichern. 
8 2. 
In dieſem Falle übernimmt die Eiſenbahnkommiſſion von Saarbrücken unter dem 
Militärkommiſſar im Namen der Regierung die Direktion der Eiſenbahnen. 
Das Zivilperſonal der Eiſenbahn wird requiriert und unterſteht allen Befehlen 
und Anordnungen derjenigen Behörde, die im Falle des Belagerungszuſtandes mit der 
Aufrechterhaltung der Ordnung beauftragt iſt. 


Saarbrücken, den 23. April 1920. 
Im Namen der Regierungskommiſſion des Saargebiets: 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


b. Note des Reichskomiſſars für die Übergabe des Saargebiets an die 
Regierungskommiſſion des Saargebiets vom 11. Mai 1920. 


Der Oberpräſident der Rheinprovinz 
als Reichskommiſſar für die Übergabe 
des Saargebiets. 

Nr. S. 321. 

| Herr Präſident! 

Die Regierungskommiſſion hat unter dem 23. April d. J. eine Verordnung 
erlaſſen, die die Verhängung des Belagerungszuſtandes zur Sicherung des normalen 
Betriebes der Eiſenbahn vorſieht. Dieſe Verordnung iſt geſtützt auf Artikel ($) 7 der 
Anlage zu Abſchnitt IV Teil III des Friedensvertrags, wo beſtimmt iſt, daß das für 
die Forträumung und Beförderung der aus den Bergwerken und ihren Nebenanlagen 
gewonnenen Erzeugniſſen ſowie das für die Beförderung der Arbeiter und Angeſtellten 
erforderliche Material und Perſonal von der Eiſenbahnverwaltung des Beckens geſtellt 
wird. Trotzdem die Verordnung ſich ausdrücklich auf dieſe Beſtimmung des Friedens— 
vertrags bezieht, iſt ihr Zweck nicht etwa die Sicherſtellung des Güter- und Perſonen— 
verkehrs der Gruben, ſondern, wie ausdrücklich ausgeſprochen wird, die Sicherung der 
Verbindungslinien der interalliierten Heere, alſo eine militäriſche Maßnahme. 

Ich glaube, keine Ausführungen darüber machen zu brauchen, daß die gewählte 
geſetzliche Grundlage weder mit dem verfolgten Zweck noch mit dem in Ausſicht ge— 
nommenen Mittel, der Verhängung des Belagerungszuſtandes, in Einklang ſteht, und 
daß daher die erwähnte Verordnung ſchon aus dieſem Geſichtspunkte rechtlich nicht 
haltbar iſt. Die Verordnung ſieht aber weiter im § 2 für den Fall des Belagerungs— 
zuſtandes die Übernahme der Leitung der Eiſenbahnen durch die Eiſenbahnkommiſſion 
von Saarbrücken unter dem Militärkommiſſar und die Requirierung des Zivilperſonals 
der Eiſenbahn vor. Da eine andere geſetzliche Grundlage. als die oben erwähnte hier— 
für nicht ausgeführt iſt, auch meines Wiſſens nicht in Frage kommen en zumal 
nach Ihren eigenen Erklärungen in der Beſprechung zu Trier am 22. März d. J. die 
militäriſche Beſetzung und Verwaltung des Saargebiets von Rechts wegen aufgehört 
hat zu beſtehen, ſo entbehren auch dieſe weiteren Anordnungen der geſetzlichen Be— 
gründung und Rechtswirkſamkeit. 

In meiner Eigenſchaft als Kommiſſar für die Übergabe des Saargebiets darf 
ich nicht unterlaſſen, Sie darauf aufmerkſam zu machen, daß jedenfalls eine Inanſpruch— 
nahme der Eiſenbahnbeamten im Sinne der Verordnung der Regierungskommiſſion 
mit den für ihre Rechtsverhältniſſe maßgebenden deutſchen Geſetzen nicht zu verein— 
baren iſt, da dem deutſchen Recht eine Requirierung von Perſonen überhaupt un— 
bekannt iſt. Die deutſcherſeits für den Kriegszuſtand getroffenen Ausnahmebeſtimmungen 


Coblenz, den 11. Mai 1920. 


— 354 — 


finden gemäß § 23 Abf. I der Anlage zu Artikel 50 des Friedensvertrags auf das 
Saargebiet keine Anwendung, und gemäß § 30 der Anlage findet im Saargebiet 
keinerlei Militärdienſt ſtatt. 

Ich ſehe mich daher veranlaßt, gegen die gegebenenfalls beabſichtigte Verwendung 
des Eiſenbahnperſonals und ſeine Unterſtellung unter eine fremde Militärgewalt nach— 
drücklichſt Einſpruch zu erheben. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner ausgezeichneten Hoch— 
achtung. 
gez. von Groote. 

An | 

den Präſidenten der Regierungskommiſſion für das Saargebiet, 
Herrn Staatsrat Rault, 


Hochwohlgeboren, 
Saarbrücken. 
(Die Note iſt ohne Antwort geblieben.) 


Nr. 228. | 


Grundſätze für die Berichterſtattung der Regierungskommiſſion des 
Saargebiets an den Völkerbundsrat. 


a. Schreiben des Präſidenten der Regierungskommiſſion des 
Saargebiets an den Generalſekretär des Völkerbundes. 


(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 5 vom 26. Juni 1920.) 
Herr Generalſekretär! ei; | 


In dem vom Rat des Völkerbundes am 13. Februar 1920 angenommenen und 
für die Regierungskommiſſion des Saargebiets beſtimmten Inſtruktionen, wird die 
Regierungskommiſſion gemäß § 8 erſucht, dem Rate des Völkerbundes Vorſchläge zu 
machen in bezug auf Form und Umfang der zu erſtattenden Berichte. 

Die Regierungskommiſſion teilt die Anſicht, daß ſie voll und ganz dem Wunſche 
des vollziehenden Rates entſpricht, wenn ſie ihm periodiſche Berichte erſtattet mit dem 
Geſamtbild der wirtſchaftlichen und politiſchen Lage des Saargebiets mit den ſeitens 
der Regierungskommiſſion ergriffenen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung 
und Wohlfahrt der ihr anvertrauten Bevölkerung. 

So würde der vollziehende Rat ſtets über das von der Regierungskommiſſion 
Geleiſtete unterrichtet ſein und ſich von dem Geiſt überzeugen können, der ſie beſeelt. 

Dieſe Berichte würden weder die Einzelheiten der Verhaltung noch die allgemeinen 
Fragen berühren, über die zu entſcheiden, nur der Präſident und die Regierungs- 
mitglieder berufen ſind in Anbetracht ihrer ſteten Berührung mit der Bevölkerung 
und ihrer Verantwortung. 

Die Regierungskommiſſion erachtet es für notwendig, zu Beginn eines jeden 
Monats, einen Bericht zu verfaſſen, wenigſtens während der Einrichtungsperiode der 
Regierungskommiſſion und ſolange das Saargebiet keine feſte Verwaltung hat. In 
Zukunft wird man ſich wohl auf einen vierteljährlichen Bericht beſchränken können ). 

Sollte es ſich einmal um ein außerordentliches Ereignis oder um einen wichtigen 
Entſchluß handeln, ſo würde die Regierungskommiſſion unverzüglich eine beſondere Note, 
in dringenden Fällen telegraphiſch, an den Generalſekretär des Völkerbundes richten. 

Schließlich wird vielleicht die Erfahrung es zur Notwendigkeit machen, die Berichte 
auch mündlich zu vervollſtändigen, ſei es durch den Präſidenten, ſei es durch ein dazu 
beſtimmtes Mitglied der Regierungskommiſſion, das ſich dann zum Sitze des Völker— 

1) Die erſten 4 Berichte der Regierungskommiſſion find monatlich, die ſpäteren vierteljährlich erſtattet 


worden. Die bis Anfang Oktober 1921 veröffentlichten Berichte datieren vom 25. März 1920, 1. Mai 1920, 
1. Juni 1920, 1. Juli 1920, 25. Oktober 1920, 25. Januar 1921, 12. Mai 1921 und 1. Auguſt 1921. 


„ 4 


bundes begeben würde. Dies find die Vorſchläge, welche die Regierungskommiſſion 
ſich durch ihre Vermittlung dem Vollziehenden Rat des Völkerbundes zu unterbreiten 
beehrt, mit der Bitte, eine diesbezügliche Beratung herbeiführen zu wollen. 

Bitte Genehmigen Sie, Herr Generalſekretär den Ausdruck meiner vorzüglichen 
Hochachtung. 

Saarbrücken, den 26. Februar 1920. 

Im Namen der Regierungskommiſſion. 
Der Präſident: 
gez. V. Rault, Staatsrat. 


b. Schreiben des Generalſekretärs des Völkerbundes an den Prä— 
fidenten der Regierungskommiſſion des Saargebiets. 
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 5 vom 26. Juni 1920.) 
Sunderland Houſe Curzon Street, W I, 25. Mai 1920. 
Herr Präſident! 

In Beantwortung Ihres Briefes vom 26. Februar 1920, betreffend Form und 
und Umfang der Berichte, die die Regierungskommiſſion an den Rat des Völker— 
bundes zu richten hat, beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß eine Abſchrift Ihres 
Briefes den Mitgliedern des Rates des Völkerbundes zugegangen iſt. Dieſer Abſchrift 
aM als Projekt anliegender Brief beigegeben, der die Billigung der Ratsmitglieder 
fand. 

Im großen ganzen ſtimme ich Ihren Vorſchlägen bei. 

Geſtatten Sie, daß ich nachträglich einige Bemerkungen mache. 

Der Organiſierende Ausſchuß des Völkerbundes hat in ſeiner Sitzung vom 
9. Juni 1919 in Paris folgenden Beſchluß gefaßt: 

»Es wird von weſentlicher Bedeutung ſein, daß der Völkerbund möglichſt genau 
und möglichſt ſchnell von allen politiſchen, wirtſchaftlichen, finanziellen, ſozialen und 
anderen Ereigniſſen, die auf der ganzen Welt von Intereſſe für Sie ſein können in 
Kenntnis geſetzt und auf dem Laufenden gehalten wird.« Dieſer Beſchluß gilt für 
das Saarbecken. 

Die Berichte der Kommiſſion würden nicht nicht nur den Rat auf dem Laufenden 
halten, ſondern weiter zur Bildung einer für das Internationale Sekretariat ſehr wert— 
volle Dokomentierung beitragen. Zu dieſem Zwecke erachte ich es für notwendig, daß 
dieſen Berichten der authentiſche Text der Beſchlüſſe der Regierungskommiſſion beige— 
fügt würden, in bezug auf politiſche, wirtſchaftliche, finanzielle, ſoziale und andere 
Ereigniſſe, die für den Völkerbund von Intereſſe fein können; es könnten auch alle 
offiziellen Bekanntmachungen der Regierungskommiſſion beigegeben werden. 


Alle Berichte der Regierungskommiſſion ſind an den Generalſekretär des Völker— 
bundes zu richten. Die periodiſchen Berichte werden durch den Generalſekretär zur 
Kenntnis der Mitglieder des Völkerbundes gebracht. Was die Beilagen betrifft, ſo 
werden ſie zum Teil oder ganz bekanntgegeben, wenn die Regierungskommiſſion es 
ausdrücklich wünſcht oder wenn der Generalſekretär es für nützlich erachtet. Die für 
die Beilagen in Anwendung kommende Regel wird auch auf alle ſonſtigen Berichte 
der Regierungskommiſſion übertragen werden. 

Beim Verfaſſen der Regierungsberichte muß ſtets einer möglichen Veröffentlichung 
Rechnung getragen werden. Falls die Regierungskommiſſion die Anſicht vertreten 
ſollte, ein Fall oder ein Meinungsausſpruch dürfte nicht ſofort der Offentlichkeit preis- 
gegeben werden, ſo könnte die Regierungskommiſſion dieſe Tatſache oder Meinung in 
einem Sonderberichte zum Ausdruck bringen, der als »Vertraulich« vermerkt würde. 
Trotzdem könnte der Völkerbund dieſen Bericht veröffentlichen, wenn er es für gut fände. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſichekung meiner vorzüglichen Hoch— 
achtung. 


gez. Erik Drummond, Generalſekretär. 


— 356 — 


Nr. 229. 


Schreiben des Generalſekretärs des Völkerbundes an den Präſidenten 
der Regierungskommiſſion des Saargebiets über die Behandlung 
von Eingaben von Bewohnern des Saargebiets an den Völkerbund. 
(Vgl. Amtsblatt der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Nr. 5 vom 26. Juni 1920.) 


Sunderland Houſe, Curzon Street, 


League of Nations. London, den 25. Mai 1920. 


Herr Präſident! 


Der Anwaltsverein von Saarbrücken hat an mich ein Geſuch gerichtet, das für 
den Rat des Völkerbundes beſtimmt war. Ich erlaube mir, Ihnen eine Abſchrift 
dieſer Zuſchrift zukommen zu laſſen. 

In Befolgung der Vorſchriften des Rates des Völkerbundes erlaube ich mir, 
der Regierungskommiſſion mitzuteilen, daß ſämtliche Geſuche der Saarländer an den 
Völkerbund der Regierungskommiſſion unterbreitet werden müſſen. Die Regierungs⸗ 
kommiſſion wird ſie dann mit oder ohne Bemerkung an den Generalſekretär zur 
Vorlage an den Rat übermitteln. 

Ich bitte Sie, Vorſtehendes zur Kenntnis des Anwaltsvereins von Saarbrücken 
bringen zu wollen. 

Genehmigen Sie, Herr Präſident, die Verſicherung meiner Hochachtung. 


gez. Erik Drummond, Generalſekretär. 


Nr. 230. 


Auszug aus einem Bericht des franzöſiſchen Abgeordneten Fernand 
Engerand über den Erwerb der Kohlengruben des Saargebiets durch 
Frankreich. 


Am 27. Dezember 1919 hat die franzöſiſche Regierung 
in der franzöſiſchen Kammer einen Geſetzentwurf über die 
Schaffung eines „Office des mines domaniales de la Sarre“ 
eingebracht. Dieſer Entwurf hat zu verfchiedenen, eingehen- 
den Berichten in der franzöſiſchen Kammer Anlaß gegeben. 
Der ausführlichſte Bericht iſt erſtattet worden von dem Ab— 
geordneten Fernand Engerand, dem Vizepräſidenten der zur 
Prüfung des Geſetzentmurfs eingeſetzten Sonderkommiſſion. 
Aus dieſem Bericht (Druckſachen der franzöſiſchen Kammer 
außerordentliche Seſſion 1920, Nr. 1535) ſind im folgenden 
einige Seiten wiedergegeben. 


(berſetzung.) 

(S. ff.) Das Saargebiet iſt für Frankreich einer der anſehnlichſten Vorteile des 
Vertrags von Verſailles. Elſaß-Lothringen iſt eine Rückgabe. Wenn wir nicht wieder 
in den Beſitz dieſes Saarkohlenbeckens geſetzt worden wären, das vom Jahre 1806 
ab unſere franzöſiſchen Ingenieure geologiſch aufnahmen und erſchloſſen, wenn der 
lothringiſche Teil des Saargebiets nicht zum Gegenſtand eines fein künftiges Schickſal 
vorbehaltenden Statuts gemacht worden wäre, ſo hätte ſich das ſiegreiche Frankreich 
von 1919 hinſichtlich ſeiner Grenzen gezwungen geſehen, ein zweites Mal ſeine Unter⸗ 
ſchrift unter die Verträge von, 1815 zu ſetzen und die Minderungen ſeiner Grenzen 
zuzugeſtehen, die ihm im Jahre 1815 als eine Strafe auferlegt wurden. 

Der Vertrag von Verſailles vom 28. Juni 1919 bezeichnet mit dem Wort 
»Saarbecken« die von preußiſchem Gebiet abgetrennte Gegend Lothringens und ſtellt 


— 357 — 


in ſeinem Artikel 45 den Grundſatz auf, daß »Deutſchland als Erſatz für die Zerſtörung 
der Kohlengruben in Nordfrankreich und als Anzahlung auf die von ihm geſchuldete 
Reparation der Kriegsſchäden das volle und unbeſchränkte, völlig ſchulden- und laſten— 
freie Eigentum an den Kohlengruben im Saarbecken mit dem ausſchließlichen Aus— 
beutungsrecht an Frankreich abtritt«. 

Wir haben das Recht und die Pflicht, ſowohl dieſe Bezeichnung wie den für 
die Abtretung des Eigentums angegebenen Grund zu beſtreiten. 

Die Bezeichnung »Saarbecken«, die dem Saarſtaat gegeben wird, iſt eine fla— 
grante Ungenauigkeit; das Kohlenbecken umfaßt weniger als die Hälfte des Gebiets 
des Saarſtaats und ſetzt ſich jenſeits ſeiner Grenzen in dem desannektierten Lothringen 
bis Pont⸗äà⸗Mouſſon fort. Wie konnte man einen ſolchen Fehler im Ausdruck begehen, 
der der Vorſtellung Raum geben kann, als ob die Gruben als die Hauptſache und 
die Bevölkerung als die Nebenſache angeſehen wurden? 

Nicht weniger beſtreitbar iſt der angegebene Grund für die Abtretung des Eigen— 
tums an den Saarkohlengruben an Frankreich: »Ein Erſatz für die Zerſtörung der 
Kohlengruben in Nordfrankreich«. Wir können hierin nur einen politischen Vorwand 
erblicken, um unſere Verbündeten zu dieſer Entſcheidung zu bringen; in Wirklichkeit 
hatten und haben wir geſchichtliche Rechte, die die Ratifikation des Friedensvertrags 
nicht vernichten kann und die das franzöſiſche Parlament nicht verjähren laſſen darf. 

Der Hauptzweck dieſes Berichts iſt, dieſe Rechte ausdrücklich in Erinnerung zu 
bringen. 

Die Saargegend bildet einen Teil unſeres Lothringens; ein Teil davon war ſogar 
zwei Jahrhunderte lang franzöſiſch. Saarlouis wurde von Ludwig XIV. gegründet. 
Es war die Geburtsſtadt des Marſchalls Ney. Im Jahre 1815 gab die Loslöſung 
dieſer grundfranzöſiſchen Gebiete von Frankreich Veranlaſſung zu pathetiſchen und 
tragischen Zwiſchenfällen, und wenn nach 1815 ein Deroulĩde ſich gefunden hätte, 
um die Verjährung dieſer moraliſchen Rechte zu verhindern, ſo hätte die Rückgabe 
des Saargebiets nicht aufgehört, eine unſerer größten nationalen Forderungen zu ſein. 

Im Saarbecken ſelbſt kann Frankreich ganz beſtimmte materielle und juridiſche 
Rechte geltend machen, deren wichtigſte das Recht des Entdeckers iſt. Es waren 
Ingenieure des franzöſiſchen Staats, die für den franzöſiſchen Staat die wahren 
Entdecker des Kohlenbeckens an der Saar waren, und es erſcheint nicht überflüſſig zu 
erwähnen, daß bis auf unſere Tage das deutſche Recht die Bodenſchätze dem Ent— 
decker zuſprach. f 

Das Saarkohlenbecken iſt außerordentlich reich; deutſche Techniker haben ſeine 
Reſerven ſogar auf das Doppelte unſerer Kohlengruben im Département du Nord 
und im Departement Pas-de-Calais geſchätzt; ſicherlich liegt in dieſen Annahmen eine 
Übertreibung, trotz allem aber kann man ſagen, daß das Saarbecken in bezug auf 
den Beſitz an Kohle ein ausgeſuchtes Stück darſtellt. 

Es iſt von dem preußiſchen Fiskus, dem es faſt vollſtändig gehörte, nur wenig 
ausgebeutet worden, auch hat dieſer die Ausbeutung nur auf einem kleinen Teil be— 
trieben. Die Ausbeutung wird alſo notwendigerweiſe ausgedehnt werden, und das 
für das Saarbecken vorgeſehene Statut muß dieſe Ausdehnung ermutigen und begünſtigen. 

Die preußiſche Ausbeutung des Saarbeckens war mittelmäßig und, wie wir ſehen 
werden, mit Willen mittelmäßig, wahrſcheinlich in der Abſicht, die Konzentration einer 
zu ſtarken Hütteninduſtrie in einem Grenzgebiet zu verhindern, eine Konzentration, die 
doch durch das Nebeneinander von Eiſen, Erz, Kohle und Flußverkehrswegen wie 
Moſel und Saar, deren Kanaliſierung den Zugang zum Rhein ermöglicht hätte, er— 
leichtert worden wäre. 

Hier wird alſo vom franzöſiſchen Standpunkt aus eine wirtſchaftliche Sonder: 
politik zu beginnen und zu verfolgen ſein. 

Das Saarbecken kann eine große Zukunft haben. Wenn die Saargruben unſeren 
Hüttenwerken in Lothringen den benötigten Koks liefern, müſſen ſie eine bemerkenswerte 
Senkung des Selbſtkoſtenpreiſes und demnach des Preiſes für Gußeiſen und Stahl 


— 358 — 


herbeiführen. Als Verſorger des Saargebiets, der umliegenden Gebiete, des linken 
Rheinufers und zum Teil auch der Schweiz beſitzen dieſe Gruben eine politiſche 
Bedeutung und ſind berufen, eines der wirkſamſten und legitimſten Mittel des franzöſiſchen 
Einfluſſes in den Rheinlanden zu bilden. 

Dieſe doppelte Erwägung bezeichnet die ganze Bedeutung des Entwurfs, der 
Ihnen vorgelegt iſt; in einer Frage dieſer Art darf man nicht leichthin Geſetze erlaſſen, 
noch ſie zum Gegenſtand ſozialer oder wirtſchaftlicher Verſuche machen. 5 

Es darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß von dem Regime, das den 
Saargruben gegeben werden wird, und von der Politik, die wir dort befolgen werden, 
zum großen Teil der Ausfall der Volksabſtimmung abhängen wird, durch die die 
Bevölkerung im Jahre 1934 ſich über ihr Schickſal ausſprechen ſoll. 

Mit einem tiefen und immer wahren Wort hat Albert Sorel den Charakter 
dieſer Länder der rheiniſchen Mark gekennzeichnet: »Sie beurteilen die Regierungen nach 
ihren Taten; die Macht, die ihr Los verbeſſert und ſie am günſtigſten behandelt, wird 
ihre Sympathien beſitzen.« 

(S. 64.) Das Saargebiet iſt, wie wir wiederholen wollen, einer der größten 
Vorteile, die wir durch den Vertrag von Verſailles erhalten haben. Es iſt ein köͤſtlicher 
Biſſen, der wirtſchaftlich Frankreich ergänzt und in einem Zeitraum, den zu verkürzen 
in unſerer Hand liegt, unſere Abhängigkeit von England in bezug auf die Kohle 
beträchtlich vermindern und vielleicht ſogar beſeitigen kann. 


Kr e e e 


(S. 94 ff.) Die Zuteilung der Saarkohlengruben an den franzöſiſchen Staat 
mit der Möglichkeit eines Rückkaufs nach 15 Jahren durch Deutſchland für den Fall, 
daß die Volksabſtimmung zu ſeinen Gunſten ausfallen ſollte, ergibt ſowohl unmittelbar 
zu löſende Fragen materieller Art wie nationale Fragen, die das Endgeſchick dieſes 
Gebiets ſelbſt betreffen. Dieſe Fragen liegen nicht nur eng nebeneinander, ſondern 
durchdringen ſich gegenſeitig. 

Es iſt klar, daß von der durch uns befolgten Art der Ausbeutung nicht nur die 
Zukunft des Unternehmens, d. h. ein mehr oder weniger ſtarken Ertrag, ſondern auch 
und vor allem die Zukunft des Saarbeckens abhängen wird, d. h. eine Heranziehung 
ſeiner Bevölkerung zu Frankreich oder im gegenteiligen Falle eine Abneigung für die 
franzöſiſche Ausbeutung und Verwaltung. Hier iſt die ganze Schwere des Problems 
erſichtlich, vor das ſich das Parlament geſtellt ſieht. Das Saarbecken hat eine poli- 
tiſche Berufung ebenſo und noch mehr als eine wirtſchaftliche. Die Gruben ſind der 
Hauptfaktor für das Wohlergehen dieſes Gebiets; ſie ſind berufen, eins der großen 
Einflußmittel Frankreichs im Saarlande zu werden. 

Das zu errichtende Regime muß alſo vor allem dem franzöſiſchen Intereſſe 
Rechnung tragen, das mit dem des Saargebiets zuſammenfällt. 5 

Die Saargruben find an den franzöſiſchen Staat abgetreten worden. Der fran- 
zöſiſche Staat muß die Oberhand über ihre Geſchäftsführung haben, denn hier liegt 
ein nationales Intereſſe, das nur er wahrnehmen, und eine heikle Politik, die nur er 
verfolgen und leiten kann. Es handelt ſich im wahren Sinne des Worts um eine 
Staatsfrage. 

Die Kürze des Zeitraums von 15 Jahren würde privater Initiative eine erſprieß⸗ 
liche Entfaltung nicht geſtatten, denn ſchon die Möglichkeit, enteignet zu werden, ſelbſt 
unter Rückkaufsrecht, würde die Bemühungen und die Unternehmungsluſt von Privat⸗ 
perſonen lähmen. Könnte man nicht angeſichts eines ſolches Rückkaufs in beſter Ab- 
ſicht Kombinationen zuſtande bringen, die nicht immer Gefahr laufen würden, als 
nationale Frage behandelt zu werden? Man mag ſich dabei an die Verhältniſſe im 
Becken von Briey vor dem Kriege erinnern. Die Privatintereſſen ſind die eine, das 
Nationalintereſſe iſt die andere Seite der Frage. | 

Eine Beteiligung des franzöſiſchen Staats iſt erforderlich, mag fie auch nur zu 
dem Zweck erfolgen, um die Regierungskommiſſion des Saargebiets zu einer genauen 


— 


u 
73 
* 


i 


TE 5 I 2 . g 
Brefolgung der Beſtimmungen des Vertrags von Verſailles anzuhalten, wonach »die 
Beiträge der Gruben und ihrer Nebenanlagen zu dem örtlichen Haushalt des Saar— 
gebiets unter gebührender Berückſichtigung des Verhältniſſes des Wertes der Gruben 


zu dem geſamten ſteuerpflichtigen Vermögen des Saarbeckens feſtgeſetzt werden.“ Dieſe 
Beſtimmung kann nur durch eine Erörterung von Staat zu Staat verwirklicht werden; 


private Konzeſſionsinhaber wären dabei ohnmächtig. 


Die Gruben müſſen intenſiv ausgebeutet werden; ſie müſſen im Laufe des 
15jährigen Zeitraumes auf das Höchſtmaß ihrer Extragsfähigkeit gebracht werden. 


Es darf hier keine Politik der Zurückhaltung betrieben werden, denn jede Erhöhung 


der im Saargebiet geförderten Tonnenzahl wird einer Verminderung unſerer Einfuhr 
an ausländiſcher Kohle entſprechen. Die Bedeutung der Kohle kann geringer werden, 


und man kann geradezu von einer in Vorbereitung befindlichen Politik in der Welt 


ſprechen, die der Kohle ihren Rang als einziges Brennmaterial zu nehmen beſtrebt iſt; 
ſchon gibt es Erſatzmittel, und es wird deren immer mehr geben. 

Das Saarkohlenbecken vervollſtändigt das lothringiſche Eiſenerzbecken; es erſcheint 
vor allem berufen, der lothringiſchen Hütteninduſtrie ihren Hüttenkoks zu liefern. 

Der Koks ſpielt die Hauptrolle bei den Geſtehungskoſten für franzöſiſches Guß— 
eiſen; weil der Koks teuer war, iſt in Frankreich das Gußeiſen teuer geworden. 
Wenn der Preis für Hüttenkoks dadurch vermindert wird, daß er in großen Mengen 
vorhanden iſt, ſo wird auch der Preis für Gußeiſen herabgemindert. 

Oben iſt von den Behauptungen über die angebliche mangelnde Eignung der 
Saarkohle zur Herſtellung von Hüttenkoks geſprochen worden. Dieſen Behauptungen 
ſind die bewundernswerten Verſuche von Herrn Chapy gegenübergeſtellt worden, durch 
die Hüttenkoks von jeder Kohle erzielt worden iſt. Dieſe Verſuche müſſen vor allem 
im Saarbecken fortgeführt und induſtriell verwertet werden. 

Im Jahre 1913 beſaß das Saargebiet allein ebenſo viel Koksöfen wie ganz Frank— 
reich und erzeugte gleichwohl nur 2 Millionen Tonnen Hüttenkoks, während man in 
Frankreich auf vier Millionen kam. Hier liegt eine beträchtliche Produktionsmöglichkeit. 
Die oben wiedergegebene Note des Miniſteriuus der öffentlichen Arbeiten beweiſt, daß 
die Produktion an Hüttenkoks im Saargebiet bereits 65 000 Tonnen im Monat beträgt. 
Es se hierin ein intereſſanter Fingerzeig, in dem wir aber nur einen Anfang ſehen 
wollen. 

Das Saargebiet ſollte zum Schauplatz des Fortſchreitens der Kohlenwiſſenſchaft 
werden, um der Bevölkerung zu zeigen, weſſen das franzöſiſche Genie fähig iſt. Für 
dieſe Politik müſſen die öffentlichen Körperſchaften alle Mittel bereit ſtellen, denn es 
handelt ſich hierbei um ihre eigene Verantwortlichkeit. 

Die Note, die das Miniſterium der öffentlichen Arbeiten uns über die Ergebniſſe 
der franzöſiſchen Ausbeutung der Saarkohlengruben mitgeteilt hat, iſt zweifellos er— 
mutigend, und wir ſind glücklich, die von unſeren Ingenieuren — noch dazu unter 
ausnahmsweiſe ungünſtigen Bedingungen — ſchon geleiſtete Arbeit feſtſtellen zu können. 

Einen Tag vor den franzöſiſchen Truppen ergriff Herr Loucheur, Miniſter für 
den Wiederaufbau der Induſtrie, in Saarbrücken im Namen Frankreichs Beſitz von 
den Saarkohlengruben, und wenige Tage darauf waren etwa 100 von unſeren In— 

enieuren zur Stelle; fie waren unter der Elite ausgewählt worden, namentlich aus 
en zerſtörten Gruben von Nordfrankreich. Sie wurden ſchlecht empfangen, ließen ſich 
aber dadurch nicht aus der Faſſung bringen. Nicht nur, daß die deutſchen Ingenieure 
ſich weigerten, ihnen die erforderlichen Angaben zu machen, ſondern ſie führten ſie ſogar 
oft irre und trieben manchmal ihre Böswilligkeit noch weiter. So wurde ihnen — 
wovon die Note des Miniſteriums nicht ſpricht — eine in einem OQuerſtollen abgelagerte 
Anſammlung von ſchlagenden Wettern von 3500 ebm nicht angegeben, und es war 
ein reines Wunder, daß daraus nicht eine furchtbare Kataſtrophe entſtand. Unſere 
Ingenieure machten ſich ſofort an die Arbeit, und noch vor der tatſächlichen Über— 
nahme der Ausbeutung wußten ſie über die Kohlenlagerungen ebenſo gut Beſcheid wie 
die deutſchen Ingenieure und noch beſſer. 


24 


RR 


Eine große und glückliche Aufgabe iſt fo gelöft worden. Gegen die Ausbeutung 
der Kohlenſchätze des Saargebiets durch den franzöſiſchen Staat kann man nicht die 
übliche Kritik erheben, die man gewöhnlichen Staatsbetrieben angedeihen läßt und die 
ſich hauptſächlich auf die tatenloſe Unintereſſiertheit des Perſonals an einer Ausbeutung BT 
erſtrecken, an deren Fortſchritt es kein Intereſſe hat, da es Beamte find, die eine 
Aufgabe lediglich zur Befriedigung ihres Gewiſſens und ohne Hoffnung, ihre Ber 


mühungen bei günſtigen Ergebniſſen belohnt zu ſehen, erfüllen. 


Bei unſeren Ingenieuren im Saargebiet war die edelſte und erhabenſte Triebkraft 2 


vorhanden, das Bewußtſein, an einem nationalen Werk zu arbeiten, daß 0 Bemühungen 
zum Vorteil Frankreichs ſein würden, daß ſie ſein Preſtige erhöhen und ihrem Lande 
die Achtung und vielleicht die Sympathien der Bevölkerung erwerben würden, die ſie 


an der Arbeit ſehen und die jetzt ſchon ſich darüber Rechnung legen können, daß ſie 


ihre Aufgabe e gut und ſogar noch beſſer verſtehen als die Preußen. Dieſer 
patriotiſche Eifer muß ermutigt und auf ſeine höchſte Höhe gebracht werden. 


Im Jahre 1913 förderten die Saargruben 13 Millionen Tonnen, im Jahre 1918 


förderten ſie nur 9 Millionen. Im Jahre 1919, dem erſten Jahre des franzöſiſchen 


Betriebes, erreichte die Förderziffer trotz der im Anfang unvermeidlichen Schwierig⸗ 


keiten und V zerfuche und trotz der beſorgniserregenden Einführung des Achtſtunden— 
tages annähernd 9 Millionen und im Jahre 1920 9½½ Millionen Tonnen. 
Die Zukunftsausſichten ſind groß; die Kohlenſchätze des Saargebiets ſind leicht 
auszubeuten, und unſere Ingenieure verſprechen einmütig eine beträchtliche und raſche 
Steigerung der Produktion. 

Das iſt bereits ein ſchöner bergbaulicher Erfolg, der ſicher ſchon feine Einwirkung 


auf die von der Bergverwaltung abhängige Bevölkerung ausgeübt hat. Es iſt nur 


gerecht, die Namen der Leiter anzuführen, die mit dem Geſamtperſonal die Haupt⸗ 
organiſatoren dieſes wirtſchaftlichen Sieges waren: Herr Deflinne, Generaldirektor, 


Herr Saint⸗Claire Deville, techniſcher Direktor für die Ausbeutung, Herr Denis, Ver⸗ 


waltungsdirektor, und Herr Daum, Direktor der Perſonalabteilung. Sie alle haben 
vollkommen das Vertrauen gerechtfertigt, das die franzöſiſche Regierung in ſie ſetzte, 
und haben ſich mit vollem Bewußtſein der ſchwierigen Aufgabe entledigt, die ihnen 
übertragen war. Nach Anſicht aller, die wir im Laufe eines kurzen Aufenthalts im 
Saargebiet hören konnten, muß ganz beſonders der Direktor der Perſonalabteilung, 
Herr Daum, erwähnt werden wegen ſeine Taktes und ſeiner Geſchicklichkeit, die er 
auf einem äußerſt ſchwierigen Poſten und in äußerſt ſchwierigen Augenblicken bewieſen 
hat; im Saargebiet hat es keine beträchtlichen Streits gegeben. 

Die Regierung muß unter allen Umſtänden im Saargebiet ein ſolches Eliteperſonal 
beibehalten können, und wir ſind überzeugt, daß der Patriotismus unſerer franzöſiſchen 
Bergwelt in Erkenntnis der nationalen Bedeutung des Werkes ſich bemühen wird, 
dem Staat dieſe Aufgabe zu erleichtern. Dieſen Ingenieuren, die man in das Saar⸗ 
gebiet geſandt hat, müſſen mindeſtens dieſelben Vorteile gewährt werden wie die, die 
ſie in der Privatinduſtrie finden könnten, und mit Beunruhigung haben wir in der 
Note des Miniſteriums das Fehlen von Nachſchub aus unſeren jungen Ingenieuren 
für die Saargruben feſtgeſtellt; hierin zeigt ſich ein Geiſt, den es zu bekämpfen gilt, 
eine nationale Pflicht, auf die das Augenmerk gerichtet werden muß, und ein neuer 
Sieg, der zu gewinnen iſt. 

Im allgemeinen hat das vorläufige Regime für die Saargruben ſehr ermutigende 
Ergebniſſe gezeitigt, und es erſcheint zu wünſchen, daß das endgültige Regime ſich 
nicht zu ſehr von dieſem vorläufigen unterſcheidet, ſondern dieſes vielmehr feſtigt und 
verſelbſtändigt, es von den zu engen Banden behördlicher Buchführung befreit und 


ihm eine finanzielle und ſogar eine Verwaltungsautonomie gibt, die es von einem 


die Handlungsfreiheit ausſchließenden Formalismus entlaſtet. 

Die Grubenverwaltung hat ein Programm aufgeſtellt, deſſen Verwirklichung in 
10 Jahren die gegenwärtige Förderung verdoppeln würde. Hierfür würden 
240 Millionen e die Verwaltung hat aber, da ſie keine Anleihen aufe 


„das der Regierung zur Genehmigung zu unterbreitende Arbeitsprojekt auf 
Millionen beſchränken müſſen. Welches Geld könnte indes beſſer angelegt ſein 
s dieſes, da die Tonnenzahl der Kohlenförderung uns in gleichem Maße von der 
fremden Kohle unabhängig machen würde? ' 

Das zu erlaſſende Geſetz muß vor allem dieſe Erhöhung der Produktion ermög— 
lichen und das freieſte Feld der Initiative laſſen, die bereits ſo vorzügliche Ergebniſſe 
* rn hat und in der Zukunft die Folgen haben ſoll, die bekannt find. 
Be. Um zum Schluß das Wort eines berühmten großen Soldaten zu wiederholen, 
kann geſagt werden, daß im Saargebiet unſere Ingenieure die beſten Botſchafter 
derr franzböſiſchen Republik find und zu ſein berufen ſind. 
ni 1 


u Ken 


Nr. 231. 


Be 3 | Werbeſchreiben der „Union Frangaise“). 
=“ (berſetzung.) 
Union Frangaise 


Association Nationale Paris VII, 
pour Expansion Morale et Materielle Boulevard Saint Germain 286 
* de la France. ö 
* | den Mai 1920. 
Ehrenpräfidenten : 
Emile Boutroux Ernest Lavisse 
von der Academie francaise von der Académie 
und der Académie des scien- francaise. 
ces morales et politiques. 


Henri Bergson 


von der Académie frangaise und der Académie 
des seiences morales et politiques. 


Be Präſident: 
N Jean Aicard 
von der Académie frangaise. 


Vorſtandsmitglieder: 


2 | Louis Barthou Georges Hersent 

> P- p. p. 

Imbart de la Tour Georges Leeomte— - - - 
PP: p. p. 


Generalſekretär: 


a N „285 0 0 — 1 aan 
Paul Gaultier. Der Präſident der Union Francaise 


. Schatzmeiſter: an 
> i Mare el Le Roy-Dupre. Herrn 
= in 


De Die Union Frangaise, der Nationalverband für die moraliſche und materielle 
Expanſion Frankreichs, erlaubt ſich, Ihre Aufmerkſamkeit auf das von ihr unter 
nommene Werk zu lenken. 


Kr: Die Druckſache, die wir unſerem Schreiben beifügen), wird Sie in die Lage 
pberſetzen, ſich über die Bedeutung der Union francaise und ihre Ziele, die fie ſeit 
ihrer ins Jahr 1916 zurückgehenden Gründung verfolgt, ein Bild zu machen. 


Unter dem Patronat aller führenden Perſönlichkeiten der ganzen Welt ſtehend, 
gefördert und unterſtützt durch die Mitarbeit zahlreicher Induſtrieller, Kaufleute, Kredit. 
ninſtitute uſw., verfügt fie über einen bedeutenden Einfluß. 


3 0 ) Das Schreiben iſt einer größeren Zahl von Deutſchen im Saargebiet zugeſandt worden. 
3 2) Dem Schreiben iſt eine 8 Seiten ſtarke Druckſache beigegeben, die über das Comité de Patro- 
nage, über die Organifation, über die Ziele und über die Tätigkeit der Union Francaise Auskunft gibt. 
e 

n 

4 * . 


— 362 — 


Seit Abſchluß des Friedens hat ſie ihr Hauptaugenmerk auf die franzöſiſche 


Propaganda im Ausland gerichtet. 


Im Einvernehmen mit dem Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten will 


die Union francaise eine beſſere Kenntnis Frankreichs vermitteln und auch die von 


Deutſchland gegen unſer Land gerichtete Propaganda der Verleumdung und Verun⸗ 


glimpfung bekämpfen. 


Rückſichten auf das Budget erlauben der Regierung nicht, für dieſe Zwecke alle | | 


erforderlichen Summen zu bewilligen. Es muß der privaten Initiative all derer, 
denen das Wohl Frankreichs am Herzen liegt, überlaſſen bleiben, im Hinblick auf das 
Allgemeinintereſſe unſerer Vereinigung ihren Beiſtand im größtmöglichen Maße zu 
widmen, damit ſie imſtande iſt, ihre Propaganda durch Vorträge und Verbreitung 
von Schriftſtücken fortzuſetzen und zu vergrößern. 

Indem wir hoffen, daß auch Sie, geehrter Herr, uns in unſerem patriotiſchen 
Werk unterſtützen werden, bitten wir Sie, die Verſicherung unſerer vorzüglichſten Hoch— 
achtung entgegennehmen zu wollen. . 


gez. Paul Gaultier. 


Nr. 232. 


Exterritorialität und Steuerbefreiungen. 


(Aus einem Schreiben der Regierungskommiſſion des Saargebiets, Direktion der Finanzen 
und Forſten, vom 1. April 1921, Nr. 1412. II.) 


Die Mitglieder der Regierungskommiſſion, und zwar die Herren Präſident Rault, 


Miniſter Waugh, Miniſter Lambert und Graf Moltke⸗Huitfeldt ſowie Herr General⸗ 


ſekretär Morize und deſſen Stellvertreter Herr Pierrotet, genießen nach dem Friedens⸗ 
vertrag das Recht der Exterritorialität und dürfen daher zu den direkten Steuern im 
Saargebiet nicht herangezogen werden. % | 
Alle übrigen ausländiſchen Beamten der Regierungskommiſſion find dagegen ſteuer⸗ 
pflichtig, jedoch gelten 40 v. H. ihres Dienſteinkommens als ſteuerfreie Teuerungszulage. 


4391. 21. IIa 3. 


PLEASE DO NOT REMOVE 
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET 


UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY 


FT 1 SR * 5 * 5 
4 \ 2 N 
* * * V { * f Fl 
RN f e 
l J 4 en, 
N 5 1 8 1 PD; NEE ar 
2 AR, 1 x MR * f 
N 4 4 * =} 
! 1 


H \ 
3; ir 
1 a 2 1 * > - 8 
* * 1 Ä . 
1 N . 
1 1 1 * 
j * * ! * K * 
— l 0 
Pi * 
j 1 4 * N 
y N 1 
\ u N N 
0 
N g * * 
1 
\ AM 
N 1 
4 1 
5 ; 5 
600 x 
i N £ + e 
5 a LEW 7 
I 
e 
g x * 2 4 
0 ' : 5 
1 
PR 
” 755 ; 
9 9 
5 . 
5 
= 
.