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Full text of "Werke : Zum zweiten male gesammelt, verm. und verb"

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Adam Orhlenfchläger's 
Be rt 


3um zweiten Male gefammelt, 
vermehrt und verbeffert. 


Schsjehntes Bändden. 





Breslan, 
im Berlage bei Joſef Mar und Komp. 


e. 





Adam Orhlenfchlägers 
. Erzäblende Dichtungen, 


Zweites Bänden. 





Die Zufein im Eldmeere. Zweiter Tpel. 
ee 
— — — 
Breslau, 
im Verlage bei Joſef Mar und Komp. 


1839 


Die 


Inſeln im Südmeere 


Ein Woman 


Zweiter Theil. 


1. 
Bruhftüde aus Eberhards Tagebuch. 


un das Meer. 

Veiliges Meer, ſeh' ich dich wieder? 
Dich, das in meiner Kindpeit 
Mit breiten een Dad Geflade ſchlus 
Mnfeen der Hütte, 
80 ich Träume der Vorzeit wieder trämmte; 
Und, wenn Seehunde ſich 
Auf den trocknen Steinen Tonnten, 
Meerfeanen ſah⸗ 
Und den grimmigen Meermann, 
Der ducd'3 falſche Betön feiner Lieder 
Die am Strand’ wandelnde Zungfrau 
3a die Tiefe lodte! 


Jahre trennten mich 
‚Heilige Glement von dir, 


42. 


Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch. 


Und ich ſah nur deine lieblichen 
Eifenkinder: 
Wenn fi) ein Bach durch Blumen ergoß, 
Oder wenn ein Fluß 

Den luſtigen Städten vordeigog; 

Oder wenn im Winter 

Du das dunkle Feld 

Mit Lilien bedeckteſt 

Und wenn dein glänzendes Eis, 

Wie Diamanten » Gefchmeide 

Der entlockten Dryad' in den Ohren hing. 


Graufig und würt 
Nennt dich des Thales Sohn, 
Nennt dich des Werged Cohn, 
ber der Iufele, der Küfe » Sohn 
Sicht dich mit Inbeunft 

Wie der Schweier, dee Echott feinen Feld; 
Und Heilige Tpränen weint er laut, 

Wenn deine freudige blaue große Fläche 
Wach langer Trennung 

„Seinen Blicfen begegnet. 








Fürchterlich zwar biſt du. 0 Meer! 
Unter deinem lächelnden Gimmelsfpiegel 
Lauert der Balte Tod, 
And wenn du die Mähne fchüttelt, | 
Zerbricht der mächtige Dreiman J 
Wie ein gebrechlich Spielieug in des Anaben Hand. 
Schauer ergreift J 
Den muthigen Schiffer, 





Bruhftüde aus Eberhards Tagebuch. 11 


Wenn dad Meerwaſer kocht, 
Benn die Wolke ſich ſeukt. 

Und in faufenden Mähren 

Wo ziſchender Waſſerſchlangen 

Himmel und Erde 

Cie wüthend teeffen; 

Benu der Wlig durch Die vafende Säule auckt, 
Zapvelt dad Schiff mit matten Flügeln, 

Ein Eperling im Birbelwind; 

Das Ruder entfinkt des Steurers Hand, 

Und das Blut erſtarrt in den Adern. 


Ber ergründet deine Tiefe, 
o jadige rothe Eteinwälder 
Zu Infeln wachen, 
Die einſt Gras und Kräuter, . 
Tugend und Lafer der Menfchen tragen ? - 
8o die Biefenfchlange lauert, 
Deren Kamm nur der Schiffer 
Stüctocife gefehen, 
And worüber die @talden der Borzeit gefabelt! 


Doch luſtig und guthersig biſt du Zähzorniger! 
Beni dich Milde beherrſcht. 
Dann achtet nicht der Menfch 
Deiner polternden Risen. 
In Happernden Tauen kleitert 
Der Mateofe keck 
Und begegnet dem Sturm 
Mit Big und Extern 
Zu duntler Racıt 


12 Bruhftüde aus Eberhards Tagebuch. 


Weber die iehe gebüdt, - \ 
Fürchterlich über den Abgrund geſchauteit 

Seine Segel fchmürend. 

Dann erfreuft du dich ded Schiffs, 

Nach deinen Fifchen und Vögeln 

Künftlich gebildet, 

Das die Weile bevöltert; 

Und eine leichte Bahn > 

Gröffnet du den Menſchen 

Son Pol zu Pol, 

Bon Getade in Geade; 

Wald im Rordmeer die Taue 

Mit Gife befrufend, \ ' 
Bald unter fenfrechter Sonne 

Den Theer der Balken kochend. 

und ais fördernder Geleitsmann 

Biaſt der Yafat aus vollen Baden, 

Gin freundlicher Cherub, 

Verbindend die alt’ und Die neue Melt, 


Das Schiff. 


Sonderbares Haus! das den ganzen langen Weg mit 
macht! Wenn der Wagen vör der Thüre harrt, wenn der 
Schwager in’s Horn ſtoͤßt, und wir die Treppe zum letzten 
Male hinunter gehen, weilen die Augen mit Wehmuth an 
den alten Wänden der Heimath, da ergreift uns ein tiefer 
Schmerz, weil wir die liebliche Gewohnheit, unfre zweite 
Natur, verlaffen follen. \ 

- Nicht fo das Schiff! Als ein Feenſchloß ſchwimmt es 
auf den Wellen. Die Heimath folgt: Zimmer, Tiſch, Fen⸗ 
ſter, Spaziergang auf dem Verded, Mafte, Segel, alles 





BSruhftäde aus Eherhards Tagebuch. 13 


bleibt unverändert. Dieſelben Menſchen auch. Raum würde 
man glauben, man fei einen Schritt weiter vorgerüdt, wenn 
nicht Kälte und Hige, Vögel, Eerthiere und Meerespflan- 
zen einen ſprechenden Beweis dafür gäben. Küften’ fahren 
an uns wie Wolken vorüber; Schiffe noch füncler; nur 
eine bunte, Flagge, ein durch's Sprachrohr herüberhallender " 
Laut fündigt den Fremden an. Bald werden wir ſchwarze 
Menfgen auf den Küften von Afrika Laufen ſehen. 


Der Kompaß. 


Es war geftern eine ftärmifche Nacht, ich konnte nicht 
ſchlafen. Zog mid an, und ſchlich zu dem Steuermann. 
Sein kleines Zimmer war von einer Laterne erhellt. Uns 
beweglich, die Augen auf die Meine Magnetnadel gerichtet, 
lenkte er mit ftarker Fauſt das gewaltige Ruder. Wenn 
das nicht Zauberet iſt, fo giebt «8 keine! "Was hülfen Plan⸗ 
ten, Segel, Bade, muthvolle Gefhäftigfeit, wenn nicht 
der Beine Zwerg aus dem Berge uns begleitete, nicht im 
Eifen wohnte, und mit feinem dünnen ſchwatzen Zinger 
nach Norden zeigte? 


Breite und Länge, 


Der Magnet Hilft den Menfchen auf hoͤchſt einfache 
Weiſe, dadurch weiß er fogleih in welchen Beg er cin- 
lenken folle. Wo er ift, entdect cr aber nicht fo leicht; 
um das zu erfahren, muß cr zu feinem eigenen Verftande 
die Zuflucht nehmen, da muß er die Polhoͤhe mellen, die 
Länge berechnen. 

Wohl möchte ich den Kombaß den ſchlichten Grund- 

fügen der Weisheit vergleichen, die Ieder kennt. und die 
dennoch nichts helfen, wenn man die Polhöhe feines eignen 


14 Bruhfäde aus Eherbards Tagebuch. 


Selbſt nicht zu meſſen weiß, und Leinen erften Meridian 
des feſten Karakters annimmt, um dadurd die Länge der 
Seit mit der Breite der Kräfte in Verbindung zu bringen, 
Ich ſtehe immer gern bei.dem Kapitain, wenn cr die Pol 
böhe nimmt, und wenn fein treues Fräftiges Auge bald zum 

" Himmel binauf fhaut, bald das metallne Inftrument ber . 
trachtet. 


Wolfgang 
bleibt ſich immer gleich. IA fürqtete, er werde ſich verän⸗ 
dern, und ein ſtolzeres kälteres Weſen aunehmen, wenn wir 
nichts als Himnrel und Waffer fähen. Gewöbhnlich mißs 
brauden die Menſchen ihre Gewalt, und kaum hat einer 
über den andern einen Bortheil, irgend ein Uebergewicht, 
fo läßt er ihn ſolches auf der Stelle empfinden. Doch nicht 
alfo der gropmüthige Menfh. Unfer Meiner Seekönig, der 
während der Neife fait uneingefcränft nad) firengen Ger 


fegen herrſcht. geht freundlich und brüderlich unter ung ein» -· 


ber; und blidt Jeden von uns mit eben dem offenen Auge 
an, welches mid einnahm, als er mir im i Abeater die 
Orange gab. 


Seekrankheijt und Schaarbod, 


Als der erfte Schiffer Fühn mit dem leichten Bretter⸗ 
geräfte die Wellen durchſchnitt, jubelte er laut äber die 
Schnelle der Reife; und die früheren Beſchwerlichkeiten bes 
trachtete er hochmüthig als ein bereits überftandenes Uebel, 
Um diefen Hochmuth zu demüthigen, und fid an den Men» 
ſchen zu taͤchen, die das Salzmeer zu durchkreuzen wagten, 
fandten grimmige Meermänner zwei Unholde an Bord: den 
Schwindel und den Schaarbock. Doch auch gegen den Lege 


Bruchſtüke aus Eherhards Zagebud. 5 


teren diefer Kobolde, gährt im gefunden Sauerkraute ein 
heilſames Mittel. Der Schwindel aber muß ſich ſelbſt hei⸗ 
Ten. Diefen Tribut zahlen nafeweife Landthiere, um in 
die Zunft der Seevögel und der Fiſche aufgenommen zu 
werden. 

Abſcheuliche Krankheit! die die edelſten Lebensgeifter 
angreift. Der Muth verſchwindet und man würde in fol 
hen martervollen Stunden mit Freuden in die Tiefe finfen, 
und, um das Uebel los zu werden, ertrinken. Dazu muß 
man in diefem unglüdlihen Zuftande das lindernde Gefühl 
des Mitleids ganz entbehren. Die abgehärteten Seeleute 
geben gleihgältig umher, man wird mitten in der Qual 
verfbottet und ausgelacht; alle effen, trinken und ſcwaͤtzen, 
während der Arme, bieid, wie eine Leiche, mit falten To⸗ 
desſchweiß auf der Stine faft den Geift aufgeben will. — 
Freilich hat diefe Krankheit felten fhlimme Folgen; und 
wer Eönnte von Matrofen verlangen jedesmal Mitleid zu 
fühlen, wenn einem fremden Paflagiere auf dem Schiffe 
übel würde? . 

Ich bin fhlimm daran geweſenz jeßt befinde id mic 
jedoch beſſer. Hanna Hedtraft ift, wie ih es dachte, gar 
nicht ſeekrank geworden. Dagegen hatten wir uns mit Litz⸗ 
bergen und Lademann ganz verrehnet. Alle glaubten, Iehe 
terer mit feiner zarten Gonftitution werde fehr Teiden, und 
der derbe Ligberg ganz frei gehen. Umgekehrt! Lademann 
befindet ſich wie ein Vogel in der Luft, umd ift nicht ein⸗ 
mal unpaß geweſen; Lihberg aber wälzt ſich noch auf der 
Bank, und brummt wie ein verwwundeter Bär. Seinen 
Big und feine Laune hat.er auf kem feften Lande zuräd 
gelaffen; das Einzige, wodurd) ſich noch zuweilen feine derbe 
Natur fund hut, find Flüche, wenn er die Dummheit tar 


16° Bruchſtücke aus Eberhards Tagebul. 


delt. die ihn davon abhielt, mit dem Czaar der Moscowi⸗ 
ten nad) Rußland zu reifen, wo fein Baffer iſt. Er 
bat dem Meer einen ewigen Haß geſchworen, und ift beie 
nah waflerfchen geworden. Kapitain Wolfgang lacht, trös 
ftet ihn und fagt, es werde bald beſſer werden. Er hat 
ſich ein Kleines Schwefel» Kiffen von Hanna Hellkraft nähen 
laſſen, und dies auf die Herzensgrube gelegt. 


Der Wind, 

Einmal nur hat mir der Kapitain ein ſaures Geſicht 
gemacht, und mid mit einem trodnen: „Das weiß id 
nice!" abgefertigt, als ich ihn nad) langer Windftile frug, 
ob er nicht glaube, daß wir bald guten Wind befämen? 


Nachher hat mir Here Cramer, unfer Schiffs⸗Arzt, ein 


ſehr geſchidter verftändiger junger Mann, erzählt, ein Aber 
glaube verbiete den Seeleuten vom Winde zu'fpreheu. Auch 
pfeifen darf der Matrofe nicht, weil er fürdtet, den guten 
Wind damit wegzufheuden. 

Allen ſolchen alten Gebraͤuchen, wenn fie aud mit 
Vorurtheilen verbunden find, Liegt irgend etwas Wahres 
und Ghrwürdiges zum Grunde. Die günftige Seefahrt 
hängt vom Glüde ab, darüber laͤßt ſich nichts voraus far 
gen; wenn ſich nun nichts darüber fagen lägt, ſchidt es ſich 
auch nicht, darüber zu ſchwatzen. Was das Pfeifen ber 
trifft, ſo erinnert diefer Laut an Sturm und Ungewitter; 
und es liegt etwas Unverfhämtes und Freches darin, dag 
der Menſch, der fih auf einem ſchmalen Breite dem Ele- 
mente vertraut, ſelbſt in fhünem Wetter des möglichen Un» 
glüds ſpotte, indem er den Ton des pfeifenden Ungewitters 
nachahmt. 


Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch. 17 


Segel und Flaggen 

Ohne Wind hängt das Schiff mit den Segeln, mic 
ohne Regen! die Blume mit den Blättern; wie ſich aber 
nad) einem frifhen Maienſchauer alle grünen Knofpen ent- 
falten, fo ſchwellen die Segel im Winde. Das große Mare- 
fegel, die Bode, das Befan, die Blinde, das Bram» und 
Bovenbramfegel entfalten ſich wie breite Blätter an der 
Palme, und als Blume glänzen und flattern die reizenden 
Zlaggen droben und hinten. Hoch in der Luft ſchnalzend 
und fid) fAlangenförmig ringelnd kündigen ihre helle Far⸗ 
benflöde dem fern vorbeifegelnden Schiffer das Liebe Vater- 
land, mitten auf dem ungeheuereu gegenftandlofen Meere, 
das Allen und Niemandem gehört, freundlich an. 


Die Bafferfurde, 


Steh id hinten im Schiffe und betrachte die lange 
Furche, die der Schiffstiel pflügt, und die Hald wieder von 
den Wellen ansgeglättet wird, ſo tritt mir oft eine Träne 
der Wehmuth und der Demüthigung in’s Auge. So find 
der Dienfhen Thaten! Und dod) ift es ja befler, dag diefe 
Furchen wieder ansgeglättet werden, als daß fie alle dort 
ftehen blieben, und mit ihren unzähligen Strichen den ſchö⸗ 
nen Wellenſpiegel verunftalteten. 


Kein Tabafrauden. 


Ob wohl ic ſelbſt ‚Leinen Tabak raue, bedaure id 
doch die armen Matrofen, die ſich auf dem Schiffe diefen 
Genug verſagen müſſen; nirgends könnte «6 ihnen ange 
wehmer und erquiklier fein. Im Nebelwetter erheitert 


eine friſch gezündete Pfeife, wie im Winter I Dfenfeuer 
Dedlent Schriften. XVI. 


18 Brudftüde aus Eherhards Tagebuch. 


in der kalten Stube. Der Vorſiht wegen, mäffen ſih aber 
die luſtigen Burfche, mie die Ochſen im Zelde, mit dem 
traurigen Kauen begnügen. 


Das Zufammenleben. 


& frei aud das Schiff seht, fo uneingefhränkt und 
miltüprlih aud feine Bahn it, fo einförmig und einge» 
ſchränkt ift dagegen auf einer langen Reife das Schiffsleben 
ſelbſt. Man wundert fi, daß bäufig auf ſolchen Neifen 
Unfreundfpaft und Haß unter. der Mannſchaft entftche, 
Sie follte ja eben, fagt man, recht zufammenbalten und 
ſich lichen; da fie ein Meines Vaterland in der Fremde ause 
macht. Freundſchaft und Gefelligfeit muß aber aus freier 
Wahl und Neigung entſtehen. Wenn nur äußere Umſtände 
Menſchen von verſchiedener Gefinnung znfammendrängen, 
entſteht äfters etwas Böfes als etwas Gutes daraus. Dee 
halb trifft man eben in Familien fo viele Mißhelligkeiten. 
Auch die Langeweile am Bord trägt viel zu Zänfereien bei, 
Unfer Schiff ift in der Rüdfiht jedoch eine glückliche Auge 
nahme, es hertſcht ein fehr guter Ton, und Bolfgangs 

» heitre männliche Freundlichkeit verbreitet ſich wie Sonnen» 
ſchein über das Ganze. 


Das grüne Borgebirge. 


Dem Pic auf Teneriffa fegelten wir vorüber, und ich 
konnte nur aus der Ferne den hohen Bergaipfel betrachten; 
jest nabeten wir uns dem grünen Borgebirge. Wenn man 
fi) lange auf dem öden Meere herumgetrieben hat, erfreut 
es das Yuge außerordentlich, wieder ein grünes feſtes Land 
u fehen. So ging es aud mir, als der fhöne Fels mir 
sum erſten Male in der Morgenröthe entgegen trat; und 


BSruhfüde aus Eberhards Tagebuch. 19 


ich hoffte beſtimmt, der Kapitain werde an einer diefer In⸗ 
fein antern, damit wir uns dort erfriſchen könnten. Gr 
fagte jedoch: Bewahre mic Gott, daß ih es ohne Noth 
thun folte. Laſſen Sie fich durch diefen grünen Schein nicht 
bienden. Auch die Fäulnig ift grün! Dies Klima ift das 
ungefundefte in der Belt! 

Bas wollen die Menfhen denn in diefem Faulloche? 
frug id. — Cie wollen bier das bene Mittel gegen die 
Faͤulniß holen, erwiederte der Kapitain; es giebt dort ein 
fehr ſchönes Salz, das in großer Menge mit ihren Sqhif- 
fen ausgeführt wird. ji 

So in Gegenfägen witzig ſpielt oft die Natur mit ih⸗ 
ren eignen Wirkungen; bei dem Gifte findet fi immer das 
Gegengift, 


Die Saildteöte, 
Ich hatte einen folden Ekel gegen die grünen Infeln 
befommen, daß mid aud eine grüne Schildkröte, die ſich 
der Kapitain von einigen Fiſchern erhandelt hatte, anekelte. 
Als das Thier aber in Madera mit trefflichen Spezereien 
gekocht war, und fid) die andern die Scäffel wohl ſchmet- 
ten ließen, bekam id) auch Luft, und muß geftehen, daß es 

ein gutes Effen fei. Ligherg liebt befonders diefe Speife; . 
er iſt völlig hergeftellt, und bat feine alte Laune wieder 
befommen. Lademann bat fih die Schaale der Schild- 
tröte aus, er hat Darmfeiten darüber gefhannt, und dem 
Heinen Sciffsjungen Jack mit der Leier ein Geſchenk ger 
macht. Er wunderte ſich, als ich ihm erzählte, dies Inſtru⸗ 
ment fei ſchon fehr alt, und Mercurius ſei der Erfinder 
geweſen. Es iſt rührend mit folden Mengen von Genie; 
fie wilfen oft gar nicht, was Andre vor ihnen gedacht oder 

PX 


20 Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch. 


aethan haben; und doch fünnen fie alles ſelbſt erdenten und 
verfertigen. 


Sigberg 


firebt jegt ein volkommener Matroſe zu werden. Er Elete 
tert weiblich in den Tauen. Ich bin um ihn bange, weil 
er etwas fteif und corpulent ift. An gymnaſtiſche Uebun« 
gen von Kindesbeinen an gemößnt, folge id den Matrofen 
leicht in die Höhe; weil ich es nun aber wagen darf, will 
auch er es thun. Ich fühle felbft, daß er dabei zehnmal 
mehr Muth zeige, als id), denn an feiner Stelle würde ich 
es gewiß nicht wagen. Hier Lümmt ihm aber feine Befon« 
nenheit, feine eiferne Beharrlichleit und fein gutes Auge 
wohl zu ftatteh. Wir haben ſchon ein Paar Mal mit ein« 
ander im Maſtkorbe unfern Morgenfaffee getrunken. 


Die Tabakinſel. 


Geftern trafen wir einen Meinen Felſen mitten im " 
Meere, mit einer Sandbank; weil nun der Wind fid fait 
ganz gelegt hatte, warfen wir Anker. Warum? Blos um 
auf der fhönen weißen Sandbant im Schatten des Felfen 
Tabat zu rauhen. Nings um eine Zeuerftätte, wo der 
Kaffee gekocht ward, Tagerten wir ung. Hätte Homer den 
Tabak gekannt, würde er gewiß mit großer Behaglichkeit 
don Genuß fo geſchildert haben: 

„nd fle erhoben die Hände zu Enaflerduftenden Pfeifen, 
Mer nachdem fle gedampft, ald die Luft mit Wolfen gefünt war, 
Da erfenten fle fich im Bechfelgefpräch mit einander." 


BRothes Meer. 


Bir kamen heute durch eine Mecrftrede, die von ro⸗ 
then Krebfen ganz gefärht war. Sonderbare Erſcheinung 


Bruhftäte aus Eberhards Zagebuch 21 


die nur in dieſen Gegenden zu finden iſt. Wir wollten die 
Krebſe koften, als fie aber auf den Tiſch kamen, waren fie 
roh. Der Kody hatte geglaubt, fie fein fhon im Meere 
artocht, weil fie roth wären. 


Der Han. 
Wir Haben heute alle mit größtem Veranügen unfer 
Mittageeffen eingebüßt. Der Koch bat einen Ochſen auf 
dem Verdeck geſchlachtet; und wollte das Fleiſch in Stüde 
bauen, mährend fein Sohn, der Meine Jack mit der Schild⸗ 
trötenfchaale am Schiffsrande leierte .und fpielend herum 
lief. Ehe er es ſich aber verfah, verlor er das Gleichge⸗ 
wicht und fiel in's Meer. Sogleich warfen ihm einige Ma« 
trofen ein Tau zu; mit Todesfhweiß auf dem bleihen Ge⸗ 
ſichte ergriff indeg der Vater den ganzen geſchundenen noch 
blutenden Ochſen, und warf ihn über Bord. Bir ftauns 
ten alle, und glaubten, der Mann babe den Kopf verloren. 
Bald aber Löfte fi) das Näthfel, als ein fürchterlicher Hay, 
den das Vaterauge glüdlicherweife früh genug entdedt hatte, 
den bäglihen Hammerkopf mit den glühenden Blutaugen 
über die Wellen erhob, den ungeheuren Rachen auffperrte 
und den Ochſen, deſſen gefhundenes Fleiſch ihn mehr als 
der beffeidete Knabe anlockte, verfhlang. Der Knabe er- 
geif giaclich das Täu, und mit Blihzesſchnelle kletterte er 
au dem Verdec hinauf, während ein zweites Ungepeuer ſich 
nahete, und nad) ihm ſchnappte, gerade als er body genug 
beraufgefommen war, um nicht in Stüde gerilfen zu wer» 
den. Welche Scene, als der zitternde Vater den lieben 
wiedergeſchenkten Knaben an feine Bruft drüdte! Wir konn. 
ten den glücklichen Zufall und des Vaters Geiftesgegenwart 
nicht genug loben. Hätte er beute den Hay nicht beffer als 


22 Brucſtücke aus Eherhards Tagebuch. 


geſtern die rothen Krebſe gekannt, fo wäre der Meine freund« 
liche Arien vom fürchterlichen Delphin verfhlungen worden. 


Der Starm. 


Man muß alles verfuchen, jeßt haben wir auch einen 
Sturm erlebt. Wunderbarer Zuftand, wo zwei Elemente 
müthend mit dem ſchwach verflammerten Kaften Ball ſpie- 
Ien, und ihn zu zerſchellen drohen. In ſolchen Augenbliden 
muß man den Muth der Matrofen und die Befonnendeit 
des Befehlshabers erft recht bewundern. Cie arbeiten im 
Sturme fo muthig fort, als der Tiſchler an feiner Hobel» 
bant, oder der Nomade, wenn er im guten Wetter ein Zelt 
auf dem grünen Felde ausfpannt. Daher ſchreibt ſich der 
Big, der Stolz und die Laune der meiften Seeleute. Diefe 
wigige Laune ift nur eine Gedanfenabbreviatur, weil feine 
Zeit zum ſchwahen ift, eine Blume, nicht der Lebens», viel 
mehr Der Todesphiloſophie, weil fie täglich ftolz mit dem 
Tode fbielen, und ihn mit Verſchlagenheit hintergehen. Der 
naͤmliche Trog verbindet ſich ſo mit einer gewiſſen frommen 
Refignation und diefe Miſchung von guter Laune und flils 
ler Melancholie ha tetwas fehr Liebenswürdiges. 

Die Roth iſt vorüber; ich Täugne nicht, daß mir bang 
geweſen fei; doc) konnte ich nicht umhin, aud den Zuſtand 
der Andern zubeobadhten. Unſer lieber Magiſter Schmel- 
zer verhielt fi) während der Anftrengung ſchweigend und 
ernft; er drängte ſich nicht hervor, um die Leute mit Beten 
und Eingen zu ermuthigen. Als aber die Gefahr vorbei 
mar, trat er mit der Bibel und dem Geſangbuche aufs 
Verdec, und rief: Nun Kinder, laßt uns Gott danken, der 

"uns in diefer großen Noth beigeftanden hat. Und mit fröm« 
merer Indrunft AR wohl das fhöne Lied: Nun dantet alle 


Bruhftäde aus Eberhards Tagebuch. 23 


Gott! nie gefungen worden. Es war eine Freude, den gu- 
ten Wolfgang dabei zu fehen, der ſich kurz vorher wie ein 
Zöme gebärdet hatte, und jegt wie ein Kind weinte. 

Hanna Hellkraft verhielt fi‘ während des ganzen Err 
eigniffes ſtumm und troden; nur einmal, als es Ernft au 
werden drohete, rüdte fie in der Kajüte mit ihrem Stuhle 
zu mir, und ſprach: Eherhard, laß mid meinen Arm um 
Deinen Leib ſchlingen. — So faß fie wieder ruhig, und 
hielt mic) in ihren Armen. Ich verftand die treue Seele 
fehr wohl: fie wollte mit mir fterben. Als aber die Ge 
fahr vorüber war, und id ihr Betragen deuten wollte, ließ 
fie es gar nicht gelten, und fagte und, es wäre ihr in dem 
Augenblide ſchwindlich geworden, 

Litberg ging mitten unter dem Sturm zu Bette, nach⸗ 
dem er ung allen mit einem freundlihen bedeutungsvollen 
Händedrud. und Bid gute Nacht geſagt. Er verſuchte 
zu Schlafen, und Einige meinen, er habe wirklich geſchlafen. 
wie es am Ärgften tobte. 

Lademann faß wie ein Berflärter in der Kajütentpüre: “ 

und horchte dem Sturm, dem Kfappern in den Tauen, 
dem Heulen des Windes, dem entfeglihen Braufen der Wels 
Ien mit großer Vermunderung und Aufmerkfamteit zu. Man 
bemerfte dei ihm Feine Furcht; als fi) das Ungewitter ger 
Tegt hatte, faß er noch lange ftaunend in ſich ſeibſt gefehrt. 
Ih ging hin, rüttelte ihn am Aermel, und rief: Lademann! 
Der Sturm hat ſich gelegt. — Weiß wohl, fagte er ferf- 
zend; ganz göttlih! Das waren mal Fugen und Chöre, 
Ein Concert fonder gleihen! Aber aud welche rieſenhafte 
Inftrumente! Und welde Lungen fie zu blafen! Welch ein 
Pedal in der Orgel! Er ſchwur darauf, er habe das fünf- 
geſtrichene C deutlich gehört; und die Piccoloflöte des Bin» 


2 Bruhftüde aus Eberhards Tagebuch. 


des habe ihm ganz vorzüglid; gefalen. Er habe Heute 
Naht unendlich viel gelernt, zweifle aber, das alles aufs 
Papier bringen zu können. 

Das Shi hat einigen Ehaden befommen, und wir 
find wieder zurüd nad) Teneriffa getrieben; jegt werden wir 
doch dort anfern müffen. 


2. 
Fortfepung aus Eberhards Tagebuch. 





Teneriffa 


Alſo kamen wir doch nach den glüdfeligen Infeln der 
Alten; und in der That, als wir bei Oratava anferten, 
und die fhöne perſpectiviſche Landfhaft mit dem hohen Die 
ſahen, der üher die Berggipfel, wie der Kölner Dom über 
die Bürgerhäufer hervorragte, fonnten wir uns nicht genug 
wandern. Ih habe von Kindesbeinen an die canarifchen 
Infeln geliebt. Ein Heiner Jugendfreund, aus diefem Lande 
gebürtig, hatte mit mir_fünf Jahre auf meiner Stube ge» 
lebt, mir taͤglich vorgefungen, und als der tleine gelbe Saͤn⸗ 
ger ſtarb, Hatte ic ihn mit Thränen in den gelben Taffet 
gekleidet, in eine Nürnberger Schachtel eingefargt, und in 
unferm Garten begraben. Auch von dem fhönen Cana⸗ 
rienfert wußte id) zu fagen. An allen Geburtstagen ward 
von dieſem koͤſtlichen Weine bei meinen-Aeltern getrunken, 
und id befam dann auch meinen Eleinen filbernen Becher - 
voll, um mit anzuftogen. So hatte ic mir in meiner jur 








Bortfegung aus Eberharde Tageduch. 25 


gendlichen Phantafle aus dem führen Geſchmac des Sects, 
dem luſtigen Gefange des Vogels, und der goldhellen Farbe 
beider, ein feenhaftes Gebilde zufammen gewebt; und id 
Tann nicht fagen, daß die Wirklichkeit hier, wie es doch oft 
— iſt, dem Bilde der regen Phantaſie habe weichen 
müflen. 


Litzberg ſchlug vor, eine Wanderung nad) dem Pic vor 
zunehmen ; ich hatte indeß Feine Zuft ihn zu begleiten. Von 
dem Pic hatte ich gelefen, und mußte, daß man viel von 
Kälte und Hige ausftehen müſſe, um hinauf zu gelangen. 
Bir fehen ihn doch bier am beften, fagte id; es iſt mit 
ihm, wie mit dem Regenbogen, er muß in der Ferne bes 
trachtet werden; mo er feldft ift, iſt nichts. 


Herr, Wolfgang fah auch nicht gern, daß Litzberg diefe 
gefährliche Wanderung unternahm. Hab’ ih nun einen 
vorzüglihen Mann der Infel Felſenburg fo nahe gebracht, 
ſptach er, damit er ſich auf Tenerifa in Gefahr begebe? 
Barten Sie, bis wir nach Felſendurg kommen, da giebt’s 
Berge genug, da können Sie Metern. Litzberg aber, deſ⸗ 
fen größtes Vergnügen darin beftcht, Schwierigkeiten zu 
überwinden und tieffinnig zu fein, ließ ſich das nicht aus« 
reden. — Lieber Mann! fagte er, laflen Sie jedem Thiere 
feine Gewohnheit! Wollen Sie mich gefangen halten, fo 
machen Sie es wentgftens fo fhlau, dag ich es nicht gewahr 
werde. Legt man doch ein Stück grünen Raſens in der 
Lerche Käfig, um ihr einzubilden, daß fie nod im Felde 
ſchmettere. Dem Bären pflanzt man eine Stange in feinen 
Bezirk, damit er nach Herzensluſt klettern Lönne, und mir, 
der ich doc ein Menſch bin, wollt ihr das Klettern verbie- 
ten? Laßt Euch durch diefen gemärhlichen Poeten nur nicht 


26 Bortfeßung aus Eherbards Tagebuch. 


iere leiten. Voeten kounen von der ganzen Flora nur Ro— 
fen, Lilien und Vergigmeinnicht. [ 
Lademann hatte aud keine Luft, die Himmelfahrt mit 
zu machen, tweil er aber feinen Freund in Gefahr nie ver- 
laſſen will, folgte er ihm treu. 
Ich werde während der Zeit mit dem großen Boote 
eine Meine Luftfahrt um die Infel machen. 


Eucverloren. 


Alein mit meinem treuen Pudel Sucverloren, Tieß ich 
mich vorgeftern von zwei Matrofen herum rudern; mo es 
der Wind erlaubte,  fegelten wir. — Bei der Stadt Gui« 
mar fteuerten wir ans Land. Es verlangte mich, die En- 
kel der vorigen Wilden zu fehen. Sie wohnen jegt in Elcie 
nen Hütten; und gehen wie Bettler in Lumpen einher. Ihre 
vorige kräftige Wildbeit haben fie verloren, von der euro« 
päifhen Bildung haben fie nichts erwiſcht. Hier bereitete 
mir der Zufall ein Abenteuer, das mir leicht das Leben 
hätte koſten können. 

Ich ſpazierte, nachdem ich ein Eleines Mittagsmahl ger 
noffen, mit meinem Pudel im Walde. Die Matrofen blie 
ben im Boote, und ich verſprach, innerhalb drei Stunden 
wieder zu kommen. So made id) denn einen angenehmen 
Spaziergang; weil es mir aber zu heiß ward, ruhte ich 
unter einem Abhang des Berges, nahm meinen Krug mit 
Limonenfaft, nebft meinem Becher hervor, und mifchte den 
kühlen Trank der Duelle mit der angenehmen Säure, wähs 
rend ſich der Pudel ſchlicht hin mit dem fliegenden Waſſer 
begnũgte. Drauf ſtredte ich mic hin unter den Baum, der 
Hund aber.fing an zu fpüren, und plöplih ſab ich ihn in 


Fortſetzung aus Eberhards Tagebuch. 27 


eine große Höhlendffnung, die fait ganz von Gebüſch bes 
deAt war, einfhlünfen. 

Wohl Hatte ich meine geladene Zlinte und meinen 
Hirſchfaͤnger mit; ich fühlte mid aber dennoch nicht ver» 
ſucht, in die unbekannte Erdhöhle mit hinein zu geben. Es 
dauerte nicht lange, fo kam der Pudel zurüd, fah mid an, 
bellte, und zupfte mich, als ich ihm noch nicht folgen wollte, 
am Kleide. 

Die Neugier fing bei mir an zu fleigen; ohne mid 
Tange zu bedenken, folgte id. 

Bir (id und der Hund) famen in eine hohe Grotte, 
die durd das Licht, welches oben durch eine Oeffnung fiel, 
ſchwach erleuchtet war. Es war fehr kalt da, und es fing 
an, mir unheimliher zu werden. Ich dachte an die ver» 
wundeten Lindwürmer meiner Kindermährden; hier wäre 
es nt unmöglich, daß fih eine ſolche Beftie aufgalten 
koͤnnte. Was ich zu fehen bekam, erſchredte mich faſt eben- 
fo fehr, als ein Lindwurm oder Boaſchlange es vermocht 
hätte. Ich entdedte eine große Menfchengeftalt, die an der 
Band fteif aufgerichtet ſtand, und mid mit hohlen melan- 
choliſchen Augen anftarrte. Ich griff nad) meiner Flinte, 
zielte auf den Fremden und gab mit Geberden zu verfie- 
ben, daß er ein Mann des Todes fei, wenn er ſich einen 
Schritt näher wage. Wie erftaunte id; aber, als id eine 
ganze Reihe folher braunen Niefengeftalten an der Wand 
aufgeftellt ſah, die mic, alle unverwandt mit trüben Yugen 
angrinzten. Ich entdedte bald, dag es Mnmien waren, in 
Biegenfellen mit Riemen ſehr fauber und knapp eingenäht. 
Die Haare hatten fie nod an den Köpfen, und · ich konnte 
die verſchloſſenen Hohlaugen, Nafen, Mund und Ohren, 
deutlich unterſcheiden. Ich mußte beinahe darüber Lachen, 


28 Fortſetßung aus Eberhards Tagebuch 


daß id den Mann des Todes mit dem Tode bedroht hafte. 
Die’Haare ftiegen mir aber zu Berge, als id) 3 bis.400 
folder Leichname in der großen labyrinthiſchen Höhle ent- 
deete; wovon viele an der Wand aufgeftellt waren, viele 
auf dem Boden lagen. Abſcheuliche Gewohnheit, dachte ih, 
das ſchon Verdorbene als etwas Unvergängliches zu bewah⸗ 
ten. Barum bin ic) aber fo närrifc, etwas Gefbenfterar- 
tiges in diefen trodenen Hülfen zu fehen? Was fürdte ih? 
Rechne ich mid) zu ihnen oder nit? Thu' id es? Wes— 
bald fürdte ich denn meine eigenen Kameraden? Tu ic) 
es nicht? warum zittert denn meine zagende Seele? Eine 
leife Stimme ſpricht: Co wirft dereinft auch Du! Das ift 
nicht wahr! Welcher Dus foll fo werden? Mein wahres 
Ich, mein Geift, kann nicht fo werden. "Und was frag ih 
nad) einem alten Lumpen, den ich weggeworfen? 

Diefe Gedanken gaben mir den Muth zurüd; und jeßt 
machte es mir fogar Vergnügen, herum zu geben in der 
Todeshalle der alten Guanchen, die wie die Aegyptier ſich 
auf das Balfamiren trefflich verftanden hatten. Bald ward 
ich doch meiner Unterfuhungen müde; denn die Leihname 
faben fi) alle gleich, und mid) verlangte wieder nad) dem 
Grünen und der Sonne. 

Heiliger Gott, wie erſchrat ih, als ih den Ausgang 
der Höhle nicht finden konnte; die Gänge Ereuzten fi, fa«- 
ben fidy alle gleich; überal fanden die Mumien für mic, 
wie zum Spott, in zwei Neihen anfgeftellt, als Trabanten 
zum Orkus, der mid nun aud) einlud. Gerechter Himmel, 
dachte id), bin ich denn wieder im Gefahr, lebendig begras 
dig begraben zu werden? Soll id jept bier unter fo vie« 
len Leichnamen allein vermodern? Hier it kein Obadias 
Schlenk, der mich reiten Tann, Sein graͤßliches Bild am 


" Sortfehuug aus Eherhards Tagebu 29 


Gochgerichte ſtellte ſich auch noch meiner gereisten Phantafie 
dar, und es ſchien mir, als ſchwebe fein Geiſt an den Mus 
mien vorüber, 

Ich lief wieder, aber vergeblich. Zulett ſetzte ih mich 
erfhöpft auf einen Stein und ließ die Augen zu Boden 
finten. Da ftand mein ehrlicher Suchverloren vor mir, we⸗ 
delte mit dem Schwanze und ftarrte mich an nftt den freuen 
blauen Augen, die im Dunkeln glänzten, und ein erquicken⸗ 
des Licht von fi gaben. Ein Strahl der Hoffnung ging 
mir auf. Sudverloren, — ſprach ih — (und diefer Name 
ſchien mir in diefem Augenblid fehr bedeutungsvoll und 
vrophetiſch gewählt zu fein) du haft deinen Herrn herein 
gebracht, fannft du ihm wieder hinaushelfen? Suche den 
Ausgang wieder aufl fonft find wir verloren. 

Der Pudel ſchien feinen beängftigten Herrn zu verſte⸗ 
ben, er fab mid) wieder an, wedelte, Lief umher, roch an 
der Erde, um unfere Spur zu finden, verdoppelte feine 
Schritte, und ich folgte ihm herzklopfend, obſchon er einen 
Weg einſchlug, der tiefer in den Fels zu führen ſchien. Zur 
weilen Tief er ſo ſchnell, dag ich ihm nicht folgen Fonnte, 
ich fiel und umarınte eine todte Tran, deren Mund mit den 
braunen Zähnen meit offen fand. Bild richtete ich mid 
wieder auf. Der Hund war weg. Suchverloren! rief ich, 
verläßt du deinen Herrn, dann muß er bier ſterben. Wie 
Noahs Taube mit dem Delblatte kam aber das edle Thier 
wieder, mit der Limonenflaſche in den Zähnen, die ich uns 
ter dem Baum hatte liegen laſſen. Glückliches Beiden! 
Treuer Gefährte! rief ich. Ich nahm mir einen Zug aus 
der Flaſche, um mich zu ftärken und folgte dem Hunde, 
der bald freudig herum forang, bald langſam ging, um 
wich nicht zu verlieren. Es dauerte nicht lange, fo Rand 


30 Fortſetzung aus Eberhards Tagebud. 


id) wieder unter Gottes blauem Himmel, von grünen Sträus 
hen umringt, von warmer Luft ummeht, und fah in der 
Gerne den Fels feine weige Pyramide durd die Wolfen 
fireden. Ich ging ſogleich nad) dem Etrande, Die Boots 
Teute erwarteten mid) mit Ungeduld, denn es waren ſchon 
mehr als zivei Stunden über die verſprochene Seit verflofe 
fen. Bir fepten uns in den Kahn, mein treuer Pudel mir 
zu den Zügen. Ich umärmte meinen Befreier, und vers 
forad) ihm einen Halsband, worin feine That eingegraben 
werden follte, durch das ſchlichte Wort feines eigenen Nas 
mens: Sudverloren! 


Der pie. 


Als wir wieder bei Dratava landeten, fanden wir den 
Eapitain in voller Arbeit auf feinem Schiffe. Die Freunde 
waren von dem Pic noch nicht zurüd gekommen. Um mir 
die Zeit zu. vertreiben, aud) um einen Spaß mit Litzbergen 
zu haben, und ihm feine Roſen, Lilien und Bergigmeins 
nicht einzufalgen, holte id) einige alte Neifebefhreibungen 
aus der Kajüte und las die Erzählungen von dem Pic, fo 
dag ich in Kurzem mit diefem Berge fo vertraut war, als 
bätte id) dort Zeit Lebens gewohnt, und alle feine Merk⸗ 
würdigkeiten mit eignen Augen gefchen. 

Am nächften Abend gegen Mitternacht kamen Ligberg 
und Lademann ganz erfhöpft von der Reife zurüd. Der 
Gapitain ließ ihnen ein gutes Abendeſſen bereiten, die Wan« 
derer ftärkten ſich ſchweigend; dann ward eine chineſiſche 
Bowle mit Glühwein auf den Tiſch geſetzt, Pfeifen ange 
ftedt, und num follte das. Erzählen angehen. Ich bat mir 
die Erlaubniß aus, anzufangen, und Lißberg verfepte fhöte 
tif: Ach das ift ja wahr, Ihr und der Hund habt euch 


Fortſeßzung aus Eherhards Tagebuch. 31 


herum rudern laſſen. — Bitt' um Verzeihung, antwortete 
id, id) bin auf dem Pic gewefen,.und habe mir da aller 
lei Roſen, Lilien und Bergigmeinnicht gepflüdt. — Ihr auf 
dem Pic? fragte Litzberg verwundert.” Haben wir uns doch 
da ſo ziemlich umgefehen; Euch haben wir aber nicht 
entdedt, 

Als Ihr weggegangen war’t, verfeßte ich, Fand ih au, 
dag es fih nicht fhide, nach Teneriffa zu kymmen, ohne 
den Pic zu befehen. Ich folgte Euch alfo auf den Ferſen, 
und es wundert mid) nur, daß Ihr mid) nicht gefehen; 
Eud habe id) beinahe nicht aus den Augen verloren. — 
Drauf kramte ich meine ganze Gelehrfamteit aus, erzählte, 
wie idy erft geritten, dann zu Fuß gegangen wäre, weil die 
Haare den Pferden wie Borſten in die Höhe geftanden; wie 
der mitgebradhte Wein mir in den Flaſchen fo kalt gewor · 
den, daß ich ihm nicht trinken konnte. Auf der Spike fei 
der Wind fo heftig geweſen, dag ich mid nur fo lange auf - 
halten Tönnen, bis ich mein Gewehr abgefeuert und die Ges 
ſundheit Sr. Majeftät des Königs gefrunfen habe. In den 
Krater hinunter zu ſteigen, um Schwefelblumen zu pflücken, 
dazu Habe ic) eben nicht befondere Luſt in mir gefpürt, un 
nicht das Schidfal des Cajus Plinius Secundus zu theilen. 
Im Hinunterfteigen freute mich aber der Rieſenſchatten des 
ungeheuern Pics in der Morgenröthe unendlid, weil er 
nicht 6108 über die Infel und das Meer, fondern aud hin» 
aus in die Luft feinen Lauf fortfege, und fo zu ſagen den 
Himmel verdunfelte, 

Diefe Erzäplung, die id) mit vielen characteriſtiſchen 
Beſchreibungen ausftaffirte, feßte Lademann, der zerftreut 
zubörte, in das größte Grftaunen. Er konnte gar nicht bes 
greifen, wie id) da gewefen fei, ohne daß er mich gefehen habe. 


32 Jortſetung aus Eberhards Tagebud. 


Eine ſolche Reife noch einmal machen, tief Zademann, 
nein, dafür bedanfe ih mid. — Barum nicht? frug id. 
Sie iſt ſehr leicht auf dem gepolſterten Felſen zu machen. 
Stredt Euch auf den Sopba, da habt Ihr die Neifeber 
ſchreibung des edlen Ritters Edmund Scory, darin Könnt 
Ihr es alles Iefen. 

Schlag das Wetter drein, rief Lißberg, mit diefen ver» 
fluchten Büchern, diefen Efelsbrüden, wodurch die faule 
eitle Welt eine oberflaͤchliche Kenntniß von allen Dingen ber 
fommt, ohne fi anzuftrengen! Dieſe Dilettanten willen 
immer fehr geſchickt durch leichte Lectüre den Rahm von der 
Milch zu ſchäumen. 

Bas hab’ id) nun davon, daß ich mich geſtern in Les 
bensgefahr gefeßt habe, um den Galdera ein Biffel näher 
zu unterfuhen? — Cie haben die Gnade der Götter er» 
fahren, antwortete ich; fein Sie dankbar. Jeht erzählen 
Cie aber auch bübſch mein Abenteuer, wie id das Iprige 
erzählt habe. Willen Sie wohl, dag ih die merfmürdige 
Todtenhalle der alten Guanchen entdedt habe? Während 
Sie in die Luft ſtiegen, bin ich in die. Erde geftiegen, und 
bin nicht weniger in Lebensgefahr gewefen.. Da fteht mein 
ehrlicher Suchverloren, der kann meine Worte beätigen, 
denn er hat die ganze Reife mitgemaht. — So laßt den 
Hund erzählen rief Lißberg, fonft glaub’ ich, dag Ihr wies 
der fügt. O Herr Gapitain! verfepte er, fein Sie doch fo 
gut, uns die alte Chronik holen zu laſſen, worin er die 
Entdedung der Todtenhalle gelefen hat. — Er hat wirklich 


die Erfahrung ſelbſt gemacht, antwortete Wolfgang. Doch 


Ihr tofen Menſchen, wie bring’ ih Euch mit heiler Haut 
38 dem lichen Grogvater auf Felſenburg? Schade, daß 
id Euch nicht vorher in Amfterdam habe aflekuriren laſſen. 


\ 


3. 


Gapitain Wolfgang erzählt feine Lebensge 
ſchichte. 


Wie fie num zwiſchen den Wendekreiſen und der Linie, 
unter den Paflatwinden waren, mo es nicht viel für die 
Seeleute zu thun gab, rief der Gapitain die Freunde zu- 
fammen, und unter dem Schatten des großen Segels in 
der vom Paflatwinde apgefühlten Luft, festen fie fih an 
einem friſchen Morgen mit ihren Kaffeeföpfen um den Gar 
pitain, und diefer begann, mas er fo oft verſprochen hatte, 
Bruchſtücke feines Lebens zu erzählen. 


Dieine Aeltgen waren gute ehrliche Schwaben; Hand- 
werter. die aus dem Bienenforbe Würtemberg auszogen, 
um fih zu Bien, als in einer fremden, blüthenreihen Linde 
niederzulaſſen. Mein Vater war ein Leinweber, und foll 
ein ganz trefflicher Heiterer Mann geweſen fein. Er liebte 
mich wie feinen Augapfel; bis zu meinem fünften Jahre 
trabbelte id ihm täglich auf den Knien, zündete ihm feine 
Pfeife, und mußte mit gefalteten Händen die Tiſchgebete 
berfagen. Nie ging id: zu Bette, ohne ihm vorher herzlich 
gute Naht zu fagen, und einen Kuß von ibm zu befom- 
men. Diefer einzige treue Freund in der Welt, an deflen 
mannltch⸗ kräͤftigem Geſichte id täglich meine kindlichen Au« 
‚gen weidete, ſtarb, als id nur erft fünf Jahr alt war. 
Das Einzige, deſſen ich mid, aus diefer Zeit erinnere, find 
awei Verſe eines Liedes, das er immer an feinem oder mei⸗ 

Sehlenf. Ecriften. XVI. 3 


3 Gapitain Bolfgung 


ner Mutter Geburtstage fang, wenn er Gäfte bei fih batte, 
und wenn der Wein ihn, der fonft ein fehr ordentlicher Mann 
war, Iuftiger gemacht hatte. Dann fang er das Leineme- 
ber Lied; die Freunde mußten mit einfimmen, und in dem 
Refrain mit Mappernden Ellenbogen auf dem Tiſche, und 
mit ftampfenden Zügen das Geraͤuſch des Webftuhles nadje 
machen. 


Die Leineweber wollten gottedfücchtig fein, 
(Hier kommt Das Klappern.) 
© Niegen fie durchs Kirchenfenſter hinein 
(Wieder Alappern.) 
Und ftahlen dem Paſtor fein Mepgewand, 
Rlappern.) 
Werben fie nicht gehangen, werden fie doch verdammt. 
(Wieder Klappern.) 


Die Leinerseher nehmen feinen Lehriuugen am, 
Der fieben Jahre nicht faften kann, 

Sieben Jahr’ nicht if blind wie ein junger Hund! 
Das macht, die Leineweber find fo gefund. u. f. w. 


In reiferen Jahren hat dies Eid für mid) einen gro» 
Ben Werth gehabt, es ſchien mir den ganzen Charakter mei» 
nes Vaters einzuſchließen. Erſtens fah ich, daß er, wie es 
ſich einem deutſchen Handwerker geziemt, die altdeutihen 
Zunftlieder lichte und fhäßte. Zweitens, wenn ih an die 
Barmlofe Freude dachte, womit er das Lied vortrug, leuch⸗ 
tete mir feine Gutherzigkeit und Redlichkeit recht deutlich ein. 

Freundlich genug batte die Natur dafür geforgt, mir 
ein ziemlich ähnliches Bild meines Vaters ohne Koften zu 


erzählt feine Lebensgeſchichte. 3 


hinterlaffen, das war nämlich mein eigenes Geſicht; denn 
alle Menfchen, die ihn gefannt haften, verfiherten, ih gliche 
ihm wie ein Waffertropfen dem andern. Doch mas ſpreche 
ich von Aehnlichkeit! wenn wir einft nad) Felſenburg kom ⸗ 
men, und unfern lieben Eberhard. mit feinem Ahnberrn ver» 
gleichen, werden wir erft von Aehnlichteit fagen Können. 
Bas nun meine Aehnlichteit mit meinem feligen Vater bes 
trifft, fo hat fie mic zu einer eigenen Gewahnheit verleitet, 
die id) wohl mit mehreren heile, die ihren Aeltern nicht 
aͤhnlich find; ih kann nämlich nie einem Spiegel vorbeiges 
gehen, ohne meine Augen darein zu werfen. Oft ſteh' ich 
ſtundenlang betrachte mid) im Spiegel und ſpreche im Beifte 
mit meinem Bater, deſſen wirkliches Geſicht ich vergeflen 
habe. Und nie ift es ärger gemefen, als eben jeßt, da ich 
beinahe fein Alter erreicht habe. Ein junges luſtiges Fraucns 
zimmer aus meiner Bekanntſchaft ertappte mid eink auf 
friſcher That, und dachte mid, recht in Verlegenheit zu 
feßen. Bie erftaunte fie aber, a‘s fie mich in Thränen ger 
badet fand, und hörte, dag es nicht aus Eitelfeit, fondern 
aus Eindliher Liebe geſchehen fei. 

Ich Hin, wie Ihr-gehört, ein quasi Wiener! ift Je⸗ 
mand von Eud in Wien gewefen? — D ja, antwortete 
Litzberg. — Nun wohl, verfepte der Gapitain, fo habt Ihr 
ohne Zweifel dort ein Iuftiges ruhiges Leben geführt, Hän- 
del und Mehifpeifen gegelen, und in ver Zeopoldfiadt den 
Cafvert gefehen? Als ic da war, ging es nicht fo. An⸗ 
fangs war freilich Alles fehr ruhig, und ich verlebte bei 
meiner Mutter, die das Handwerk meines Vaters fortfeßte, 
Mille einförmige Tage. Denkt Euch aber, wie einem kiei⸗ 
nen Knaben zu Muthe werden mußte, wenn er plößtzlich 
todtblaſſe Geſichter um ſich ſieht, wenn alle u Ge⸗ 


z6 Gapitain Bolfgang 


werbe ftoden, wenn er auf den verfallenen Bafteien mit 
verzweifelter Anſtrengung arbeiten fieht, und hört: Es nahe 
ſich der Großvezier Kara Muftapha mit 200,000 Türken 
und Tatarn, um die Hauptſtadt zu erobern und in einen 
Schutthaufen zu verwandeln. 

Wie ich das alles hörte, fing ic erbärmlid an zu wei⸗ 
nen; als id aber ein Stündchen geweint hatte, und vie 
Türken noch nicht famen, trodnete id die Augen, aß mei- 
nen Bregel, und vergaß die Gefahr. 

Der Abend, an welchem der Hof die Hauptſtadt ver- 
Hieß, und fid) über die Donaubrücke nad) Linz begab, ſchwebt 
mir noch Mar vor dem Gedaͤchtniſſe Die Wagen konnten 
die Fliehenden nicht fortbringen. Vornehme Damen liefen 
mit Bündeln unter dem Arm, um hinten auf eine Kutſche 
zu kommen. Das Volk wüthete und ihimpfte auf die Re— 
gierung, befonders, als cs einen Wagen voll Iefuiten ſah; 
denn diefe waren Schuld daran, daß Ungarn in Aufruhr 
gerathen. Nur menige von ihnen entgingen der Rache und 
Buth der aufgebrachten Menge. Ein Küchenjunge, den ich 
Tannte, batte mir, feinem alten Kameraden, den er zufäls 
ig im Burgbofe traf, Plag bei fih auf einem Vackwagen 
verſchafft, und wir rollten ſchon zum Thore hinaus. Ich 
hatte in diefem Tumulte meine Mutter ganz vergeffen, und 
dachte nur daran zu entkommen. Unmweit der Burg begege 
nete fie ung; fie war ausgegangen, um mid) zu fuhen. Ad) 
mein liebes Kind, rief fie, als fie mich ſahz biſt Du’ geret» 
tet? So will id gern fterben. Lebe wohl, mein Leonhard! 
falle nit vom Wagen nnd komme glücklich nad Linz. 
Deine arme Mutter ſiehſt Du nimmermehr. — Mutter, 
rief id, Du mußt mit fahren. — Es ift kein Plag für fie, 
riefen die andern. So will id auch bier bleiben, fagte ic, 


erzählt feine Lebensgeſchichte. 3 


forang vom Wagen, und eilte in meiner Mutter Arme. 
Sogleidy hatte ein anderer meinen Pla eingenommen, und 
der Bagen rollte fort. Ad, mein liebes Kind, mas haft 
Du getban? rief die Mutter. Mutter, ih will es nicht defe 
fer haben als Du, rief ih, und fügte fie zu wiederholten 
Malen. Ach Du lieber Leonhard, wilft Du mit mir un. 
tergehen? frug fie feufzend, führte mid wieder nach Haufe, 
und bradte mir mit ſchwerem Herzen mein gewoͤhnliches 
Abendbrod. 

So hätte ih, wie ein armes Lamm, geduldig im Schaf- 
ftalle mein Futter verzehrt, bis die Barbaren eingedrungen 
wären, und mir die Gurgel abgefhnitten Hätten, wenn nicht 
Gottesgülfe in einem freundlichen Nachbar erſchienen wäre. 
Diefer wadre Mann mar ein geborner Pole Franz Georg 
Koifchigky, der türkifc wie feine Mutterſprache verftand. 

Wie denn? fiel ihm Ligderg ins Wort, Bruder Herz? 
Haben Sie den berühmten Bruder Herz gefannt, deifen ges 
woͤhnlicher Gruß nachher über ganz Deutſchland zum Sprüd« 
worte geworden if? Er war unfer Erretter! verfepte Wolfe 
gang: denn meine Mutter und ihr Bruder, ein guter lan» 
ger vierfdrötiger Echulmeifter, in abgetragenem ſchwarzen 
Node, dachte an nichts. Ja, letzterer fing fogar an, mid) 
in den drangvollften Tagen lateiniſche Grammatik Lehren 
zu wollen. Bruder Herz, (mir wollen ihn diefen Eprentitel 
behalten laſſen) mar unferm Haufe und befonders mir klei⸗ 
nem Springinsfeld fehr zugethan. So trat er denn eines 
Abends Herein, als meine Mutter Heim Spinnroden faß, 
und mein Dheim mir das ſchwierige unregelmäßige Ber 
bum fero, tuli, latum, ferre einbläuen wollte. Nein, 
Bruder Herz! rief Kolſchizky, diefe Unregelmäßigteit kön⸗ 
nen wir weder länger tragen noch ertragen. Stedt Euer 


3 - Sapitain Bolfgang 


Büchlein zu Euch, Schulmeiſter! und Ior Frau Mupme, 
nehmt alle Eure Epwaaren und verteilt fie unter Euch in 
drei Bündel. Ic trage ſchon bier, wie Ihr febt, eine ziem⸗ 
liche Bürde, dann wollen wir in Gottes Namen fortgehen. 
60,000 Menſchen haben bereits die Etadt verlaflen. Ih 
will Euch retten und in Sicherheit wifen. So gingen wir 
denn mit Bruder Herz, wie die Yraeliten mit Mofes durch 
die Wüſte. Umd eine Wüſte konnte man es freilid nennen, 
denn überall trafen wir nur abgebrannte Schlöffer und Doͤr⸗ 
fer, niedergeftampfte Aecker; und wir mären gewiß bald 
von herumſchweifenden Tatarenborden niedergefäbelt, odee 
in die Sklaverei gefchleppt worden, wenn uns nicht Bruder 
Herz durd feine Unerfchrodenheit, Befonnenheit und Kennt 
niß der Gegend gerettet hätte. _ 

Beit wegfliehen, ſprach er, geht nicht! Wie will man 
einen langen Weg machen, ohne auf einige der 200,000 Mann 
au flogen, die wie Weepen und Hummeln in der Gegend 
ohne Ordnung herum ſchwärmen. Sich verbergen, geht 
eher, und wo die Zürfen einmal gewefen find, geplündert, 
gemordet und verheert haben, kommen fie nicht wieder. — 
Drauf führte er uns zu einem benachbarten abgebrannten 
Schloſſe im Walde. Bir wußten nit, mas wir in diefem 
Scqutthaufen folten; Bruder Herz ſprach aber: Ich kenne 
diefe alte Burg; fle it auf Felſen gebaut, und bier And 
ganz treffliche Kellerwölbungen, die von den Türken gewiß 
unentdedt geblieben find. 

In diefem herrlichen Gewölbe, das Iuftig und trocken 
genug war, trafen wir nicht allein Schuß und Zuflucht, 
fondern aud Lebensmittel vollauf, um zwei Monate dort 
leben zu können. 

Um friſche Luft zu ſchöpfen, ging id während der Zeit 


erzäplt feine Lebensgeſchichte. 9 


mit Bruder Herz oft des Nachts hinaus in den Wald, wenn 
alles ſtil war. Meine Mutter aber und ihr Bruder mag 
ten fi nicht hervor. Bruder Herz hatte aud andere 
Gründe zu diefen naͤchtlichen Walfahrten ; er wollte etwas 
vom Zuftande der Stadt willen. Ad wie ſchnitt es ihm 
in's Herz, wenn er die Naketen in der Nacht von dem ho⸗ 
ben Stepbanstyurme der bedrängten Stadt auffteigen ſah, 
um dem Herzoge von Lothringen ihre dringende Noth an» 
aufündigen. — Das find fonft Zeichen der Freude, zu Hoch⸗ 
zeiten und Feſten, mein Junge, fagte er tief bewegt, jeht 
tündigen die Feuerfäulchen die baldige Bluthochzeit an. 

Wir feten uns auf einen moosbewachfenen Stein uns 
ter einem großen Baume. Der Mond warf nur ſparſame 
Strahlen durd die vorüberfliegenden Wolken; id, fah in 
den Baum hinauf, und es ſchien mir, als ſchwebten drei 
Engel im Baume, in weißen Gemändern, von den ſchoͤn⸗ 
Men Gliedmaßen, die Gefihter aber konnte ich nicht feben, 
denn fie kehrten mir den Rüden; die Häupter waren ges 
beugt, und die fhönen langen goldenen Locken walten ih» 

nen bis zu den Hüften. 

Aber wie beſchreibe ich Euch die Verzweiflung und die 
Wuth meines edlen Freundes, als er drei ſchöͤne Mädchen 
entdedie, von den Türken an den Baum gebentt! Doch 
tröftete er ih mit den Worten: Dankt Gott, arme Mad⸗ 
hen, daß ihr eure Schmach nicht überlebt habt; ich wi 
euch ein chriſtliches Besräbnig geben. Drauf brachte er 
mic) armen, vor Schred halb todten Knaben wieder in den 
Keller, und begrub die Todten. 

In der naͤchſten Nacht hatten wir die Freude, uns an 
den Türen zu raͤchen, und einen ganzen ganzen Haufen 
unſchuldiger Chriſten zu retten. 


40 7 Gapitain Bolfgang 


Bruder Herz batte nah und nad) mehrere Schießge- 
wwehre in den Keller geb acht, alle diefe hatte er, ſcharf ge 
laden, an den Eingang geftellt, und ſich dert einige ver- 
ftedte Schichlocher gemacht. Bir murden in der Nacht 
durd ein lautes Geſpraͤch unweit der Kellerthüre, das ſich 
mit einem Zant endigte, aus dem Schlafe geftört. Bruder 
Herz und ih waren gleih munter und an unfern Späß 
löchern. Drei Türken zankten fi laut mit einem Bierten. 
Sie hatten zwanzig niedliche Kinder mitgebradt, alle uns 
ter fieben Jahren, die fanft wie Lämmer Paarweife vor 
ihnen hergingen, mit Riemen zufammengefhnürt. Auf dem 
Plage vor dem Keller ward Halt gemacht, und jept fonn- 
ten die vier Türken nicht einig werden. Der Menſchlichſte 
von ihnen wollte, daß man die Kinder verkaufe, die drei 
andern fagten: Bir haben ſchon Beute genug, wir wollen 
uns jegt auch einen Spaß maden, und die Meinen Ehri- 
ftenhündchen an den großen Baum da, wo wir vorgeftern 
die Mädchen gehenkt haben, alle auffnüpfen. — Der gute 
Türke ſprach: Sind fie aud) Ungläubige, fo Ind fie doch 
Menſchen; fie find Kinder! Ihre Unſchuld fhmilzt mir die 
Seele. Seht, wie fie dort fiehen, und uns mit fanften 
Augen anfdauen. — Fort Weihling! riefen die Andern, 
wenn Du den Anblid niht ertragen fannft. Er ſpornte 
fein MEord md verſchwand in der Ferne. Um nun aber 

aſamkeit recht die Krone aufzufeßen. gingen die 
ve herum, verteilten Brod aus einem Korbe une 
inder, und ſprachen ihnın zu. daß fie zum letzten⸗ 
afollten. Die armen Kleinen, die den ganzen Tag 
gehungert hatten, griffen begierig nad) dem Brode 
‚ jeigten einander die Biſſen und frohlodten; die 
fingen fogar unter dem Baume an zu fpielen, als 


erzählt feine Lebensgeſchichte. 4 


man ihnen die Banden getöft hatte, Inzwiſchen bereiteten 
ihre Henfer die Schlingen. uud der Aergſte und Häglihfte 
griff, wie Polyphem die Genoſſen des Ulyſſes, einen klei⸗ 
nen ſchoͤn Iodigen Rnaben, der an ihm vorbeiging, bei den 
Haaren, und warf ihm die Schlinge um den Hals. 

In eben dem Augenblide fiel-ein Schu und der Hen» 
ter ſtürzte zu Boden. Die andern zwei munderten fid, und 
warfen die Augen umber, um den Feind zu entdeden, — 
der zweite Schuß fiel, und der zweite Räuber lag binge- 
firedt. Sehr leicht wäre e6 dem Bruder Herz gewefen, den 
dritten eben fo unverfehens zu todten. Als aber die Par- 
tie gleich fand, erlaubte ee ihm feine Tapferkeit nicht, er 
flürzte aus dem Hinterhalte hervor, und als er den Feind 
mit heftigen Worten berausgefordert halte, begann ein Ger 
fecht, welches damit endigte, daß er mit feiner guten Klinge 
den Hirntaſten des Türken ſpaltete. 

Nach geendigtem Streite, da ich zu ihm berauszufome 
men wagte, war er ganz · verdrießlich, und rief ärgerlich), ine 
dem er fein Schwert in die Scheide ſtieß: Da bat mid, 
meine Hige wieder zu einem dummen Streiche verleitet. — 
Bie fo? frug ih. Ihr habt ja geſiegt und die Kinder ger 
rettet. — Gefept aber, antwortete er, ich hätte es nicht, 
folte id denn diefe armen Seelen. und End im Keller fol» 
cher Gefahr ausfepen? 

Als er uns nun gefihert (ab, verließ er uns, um der 
bedraͤngten Stadt zu Hülfe zu eilen; und feine Thaten find 
in der Belt Hinlänglid) bekannt geworden, und wohl auch 
Euch zu Obren gefommen. 

Inzwiſchen führten wir in dem Gewölbe ein abgeſon⸗ 
dertes, obſchon gar nicht rubiges Lehen, denn wir Kinder, 
die wir doch nicht immer ftill fein konnten, machten von 


42 Gapitain Wolfgang 


Zeit zu Zeit in den weiten Gängen unferer Unterwelt einen 
boͤlliſchen Lärm, wie mein Obeim, der Schufmeifter, ſich 
ausdrüdte. Um uns zu befidäftigen, und um in fein eige- 
nes Element verfeßt zu werden; fing er an, eine Schule un« 
ter uns einzurichten. Einige von den Knaben, die von den 
Türken gefangen waren, gerade als fie zur Schule gingen, 
hatten noch die ABE Bücher in der Taſche, und mit dies 
fen Eremplaren mußten fid) alle behelfen. Mein vierferd« 
tiger Obeim, der unter Kindern feine Würde zu behaupten 
mußte, bielt die Beine Republit in ziemliher Ordnung. 
Bumeilen machte fie es ihm jedoch zu fraus; dann Fonnte 
er recht ärgerlich) werden, und klagte bitterlid darüber, daß 
er feine Ruthe in den Keller mitgenommen habe. Einſt 
als er fehr böfe geworden, weil den Kindern die Buchſta⸗ 
ben und Sylben nicht recht in den Kopf wollten, nahm er 
feinen Muth zufammen, und begab fid in einer Dunkeln 
Nacht hinaus in den Bald, um fih eine Ruthe von dem 
Baume zu ſchneiden, an weldem die Türken die kleinen 
Spettafelmader hatten henfen wollen. Als es aber zur 
Erekution kam, und die Jungen fürchterlich zu brüllen an⸗ 
fingen, ward er blaß, wie die Wand, und bat die Knaben 
um Gotteswillen zu ſchweigen, damit wir in unferm Hin« 
terhakte nicht entdedt würden, 

Am zwölften September theilten wir das allgemeine 
Entzüden, als Bruder Herz wieder Bam, unfere eiferne Thür 
weit öffnete und uns die Rettuug und Befreiung! von den 
Türken verkündigte. Ieder fuchte nun’ die Seinen; und da 
ergab es ſich denn, dag meine Mutter ganz verarmt ger 
worden, weil unfrre Wohnung am Kärnthnerthore, von 
Bomben getroffen, mit den Bebftühlen und allem Geräthe 
in Aſche gelegt war. Doch half uns der liebe Gott wieder 





erzählt feine Lebensgeſchichte. 43 


durch unfern treuen Bruder Her. Denn es begab fih, dag 
er eben mit mir am Graben ftand, als des Königs von 
Polen Majeſtaͤt Johann Eobickfy auf dem prächtigen weis 
gen Hengfte des Großveziers, vom Volke mit Segenswän- 
ſchen begleitet, vorbeiritt. Als er meinen Beſchuͤtzer fab, 
den er fhon kannte, grüßte ex ihn freundlich, und ich hüpfte 
vor Freude, und füßte dem König mehrmals die Stiefeln, 
wie ich gefehen, daß ſchon mehrere andere gethan hatten. 
IR der Peine flinke Knabe Dein Sopn, mein waderer Kol 
ſchizty? frug der König. — Nein, Ihro Majefät, war die 
Aatwort, er iſt eine bintarme Baife, deſſen Mutter in die⸗ 
fer Noth Hab und Gut verloren hat. Der Eleine Patriot 
vergißt aber fein eigenes Elend, und dankt Eud, weil Ihr 
fein Vaterland gerettet Habt. Der König lächelte, griff in 
den Buſen und holte eine ſcwwere goldene Kette mit Juwe ⸗ 
Ien hervor; (er hatte neulich im Türkenlager unermeplihe 
Beute gemacht) reichte. mir die Kette und fagte: Bring 
Deiner Mutter dies Geſchmeide, mein Kind! das wird ihr, 
bo id), den Verluſt erfepen. Lehe wohl, mein braver Kol⸗ 
ſchißkv, fuhr er fort; mir willen, was wir Dir ſchuldig 
find; ohne Dich hätte die Hauptſtadt den Muth verloren, 
und wir wären mit der Hülfe zu fyät gefommen. Darauf 
ritt er mit gnädigem Haͤndewinken weiter, vom Jaudzen 
der Menge begleitet. Bruder Herz drachte mich au meiner 
Mutter, und num waren wir, durch den trefflihen Freund, 
wieder in Beblftand gerathen. 

Wie wir jegt reicher geworden, hatte ich auch Luſt ber 
tommen. ein edieres Gewerbe zu treiben. IA wollte gern 
Serofficier werden, und reifte mit einem hollaͤndiſchen Freuude 
nach Amfterdam. Es gelang mir, Cadet zu werden und im 
Kriege zum Offlcier und endlich bis aum Gapitain zu avam . 


4 Gapitain Bolfgang 


ciren. Ich will Euch den Krieg nicht weiter hier erzählen; 
fo etwas lieſt man beffer in den Zeitungen. 

Als der Friede geſchloſſen war, nahm id meinen Ab- 
ſchied; ich hatte aber die See zu lieb gewonnen, um fie fo 
bald zu verlaffen; vielmehr gelüftete es mich, mit dem gro⸗ 
sen Weltmeere genauere Bekanntſchaft zu machen. Ich fand 
es nicht unter meiner Würde, als Capitain in der Marine 

Kauffahrtheifahrer zu werden. Die Kauffahrtheifahrer ſchie- 
nen mir vielmehr die eigentlichen Seeleute zu fein. Die Lis 
nienſchiffe find große Mafchinen, zu Schlachten an der Küfte 
beftimmt; auf den weit ungemaͤchlicern Fahrzeugen, mit 
z weniger Hülfe, pflügt der Schiffer das abenteuerlihe 

cr. 

Ich hatte mein Schiff mit Waaren befrachtet, und wollte 
nad) BWeftindien fegein, um ſolche mit Vortheil abaufekenz 
kaum waren wir aber im atlantifhen Meere. fo ward id 
gewahrt, daß ich einen großen Fehler dadurd begangen 
hatte, Leute zu Dingen, ohne nad) ihrem Charakter und ih- 
rer Lebensweife zu fragen, wenn fie nur tüchtig, muthig 
und ſtark waren. Es dauerte nicht Lange, fo fah ih, daß 
diefe Schufte zum Auswurf der Menfchheit gehörten. Kaum 
vermochte ih, hald durd Strenge, bald durh Güte, fie in 
Ordnung zu halten, und mid in Reſpect zu’ ſehen. Auch 
merfte ih, daß fie ſich oft heimlich beſprachen. 

Ich war mir das Aergfte vermuthend umd das Näths 
fel Töfte fi bald, als der Hauptfhelm unter ihnen, Jean 
le Grand, wit zwei andern, eines Morgens zu mir in die 
Kajüte trat, Ich griff nach meinen Piftolen uud rief: Bas 
mollt Tor? Bolt Ihr Meuterei anfangen, da Ihr Euch 
drei Mann ftart. ohne Erfaubnig in die Kajüte des Eapis 
tains eindrängt? Entfernt Eu! oder ich ſchieße dem er- 


erzäblt feine Lebensgeſchichte. 45 


fen, der da ſpricht, eine Kugel dur den Kopf. Bil Je⸗ 
mand mit mir reden, fo muß er allein kommen. 

Sie verbeugten fd mit fbeinbarer Demuth, und vers 
ſicherten, fie hätten nichts Böfes im Sinne, weil aber der 
Herr Gapitain es befehle, verfeßten fie ironiſch, wollten fie 
wieder gehen, und eine gelegenere Zeit abwarten. Dar 
mit entfernten fie ſich, und ic) faß allein in der Kajäte mit 
‚meinen Piſtolen. 

Ich dachte: Was hilft langes Zaudern? Geſchehe bald, 
mas geſchehen mug. Benigftens will id) mein Leben theuer 
verkaufen. Ich gürtete mein Schwert Im, ftedte noch zwei 
Terzerolen in den Bufen, nahm eine Piltole in jede Hand, 
trat heraus, ſah fie alle auf dem Verdec beifammen, und 
tief: Bas wollt Ipr von mir? Hier fieb’ ih! Ican le Grand, 
als der Verſchlagenſte, Klügfte und Boshaftefte unter ihnen, 
trat fehr affectirt hervor, griff an feine Müpe, und ſprach: 
Der Here Sapitain ereifere ſich nicht, und glaube nicht, Daß 
mir gegen Ihn etwas Böfes im Schilde führen. Bir ha⸗ 
ben Ihm nur freundlich einen Beinen Vorſchlag zu thun. 
Ihr wollt nach MWeftindien, um Handel zu treiben, und wir 
follen als gedungene Matroſen Euch das Schtff dahin brin⸗ 
gen, damit Ihr Eure Waare dort mit Profit abſehen 
Lönnt. Mit diefem Plane find wir nun aus zwei Gründen 
nicht zufrieden; erftens weil nur allein Ihr, und Niemand 
von uns feinen Vortheil dabei findet, zweitens weil es ung 
gemein vortömmt, daß flch brave Seeleute mit Schachern 
abgeben. Bir find alle Helden aus den letzten Seetreffen. 
Hätte der Krieg länger gedauert, wären wohl auch mehrere 
von uns, wie der Herr Gapitain, avancirt. Wenn aber 
das Glück nicht gutwillig fommen wil, muß man es bei 
den Haaren berbeizichen. Die Fürften haben Frieden ger 


4 Gapitain Bolfgang 


ſchloſſen, ohne uns zu fragen, nun wollen wir, ohne fie zu 
fragen, den Krieg noch eine Weile auf eigne Hand fortiehen. 
Ein ehrlicher Freibeuter ift überall geachtet, und dieſes Mes 
tier war, wie uns die Gefdichte Ichrt, in den heroiſchen 
Zeiten fehr ehrenvol. Die alten Skandinavier haben fi 
durd) ſolche Thaten unſterblich gemacht; wir brauden aber 
nicht fo weit zurüd zu gehen! Auch im verwichenen Jahr. 
hunderte haben die Boucaniers und die Flibuſtiers Wun⸗ 
der der Tapferfeit von der Infel St. Domingo und dem 
Meinen Gilande la Tortue aus, verrichtet. In ihre Fuße 
tapfen, die weder Sturm nod Bellen auslöfhen können, 
wollen wir treten. Wir haben gehört, eine Silberflotte 
werde bald aus Brafilien nach Spanien gehen; auf diefe 
wollen wir Jagd maden. Das hat mehr zu bedeuten, als 
armfelige Waaren in Weftindien zu verkaufen. Und Ihr 
ſollt unfer Anführer verbleiben, wenn Ihr Eud in Güte 
dazu verftehen wollt, mit uns gemeinfhaftlihe Sache zu 
machen. 

Ich antwortete: Ich konnte Euch hintergehen, ja fas 
gen, und nachher nur daran denken, Euch in's Verderben 
zu ſtürzen Das will ich aber nicht; ich will Euch nicht be⸗ 
trügen, und id) erkaufe mein Leben nicht durch eine Züge, 
Ich fönnte Euch über Pfiicht und Treue eine Predigt hats 
ten; das will id) aud nicht; denn ih weiß, es würde mir 
nichts helfen; und bin id nicht länger Euer Gapitain, fo 
will ich wenigftens nicht Euer Narr fein. Schiff und Fracht 
will ih Euch überlaffen! Ihr könnt es nehmen, ohne mir 
mein Lehen zu rauben. Wollt Ihr mid) aber durchaus er 
morden, fo thus. Ich bettle Euch nit um Gnade. Gebt 
mir aber lieber die Schaluppe, gebt mir Eßwaaren für 
drei Wochen, und laßt mir meine treuen Schiffsjungen Paul 


erzählt feine Lebensgeſchichte. 4: 


und Rudolf. Das Wetter it (hön, id werde mein Gläd 
aufs Neue verfuhen. Vergehen wir, fo begegnet ung nur, 
was ſchon fo vielen wackern Geeleuten begegnet ift, und 
was uns auch auf einem großen Schiffe treffen könnte. Ich 
bin Chrift, Habe gelernt, Geredjtigkeit zu üben, und an 
Unfterblicpkeit zu glauben. Bor Holands Feinden habe ich 
nicht gezittert; ich zittre nicht vor dem Teufel, und nicht 
vor Eu! 

Diefe Rede gefiel den Matrofen; der niedertraͤchtige 
Jean le Grand aber ärgerte fi über meine Kecheit, wos 
rin er deutlich Verachtung gegen ſich entdedte. Er mollte 


fogleih auf mich abdrüden, ein anderer flug ihm jedoch 


die Piftole aus der Hand und der Schuß ging Ins, ohne 
Schaden zu thun. Der andre rief, man folle mid nicht 
ohne Noth umbringen. Diefem Verlangen ftimmten Meh ⸗ 
rere bei. — So verfeßte ich dann gelaflen: IA bin Euer 
Gefangner, macht mit mir, was Ihr wolli. — Ich ging 
binunter in die Kajüte und erwartete mein Schidfal, das 
ſich wohl bald entfdieden hätte, wenn nicht die folgende 
Nacht ein ſchreclicher Sturm entftanden wäre, wobei die 
Böſewichter ganz den Muth verloren; theils weil einige 
glaubten, es fei Gottes Strafe, theils meil der Steuermann 
den fie mit in's Complott gezogen batten, frank lag, und 
fein anderer fid) getrauete, in diefer Gefahr das Schiff zu 
lenken. Sie kamen zu mir und baten mid, Schiff und Les 
ben zu retten. Ich blich mit gefalteten Händen ruhig in 
meinem Lehnſtuhle figen, fah zur Erde, und fagte: Ihr 
habt mid, meines Amts entfeht, jetzt rettet Euch ſelbſt. Sie 
gingen wieder hinauf. Jean le Grand meinte, er würde 
ſchon ohne mid fertig werden; er war freifih cin großer 
Wagehals, aber ein ſchlechter Steuermann, und die Gefahr 


‘48 Gapitain Bolfgang 


» 
flieg mit jedem Kugenblide. Ich faß ganz vorſtoct in der 
Kojüte, als ein alter Matrofe hinunter fam, und ganz 
pblegmatiſch fagte, indem ex die Kapuze abnahm: „Ih 
foßte den Herrn Gapitain gefälligft bitten, einen Augenblic 
binauf zu fommen, Jetzt vergehen wir gleich.“ Ich mußte 
über den Gleichmuth des Alten iachen, der mir diefe Kunde 
in demfelben Zone rapportirte, als wenn er mir zu fagen 
hätte, dag mein Eſſen auf dem Tiſche fände. Der Selbfte 
erhaltungstrieb erwachte indeß bei mir; ich fprang auf das 
Verdec, und rief: Reut Euch Eure That, und wollt Ihr 
mir wieder Treue (hören, fo fol alles vergeffen fein, und 
mit Gottes Hülfe wil Euch reiten. Alle ſtrecten die Hände 
sen Himmel, und bethenerten mit gräglihen Eidſchwüren. 
daß fie mir treu fein, und mir unbedingten Gehorſam leis 
ften wollten. So ftrengte id) denn alle meine Kräfte an, 
und es dauerte nicht lange, fo waren wir außer Gefahr, 
und der Sturm legte ſich. 


Müde von der Anftrengung ging ic zu Bette und ſchlief 
ruhig ein. Als id wieder erwachte, fand ich mich feſt in 
Banden unten im Sciffsraume in eine Ede hingeworfen. 


Ich fühlte, dag ich unklug gehandelt hatte. Wie tonnte 
ich mid) auf Treue und Eidſchwüre folder Böfewicte ver⸗ 
laſſen, und glauben, daß fie Dankbarkeit gegen mid) beweifen 
mürden, weil id) ihnen das Leben rettete? Meines vorigen 
Stolzes und meiner Unerbittlickeit würden fie ſich aber um fo 
beffer erinnern ; diefe neue Verpflihtung, würde mein Schick⸗ 
fat ſchneller entſcheiden, damit fie eines Läftigen Menſchen 
los würden. Hätte ich mid) unbedingt und ohne Trotz bin« 
gegeben, Hätte ich gleich ohne Bedingungen ihren Willen 
erfüllt, fo wären fie vieleicht gerührt und zum Mitleid ber 


erzählt feine Lebensgeſchichte. 49 


wogen worden. Der Gedanke aber, von ſolchem Janbagel 
bemitleidet zu werden und Wohlthaten von den Schurken 
zu empfangen, die alles geräubt hatten, war mir ärger als 
der Tod. 

Mein treuer Schiffsiunge Paul beſucte mid und er- 
zählte, da Sean le Grand durd feine Reden und Bor 
Rellungen alle Gemüther für id gewonnen habe. Ein Paar 
von ibnen wären freilich unzufrieden, müßten aber gute 
Miene halten, um nicht ermordet zu werden. Jetzt [maus 
ſten fie und zechten alle droben auf dem Verdecke. Ich 
fonnte ihren wilden Gefang unten im Raume hören. Jean 
le Grand hatte mir einen ewigen Haß geſchworen; die 
Mannſchaft wollte aber nicht erlauben, daß mir ein Leides 
geſchehe: fie waren überein gefommen, mir das Boot zu ges 
ben und mid dann den Wellen zu überlaffen. Paul folte 
mid) abholen; er ſchnitt mir die Stride wieder los, und ich 
folgte ihm hinauf auf'g Verde, 

Hier faßen die Näuber alle um einen langen Tiſch, 
und verpraßten mein Eigenthum. Ein Stuhl ftand auch 
für mich da, und Jean. le Grand fprad: 

Gapitain, die Brüderfhaft bat beſchloſſen, Euch das 
Meine Boot zu überlafien, und Ihr ſollt es Haben. Lebens⸗ 
mittel oder fonft etwas befommt Ihr aber nicht. Die Vor 
febung, anf die Ihr fo trohig baut, wird Euch ferner hel⸗ 
fen, was braucht Ihr folhe Schufte, wie uns, darum zu 
betteln? Ein Paar weichherzige Serien wollten freilich, 
dag wir Euch verprovianfiren follten, wir haben aber geftimmt, 
die Mehrheit ift dagegen: ich verbiete es jegt, Kraft meines 
Amtes als Hauptmann der Freibeuter, und werde dem Er 
ſten eine Kugel durch's Gehirn jagen, der noch ein Wort 
davon ſpricht. — Iept fept Euch, und U Euch zum 

Geblenf. Schriften. XVI. 


5. Capitain Wolfgang 


Abſchied, fo viel Ihr wollt! Ihr könnt es möthig haben, 
denn Ihr babt eine chen fo beſchwerliche Reife anzutreten, 
als des Elias vierzigtägige Neife auf den Berg Horeb. 

Erſt in diefem Augenblide ergriff mid) Kleinmuth. Bor 
einer Hinrichtung hätte mir‘ nicht gegrauf, der Hungertod 
ſtellte Ach aber plöglih vor meine Seele mit allen entſet - 
lichen Zügen. IA bat fie demüthig, Mitleid mit mir zu 
haben, und mir wenigftens Lebenemittel für acht Tage mit- 
zugeben. Mein armer Paul brad) in Thränen aus und 
rief, es wäre ſchändlich, mid auf dem falzigen Meere vers 
ſchmachten zu laſſen, mährend fie ſich felbft mit meinem Eiv 
genthume zu Gute thäten. Kaum aber hatte der arme 
Zunge diefe Worte geredet, fo traf ihn die Kugel des grau« 
famen le Grand fo, dag fie ihm den Hirnfhädel zerſpal- 
tete, er fiel rüdwärts und befprüßte mid) mit feinem treuen 
Blute. Iean fe Grand aber fagte ruhig, indem er ſich wie⸗ 
der feßte, und der Leihnam in die See geworfen war, Ge— 
borfam gegen Die Gefege (und der Wille der Brüderſchaft 
iſt Gefeh) gesiemt wadern Freibeutern, und ift notwendig, 
menn wir die ſbaniſche Silberflotte erobern wollen. . 

Dies Zauberwort machte auf die niedrigen, eigennüßi- 
gen Menſchen einen ſtarken Eindrud, und die leichte Re— 
gung von Menſchlichteit, die in ihrer Bruft entfianden war, 
verſchwand ſogleich nieder. 

Drauf kehrte Jean le Grand ſich zu mir und ſprach: 
Euer Loos iſt geworfen! Füllet euren Magen mit gutem 
Eſſen und Trinken, und ftärft Euch, daß Ihr es fo lange 
aushaltet, als möglich. Wahrſcheinlich wird es Eure Ichte 
Mahlzeit werden. 

As ih merkte, dag id) den Elenden mit Worten nicht 
erweichen konnte, Dachte ich: Ic) will den Hund nicht mehr 


erzählt (eine Lebensgeſchichie. 5 


vergeblich anrufen, ich will nicht hier wie ein armer Sän- 
der figen. Effe ih nicht, fo werde id) im Boote bald ohne 
mädtig, und dann ift feine Rettung mehr möglich. Mad’ 
ich aber eine gute Mahlzeit, fo kann id es doch ein Paar 
Tage aushalten. Diefer Gedanke gab mir den Appetit wies 
der, und-id aß weit mehr, als ich pflegte. 

Ein tühtiger Kerl, hörte ich mehrere Freibeuter unter 
ſich murmeln; er hat nicht das Hafenfieber. Da irrten fie 
ſich aber, denn ich aß eigentlih nur aus Furcht zu ver 
bungern. 

Als der Punfhnapf auf den Tiſch Fam, tranten die 
Gauner alle fpottweife, laut jauchzend, meine Gefundheit. 
Was mid am meiften ärgerte war, daß mein zweiter Schiffs 
Junge, Rudolf, den id) eben fo fehr wie den Paul geliebt 
hatt, ganz zu diefem treuen Kameraden den Gegenfag 
machte, und mic ärger als alle andern mit unverfhämten 
Epotte und Schimpfreden verhöhntes weshalb ihm auch 
Iean le Grand, der jest fehr benebelt worden war, den 
Befehl gab, mein Boot zu unterfuhen, ob mir Jemand 
vieleicht etwas zugeftelit habe. Er kam bald zurüd und 
verſicherte. es wäre nicht fo viel, dag fid eine Maus daran 
fättigen fönne. So ward id denn mit vielen Geremonien 
von der betrunkenen Brüderfhaft ins Boot gebracht; mo 
mir noch Iean le Grand zum Abſchiede eine Dofe mit 
Schnupftabak verehrte, und ein altes Meſſer. Rudolf fuhr 
fort mid; zu verhöhnen; drauf ſchnell meine Hand ergrets 
fend, während die Andern es nicht merkten, raunte er mir 
ing Obr: Lebt wohl, mein theurer Herr und Wohlthäter! 
Vergebt dem armen Rudolf! Ihr werdet im Boote Eh 
ıaaren finden. So führte er mi ſcnell in’s Boot hin ⸗ 
unter , ftieg mit einer Bootftange meinen Kahn in die Ste 


52. Gapitain Bolfgang 


und unter einem lauten Hurrah der Mannfhaft, ſah ich 
mein Schiff wegſegeln, und fid in die Ferne verlieren. 

Als id) mir felbſt überlaffen war. fand ih unter mei» 
mem Eige, der mit einer Matte bededt war, einen Beutel 
mit Schiffszwiebad, zwei Stud geräuchertes Fleiſch, einen 
großen Krug vol friſchen Waſſers, zwei Flaſchen Wein, 
und einige Stüde Bindfaden, Ales diefes Hatte mir der 
gute Rudolf mit Lchensgefahr zugeftedt. 

So trieb ich denn umber, ohne Land zu fehen, ohne 
ein Schiff zu treffen, und hatte nod den Schmerz, an mtis 
nes treuen Pauls Leichnam vorbei zu fegeln. Ih erhob 
meine Hände zum Himmel, dankte ihm für feine Treue und 
beweinte fein Scyidfat. Durd eine plöplihe Bewegung des 
Bootes war ich fo unglücklich, all mein friſches Waſſer in’s 
Meer zu verfhütten. Dieſer Verluft raubte mir ganz den 
Muth. Der Himmel erbarmte ſich aber, es fiel ein milder 
Regen, und ich konnte meinen Krug, mit dem Waſſer, das 
id) in der Matte auffing, ganz wieder füllen. Ich bedauerte 
nur, daß ich nicht mehr Krüge hatte. Am dritten Tage 
hatte ich das Glüd, durd eine Schlinge, die ih mir aus 
den Bindfaden gemacht, einen Meinen Seehund zu fangen. 
Hier kam mir das alte Mefler, das mir Jean Ie Grand 
ſpottweiſe verehrt hatte, wohl zu ftatten. Ich tödtete den 
Seehund damit, die zerfhnittenen Stüde begoß ih mit 
Bein und briet fie in der Mittagsfonne. Die Mahlzeit 
Märkte mic wunderbar. Auch der Tabak erheiterte mich im 
rauhen Wetter. Meine Matte war wieder troden, ih wit⸗ 
fette mich darein, ftredte mich bin im Boote, und ſchlief 
tubig ein. 

Als ich wieder erwachte, war mein Meines Fahrzeug 
auf eine Sandbank feſt gelaufen, und ale id die Augen 


erzählt feine Lebensgeſchichte. 58 


aufſchlug, fah id über mir einen ungcheuren Felſen. Ich 
watete fogleih vom Boote nad dem Felſen, um feftes Land 
au gewinnen. Kaum ftand ic) auf dem Trodenen, als «in 
Bind ſich erhob, und mein Boot wieder in’s Meer hin 
austrieb. J 

Jetzt Hatte ich freilich feſten Boden gewonnen, der Fel- 
fen ſchien mir aber tahl und unbewohnt und ich ſtand bier 
aller Hülfe beraubt. Bu meinem Troſte entdedte id) einen 
großen Waſſerfall, der mit außerordentlichem Geräufhe aus 
dem Felſen forang. und fi in's Meer ergo. Ich eilte fo 
ſehr ich Fonnte, um dabin zu gelangen und meinen Durft 
au loſchen. 

Denkt Euch aber meine Verzweiflung, als das frifhe 
Waſſer plöglich zu fliegen aufhörte und mir, als ich dahin 
kam, nur einen dunfeln trodenen Schlund zeigte. 

Ih warf mic) wie wahnfinnig zur Erde, und rief un 

tröſtlich: Unendliche, ewige Natur! thuft du fo große Wun⸗ 
der, um einem armfeligen leidenden Gefhönf den legten 
Labetrunk zu verfagen? Diefer Flug hat vieleicht feit Iabre 
bunderten feinen Lauf fo genommen, Bögel und Thiere feit 
der Sündflut gelabt, fobald ich aber die zitternde hohle 
Hand gegen ihn ausftrede, ftodt er plötzlich und verfiegt. 
Run, fo mil id denn auch nicht mehr hoffen. Die Vor⸗ 
fehung hat meinen Untergang beſchloſſen, und mir diefen 
trodnen Schlund zum Grabe angemwiefen. So rufend ſtreckte 
ich mic) verzweifelt hin auf die Kierelfteine, 

Doc) 18 ift jetzt Zeit, daß id) abbreche, ſprach der Ca⸗ 
pitain, denn was jept folgt, werdet Ihr ſelbſt in einigen 
Zagen erfahren, wenn wir an der Sandbank und an dem 
Felſen anfern. D Rudolf, gieb mir ein Glas Bein! die 
Erzählung hat mir den Hals troden gemacht, 





54 Die Landung auf Felfenburg. 


Ein wohlgewachſener Iüngling, des Capitains Diener, 
(den ſchon Eberhard in Amfterdam gefchen, als er feinen 
Herrn vom Schauſpiele abrief,) brachte auf einem Zeller 
das Berlangte; und der Gapitain Wolfgang ſprach, indem 
er ihn bei der Hand nahm: Ic) habe hier die Ehre, der 
Geſellſchaft meinen ehrlichen Rudolf vorzuftellen. Das Glück 
bat ung wieder vereint, und ich hoffe, dag wir Lünftig fhd« 
nere Tage mit einander verleben werden! 





4. 
Die Landung auf Felſenburg 





Sehr geſchigt Hatte der Capitain Wolfgang Ort und 
Zeit zu feiner Erzählung gewählt, und fehr Hug brad er 
eben da ab, wo ſich die Wirklichkeit der Erinnerung reis 
zend anknüpfte, . 

Glüclicherweiſe braucht Erzähler diefes nichts von dem 
Seinigen hinzu zu fügen; es findet ih in dem Tagebuche 
des Herrn Julius das Fragment eines Gedichte, welches er 
kurz nach der Landung auf Zelfendurg verfaßt haben mag, 
HH er die Scene, fo gut es gehen will, homeriſch be» 

reiht, 


Eberhards Gedicht. 


Uber nachdem wir das Meer genftügt, vom ſtarken Paſſatwind 
Fortgetrieben, — Neptun auf dem Eanthus reitet nicht fchneiler, — 
Wet mich der treffliche Wolfgang laut, ald am Morgen des Dftens 


Die Landung auf Felfenburg. 5 


vurdur ftieg aus dem bleiernen Schooß nachtähnlicher Bellen, 
Bern im Meere zu fhad'n Die erwünfchten Heiligen Zelfen, 
Welche die fahlen Häupter empor auftnuchten gen Himmel, 
Sieden der Wollen gleich, im Geflhtötreis! ber fie wuchſen 
Wiiefengroß aus der faligen Mat, und mah'ten dem Schif fich; 
Zeigten mit Dornenbäcfen beroachfen erflaunliche Blöce, 
Unfruchtbarer noch ald das Meer; unzählige Fiſche, 

Hayn, Merefchweine doch wimmelten hier: in ſteinernen Mlüften 
Sarien Geevögel vergeblich nach fparfam wachfenden Beeren, 
Nur aus dem harten Gefein, mit Geräuſch bergpolternder @eifer, 
@prubeite reich Die Fiut aus den Gingeweiden des Werhes, 

Und vermifchte Das füße Getränf mit bitterem Meerfal. 

Dort dedt Brandungen ziſchend der Echaum, hier brachen die Miffe 
Zorniger Srandungen Bath; Sandbanten hoben fich ſchneeweis 
Mus den gebrochenen Weiten, im cup vorragender Klippen; 
Hügeln {m Felde gleich, die mit Reinigen Scheiteln da Reh, 
@ieblich von wogenden Medeen umringt, des Iuftigen Feldes. 
Diefe luden und ein, im Schatten und da iu erfeifchen. 

And ald Unter geroorfen, verließen die Männer den Dreimaft, 
Welche der Saiffer ertor, zu teilen das fhöne Geheimniß. 
Cage mir, Mufe! Die Namen des fröhlich landenden Hauſens. 


GR der würdige Diener des Herrn, der trefliche Gchmelier, 
(Schön war der Rame gewählt, denn er ſchmolz die Herien in Andacht) 
Sarısarı im Denat, als ein lutyeriſcher Pfarrer gefleidet, 

Sties er in’d Boot und trug im ſchwarzen Sammet gebunden 
And mit Eilberbefchlag verdiert, Die heilige Bibel, 

Sigderg drauf, der räftige Geift, old ehrbarer Bürger 

Mn der Meichhfadiggrann war fein Roc, von Blantem Metalle 
Zeug er Die Inftrumente der mathematifchen Forſchung 

Bierlich im rothen Befted, Ihm folgte ſchlant mit der Harfe 


5% Die Landung auf Felfenburg. 


Sademann mit dem blonden Geficht und den wahlenben Soden. 
Mber der Meit, den ſelbſt ein gefegneteg Eiland niemals 
2eider fo gamı entbehrl, ald Graduirier im rothen 
- Mantel erſchien, mit Baret von fchönem purpurmen Gammet, 
Wie es aiſer Muguf dem Greetter felber gegeben. 
Drauf ein großer erfeenlicher Schmid, gar fauber in Mleidern, 
Doch mit Iedernem Gchucifell vorn, und Hammer und Zange 
Zeug er in nervigter Hand, und der Hut ſas (hräg auf Der Gtirne, 
Drauf ich felbf, Eiudent aus Leipsig, ſchwarz und in Echnhen, 
And an der Seite mic ding der sierlich Rählerne Degen. 
Hanna ‚Heilkraft drauf, die Schweierin; reichlicher Oaarwucs 
Wabenfchwars in Flechten dem Müden entlang, und das Haupt ihr 
Sagaitet ein breiter Hut, mit chrbar flatternden Bändern, 
Gndlich der trefflihe Schifer in feinem bläulichen Tuch, 
Mit Golbfaumen gebränt, und den Hut mit ähnlichen Treffen, 
Und in der Hand das gemwalt'ge Echwert, das oft in Gefahr im 
Ehe’ erworben, und Rußen den meervertrauten Batavern. 
Diefe Befenfchaft war's, die beflieg den heiligen Seifen. 


Doc die Datrofen folgten in Böten, und in der Gchaluppe 
Brachten fie wiederfehrend das Gut and Europa, die Ballen 
Aufgeſtapelt in Klüften des Berge, damit nicht die Salaflut 
Ehadete Büchern und Stoff, Seinwand und dem treflichen Berkieng, 
@täglern, mit Mahagonienhol, verfertigt in England. 

Much viel trefüched Bich ward gebracht dem wartenden Gand. 

Sechs Gtüd brünender Küp, und ein Stier aus der Marfch; und die 
‚Hengfte 

Sie herten nach den Stuten, geholt vom graſigen Dan mart. 

Schafe mangeiten nicht, und Difd« kretſende 

Otredten die Häupter empor nach Dem Kraut des bürftigen Felſens. 

Auch calitutifche Hühner vol Zorn mit blutigen Rämmen, 


Die Landung anf Kelieubur, ⸗ 
Und pplegmatifche Schwein’, Deren euer ir ene 


Küclein pickten das Korn in Käfgen; —— 
Sehnten ſich mach Dem Mafler uud ſchrien auf wachen Arber. 
Much vier Gfel blärseten laut, den Feiſen becigenb;, 

Heijeude Tauben, einige weiß und Die übrigen famwerdia 
Wirrten und fenäbelten fich liebtofend gleich auf dem Gerawss, 
Noch vier Hunde (cılofien den Zug, in Gtriden gebunden 
Blicten ſie Höhnifch und Rumm auf erbärmlich miauende Kapen, 
Mber nachdem nun Mücd auf fehlen Boden gebracht war, 

Dantte der tretfliche Schiffer dem Bolt, entblößte dad Haupt ſich 
Wufend mit tönender Stimm’: Ih dank Euch, mad're Geſellen! 
Anfer Geihäft iR vonbracht; weis ſiad im Hafen der Bünfche. 
Dandert Gpc nicht, und bier auf nactem Beflein zu verlaffen! 
Gott wird ferner forgen, fürwaht. Ans lächelt die Zukunft, 
Mber gedentt des heiligen GiD's, den Jeder gefdhworen; 

Dad vorlaut die Lippe nicht ſpricht; bewahrt Dad Gebeimniß! 
‚Hier, als denker des Schifis, als Haupt der gehorfamen Mauuſchaft. 
Sten ich Euch Ferdinand Horn, den Steurer vor, er betritt jept 
Weinen Play; ſo sehorcher ipm treu, mit gesiemender Ehrfurcht. 
Seat? Such der Himmel künftiges Glac. und baldige Rädtehe. 


Doch die gebärteten Soͤdne deb Meerd, die Troder des Windes 
Beineten laut wie Rinder und ſchwenkien die fchwarien Rapulen 
Diederdoit in die Suft, und riefen (lnchiend ihr Ourrad⸗ 
Gerlamienb! & lebe der brave Gapitain, der trefliche Wolfgang! 
Eegn ipn Gast! denn er iR und ein Zreund, ein Water geweien. 


Darauf errichteten wir das Geickt, und blieben den gansen 
Tas am fandigen Straud, bis das Schiff feine Auker gelichtet. 
ber nachdem mit Ranonengeichoß Abſchied cd genommen, 


53 Die Landung auf Felfenburg. 


Bern in die Macht verſchwindend, da fliegen rothe Maleien, 
Wömifche Sichter, lieblich zu ſehn von fpipigen Seifen, 
Eaufeten über und hin in (hönen Bogen und Enaitten. 


WS die Dämmernde Eos mit Mofenfingeen emporflieg, 
„Und und ein kurzer Schlummer gelabt, begaben wie fämmtlich 
Und au dem MWaflerfal, der geflern gewaltig gefprubelt, 
Weber Dad Bunderbild des gehemmten Stromes au Aaunen, 
Doch ganz troden ſchon maren des Schlunds gehauene Stufen 
Und zehn Jünglinge, fhön wie der Tag, mit brennenden Fackeln 
Mltdeutich alle gefleidet und hachdeutfch ſprechend wie Cachfen, 
Namen wie Engel bervor, und erflanneten über den Mablic, 
Drauf den treflichen Freund umarmend, den rütigen Wolfgang, 
Kepeten fie fich nach mir, und erfammten mich gleich an den Zügen, 
Rannten mich Better und Freund, und Drüdten mich fe an den Buſen. 
Zedt begab fich der Zug durch den Schlund des gewaltigen Berge 
Sangfam gemächlich ſteigend auf breiten Stufen des Feiſens. 
Mer die größeren Thier’ und bie Ballen wurden Durch MBinden, 
Trefflich ſtart auf der Klippe gebaut, in tragenden Seilen 
Meder den Felſen gehoben und landen auf sierlichen Wagen 
Schon im Grünen, gehäuft, auf Dem Plap den Fremden erwartend. 


Wie ein Kranker, der lange Das Wett gehütet, er naht ſich 
Täglich ducch Dämmernde Echlände der Furcht Den Dallen des Todes; 
Giche da endet fich ſchnel Die Roth, er genefet, Das Leben 
Winft ihm wieder und ſchoner mit allen blühenden Beenden; 

&o wir Aaunenden Fremden, das Sci, das enge, verlaffend, 
Grin duchfchleichend den Gang des audgetrecineten Versſtroms. 
MUS auf Hlüpender Mu, von Gebirg umgürtet und MBaldung, 
Wieder das deilige Sicht, als nengeboren, und aufthat 
Varadieſiſche Suft und einlud, Die Grüchte au koſten. 


Die Landung auf Felfenburg. ” 


Sicher gehemmt war der Fluß durch Dämme gewaltiger Balten, 
Stufen zu beiden @eiten gehau'n, das Feld zu gersinnen, 
80 Baumgänge gewölbt von Mfazien herrlich ſich reiten, 
Doppelt, jenfeits des Fluſſes und hier. von üppigen Bacätthums ; 
Und ein Teppich des frifcheften Gründ von Blumen gefpreikeit, 
Zeigte Die reizende Gerne des (cheäg anlanfenden Hügen. 
Yalmen, Granat, Gitronen, Simenienbäum’ und die Beige, 
Und an ber deutfchen Giche gedieh Der indiſche Bambus. 
Fenchtbar waren die Thaler und lieferten (chöned Bemüfe, 
Yortulad, Yeterflie, Senf, Iguamen und Rüben, 
Ananas, Pifang, Melonen, Erbſen und Bohnen; 
Wach Pataten und Yams und Cocus zeigte häufig. 


Weiter, von feiner gaffenden Eqhaar gedrängt noch verhindert. 
Fahren wir ganz gemächlich in ſchon gesimmerten Wagen, 
Bit dem ſcnellen Geipann vielendiger bräunlicher Gieſche. 
Kein Einwohner begegnet‘ und da, den Weg zu verengen, 
Aber jenfeits fahen wir Häufige Echaaren in Reihen 
Gecundlich gräßend, den Hut abnehmend, gefieidet wie reiche 
Sandeinwohner in Sachfen vor hundert und mehreren Jahren. 


Ufo mahten wir und dem baumbewachfenen Hügel, 
So ein geräumiged Haus, mit dem Dach von röchligen Ziegeln 
Ecön ſich erhob, und zeigte die Burg der Infel; wo einft du, 
albert Julius, treflicher Greis, Großvater der Enkel, 
Ms ein Züngling die Hütte gebaut; Gntdeder des Gilands, 


Wie wir und nahen und jogen in fchöngeordneten Reihen 
Ueder den Find, auf der Brüde, vom Pol des Waldes geiimmert, 
Siede, da dffnete ſich der ſittſam grüßende Haufen, 

Mt den heitern Gefchtern, und lud und ein, nach dem Paine 


60 Der Großvater fängt an 


Sleich zu eilen, wo Bänm’ als Pilaſter der gothiſchen Kirche 
Schlank ſich wölhten, und wo und der Greis erwartet’ im Lehnſtuhl. 


Aber die Jünglinge feeueten ſich der wichernden Pferde, 
Wütter und Bäter fog'n mit Bergnügen die Kuh’ und die,Echafincht, 
Madchen die Tauben, und Kinder die Körner frefienden Hühner: 
Etrecien die Heinen Händ’ hinaus mit Krumen des Meotes, 
Giefen: Kiterifi! Denn, ie kannten fie aus der Befcheeibung. 


"Uber der herrliche Greis mit locigen Gilberbarte, 
Mit dem offnen gefunden Geſicht und der Stirne vol del 
Sob vom Stuple ſich ſchnell, dem kommenden Entel ermartend, 
Wief: Mein Eberhard! Gott! ja Du’bils! Ich kenne den Bruder! 
Und von den Armen des Greiſes gedrückt, füß weinte der Jungling! 


5 


Der Großvater fängt an feine Lebensgeſchichte 
zu erzählen. 





Unfere Neifenden find fhon acht Tage auf der Infel 
Felſenburg, haben ſich umgefehen, und die Täler zum 
Theil von den Einwohnern bebaut gefunden. Sie haben 
den Hirten» und Aderleuten, die in niedlichen Häufern 
wohnen, mit Bibeln, Gefangbühern, mit weltlichen Schrif - 
ten, eifernem Hausgeräte u. ſ. w., Geſchenke gemacht. 
Sie haben die Felfen, von denen die Infel wie von einer 
Feſtung umgeben iſt, beſtiegen, und herrliche Metalladern 


feine Lebensgeſchichte au erzählen. 6 


in den Schichten gefunden; fie find durch den Wald gegan 
gen, und haben treffliches Bauholz überall angetroffen. Je⸗ 
den Abend find fie zur Albertsburg, zum lichen Großvater 
zurückgekehrt, und haben den Abend mit ihm froöͤhlich zuge⸗ 
bracht. Auch haben fie ſchon dem Gottesdienfte in der fühe 
den boben Laube beigewohnt. Magifter Schmelzer hat eine 
f&öne Predigt gehalten, Lademann auf einer mitgebrachten 
Handorgel gefpielt; Andaht und Freude haben die Ger 
meinde beſeelt, und der fräftige Greis bat unter dem Gote 
tesdienfte herzlich geweint. In den Rath der Grauen 
(feine Grafen, fondern wirkliche Greife, wie zu den Zeiten 
Karl des Großen) find die gebildeten Europäer: Schmel⸗ 
zer, Wolfgang, Lipberg und Eberhard aufgenommen. 
Schmelzer und Eberhard Haben das Schul- und Erzie 
hungsweſen unter fib; Ligberg ift Direktor der Induftrie 
und der Gebäude. Wolfgang hat ein militairiſches Inftie 
tut eingerichtet. Lademann aber wünfcht kein großes Amt; 
er mil lieber unter Lißberg arbeiten, und ihm gehorcht 
wieder der treflihe Schmid Heinrich Wetterling. Der 
Arzt, Herr Cramer, hat Gott Lob als foldyer nicht viel zu 
thun gehabt, denm die Leute hier auf der Infel find ger 
fund, und fterben gewöhnlid nur in hobem Alter; als Bor 
taniter und Naturkundiger wird er aber der Infel von gro» 
Gem Nupen fein. Hanna Hellkraft ift wieder ganz in ide 
rem Elemente. ie hat eine Landwirthſchaft angefangen; 
die Kühe und die Schafe gehören zu ihrem Departement, 
und auf des Großvaters Tiſch hat fie ſchon trefflichen 
Schweizerfäs zum Defert gebracht. Ligberg hat eine (höne 
Lbonſchict gefunden, von der er Porzellan zu fabriciren. 
denft. Eine Kirche fell auf der Iufel gebaut werden, und 
die rüſtigen Männer, die bier das Maurer+ und. Bimmer- 


62 Der Großvater fängt an 


bandwerf treiben, werden unter Ligbergen Lademann treffe 
liche Dienfte leiften. Jeden Abend. wenn die Freunde nach 
Haufe kehren, und zu Nacht gegeſſen haben, erzählt der 
Grogvater Albert Julius ein Kapitel aus feinem Lehense 
Taufe. Bir wollen ihn feloft reden hören, und feine Er— 
sählung nit dadurdy unterbrechen, dag wir die Tagesar- 
beit der Zuhörer dazwiſchen einſchieben. 

Der Greis erzählt alfo, und wir fliegen uns an den 
trauten Kreis der Zuhörer. 


Ih babe oft fagen hören: Die Menfhen find nicht 
immer glüdlih, darum ift es beſſer mit Trübfal anzufan» 
gen, als umgekehrt. Ich mag ſolche Redensarten nicht. 
Die mebreften Menſchen find freilich nit immer glücklich; 
viele werden cs nie. Barum follte es aber nicht mitunter 
ganz glückliche Menſchen geben? 

Was mid, beirifft, fo habe ich freilich ziemlich Früh 
den Wermuthsbecher geleert. Gott hat aber alles zum Bes 
ften gelenkt. 

Wenn id in meinem Gedächtniffe zu den fräheften Er. 
innerungen zurüdgebe, fo finde ich mic, im fehsten Jahre 
meines Alters, in der großen fhönen Stadt Prag in Boh ⸗ 
men, mo mein Water Stephanus Julius bei der hohen 
Säule als Lehrer der Philofophie angefellt war; und wo 
meine Aeltern anderthalb Jahr ein ruhiges glüdliches Leben 
führten. Der unfelige Zwieſpalt zwiſchen Lutheranern und 
Neformirten, der ſich auf einige Meine Abweichungen der 
Glaubensformeln gründete, hatte fhon zu großen Uneinig« 
keiten Anlaß gegeben, und war wohl die Haupturfadhe, 
marum die Reformation nicht weiter gedieh, fondern viel 


feine Zebensgefhichte au erzählen. 6 


mehr zurädging. Mein Vater Leg ſich aber nicht irre ma- 
ben, und als er einen Huf durdy den Hofprediger des Kd« 
nige, Ecultetus, bekommen hatte, verließ er Sachſen, und 
308 nad) Prag, in fehr chrenvoller Anftellung, nachdem er 
zu der teformirten Religion übergetreten war. Diefer 
Echritt koſtete zwar meiner guten Mutter viele Tpränen; 
denn fie war aus Eiſenach gebürtig, aus dem Geſchlechte 
Luthers, und fehr firenge in der lutheriſchen Glaubensform, 
welche fie auch nie ablegen wollte, erzogen. 

Lieber Großvater! — rief Eberhard bier in freudiger 
Beſtürzung. — it Ihre Mutter auch aus dem Geſchlechte 
Lutbere? Ad dann find wir ja einander doppelt ver⸗ 
wandte?" — Daher ſchreibt fid die große Achnlickeit, fagte 
der Greis, den Jüngling herzlich umarmend, und fubr in 
feiner Geſchichte fort, 

Das Glück meines armen Vaters dauerte nicht lange. 
Svpinola rüdte von Spanien ber in die Rheinpfalz mit 
24,000 Wann; fodann fhlugen Marimilian von Bayern 
und der öfterreihifye General Bouquoi am 8. November 
1620 die Böhmen aufs Haupt, wodurch fih Ferdinand in 
feine Rechte wieder einfepte, und Friederich genäthigt ward, 
nach Holland zu fliehen. 

Länger denn drei Monate nad der Schlacht war in 
Drag alles fo ftil aeblicben, daß die Böhmen bereits boffe 
ten, fie würden ungeftraft wegtommen. Auf einmal wur⸗ 
den aber vierundvierzig der vornehmften Häupter der Em» 
pörung in ibren Häufern feitgenommen und in’s Gefängniß 
gefhleppt. Unter diefen waren der Nektor der Univerfität 
Ieffenius, und mein unglükliger Vater. 

Bir Kinder gingen ein Paar Tage vor diefem Ereig⸗ 
niſſe forgles umher, ſpielten und freuten uns, denn «6 


64 Der Großvater fängt an 


nabte fid) eben der Geburtstag unferes Vaters. Eben wie 
die Gefundheit meines Vaters ausgebracht werden follte, 
ward ſtark an die Thäre geflopft. Er eilte ſelbſt binaus. 
In der offenen Thüte ftanden Hellebardiften, die ihn er- 
griffen und in’s Gefängnig abführten. Denkt Euch, welch 
ein Geburtstag für Mutter und Kinder! 

Die Gaͤſte bezeigten uns allen tief ſchweigend mit Hän« 
dedrud und Thraͤnenblick das herzlichſte Mitleid. 

Wir Kinder wußten uicht, wo er binging, und was 
die Hellebardiften eigentlich gewollt hatten; wir meinten 
und jammerten, weil der gute Bater an feinem Geburts 
tage weggeſchleppt ward, und die verzweifelnde Mutter 
konnte ung nicht tröften. 

Es verſloſſen acht Tage, in welden die Mutter far 
fein Wort ſprach. Sie ging und kam, gab uns unfere 
Nahrung zu rechter Zeit, weinte, betete, las in Gefangbü« 
bern und in der Bibel, und lehrte uns Kindern unter vie⸗ 
len Thränen das ſchöne Lied: Iefus, meine Zuver- 
ſicht. J 

„Ach Gott!“ rief Ederhard. Er faßte ſich aber und 
ſchwieg, um den Greis nicht zu unterbrechen. 

An einem Nadmittage kam der Schneider mit einem 
Bündel Kleider. Ohne uns fie anzupaflen, wie er fonft 
pflegte, legte er das Bündel mit befümmertem Geſichte auf 
den Tiſch, drüdte meiner Mutter die Hand, ſprach: 
nehme feinen Heller dafür,“ und entfernte fih ſchnell. ſt 
pflegten wir uns immer zu freuen, wenn wir neue Kleider 
bekamen, jetzt ſchüttelte uns aber ein ahnungsvolles Grauen, 
als die Mutter das Bündel aufmachte, und wir fahen, dag 
es ſchwarze Kleider waren. Ach ift mein Vater ſcon todt? 
rief Rudolf, der Aelteſte. Noch lebt er, mein Sohn, ant ⸗ 








feine Bebensgefhichte zu erzäplen. 65 


wortete die Matter, zieht die Kleider an, Kinder! ich wil 
die meinigen aud anziehen, dann gehen wir, den lieben 
Vater zum Iepten Male im Gefängniffe zu beſuchen. Er 
wünſcht uns fo zu fehen. Gr will die Trauer feiner Lie 
ben vor feiner Hinfahrt vor Augen haben. Es wird ihn 
tröften und freuen. Ich fühle mich ſtart genug dazu. Kommt, 
Kinder! 

Wir gingen in unfern ſchwarzen Kleidern dahin, der 
lieben Mutter zur Seite. Es war ihr ein fauerer Gang, 
und fie mußte fi) unterweges mehrmals fegen. ‚Der Ge⸗ 
fängnigvogt öffnete uns die eiferne Thür, wir traten in’s 
Zimmer, von einer ſchwachen Lampe dDämmernd erhellt, und 
fanden zitternd vor Furcht vor einem blafien bagern Manne 
mit hohlen Augen und ftruppigem Barte, der in der Ede 
in Gedanfen vertieft mit verfchlungenen Armen, die Augen 
auf den Boden gerichtet, ſaß. Es mar unfer Bater! Ich 
ertannte ihn an dem gewöhnlichen Morgenüberrode, den er 
immer des Vormittags bei feinen Arbeiten trag. Wenn 
ich auf feinem Schooße faß. pflegte ic ihm am einem der 
meffingenen Knöpfe zu drehen; und diefer Knopf bing noch 
loſe am Faden herab. Bei dem Geräuſche fhlug er die 
Augen auf und ſtarrte uns an; kaum hatte er und aber 
erkannt, fo ſpraug er auf, drüdte uns heftig an die Bruft, 
amd Lüßte uns zu wiederholten Malen. Drauf zog er uns 
bin zum Lidhte, um mit inniger Liebe unfere Geſichtezüge 
recht zu betrachten. Iept halten wir alle Furcht verloren, 
ich feßte mich wie fonft auf feine Knie, Rudolf ſtellte ſich 
üben zur Seite, und die Mutter fepte ſich ihm gerade ger 
genuber. Bas er dann ſprach, hat uns die Mutter made . 
der wieder erzäblt. Es Tautet ohngefäbt alfo: Lieben Kine 
der! Euer Bater ſoll erben. Weinet- nicht, fies Euch 

Pa, earifin. XVL. 


66 Der Großvater fängt an 


nicht! Wie oft dab’ id Euch gefagt: der Tod fei für den 
guten Menfchen nur ein Uebergang zum ſchöneren Dafein- 
Von äugerfter Wichtigkeit it es mir aber, daß Ihr es 
wißt und glaubt, Euer Vater fterbe unf&uldig. Noch feid 
Ihr zu Mein, um das Alles zu begreifen, was ih Euch 
von meinem Schickſale fagen Fönnte; fo viel mögt Ihr in- 
deß vernehmen: Die Menſchen, die ſich Chriften nennen, 
rafen noch immer, wie Iuden und Heiden vor 1620 Jade 
ren, als Chriftus geboren ward. Statt fi zu feiner bimme 
liſchen Lehre zu halten, Gott über alles, und ihren Näch⸗ 
ften wie ſich feloft zu lieben, zanken fie fih um Wunder. 
thaten und Nebenſachen, und ein graͤßlicher Religionskrieg 
wird nad meinem Zode in vielen Jahren Europa und bes 
fonders unfer deutſches Vaterland verwäten. Als Opfer 
dieſer Parteiwuth und Seftenfümärmerei falle ih. Eure 
Mutter bringt Eud nad) meinem Tode zu ihren Verwand⸗ 
ten in Eiſenach, wo, wie ich es wünfde, Ihr in der luthe⸗ 
riſchen Kirche erzogen werdet. Glaubt aber ja nicht, Kin« 
der, daß Euer Vater feinen Glauben verläugnet habe. 
Sroifhen Lutheranern und Neformirten ift nur ein fehr 
einer Unterſchied, der, wenn der Eifer nicht beiderfeits zu 
heftig geweſen wäre, zum größten Heile des Chriſtenthums 
leicht hätte ausgeglichen werden können. Und jet, Kinder, 
wollen wir den leßten Abend freundlich unter einander zu⸗ 
dringen. Der Gefängnigvogt bringt uns bier ein gutes 
Abendeſſen, Waſſer und eine Flaſche edlen Weins. Bir 
wollen uns einbilden, dag wir in gemaͤchlicher Ruhe wie- 
der fo mit einander fißen. Kommt Albert und Rudolf, 
laßt mid) in Euren Meinen zinnernen Becher -ein wenig 
Bein giegen. Ihr follt mit der lichen Mutter auf die Ger 
fundpeit Eures Waters trinken, den Abend vor feinem 


feine Lebensgeſchichte zu erzählen. 67 


Geburtstage. Ia, tief er freudig⸗maͤnnlich, und ſchlug 
die Präftigen Augen gen Himmel, morgen werde ich neuge- 
doren! Weint nicht, ibr Lieben, weil der Vater kurz vor 
Euch eine große Wallfahrt unternimmt; wir fehen uns ja 
bald wieder. 

So fliegen wir denn mit ihm an, und tranken wei- 
nend auf feine Gefundpeit, wie er es haben wollte. Wir 
munderten ung über den herrlichen Mann, der in diefem 
Zuſtande fo heiter fein, und fo vielen Muth zeigen konnte; 
wir waren daran gewöhnt, uns von feinem Gefühle, von 
feinen Meinungen beherrſchen zu laffen; fo, aßen wir denn 
getroſt unfer Abendbrod mit gutem Appetit wie er. Die 
Mutter aber konnte nichts genießen, fie meinte ftil vor ſich 
bin, indeſſen freute es fie doc, den geliebten Gatten mit 
feinen beiden Knaben fo ftandhaft und muthig zu fehen. 

Drauf ſprach der Vater: Bir pflegten font oft des 
Abends Gefhicten und Mähren mit einander zu leſen; 
jegt wollen wir die Leidensgeſchichte des himmliſchen Jeſu 
iefen, der weit unfhuldiger als ih armer Sünder fterben 
mußte. Dann wollen wir aud das Evangelium vom bei» 
ligen Stenhanus Iefen. 

Mein Vater, meine Mutter und mein Bruder laſen 
nun wechſelsweiſe, und die Leiden des Erlöfers, die er fo 
fanft, fo kräftig, fo geduldig, fo Fhön ertragen hatte, 
ftärften fie, das ihrige auszuhalten. Ich kleiner Junge 
Tonnte das alles nicht faſſen und mitfühlen; meine kindliche 
Gelaffenheit, Verwunderung und Zerftreutyeit rühren fie 
aber noch mehr; befonders als ic) mit gefalteten Händen 
das Evangelium vom Stephano, das id) answendig fonnte, - 
laut herfagte, und mit den Worten ſchloß: „So fteinigten 
fie Stephanus, der rief und ſprach: „dert au nimm 


68 Der Großvater fängt an 


meinen Geift aufı" Er fniete aber nieder, und ſchrie laut: 
„Herr, behalte ihnen diefe Sünde nicht! Und als er das 
geſagt hatte, entſchlief er.“ 

Es herrſchte eine tiefe Stille, nachdem ich geendigt 
hatte, und die Andern beteten leiſe. Drauf nahm der Va⸗ 
ter das Geſangbuch, ſchlug ein Lied auf und ſtimmte mit 
ſtarker Bapftimme an. Meine Mutter hatte einen herrli⸗ 
hen Alt, wir zwei Knaben waren Diskantiften, fo fangen 
wir den Choral dreitimmig, wie es uns der Vater gelehrt 
hatte: ” 


Jeſus meine Zuverficht 

Und mein Heiland ift im Leben! 
Dieſes weiß ich! font’ ih nicht 
Darum mich zufrieden geben? 
Was die lange Todesnacht 

Mir auch für Gedanken macht. 


34 bin Fleiſch und muß daher 
Mc) einmal zu Aſche werden; 
Das gefteh” ich; doch wird er 
Mich erweclen aus der Erden, 
Das ich in der Herrlichkeit 
Um ihn fein mög’ allezeit. 


Diefer meiner Augen Sicht 

Bird ihn, meinen Heiland, fennen; 
Ich, ich felbft, Bein Fremder micht, 
Berd’ in feiner Liebe brennen; 
Rur die Schwachheit um und an 
Wird von mir. fein abgethan. 


feine Lebensgeſchichte zu erzählen. 6 


Bas hier Frantet, feufit und ficht, 
Wird dort friſch und herrlich gehen; 
Ardiſch werd’ ich ausgefä’t, 
OSimmliſch werd’ ich auferſtehen. 
Gier geh ich natürlich ein! 

Nachmals werd" ich geiflich fein! 


Nachdem wir das Lied gefungen hatten, küßten wir 
unferm Vater die Hand, und wünfhten ihm gute Nadıt, 
wie gewoͤhnlich, wenn wir zu Bette geben follten. Gr ume 
arme uns, und befradıtete uns fange mit unfäglier Liebe. 
Drauf nahm er die Bibel von dem Tifche, und die filberne 
Uhr aus der Taſche, ‘verehrte meinem Bruder die Bibel 
und mir die Uhr. „Mein Meiner Albert,“ fagte.er, mic 
fiebtofend (denn obſchon er beide feine Söhne vaͤterlich 
liebte, war ich doch, als der Kleinfte, fein Liebling) diefe 
Upr Hat Dein Vater zwanzig Iahre in feiner Taſche ger 
tragen, und Abends ordentlich aufgezogen, wenn er zu 
Bette ging; heute thw ich es nicht, und Du ſollſt es auch 
beute Abend nicht thun. Nimm die Ur, ſteh morgen früh 
auf, und bete für Deinen Vater. Um fieben Uhr wird 
der Zeiger ftilffteben, weil die Uhr nicht aufgezogen dt; zu 
der Zeit wird Deines Vaters Lebensuhr auch in's Stoten 
gerathen. — 

Drauf fehrte er ſich zu der Mutter und ſprach: Sam, 
meine treue Lebensgefährtin, mein gutes Weib, wir müſſen 
ſcheiden. Iept zeige, daß Du eine kräftige Enkelin bift des 
grogen Martin Luthers. Faſſe Dich, und made die Ana- 
ben nit noch betrübter. Gieb mir den Abſchiedekuß. 
Einmal hätte es doch fein müflen, und wer weiß, ob denn 
Krankheit und Schmerz uns erlaubt hätte, einen fo fhönen 


70 Der Großvater fängt an 


Abſchied von einander zu nehmen. Meine liebe Schweſter 
ſtarb im Fieber; mit rothem brennenden Geſichte, fliegen⸗ 
den Haaren und wilden irren Augen, ſtarrte ſie mich zum 
Icgten Male an, ohne mid zu kennen da id) fie am Ster⸗ 
bebette fah, und von ihr Abſchied nehmen mollte. Als ih 
ihr einige Worte der Liebe fagte, nidte fie gleichgültig und 
ſprach vermorren: Bir können mit fhönem Bewußtſein von 
einander ſcheiden. — Die Mutter fiel dem herrlihen Manne 
um den Hals und ſchluchzte; er trat zum &enfter und fprad: 
Der Mond feheint Mar in der Herbſtnacht. Morgen Nach⸗ 
mittag, liche Frau, koͤnnteſt Du einen Meinen Spaziergang 
mit den Knaben nad dem Gotttsader außer dem Thore 
madıen. Laß fie dann Blumen und Sand auf mein fris 
ſches Grab freien. Aber morgen Vormittag — bleibt zu 
Haufe! Schließt Euch alle Drei auf Euer Zimmerlein ein, 
und betet. — Darauf rief er den Gefängnigvogt, umarmte 
ung nod einmal und entließ uns. 

Am nädften Morgen ftanden wir früh auf und bete 
ten. Die Uhr lag vor uns auf dem Tiſche. Eben als die 
groge Stubenuhr fieben flug, Hörte die Peine filberne 
meines Vaters auf zu gehen, und der fhmarje ftählerne 
Zeiger fodte. Meine Mutter fiel in Ohnmacht. Eine 
treue Nachbarin am ihr zu Hülfe. Der ganze Tag ging 
fill bin, ohne dag von uns Dreien cin Wort gewechſelt 
ward. Bir waren alle blaß und falt, zitterten, und ſetz⸗ 
ten ung Ieder hin in feine Ede, wie Tauben im Donner 
metter. Die Nachbarin beforgte den Tiſch. Wir Anaben 
fafen die Tifhgebete, wie gewöhnlich, konnten aber nichts 
genießen. Weinen konnten mir nicht. Unfere Mutter legte 
fi) aufs Bett, und flarrte gen Himmel. Wir fürdteten, 
dag fie ferben würde. Rudolf kehrte die Stuben, denn 


feine Lebensgeſchichte zu erzählen. 71 


die Magd Hatte uns verlaſſen. ich ſchälte einen kleinen grüs 
nen Stecken. Als es daͤmmerte, ſtand meine Mutter auf, 
ging in den Garten, und fam zurüd mit einem großen 
Blumenſtrauß und einem Bündel voll weißen Sand. Sie 
öffnete eine Schublade und ftedte drei Heine Nürnberger 
Schachteln zu ſich. Ihr Weſen hatte fid verändert; fie war 
ruhig, kräftig, ein edler Stolz gegen die eitle Welt, den 
fie wohl von ihrem ‚großen Ahnherrn geerbt hatte, leud- 
tete von ihrer Stirn. Sie fang mit ftarfer Stimme: „Eine 
feſte Burg iſt unfer Gott!“ Der Mond ſchien, und wir 
folgten ihr auf's Feld. Cie machte einen ziemlihen Um« 
weg, bis wir mitten anf einer öden Wieſe ftanden. Wir 
entdedten in der Ferne mitten im Grünen einen weißen 
Zled. Als wir näher kamen, war cs cin blufiger Sand⸗ 
baufen. Sie miete nieder, fügte den rothen Sand, füllte 
die Fleinen Schachteln damit, und reichte jedem Kinde die 
feinige. Es mar unferes Vaters unfhuldig vergoflenes 
Blut! Dräuf gingen wir zum Goftesader, und beftreuten 
fein frifhes Grab mit Blumen. Ad, was mein’ ih ſchwa- 
her Greis nad) 94 Jahren? Meine Mutter und mein 
Bruder haben ja ſchon längft im Himmel den Seligen ge- 
funden; bald umarm’ id} fie ale Drei wieder! 


6 
Kindheit in Eifenad. 





Unfere einzige Hoffnung ftand jeßt zu meiner Mutter 
Schweſtet Urſula in Eiſenach, die unverheirathet war, uud 


72 Kindpeit in Eiſenach. 


ein hübſches Bermögen beſaß. Meine Mutter hatte aber 
al’ das Ihrige verloren, denn meines Vaters hinterlaffene 
Baarſchaften beliefen fih nicht höher, als daß fie die Keife 
von Prag nad) Eifenad) damit beftreiten konnte, 


Urfula war ein drolliges Gefhönf, niht ohne Gut · 
herzigkeit, zugleich aber von vielen Albernheiten und Drol- 
ligkeiten zufammen gefeßt. Sie war eben fo garftig, ale 
unfere Mutter ſchön war, und deshalb war fie wohl mit 
fammt ihrem Gelde, (das fie von einer noch garftigern 
Verwandtin geerbt hatte) eine alte Iungfer geblieben. Ins 
deß liebte fie unfere Mutter herzlich; als wir anfamen 
meinte fie, und drüdte uns Knaben an die Bruſt. Drauf 
hielt fie ohngefähr folgende Nede, die id auswendig weiß, 
weil fie ähnliche nachher mit Variationen oft wiederholte: 


Liebe Schweſter! Die Vorfehung hat es befler mit 
mir als mit Dir gemeint; denn hab’ ich freilich keinen 
Mann bekommen, fo habe id) and feinen verloren, und 
brauche meinen Verluſt jest nicht zu beweinen. Did bat 
die Natur mit einer unglüdfeligen irdifhen Schönheit in 
Verſuchung. geführt; mid) hat Gott dagegen von diefem 
Uebel erlöiet und mid) gegen alle Anfehtungen mit dem 
ehernen Schilde der — wie fol ih es nennen — der 
Schmucloſigkeit bewahrt. Doc hätte ich vieleicht eben fo 
ſchon wie Du, und noch ſchöner werden fännen, wenn es 
der liebe Gott gemolt, ich meine, wenn nicht die garftigen 
Blattern mit ihren Narben mein vorher glattes Geſicht fo 
entſtelt hätten; eine Strafe Gottes, weil id nicht den 
Kigel bezwang, und das Juden des Blutes mit dem Kratzen 
der Nägel befricdigte. Doch dafür dan?’ ic meinem Schö- 
pfer und Herrn! denn, recht bei'm Lichte beſehen, mas ift 





Kindpeit in Eiſenach 73 


Schönheit anders, als die Wurzel alles Böfen? Hätte wohl 
‚Eva fo begierig — nad dem Apfel verlangt, wäre nicht 
die Schlange fo ſchön geweſen? Hätte nicht Adam einen 
fefteren Charakter gezeigt, wenn ibn nicht der Reiz feines 
jungen Weibes aus der Faſſung gebracht? Traun, ich 
hätte ihm zehn Mai den Apfel bieten Können, er häfte ihn 
fauer geheigen und nicht darein gebiffen. Doch wir wollen 
uns im Paradiefe nicht hänger aufhalten; da ging es noch 
fo leidlich, nachher kam aber die Arbeit im Schweiße des 
Angefihtes, die Sünde der verführerifhen Lodungen und 
die Geburtsmwehen! Davon wußte die arme Sara ein Wort 
zu fagen, als fie wegen des Kebsmweibes Hagar vom rechte 
lichen Eheherrn vernacläffigt ward. Vorher hatte fih aber 
Pharao an Abraham geräht. Das fhadete ihm uicht; 
warum gab er die Frau für feine Schweſter aus? Soiche 
Unwabrbeiten fönnen zu den ärgften Dui«pro-guo’s Anlag 
geben. Meiner Treu! Nicht ale Mannsbilder find Jo⸗ 
fepbe, davon giebt es leider fomohl in der Schrift, als in 
der profanen Geſchichte unzählige Beiſpiele. So ftandhaft 
war Loth gegen feine eigenen Töchter nicht, waren nicht 
die Kinder Ifraels gegen die Töchter der Moabiter. Muße 
ten die Sichemiter nicht erbaͤrmlich bluten, weil der Siem 
die Dina, Lea's Tochter, fo fhön gefunden? Und alfo konnte 
die garfige Lea doch eine fhöne Tochter gebären. Da ſieht 
man, der Apfel kann auch mitunter weit vom Stamme 
fallen, und chen fo umgekehrt. Es wäre ihr aber beſſer 
geweſen, der armen Dina, wenn fie bübſch garftig wie 
ihre Mutter geblieben; dann hätte fe zu ſolchen Berwüs 
ungen feinen Anlag gegeben. Was ſprech' id) nod von 
Sufanna im Bade, die den zwei ehrwärdigen Richtern fo 
fehr den Kopf verrälte, dag fie ale Biligteit vergagen und 


74 Kindheit in Eiſenach. 


nicht länger ordentlich urtheilen konnten? Oder von der 
Bathfeba im Bade, die den Föniglihen David ganz 
aus dem Takt brachte, als der gute Harfner hübſch ehrbar 
auf dem kühlen Altane mit der Harfe zwifchen den Beinen 
fag. ſich mit dem unſchuldigen Saitenfpiel ergägend, und 
an nichts Böfes denkend? Wahrlich, ich liebe aud die 
Reinlichteit Über alles, allein fo etwas fol man unter 
Schloß und Niegel verrichten, nicht öffentlich unter Gottes 
freiem Himmel ein Standal geben, mit dem Feuer 
fpielen und das Blut der Mannsbilder in Wallung brin- 
gen, wenn fie ſich auf den Däcyern ihrer Häufer abfühlen 
wollen. Soll id) Dir noch den großen Salomo anführen, 
deſſen Weisheit Über die ganze Welt verbreitet war, bis 
ihn die Schönheit der heidnifhen Metzen am Narrenfeile 
herum führte? Dagegen Tönnte ih Dir taufend Beifpiele 
nennen, liebe Schwefter, daß es der Herr Gott mit den 
häßlichen Iungfern immer fehr gut gemeint, So konnte 
fi freilich Lea nicht mit Rahel an Schönheit vergleichen, 
und doch bekam fie ſieben Jahre früher einen Mann, und 
zwar denfelben, auf melden Nabel vorher mit Liebäugeln 
und Schönthun Jagd gemadt. Beſſer aber nicht Keira» 
then! Und damit konnte fi) auch die unglüdfelige Tochter 
Icphta’s tröften, daß fie doch wenigſtens als eine reine 
Magd abgethan ward. Und fo mil ic denn auch, wie fie, 
als die fieben Fugen Jungfrau’n, und als meine heiligen 
elftaufend Namensſchweſtern, die Urfulen, mein Lebensdl 
für den bimmlifhen Bräutigam auffbaren, und als Jung⸗ 
frau verwelfen, leiden und ſterben. Amen! Hätten Du 
eben fo folid gedacht, Julchen, fo hätten Du es eben fo 
gut, wie id), haben können, ftatt daß Du jept einen Gat- 
sen beweinſt, der zu fterben verdiente, weil er von unferm 





Kindheit in Eifenad. 75 


alleinfeligmadjenden Lutherthume, als ein Abtrünniger und 
Nenegat zu der calvinifchen Heidenſchaft überging. 

Meine Mutter antwortete: Liebe Urfula! Ich kenne 
Did, weiß, dag Du gut bift, und dag man Did nicht 
immer nad) Deinen Aeugerungen heurtheiten muß! Ih 
bitte Did aber, fei gerecht, und rede mir meinem feligen 
Ehcherrn im Grabe nichts Uebles nad, fonft nöthigſt Du 
mic, wieder in die weite Welt hinaus zu gehen, und mein 
Bred, mit den Meinen Knaben an der Hand, bri den Thür 
rem mitleidiger Chriften zu betteln. 

Bie? rief die Muhme, der zwei allerliebften Knaben 
milt Du mid) nieder berauben? Nein, das dald' ich 
nicht, fie follen bei mir bleiben. Knaben find ned) feine 
Mannebilder. Wenn fie erwachſen find, und ofdentlihe 
Dianneleute geworden, dann fönnen fie ſich nur wieder forte 
ſcheeren. Kinder find aber mie Engel, fie gehören keinem 
Geſchlechte an. Hab’ ich doch meinen Papagei, meine Katze, 
meinen Mops ganz Über die Jungen vergeffen. Da ift 
auch das Meine Aennchen, die Tochter der Nachbarin, die 
mocht' ich fonft immer fo gern leiden. Seit aber die Anas 
ben hier find — Mit den Knaben hat es eine andere Art 
— fie -find ſchrötiger, tüchtiger! Und fie follen ja Lutheras 
ner bfeiben, und feine calvinifhe Heiden. — 

Ihr feliger Vater bat felbft befohlen, daß fie lutheriſch 
erzogen werden follen! — fiel ihr meine Mutter in’s Wort. 
— Nun dann fann er vielleicht auch noch felig werden, 
fagte die Muhme, dann hat er ſich befehrt, und feine 
Ende gebüßt. Co mill ich ihm denn auch der lieben Kna⸗ 
ben wegen nicht länger abhold fein; denn es war fonft ein 
braver, rechtſchaffner Mann mit vielen guten Eigenſchaften; 
die Philoſophie hat ihm aber zum Atheiften gemacht. 


76 Kindpeit in Eifenad. 


Du liebſt die Knaben, Schweſter, verfegte meine ber 
trübte Mutter lähelnd, und doch wollteſt Du, dag ich ihre 
Mutter nicht fein folte. — Nun, rief Urfula, gefchehen iſt 
geſchehen, und Täßt ſich nicht ändern. Die Knaben find nun 
einmal da. Cie find unfhuldig. was konnten fie dafür? 
Und dabei mollen wir es bewenden laſſen. 

Schade, dag unfer großer Ahnherr die Klöfter aufges 
hoben hat, verfegte meine Mutter, meil-Dir doch die Ehe 
fo zuwider ift. — Eine Jungfrau darf nidt gezwungen 
fein, ermiederte Urfula, fonft bat fie. ſchon ihren Lohn das 
bin. Ihr Herz muß felbft ein Klofter fein, worin ſich feine 
mascnline Gedanten einſchleichen dürfen. 

Bon jest an waren wir bei der Muhme, gingen in 
die Schule zu Eifenad, und fie lieg es uns an nichts man⸗ 
geln. Bei alle dem lebten wir doch mitten im Ueberfluffe 
nicht fo gut, als wir Hätten thun können, wenn die Urfula 
tüdhtiger, oder weniger eigenfinnig geweſen wäre. So wur» 
den zum Beifpiel immer die Eßwaaren reihlid, ja, gar 
zu reichlich eingefauft; felten waren fie aber recht Vorzüge 
lich, weil die Muhme immer in großen Portionen dag 
taufte, was am wohlfeilften war. So hatte fie Boden und 
Keller und Haken draußen an der Küchenwand voll häns 
gen, ohne eigentlihe genaue hiſtoriſche Kenntnifle von dies 
fen Sachen zu befigen, fie ließ es immer beitm oberflähli« 
hen Ueberbfid und einer gemiffen lyriſchen Unordnung bes 
wenden. Die Zolge davon war, dag der Tiſch oft mit 
geihmadtofen, oft widrigen Speiſen voll befeßt war Das 
Fleiſch hatte mitunter zu faulen angefangen, die Fiſche 
hatten einen moderigen Gefhmad, das Brod war wurm⸗ 
fräßig. Dazu kam, dag die Mubme, die durdaus ſelbſt 
die Schüſſeln bereiten wollte, und ſich viel auf ihre Koch ⸗ 





Kindheit in Eiſenach. 77 


tunſt einbildete, nichts weniger, als eine gute Kochin war. 
Nie ging fie in die Küche, ohne vorher ihre vollftändige 
Toilette gemacht zu haben. Da ftand fie nun fteif in Neife 
töden, mit einem blauen Filzhute fhräg auf dem Kopfe 
über den Haarwulſt mit Nadeln befekigt, als eine Schä- 
ferin, die Fleiſchgabel in der Hand, und hatte nod oben. 
drein die Schlafſucht fo, daß fie oft nahe daran war, in’s 
Schornſteinfeuer zu fallen, und wie die Tochter Jephta's 
oder wie Inhigenie geopfert zu werden, hätten fie nicht die 
fteifen Rocke gerettet, in denen fie, wie eine Nürnberger 
Holpuppe bängend, gar nicht umfallen konnte, ‘wenn fie 
aud) feine Beine darunter gehabt hätte. Bei Tiſch ſchlief 
fie gewoͤhnlich ein, indem fie den Löffel zum Munde führen 
mollte; dann niefte mein Bruder Rudolf ihr gewaltig in’ 
Ohr, wodurch fie aus dem Schlafe geftört, verwildert die 
Augen umberwarf, und ihm gutherzig zulädelnd mit dem 
Finger drohte, wenn fie feine Schalkheit entdedte. Der 
Heine Mops lag ihr jeden Nadmittag im Schooge; eine 
Meine Stubenuhr batte fie au, die allerlei ſchmachtende 
Melodien fpielen konnte. Cine Weiſe rührte fie befonders 
derzlich, fie fang dazu ein Lied, wovon fie nur die zwei 
erften Zeilen wußte, die alfo lauteten: 
„Mc weh, wie ift mein junges Den 
Verwundet alfo Hart.» 

Dazu meinte fie ganz erbaͤrmlich, und trednete fi die Au- 
gen mit dem Hunde. 

Ihr Phlegma erlaubte ihr micht, in heftigen Born zu 
geratben; einmal ward fie aber doch auf Rudolf bitter 
nöfe, als er ihr den Mops an einem heißen Hundstage in 
den kublen Stubenofen eingefperrt hatte. Sie begriff an- 
fange nicht, wo Ver Hund hegraben läge; rief, pfiff, trip 








78 Kindheit in Eifchad. 


pelte ängftlih umher, und fonnte ihn nicht im zugemachten 
Dfen bellen hören, bis die Magd kam, und den Liebling 
aus dem Gefängniffe heraus lieg. Rudolf bekam einen 
derben Verweis, und die aufgebrachte Muhme ſchloß ihre 
Nede mit den Worten: Das fag’ id Dir, Bube, unter 
ftehe Dich nicht, künftig den Hund zum Narren zu haben! 


Bie nun aber Iuftige übermüthige Knaben find, wir 
liehen es nicht dabei bleiben. Auch der Papagei und der 
Kater, die uns das Herz der Muhme abwendig madıten, 
fuchten wir in's Unglüd zu fürzen. So Ichrten wir den 
Papagei die Worte: „Alte Iungfern“ fagen, und er« 
gößten uns koͤſtlich, wenn die Muhme lichkofend dem Bor 
gel den Kopf kratzte, und er dazwiſchen immer: alte Jung« 
fern! ſchrie. Weil fie taub war, Lonnte fie den Ausländer 
der fein Deutfch mit fremdem Accente vortrug, nicht recht 
verftehen, und glaubte, dag er: „Halte die Jungen 
fern“ fage; denn fo hatte mein Bruder es ausgelegt und 
ihr weiß gemacht, dag der Schulmeifter, der alle Mittwoche 
bei uns den Freitiſch hatte, es den Vogel gelehrt Hätte, 
weil wir Knaben immer den Papagei zu neden fuhten. 


Ein andermal waren wir früh morgens in die Milde 
tammer gegangen, hatten alle Gimer gelcert, und einer ar⸗ 
men Frau gegeben. Drauf fverrten wir den Kater im 
Milchzimmer ein, nachdem wir ihm erſt den Bart tüchtig 
mit Rahm eingefeift hatten. Die Muhme, die den Kater 
allein bei allen den geleerten Eimern fand, glaubte, das 
Tbier habe alle ihre Milch getruufen, obſchon der Kubik- 
inhalt der Eimer den des Katers weit übertraf. Eo mußte 
denn der arme Hinze unfern Frevel bügen, und den ger 
frümmten Budel berhalten. 


Kindheit in Eifenad. 9 


Als fie nachher alles erfuhr — denn mein Bruder und 
ich konnten ſelbſt nicht ſchweigen, hielt fie uns eine tüchtige 
Strafpredigt, wie gewöhnlich auf feltfame Beife mit biblie 
ſchen Beifsiclen ausftaffirt. . 

Bin ich doch mit Euch Wechſelbaͤlgen ärger daran, rief 
fie, als Eva mit ihren zwei Lümmeln nad) dem Sünden 
falle; denn der eine von jenen wollte freilich auch nicht vor⸗ 
wärts, ihr ſchlagt aber beide aus der Art, und foltet bile 
lig beide Kain beißen. Ihr feld ärger, als die zehn Söhne 
Iatods, die ihren Bruder verkauften. Hab’ id mid nicht 
eben fo edelmüthig gegen Euch erwieſen, wie Iofeph in 
Aegypten gegen die Zumpen, als fie bettelnadt binfamen, 
und weder zu beißen noch zu brechen hatten? Geb’ ih Euch 
nicht volauf zu eſſen und zu trinken? Und doch bin id von 
Euch verrathen und verfauft! Glaubt Ihr etwa, weil Ihr 
bübfde Geſichter habt, und die Haare Eud in fraufen 
Loden um die Schultern fallen, daß Ihr einer jungfräuli- 
Gen Perfon von gewiflen Jahren alles bieten könnt? Denkt 
an den Abfalon, der auch ein hubſcher Junge war, der 
auch ſchone Loden hatte, ja fogar von koͤniglichem Geblüte 
berftammtel Seine Durchlaucht blieben aber dod an den 
goldfarbnen Flechten im Baume hängen, weil fie ſich ge- 
gen ihren koͤniglichen Herrn Vater zu viele Freiheiten her- 
ausnahmen. Ich werde mic. wohl vor dem Hängenbleiben 
hüten, nicht weil ich falſche Haare auf dem Kopfe trage, 
denn das hat Bott gethan, fondern, weil id einen tugend- 
famen Bandel führe. Nehmt Euch aber in Abt: Kahl 
kopf! Kablkopfl zu rufen. Denkt an den Propheten Eliſa. 
wie er ſich rächte Noch laufen, Gott Lob! genug Bären 
im Balde herum, um Euch zu zerreigen, und wenn Ihr 
wei und vierzig unverfhämte Buben wärt, Dann kömmt 


so Kindbeit in Eiſenach 


das Beinen zu ſpät! Ic werde Euch aus meinem Haufe 
jagen, und fein Mitleid fühlen, und wenn Ihr aud) tau⸗ 
fend Mal, mie der verlorne Sohn, Buße thätet, und mit 
den Schweinen aus einem Troge frefien wolltet! " 

So betrübt auch unfere Mutter war, ‚mußte fie doch 
über die Thorheiten der Muhme oft herzlich lachen. Ih 
will nod) eine Begebenheit unter vielen erzählen. Urfula 
Bannte ihre Bibel gut, in der Kirchengeſchichte war fie aber 
nicht ſonderlich bewandert. Davon legte fie einen Beweis 
ab, als fie einft am Martinstage drei fette Gänfe bratete, 
ihrem großen Ahnherrn dem Dr. Martin Luther zu Ehren. 
Unter den Bäften war auch unfer Echufmeifter, der, ſelbſt 
mager, doch ein großer Freund fetter Biffen war; er nahm 
an der Mahlzeit thätigen Antheil, und nagte fo kräftig an 
einem federn Knochen, dag ihm die Thränen in die Augen 
traten, während das Fett um feinen Mund wie ein Heilie 
genſchein glänzte. Als er ihr aber auseinander fepte, daß 
der Martinetag und die Martinsgans mit unferm lieben 
Luther in gar keinem Zuſammenhang ftebe, fondern ſchon 
von dem Biſchofe Martinus im vierten Jahrhunderte her⸗ 

. rührten, ward die Urfula bitterhöfe, verließ den Tiſch, und 
wollte feinen Biſſen von der katholiſchen Gans in den 
Mund feden. 

So ging es nun mehrere Jahre, einen Tag wie den 
andern; ich war vierzehn, mein Bruder Rudolph achtzehn 
Jahr geworden; in den Wiſſenſchaften hatten wir eben feine 
Fortſchritte gemacht, dagegen gediehen wir zufehends, «blür 
beten in jugendlicher Heiterfeit, und merften nicht, daß une 
fere Mutter wie eine welle Lilie ihr Haupt gegen das Grab 
neige, weil fie ſchwieg, Läcpelte, nie klagte, und ſich oft 
über uns freute. Mein Bruder war ſchon feit zwei Jah⸗ 


Kindheit in Eiſenach. 8 


ren bei einem Tuchmacher in die Lehre gethan, ih aber 
ſollte ftudiren, und bei der Mutter bleiben. Ad, der Burm 
des Grams hatte ſich bereits zu tief in die ſchöne Blume 
eingefrefen. Eines Abends faß fie fehr heiter und ver- 
gnügt allein mit ung Brüdern; die Muhme mar nicht zu 
Haufe. Bir ſprachen von muntern Dingen, wie wir im- 
mer gern thaten, die Mutter Ienkte aber das Geſpraͤch auf 
den Vater, und da wurden wir beide gleich traurig. Sie 
mar es aber heute nicht. Weinet nicht, Kinder! fprad fie; 
denkt daran, wie muthig und ruhig der Selige mit uns 
eben heute vor acht Jahren den letzten Abend zubrachte. — 
Ach Gott, find es morgen ſchon acht Jahre her? frug id. 
— Bigt Ihr das nicht, Kinder? Glückliche Jugend, die 
in die Zukunft nur nach Freude und Hoffnungen ausfhaut, 
und alle Merkmale des Kummers hinter fih läßt! Wie 
weife hat der liebe Gott das alles eingerichtet! Wer immer 
trauert, kann nit lange leben; und Ihr follt. Ichen und 
glüdticy fein. 

Du au), Mutter, rief id befümmert. Sie ſchwieg 
einen Augenblic, unterdrädte einen Seufzer, drauf ſprach 
fie gelaſſen: Ich will morgen früh aufftehen, leihe mir 
Deine Uhr, lieber Albert, — Ich wußte wohl, warum fie 
die Uhr haben wollte und fürdtete, es möge fie zu ſeht 
angreifen, wagte aber doch nicht, fie ihr zu verweigern. 
Bir folgten ihr auf ihr Zimmer, wo fic uns entließ, und 
ung mit Herzlichteit gute Nat wůnſchte. 

Am nähften Morgen um fieben Uhr ſchlichen wir uns 
beide zu ihrer Thür, fie lag noch im Bette und ſchien zu 
ſchlafen. Als wir näher kamen, lag fie blaß mit geſchloſ- 
fenen Augen, die Upr in der Hand. Die Uhr fhlug nad, 
ihr ſchoͤnes Herz hatte aber zu ſchlagen auſse it Auf 

Cchient Schriften. XVI. 


82 Wartburg. Die Hodzeit. 


dem Heinen Ziſche an ihrem Bette lag Rudolphs Bibel 
aufgefhlagen mit der Epiftel von Stephano. Die Heine 
Schachtel mit dem geronnenen Blute ftand geöffnet dabei. 
Ich babe Euch fhon genug von meinem Kummer erzählt, 
un will. heute abbrechen, um Euch nicht mehr zu bes 
trüben, 


7. 
Bartdurg. Die Hochzeit. 





Die Mutter hatte Recht, als wir ihr unfere kindliche 
Ihränen gezollt, fahen wir wieder heiter in die Zutunft, 
beſuchten aber oft ihr Grab, und gedachten ihrer in Trauer 
und Wehmuth. 

Unfre größte Freude war jet die Wartburg. Es ver 
ging felten ein Tag, ohne dag ih hinauf ſtieg. Einige 
Anlage zur Dichtkunſt glaubte ih in mir zu entdeden. 

Bas id) zu dichten verfuchte, mar im Volketone; ich 
will Eud) doch ein ſolches Licd herfagen, wozu mic zwei 
gegen einander gebogene Felfenblöde an der Wartburg, der 
Mönd und die Nonne genannt, veranlaßten: 


Der Mind und die Nonne, 
Gin Mofer hie, ein Kofler dort, 
Richt weit geivennt der Ort vom Drt, 
Da wohnten ju Schaaren die Frommen. 
gt die Geſchicht. fo Lig” ich auch, 
3% finge, was ich vernommen. 


Bartburg. Die Hochzeit. 8 


Die Monche fanden eb gar hart, 
Sie wünfchten der Schweitern Gegenwart, 
um recht Die Mefle zu fingen, 
Zum guten Waß gehört Diskant, 
Son der Gefang gelingen. 


Die Saweſtern waren nicht abgeneist, 
Gin junges Herz beregt man leicht; 
Die Alten wachten indeffen: 
IM erſt die Kuh von Jahren Reit, 
Nie wird fie mürb zum effen. . 


Der abt des Rloferd den Mönch ergreift; 
Die Uebtin mit der Rovigin keit, 
Sie thãt die Schwefter beneiden. 
Im feuchten Kerter ein armes Paar 
. Muß von dem Leben ſcheiden. “ 


Der Mbt indeß nicht Heiliger war, 





us Vo auf dem Berg im Morgenblau 
ie fühlten der Liebe Flammen. 


Der Mbt, die Aebtin trefien fich, 
Sie füfen Ach beider» und ſchwederlich 
Im Heiliger Sichednsonne, 

MB wollten fie leien die Hora gleich, 
In früher Morgenfonne. 





Da rief der Oerr· Gott Falſches Pant, 
= Mich Hintergehft Du nicht fürmahr! 
Ars dan Du es getsichen! 








84 Bartdurg. Die Hodzeit. 


Du Buhl, und ſtrafſt mit graufem Tod 
Die ſich unſchutdis lieben. 


Kaum hat der Herr geſprochen nur, 
Eo rächt ich ſchleunig Die Natur 
An denen, die fchlecht gehandelt. 
Kaum ft der erſte Gonnenfirapl, — 
Sind fie in Stein verwandelt! 


Run ftehen fie da am Berge frei, 
Ein ew⸗ges Bild der Heuchelei, 
In Regen, Sturm und Sonne. 
Seht ihr die Felſenbloͤcke nicht? 
Den Mönd mit feiner Nonne? 


Dies Gediht fiel meiner Muhme in die Hände, und 
Ihr begreift, daß ich mid vor ihr, die das Heirathen wie 
die Peft hate, auf eine tühtige Strafpredigt gefaßt machte. 
Wie erftaunte ih aber, als fie mir mit einem hodfügen 
Laͤcheln das Papier wieder zurükgab, und folgende: Rede 
bielt. Denn das war eine Eigenheit bei ihr“ fie Zonnte 
ganze Wochen lang das Reden unterfafen, wie ein Kameel 
das Trinken, ſprach fie aber einmal, fo waren es immer 
ganze Neden, gleich denen im Titus Livius; nnd dann 
batte die Rede der Muhme immer einige Beziehungen auf 
das alte Teftament; denn das neue war ihr nicht fo ſehr 
geläufig. 

Es freut mic, Albertus, ſprach fie — (bier laͤchelte 
id) felmifh, weil ih in ihtem Munde kein rechter Bofa- 
tivus ward) — es’ freut nich, dag ich im Dir den gättli- 
hen Funken der Dichttunſt verſpuͤre. Denn Dichter find 
beinahe ale Eriväter in der Bibel gewefen; als Adam, 


” Wartburg. Die Hochzeit. 86 


der den Thieren und Bäumen ihre Namen gab, wezu ſchon 
ein ziemlicher Grad der Imagination und Geläufigkeit der 
Mutterforade gehörte; item Mofes, der das Trinklied — 
oder Ertränfungslied auf die erfofenen Aegypter ſchrieb; 
dann vornemlih David, der das erfte evangelifh criſtliche 
Geſangbuch herausgab, und endlich Salomo, deſſen hohes 
Lied meine liebſte Lektüre in der ganzen Bibel iſt. Bon 
den großen und Eleinen Propbeten will ic nicht reden, die 
zugleich große und eine Poeten waren. Und könnteft Du 
es auch nur zu einem kleinen treiben, fo märe das ſchon 
für Dich groß genug. Freilich it Dein Lied etwas lieder 
lich, das muß man aber Deiner Jugend und Unerfahren⸗ 
beit vergeben. 

Ich wollte meinen eigenen Ohren nicht trauen, fie ver- 
feßte aber: Der Menſch denkt, Gott Ientt! Bei genauerer 
Ueberlegung habe ich felbft gefunden, daß eine ewig wan⸗ 
dernde Jungfrau, wie ein ewig wanderuder Jude, nah 
den hiefigen irdifhen gebrehlihen Einrichtungen ein Uns 
ding fei, Denn was iſt ein Weib? Eine Rippe! Beiter 
nichts! Freilich giebt es falſche und wahre Rippen, Rips 
ven find wir aber doch einmal. Und ih will nicht länger 
zu den falſchen gehören, die fih an nichts anſchliegen, ich 
mil mid) als eine wahre Rippe an den treuen Bruſtkno⸗ 
chen meines lieben Salvator Veilchenblau, Handſchuhma⸗ 
chers aus Erfurt fügen, der in Zucht und Ehrbarkeit um 
meine Hand angehalten hat. Er fol fie beide haben. Und 
es kann ihm nöthig thun, denn wo fein Zaun ift, da wird 
das Gut verwüftet, und wo Feine Hausfrau ift, da geht's 
dem Hausmwirthe, als ging er in der Irre. Wie man nit 
vertrauet einem Straßenräuber, der von einer Stadt in 
die andere ſchleicht, (id meine von Erfurt nad) Eiſenach) 


86 Wartburg. Die Hochzeit. 


alfo traut man aud nicht einem Manne, der kein Net 
dat, und einfehren muß, mo er ſich verfpätet. Iefus Eis 
rachl Zwar bin id nicht mehr in der erften Blüthe, hat 
doch der Herr- Gott auch die Sara gefegnet, als fie noch 
älter war; umd ift es denn zum erften Male, dag ein trok⸗ 
fener Steden, ordentlich in die Aſche gelegt, des Morgens 
darauf reife Mandeln getragen? Ih babe ihm alfo in 
Gottes Namen mein Jawort gegeben, und binnen acht 
Tagen werden wir Hochzeit halten. 

Heiſal liebe Muhme, vief id, das ift ja allerliebſt. 
ich gebe meine Eenwilligung dazu. — Ich danke Dir, lie 
ver Nieffe, antwortete fie. halb ſpöttiſch, halb gnädig, (denn 
fie war heute fehr guter Laune); ein Srauenzimmer darf 
ohne die Einwilligung ihrer männlihen Verwandten und 
Xormänder nicht heirathen. Ich Hoffe, Dein Bruder Aus 
dolph wird aud Feine Schwierigkeiten machen. 

Von heute an roch nun unfer Haus nach Bifam und 
» Eavendelwafler. Mandeln zum Marzipan wurden im Mör- 
fer geftoßen, fo, dag es aus der Küche in alle Zimmer 
wiederhallte. Eine treflihe Köchin aus Straßburg ward 
gerhiethet, Matronen, Nürnberger Lebkuchen gebaden, und 
des Dinges ward fein Ende. 

Am Hoczeittage ftand die Muhme früh auf, und es 
ward nod bei Liht an ihrem Toupee gebaut, ehe der 
Nahtwächter zu rufen aufgehört hatte. Sie hatte einen 
franzoſiſchen Friſeur ausdrüdlih dazu kommen laflen, um 
dem Meinen Salvator Veilchenblau einen Gefallen zu thunz 
denn diefer hatte in Paris fein Handwerk ftudirt, und ging 
jegt a la modiſch im hochrothen Scharlachrocke eimber, mit 
einer weißgepuderten Allongeperüde, die ihm Bis zu den 
dünnen Baden berabbing, und zu feiner Kürze (er war 


Bartburg. Die Hochzeit. 87 


nur 2% Glen lang) einen fonderbaren Gegenfap machte. 
Er war auf fein Handwerk ftolz, und erzählte, daß er bei 
Seiner Durchlaucht, dem Herzoge Chriſtian, Adminiftrator 
des Bistbums Halberftadt, jetzt Befehlshaber eines Heeres 
‚gegen die Ligue, Hofhandſchuhmacher gewefen fei; dag er 
alle Handſchuhe gemadt habe, die Ihro Durchlaucht die 
Hfalzgräfin, jet Prätendentin zur Krone von Böhmen, 
täglich braude, und womit fie Nachts ſchlafe, um die Ala⸗ 
bafterweißge der Hände zu bewabren; unter andern habe er 
den von ihren Nachthandſchuhen verfertigt, den der Herzog 
Chriſtian ftatt einer Feder an feinem Hute trug, mit der 
Devife: Tout pour Dieu et pour elle. Freilich habe der " 
Neid der Handſchuhmacher ihn anzuſchwärzen verſucht. ind 
da das Leder feiner Arbeit fo außerordentlich fein und ges 
ſchmeidig fei, habe der böfe Leumund ausgebreitet, er grade, 
glei der Hyäne oder dem Schakal, die Leihname auf den 
jest häufigen Wahlplätzen wieder auf, und ziehe ihnen die 
Haut ab, fie zu gebrauden; weil das Menſchenleder ber 
kanntlich Das allertrefflichſte und vorzüglichfte zu folder Ars 
heit fei. Er könne aber auf Ehre verihern, dag es lauter 
Zügen fein. Die armen Teufel hätten ſchon im Leben fo- 
viel ausgeftanden, daß er es nicht Über’s Herz bringen - 
önne, ihnen noch nad) dem Tode die Haut Über die Ohr 
ten zu ziehen, um eine junge vornehme Dame dazu zu ver 
fügren, mit der Haut eines fremden Mannshildes, viel 
ieicht von gemeiner untafelfähiger Geburt, an ihren ſchö⸗ 
nen weigen Händen alle Nachte zu ſchlafen. 

Jeht erfhien die Duhme in einer weiten Peripherie, 
die damals für eine groge Schönheit galt, und melde nicht 
Blog durd eine Menge von Illnterröden, fondern auch durch 
einen ringeum über die Hüften gelegten Wulſt, den man 


38 Bartburg. Die Hodaeit. 


Syed nannte, und der 25 Pfund mog, hervorgebracht 

ward. Das Kleid trug eine lange Schleppe, Bruft und 
Naden waren Leider entblögt. An der Ceite Hatte fie cin 
Nürnberger Ei, Meffer und Gabel im Futteral und einen 
Schläffelbund; die Strümpfe waren roth, wie die der meh⸗ 
zeiten Sumpfvögel. 

Der Bräutigam trug an den Schuhen doppelte Hör« 
ner; ob das eine allegorifche Bedeutung haben follte, weiß 
ich nicht. Uebrigens fah er mir aus, wie ein Mann, der 
die Kinderſchuhe vertreten, und fid die Hörner abgelaufen 
bat. Der franzöfifhe fammetne Leibrock war‘ fleiihfarb, 
weldyes ihm ohnerachtet feines vollen Anzuges ein fonder» 
bares fafelnadtes Ausſehen gab. Statt des deutſchen breis 
ten Halskragens trug er Iabots, oder vieleicht Poſtillons 
d Amour? Der Bart war befänitten, und mit dem Brenn« 
eifen geformt, ob's aber ein Zirtelbärtel, ein Schnedenbär- 
tel, ein Jungfrauenbärtel, ein Dotterbärtel, cin Spitzbaͤr⸗ 
tel, ein Maitäferbärtel, ein Entenwedele, ein Edhmalbär- 
tel, oder ein Stug- und Truphärtel war, bab’ ic in der 
Iangen Seit wieder vergeffen. 

Als ich die große fette Braut und den Fleinen hagern 
Bräutigam fah, mußte ich über das feltfame Paar laut 
laden, denn es erinnerte mic an die Infeten, mo das 
Weibchen bei weitem größer ift, als das Männden. 

Jetzt gingen wir zur Kirche, unter Glodengeläute und 
„Trompetengefhmetter; die Fenſter waren gepfrobft voll von 
Zufhauern, und id) mußte an Siegfried und Chriemhild 
in dem Nibelungenliede denken: 


Wanich Poſaune viel Fräftiglich ertoß, 
Bon Drommeten und von Zlöten, der Schal war alfo- groß, 


Bartburg. Die Hochzeit. . 89 


Das Gifenach die viel weite, danach viel laut erſcholl. 
In den Fenſtern faßen die herrlichen Weib 

Und viel der fhönen Maide, gesieret war ihz Leib. 
So vertrieben fie die Weile, Die däuchte fie nicht lang, 
Man hörte da jum Dome viel mancher Glockenkiaug. 


Der Prediger bielt eine (höne Traurede, in welder er . 


aller verfiedenen Nüffe des Lebens erwähnte, welche das 
Iebe Ehepaar fünftig zu knacken haben würde, und wozu 
ihnen vielleiht die Zähne zu wurmſtichig wären. Erſtens 
ſollten fie die Früchte des Erkenntnuſſes foften, drauf folge 
ten alsdann viele Betrübnäffe und Befümmernüffe, bis end» 
lich der wahre Genuß darein zu feßen fe, dag fie im Gleich⸗ 
nuffe der Unſchuld und Treue mit einander fortlebten, und 
ſowohl die tauben ale die kernichten Nüffe mit einander 
theilten. " 

Meine Muhme, die auch ziemlidy taub war, hörte nur 
den Prediger das Wort „tauben“ laut herfagen, indem 
er die Augen fehr andächtig zur Kanzel aufſchlug, mo der 
heilige Geift als eine vergoldete Taube unter der Dede 
ſchwebte. Cie holte einen tiefen Seufzer, und fühlte ſich 
bei diefem Worte ſeht erbaut. 

Drauf drüdte fid) der Prediger paraboliſch aus, und 
verglich Mann und Frau mit einem Unter- und einem 
Oberzwieback, die beide anfänglich als zwei Hälften eines 
Brotes gefhnitten, eigentlich aufammen gehörten. Ob er 
diefe Idee von Plato genommen, oder ob er fie felber er 
funden, kann id) nit fagen. 

Bährend der Trauung fhlief die Muhme ein; als 
nun der Prediger frug, ob fie den Herrn Srhaflian Beil» 
chenblau zu ihrem Eheherrn haben wolle, und ihr ziemlich 


90 Wartburg. Die Hochzeit. 


bart zuſprach, um fie wieder zum Bewußtſein zu bringen, 
rief fie Nein, ftatt Ia, wie fie immer pflegte, wenn fie 
bei Tiſche eingeſchlafen war und nachher den Schlummer 
läugnen wollte. Der Prediger wollte Fein Skandal daraus 
maden, er nahm c6 als einen lapsus linguae; und, als 
ob er den Fehler nicht gemerkt babe, traute er fie, der 
Verneinung ohneractet, ihrem Sebaſtian mit dem gemöhn- 
lichen Spruche an, daß, mas der Himmel zufammengefügt 
babe, kein Menſch trennen folle. 

Als nun aber das fnieende Brautsaar aufftehen mollte, 
batte der Raufdegen des Bräutigams fid) fo tief in den 
Reifrock der Braut verwidelt, daß fie gar nit von einan- 
der Iostommen konnten. Der Paftor mußte ihnen, der 
Schiclichteit wegen, Hülfe leiſten, und als er fie auf ſolche 
Weiſe felbit fogleih wieder getrennt hatte, gingen fie nach 
Haufe, wo Trompeten und Pauken fie an der Thüre em⸗ 
pfingen 

Die Nachbarn hatten Abends illuminirt, und die Na- 
men Urfula und Beilhenblau durd) ein doppeltes „W“ 
mit Palmenzweigen und einer Krone angedeutet. Die Gafs 
ſenbuben verftanden das freilich unrecht, und ſchrien wies 
derholt: Weh, Web! Ihr Gefhrei ward aber jedesmal 
von Trompetengefcmetter übertäubt. Hätten die Stadtmu⸗ 
fitanten gewußt, dag die Muhme fo taub fei, würden fie 
ſich nicht fo fehr angegriffen haben. 

Bei Tiſche fielen mir zwei Menſchen auf, die ih vor⸗ 
ber nie gefehen hatte. Oben am Tiſche, nicht weit von 
dem Brautpaare, faß ein hübſcher ehrbarer Ältliher Mann 
in braunem altdeutfhem Node mit ſpauiſchem Kragen. An 
einer ſilbernen Kette trug er ein Bild von demfelden edlen 
Metalle auf der Bruft, das den König David mit feiner 


. 


Bartburg. Die Hodzeit. . 9A 


Harfe vorftellte. Dies Ocdensband flögte allen für den 
Fremden große Achtung ein, und man erzählte mir, es ſei 
ein berühmter Meifterfänger, der die Güte gehabt babe, 
die Hochzeit mit feiner Gegenwart zu beehren. Ic brannte 
vor Begierde, den feltnen Mann kennen zu lernen, und 
frug, od er uns wohl etwas vorfingen werde? — Bewahre 
Gott, war die Antwort, darum wagen wir ihn gar nicht 
zu bitten. Die Meifterfänger fingen nicht für Geld, und 
dichten nicht aus dem Stegreife. Siehſt Du aber den klei⸗ 
nen. Kerl da unten am Tiſche, hart an der Thäre, mit der 


wunderlichen Müge und den ſchelmiſchen ſchielenden Augen ?. 


Das ift ein Sprucfpreher, der den Scherz als Hand» 
werk treibt, und fid) bei Kindtaufen, Hochzeiten und andern 


Feſten für Geld bören lägt. Er wird uns gleich ‚einige " 


Späße vormachen. 

Der Meine Pofenreißer gefiel mir beinahe beſſer, als 
der ernfte Meifterfänger, der ein trodenes unbedeutendes 
Geſicht hatte, das nichts weniger, als Geift verrieth. 

ALS die Geſellſchaft etwas Iuftiger geworden war, fang 
man das damalige Lieblingslied: 


Der liebſte Buhle, den wir han, 
Der liegt in unferm Keler, 

Gr hat ein hölern Mödlein all, 
Und heißt der Mudtateler. 


Drauf fehrten fie fih zu dem Sprudfpreher und ver» 
Tangten mit Ungeftüm, er folle fingen. Er leerte einen 
ziemlich großen Becher, um den Geift zu erwecken, als er 
fi) daranf den Mund mit dem ermel gewiſcht Hatte, 
fagte er: Ich will üͤberſchreclich Iufig, als ein Beiden 


2 » Bartburg. Die Hochzeit. 


dankbarer Erkenntlichteit für empfangene Gnaden, zu Un- 
ehren des a la modiſchen Braulpaares und zum Lob ihrer 
ſchönen Kleidungsftüde ein Lird'fingen. Drauf fing er an: 


Das junge Männervolf trägt Degen an der Ceiten, 

Ulfo das Iungfernvol denkt immer auch au ſtreiten. 
Statt Degen hängen fie von Silber zudereit 

Das Scheidchen, Mefier und die Gabel an der Seit. 

Ja manche hat fürwahr Das Bund der Gchlüfel Hangen, 
Richt anders, ald wenn kommt Thor-Mefter hergegangen, 
Die Ctrümpfchen müflen roth von Leibeöfarbe fein, 
Blau, grün, gelb oder fonft, was giebet hellen Schein. 


Nein, nein, rief die Geſellſchaft. Niederfihfifh, Nie- 
terfähfifh! Und nicht fo ehrbar. — Der Sänger trant 
nod einmal, und fing in einem höheren Tone an: 


Bat fat id von der Dullen Dracht, vom den Fontangen feggen. 
De nun de Jungfern alltomahl ohn Unterichied anleggen? 

Man legt das Haat um ifern Drath, mit fünderlichen Flst, 

Män neiht dat Band up Kern up. O rechte iſern Tudt! 


So fuhr er eine Weile fort, während die Sveiſen mit 
Safran und Suderbrüen herum getragen wurden. Es 
erſcholl alle Augenblide ein entſeßliches Gelächter. In dies 
ſem Wirrwar hatten fid Braut und Bräutigam meggefäli» 
en. Auch die Frauen verliegen ihre Männer und gingen " 
nah Haufe. Jept war der Lärm noch größer, jeder wollte 
reden, feiner hören, an allgemeine Theinahme nnd Aufe 
merffamfeit war gar nicht mehr zu denken. Die Trinfer 
theilten fi), je zwei und zwei, wie zärtlihe Paare, und 
entdedten einander ihre tiefften Gefühle und Geheimniſſe. 


Bartburg. Die Hochzeit. 08 


Einige umarmten und füßten ſich, andere meinten aus Be, 
trübnig, das fie ſich fo lange verfannt hatten. Es war wie 
auf einer Börfe, wo ſtatt Handelsgefhäften lauter Herzens- 
angelegenheiten abgemacht wurden. An Geld ward nicht 
gedacht. Der Betrug ſpielte aber noch immer feine Rolle; 
es war jedoch der Selbſtbetrug. Einige zankten fh, und 
droheten einander grimmig mit ausgeleerten Beinflafchen 
wie mit Etreittolden, und nur mit Mühe wurden fie aus. 
einander gebracht, und mußten noch ſchäumend, zitternd und 
blaß vor Wuth Brüderfhaft trinken. 

Ich war ſtumm vor Erfaunen und der einzige Nüch⸗ 
terne im ganzen Haufen, denn aud) mein Bruder Rudolph 
hatte heute Abend einen Haarbeutel, und war tief im traus 
lichen Geſpraͤch vertieft mit einem Dummkopfe, den er fonft 
nicht Teiden mochte, und der fein Wort von dem verftand, 
mas er ihm fagte. Nudolph war aber über feine Aufmerk 
famkeit und Mitde äußerft gerührt, und bat ihn zu wieder» 
bolten Malen um Verzeihung, weil er ihn bis jeht für ei⸗ 
uen Dummtepf gehalten habe; heute entdede er in ihm cin 
tiefes Gemüth, obſchon er, ſelbſt im betrunkenen Zuftande, 
fein Mann von vielen Worten fei. Der Betrunfene, der 
ein baumftarkee Kerl war, drüdte meinem Bruder dabei 
fo berzlid die Hand, während ihm die Thränen über die 
Bangen roten, daß Rudolph laut aufſchrie. Jeßt fing 
der Andere aber erft recht zu Heulen an, und konnte fi 
das gar nicht vergeben, daß er feinem beften Freunde bei⸗ 
nahe die Finger zerquetſcht hatte, 

Ich ſaß da und mußte nit, was id zu dem allen 
fagen ſollte, als mir Jemand leiſe auf die Schultern klopfte. 
Wie angenehm ward id überraſcht, als der ehrhare Mei⸗ 
Merfänger mit dem filbernen König David um den Hals 


94 Bartdurg. Die Hodzeit. 


binter mir ftand, und mit elnem freundlichen Lächeln fagte: 
Es wird mir hier zu wüfte, wollen wir ein Stündlein mit 
einander in die andere Stube gehen, lieber Sohn? Euere 
Muhme hat mir gefagt, dag Ihr zum Dichten einige na⸗ 
türlihe Anlagen verrathen follt, vielleicht könnte ih Euch 
ale erfahrner Mann mit mehreren nüglihen Lehren und 
Winken behülflich fein. 

Ach Gott, mein ehrwürdiger Herr, rief ich froh über» 
raſcht, dem alten Meifterfänger gleich folgend, und mit 
ibm in’s Nebenzimmer hineintretend, Ihr hättet mir feine 
größere Güte ergeigen fönnen. Iſt's möglich? Haͤtt' ich 
doch nie geglaubt, daß ſich eine ſolche göttlich freie Kunſt 
wie ein Handwerk Iernen laſſe. 

Freilich läßt fie ſich Iernen, ſprach der alte Mann mit 
ſtarren Augen, und ziemlich lahmer Zunge — im Schweiße 
unſers Angeſichts läßt fie fi lernen. Nur mug man hübſch 
nüchtern fein, und ſich nicht auf blinden Meinungen 
ertappen laflen. 

Blinde Meinungen, frug ih, mas it das? — Ihr 
dürft nicht ſchwärmen, fagte der Meifler, wenn Ihr in die 
Innung aufgenommen fein wollt. Und wenn Ihr aud) ein 
Glas mehr als gewöhnlich getrunken haben folltet, fo darf 
das doch anf Eure Urtheilstraft feinen Einfluß haben. Scht 
einmal mid an! Ich Habe auch zu Ehren des Brautpaares 
heute Abend etwas tiefer als gewöhnlich in's Glas gegudt; 
vielleicht ft mir die Sprache der Zunge deshalb einigerma⸗ 
Ben ſchwierig geworden, aud) Haben die Beine ein Mein we⸗ 
nig von ihrem gewöhnlichen Gleichgewichte verloren. Das ift 
aber nur der Körper; an meinem Geile werdet Ihr aber nicht 
die mindefte Yenderung verſpüren; der ift eben fo nüchtern, 
als er immer zu fein pflegt. Alſo, licher Junge, um alles in 





Bartburg. Die Hochzeit. % 


der Belt, befonnen fein! Wie würden wir fonft alle die Sä- 
chelchen im Kopfe behalten, die zum Dichten nothwendig 
find, wenn wir den nüchternen Richtern, die nichts ges 
trunfen haben, und die den Teufel danach fragen, was wir 
auf dem Herzen haben, fondern nur immer wieder aus une 
fern Gedichten ihre eigenen Meinungen und Auſichten ber» 
ans zu Iefen wünfchen, gefallen wollen. Ich dächte, ante 
mortete ih, die Porfie fei eben eine fhöne Kunft, die mit 
dem uͤberraſchen follte, was andere Menfchen nit auf ſolche 
Art vorber gefehen noch gefühlt hätten. - 

Profit die Mahlzeit, fagte der Alte; auf die Art wer⸗ 
det Ihr Euer Lebtag fein Deifterfänger. Alfo, Heber Cohn, 
bũbſch aufmerkfam und fleißig! Ihr ſprecht von Dictkunft, 
und wißt nicht einmal, was Dichtkunſt ſel. Was ift die . 
Dichtkunſt? — Sie ift fo viel, verfeßte ib, daß ihr großer 
Geiſt ſich gar nicht in den engen Kreis eines Begriffes 
bineinbannen, noch ſich mit wenigen Worten ausſprechen 
laͤßt. — Da irrt Ihr wieder, ſagte der alte Meiſter, mit 
einem Scluden, und einem dummen Blid; die Poefie ift 
die Kunft: „gute Gedanken in guten Neimen vorzutragen.” 
Jetzt wollen wir uns gleich zu den guten Reimen wenden, 
denn was die guten Gedanken betrifft, die ftellen ſich unter 
dem Dichten von felbft «in. Doc erft muß id mid in den 
Lehnſtuhl feßen, denn, wie gefagt, die Beine verfagen mir 
ihren Dienft, Holt mir dann auch noch einen Becher Bein, 
Tiebes Kind! Dann wollen wir bier in unferer Einfamteit 
vernänftig die Sadıe beſprechen. und mit den tollen Men- 
ſchen drinnen, die fidy nicht betrinfen können, ohne die Nüch-⸗ 
ternpeit zu verlieren, feinen Verkehr haben. 

Ich holte ihm den Bein; er leerte den Becher Halb in 
langſamen bedaͤchtigen Zügen und ſprach: Ein vollftändiger 


% Bartburg. Die Bochzeit. 


Meiftergefang beigt ein Bar, die Versarten heigen Ge 
bäude, und verbunden mit einer Gefangsweile wird ein 
Ton daraus. Das vergig nicht; denn diefe Benennungen 
find in der Kunſt von aͤaßerſter Wichtigkeit. Zwar wech- 
ſeln fie mit der Zeit, und wenn wir längft vermodert uud 
von den Würmern gefreffen find, werden unfere Nachkom⸗ 
men andere Kunftwörter brauden. Sie werden aber eben 
fo fteif und eifrig auf ſolche halten, und ihnen eben fo große 
Wichtigkeit beilegen, als wir den unfrigen; alfo muß man 
von folhen Terminologien Beſcheid willen. Die Gedichte 
werden auch noch in Stollen oder Abfäge getheilt. Wir 
baben diefe Redensarten zum Theil vom Bergbaue genom- 
men, weil der Bergbau mit der Dichtkunſt einige Aehnlich⸗ 

- keit hat. Oft werden nämlid große Vorbereitungen: mit 
ſchweren Koften gemacht, und man findet nichts. Dann 
ann aber oft mieder eine reihe Ader alles erfegen. Doch 
zur Sache! Die Reime Lönnen Elingende und ſtumpfe 
fein. Das falſche Latein darfit Du nicht gebrauchen; 
davor wirft Du Dich aber zu hüten wiſſen, weil Du, wie 
ich höre, fudirt Haft. Bor Halbworten und Klebfyl- 
ben mußt Du Dich auch wohl in Acht nebmen. Hüte Did 
ferner vor dem Lafter, das will fagen, ein gelindes 
Bort mit einem harten zu reimen. Dann kannſt Du 
noch ein vorzü. licher Dichter merden. 

Er trank die zweite Hälfte des vor ihm ftehenden Bes 
ers, und verfegte mit unbegreiflicher Gelaſſenheit: Jetzt 
will id Dir einige dee Eing-Weifen berfagen, in denen 
Du dichten kannſt; als da find: Friedrich Furner des Tud- 
ſcheerer Feilweißz Meldior Chriftopb des Bäders Preß« 
weiß; Paul Fiſcher des Kürſchners geſchwinde Pflugmeiß ; 
Hans Berchler des Gaftgebers hohe fröhliche Lobeweiß; 





Bartburg. Die Hochzeit. ° 97 


Veit Fiſcher des Schloſſers harte Felderweiß, Hand Mül- 
lers ſtumpfe Schoogweig — — 

Der kalte Schweiß trat mir auf die Stimm, es ſchie⸗ 
nen mir Sauter Folterbänte zu fein, worein mein Geift ge⸗ 
legt werden follte, um zu befennen, mas er nicht wife, Es 
ward mir im öden Zimmer mit dem alten Manne ganz 
unheimlich; feine Kälte, die kein Bein in Glut verwandeln 
konnte, ſchien mir faft gefpenfterartig zu fein, und ich fprang 
ganz gelaſſen auf. um ihn zu verlaffen, als ein großer Tu⸗ 
mult tm Speifegimmer entſtand, wodurd die Thüre aufge 
riffen ward und einige von den Bäften zu uns hereintau⸗ 
melten. Id lief in's Speifegimmer, und fiebe, mehrere 
Betrunkene waren damit beihäftigt, den Kleinen Spruch⸗ 
ſprecher zum Fenſter hinaus zu werfen, weil er ihrer gar 
zu unverfchämt geſpottet hatte. 

Ich that was ich fonnte, um ihn zu retten; einige, die 
noch nicht ganz ohne Befinnung waren, erbarmten ſich fee 
ner gleihfals; fo ward denn der Friede wieder auf die 
Bedingung geſchloſſen, er folle ein Berföhnungstied fingen. 
Er dat ſich jedoch die Erlaubnis aus, vorher einen Augene 
blic in den Hof zu geben; und ſchlich ſich fort. Iept folte 
auf ihn Kloppjagd gemacht werden; und alle ftürzten auf 
die Straße hinaus, wie die von unfaubern Geiſtern befefe 
fenen Säue ins Meer. Der Heine Aefon hatte fih aber 
zu gut verftedt, und man fonnte ihm nicht finden. Die 
heraus in die frifhe Luft gekommen waren, fonnten weder 
Mend noch Sternenwagen am Himmel fehen, und mußten 
fi) taumelnd von Knechten und Jungen nad Haufe brine 
gen laſſen. 


Oehlenſ. Schriften. XVI. 





8 Dir Berber. 
8 
Der Werber. 





Inzwiſchen wüthete der Krieg in Deutſchland. Als 
proteftantifher Fuͤrſt, als Beſiter der Wartburg, woher 
die Reformation in Deutfchland ausgegangen war, konnte 
unfer wadrer Herzog Iohann Ernft nicht umhin, an dem 
Kriege Theil zu nehmen. Unfre Gegend war bis jegt fo 
ziemlid von den Unruhen verfchont geblieben; als aber 
Ballenftein auf der Donaubrüde den Mansfeld geſchlagen 
hatte, und ſich diefer nach Schlefien wandte, um mit Beihe 
len Gabor gemeinfhaftlihe Sache zu machen; bekamen tie 
nige Werber Erfaubnig, auch in unferer Gegend Nefruten 
zu werben; und fo geſchahen denn verſchiedene Betrügereien 
und Gewaltthätigkeiten. 

Befonders war ein alter Werber, Namens Meldior 
Stelzfuß, vieler Niedertraͤchtigkeiten wegen berüdtigt. Mit 
feinem militaͤriſch fhönen Gefihte, welches ein Paar Nar⸗ 
ben und ein großer Krausbart zierten, mit einem gewillen 
väterlichen Anfeben, wußte er, wie eine Spinne, die Jüng- 
linge, die wie Stiegen herumſchwebten, in fein Gewebe zu 
Ioden. Sein hölgernes Bein, und fein Invalidentfum nahm 
auch für ihn ein. 

Er hatte vor Kurzem einer alten Witwe ihren einzigen 
Sobn. einen flinten Tuhmachergefellen, weggeſchnavpt. Die 
Braut des Jünglings, ein reizemdes Mädchen, warf ſich 
verzweiflungsvoll meinem Bruder zu Zügen. Mein wacke⸗ 
rer Bruder, von den Thränen des ſchönen Kindes und der 
alten Mutter gerührt, beſchloß, mit einigen mutbigen Ge⸗ 









Der Berber. 9 


fellen den Burfchen zu erlöfen, und fih an dem alten Schur- 
Een zu rächen. Kaum hatte er einigen feinen Borfag mit» 
getheilt, fo bewaffnete fi eine große Zahl von Handwerks⸗ 
gefellen, und ftand ihm zu Dienften. Mit genauer Noth 
betam id), meiner Jugend und Zartheit wegen, Grlaubnig 
mit zu gehen... Muthig naheten wir ung dem Dorfe, wo 
der Unglüdlide gefangen faß. Freilich hatten wir feine 
Schießgewehre; doch waren wir in größerer Anzahl, und 
die gute Sadye ftritt für ung. 

Glaͤclicherweiſe gelang es uns, die Soldaten zu über» 
rumpeln und uns ihrer Gewehre zu bemädtigen, ehe fie ſich 
zur Gegenwehr feßen konnten, wodurch mehrere von ung 
vieleiht das Leben eingebägt haben würden. 

Die Bagabunden waren zum Zrieden bereit, als fie 
unfere Uebermacht fahen. Sie erbaten fih nur ihre Waf- 
fen zurüd, dann wollten fie abzichen. Mit gefällten Ba» 
jonetten trieben wir fie aber fort, und da fie fürdteten, die 
Obrigkeit würde vielleicht von ihren Spipbübereien Wind 
betommen haben; padten fie ſich ſogleich, ohne Widerſtand 
zu leiſten. 

Jetzt galt es den alten Sünder, Meldior Stelzfuß, 
der im Birtbshaufe mit feinen vier Buben zechte und auf 
Raub Lauerte, zu fangen. Mein Bruder behielt fih das 
Vergnügen vor, ſich feiner zu bemädtigen. Bir mußten 
indeg Vorſicht brauchen; da wir mußten, daß vier Pferde 
dort gefattelt fünden, um die Werber bei dem mindeften 
Verdachte fortzubringen; und wenn der alte Stelzfuß ein. 
mal im Sattel feit faß, dann war er ein guter Reiter, . 
Iept hatten wir freilich Schießgewehre; Pferde aber hatten 
wir nicht; auch war es nicht unfere Abfiht, den alten Sün« 
der niederzufhiegen. 7 


wo Der Berber. 


Mein Bruder traf die nöthige Verabredung mit dem 
Wirthe, der am ganzen Leibe zitterte, weil er fürdhtete, mar 
babe entdedt, daß er mit den Werbern gemeinſchaftliche 
Sache made. Drauf gingen wir beiden Brüder in die 
Stube, wo Melchior mit feinen Trabanten am Tiſche mit 
einem Schoppen Bein vor ſich faß. 

Kaum traten wir herein, fo fing er an: Ei, da hab’ 
id ja wieder das Gaudium, einige meiner Heben Jungen 
in der Nähe zu fehen. In es mir dod, als ob ih ein 
Leckerbihlein nach dem magerften Nindfleifche gendffe. Kommt, 
liebe Knaben! ſetzt Euch zu mir! Die vier Schnurrbärte 
dort find ſtumm. wie die Buben im Kartenfbiele; und wenn 
ich einen guten Einfall habe, laden fle nicht einmal das 
rüber, Un den jungen Milchbaͤrten mit Flaumfedern um 
das Kinn hab’ ich mic aber wahrhaft zum Narren gefrefe 
fen. Aber das Kind da, (auf mic deutend) kann ich noch 
nicht gebrauchen; es möchte denn als Pfeifer oder Trom⸗ 
melfchläger fein! Herr Birth! noch zwei Scoppen Bein, 
befter Sorte, auf meine Rechnung, nebft Brod und Brat⸗ 
wurft. 

Bir bedankten uns, er rief aber: Ihr folk, tra mic) 
Gott, trinken. Der Bein verbindet die Menſchenherzen 
Denn es iſt Feuer drin, verfteht mich! Schwefel und Sal 
peter. Das will nicht fagen, der Wein fel geſchwefelt. Ich 
meine nut, es ſei Glut darin. Zrinft Kinder! 

Bir tranten vom waſſergemiſchten Beine, welchen der 
Birth, nad der Verabredung, uns vorgefeßt datte, und 
der alte Werber fuhr fort: 

Es fee der Krieg Der Krieg ift das wahre Element 
der Mannsbilder; im Srieden regieren die Weiber. Auf 
dem Streitfelde baufet aber der Teufel. Verſteht, ih meine 








Der Berker. 101 


nicht den Beeljehub, den Satan mit dem Stelfuge — 
mas fag’ id, mit dem Pferdefuge; fondern den Taufend» 
fafa! das Ingenium; der verflucht luſtige Poflenreiger und 
heroifhe Hans Wurf, der im trüben Waller filht. Was 
mar der glorwürdige Mannsfeld, ch’ der Krieg begann? 
Ein ſchlichter Soldat. Was war der BWallenftein? Gin 
verlaufener Student. Und was find fie jept? Die Shrek» 
ben der Belt! Der Tilly war auch nicht viel mehr. Wir 
wollen aber den Tillb, den Wallenftein und alle die ver- 
fluchten papififgen Halunfen Ihren, die Schuhe mit Baft 
zu binden. Sind wir nicht Lutheraner? Sind wir nicht 
Vroteſtanten? Sollen wir nicht gegen den Gräuel proteftis 
ven? Den Antihrit? Wie Heigeft Du, mein Freund? — 
Rudolf Julius, antwortete mein Bruder rubig. — Wohlan. 
Rudolf Julius, verfeßte der Alte, hier ift Handgeld! Herre 
lid geränderte niederländifhe Dutaten. Du bit ein Aus 
erwäblter; ein Gefegneter des Herrn! Du ſollſt Dein Glück 
im Hecre des trefflichen Mannsfeld machen. Und jept — 
ſprach er, ſich au den Schnurrbärten kehrend, wollen wir 
auf die Gefundbeit des neuen Rekruten anftopen. und falls 
Ihr mir nicht Beſcheld thut, vertradte Holzblöde, werd’ ich 
Euch den Beyer in’s Gefiht werfen. 

Mein Bruder ſtrich mit der Hand das Geld wieder 
zurüd, der Alte drüdte ihm aber die Hand auf's Geld, und 
rief: Iept bit Du Soldat. Du haft das Handgeld genom- 
men. Könnt Ihr das nicht alle bezeugen, Kerle? — Ia 
wohl, brummten die Bierbäffe, er hat's genommen; er ift 
Soldat. — Ich nehme fein Geld, rief mein Bruder mit 
verſtellter Angſt, ich geb’ Euch nur Euer Geld wieder zu⸗ 
tüd. — Ic danke Dir, Freund, fagte der Alte, dag Du 
es mir wieder giebſt. Hört Ihr wohl, Kinder? er hat mir 


102 Der Berber. 


die Dukaten wieder gefchentt. Ein treifliches Herz! Jeder 
iſt Herr des Eeinigen. Soldat bit Du nun aber einmal, 
fo wahr ih ein ehrlicher — — Diefe legten Borte ſprach 
er mit gedämpfter Etimme; denn im felbigen Augenblide _ 
wirfte der Schlaftrunt, den er unwiſſend im Beine genofe 
fen hatte, und er fiel hin auf die Bank. Kaum ſchlief er, 
fo traten mehrere von unferm Gefolge in die Etube. Als 
die vier Schnurrbaͤtte das Schikfal ihres Kameraden ges 
wahr murden, entfernten fie fih freiwilig, und einige der 
zu uns Gehörigen brachten fie über die Gränze. An dem 
alten Stelzfuß follte jedod eine eremplarifhe Strafe ftae 
tuirt werden, und es ward Kriegsrath gehalten, wie wir 
uns räden wollten; denn weil der Neidbart alt und ges 
brechlich war, fhämten wir uns, ihn zu prügeln, und ihn 
megiujagen, wie die Andern, ließ ſich nicht einmal gleich 
tun, weil er nicht gehen konnte. Hier ward id, der in 
den vorhergehenden Auftritten eine paffive Role gefpielt 
batte, befragt, meil mehrere der Gefellen, die mid fann- 
ten, von meinem Erfindungsgeifte gute Gedanken hegten. 

Ich antwortete: Der alte Kerl ift eine Art von Höle 
lengeiſt, wir müffen ihm von den Qualen der Hölle einen 
Vorgeſchmac geben. — Bie denn? frug Einer, follen wir 
ihn auf die Folter bringen? Freilich, antwortete id, die Fol⸗ 
ter fol aber menſchlich fein, und ung mehr Spaß maden, 
als ihm Schmerz verurſachen. Mein Vorſchlag ward ans 
genommen, und folgendermagen ausgeführt: 

Bäprend der Schlaftrunk wirkte, ward Meldior Stelz⸗ 
fuß nad) einem abgelegenen Orte im Walde gebracht; als 
der Stelzfuß bier von ihm abgelöft war, ward er mit Ric " 
men feit an ein Bagenrad gefhnürt, und auf einen Pfahl ‘ 
binauf gezogen, An den Zweigen der Bäume, die ihm 





Der Berber. 103 


über dem Kopfe ſchwebten, hatten wir Flaſchen mit Bier, 
Bein und Branntwein gebunden; ein fhöner Schinken und 
mehrere Bratwürfte Bingen aud dort, wie Früchte, ohne 

. daß er die Nahrungsmittel mit den Händen ergreifen. Tonne. 
Diefe Strafe war auf feine Gefräßigkeit und Trinkluſt bes 
rechnet. Ein wenig Honig batten wir nod dem armen 
Sünder in’s Geficht geſtrichen, und zwar niht um fein Schid- 
fat zu verfügen, fondern um die Müden und liegen her- 
auloden. 


Als er erwachte, und ſich auf dem Rade fand, zitterte 
er am ganzen Leibe und glaubte wirklich, vermuthlid weil 
er auch die Gicht hatte, die beim Erwachen immer am em» 
vfindlichſten ift, daß er lebendig gerädert fei; eine damals 

ſehr häufige Strafe, die er wohl hundert Dial hätte auss 
fichen müffen, wenn er nah den geltenden Geſetzen haͤtte 
veruttheilt werden follen. Meer aber einige Minuten fo 
in Angſt gelauert hatte, und fid feine graͤßlicheren Schmer» 
zen einftellten, verwandelte ſich feine Angft in eine ſtille 
Verwunderung; er befühlte feine Glieder, und als er ent» 
dedte, dag man nur das hölzerne Bein von ihm getrennt 
Habe, holte er einen tiefen Seufer, und fing an, fih auf 
dem Nade zu orientiren. 


> Jept kam ihm der Geruch des Bramntneines und der 
Ehwaaren in die Nafe; die Luft zum Lebensgenuß kehrte 

mit dem Bervußtfein des Lebens wieder; er ſtrecte die Hände 

mit Verlangen nad) der Branntweinsflafdhe, nad) den Wür⸗ 

fen, dem Brode; als er aber nichts erhaſchen fonnte, fing 

* er graͤßlich an zu fluchen. Sein Fluchen half ihm aber 
nichts, und wie zum Spotte flogen die Müden und Zlie- 

‚gen Hin und her von den Eßwaaren nad) fetnen honigfügen 


104 Der Berber. 


Lippen, um einen Heinen Nachtiſch nach der folidern Mahl⸗ 
zeit zu halten. - 

Damit war nun aber aud) die Strafe vorbei; er ward 
von den Banden gelöft, und an den Tiſch gebracht, den 
wir im Walde bingeftelt hatten, um da unfer Frühſtück im 
ſchoͤnen Wetter zu genießen. Er mußte. wie ein Lehrjunge 
unten am Tiſche ftehen, während wir andern fagen. Auch 
durfte er fein Wort ſprechen, nur follte er mit gefalteten 
Händen ein Tiſchaebet berfagen. Er meinte aber, und vers 
ſicherte, es fei ihm pur unmöglich, er wiſſe fein einziges 
Gebet auswendig, und wir möchten ihn mit weiteren Nedes 
reien verſchonen. Sobald er fid nun mäßig gefättigt Hatte, 
ward er fortgeführt, und durd einige von uns über die 
Gränze gebracht; weniger aus Härte, als aus Barmberzige 
keit, um ihn gegen den firengen Arm der Obrigkeit zw 
fügen, wenn feine Thaten ruchtbat würden. 

Als er weggeführt war, und wir nod am Tiſche fas 
Ben, fahen wir einen Haufen ſchwarz geffeideter Jünglinge 
berfommen. Es waren Etudenten aus Iena, die in den 
Serien herumſchwärmten, und jet aud) die Wartburg bes 
ſuchen wollten. Sie batten von unferem Abenteuer gehört, 
maren damit zufrieden, rühmten uns und thaten fehr fidel. 
Uns Schülern und Handwerksburſchen ſchmeichelte es fehr, 
von Studenten gerübmt zu werden; wir fragten befcheiden 
und etwas ſchüchtern, ob fie vieleicht an unferm geringen 
Aiſche vorlieb nehmen wollten? Bas vorlieb! rief der Se- 
nior, der Seifert bieß. Wir find Euch für Eure Gaftfreis 
beit fer verbunden, und können es nöthig haben, denn wir 
haben heute einen langen Ummeg gemacht, und noch nichts 
rechtes genoffen. Ihr feid Handwerkögefellen, und wir 
E:tudenten? Was will das fagen! Burſche find wir alle 


Der Berber. 105 


zufammen; frei wie der Bogel auf dem Dad, führen ein 
dagabon diſches Leben, und find feine Ppilifter. Drauf fege" 
tem fie ſich; wir fühlten ihnen die Glaͤſer, und fie fangen 
folgendes Lied, wozu mir nad) ihrer Aufforderung in den 
Chor mit einftimmten. 


Der ift ein freier Mann, 
Der ehrendaft und tüchtig 
Sich felbft bederefchen kann. 
Denn wer dad noch nicht kann, 
Bär’ er ein Mlerander, 

Er if ein Marker Mann, 
Doch noch kein freier Mann. 


> Der if ein freier Mann, 
Der fräftiglich und bieder, 
Den Degen führen kann; 
Denn wer dad noch nicht kann. 
Bär’ er der Weifen einer, 
Cr if cin edler Man, 
Doch noch fein freier Mann. 


Der ift ein freier Mann, 
Der feinem Baterlande 
Das Leben opfern kann; 
Denn wer das noch nicht kann, 
Er fei ein wadrer Bürger, 
Ein rechter Edelmann, 
Doc noch fein freier Mann. 


Der if ein freier Mann, 
Der feine Menſchenrechte 


106 Der Berber. 


Mit Kraft behaupten kann. 
Denn wer das noch nicht kann, 
Gehört zum Zroß der Anechte, 
Bas fraa' ich nach ihm dann? 
Er if kein freier Mann. 


Ber it der freie Mann? 
Der Hope Fücn im Bande, 
Der aur auf Zugend (ann. 
Der fei verflucht in Bann, 
Der nicht dem guten Herefcher, 
Der unfer Her gewann, 
Schügt, wie ein freier Mann! 


Kaum Hatten wir das Lied geendigt, fo erfhien eine 
neue Schaar mit Biden und Blehhauben, von einem 
Manne im ſchwarzen Mantel und weiß gepuderter Perüde 
angeführt. Es waren die Häſcher aus der Stadt, und dir 
Gerichtsſchreiber, der wie cin Abgefandter der hohen Obrige 
keit erſchien. Ein Trompeter ging ihm voran, und alle 
Augenblide ftanden fie ftil, als fie ung nabeten, und blie- 
fen, um anzudeuten, daß fie Etillftand verlangten, und dag 
wir uns an der heiligen Perfon des Ambaſſadeurs nicht 
vergreifen dürften. Wir gingen ihm alfo mit Ehrfurcht 
entgegen, und als er unfere Unterwürfigteit ſah, rief er 
mit finftergezogenen Yugenbraunen: 

Bas hat alles diefes zu bedeuten? Macht man fo auf 
eigne Hand in bona charitate Yufrubr, während der Here 
zog mit feinen Reiſigen abweſend it? Bald wird der gnä⸗— 
digfte Fürft wie ein Gewitter erſcheinen, und dann wird 
es ſowohl über den Gerechten als den Ungerechten hergeben. 


Die Trennung. 107 


Bie unterfteht man fi, einen fürſtlichen Werber, der mit 
‚gnädigfter Erlaubnig Rekruten wirbt, in eflgie zu rade- 
brechen, Tiſchgebete herfagen zu laſſen, und über die Graͤnze 
zu jagen? 

Als wir aber dem Gerichtsfchreiber alles erzaͤhlt hat» 
ten, und damit floffen, dag wir der hohen Obrigkeit mit 
den zwölf erbeuteten Gewehren und den vier fhönen Heng · 
ften ein unterthäniges Geſchenk zu machen däcten, erheie 
terte ſich die Miene des Mannes augenblicklich. Er ließ 
die Haͤſcher mit den Blechhauben und Piken wieder zur 
Etadt marfdiren, feßte fih hin, um mit uns zu zechen. 
verſprach. alles am gehörigen Ort ins günftigfte Licht zu 
ftellen, und fing als alter Student felbft zuerft das Lied 
an: „Gaudeamas igitar, javenes dum sumus!“ 


8. 
Die Trennung 





So hatten wir den wieder auf kurze Seit Ruhe; mein 
Bruder ging mit den Gefelen zur Arbeit. und ich ſchlen - 
derte täglich in träger Gewohnheit mit dem Bude unter 
dem Arm nad) der Schule, um nichts Ordentliches zu ler» 
nen und um mid) über die Ungezogenheiten meiner Mitſchũ- 
der zu ärgern. Id mar doch immer lieber dort, als zu 
Haufe, mo es, feit meiner Muhme Heirath mit dem St» 
Haftian Veilchenblau, elend herging. Der Meine Wicht vers 
wandelte fi) bald in einen Haustyrannen, und prügelte 





108 Die Trennung. 


feine vide, große, ſchlaͤfrige Frau bei den unbedeutendften 
Anläffen. Diefe Anläffe waren oft Hödft närriſch; denn fie 
lieg ihn fonft im Haufe walten, er war Herr ihres Bere 
mögens; er konnte Zreunde einladen und bei andern zu 
Gaſte fein, wenn er wollte. Auch plagte fie ihn nicht mit 
Eiferſucht, obſchon er ſich ein Liebchen hielt. Da kam ihm 
denn die Geſchtchte von Abraham, Sara und Hagar gut 
zu ftatten. Cie faß gelaſſen zu Haufe, mit dem Hunde im 
Schooße und ſchlief meiſtens. Wenn die Upr fpielte, wachte 
fie immer auf. Ceit fie verbeirathet war, kehrte fie ſich 
aber nicht mehr an das alte Lieblingslied, das am Tage 
erflang, dagegen fonnte fie mie Abends das Sterbelied 

„Herzlich thut mid) verlangen nad) einem ſel'gen End“, his 
ren, ohne zu meinen und die Augen mit dem Mopfe zu 
trocknen; und da mußte id) denn mit der armen Frau’ ein 
wahres Mitleid haben. 


Bald nachher batte id den Kummer, meinen einzigen 
wahren Freund, meinen guten Bruder, zu verlieren. Der 
Herzog kehrte plöplic zurüd, und ließ fogleih in der 
Stadt ausrufen, er fei Willens, mit dem Grafen Manns- 
feld gemeinfhaftlihe Sache zu maden; diefer dringe in 
Oeſtreich mit einem Heere ein, und er, der Herzog, fodre 
alle treuen mannhaften Unterthanen auf, ihm zu folgen. 


Kaum hatte aber mein Bruder dies gehört, fo verließ 
er die Werkftatt, vertaufchte den Webſtuhl mit Spieß und 
Schwert, und die Klappmüge mit der Pickelhaube. 


Kurz darauf reifte der Herzog ab, und Rudolf fah ihn 
in mehreren Jahren nit wieder. Ich habe nie etwas von 
feinem Schicſale gehört, bis Su, mein Eberhard, auf 





Die Trennung. 109 


meine Infel gekommen bift, und mir erzählt haft, wie er 
nachher Vater eines glücklichen Geſchlechts geworden fei. 

Von meinem Gefühle überwältigt, ſchrieb ich beim Ab⸗ 
ſchiede folgendes ſchlichte Gedicht: 


Aa Gott, mein liebſter Bruder; 
So fon ich miffen Dein; 

Der ich an Dich gewöhnet 
Som tleinften Kindesbein! 

Kein Jahr ift noch genoffen, 
Verfloſſen 

Ohn innigen Verein. 


Nater einem Oerzen getragen 
Bir fogen diefelbe Bruft; 
Torten in jungen Tagen 
Deb Sehens Cchmer) und Luft 
Zedt folen wir und trennen 
And Eennen, 

Bad fonft wir mie gewuti. 


Die Sehnfucht in der Weite 
Wird angewaltig fein. 

Im Kampfgewühl und Gtreite 
Gedent', in Dir alein, 

Der Wartburg, wo wir faben 
Und iaſen 

Bel ſchwacher Sanıyen Schein. 


Und ich an meinem Buche, 
eig. ih nun Dazmal, 


110 Die Trennung. 


Und meinen Rudolf ſuche 
Vergebens in dem Saal, 
Ich werde, find‘ ich keinen, 
Stil weinen, 

Beim blaſſen Rondenſtrahl 


Sie muß ich mich detrüben, 
Beil wir und oft gejanft. 
Bei denen, die ſich lieben, 
Mitunter Liebe krautt; 
Doch wieder bald gefanden 
Die Bunden, 

Und nimmer Treue wänft. 


Der Bater und die Mutter, 
@ind auch nicht länger bier. 
Du, der Du fammf von Luther; 
Sein Cegen folge Dir; 

, Und bringe Dich zurüce 
Mit Glüde 
Zu Gifenach und mir! 


Mein Bruder las das Gediht, und fiel mir weinend 
um den Hals; drauf fagte er: Die große Bibel Fann ich 
aber nicht mitfehfeppen, fie fol bei Dir bleiben. — Ad) Ru— 
dolf, rief id), dann mußt Du die Uhr nehmen; und wenn 
Dir aud die Stunden im Menſchengewuͤhle und immer 
neuen Abenteuern ſchnell fortlaufen; wirft Du doch, wenn 
Deine Augen auf dem ſchwarzen Zeiger weilen, der ſich 
langſam fortbewegt, des Bruders gedenken, der in ftiller 

—  Einfamteit fi tägli nach Dir fehnt. Recht fo! rief Au- 





Die Trennung. 111 


dolf, Krieger und Geiſtlicher! Zeit und Ewigkeit! Uhr und 
Bibel. Gott iſt in beiden. Jetzt muß ih Dir auch ein 
Lied machen. Drauf fhrieh er, ohne ſich lange au beden- 
ten, folgende Zeilen: 


Immer Tonnen wie nicht warten, 
Sich, ded Sehens Bäclein eilt! 
Kleine Bäum’ aus einem Garten 
Werben in bie Welt vertheilt. 


Doch was wir zuerſt empfunden, 
Theuer und ich Herzen blüht, 
Denn die Zeit der erſten Stunden 
Die entwicelt dad Gemüth. 


Fliegen auch die Bögel Heute, 
Zu verſuchen fern ihe Glüd, 
Kehren fie Doch mit der Beute 
Morgen nach dem Baum zurüci. 


Dir der Lehrſtand, mir der Wehrſtand, 
Dir die Feder, mic der Stahl; 

Einft vielleicht umarmt der Biſchof 
Brůderlich den General; 


Bol meinem Bruder war ich jetzt getrennt. Ich brachte 
noch ohngefähr ein Jahr bei meiner Muhme zu, und weil 
ich etwas mehr Verſtand befommen hatte, fo dag ich mid 
feloft antreiben konnte, machte id während der Zeit in mei⸗ 
nen ES hulübungen ziemlihe Fortſchritte. Der Meine Beil» 
Genblau, der eigentlich, diefen füglihen Namen haben follte, 


112 Die Trennung. 


weil er feiner Frau oft den Rüden veilhenblau prägelte, 
Eonnte mich indeß nicht ausftehen. Um die arme Muhme 
au raͤchen, batte ic ihm eines Abends in vollem Pug 
in den Ninnftein fallen lafen, ‘indem id das Brett 
verſchoben hatte. Hierdurch befam der ſcharlachne Rod 
fo viele Flede, dag Salvator, als er mit der verwor- 
renen Allongenperüde auf dem Konfe grimmig in die Stube 
bereintrat, einem fledigen Leoparden oder Pantherthiere 
nicht unaͤhnlich ſah. Er konnte mic, freilich der That nicht 
überführen und ic läugnete alles bartnädig und frech; 
war er mir aber nicht vorher feindlich gefinnt, fo ward er 
es jeßt. . 
An einem Mittage, wie ih mit der Muhme allein 
ſpeiſie, fing fie, gegen ihre Gewobnheit, an, ganz vernänfs 
tig zu reden, ohne ſich der altteftamentarifhen Redensarten 
und Bergleihungen zu bedienen, aud ohne die rhetorifche 
Methode des Vortrages, die ihr beinahe zur zweiten Na- 
tur’ geworden. Sie fprad von ihrer Schwefter, meiner 
Mutter, zwar ohne Tpränen, doch mit einem gewillen ſtil⸗ 
len Gefühle, das mir auffiel und mic rührte. Sie ſprach 
von dem Grabe der Seligen, welches fie immer fehr gewiſ⸗ 
ſenhaft alle Vierteljahre mit Sand, Buchsbaum und Blu« 
men hatte beftreuen laſſen; fie äußerte, dag fie, wenn ffe 
ftürhe, ihrer Schweſter zur Seite ruhen wolle, Drauf 
ſtarrte fie Lächelnd hin auf das Bild des großen Luthers 
(teine ſchlechte Copie des Wartburger Originals) und fagte 
mit einem gewiffen phlegmatifchen Stolze und einiger Selöft- 
gefälligkeit: Er war dod unfer Ahnberr! Ih habe doch 
immer fo gern auf dies Präftige Geſicht bingefehen, wenn 
ich fo allein mit meinem einen Jolie ſaß, und die Uhr 
orgelte. Er liebte ja auch das Drgelfpiel fo (ehr. — Als 


Die Trennung. 113 


fie fo geſprochen, wollte fie den Löffel zum Munde führen, 
ſchlief aber ein, ehe der Arm den halben Weg gemacht 
batte, und ließ die Hand mit dem Löffel wieder finten. 
Ich war diefes Manöver gewöhnt, und wollte fie aufweden, 
Es war aber vergeblid, die gute Muhme fhlief den lan⸗ 
gen Todesihlummer. Als nun eben in diefem Augenblic 
die Stubenubr ihre gewöhnliche Mäglihe Weiſe zu fhielen 
anfing, morüber die felige Muhme fo. oft gemeint, und ich 
gelacht hatte, rührte cs mich bis im Innerften meiner Seele. 
Arme Urfula, rief ich weinend! Jeht wird diefe Melodie 
feine tief in der Bruft verheimlichte eitle Hoffnung wieder 
erweden! Ad warum finden wir thörichten Jünglinge doch 
oft eine alte Jungfrau fo läderlih? Viele diefer Erſchei⸗ 
nungen find einft junge reizende Schönheiten gewefen. Uns 
fere Väter haben für fie geglüht. Eine vereitelte Hoffnung 
bet das Glück ihres Lebens auf immer geftört, und wir 
verfpotten die armen Unglüdlihen! Die Reſte einer gewe⸗ 
fenen Menſchenſchönheit erregen nur verächtliche Gefühle, 
und auf den Mauern alter Burgträmmer ſchreiben wir chr- 
furchtsvolle fhmärmerifge Lieder. Sind dod die Burg- 
trümmer nur Stein und Squtt, bier hauſt aber eine un 
ſterbliche Seele. Und war die Erdenhüle diefer Menfcen- 
Seele garftig und unangenehm, fo daß fie alles das weg⸗ 
feuchte, nah weldem cin gefühlvol ſchwelgendes Herz in- 
nig begehrte, adı Gott! — war's denn ein Bunder, wenn 
ein noch feltfamerer Wahn, eine ſtille Wuth fih nad und 
nach der Arien bemädtigte? daß fih die Serrüttung des 
Lebens auch in irren Thaten und Worten offentarte? — 
Nein. meine arme Mubmel verfeßte ih ſchluchzend, währ 
rend die Uhr immer dabei ihre Melodie Leierte, — ein hoͤl⸗ 


vs, „tes Inftrument fell nicht die · einzige Stiume fein, 
lenf. Schriften. xVI. 


114 Die Trennung. 


die Deinen Tod beklagt. Du biſt mir in vielen Jahren gut 
und hüffreid) gewefen. Gin marmes theilnchmendes Herz 
fol Dir fein aufrichtiges Gefühl zollen. Id will Dir zur 
Grube folgen, und dann einen Ort verlaſſen, mo keine le⸗ 

bendige Seele ſich mebr um mid) und mein Echidfel be- 
kümmert. 

Als ich diefe Parentation gehalten hatte, während die 
Muhme noch immer fteif und fert am Tiſche mit dem Löf- 
fel in der Hand ſaß, ohne fid) im mindeften verändert zu 
baben, trat der Heine Salvator Veilchenblau herein. Er 
war fehr übler Laune, und wollte ſchelten; als er aber 
börte, daß feine Frau todt fei, ward er ploͤtlich fehr aufs 

. geräumt, und fing an, die guten Eigenfdaften der Seligen 
auseinander zu fegen. Auch meinte er etwas; id war aber. 
fo bosbaft zu glauben, daß es vor Freude fei, hoͤchſtens 
aus Dankbarkeit, weil die felige Urfula ihn nicht länger ine 
commodire, und ihm alles das Ihrige hinterfaffen habe. 
Er feßte fih fogar zu Tifh, und aß mit gutem Appetite. 
Ich will das Vergnügen haben, fagte er, mir einzubilden, 
dag id uod einmal mit meiner lieben Ehehälfte Dinire. 
Sie war eine fromme Seele, es ift mir in ihrer Nähe gar 
nit bang. Sie hat oft fo gefeffen und fein Wort gefpro- 
hen, fie wird es aud heute nicht thun. 

Ic ward über den Meinen Wicht fehr aufgebracht, mäs 
Higte mich aber, und ſprach rubig: EMt nur, Salvator! 
ich wünfde Euch eine gefegnete Mahlzeit. Ihr babt ja 
doch meine arme Muhme nur gebeirathet, um einen guten 
täglichen Bilfen zu befommen. Die Leiche follt Ihr aber 
nicht verhöhnen. — Ich rief Leute, und ließ die Todte meg- 
tragen. Er wunderte ſich über meine Kühnpeit, wagte aber 
kein Wort Dagegen zu fagen. Nur äußerte er troden: Ihr 


Die Trennung. 115 


mißt, Eure Muhme hat cin Teftament gemacht. Ich bin 
der Univerfalerbe. Hundert Thaler hat fie Euch vermacht; 
die werd’ ih Euch) morgen auszahlen und dann wünſche id 
Euch eine gluͤckliche Reife. 

Bon Eurer Gropmuth zu leben, antwortete ich kalt, 
wäre eine gar zu ſchlechte Koft und eine gar zu tiefe Ber 
fhimpfung. IA gönne Euch das Geld, das Ihr mir und 
meinem Bruder dur diefe Heirath cigennügig und nieder 
trädtig entwender habt, und gebe fogleih aus Eurem 
Haufe. Hätet Euch aber, von meiner Muhme, meinen 
eltern, meinem Bruder oder mir ein ſchlechtes Wort zu 
ſprechen, während ih noch in Eiſenach bleibe, fonft werde 
ich meinem lieben Obeim fo den Rüden bläuen, wie er es 
oft meiner armen feligen Muhme gethan hat. 

Mit diefen Worten verließ ih das Haus, fehr dadurd) 
erleichtert, dag ich den minzigen Schurken einmal meine 
tieffte Veractung in derben Worten hatte empfinden laſſen. 

Als ich meine hundert Thaler ausbezahlt bekommen 
hatte, düntte mid, der ih nie mehr als ein Paar Gros 
fhen in der Taſche gehabt, dag mir künftig nichts man» 
geln könne. Ih 308 zu einem meiner Bekannten, einem 
Studenten, Namens Seifert, der vier Jahre älter war, als 
id, ein fehr guter Kopf, und cin zwar ercentrifcher, doch 
zugleich, ein liebenewürdiger Menſch, wie Ihr nachher hö⸗ 
ven werdet, 

Man follte glauben, mein Er-Ohelm und id) wärden 
uns nun nie mehr mit Augen gefehen haben, und doh muß- 
ten wir noch ein Paar Etunden lang ganz ruhig und fite 
tig einander zur Seite geben. Er konnte nämlich nicht ums 
bin, mich durd den Leichenbitter zum Begräbniffe meiner 
Muhme einzuladen. Bir gingen alfo vie, I ſchwarze 


116 Abenteuer. 


Mäntel gehüllt, Schritt vor Schritt, zunähft dem Sarge. 
Kein Menſch als ih war bei der Leichentrauer gerührt. 
Es fam aber dem Heinen Beilhenblau wohl au ftatten, 
dag ihm immer die ſchwachen Augen'im Winde mäflerten; 
er trodnete ſich fleißig mit dem weigen Schnupftuche, und 
die Zufhauer waren mit feiner Theilnahme fehr zufrieden. 
Ich fonnte niht weinen. Erſt als ich hinter dem Leihen» 
gefolge das leife Klingeln einer Schelle hörte, und den Heis 
Joli ſah, der feiner Herrin aud die letzte Ehre erweiſen 
wollte, ward bei mir ein ſympathetiſches Gefühl erregt. 
Diefes ward noch gefteigert, als ich iu die Gruft hinunter 
fah, und ein kleines Stüd von dem ſchwarzen Sarge mei» 
ner Mutter entdedte, das durch das nahe Aufgraben cnte 
Hlößt worden war. 

Nach geendigtem Begräbniffe, und als ih ein Water. 
unfer mit dem Hute vor dem Geſichte gebetet hatte, ging 
id fort, und habe feitdem weder dag Haus meiner feligen 
Muhme, nod meinen Er-Obeim mit Augen gefehen. 


10. 


Abenteuer. 





Ich möchte die erften Schönen Kinderjahre, die unſchul⸗ 
dig in der Heimath verledt werden, den heitern Märztagen 
vergleichen, die den noch unverhofften Frühling ankündigen. 
Die Sonne fheint dann warm, das Gras fängt an zw 
wachſen, die Beilden blühen, die Stubenfenfter, die der 
Sonne zugetehrt find, werden eröffnet; ja man findet es 


Abenteuer. 417 


mol in der Stube zu Heiß, ſetzt fi draußen auf die Baut 
in ter Mittagsfonne, und wähnt, daß es bereits Sommer 
fei. Dann kömmt jedod der wilde April mit feinem Ban 
felmuthe, feinen Leidenfhaften, mit Negen, Sturm, Has 
gel und Nactfröften. 

Glaubt aber nicht, Kinder, dag ich dies als eine 2is 
tanei einftimme. Die Borfehung Hat mid fo ziemlich mit 
heiler Haut aus jenem Kattegat der Iugendriffe in's freie 
Meer des Mannesalters gebracht. 

Acht Tage nad dem Begräbniffe meiner Muhme, faß 
ich mit meinem neuen Freunde Seifert und mehreren Iuftis 
‚gen Gefellen im Birtbehaufe, zwei Meilen von der Vater⸗ 
ſtadt entfernt, mit achtzig Thalern in der Taſche; denn 
zehn hatte mir mein Oheim Veilchenblau durch allerlei 
Eleine Rechnungen verkürzt, und die übrigen zehn hatte ich 
gebraucht, um meinen Freunden einen Abſchiedsſchmaus zw 
geben, und um mir einige neue Kleidungsftäde zu kaufen. 

Seifert faß jeßt am Ende des Tiſches mit einer Fla⸗ 
ſche franzöffgen Weins vor ſich, aller Augen waren auf 
ibn gerichtet. Ich wollte, dag ih Euch ein treues Bild 
diefes wunderbaren, finnreihen, vagabundiſchen Menſchen 
malen fönnte. Er war ziemli bob, ſchlank und breite 
ſchultrig; dabel aber mager; befonders waren ihm die 
Beine dünne gerathen. Alles jedoh bei ihm war Sehne 
und Nerv; feine Gefihtsfarbe war gewöhnlich blaß und 
fiel in's Gelbliche; fobald er indeſſen zu reden begann, 
glühten ihm die Wangen fhön, und die großen Augen 
funfelten immer, 

Obſchon er die Belt im Ganzen verachtete, leuchtete 
doch bei ihm eine unbeſchreibliche Anmuth und Freundlich. 
teit gegen Menſchen hervor, die er einmal liebgewonnen 


118 ı Abenteuer. 


hatte. Sie mußten fi) aber blindlings feinen Neigungen 
und feinem Willen fügen, fonft fuhr cr auf und ſchmetterte 
fie mit Spott und Schmäbungen zu Boden. Naher ward 
er wie gerührt, und madıte mit Anftand und Würde alles 
wieder gut. Obſchon er felten Gedichte las, und eigentlich 
die Poefie wenig liebte, weil feine egoiſtiſche Natur fie nicht 
felbft üben konnte, und weil er ein zu guter Kopf war, um 
feine Eitelteit mit mittelmäßigen Verſuchen abzufpeifen, war 
doch fein ganzes Wefen fehr poctifh. Jedem Vorfalle, je 
dem ihm begegnenden Menfhen-Charakter wußte er die ei⸗ 
genthümliche Seite, abzugewinnen und in gut gewählten 
Borten darzuftellen Es mußte jedoch alles improvifatorifd) 
aus dem Stegereife fein. Seine Einfälle, feine Gedanten, 
feine Begeifterung waren wie der Champagner, der augen 
biidich brauft, und auf der Stele getrunken fein will, 
Selbſt ftolz auf feine Vorzüge, haßte er bis zur Wuth als 
les Herkommliche, das ſich ohne eigenes Verdienft hervor⸗ 
thun will. Er war ein treuer Freund, und theilte den 
Iepten Heller mit feinen guten Gefellen. Auf ihre Ber- 
dienfte und Vorzüge war er aufmertfam, und rühmte fie 
oft. — Bar es ein Wunder, wenn id) und mehrere Jüng- 
linge meines Alters uns ihm biindlings ergaben, und fei- 
nem Billen folgten? 

Brüder — fprad er, uns die GläferZmit dem feuris 
‚gen lichtrothen, noch nie gefofteten Burgunder füllend — 
es giebt eigentlich fein höheres Glüd, als das fhöne vaga« 
bundiſche Zeben. So haben es aud die Menſchen von An» 
beginn ber getrieben, und nur die Norh, als das Geſchlecht 
ſich zu art vermehrte, zwang die Männer aus der freien 
Natur, die fie ihr Paradie: nannten, auszugehen, um mit 
Ofen Felder zu pflügen, um mit Weibern Kleider und 


> Abenteuer, 119 


Schuhe zu nähen, und mis Bibern und Wespen Zellen und 
Häufer zu bauen. Jeder tüdstige Burſch fühlt deemegen 
auch noch in ſich den Trieb, das alte natürliche Verhältnig 
wieder herzuftellen. So wollen wir denn einiger der erften 
Heroen in Liebe gedenken, als des Nimrod, der ein rüſti⸗ 
‚ger Jäger vor dem Herrn war, des Herkules, der die zwölf 
fhönen Abenteuer ohne Schwierigkeiten beſtand. Welch 
ein Gaudium mag es nicht dem Inadus, dem Kadmus, 
dem Gecrops geweſen fein, auf Heinen Edyiffen vol Iuftis 
ger Bagabunden an fremden Ufern zu landen, und dort 
eine neue Wirthſchaft einzuführen! Als fie jedoch vom 
Erichthonius leſen und ſchreiben gelernt haften, waren fie 
verloren. Bewundern wir aber auch die Argonauten, die 
nach Colchis, die Hellenen, die nach Troja fifften. Denk 
wenn auch die verblendete Welt dafür bält, fie hätten es 
um eines verlaufenen Weibes, um eines armfeligen golde⸗ 
men Vliehes willen gethan, fo find wir Eingeweihten doch 
Aug genug es einzufehen, daß fie fid nur diefes Dedman- 
tels bedienten, um den Dummen und Blödfinnigen Sand 
in die Augen zu fireuen! Im Grunde gelüftete ihnen nur 
nad einem guten Abenteuer. Welch eine Freude müßte es 
gewefen fein, nachher mit dem Nomulus und Remus und 
al’ dem tüchtigen Ianhagel eine Freiftatt zu bilden. Wenn 
ich aber wünfcte, mit dem Nomulus gelebt zu haben, fo 
wäre es nur, um ihn todt ſchlagen zu können, weil er, wie 
der erſte Phifiner Cain, aus kleinlicher Eiferfuht feinen 
Bruder ermordete. Remus ift gewiß ein ganz anderer Kerl 
gewefen; er fpottete der kindiſchen Ginrichtungen des Ro—⸗ 
mulus, der fhon einen Ball machen wollte, um die Leute 
in die Bornirtheit bineinzuzwingen, um fie zu Philiſtern 
und ESpiegbürgern zu erziehen, wie fie es denn auch nach ⸗ 


1% Abenteuer. 


ber wurden. Darauf kamen aber die wahren Burfhel 
Der Odin mit feinem Gefolge nad Norden! Die Cimdren, 
Zeutenen, Longobarden nad) Cüden. Nachher machte das 
mißverftandene Chriſtenthum freilich die Menſchen wieder 
etwas ſchlaff. Der Heldenmuth artete in die Frage, in 
Graufamteit aus, der crafle Burf Attila würhete mie ein 
toller Hund,. der allerchriſtlichſte Clodwig und feine Nach⸗ 
folger, die Merovingen, waren das infamefte Lumbengefin» 
del, das je auf der Welt geathmet bat. Dann kamen je 
doch die Normannen, und lehrten die Eüdländer wieder 
Mores. Eine ritterlihe Gefinnung verbreitete ſich Äber die 
Belt, und bald gaben die Kreuzfahrer den Eimbern, Lon⸗ 
gobarden und Normannen nichts nad. Freilich mußten fie 
mieder die Philifter mit Honig um's Maul ſchmieren, das 
mit fie mit ihnen gemeinfhaftlihe Sache machten. Sie 
folugen ſich aber nicht mehr um’s heilige Grab, ale um 
des Kaifers Friederich rothen Bart! Nachher hat die Phir 
Kifterel, wie eine anftedende Krankheit, ſich Teider fehr ver⸗ 
breitet. Der liebe Herrgott forgt aber doc immer noch 
für feine Geſchbpfe. Ieht find wir Gottlob Proteftanten ! 
Und wogegen profeftiren wir eigentlih? Fragt die Schaa⸗ 
ren des Mannzsfeld, des Herzogs Chriſtian, fragt die Hau⸗ 
fen des Tily, des Ballenftein, warum fie fih ſchlagen ! 
Straf’ mich Bott, fie wiſſen eg nicht, fie wollen es nicht 
wiſſen; fle denfen nicht viel daran, ob fie Katholiken und 
Vroteſtanten lud! Das ift wie vorher mit den Guelfen 
und Gbhibellinen in Italien, wie mit der rothen und weißen 
Rofe in England; fie fuhen nur Abenteuer, und find im 
Grunde einander fehr verbunden, weil die verfiedene Den- 
Rungsart ihnen den Anlaß giebt, ſich willkürlich und hel- 
denmäßig zu bewegen. 


Abenteuer. 121 


Er trank hier eins dazwifhen, und fuhr fort: Nun 
bätten wir uns freilich an eine diefer großen Horden an» 
fliegen Fönnen; allein dann wären wir wieder Knechte, die 
dem Befehle eines mächtigen Anführers gehorchen müßten. 
Auch Hat man in fpäteren Zeiten den Krieg verdorben. 
Die Krieger find Britken auf dem großen Echadbrette; 
der befte Schachſpieler it der größte Held. — Nein, lebten 
wir nody zu den Seiten der irrenden Ritter, dann wollte 
ich Euch vorfälagen, dag wir uns für unfer Geld Helme, 
Epiege, Schwerter, Harniſche und gute Pferde kauften; 
dann wollten wir in Gottes Namen auf Abenteuer aus» 
aiehen, den Witwen beifteben, die Jungfrauen befhügen, 
die Philiſter auseinander bringen, wenn fie fih in die 
Haare gerathen wären. Die Belt duldet aber keinen Nit- 
tergeift mehr, die Witwen wollen nicht befhügt, die Junge 
fern nicht gerettet fein, die Bürger und Bauern wollen ſich 
nicht helfen laſſen. Jett rauben, fengen, brennen, ſchänden 
und morden die Horden. Bir wollen indeg feine Räuber 
werden, obſchon diefe prefäre Lebensart, dies romanenbafte 
Herumftreifen im frifhen grünen Walde, für ein junges 
Gemüth etwas fehr Neizendes bat. Die Räuber aber find 
Lumpenkerls und wahre Phitifter; fie Fechten nicht, um Muth 
und Tapferkeit zu beweifen, fondern nur aus Mordſucht 
und Geiz! Hol der Teufel alle ſolche fpigbübifchen, ſpieß ⸗ 
Dürgerlihen Beweggründe. 

Ich weiß jedoch einen Ausweg! — ich weiß ein gemäch- 
liches geiftreihes Mittel, wie wir Könige, Helden, Patriare 
hen, Bürger, Bauern, Räuber, Türken und Juden fein 
können; wie wir die Großmuth ohne Aufopferung, die 
Graufamteit ohne Gewiſſensbig ausüben können. Laßt uns 
Schauſpieler fein; wir wollen alte Faſtnachtſpiele, Schwänte, 


12 ' Abenteuer. 


Zragödien, fogar moralifhe Lchrfüde aufführen, Umd ic 
will Direktor der Bande fein! So ziehen wir im deutſchen 
Baterlande herum, genießen das Leben, befhauen die Nar 
tur und die Etädte, ergründen die Menſchen, verdienen 
Geld, trinken Wein, eſſen Braten, lichen die Weiber, wer- 
den geliebt. Und wenn wir des Weſens wieder müde find, 
bören wir auf. 


Seifert hätte nicht die Hälfte feiner Beredfamteit nd- 
thig gehabt, um uns junge Menfhen ganz nach feinem 
Willen zu Ienten. Wir wollen aber das Handiverf vers 
edeln, ſprach er, nicht wie Bachanten und Schützen einher» 
ziehen, und die Schwaͤcheren zwingen, für die Stärferen zu 
betteln. Auch wollen wir uns nicht für Zauberer, Schap- 
gräber, Aftrologen und Negromanten ausgeben. Dagegen 
Fönnen mir gern den hübſchen Weibern einbilden, wir fein 
in dem Venusberge gewefen, und Meifter der fieben freien 
Künfte geworden: 'magistri septem artium liberalium, 
Benn wir älter werden, können wir Graft madyen; jeßt 
fingen wir: “ J 


Nonnen zechten, Pfaffen jcchten! 
Mägde trinten noch mit Anechten; 
Trintt der Abt mit dem Priore, 
Mönche faufen früh im Chare. 
Würger mit einander trinken, 

Bis fie von den Stühlen ſinken. 
Bein. erquickt die Durft'gen Zungen, 
Mlte bechern mit den Jungen. 


Für den Pabft und für den König 
Bein die Menge, Waller wenig; 


Abenteuer. 13 


Für die Fürhten, für die Pfaffen 

IR der Mebenfaft erſchaffen; 
Brüderlich zuſammen bechern 

Leut' aus ganz verſchiednen Fächern. 
IM verloren Malz und Hopfen? 

Zecht den Wein in großen Tropfen! *) 


Licher Eeifert, ſprach id), ich gehe gern mit Dir, und 
made gern alle Iuftigen Etreihe mit, In’s Pfaffenland 
mag id aber nicht mitzieben. Ich meiß, es mürde meinem 
Vorfahren, dem großen Luther, nicht gefallen. 

Seifert runzelte die Stirn ein wenig, und erwiederte 
vornehm: Du ſprichſt immer fo viel von Deinem großen 
Abnherr, mein Lieber! Das ift eine liebenswurdige Schwach · 
beit an Dir, die Du ablegen foltet. — Kein Menſch, rief 
ich erbigt, fol mic davon abhalten. Zwar ftamme id 
nicht in gerader Linie von ihm ab, fondern nur von einem 


*) Frei nach dem alten Liede: 
Bibit ille, bibit illa, 

Bibit servus cum ancilla, 
Bibit Abbas cum Priore, 
Bibit coquus cum factorez 
Et pro Rege, et pro Papa 
Bibunt vinum sine aqua, 
Et pro Papa, et pro Rege 
Bibunt omnes sine lege. 
Bibunt primum et secundo, 
Donec nihil ait in fundo. 





124 Abenteuer. 


Nebenzweige. Hab’ ih aber dod) eben fo wohl Erlaubnig, 
ihn das Haupt meines Geſchlechts zu nennen, als viele 
Adelige, die einen ausgezeichnten Helden als Blume des 
ganzen Stammes anerkennen. Auch finde id mid, Hefugt, 
fein Wappen, die Roſe, in meinem Petſchafte zu führen. 
Das baden fon meine Vorältern gethan, und der große 
Melanchthon fagte felber von unferm Gefhleht: Vetus 
familia est, et late propagata, *) 

Nun wohlan, fprad Seifert ruhiger, als er mid fo 
bigig meine Rechte verteidigen fah, ich will Deine Nofe 
nicht brechen. Ich war ſchon wieder gut, und er verfeßte: 
Ich finge mit Properz: 

Me juvat et multo mentem vincire Lyaeo 
Et caput in verna semper habere rosa, ”) 

Bir wollen Deine Rofe nad) alter Weiſe über unfern 
Speiſetiſch aufhängen, zum Zeichen, dag man, was unter 
guten Freunden geſprochen wird, geheim halten, und nicht 
zu genau nehmen folle. So thun wir alles sub ross, Gut 
aber, verfepte er läächelnd, daß unter ung fein Chevalier 
de Guise ift, denn der könnte feine Roſe fehen, ohne ohn⸗ 

machtig zu werden; und wie würde ihm erſt Deine bürgers 
liche Wappenrofe in die Nafe geſtunken haben! 

Wir zogen demnad) wie Zugvögel mit unferm Seifert 
luſtig fort in unbekannte Gegenden, und fo lange das Geld 
in der Taſche klingelte, dachten wir an nichts, als große 
Herren zu fein. Als aber das Geld beinahe alle war, denn 


+") Dad Geſchlecht if alt, und weilverbreitet. 
**) Mic erfecut ed, den Aopf voll von Bachus zu haben, und 
das Haupt mit Grüplingerofen zu fränien. 


Abenteuer. 125 


wie die Apoftel welland, hatten wir gemeinfhaftlihen Beu ⸗ 
tel, ſprach Seifert: Iept, Kinder, müffen wir arbeiten. 

Ziemlich müde und fehr arm famen wir an einem ſchö⸗ 
nen Aprilabend einer Nitterburg am Thüringerfelfen vor⸗ 
bei. Unfer Wegweiſer zeigte uns im Vorbeigehen tief uns 
ter der Burg eine große; roftige, eiferne Thür im Selfen- 
geftein. Bir dahten, es fel vieleiht ein Burgverließ, er 
erzählte aber, daß der edle Nitter Curt von Anaufdegen, 
der droben als Witwer wohne, bier feinen Weinkeller habe. 
Er fei, verfeßte der Wegweifer, ein Iuftiger, freundlicher 
Mann, der einen guten Schwank liebe, weswegen er fih 
aud oft als ſchlichter Bürger verkleite, um drunten im 
Wirthshauſe die Fremden zu ſprechen und von Zeit zu Zeit 
feinen Spag mit ihnen zu haben. Möglich fei es, dag wir 
ihn aud) heute Abend dort freffen würden. 

Kaum hatte Seifert das gehört, fo fhra er heimlich 
zu uns: Wir wollen lieber unfern Epap mit ihm haben, 
und wenn ſich nicht Alles gegen uns verſchworen hat, wer» 
den wir nod heute Abend den trefflichen Bein des edlen 
Eurt von Knaufdegen koſten. \ 

Nun ift zu willen, dag mir in unfere Bande einen 
Bauer, Namens Barthel Schmolz, aufgenommen hatten, 
der einen diden Bauch, ein großes Maul und ein fehr al» 
bernes Geſicht Hatte. Er war aber nicht fo dumm, als er 
ausfab, wir brauchten ihn dazu, unfere Schuhe zu fäuberu 
und unfere Kleider zu bärften; Seifert hatte ihn aber noch 
aus einem andern Grunde mitgenommen: denn diefer Bars 
thel war eine komiſche Srape, die uns in den Poſſenſpielen 
vom größten Nugen fein konnte. 

Als wir in die Birtheftube hineintraten, faß da am 
blankgeſcheuerten ſchneeweißen Eichentiſche, der in der Mitte 


126 Abenteuer. 


mit ſchwarzem Schiefer eingelegt war, ein ehrbarer alter 
Bürger, mit einem großen Becher vor fi ven Buchsbaum, 
morin, fehr fauber geſchnitten, zu fehen war, wie der bes 
rauſchte Noab von feinen rüdmärtsgehenden Söhnen mit 
dem Mantel zugededt wird. 

Bir gaben unferm Wegweiſer ein gutes Trinkgeld; er 
verließ uns vergnägt; und raunte uns zum Dante beim 
Abſchiede in's Ohr: der chrbare Bürger dort ift eben. der 
erwähnte Nitter Curt von Knaufdegen; cin Freuzbraver, 
ehrlicher Herr, der viele Fehden in feiner Jugend mitger 
macht bat. Hier im Wirthshauſe mögt Ihr Euch aber auf 
feine Eprficpfeit nicht verlaffen; denn hinter dem Bürger» 
wams ftedt der Ritter, und im hölzernen Becher nicht der 
ſchlechte Wein des Wirths, fondern der treffliche Rebenſaft 
des eben gefehenen Kellers. — Der Wegweiſer ging, Sei- 
fert hatte uns ſchon alles Nöthige gefagt und Barthel feine 
Role begriffen. 

Guten Abend, liebe Gefellen, rief der Nitter uns ent» 
gegen; — wer feid Ihr, mit Verlaub? Etwa fahrende 
Schüler? — Bir find Studenten, die nad) Erfurt gehen, 
um da unfere theologifhen Studien fortzufeßen, antwortete 
Seifert mit ernfter Höflichkeit. — Nun, das ift hübſch von 
Euch, verfegte der dlte Herr, — ich freue mic immer, 

*junge aufgewedte Leute zu fehen, die fi auf die fhöne 
Kunft der himmliſchen Wiſſenſchaft legen, melde” ung der 
unſterhliche Luthet von allen Auswüchfen und Zufägen ge⸗ 
reinigt bat. 

Bei dieſen Worten des Nitters mandelte mi nad 
Gewohnheit gleich eine große Luft an, mid als Enkel des 
feligen Doktors zu produciren; ein Blid aber auf Seifert, 
dem von einem foöttifhen Lächeln und leiſem Kopfſchütteln 


Abenteuer. 127 


begegnet ward, weil er mir in der Seele las, band mir 
die Zunge. — Ia, licher Herr, ſprach Seifert hurtig, weil 
er immer fürdhtete, ich werde mit meiner Entdedung der 
Verwandtſchaft herausrüden; von jeher haben ja Adel und 
Geiſtlichteit zuſammen gehalten. — Doc, rief der alte 
Nitter, — iſt der achtbare Bürgerftand auch nicht zu ver⸗ 
achten. — Diefer, erwiederte Seifert, hat eigentlich die Re⸗ 
formation begonnen; fie ift aus feinem Schooße entfprun« 
gen. Drauf das ernfte Geſpräch damit abbrechend und ſich 
zu Bartheln kehrend, frug er ihn lachend: Nun, wie geht's 
Meifter -Bartel? Bit Du noch immer fo müde? Du 
moͤchteſt Dich mohl jeßt gern an einem guten Trunfe la- 
ben? Der alte Weinkeller droben am Berge mit den ver» 
fallnen Stufen und der roftigen Thür bat Deinen Durft 
noch ftärfer erregt! Nicht wahr? — Der alte Weinkeller? 
fiel ihm der Ritter in's Wort. — Ia wohl, verfeßte Sei⸗ 
fert. Ich habe freilich dem Menſchen gefagt, dag es da 
nicht geheuer fei, und er fürchtet ſich fonft vor Gefbenftern, 
mie die Weiber vor Spinnen. Eein Baud) geht ihm über 
alles, wie Ihr ſeht; und wenn er nur guten Bein faufen 
Bann, fo verfhriebe er ſich, glaub’ id, gern dem Teufel 
mit Leib und Serle. — Ja, ſprach der alte Nitter, der 
gleidy merkte, Seifert wolle den Bauer aufziehen, freilich 
iſts da nicht geheuer. Haft Du nie etwas von diefem Wein ⸗ 
keller gehört, mein Freund? — Nein, antwortete Barthel, 
dumm fiftig, möchte aber für mein Lehen gern ein Wort 
davon erfahren. — Vor hundert Jahren, ſprach der Nit- 
ter, ging ein chen fo verwegener Gefell, wie Du, den 
Zrümmern des alten Weinkellers vorbei. Er traf den Ein- 
gang zu einer unterirdifhen Ereppe, melde gar Keil ſchien, 
fo dag.er hinabſtieg, und in einen anſehnlichen Keller 


128 Abenteuer. 


gelangte, an deſſen beiden Eeiten er große Faͤſſer gereihet 
fah. An den vorderften mangelten weder Hahn noch Krahn, 
und als der Bürger vorwigig umdrehte, fah er mit Ber» 
munderung einen Wein fliegen, köſtlich wie Oel. Er hatte 
zwei große Krüge mit fi, welche etwa zwanzig Maag fafs 
fen konnten; er war aber nicht dazu zu bemegen, einen 
ſolchen Gang zum zweiten Male zu maden. Nachher hat 
man den Schlüſſel zum Weinkeller in der eifernen Thür 
gefunden; und er bängt noch zum Andenken, groß und 
roſtig an der Wand in diefem Wirchshaufe Denn Fein 
Wagehals hat nachher das Abenteuer gemagt. 

Hat er denn dort Geifter gefehen, frug Barthel ſehr 
andaͤchtig. — Freilich mag er folh Zeug da gefehen haben, 
antwortete der alte Ritter. Man ſagt, dag Gefpenfter 
ihm dort feinen Tod vorherverfündigt Haben; aud fol er 
nachher wirklich geftorben fein. — Wie lange mag das 
wohl her fein? frug Barthel. — Hundert Jahre, erwie⸗ 
derse der Nitter. — Dann ift es eben Fein Wunder, daß 
er geftorben ift, rief Barthel. Ich hätte große Luft, dus 
Abenteuer auch mal zu verſuchen. — Das dat’ ih! flür 
fterte Seifert dem alten Knaufdegen in’s Ohr: denn diefer 
Kerl ift der größte Trinker in der Chriftenpeit! 

Der alte Ritter nahm Seiferten zur Eeite, entdedte 
ſich ihm, und geftand, dag cr mit dem Dicbauche einen 
Schwank vornehmen möchte; wir Andern wurden mit in’ 
Epiel gezogen, und die Pofle begann, 

Der alte Nitter fandte eilig hinauf zur Burg, um 
das Nöthige zu holen und einzurichten. Drinnen in der 
Bildung fanden wir brennende Lichter und einen kleinen 
Tiſch mit ſchwarzer Schiefertafel und Griffel, Gleich Berg ⸗ 
leuten oder Kobolden kleideten wir uns in ſchwarze Ueber⸗ 


Abenteuer, 129 


röde, und bededten die Köpfe mif Iedernen Mügen. Kaum 
waren wir damit fertig, fo erſchien Barthel. Wir hatten ” 
unfere Lichter in eine Zelfenfluft gefeßt, damit er fie beim 
Eintritte nicht gleich gewahr werde. Mit einer Hornleuchte 
in der einen und einem großen Eimer in der andern Hand, 
trat er ganz erſchrocen herein, und fein Wegweiſer verließ 
ihn an der Thüre. 

Barthel ſpielte feine Role gut. — Hier ftehen freilich 
Namen genug mit ſchwarzen Buchftaben auf weiße Schilde 
fauber geſchrieben, ſagte er; das find mir aber lauter ſpa⸗ 
nifhe Dörfer, denn id bin der edeln Kunft des Buchſtabi⸗ 
rens nicht mächtig. Was thu' ic) jeßt? Vielleicht zapf' ich 
aus der ſchlechteſten Tonne, und id möchte für mein Leben 
gern vom beften haben. 

Sapf aus dem Orboft, das Du mit der Hand bes 
rührft, donnerte mit hohler Stimme der alte Ritter, aus 
der Dunfelpeit hervor, der ift gut. — Barthel zitterte, daß 
ihm beinahe das Lit in der Leuchte umgefallen wäre, 
faßte ſich aber ſchnell, machte einen tiefen Büdling gegen 
alle vier Weltgegenden, und ſprach: Dan’ Euch, gnädige 
ſter Herr Geift! Jetzt ſeh' ih, dag Ihr es mit mir ehrlich 
weint. 

Bei diefen Worten war der alte Nitter Willens wieder 
ein großes Gebrüll hören zu laffen, aus Furcht aber, der 
Bauer werde ihm im feiner Angſt zu viel Wein auf den 
Boden verſchütten, nnterließ er es. 

Bäprend uns Barthel den Rüden kehrte, hatten wir 
Zeit genug, in aller Gemaͤchlichteit zu erſcheinen; und als 
er ſich endlich wieder umdrehete, um mit dem gefüllten Gis 
mer wegzugehen, faßen die ehrmürdigen Greife: (id, Sei⸗ 
fert und ein dritter Schüler) in Bergmannstraßten, mis 

Dedienſ. Schriften. XVL 


190 Abenteuer. 


langen weißen Ziegenbaͤrten, am Tiſche, die Schiefertafeln 
vor ſich, und fperrten ihm den Weg. 


Iept follten wir orafelmäßig fprehen und da hatten 
wir denn Gelegenheit, die Gutherzigeit des alten Nitters 
wahrzunehmen. Macht's nur nicht zu arg! flüfterte er uns 
ins Ohr, — hat man doch vorher gefehen, daß ein armer 
Tropf bei folder Gelegenheit vor Schrecken in Ohnmacht 
gefallen ift, ja mohl gar den Geift aufgegeben hat. — 
Zürctet nichts, ermiederte ihm Seifert leife; diefer Kerl 
bat feinen Geift aufzugeben. Wie lange, Bruder, frug er 
mich jegt laut mit verftellter bobler Stimme, meint Du 
wohl, dag diefer unverfdhämte Schmeerbauch, der uns den 
Bein vor der Nafe wegftiehlt, noch Ichen, fteblen und 
zechen werde? — Sehr kurz, war meine Antwort, fehr 
kurz wird er noch — (Barthel zitterte) — Wein trinken, 
verfegte ih. Das Verhänguiß bat ihm feinen Tod in Bier 
und Branntwein angemiefen, und zwar nicht vom beften. 


Ach, lieber Himmel, rief Barthel vergnügt, das ift ja 
die Hälfte mehr von Glüdfeligkeiten und Herrlichkeiten, als 
ein armer Bauer zu hoffen wagte, Dank Euch, liebe un« 
ſichtbare Herrihaften, und gnädige Gefpenfter, mer Ihr 
auch feid, für den fhönen Bein und die höflihe Prophe⸗ 
zeifung. Denn follte ih aud den Kummer erleiden, in 
meinen alten Tagen mit Bier und Branntmein vorlieb zu 
nehmen, fo weiß ic doch aus Erfahrung, dag man ſich 
auch in diefen geringeren Sorten ganz ordentlich betrinken 
Kann. Seid Ihr felige Geifter, fo wünfd ih Euch, dag 
die Seligkeit bis zum jüngften Gericht fortdauern möge! 
Seid Ihr aber verdammte, fo if das gewiß nur aus Irr« 
thum geſchehen! Der liebe Gott wird ſich Eurer erbarmen 


Der Ritter und fetn Burgtaplan. 131 


und Eud) wieder aus diefem Arreſte befreien, obſchon ein 
guter Weinkeller eben kein ſchlechtes Gefängnig iſt. 

Drauf wollte er fi) aus dem Staube maden; damit 
er aber doch nicht durch die gräulichen Gemaͤcher des Jam⸗ 
mers und Höblen des Elends auf lauter Nofen tanzen 
‚solle, Töfpten wir die Lichter, und verfolgten ihn heulend 
mit Kardatfchen in der Dunkelheit zur Thür heraus. 

Der alte Ritter lachte fo herzlich, Daß ihm die Thrä, 
nen in die Augen traten, nahm von uns Abſchied, weil es 
Mmät war, und Iud uns ein, Morgen um zehn Uhr bei ihm 
auf der Burg zu effen. Bir cilten nach dem Wirthshaufe, 
trafen unfern Barthel da, mit dem Weineimer, ließen ung 
das Abendbrod gut ſchmecen, und tranfen im edien Weine 
des edeln Ritter Curt von Rnaufdegens Gefundbeit. 


11. 
Der Nitter und fein Burgkaplan. 





Wie freute es mid am folgenden Morgen, mit meis 
nen luſtigen Gefellen den Fels zu befteigen und in die alte 
Nitterburg zu treten. 

Man brachte uns dur ein Borzimmer und durd den 
ſchonen Nitterfaal in das Wohnzimmer des alten Ritters, 
Sein Burgtaplan ftand neben ihm, diefer hatte eben ein 
Schreiben für feinen Herrn vollendet, und der alte Held 
ſtieß feinen Schwerttnopf, worein fein Wappen gegraben 

9° 


132 Der Ritter und fein Burgkaplan. 


mar, in den an der Urkunde hängenden Wagellumpen 
Daraus nahmen wir nun ab, daß der edle Nitter nicht 
ſchreiben fönne. 

Gr grüßte uns freundlich, und frug, als er ſich umge 
fehenzhatte: Warum habt Ihr den Barthel nicht mitgee 
nommen? Edler Herr, antwortete Seifert etwas empfinde 
lich, er ift unfer Knecht, unfer Aufmärter! wir dachten 
nicht — IM er doch geftern Hauptafteur im Schaufpiele 
geweſen, fagte der alte Ritter launifh; und mit einem 
taum merklichen Stirnfalten, id dädıte, wir fähen heute 
nicht gar zu fireng auf den Rang. — Wenn es fo gemeint 
iſt, antwortete ich, mit einer nadläffigen Verbeugung, fo 
danten wir für die ung zugedachte Gnade, und wollen weis 
ter ziehen. — Nun, nun, mein junger Epringinsfeld, 
forady der Nitter gutmüthiger, Du bift mir auch verfluht 
kurz angebunden. — Ihr_feid Etudenten — Theologen — 
gelehrte Herrn — da muß ein alter Ritter Reſpekt haben. 
Seifert warf mir einen ſpoͤttiſchen Blick zu, ſchüttelte den 
Kopf, und ſprach: Nehmt unferm Freunde, Herrn von Zus 
ther, feine jugendliche Aufwallung nicht übel, Herr Nitter. 
— Herr von Luther? ſprach der alte Ritter, das adeliche 
Geſchlecht kenn' ich nicht. — Eeifert, ſprach ich, indem ich 
ihn am Rocarmel in eine Ede zog, fals Du noch ein fol- 
des Wort ſprichſt, fo geh’ ih zur Thür hinaus, und Du 
haft mic zum legten Mal gefehen. — Vergebt, Herr Rit⸗ 
ter, verfeßte Seifert ehrbar und gelaſſen — das ift nur 
ein Scherz unter uns jungen Leuten; wenn es Euch be- 
liebt, wollen wir gern ſogleich den Barthel holen laſſen. — 
Er kann ja bei Tiſche mit aufwarten, ſprach der Herr von 
Knaufdegen und wißt Ihr was? Ein beſſeres, reinlicheres 
Kleid follte er doch billig anziehen; wenn Ihr nichts dage- 


Der Ritter und fein Burglaplan. 133 


sen habt, will ih ihm ein funfel nagelneues Narrenkleid 
geben, das der felige Narr meines hochſeligen Herrn Ba- 
ters nur drei Mal am Leibe trug, ch er ſtarb. Es hat 
zwanzig Jahre im Kleiderſchrank gelegen, und ift, wenn es 
gut ausgeftopft und ausgelüftet wird, noch wie neu. Das 
wird ihm fchön ftehen. Ich hoffe, er wird gegen den Fuchs ⸗ 
ſchwanz, die Schelle und die Efelsohren nichts einzuwenden 
haben. Nicht im mindeften, antwortete Seifert. Gleich 
ward nad) dem Barthel in's Wirthehaus gefhidt. 

Während der alte Ritter einen Knappen rief und ihm 
auftrug, den Brief zu beforgen, ließ er den Burgfaplan 
fi) mit uns unterhalten. Wir merkten wohl, er fole ung 
auf den Zahn fühlen, wie meit es mit unferer Gelchriam- 
feit Her fei. Der Kaplan aber war feloft ein fehr unwiſ⸗- 
fender Menſch, der vorher Moͤnch gewefen, und zum Zus 
therthume Übergangen war. Als Seifert ihm mit feinen 
Ioteinifhen Broden zufeßte, verlor er beinahe Nafen und 
Ohren, und damit wir feine Armfeligteit nicht verrathen 
möhten, überhäufte er ung mit den größten Lobeserhebune 
gen, als der Nitter zurüd kam. — Nun, das freut mic, 
rief diefer vergnügt, daß Ihr hoffnungsvolle Jünglinge 
feid! Jet wil ich Euch au) meine Burg zeigen, während 
der Tiſch gededt wird. 

Drauf führte der alte Herr ung berum; mir befticgen 
die Burgzinnen und faben weit über Wald und Thal 
hinaus. — Bir mußten mit ihm die gefährliche Ringmauer 
befteigen, und ummandern. Wer da in die Ziefe hinunter 
gefallen wäre, hätte an dem Tage fein Mittageffen befom- 
men. Drauf befahen wir die Gemäder, er öffnete den 
Waffenſchrank, wo noch fteinerne Beile und Aſchenkrüge der 
alten Thüringer aufbewahrt wurden. Schöne Harnifhe, 


134 Der Ritter und fein Burglaplan, 


Helme und Schwerter hingen in bunten Reihen. Bas uns 
aber das meifte Vergnügen machte, war eine volftändige 
Sammlung von allerlei Trinfgefhirren aus Gold, Silber, 
Holz und Elfenbein. Aus allen mögligen Geftaltungen 
konnte man trinfen: aus Schiffen, Windmühlen. Wein 
trauben, Dfauen, Affen, Pfaffen, Nonnen, Hirfhen, 
Schweinen. Der alte Ritter gab uns die Wahl, ſelbſt die 
uns beliebigen Trinkgeſchirre auszuſuchen. Wir wählten 
einige ſchlichte grüne Gläfer mit Weintrauben verziert. — - 
Da habt Ihr gut gewählt, rief der alte Ritter. Rhein⸗ 
wein muß man aus grünen Gläfern trinken, und das alte 
Seug da ift mehr zum Spaß als zum Gebrauch, denn wer 
Teufel möchte aus Windmuͤblen, Mönden und Nonnen 
zechen, wenn man Gläfer bat? 

Als wir in’s Sveiſezimmer traten, war das Eſſen 
ſchon aufgetragen, meift nad) alter Art Geräuchertes, Ges 
pfeffertes und Gefalzenes; doch ftand auch ein großer ge⸗ 
bratener Kapaun vor dem Burgfaplane, der, die Nodärs 
mel auffrämpend, mit einem großen Vorſchneidemeſſer in 
der Hand, ſich bereit machte, das Tier zu zerlegen. Der 
Kaplan ſchien jet recht in feinem Elemente zu fein; drei 
Bediente ftanden hinter den Stühlen, und unter ihnen 
Barthel ganz ehrbar als Hanswurſt angezogen, mit den 
berabhängenden Eſelsohren und einer Serviette unter dem 
Arme. Benn er fid) mitunter bewegte, klingelte die Schelle 
hinten im Fuchsſchwanze, als wenn ein Meiner Humd im 
Simmer wäre: das machte ihn aber blöde, und er blich 
deshalb meiftens auf einem Flec ftehen. Der Ritter grüßte 
ihn ernft, mit einem freundlichen Niden, und nach feinen 
Beiſpiele taten wir Ale, als wenn gar nichts Ungewöhn- 
liches vorfiele, 


Der Ritter und fein Burglaplan. 135 


Als der Kaplan das Tiſchgebet mehaniih hergeſagt 
hatte, fiel er über den Rapaun her, begann vorzuſchuei- 
den, und rüdte nun nach und nach mit allen den Schwän 
fen und Einfällen heraus, die in des Barfügers Frater Io 
bannes Pauli Sammlung zu leſen find. Doc hatte er zu⸗ 
weilen auch ſelbſt drollige Einfälle, und es war zu bemer ⸗ 
ten, wie der alte Nitter, der vermuthlich ale Tage dieſe 
Hiftörpen wieder verbauen mußte, fib verwundert und 
überrofät dabei ftellte, als wenn er es zum erfien Male 
hörte, und zum Mitlachen aujfordernd, uns ſtarr in die 
Augen fab; alles, um feinen Kaplan in's günftigfte Bicht 
iu fielen, und uns ein Vergnügen zu maden. 

Könnt Ihr wohl auch einen Kapann zerlegen, Water 
Gotthold? frug cr den Kaplan ſpoͤttiſch, der Idr fo ver⸗ 
wegen mit dem blinkenden Eifen in der Hand ftehet. Frei⸗ 
lich, antwortete der Prediger, fteht im Tranchirbucht, muß 
man, um gut tranchiren zu können, primo von Adel fein, 
secundo Gourage haben; mit den Kapaunen hab’ ih aber 
immer noch Muth genug anzubinden. — Und mit diefen 
veraͤchtlichen Gefbönfen mag ſich doch felbſt nicht das furcht - 
ſamſte Weib einlaſſen. weil ihnen fo ganz die Waffen man- 
geln, verfepte der Nitter. — Die Weiber verachten diefe 
Tptere ans Eiferfuht, ſprach der Kaplan, weil beide Die- 
tant fingen und Soprawifen find. Ihr fürstet vielleicht, 
Herr Ritter, verfeßte er, daß ich diefen Braten fo verſchnei⸗ 
dem werde, wie der Beichtiger weiland beim Edelmanne. — 
Run, wie that denn der? frug der Ritter uns neugierig 
anblidend, und wir merkten fehr gut, dag er die Geſchichte 
auf den Zingern wußte. — Gr fdmitt dem Kapaune dem 
Kopf ab, ſprach Herr Gotthold, und legte ihn dem Edel» 
manne vor, weil ihm als Haupt des Geſchlechts folder mit 


156 Der Ritter und fein Burgkaplan. 


allem Rechte gebühre; dann befam die Edelfrau den Kra- 
gen, weil fie dem Haupte am nädıften fei; die Flügel wur⸗ 
den den Töchtern zu Theil; weil die Mädchen mit ihren 
Sinnen hin und her flattern. ‚Den Söhnen gehörten die 
Schenkel, als Stügen des Haufes, weil auf ihnen das Ge- 
foleht ruhete. Den ungeftalteten Klumpen aber behielt 
der Pfaff für fih, weil er ſelbſt fo ein Rumpf ohne Kopf, 
Kragen, Flügel und Schenfel fei, 

Der Nitter late, füllte unfere Gläfer, und erzählte 
dem Herrn Gotthold, er habe uns heute die Eeltenheiten 
der Burg gezeigt. — Sie waren doc) gewiß nicht fo groß, 
als die drei Seltenheiten zu Leipzig, fagte der Kaplan. — 
Bie waren denn die? fragte der Ritter. — Die Mönche 
vertauften dort das ganze Jahr hindurd Korn — verfegte 
jener — und hatten Reine Aecker; führten große Gebaͤude 
auf, und waren Barfüger ohne Geld, zeugten alle Jahre 
viele Kinder und hatten keine Weiber. — Unfere Fremde 
baben aber noch nicht die Kapelle gefehen, fuhr der Nitter 
fort: da müßt Ihr ihnen das fhöne Altarblaft zeigen. — 
Es kommt darauf an, ob fie den Herr-Gott lieber todt 
oder Iebendig fehen wollen, antwortete der Kaplan: «8 
möchte mir fonft mit ihnen gehen, wie dem Maler mit den 
drei Bauern. — Wie ging es denn ihm? frug der Ritter. 
— Der Kaplan wollte eins dazwiſchen trinken, da er aber 
zu eilig war, um wieder erzählen zu Lönnen, gerieth ihm 
der Bein in die unredhte Kehle: er huſtete entfeßlih, ward 
erft dunkelroth, dann veilchenblau im feiften Geſichte. und 
konnte lange nicht wieder zu Athem kommen. — Geifert 
benutzte diefe Paufe, ergriff das Wort und ſprach: Erlaubt, 
Herr Nitter, dag ich die Geſchichte erzähle, während der 
Herr Paftor ſich wieder erholt; ich habe fie auch bei Frater 


Der Ritter und fein Burgkaplan. 137 


Johannes Pauli gelefen. Der Maler frug, ob fie einen 
todten oder lebendigen Chriſtus am Kreuze haben wollten? 
— Lieber Meifter, antworteten die Bauern, malt uns einen 
Iehendigen! Gefällt er ung nicht, konnen wir ihm ja nach⸗ 
ber immer todtſchlagen. 

Mag ich doch ſolche luſtige Geſchichten gar gern bören, 
ſprach der alte Ritter. — Gewiß, erwiederte Seifert, zur 
Abwechslung mag es ganz gut fein. Nur dürfen ſolche 
Anefdoten nicht zu häufig auf einander folgen, font könnte 
man fi eben fo gern allein auf fein Zimmer mit einem 
alten Vademecum in der Hand hinfeßen. — Das ift nicht 
zu läugnen, ſprach der Nitter, beſſer iſt es wenn man 
ſelbſt einige gute Schmänfe erfinden ann. — Dann muß 
man aber auch Ernſt mit Scherz abwechſeln, verfepte Sei . 
fert. Das ewige Scherzen und Spotten entſteht aus Kälte, 
Stolz, Eitelteit und Mangel an ernfter Theilnahme. Es 

iſt eine Art von Parforcejagd, modurd das edle Thier des 
Biges zuleßt keuchend erliegen muß, bis es fi verblutet. 
Auch habe ich ftets gemerft, dag etwas Unfreundliches in 
dem biegen ununterbrohenen Spatzmachen liege. Man 
ſcherzt, weil man der Geſellſchaft nicht genug traut, ihr 
fein Gemüth aufzuthun: Auch folgt auf das entſetzliche 
Lachen immer ein leeres Schweigen, wo man fid verlegen 
anfieht und micht weiß, was man wieder anfangen folle. 
Und wenn man endlich nad folden witzigen Spöttereien 
aus einander geht, hat man immer im geiftigen Munde 
einen faden Nacgeſchmack, wie Leute, die zu viel Saures 
auf einmal gefoftet haben. — Ihr habt Recht, Freund, 
forad der alte Ritter, dergleihen mug von ſelbſt kommen, 
und nicht immer wiederholt werden. — Barum, verfeßte 
Seifert, war der Hofnact, der Hanswurft immer mit allem 


18 Der Ritter und fein Burgkaplan. 


feinem Wige, mit fammt der augenblidlihen Bewunde- 
rung, ein verachtetes Gelhöpf? Beil er ein Diener war, 
der von feinem Brotherrn abhing? Keinesweges! das thar 
ten die ernten Anappen au, und wurden nicht verachtet. 
Nein, weil er Profeffion von dem Spotte und dem Spaße 
machte; weil er Scherz trieb, nicht aus Liche zum Ernte, 
zur Wahrheit, fondern aus Eitelteit, aus Verachtung und 
Kälte gegen die Welt. Er war mit fammt feinem aufge 
wedtem Kopfe ein egoiftiiher Flegel! — Das Luftigfeinfole 
len ift immer ein jämmerlid Ding! Davon giebt uns heute 
unfer armer Barthel einen einleuhtenden Beweis. Geftern 
war er aufgeräumt, als er noch im Bauerntittel fat; jept 
da er den Habit des Spaßmachers angezogen bat, ift er 
tleinlaut. fteht mit der Serviekte unter dem Arm, mie ein 
wahrer Tropf, und fieht mit feinen herabhängenden Eſels⸗ 
ohren einem wirklichen Eſel nicht unäbnlic. 

Bei Gott, das ift wahr! rief der Nitter. Gebe bin, 
Kerl, und ziehe Deinen alten Wamms, und Deine alte 
Laune wieder an. Steht er nit da, mit dem erbärmli- 
hen Geſichte und mit gefalteten Händen, wie ein Sünder 
im Beichtſtuhle, der feinen Fuchsſchwanz felbt gern dem 
lieben Herr» Gott verbergen möchte. In der That, das 
ernfte Fratzengeſicht zwingt mid) zum Laden. 

So bab ih doch als Schallsnarr meinen Beruf cr» 
füllt, ſprach Barthel troden, indem er abging. 

Der Bayer bat mid) geftern köſtlich unterhalten, ſprach 
der Ritter Ich glaube, es könne ein ganz guter Komödiant 
aus ihm werden; erwiederte Seifert: Lieht Ihr etwa Schau⸗ 
ſpiele, Herr Ritter? — Frage. ob ic) fie liebe? antwortete 
der alte Heer; wie betomm’ ich aber ſolche Herrlihteiten in 
meinem abgelegenen Nefte zu fehen. Ic war mal in Dres» 


Der Ritter und fein Burglaplan. 139 


den bei einem Faſtnachtsſpiele, und hab’ mir dort faft die 
Augen ausgelacht. Es geht mir aber ein Licht auf!’ Ihr 
feid fahrende Schüler, feid Ihr etwa auch — es muß cum 
grano salis verftanden werden, erwiederte Seifert. — Grano 
ealis, wiederholte der Nitter, fih zum Kaplan kehrend, der 
ganz mürriſch und ſtill faß, weil er feine Anekdoten mehr 
erzählen durfte — was ift grano salis, Kaplan? Ohne 
ein Wort zu ermwiedern, deutete der Kaplan auf das vor 
ihm ftebende Salzfaß, und Seifert verfeßte: Wir find ehr- 
liche Leute und wohlftudirte Studenten, wie Euch der Herr 
Paſtor gefagt haben wird, gedenken andı unfere Studien 
mit allem Ernfte, Eifer und Fleige fortzufehen. Die Ju⸗ 
gend liebt aber Heiterkeit und Vergnügen. Wenn es alfo 
Eurer ritterliben Gaftfreigeit gefallen follte, mit unfern 
fhülerifhen Verſuchen in einer fhönen Kunft, welde Ari» 
ftoteles und die Griechen fo hoch fhäßten, vorlieb zu 
nehmen. — 

Mein Seel, das ift Herrlich, rief der alte Nitter, nicht 
wahr, Kaplan? Komödianten, ſprach der Geiftlihe mit 
Nafenrümpfen — ba, jept begreif ih, warum die Herrn 
allein ſprechen wollen; nur ſeh' ich nicht ein, was fie denn 
fo viel gegen den Hauswurſt und die Narrentheidigungen 
einzuwenden haben. Auf den Brettern, lieber Herr Paftor, 
ſprach Seifert, Haben wir nichts dagegen, nur gebt es und, 
wie andern Handwerkern, die feine Böhnhafen, beſonders 
am unrechten Drte fehen wollen. Uebrigens, fehte er vor- 
uehm hinzu, ſpielen wir nur, um unfere wiſſenſchaftlichen 
Talente zu entwideln. Bir fügren lateiniihe Komödien 
auf, auch Stüde, die in der Mutterſprache gedichtet find. 
Beliebt es Eud vielleicht, einige lateinifhe Dramen des 
unſterblichen Plauti oder Terentii zu ſehen? 


140 Der Ritter und fein BSurgkaplar. 


Nein, nein, rief der Ritter, deutſch, lieber Junge, 
deut; damit wir es alle verftehen Lönnen. Id mil fo 
viel Leute ans dem Städtchen dazu einladen, als der Rit⸗ 
terfaal faffen kann. Vieleicht beliebt es Euer Geftrengen, 
die gräulice Tragödie vom weltberühmten Doftore Fauſto 
zu fehen, nebft einigen Hans Sachsſchen Nachſpielen, worin 
vielleicht aud Barthel mit Erfolg auftreten könnte? — Ia, 
ja, ſprach der Ritter, das ift gut, das ift fhön. 

So werden denn aud Euer Geſtrengen uns gütigft 
vergeben, verfegte Seifert, ſich ernft verbeugend und uns 
einen ſchlauen Blick zumerfend, dag wir Euch fhon geftern 
Abend Proben unferer Fähigkeiten abgelegt, und Euch eis 
nen Schwank vorgefpielt haben, um unfere Gaben zu fols 
hen Vorftellungen zu beweifen, damit-Ihr nicht die Katze 
im Cad kaufen folltet. — Wie denn? rief der Nitter halb 
zornig, habt Ihr geftern mit mir Komödie gefpielt? Bor 
Euch Komödie’ gefbielt, ſprach Seifert, ſich ebrerbietig ver- 
beugend, — Und der Bauernlümmel? — Wäre hei weitem 
nicht fo drollig gemefen, fiel Seifert dem Ritter in's Wort, 
wenn er fd, wirklich, gefürchtet hätte. 

Bei diefen Worten entftand draußen ein erftaunlicer 
Lärm. Die drei Bedienten ftürzten mit blutigen Nafen 
herein, und Magten den Barthel an, daß er fie geprügelt 
babe, weil fie ihn einen Schaltsnarren geſcholten. 

Scyämt Euch, rief der Nitter: drei ſolche Wichte, die 
Nitterfnappen fein follten, laſſen ſich von einem einzigen 
Bauer prügeln? Jetzt ſeh' ich, daß Barthel ein ganzer Kerl 
ift, tam in marte, quam in arte, wie die Gelehrten ſa⸗ 
gen; und id habe Euch feinetwwegen verziehen. Mein Burg- 
vogt fol Euch Schirmbretter verſchaffen und übermorgen 
foäteftens muß ein Stück im Nitterfaale aufgeführt werdeu. 


Die Tabuletfrämerin. 141 
Der Kaplan wendete ein, daß die fhöne Hauteslice dabei 
Schaden leiden könne, Ohne fid) aber an feine Einwen« 


dungen zu fehren, fand der Ritter auf, und lud uns ein, 
ihn auf die Jagd zu begleiten. . 


12. 


Die Tabuletfrämerin. - 





Wie Seifert, durch Hülfe des Burgvogts, fo ſchnell 
im Saale eine Schaubũhne errichten konnte, weiß id nicht: 
ich hatte für mid) volauf zu thun, weil id die Hauptrolle 
in einem Stüde, der verlorne Sohn, fpielen folte. 
Theils hatte wohl Seifert nicht Zeit, den erſten Abend 
mitzufpielen, weil er zugleich Direktor und Mafcinenmeir 
Rer war, theils babe ich ihn im Verdacht. dag er mich als 
Folie für den Diamant feines Genies brauchte, damit man, 
wenn ich mid) vergeblich bemüht hatte, feine Kunft nad 
Verdienst ſchaͤhen folle. J 

Er batte aber diesmal die Rechnung ohne den Wirth 
gemacht, denn ih erhielt außerordentlihen Beifall. Ich 
war ein recht hübſcher Junge; und der Schaufpieler, der 
diefen Vorzug bat, fpielt immer den Weibern zu Dante. 
In meiner Pracht und Herrlichteit erſchien ich im erften 
und zweiten Akte keck und verwegen genug. Nachher im 
dritten, als ich mit den Echweinen aus einem Zroge zu 
freſſen Hatte, ging ich Freilich micht mehr fo ſtattlich in 


142 Die Tabuletträmerin. 


Kleidern einher. Die phantaftifhe, zwar etwas zerriffene, 
aber doch nicht weniger huͤbſche Schͤfertracht kleidete mich 
noch beſſer; Frauen und Maͤdchen hatten ein rechtes Mit⸗ 
leid mit meinen nackten Armen und Beinen, und weinten 
herzlich, als der grauſame Vater den verlaufenen Herrn 
Sohn nicht ſogleich wieder zu Gnaden annehmen wollte. 

Als ich aber in langen langweiligen Knittelverſen Beſ⸗ 
ſerung verſprach, mid dem Vater zu Zügen warf, und 
don ihm wieder in die Arme geſchloſſen ward, entftand ein 
entſetzliches Naſenſchneutzen, und des Händeflatfchens war 
kein Ende. Die Iufige Perfon, der Schweinhirt, ward 
gar nicht beachtet. Nur einige alte Männer lachten über 
feine Späge, unter diefen der Ritter felbft, der feine Vor⸗ 
liebe für Barthel, der den Schweinbirten fpielte, nicht 
verläugnen konnte. 

Ich wae fehr vergnügt, und als’ ich nad geendigtem 
Spiele Seiferten hinter der Bühne traf, drüdte id ihn 
brüberliher, zugleich aud) kecker an’s Herz als je. Er em 
pfing meine Liebtofungen ziemlich froftig, und erwiederte 
blos: es freue ihn, dag mir aud) unter Leuten Glück mar 
hen könnten, die ſich auf die Kunft gar nicht verftänden. 
Das hätte ih nun übel nehmen follen, ich Hatte aber feine 
Zeit, mid) bei ihm aufzuhalten. Es follte draußen in einer 
Scheune gegeflen werden; eine lange Tafel mit Bünfen 
fand fhon bereit. Doc nach dem Eſſen verlangte mic 
eben nicht, obſchon ich mich als verforner Sohn tüchtig an« 
gegriffen hatte. Unter den Zuſchauern hatte ich ein ſchönes 
Mädgen entdedt, deren blaue ſchmachtende Augen immer 
auf mid) gerichtet waren, fo daß fie mic) ein Paar Mat 
während des Spieles beinabe aus der Faflung gebracht 
hätten. Ihr ſchwarzes rothgeſaͤumtes Mieder und die weiße 


Die Tapuletträmerin. 143 


Leinewand, die ſich ehrbar an den Leimenden Bufen flog, 
die Herabhängenden gelben Flechten, und das kleine Käpp- 
hen von Goldftoff mit geftreiften Spitzen, das ihr den Hin« 
terfopf bedecte, ohne die vorn gefceitelten Haare zu ver⸗ 
bergen, Meideten fie vorzüglid gut. Man fagte mir, fie 
fei die Tochter eines herumziehenden Krämers. Ich hatte 
fie gleih nah dem Schauſpiele mit einem Käfthen voll 
Spigen zu der alten Burgvögtin im obern Stode hinauf 
geben feben, und kannte bereits das Haus fo gut, daß ih 
mußte, ich würde ihr, wenn ich mich beeilte, auf einem lan« 
gen halbdunfeln Gange begegnen. Mit klopfendem Herzen 
und zitterndeu Knieen fprang id) die Treppe hinauf. Ich 
harte nicht Lange gewartet, fo hörte ic eine Thüre öffnen, 
und erkannte die leichte fhöne Geſtalt, welche ſchnell durch 
den Gang zurück kam. Ein noch gewaltigeres Herzklopfen, 
ein ſtarkes Gefühl fagte mir, daß ih den Augenblick ber 
nugen müffe, wenn er nicht auf ewig verloren gehen folle. 
Daß das Mädchen mir gut war, hatte ich deutlich ger 
mertt. 

Als ihr im dunkeln Gange ploͤtzlich Jemand aufftieg, 
konnte fie ſich, uüͤberraſcht, eines kleinen Schreies nicht er» 
wehren, Ich ergriff aber zitternd ihre fhöne Hand! und 
ſtotterte Teife: Um Gotteswillen, liebe Mamfell, ſchreit 
nicht, lärmt nicht! Ich din es! Der verlorne Sohn ftebt 
vor Euch. — Mit diefen Worten zog ic fie bin zu der 
mattbrennenden Lampe, damit fie mid, und ich fie fehen 
könnte. — Ad Gott, lieber verlorner Sohn, feld Ihr da, 
ſeufzte fie freundlich, und drüdte mir heftig die Hand. Im 
Nu lagen wir einander in den Armen. Ihr Mund, ihre 
Hände. ihr Hals und Naden wurden von meinen Küffen 
bededt, die fie ſchweigend und häufig erwiederte. Es war 


144 Die Zabuletfrämerin. 


ein berrliger Augenblick. Liebe war es noch nicht, allein 
Verliebtheit im edleren Sinne, ohne Eitelteit, Verführung 
und Sünde. 

Gott weiß, wie lange wir ned, als Amor und Pſoche 
im dunfeln Gange ftehen geblieben wären, hätte nicht die 
alte Burgvögtin ihre Mnarrende Thüre geöffnet. Sogleich 
mar mein fhönes fdhüdternes Reh meinen Armen entflo⸗ 
ben. Zaumelnd folgte ih ihr die Wendeltrenpe hinunter. 
An diefem Abende hatte id) noch das bimmlifhe Bergnü- 
gen, ihr zur Seite zu fipen. Ich wagte, ihre Zinger 
eberreichen der Teller zu drüden; das litt fie gedul 
ohne es jedoch zu erwiedern. Als id) es aber magte, i 
Zuß ein wenig zu berühren, zog fie ihn ſchnell an fid, und 
rückte den Stuhl weiter von mir weg. Jetzt ward td une 
gehalten, wollte nicht mit ihr reden, und wandte mid an 
meine zweite Nachbarin. Da fprady fie mir aber wieder 
freundlich zu, ſah mir liebevoll in die Augen, faßte gele⸗ 
oentlich meine Hand, und als id ihren Fuß wicder zu ber 
rübren wagte, drüdte fie den meinigen ganz leife mit der 
Epige des ihrigen. Cine überirdifhe Glut durdftrömte 
meine Adern, und als id ihr in dem Augenblide einen 
Zeller reihen wollte, hätte ich ihr beinahe die kochend⸗heite 
Brühe in den Schooß gegoflen. Seifert aber, der uns 
gerade gegenüber an dem ziemlich fhmalen Tiſche Sag. und 
mit einer fehr bübfchen Frau in ein Geſpräch vertieft war, 
hatte deſſenohngeachtet auch uns im Auge behalten. Er 
bog ſich ſchnell über den Tiſch und ergriff den Teller, als 
er eben im meiner Hand zu ſchwanken anfing. 

Mad) geendigter Mahlzeit ward im Mondfdein, weil 
es noch nit fpät fhien, ein Spaziergang beſchloſſen. Um 
ſchneller nach der Heerftrage zu kommen, gingen wir durch 











Die Tabuletträmerin. 185 


ein Meines Geboͤlz. Hier war eine Heine Mauer zu über 
klettern. Meine Schöne war hinauf gefliegen, und mir 
lag es 05, ihr herunter zu helfen; aus ehrfurdtsvoller Ber 
ſcheidenheit — eigentlid) aus lauter Luft dazu — wagte id) 
es aber nicht, fie um die vollen Lenden zu fallen; ic ums 
ſchloß nur die niedlihen Beine tief an den Knöcheln; das 
durch verlor der Körper das Gleichgewicht, fie wankte, und 
bätte fi gewiß die Stirne auf dem Steinwall zerſchlagen, 
wäre nicht wieder glüdliherweife Seifert, der mit- feiner 
weit ſchwereren Bürde bei weitem nicht fo blöde geweſen 
mar, zugefprungen, und hätte meine ſchwankende Schöne 
gereitet, 

Plagt Dih denn der Teufel, rief er, biſt Du denn 
ganz toll? Willſt Du heute Abend das liche Kind auf alle 
mögliche Arten umbringen? Erſt fie lebendig verbrüben, 
und ihr dann den Kopf an den Steinen zerquetſchen? — 
Ach Gott, liebe Mamfell, feufzte id) kläglich, und küßte 
ihr die Hand, — vergebt! Es ift aus lauter — aus lauter 
— aus lauter — aus lauter Dummbeit gefhehen, rief 
Seifert, indem er und verließ, und wieder feine Schöne 
ſuchte, die die Falten ihrer Kleider ausglättete. Das liebe 
Maͤdchen wußte aber wohl, weshalb ic) mid) fo linkiſch be⸗ 
tragen, und hafte mir von Herzen vergeben. 


Am folgenden Tage war fie mit ihrem Vater im, 


Städten und in der Gegend umher; erft den Tag dar« 
auf Abends fah ich fie wieder, als im Nitterfaale die alte 
Tragödie Doftor Fauft aufgeführt ward. Id fpielte dies 
mal nicht mit, war unter den Zuſchauern, und halte mei- 
nen vlatz fo genommen, daß ich meine kleine Tabuletkraͤ— 
merin während der Vorftellung immer im Auge behalten 
fonnte. Ad wie viel Liebesblicke wechſelten ai nicht an 
ergo Sariften. XVL. 


146 Die Tabuletkrämerin. 


diefem Tegten Abende. Wir machten es aber zu arg, ihr 
Vater merkte Unrath, und als die Vorftellung zu Ende 
war, empfahl er ſich fogleid dem alten Ritter und ging 
mit feiner Tochter fort. Sie wandte ſich noch in der Tpüre 
um, löfte eine Meine rothe Schleife von ihrer Bruft, ließ 
fie fallen, warf mir einen fügen Abſchiedekuß zu und ver- 
ſchwand. 

Id eilte Hin und bemaͤchtigte mich meines Schatzes. 
Noch habe ich die Meine Schleife, fie iſt jehßt farblos und 
unſcheindar. Das holde Kind fah ich nie wieder. 

Nach der Vorſtellung ſpeiſten Seifert und ih allein 
auf unferm Zimmer. Trotz meiner Liebe hatte id) doc in 
einigen aufmerffamen Augenbliden wahrgenommen, daß er 
die Rolle des Fauſt ganz trefflich fpiele; mehrere fhöne Re⸗ 
den, Bilder und Einfälle waren aud von ihm ſelbſt hin⸗ 
zugefeßt; um der Darftelung mehr Leben zu geben, und 
um die Leidenfhaft und den Eharacter gewaltiger und na» 
türlier auszudrüden. Cr begehrte aber gar nicht mein 
Lob, auch machte er ſich nichts daraus, daß der alte Rit⸗ 
ter und die ganze Gefellfhaft den Barthel als Casperl un 
terhaltender als ihn in der tragifden Perfon als Doctor 
Fauſt gefunden hatten. 

Ic habe mic ſchon Tange daran gemöhnt, die Gleich- 
„güftigkeit und Unbilligkeit der Menſchen zu verachten, ſprach 
er. Wer etwas Tuͤchtiges leiftet, muß damit zufrieden fein, 

daß er es thue; können oder wollen andere es nicht begreis 
fen, deſto ſchlimmer für fie. 

Du haft ganz vortrefflich geſpielt — forad ich mit ei⸗ 
nem tiefen Seufzer. — Was Verliebte und Trunkenbolde 
von mir ſagen, antwortete Seifert, daran kehr' ih mich 
noch weniger, als an das, was nüchterne Ppilifter ſchwatzen 


Die Tabuletkrämerin. 147 


Du Haft mich ja gar nicht fpielen fehen, fondern nur die 
Augen in den zwei blauen Zauberfeen der Trödelträmerin 
gebadet. Glaube jedod nicht, daß ich derweil oben auf 
den Brettern mic als ein eitler Narr nur um trodne Lor- 
beeren und Laube Nüffe bemüht habe, während Du mit 
dem fchönen Kinde Liebäugeltet. Sahſt Du das herrliche 
Beib, das vorgeftern Abend neben mir faß, als Du nabe 
daran warft, die Brühe in den Schoos Deiner Holden zu 
verfpütten? Mit der vollen feſten Bruft, dem ſchlanken 
Leib, den ſchneeweißen Armen und Händen, und dem üp- 
digen Haarwuchſe? Wohl fah id fie — mar meine Ant- 
wort. — Freilich war fie (hön — fie fhien mir aber et⸗ 
mas zu Sinnlihes und Leihtfertiges in ihrem Weſen zu 
baben. — Defto leichter werd’ idy mit ihr fertig werden, 
erwiederte Seifert. Das iſt meine Geliebte, und wir wer 
den jeßt fehen, mer von uns beiden die fhönften Früchte 
feiner Liebe ärntet. 

Ich war zu erhaben geftimmt, zu wehmüthig und zu 
troftlos, um länger bei diefem fanguinifchen Liebhaber zu 
verweilen. Er aß mit größtem Appetit einen ganzen Ka- 
paun, und trank dazu häufig alten Rheinwein auf die Ge⸗ 
fundheit feiner fhönen Bädern. Ich ſchlich mid aus der 
Thür, nachdem ich zuvor mein Federmeſſer zu mir geſteckt 
batte. — Wie denn? rief er mir nad — Du wirft Die 
doch nicht todtſtechen? Heute Abend haben wir des Tra- 
gödienweſens genug gehabt; vergiß nicht, daß Du übermor⸗ 
gen den Knecht in dem Hans Sache'ſchen Narrenſchueiden 
zu ſpielen haft. — Ih will nur ihren Namen in einen 
Baum ſchneiden! feufzte ih, — So thw mir den Gefallen, 
tief er; und ſchneide den Namen der meinigen daneben. 
Sie heißt Gatharine, Benediete, Elifabeth eefierfomibt 


148 Die Tabuletfrämerin. 


Du mußt aber zu allen diefen Buchſtaben einem tüchtigen 
ftämmigen Baum erwählen, mit äppigem Laube und glat- 
ter Rinde, wie fie felber it. Hüte Dih au, dap Du, 
bei allen den frummen C's, E's und B’s, die ſchwer zu 
machen find, befonders im Mondſchein, Did nicht in die 
Finger ſchneideſt, oder das Meſſer zerbrichft. 

Ich lief ins Gehölz, und blieb zuerft an dem Stein. 
walle ſtehen, wo ich nahe daran geweſen mar, aus ſchüch⸗ 
terner Liebe das holde Kind zu tödten. Die ſchönen Beine, 
wo Sartheit und Züle einen fo retzenden Gegenſatz mach⸗ 
ten, ftellten fidy wieder vor meine Phantafie. Dann dachte 
ich mir recht deutlich ihr herrliches Geſicht mit den geſchei⸗ 
telten Flahehaaren, den herabhängenden Flechten und dem 
goldenen Kapbchen mit den gefteiften Spigen. 

Ein großer Baum ftand dort, und fehrte feine glatte 
lichtgraue Rinde gegen den Mondſchein. Echnell machte ich 
mein Federmeſſer auf, wollte ſchneiden — und jept erſt fiel 
es mir ein, daß ich ihren Namen nicht wiſſe. Ich begriff 
nicht, wie es möglich fei, dag id) den Namen von der nicht 
wife, die ih ſchon fo gut kannte. Ich war untröftlid. 
Nicht einmal ihr Name! Ih warf mid auf eine Bank 
und zerfhmolz in Thränen. Ein Meines Iuftiges Eichhorn 
büpfte in den Zweigen herum, fa zuweilen im Mondſcheine 
ſtill, legte den prächtigen braunen Schweif hinauf gegen 
den Rüden, und dien mid), der ich mit verfdränften Ara 
men ganz ftill in meinen Träumen verſunken faß, für ein 
bölzernes Bild zu halten. Ich hatte noch nie vorher ein 
ſolches Thier geſehen; die niedlihe Erſcheinung zerftreute 
mich auf einen Augenblic. Bald ftellte ſich aber die Web- 
muth flärter ein. Ih ſchuitt das Wort „Geliebte“ in 
den Baum, fügte die Buchſtaben, und machte jet einen 


Die Tahufetträmerin. 19 


weiten Weg in der Richtung. nad) welder fie mit ihrem 
Vater gereih war. Müde und matt fam ih von der Ban- 
derung zurüd. Id wollte das Wort: Gelichte, nochmals 
küffen, und dann mit meinem Kummer zu Be:te gehen. 

Als ich mid) dem Baume nahete, las ih: „Belichte 
Catharine Benedicte Eliſabeth Mefferfhmidt.” 
Der Schalt Seifert hatte mir, fo fhläfrig er war, noch 
beute Abend diefen Streich gefpielt. Ich fand das Denk- 
mal meiner Liebe durch feine Poſſe entweiht. Erſt wollte 
ich alles abfhälen, dann nur der Bäderin Namen eg 
ſchneiden. Zufcgt griff ih zu dem Mittel, nur das von 
mir gefdnittene Wort „Geliehte” zu vertilgen, und ließ der 
Bäderin Namen ftehen. Aber, gleich der Spinne, die, wenn 
man ihr Gemebe zerreißt, unverdroffen wieder in einer ans 
dern Ede ihre Arbeit anfängt, ſuchte ih mir in der Nähe 
einen zweiten Baum, von Gefträuh umwachſen. Hier 
drängte ich mich durd) Dornen und Zweige, und achtete 
nicht der Wunden; vielmehr waren fie mir lieb, weil fie 
mie für meine Inſchrift Sicherheit gewährten. In diefem 
verborgenen Hellduntel konnte ih nun mein Wort „Ger 
liebte“ anbringen, ohne zu fürchten, daß es von abgeihmad- 
ten Zufäßen profanirt werde. 

Ach Gott, Kinder! wir alten vernünftigen Leute ſcher⸗ 
gen immer, wenn wir von jugendlichen Auftritten der Liebe 
foredhen. Im Grunde iſt es nur Neid, weil wir fold ei⸗ 
nes Gefühles nicht länger fähig find, weil wir folhe bitter⸗ 
füge Freude nicht mehr koſten können! „Sie find ſauer,“ 
fagte der Fuchs von den Weintrauben, die ihm zu hoch 
bingen! 


‚152 Die Bälerin. 


len, ſprach Seifert, da Du überhaupt weißt, dag ich nicht 
zu den empfindfamen Leuten gehöre. — Ich ſprach: Sei 
fert, .güte Di, dag Du nicht ſelbſt ein Fauſt wirft! Ih 
fürdte, Du haft diefe Rolle zu gut begriffen. An etwas 
muß der Menſch mit Liebe und Treue halten. — Du denkſt 
an Deine Tabuletfrämerin, fprad Seifert lachend. Das 
fanfte Kind glich zwar einem Monde; und id glaube, das 
junge Blut hätte gern immer als treue Trabantin um 
Deine Irdiſchheit getrippelt, wenn es das Verhängniß, im 
der Geftalt des firengen Vaters, erlaubt hätte. — Daß id 
aber tein Fauft fei, ſiehſt Du aus meiner Offenheit gegen 
Did), und meiner Scheu gegen die Bäderin. Sie ift we⸗ 
der Sonne noch Mond, fondern ein fdöner feltner Komet, 
mit langen fliegenden Goldhaaren; aber ohne Kern. Und 
wenn man in die Natur nicht eine beſſere Einſicht hätte, 
fönnte vielleiht eine ſolche Naturerfdeinung, bei weniger 
Zuverfihtigen, Schauer und Grauen erregen. 

Ich will Dir geftehen, ſprach er, als er meine Neu⸗ 
gierde aufs Höhfte geſpannt hatte, dag id die fhöne 
Bitwe mehrmals Kefuht Habe. Was nun meine Forna- 
rina betrifft, fo bat fie zwar Leidenfhaft, Gefühl und 
Feuer, ich fürdte aber, fie fei tol und mahnfinnig. Freie 
lich weiß ic noch nichts Rechtes Erſt Heute Abend, beim 
Vollmonde. hat fie verfproden mir ales zu entdeden; denn 
Foldye Mittheilungen laſſen ſich nicht am heilen Tage thun. 
Du lächelt, Albert? Nur unter der ausdrüclichen Bedin- 
gung ift es mir bente Abend zu kommen erlaubt, daß ich 
felbander erſcheine, und einen Vertrauten aus der Bande, 
wie fie es nennt, mitnehme. Ih habe Did) vorgeſchlagen. 
Nun ja, tief fie, er mag kommen! Er ift ja auch von un 
fern Leuten. IC wollte willen, was fie mit den Worten: 


Die Bälerin. 153 


„von unfern Leuten,“ fagen wollte. Immer mifht fie 
die Ideen und Vorftelungen fo fonderbar! So nannte fie 
mid) zum Beifpiel einmal, als ich ihr eifrig die Hand küßte, 
ihren fieben Fauſt, und verdrehte dabei die ſchönen Augen 
fo wahnfinnig, daß mir beinahe unheimlich bei ihr ward. 
Wahrfſcheinlich ift fie etwas verrüdt, und mähnt mit Heren 
und Teufeln Umgang zu haben. Solte fie mid) aber- in 
der That nur lieben, weil fie in mir einen Teufel ſieht, fo 
mußt Du mir doch gefteben, daß eine ſolche Liebe eben 
nicht viel Schmeichelhaftes und Angenehmes für mid bar 
ben könne. i 

Ihr begreift, mit welcher gefpannten Erwartung ih 
meinen Freund zu feiner wunderbaren Liebſchaft begleitete. 
Bir öffneten die Thüre zum Bäderladen, die Glocke klin» 
gelte, der angenehme Gerud von friſchen Pretzeln mit Ko⸗ 
rinthen und Nofinen, der uns entgegen fam, erinnerte mid) 
am Tage der Kindheit, wo ic, wenn id einen Kreuzer 
hatte, gern binlief, mir einen Zudirkringel zu kaufen. Die 
Bäderin ftand im Laden, und id muß geftehen, dag id) 
nie ein üppiger blühendes Weib gefehen habe. Ihre Hemd⸗ 
ärmel, nad) Bäderart, His zu den Schultern aufgerollt, Tie- 
gen die ſchoͤnſten Arme fehen, und Hände fo weiß wie Mehl. 
Der Bufen war vom dunfelbraunen Bruftlage bededt, ohne 
die prächfigen Formen zu verbergen; um dag Haupt man- 
den ſich ‚die mächtigen Flechten, von denen Seifert mit fo 
großer Befonnenheit geſprochen hatte; ihre großen blauen 
Augen funtelten wild, und es loderte eine fonderbare Ber- 
zädung darin. 

Sie gebot dem Lehrburſchen im Laden aufjupaflen, 
drauf ließ fie ung in ihre Stube treten, wo alles niedlich 
und ordentlih war. Der Kanarienvogel aber zwitſcherte 


154 Die Balerin. 


laut im Fenſter, zum Aerger für Eeifert, der ſolchen Bo- 
gelgefang im Zimmer nicht ausfteyen konnte. Sie lade, 
weit fie bereits feinen Widerwillen gegen den Vogel kannte, 
und als fie den Meinen Schreier dadurd zum Schweigen 
gebracht harte, daß fie cin weißes Tuch über feinen Käfig 
warf, Iud fie uns ein, auf dem Kanapee neben ihr Platz 
zu nehmen. Hier erlaubte fie Seiferten, ihre fhönen Hände 
mit Küſſen zu bededen, an den Mund durfte er ſich aber 
nicht wagen. Sie gab ihm jedod) ſelbſt unbefangen einen 
Kuß und ſprach: Da wir nicht allein find, und da id weiß, 
dag es Euch Vergnügen macht, füllt Ihr einen Kuß haben. 
Wenn wir aber allein find, müßt Ihr fein beſcheiden fein, 
was märde fonft Eure Geliebte, die Herzogin von Parma, 
dazu fagen! 

Seifert, der mit dem Siege noch lange nicht zufrieden 
war, und der das Laͤcherliche feines Verhäftniffes fühlte, 
madıte zum erften Male in meiner Gegenwart ein albernes 
Seht, und ſtrich id den Mund. Herzogin von Parma, 
ſprach er zu mir, während fie aufftand und zum Fepſter 
ging. da hat fie mid; wieder für den Fauft genommen. 

Die Bäderin kam zurück, und ſprach gebeimnigvol: 
Der Vollmond leuchtet über die Bäume, jept it die Stunde 
da! Seid jept aufmerffam, lieben Jünglinge, und miß- 
braucht nicht Das Vertrauen, das ih zu Euch habe. 


Die Here. 15 


14. 
Die Here 





Ich will Eudy ohne Furt meine Bekenntniffe ablegen 
— fuhr fie fort — weil aud Ihr Dienfhen feid, die ſich 
wenig um die Vorurtheile der Welt fümmern, fondern viele 
mehr gewagt haben, Euern Bund und Eure Gemeinfhaft 
mit den Geiftern zu offenbaren: fretlich nur verhlümt, da» 
mit Euch der Arm der Obrigkeit nicht erreiche, 

Solltet Ihr mich verrathen, fo dag meine jungen Glie- 
der von den beißhungrigen Flammen verzehrt würden — 
dann nehmt Euch nur in Act! Lucifer, die Frau Venus 
und Badus werden mic räden. und Euch ein ähnliches 
Bad einheizen. Uebrigens muß man ſich daran gewöhnen, 
in Flammen zu leben, denn das mird doch das Ende vom 
Liede. Lapt Euch aber durd eine kindiſche Furcht nicht irre 
machen. Nach dem Tode zieht Ihr einen andern Körber 
an, der ſich im Feuer fo wohl befindet, als der Salaman- 
der, und als die irdifhen Glieder jet in der Luft. Wie 
würden die Teufel fonft fo ſtark und Luftig fein, wenn fie 
fi in den Höllenflammen nicht wohl befänden? 

Seifert ſah mid bedächtig an, und ſprach: Cie ift aus 
meiner Schule, und geht nur einen Schritt weiter; in ih ⸗ 
rer Gegenwart möchte idy mic) indeg ſelbſt noch für einen 
Pbiliſter erfennen. 

Ohne fi) um feine Zwiſchenrede zu kümmern, fuhr fie 
fort: Mein Vater war ein reiher Bäder, und das gefunde 
Brod, das er buf, befam mir in der Kindheit trefflich wohl; 


156 \ Die Here. 


aud) genoffen wir übrigens ftets gute Speifen. So wuchs 
ich denn in die Höh' und in die Breite, und im zwolften 
Jahre war ich ſchon ein erwachſenes Mädden. Mein Bar 
ter aber war cin graufamer Mann, der mid zu meinen 
Sünden durch Härte verleitet hat. Doch jegt Lime die Neue 
au ſpät, und kann ich nicht in den Himmel kommen, will 
ich mir wenigftens die Hölle fo angenehm als möglich vor- 
ftellen. Möge Gott meinem Vater vergeben, und ihn in 
feinen Himmel genommen haben; denn follte ih aus irgend 
einer Urſache die Hölle fheuen, fo wäre es, weil ich fürch⸗ 
ten müßte, meinen Vater dort wieder anzutreffen. 

Ich hatte eine ältere Schwelter, die aber bei weitem 
nicht fo hübſch mar, als ic), denn die Blattern hatten ihr 
das Geſicht ziemlich übel zugerichtet, weil fie jedoch flink, 
fromm und gut gewachſen war, und weil mein Vater Bere 
mögen befaß, hatte fte dennod) einen Bräutigam befommen, 
einen Müller aus der Nachbarſchaft. Ic dachte: Kommt 
Zeit, kommt Rath! Du wirft wohl aud einen Mann krie- 
gen, wenn du did) gut aufführft. 

Ein junger VBädergefel war bei meinem Vater in 
Dienft getreten, ein fehr hübfcher Junge von zwei und 
zwanzig Jahren, Namens Joſeph. Wenn er Nachmittags 
unter dem Thorwege ftand, nach Bäderart im weigen Kite 


tel, langen Ieinenen Hofen, eine rothe Müge fhräg auf - 


den braunen Haaren, die nakten Arme Über einander ges 
ſchlagen, und ich auf der Bank faß und ftridte, konnte ih 
nicht umhin, mid mit ihm in Geſpräch einzulaflen, und 
nad den naften Armen zu ſchielen. Denn die Bäder, 
(Prach fie, indem fie mit der Hand nad) den Flechten griff, 
um eine Locke in Ordnung zu bringen) haben immer fhöne 
Arme, Das bekommen fie durd die tägliche Arbeit; durch 


Die Here. 157 


das Hineinfhiehen und Herausziehen des Brotes auf den 
Schaufeln im Badofen, ſchwellen ihnen die Muskeln des 
Oberarms fdöner und Eräftiger. Ich babe freilich mie fo 
harte Arbeit gehabt, bei den Weibern iſt's auch nicht nd- 
thig, fie können ohnedies hübfche Arme befommen. 

Es währte nicht lange, fo entdedte mir Joſeph feine 
Liebe, ich geftand ihm wieder, dag ih ihm gut fei, ging 
zum Vater und fprab: Water, Malen hat den reihen 
Müller gebeirathet, gieb mir den Bädergefellen, fo Tann er 
Dein Gehälfe werden. Bir Ieben wie im Paradiefe, mab» " 
len, baden und würzen unfere Kuchen. — Er antwortete 
indeß: Du unverfhämtes Ding; Du Gelbfhnabel, kaum 
noch dem Flügellleide entwachſen, wagſt Du ſchon von eie 
nem Manne zu reden? Ich antwortete: Ich kaun noch ein 
Baar Jahre warten, wenn es Euch recht it! Mir wärs 
eben gleidy recht. Er gab mir ein Paar tühtige Maul- 
ſchellen, und verfiherte mid, wenn id) ein einzigesmal wieder 
von Iofeph rede, werde id noch die Ruthe befommen. — 
Ic) ſchwieg und liebte in der Stille. Unten im Garten im 
Lufthaufe trafen wir uns oft des Abends, und da ging es 
dran auf ein Küſſen los. 

Mein Vater kam einst Abends gegen feine Gewohn⸗ 
beit, foät in den Garten. Bir fagen in der Jasminlaube, 
und da waren mir denn fiher genug, denn der Alte. mochte 
die Jasminen nicht riechen. Uns dufteten fie aber füR und 
lieblich; und alles wäre noch gut abgelaufen, wenn nur der 
unvorfihtige Joſepyh das Schmagen hätte unterlaffen kön 
nen. Ich batte es ihm mehr als hundertmal verboten und 
befohlen, daß er leiſe küffen folle; ic winfte, wenn er es 
doch nicht Meß, mit der Hand, weil ic in dem Augenblide 
nicht ſprechen konnte; es half aber alles nichts. Ein Kuß 


158 Die Here. 


ohne Schmatz, fagte der leichtfertige Burſch, iR, ale eb 
man die Lippen mit Wein feuchtete ohne zu trinken. Iept 
gingen ihm leider die Augen auf. Diefer einzige Schmag 
bat uns unglüdiih gemacht, und mid zur Höle verdammt. 
Dein Vater hörte das Küffen, trat in die Laube, und traf 
mich auf dem Schooße des Zünglings. Iofenh ſprang auf, 
und eilte in feiner Anoft Daven. Ich faß wie verfleinert, 
und magte cs nicht, die Augen aufzuſchlagen. Ic war auf 
eine entfeßlihe Strafpredigt gefaßt, mein Vater war aber 
todtenblaß, zitierte vor Aerger, und befahl mir fogleid, 
ohne Abendbrod zu Bette zu gehen. — Ich date: wenn 
es nur das ift, und ſchlief ruhig ein. Kaum hatte ich aber 
eine halbe Stunde geſchlafen, fo ward ih durch ein Ger 
räufd) geweckt. Ich hörte die Stimme meines aufgebrad- 
ten Vaters und einer alten Wärterin Mariane, die ihm 
zwar ergeben war, die aber aud mic lieb hatte. Sie 
rief: Unterlaßt es doch, Herr! fie iſt ja fein Kind mehr; 
es Shit ſich nicht! — es half aber alles nichts: der un. 
barmberzige Vater geißelte mich bis aufs Blut. 

Dpne ein Wort zu fagen, ging er aus der Thüre; 
ohne ein Wort zu fagen erſchien ih am folgenden Tag bei 
Tiſche. Allein mein Beſchluß war gefaßt, ein tiefes Rache» 
gefühl bemächtigte ſich meiner Seele. Ich wollte mich aufs 
empfindlihfte räden, und meinem Bater zeigen, daß ich 
kein Kind fei. 

Iept beſuchte mich Iofeph heimlich alle Abende, und 
fo lebten wir drei Monate lang in Herrlichkeit und Freude. 
— Die alte Diariane wußte von unferem Berhältniffe, war 
aber gutherzig genug, uns nicht in’s Berderben zu ftürgen. 
So bing der Himmel einſtweilen für ung voll Geigen. 

Der Krug geht aber fo Tange zu Wafler, His er bricht. 


Die Here. 159 


Mein Vater entdedte die Folgen einer Liebe, die der Pre⸗ 
diger noch nicht gefegnet hatte, und ſchäumte vor Wuth. 
Und da muß ich denn geftchen, dag mein lieber Iofeph we ⸗ 
nig Herzbaftigfeit verrieth; denn ftatt mir beizuftehen, ſtatt 
dem Zorne meines Vaters mit Bitten und vernünftigen " 
Vorftellungen zu begegnen, ging er in die Fremde, und 
wir haben ihn nachher nie wieder gefehen. Das will fagen 
in der Wirklichteitz denn wie id ihn durd Zauber wieder 

. gefunden, und mit ihm glädtiche Stunden verleht habe, 
werde ih Euch gleich erzählen. 

Statt uns alfo mit einander trauen zu Taffen, wodurd) 
das ganze Uebel gehoben worden wäre, freute es meinen 
Vater, durch Starrfinn und Rache uns Beide und fich ſelbu 
in's Elend zu ſtürzen. Sein Haus beftand aus vielen Ge» 
bäuden mit mehreren Höfen. Hinten war ein Gewölbe 
unter einem Bachauſe, deſſen zwei Beine Gitterfenfter auf 
den Hühnerhof und das Gemüsgärtdhen gingen. Da ſperrte 
er mid) ein, erft bei Waſſer und Brod, nachher auf magere 
Koft. Allein die alte Mariane, die fhlau genug war, ſich 
bei ihm von allem Verdachte zu reinigen, ward wieder 
meine Aufpaflerin; fie verſchaffte mir ein gutes Bett, gute 
Sveiſen, und ftand mir bei in einer gef.hrlichen, durch 
Shre® und Verzweiflung zu früh herbeigeführten Stunde, 
die mich freilich viele Thränen Foftete, mid) aber zugleich 
davon befreite, ein unglüdiihes Pfand meiner unfeligen 
Liebe täglich vor Augen zu haben. 

Durch die gute Pflege der alten Mariane gewann ich 

. bald meine vorige Gefundheit, und blühete wie eine Roſe. 
Ich aß gut, ſchlief beffer, hatte aber feine Bewegung. Mein 
Zeitvertreib war durch's Fenfter zu fehen. Dort im Gar- 
ten dufteten die Kraufemünzen und Nefedas reiht erquid« 


160 Die Here, 


lich, und erinnerten mic an die Iasminlaube, wo id fo 
glüdlidy gewefen war. Durd’s andere Fenſſer ſah ic die 
Küdjlein im Hofe herum geben, die Enten ſchwammen im 
Meinen Teiche, der Habn ging ftol und trogig mit blutro⸗ 
then Kamm, wie der türkifhe Sultan in feinem Harem, 
von Hühnern umgeben. 

Trat ih dann einen Schritt zurüd, fo fand id mich 
verlaffen im öden dunkeln Gewölbe, mit meinem Bette, 
meinem Stuble, meinem Tiſche und meinem Nähkäſtchen. 
Die gute Mariane hatte mir aud die Bibel und einige 
weltliche Bücher verſchafft; dies balf mir aber zu nichts, 
denn id) konnte nicht ordentlich leſen, anftrengen mochte ich 

* mid) nicht, und fo gingen mir denn alle Freuden verloren. 

Jetzt ftelten fih Nachts fonderbare Träume bei mir 
"ein, oder richtiger, Erſcheinungen. 

Eines Abends ſpaͤt konnte ih durchaus nicht einfhlas 
fen, id dachte an meinen treulofen Joſeph. Ich bagte ihn, 
weil er mic fo feige verlafen hatte; feine Lichenswürdige 
feit rief id) mir aber auch in’s Gedächtniß zurück, und wäre 
er in diefem Augenblide gekommen — ich hätte ibm gern 
vergeben. Endlich ſchlief ich ein. 

Bald aber erwachte ich wieder dutch den leiſen Drud 
einer warmen Hand; ic frug entfeßt, wer da ſei? Und 
fiehe, da fand Joſeph vor mir im weiten braunen Mans 
tel, warf ſich vor mir nieder, fügte mir die Hände, und 
flehte mit weinenden Augen um Bergebung. 

Ich wollte ihn in meine Arme drüden, da wid er zu⸗ 
rück und beklagte, daß er gleich wieder gehen müſſe. Beim 
Weggehen büllte er ſich in den Mantel, als er aber durchs 
Zimmer ging, ſah ich ihm einen Ummeg maden, um dem 
Tiſche, wo die Bibel lag, nicht zu nahe zu kommen; auch 


Die Here. 161 


entdecte ich unter dem Mantel einen Pferdefuß; und er 
verſchwand durchs Kaminloch. 

Mic) ſchauderte und ich dachte: Hat der Teufel fein 
Epiel gehabt? Indeſſen fehnte ih mid doch wieder nach 
der folgenden Nacht. "Die Naht fam und Iofenh mit ihr, 
Ich magte nicht. ihn um etwas zu befragen; er war mir 
zu lieb, und id fürctete, feine Vertheidigung möchte nicht 
binlängliy fein. Er beſuchte mic) alle Nädte einen gan⸗ 
zen Monat bindurh immer nur auf wenige Augenblide 
und mit einer deutlihen Unrube. 

Da ich merkte, dag ihm die Bibel auf dem Tiſche, in 
der ich doch nicht leſen konnte, im Wege fei, gab ich fie der 
alten Mariane zurüd. Das half etwas, Joſeph verweilte 
jegt länger, und ging keck durd die Stube zum Kamin- 
loche; er verſchwand mir aber immer zu früh, umd ich 
dachte: Lönnten wir uns dod länger und ungeftörter an ei» 
nem angenehmern Orte treffen, 

Die alte Mariane, die mid täglid beſuchte und mic 
mein Effen brachte, wunderte ſich darüber, mid fo verän- 
dert zu finden. Denn feit id meinen Iofeph wieder fah, 
mar meine alte Heiterkeit zurüdgelchrt; zwar ängftigte mid) 
fein Pferdefuß, und dag er durchs Kaminloch verſchwand; 
ich dachte aber: Du mußt did wohl, was diefen Puntt 
betrifft, geirrt haben, und ließ cs dahin geftellt fein. Es 
that mir nur Leid, da er immer fo große Eile Hatte. Auch 
war fein Blick finſter und feine Liebtofungen krampfhaft. 
Einmal drüdte er mich beim Weggehen fo feſt gegen eine 
Buſenſchnalle feines Mantels, daß ih vor Schmerzen laut 
auffcrie. Er verfhwand. Als ih erwachte, war es lich⸗ 
ter Dorgen; er hatte mir ein rothes Zeichen an den Hals 
gedrüdt, ich fag aufrecht im Bette, und hatte die Licht» 

Dedienſ. Schriften. XVI. 1 


162 Die Here. 


ſcheere in der Hand, die font auf dem Kleinen Tiſche bei 
meinem Bette lag. 

Zuletzt konnte ich der Verſuchung nicht widerſtehn, die 
alte Mariane mit in mein Geheimnig zu ziehen. 

Eie hörte mic mit größter Anfmerkfamfeit an, nidte 
beifälig mit dem Kopfe, und gab unter der Erzählung auf 
allerlei Beife ihre Zufriedenheit, zu verftehen. Als ich ge⸗ 

‚ endigt hatte, ſprach fie: Es freut mid, Toͤchterlein, dag 
ſich endlich aud der alte ſchwarze Ziegenbod Deiner er⸗ 
barmt bat; denn wen der droben — (fie zeigte zur Dede 
Binauf) verläßt, der hat nichts Beſſeres zu thun, als ſich 
dem abtrünnigen Lucifer auf einige Zeit in die Arme zu 
werfen. Freilich if er ein gefallener Engel, vieles von feir 
ner vorigen Macht und Herrlichkeit hat er indeg doch noch 
behalten, und tbeilt denen feine Hülfe mit, die nicht gar 
zu fireng und ängftlid, auf die Mittel fehen, wenn fie auch 
nicht ganz nad ihrem Geſchmacke fein follten. Denn freiv 
lich erfeint er in garftiger Umgebung! Als ein alter ftin- 
tender Bol fipt er droben am Berge auf dem hölzernen 
Stuhle. Eeine Kammerherrn und Hofjunfers geben wie 
Höllenfragen einher mit Affen, und Negergeſichtern, mit 
Krallen vorn, mit Eſels⸗ und Fucheſchwaͤnzen hinten. Von 
Nachtigallen, Tinten, Hirfhen und Neben im Walde, weiß 
er nichts. Seine Mufltanten und Lafaien find Unken, Krös 
ten, Schlangen und was des Ungeziefers mehr iſt. Das 
iſt aber alles nur die Außenfeite, nad der fein vernünfti- 
ner Menſch fragt. Die Hauptſache ift, dag man feinen 
Liebſten bei ihm findet, der frellich auch ein wenig von der 
Teufelsnatur an fih haben muß, um beim Höllenhofe ſtan⸗ 
desmäßig und tafelfähig zu erfheinen; und fo hat denn 
auch Dein Joſeph, wie id höre, den Pferdefuß bekommen. 


Die Here. 163 


Urbrigens geht alles da fehr luſtig und freundlich zu. Die 

Fefte werden befonders im Früblinge gefeiert: da duften 

die Blumen, das Gras it weich und grün, der Vollmond 

ſceint. Dann wird aus dem großen Zauberkeſſel das treff⸗ 

lichſte Froſchtagout gefhmauft, das fein franzöffher Koch 

beffer bereiten toͤnnte. Aud Bann. wer fein Freund vom 

Froͤſchen ift, Katzenbraten detommen, der von Hafenbraten” 
nicht zu unterſcheiden iſt. 

Deine Geſellſchaft und Deine Gerichte, rief ich, ſind 
abſcheulich; doch würde ih mid allem unterwerfen, um 
meinen geliebten Iofenh wieder zu treffen. — Das if ja 
eben der Haken, zief die Alte; und er hat ſich vermuthlich 
auch Deinetwegen in diefe Art von Freimaurerei aufuehe 
men laſſen. Der Pferdefug beweift uns, dag er in den 
Drden der Höllengeifter mit Ehren aufgenommen iſt, und 
ſogar feinen niedrigen Poſten bekleidet, denn fo gehen fonft 
wur die Teufel vom Geblüt. Ia was thut man nicht, wenn 
man verliebt it? verfegte fie mit einem Seufjer. Ih bin 
auch mal jung, hübſch und verliebt geweſen. Das Shid- 
fal hatte mich aud) von meinem Buhlen getrennt, Da er 
barmte fi) ein altes Mütterden meiner, wie id) mich jet” 
Deiner erbarme. Sie machte mid mit dem Herrn vom 
Berge befannt, und er drüdte mir fehr gnädig bei der er 
ſten Audienz ein Blutzeichen auf die Braft, das ich noch 


"trage. 


Das ift mir aud begegnet, Mariane, rief ih: fieh 
mal meinen Hals da! — Schön, ſprach die Alte, fo it ſchou 
etwas gethan. Drauf — verfepte fie — mußte ih ſchwö⸗ 
ren, die vier Herenfabbathe zu feiern, befonders den in der 
Balpurgisnaht. Diele anftändig zu begeben, mußte ih 


+ mid mit Tollwurzel. Rauffraute und Springmurzblättern 
. 1. 


164 Die Here. 


beräudern, mich naft ausziehen, und mic mit Herenfalbe 
unter den Achſeln, an den Arm» und Beingelenten, in den 
Kniekehlen und auf den Fußfohlen ſtreichen. 

Und moraus befteht diefe Salbe? frug ih. Sie wird 
— verfeßte die Alte — aus Kinderfett, Nachtſchatten, Ius 
dentirſchen, Schierling, Iudenleber und noch anderen In« 
gredienzien gekocht. Ein folder Topf ward mir von meis 
nem bodfüßigen Liebhaber gleich verehrt. Ich habe noch 
die Hälfte der Tepten Portion auf meinem Zimmer, freilich 
etwas verfhimmelt und ranzig, dadurd hat fie aber an 
Kraft gewonnen, und ich will Dir wieder damit ein Ge 
farent machen Da id alt zu werden anfing, mochte ich 
diefe Thorheiten der Jugend nicht laͤnger treiben, und that 
Vonitenz. So fann id denn nod einigermaßen felig wer 
den, und wenn auch nicht fo volkommen, wie mande an 
dere, hab’ id mid doch ſchon in diefer Welt daran ge» 
wöhnt, mit Wenigem vorlieb zu nehmen. Ach ja! feufjte 
fie, wenn man nur feine Sünde bereut, fann man immer 
nachher ein Bishen fellg werden; und das ift ein großer 
Troſt für une Menfhen. Freilich muß man auch beihten, 
davor foll mid) aber Gott bewahren, bis ich in meinen Ich« 
sen Zügen liege. Hüte Dich auch dafür, Töchterlein, fo 
lange Du noch zu leben denkſt. Die neidifhen Mannsbil« 
der ſieden und braten uns lebendig, wenn fie dergleichen er» 
fahren. Und was haben wir denn getban? Stehlen, mor- 
den, rauben, verläumden, betrügen, andere unglüdlic mar 
hen, mas dom die ärgften Sünden find, thun wir nicht. 
Das hun die Männer, ohne einen Bund mit dem Teufel 
gemacht zu haben. Was thaten wir auf dem Blodsberge? 
Eſſen, trinten, tanzen, liebfofen und faullenzen! Iſt es 
wodl der Mühe werth, dag man deswegen Sceiterhaufen 


Die Here. "165 


errichte, beſonders heut zu Tage, wo das Brenndoh fo 
theuer wird? Und do hat man mehrere hundert taufend 
arme Weiber deswegen verbrannt. 

30 antwortete: Mariane, vor dem Scheiterhaufen 
moͤchte ich mic wohl hüten, was aber Buße und Beichte 
betrifft, fo babe ich dazu fein Vertrauen. Der droben läßt 
fi) fein & für ein U machen. Auch gefält mir folder 
Banfelmuth nicht; ift man einmal des Teufels, fo muß 
man es muthig verbleiben, und ſich mit dem Gedanken des 
Verdammtſeins fo lange ve.traut machen, bis er alles 
Schrecliche verloren hat. 

Ich mil Euch meine Geſpraͤche mit der Alten nicht 
weitläufiger mittheilen, fondern nur hinzufügen, daß ich 
mid) ihrer Hülfe bediente, und mich am naͤchſten Balpur- 
gieadende mit der Salbe beſtrich, nachdem id) die Kleider 
von mir geworfen. Drauf rief ih: „Obenaue, nirgends 
an!“ und flog glei zum Kaminloch hinaus, wo mir ſchon 
SIofenh den Weg gebahnt hatte. Auf dem Dache wartete 
mein ein alter gehörnter ſchwarzer Stallmeiſter, der mir 
die Baht gab. ob ih auf einem mohlgezäumten Bode, ei⸗ 
ner ſchwarzen Kae, einer Ziege, einer Miftgabel oder 
einem Befenftiele nad) dem Blockeberge reiten molle. Ich 
wählte den Bod, weil er mir am tuͤchtigſten ſchien, eine 
ſolche Reife auszuhalten; und fo ritten mir denn gemaͤchlich 
durd die Luft, und trafen die Herenfompagnie auf dem 
Blockeberge beifammen, wie eg mir die Alte vorher gefagt 
hatte. Ich mußte mid, in die Eitten der Geſellſchaft für 
gen, die aber fo roh und abgeihmadt waren, dag ich fie 
Euch nicht wieder erzählen mag. Bas mir am meilten 
Vergnügen madıte, waren die Heinen Truggeftalten, von 
Kapen, Eidechſen, Affen und Schlangen artig jufammen 


166 Die Here. 


gelept; die fänflihen Bafllisfen, halb Habn, halb Wurm; 
die närrifhen lebendigen Knochengerivpe, die mit dem Ges 
bein nad) dem Takte klapperten, wie alte ausgemergelte 
Zanzmeifter, die aus Eitelkeit nicht wieder aufhören kön⸗ 
nen. Die Augen glühten bei allen diefen Erſcheinungen 
tieblih in der Dunfelgeit des Waldes, und fie verdrehten 
fie heiter und wahnfinnig im Kopfe, während giftige Kräu- 
ter und Stierlinge voll glähender St. IJohanniswürmer 
hingen; und mäßrend eine große Eymphonie mit Gebel, 
Miauen, Brüllen, Heulen, Wiehern, Stöhnen, Pruften und 
Peitſchentnallen im fhönften Geſchmacke, ſchulgerecht nad 
dem Generalbafle aufgeführt ward; morauf denn ein aus 
Kerordentliches Tanzen und ausgelaſſenes Walzen folgte. 


Ich hatte mir bald meinen Joſeph aus der Menge 
herausgefunden. Wir entfernten uns, um im Mondſchein 
einen Spaziergang zu maden. Das Hochgericht winkte gar 
feltfam romantifh dort einfam auf dem Felde, mit feinen 
Linien, Birken und Triangeln, wie eine große mathematis 
ſche Figur, die einen wichtigen Lehrfag ftreng beweifen 
wollte. Bir ſetzten uns im Mondſchatten des gemauerten 
Galgens, der verfallen und zerriffen mit Mood und Blur 
men durchwachſen ſich wie die Trümmer einer alten Burg 
erbob. Ieht überliegen wir uns ganz der Freude des Wie— 
derſehens, nur von einigen Nachtvögeln geftört, die den 
Rabenſtein umflatterten, um Nahrung zu ſuchen, aber wie 
der davon flogen, als fie nur ſchneeweiße Knochen im Grafe 
blinten ſahen. 

Unglädtiher- oder richtiger: glädliherweife verfnäteten 
mir une. Die Geiflerkunde war vorüber, die Bafilisten 
hatten geträbt, wir faben die Heren, wie ſchwarze Bögele 


Die Herr. 167 


ſWaaren, auf ihren Befenftielen und Ziegen bed) durch die 
Luft nach Haufe fahren, wild durch einander fAreiend: 


Kuna hin, Runa her! 
Hurtig über Sand und Meer. 
Hufe werf ich den Mantel hin, 
Das ich Halb au Haufe bin. 


Als wir wieder nach dem Berge famen, war alles wäßt 
und &de, und wir fanden nur die Feuerſtelle vol Aſche und 
Kohlen, wie im Balde, mo Zigeuner gehauft haben. — 
Bas thun mir jegt? rief ih. Wie fomme id) früh genug 
zurück nad) meinem Gefängniffe in Thüringen, eh der Bar 
ter meine Abweſenheit entdedt. — Und wie komme id nach 
Schafhauſen in der Schweiz, rief Joſeph händeringend. wo 
ich wieder als Bädergefell Dienft genommen. Die Brote 
fteben noch ale im Badofen, und wenn id nicht zu rechter 
Stunde da bin, fo merden fie zu Kohlen verbrannt, die 
Leute haben morgen in Schafhaufen nichts zu effen, und 
ftürzen ſich alle verzweifelnd in den Rheinfall 

In diefer Noth irrten wir durch den Wald, und fa 
men endlid) an einem großen hohlen Baume vorbei, mo 
ein vierfchrötiger alter Krieger in ſchwarzer Nüfung auf 
einem Steine faß. den Ellenbogen auf das Knie, den Kopf 
in die Hand ftügend und in Gedanfen vertieft. Als er 
uns gewahrte, ridıtete er ſich auf, winkte mit der Hand, 
und rieth ung ab, uns dem benachbarten Hügel zu nahen, 
es fei der Venusberg, und er der getreue Edhart. Bir 
achteten wenig darauf, was der alte Griesgram, wie ein 
Prediger auf der Kanzel, im Barte marmelte; uns war es 
eben recht die Frau Venus zu treffen, mas könnten ſich ein 
Paar Lichende beffer wünfchen? 


168 Die Here. 


Sie faß vor der Thür mit drei ſchönen Jungfern, die 
aber micht fo bübſch waren als fie. Ihr feid mir willtom- 
men! rief Frau Benus; ic will Euch nicht in meinen Berg 
einladen; denn mit Weibern mag ich nicht umgehen, der 
Junggeſell da gefiele mir wohl; cr hat ſich ja aber ſchon 
ein Liebchen gewählt. Indeß, weil Ihr Vertrauen zu mir 
best, und auf die Warnungen des alten Graubartes nicht 
achtetet, werd’ ich Eud aus Eurer Noth belfen. Cupid- 

. Gen! komm mal her. Das war ihr Sohn. Der Meine 
niedliche Junge kam herbei gelaufen, er hatte im Graje mit 
den Irrlichtern gefbielt, und ihm waren zmei bunte Slüs 
gelchen aus den Schultern gewachſen. Sie rupfte ihm ein 
Paar Federchen aus, gab uns jedem eine und ſprach: Mit 
diefen werdet Ihr leicht den Weg nad) Thüringen und nach 
der Schweiz zurüd finden. Was wilft Du aber auf dem 
Blocksberge, mein hübſches Kind? frug fie mid, die Ges 
ſellſchaft dort ſchickt ſich nicht für Die, fie iſt gar zu pö⸗ 
beihaft und unanftändig. — Ad, liche Frau Venus, er- 
wiederte id, mid) tief neigend, was thut die Liebe nicht? 
wozu bequemt man ſich nicht, um feinen Bräutigam zu fin» 
den? — Haft Du nicht einen Bruder gehabt, frug Frau 
Venus, der frühe ftarb, der aber ein wigiger Knabe war 
und in die lateinifhe Schule ging? — Wohl hab id, ante 
mortete ih. — Hat er Dir nicht damals oft von dem heid- 
niſchen Gotte Baus, von deilen Faunen, Satyrn und 
Bachantinnen auf dem Weinberge erzählt? Freilich hat er, 
verfeßte ih. — Nun das ift im Grunde alles einerlei, rief 
Benus, nur find die Badanalien weit angenehmer und 
ſchoner auf dem indifhen Weinberge, als die Teufels und 
Herentänze auf dem Blodsberge. Möhtelt Du nicht lieber 
Deinen Joſeph dort als jungen Zaun treffen, dran auf 


Die Here. 169 


dem Biodsberge, als Hinfenden Teufel mit dem Pferde, 
fuge? — Benn es ſich thun ließe, gewiß, feufzte ib. Ber 
aus erhob drauf ihre bildfhöne, ſchneeweige Hand, ber 
rührte ihm das Ohr, und gleich war der Pferdefug ver» 
ſchwunden. er ftand als ein noch fhönerer Züngling da; nur 
maren ihm die Obren Hinter den Zoden ein Klein bischen 
ſpitziger geworden. 

Drauf entlich fie uns; wir ftedten die Slügelfedern des 
Meinen Cupido in den Bufen, flogen fort, und -famen zu 
rechter Zeit nach Haufe. Als ich erwachte, kttzelte mich noch 
die Fedet in dem Buſen; fie hatte aber ihre rothe und 
blaue Farbe verloren, und fah aus, wie eine gewoͤhnliche 
lichtbraune Hühnerfeder, wovon mehrere vom Winde durd’s 
Sitterfenfter aus dem Hühnerhofe in’s Gefängniß geweht. 
auf dem Eſtrich umber lagen. Ih ficg mid aber nicht 
irre machen, verwahrte forgfältig meine Feder in der Trube, 
und habe nachher oft mit leichter Mühe in kurzer Zeit die 
Reiſe nach dem herrlichen Badusberge iu Indien gemacht. 
Der blühende Gott mit den Neben um die mallenden Lot» 
ten, hat mid) mit meinem Joſeph dort verbunden; wir ha⸗ 
ben mit dem wonnetrunfenen Haufen die Thyrſusſtaͤbe ger 
ſchwentt; alte Satyrn haben uns auf ihren Flöten Lieder 
vorgefpielt, und der grüne Wald mit den Baumgeiſtern 
und Baffernisen bat uns glüclich gefehen. 

In diefen Freuden meine Nächte zubringend, vergaß 
ich ganz, wie elend id meine Tage im Gefängnifle ver 
ſchmachten müffe, und als ic durch den Tod meines Ba- 
ters, der ein Jahr darauf erfolgte, plöglic erläft und zur 
Erbin feines ganzen Vermögens eingefegt ward, fühlte ich 
mein Vergnügen dadurch wenig vermehrt, denn das Beſte 
harte ich ja ſchon; und obwohl mein Vater mic ſchlecht 


170 Die Here. 


behandelte, bätte id ihm doch gern das Leben gegönnt, 
wenn id aud meine ganze Seit hätte eingefberrt fipen 
follen. 

Das Erfte, mas ich that. war einen Brief nach Schaf⸗ 
haufen zu fenden, um meinen lichen Iofebb einzuladen, das 
mit er jegt mein Mann werde. Ich nahm mic, aber, aus 
Vorſicht. wohl in Acht, im Briefe unferer nähtlihen Zus 
fammenfünfte zu erwähnen, fondern bat ihn nur, ſchnell in 
meine Arme zu eilen. 

Zu meiner größten Betrübnig befam ich feine Ants 
wort. Gin halbes Jahr darauf fertigte ih ein Sendſchrei⸗ 
ben an alle Bäder in Schafhauſen aus. Sie ließen mir 
aber fagen. dag fie von feinem Iofenh etwas müßten. 
Endlich entdedten fe doch einen und fandten mir ihn mit 
der Poft. Mein Herz Mopfte vor Freuden, als die Magd 
mir eines Abends meldete: cin Bädergefell aus Scafhaus 
fen, Namens Joſeph, ſtehe draugen und münfde mid zu 
ſprechen. Ich flog aus der Thür, und ſchloß in der erften 
Entzückung und in der Dunfelpeit den Fremden in meine 
Arme, ohne zu zweifeln, daß er der rechte Iofenh fei. Als 
mir aber in die helle Stube traten, ward id) einen alten 

bettifhen, grämlichen Menſchen gewahr, der viel huſtete, 
und triefende Augen hatte, Ich fuhr mit Schaudern zu⸗ 
rück, und verfiherte ihn zu wiederholten Malen, dag ich 
mid) geirrt habe, Er wollte mid) aber durchaus heirathen, 
weil id) es verfproden, und er deswegen eine lange, bes 
ſchwerliche, foftipielige Reife unternommen habe. Nur mit 
genauer Noth ward ih ihn los; ich mußte ihm die Reife» 
Eoften doppelt er ehen, und nod) obendrein eine Entſchädi- 
gung für Mühe, Zeitverluſt und vereitelte Hoffnung geben, 
damit er wieder einpade und nach der Schweiz ziehe. 


Die Here. > aM 


Dieine Hoffnung war vereitelt. Die Geſchichte hatte 
Aufſehen gemacht, und man lachte mich aus, Indeß mel« 
deten ſich doch immer Freier vollauf; ic Hatte aber meinem 
Joſebh Treue gefhworen, und weil id ihn ale Nähte (ah, 
mar mir feine Abweſenheit am Tage meniger fhmerzbaft. 

Das Eonderbarfte war, daß es mir, bei unfern nächte 
lichen Zufammentünften nie einfiel. ihn um feinen jepigen 
Aufentgait zu befragen, ich fepte es wir alle Abende vor, 
vergaß es aber wieder. Und dabei hat der Teufel gewiß 
fein Spiel gehabt, um mid nicht aus feinen Krallen zu 
verlieren; denn wären mir glüdlic in der wirflihen Welt 
geworden, was hätten wir dann nad) den teuflifhen Nadıte 
erfheinungen gefragt? 

Indep lebte id, als eine junge reihe Witwe, ziemlich 
wobl. Die alte Mariane war bei mir, und id that ihr 
au gefallen alles, mas ic konnte. Als fie aber kränklicher 
ward, ward fie auch graͤmlicher und ängſtlicher. Meine 
naͤchtlichen Wallfahrten fingen an, ihr zu migfallen, und 
fie verlangte nun, daß ich mich bekehren folle. Das wollte 
ich jedoch nit, um meinen Joſeph nicht zu verlieren. Die 
Fahrt nach dem Badueberge, ſtatt nach dem Blodeberge, 
war ihr gleichfalls nicht recht. — Auch wenn man ſich dem 
Teufel ergeben bat. ſprach fie, muß man fein Vaterland 
lieben und das Eigene nicht verachten. Warum können 
wir nicht chen fo gut einheimiſche eingefleiſchte Satanaſſe 
haben, wie die Indianer und Grichen? Glaubft Du etwa, 
die Griechenteufel fein menſchlicher und fhonender, weil 
fie fhöner find? Armes verirrtes Schaf! Aerger find fie. 
Die Schoͤnheit it ja chen der befte Köder auf Lucifers An. 
nelhaten, damit die Menſchenſeelen gieriger anbeißen. Das 
alles ift nur Trug und Larve. Auf tem Blodeberge gehen 


172 Die Here. 


fie, wie biedere deutſche Teufel, unverlarut in ihrer wahr 
ten Geſtalt und Löblihem Berufe einher. Dort hat man 
ſich einmal an das Ding gewöhnt, und fid) feine überfpann« 
ten Erwartungen gemadıt, die in der wirklichen Hölle nicht 
erfüllt werden. Denke Dir aber, wie Dir dereinft zu Mu⸗ 
the fein werde, wenn die Loden und Neben Deines Bar 
Mus fi in lauter Hörner und Scylangen verwandeln! 
Wenn fein feifter, blühender, weißer Körper, wie braune 
graues geraͤuchertes Fleiſch mit himmel bewachſen ausfer_ 
ben wird. Und nun vollends die Venus, die gegen vier⸗ 
taufend Jahre alt fein fol! Wenn Du die alte Vettel 
ſiehſt, ehe fie ihre Toilette gemacht, ehe fie die falſchen 
Zähne in den hölzernen Gaumen geſchraubt, ſich geſchminkt, 
geſchnüͤrt und fid alle die blühenden Gliedmaßen angeſchnallt 
bat, die das Auge entzüden, die aber nur aus lauter fans 
tenen Kiffen mit Springfedern, beftehen. 

Ic) antwortete: Wo mein Joſeph hinkömmt, da komm’ 
id auch. Glaubſt Du, dag, wenn ich mic befehre, ex 
auch felig werde? Mariane antwortete: Ich trage einige 
Bedenklickeiten wegen des Pferdefußes. So will id auf 
verdammt fein, rief ich. Liber in die Hölle mit Iofeph, 
als in den Himmel ohne ihn. — Ad), Du gutes. Kind, ers 
wiederte Mariane, mich küſſend und umarmend, Du liebit 
Deinen Bräutigam zärtlich, und das ift hübſch von Dir; 
der liebe Herrgott ift aber auch nicht ganz zu verachten: er 
bat Did doch erſchaffen und verdient immer, dag Du ihm 
deswegen Deine Dankbarkeit bezeigft. — Ich will Joſephen 
ſprechen, fagte ih; kann ich ihn dazu überreden, fo wollen 
wir uns Beide befehren; ich verlaffe ihn aber nicht in der 
Noth, worein er meinetwegen gerathen ift. 

Als ich Joſeph wieder ſprach, entdedte ich ihm, nicht 


Die Here. 173 


ohne Verlegenheit, meine Gewiſſensanaſt. Er fhüftelte 
aber wehmüthig laͤchelnd den Kopf, und ſprach: Liebes 
Kind, es iſt zu hät. 

Bon diefem Augenblide an ftand mein Entſchluß feſt; 
und alle albernen Plauderelen der alten Mariane konnten 
mid) nicht irre machen. Ein groger Schred ftand mir in 
deg noch bevor. Sie ward todikrant, die Stunde ihrer 
Auflöfung nahete mit ſtarken Schriteen, und fie wollte 
beiten! Cie hatte ſchon nach dem Paftor gefhidt, als 
ich allein zu ihr in’s Simmer trat. Sie fpielte mit den 
todtkalten bläulihen Fingern auf dem Betttuche (ein Zei⸗ 
hen des naben Todes) und murmelte mit halbgebrochenen 
Augen Gebete vor fi hin. Ich warf mid ihr zu Fügen 
und rang die Hände: Mariane, rief ih, um Gotteswillen, 
verrathe mic) nicht. Du haft mich felbft verführt, mas ger 
winnſt Du dabei, cin armes Weib unglücklich zu machen. 
„Beller zeitig trennen, als ewig brennen!“ war alles, was 
fie mir mit ftarren Augen antwortete. 

Ich forang auf und fah fie wüthend an; ih marf die 
Augen umber, und fand mid mit ihr allein, die Magd 
war nad) dem Paftor gelaufen. Die Alte konnte nicht 
leben! Ein einziger leifer Drud meiner Hand um ihre 
Kehle, — der Tod wäre nur ein Vaar Minuten früher. ge» 
kommen, mein Geheimnig ſtürbe mit ihr. und ich wäre ges 
rettet. Meine zitternde Hand war fhon ausgeſtreckt, und 
die Finger frümmten fih. Ih hörte Icmanden die Treppe 
langſam hinauffteigen: vermuthlich der Beichtiger; meine 
Angft vergrößerte ih, ein kalter Schweiß bededte meine 
Etirn; ih ſchwankte, dumpf Über meinen Vorſaß brätend, 
und es war mir, als ftede ein ſchwarzer Teufel den Kopf 
grinzend dur die Bettgardine in die Wand, mir Beifall 


174 Die Here. 


aunidend, damit id eilen folle. — Rein, Teufel! rief ih 
halb wahnfinnig, fo folt Du mic nicht haben! Zu einer 
ſolchen Sünde ſollſt Du mid nicht verleiten. Geſchehe, mas 
geſchehen mill, ich erwarte mein Schidfal. Mit diefen Wor⸗ 
ten fürzte ich raſend zur Thüre hinaus, und hätte beinahe 
den alten Prediger, dem ic auf der Treppe begegnete, 
berunter geworfen. Ich eilte in den Garten nach der Ias 
minfaube. Eine ganze Stunde brachte id Hier allein zu, 
Ibr könnt Euch denten, in welchem Zuftandel Bei jedem 
leiſen Geräuſch der Zweige erwartete ih, die Haͤſcher würs 
den kommen, mic nach dem Gefängnifie zu ſchleppen. End- 
lich kam Iemand, ic fuhr anfammen. — Es war die 
Magd, die, in Thränen gebadet, die Hände rang. — Ach 
Gott, ach Bott! weld ein Unglück! Ber hätte das denten 
follen, rief fle fhluczend, und wollte mid nicht anfehen. 
Dirne, was it geſchehen? rief id außer mir, und fah fie 
grimmig an. — Die alte Mariane — Nun? — ift ohne 
Beichte geftorben! Eine Stunde haben der Herr Paftor 
und id fie mit dem Tode fämpfen fehen. Sie hatte gewiß 
etwas fehr Wichtiges auf ihrem Herzen. Als wir aber ka⸗ 
men, batte fie ſchon die Sprache verloren; und id bin doch 
fo ſchnell gelaufen, daß id meinen einen, Pantoffel in die 
Goſſe babe fallen laſſen — Gott babe fie felig! rief ih 
mit erleichterter Bruft, indem mein Bufen wieder hoch 
ſchwoll und das Blut in meine Wangen znrüdtrat. Ich 
werde Dir ein Paar neue Pantoffeln und der Zodten ein 
anftändiges Begräbnig geben. — Drauf kehrte ich kec in's 
Leben, in mein Baterbaus und fhon verloren geachtetes 
Eigentbum zuräd. 

Obwobi ih nun aus einer großen Gefahr errettet war, 
und fein Menſch mehr lebte, der mein Verkehr wit den 


Die Here. 175 


Geiftern verrathen konnte, war id dagegen wieder ganz 
allein und verlaffen, ohne Freund, ohne Vertraute. Keiner 
Menſchenſeele konnte ich meine Gefühle, meine Befümmer- 
niſſe, meine Begebenheiten mittheilen. Freilich beſuche ih 
nod oft den Bachusberg und freffe meinen Gelichten dort: 
die-Entzüdungen find aber nicht fo groß als ehedem. Jo⸗ 
fenb iR, wie mic deucht, weniger verliebt; die Geftalten 
treten alle mehr abgebleicht in Nebel zurüd, und id bes 
fürdpte, fie möchten zuleht ganz verſchwinden. In-diefer 
Noth, Fieber Fauſt, habe ich Dich bei dem Nitter Curt au 
dem bemußten Abende kennen gelernt Ich babe gefehen, 
dag Du ein großer Schwarztünſtler ſeiſt. Zwar glauben 
die Leute, der Teufel habe Dich ſchon geholt, das war aber 
nur Gaufelfpiel, denn dag Du noch da bift, bemeift mir 
Deine Gegenwatt. Sogleidy fiel es mir cin, bei Dir Raths 
zu erholen, ob Du mir nicht vielleiht dazu verhelfen könn ⸗ 
teft, meinen Jofeph in der wirklichen Welt anzutreffen, che 
anfere Jugend verblüht. Denn das geiftige Verkehr mag 
gut genug fein, wenn man nichts Befleres hat; es if aber 
alles.dod nur dünn und Iuftig, und einem Traume fo ähn- 
lich, daß ih die fämmtlihen Erfheinungen für lauter Ein- 
dildungen erklären möchte, wäre ich nicht vom Gegentheile 
überzeugt. Wo nun mein Iofeph in der Welt ift, weiß ich 
gar nicht; in Edafhaufen iſt er nicht, das weiß ih. Du 
wirft es mir aber leicht entdeden. Freilich haft Du Did 
in mid) verliebt, und das iſt übel. Das iſt mir aber fhon 
mit mehreren Männern begegnet. Man fann nicht freunds 
lich fein, nit den Handſchuh ausziehen, nit den Zuß ein 
menig bervorfiredin, wicht das Buſentuch ein wenig vers 
füichen — gleich giebts Feuer. Du bift aber ein verfän« 
diger Wann, der einfehen wird, dag ich Dich unmöglich 


176 Die Herenprobe. 


lieben Tann, wenn id meinen Joſebh fo treu liebe, dag ih 
fogar feinetwegen auf den Himmel Verzicht thue. Eo wirft 
Du mid) denn aud nicht verrathen, fo wenig wie diefer 
Jüngling, den id, wenn er nicht mit zur Bande gehörte, 
für ein gutes unverdorbenes Blut halten möchte. 

So weit war unfere Erzäplerin gefommen, als Hlöße 
lich im Nebenzimmer ein Tumnlt entftand, und wir einen 
Stupl vom Tiſche herabfallen hörten. — Gott im Hims 
mel! rief die Bäderin, wir find verrathen. Der Ladens 
burſch hat gelauert, und durd das Loch droben alles ger 
hört. Sieh, da läuft er ſchon bei dem Zenfter vorbei nach 
der Burg. Holt ihn ein, oder ich bin des Todes. 

Seifert und ih ſtürzten hinaus, und verfolgten den 
Jungen. Er hatte aber einen zu großen Borfprung ger 
monnen. Eeifert war bereite ermüdet, ehe er den halben 
Weg gemacht hatte; ih mar ein fo guter Läufer wie der 
Junge; er erreichte aber die Burg, während id mod dem 
Felſen erfieg. IA ſah ihn in den Hof, in das Zimmer 
des Burgfaplan bineilen, und die Thüre ward hinter ihm 
verriegelt. 


15. 
Die Herenprobe. 





Ale mir am nächſten Morgen kaum gefrübftädt hat- 
ten, traten die Gerichtsdiener in’s Zimmer und fündigten 
Sciferten und mir Arreft an. Cie geboten ung gleich bin» 


Die Herenprobe. 177 


auf nad der Burg zu gehen, um vor dem alten Ritter, 
unferm Richter, zu erfheinen. 

Bir folgten willig und ſprachen Latein auf dem Wege, 
damit ung die Trabanten nicht verftänden. — Das ift eine 
verwünſchte Geſchichte, rief Seifert, die Bädern if von 
einem fonderbaren Wahnſinn ergriffen, der nichts Seltnes 
iR, und viele Frauen auf den Scheiterhaufen gebracht hat: 
fie bildet fih ein, eine Here au fein. Gin feuriges Tempe 
rament, eine rege Phantafie, Liche, Unglüd, Enthaltfam- 
keit, Mangel an Bewegung find die Urſachen ihrer Kran- 
beit. Alles Tüchtige ſtrebt nad) Abenteuern; für junge 
Weiber haben nur Liebesabenteuer Reiz, und da hätte fie 
denn ein weites Feld vor fih gehabt; zum Unglüd aber 
ſpielt ihr die feihte einfeitige Liche einen Etreih, und fie 
vergafft fih in einen einzigen Büdergefellen. Als wenn 
nichts weiter auf der Welt wäre, als ein armfeliger Io- 
ſeph. Hol der Henker all die engherzige einfeitige Philifte- 
rei. Nein, ich halte mid zum Licde: 


Maiches Blüc! mir immer neuer 
Mit Verſchiedenheit vereint, 
Schaff mir täglich Abenteuer, 
Dann bIR du mein wahrer Freund! 


Gern auf Kiffen wit ich fchlafen, 
Ausgepeitert, fammetweich; 
Mber, mach du mich jum Grafen, 
viedes Gluͤc, dann geh ich gleim. 





Much mit Bauern win ich fügen 
Auf der Bank uud auf dem Stroh 
Pu Schriften. XVI. 12 


178 


Die Herenprobe. 


In der Eonne win ih (Aigen, 
Schatten macht nicht immer froh. 


Gern auch ſchmauſ ich wild Geflügel 
Benn es mir der Reiche bot; 
Aber mit dem Hirt am Hügel 
@f ich morgen Käs und Wrod. 


‘Schöne Kinder , Fräulein Holde, 
Mh wie fchäg" ich uch zur Stund! 
Wintt mie mit des Haares Golde, 
Küßt mich mit dem Risfchenmund. 


Mder ſchmachten, immer ſchmachten? 
Nein, dann geh’ ich auf die Au’, 
Bil beim Pächter übernachten, 
Er Hat eine Hübfche Fran. 


Ber iſt ſchoͤner? Ach die Laune 
M allein der Richter hier; 
Feuriger it meine Braune, 

Weine Blonde füßer mir. 


Schnüre" dad Bündel auf den biücken. 
Nimm den Etad ın leichte Hand; 
aues Gute fol entiücen, 
Und fo sieh" ich durch dad Sand. 


Mit Gelehrten win ich ſprechen 
Ueber die phileſopdie; 
Mit Soldaten will ich zechen. 
Rur mit den Fhilftern nie, 


Die Herenprobe. 179 


Jedes Oandwert, jede Tugend 
Jede Blum’ if mein Genuß; 
Eo verleb' ich meine Jugend 
Eparſam und in Meberfluß. 


Das in mir ein verflodter Sünder, ſagte der eine 
Sbirre, der uns begleitete. — Das ift nichts Neues, er⸗ 
wicderte der Andere; hab’ ih doch mehrere ſolche Galgen⸗ 
vögel gekannt, die auf dem Wege zum Hochgerichte Saufs 
bieder fangen. Ich hoffe aber, Freund, verfegte er, ſich zu 
Seifert fehrend, aus dem Bündelfnären und dem Stab» 
in die Hand Nehmen wird nichts. Traun, Du bift Deine 
längfte Zeit Landläufer geweſen. 


Bir fraten in den Nitterfaal, wo wir vor Kurzem ' 
Komödie gefpielt hatten. Der Nitter fag an einem großen 
grünen Tiſche, und einige Beifiger, Bürger der Stadt, ner 
ben ihm. Der Burgkaplan führte das Protokoll. — Nun, 
das find mir hübſche Geſchichten, rief der alte Ritter ung 
entgegen. 

Seifert hieß ihn reden und betrug ſich mährend der 
ganzen Verhandlung mit feltner Faſſung, Klugheit und 
Beredfamteit. Er frug gelaffen, weſſen man uns beſchul⸗ 
dige; und als er hörte, die Bädern habe fhon Alles ger 
ſtanden, ſprach er: Mit Eurer Erlaubnig, geftrenger Herr, 
werde ich nachber als Sachführer des armen Beibes auf- 
treten; unfere eigene Vertheidigung wird bald im Neinen 
fein. Die Bäderin Hat uns eingeladen, ihre Lebensgeſchicte 
30 horen. Der Bäderjunge hat gleihfalls alles mit ange 

12° 


189 Die Herenprobe, 


hört, freifih auf eine unerlaubte, hämiſche Weiſe. Er iſt 
fAuldiger als wir. Wenn num aber das bloße Anhören 
ein Verbrechen ift, fo feid Ihr, Herr Nitter, diefe wadern 
Bürger und der Herr Prediger Gotthard eben fo wohl 
Mitſchuldige. Denn Ihr habt ja auch Alles aus ihrem 
Munde vernommen. Was fünnen wir dafür, daß ung die 
fes Weib für Zauberer gehalten hat. Cie verwechſelt ſtets 
Wirklichteit und Stein; fo hat fie es auch in diefem Falle 
gethan. Sie hat mid, den Fauft in der Tragödie fpielen 
feben, und glaubt nunmehr, ich fei der wirkliche Fauſt. — 
Bas Hatteft Du aber bei der Bäderin zu ſchaffen? frug 
der Nitter, wenn Du weder Brod kaufen, noch zaubern 
wollteſt. ¶ Wer weiß, ob ich Brod kaufen wollte oder nit, 
ſprach Exifert; wir armen Schüler müſſen wohl jept mit 
trodenem Brote vorlieb nehmen, feitdem Euer Geftrengen 
die Hand von uns abgezogen. Hatteft Du denn nicht die 
Abſicht zu zaubern? frug der Ritter. — Freilich wollte ih) 
aaubern, antwortete Seifert, es verdient aber nicht, dag 
ic) deswegen in’s Gefängnig gefchlenpt werde. — Iept hör 
ren wir fein eignes Bekenntniß, rief der Kaplan! Was 
brauden wir weiter Zeugniſſe! — Ich - geftebe, verfeßte 
. Seifert, dag mich nit blos die Zuderkringel in der Schub» 
Lade der fhönen Bäderin anlodten. Cie ift ein ſchönes 
Frauenzimmer. Allein ſchöne Weiber find Heren, wenn fie 
uns verliebt machen. Wollten wir aber Alle fammt und 
fonders zum Scheiterhaufen verdammen, die verliebt mar 
chen und verlicht werden, wie erbielte dann die Welt Bär 
ter und Mütter zu den fünftigen Söhnen und Töchtern? 
Statt mir aber ihre Gegenliebe zu fhenfen, bat fie mir 
eine weitläufige Geſchichte ihrer Träumereien erzählt. Was 


kann ih dafür? — Alſo hat Er doch geftanden, dag Er , 


x 


Die Herenprobe. 181 


fündhaftes Verkehr mit einer Here ſuche, rief der Kaplan: 
das iſt bereits genug. — Nein, halt, Vater Gotthard, 
ſprach der biedere Nitter: bier ift ein großer Unterſchied; 
ich begreife ganz wohl, wie ein junger feuriger Menſch. 
von den Reizen der Bäderin entzüdt werden könne, wenn 
er Übrigens nichte von ihrem Bunde mit dem Teufel 
wüßte. — Und bei ihr ſelbſt liegt es nur in der Einbil- 
dung, etwas davon zu wiflen, rief eifert; fle it unſchul · 
dig umd beträgt ſich ſelbſt. Wenn ein fanguinifhes Weib, 
mie fie, nach der Trennung von ihrem Iofepb, ihre Liebe 
nicht auf natürliche Weiſe befriedigen founte, mußte fie 
überfhnappen. Schlafen, Eſſen und Stilleſihen erzeugen 
in einem ſolchen kräftigen jugendlihen Körper dickes Blut 
und böfe Träume. Otium est pulvinar Diaboli, Das 
iſt es alles! 

Nein, nein! rief der Ritter, fie Hat ſelbſt gefanden, 
dag fie nach dem Blods- oder Bachusberge auf einem 
ſchwarzen Bode geritten fei; und dag fie gerade Üdermors 
gen in der Walpurgisnacht wieder eine ſolche Neife vorge 
babt babe. 

Dann ift es ja leicht, ſich von der Wahrheit zu über- 
zeugen, erwiederte Seifert. Thut, ale ob Ihr jegt von ih- 
ter Unſchuld überzeugt märet, laßt fie gehen, und überrum« 
velt fie Übermorgen Nacht in ihrem Haufe! Id wette, 
Matt fie auf dem Befenftiele zum Scyorafteine berausfahren 
und auf dem ſchwarzen Bocke wegreiten zu fehen, werdet 
Tor fie fhlafend in ihrem Bette finden, 

Der alte Ritter war ein ziemlich vernünftiger Mann, 
mo gemeiner Menſchenverſtand, ohne weitere Kenntniffe und 
Anftrengungen hinreichte. Er fand Seiferts Verteidigung 
befriedigend, und der Vorſchlag Dünfte ihm gut. Nah 


182 Die Herenprobe. 


Seiferts Rath entlieg man aud die Baͤckerin mit einer 
Entſchuldigung, dag man ſich in NRüdfiht auf fie geirrt 
babe. Man erwartete die Walpurgisnadht, und ſtellte heim⸗ 
lich Waͤchter, um ihre etmanige Flucht zu verhindern. 


Bir büteten uns wohl, die Bäderin wieder zu beſu⸗ 
den; in der Walpurgisnacht begleiteten mir aber den Nit- 
ter, den Kablan und bie übrigen Herren nach dem Haufe. 
Ohne Icmand zu erweden, öffneten mir leife die Thür mit 
einem Schlüfel, den der untreue Burſch feiner Herrſchaft 
entwendet hatte, und traten in's Wohnzimmer. Der Ras 
plan, der ein Rauchgefaͤß mitgenommen hatte, fing bier am 
zu räudern und zu erorcifiren; drauf äffnete der alte Rit⸗ 
ter ſelbſt das Schlafzimmer. Bir fanden das Bett leer. 
— Scht Ihr wohl, flüfterte der Kaplan, fie ift auf dem 
Blodsbergel Die Sache hat ihre Richtigkeit An das 
Schlafzimmer fieg ein Gartenzimmer, mir gingen aud da 
binein, Nie vergeg ich diefen Anblid! Im bellen Monde 
feine lag das fhöne Weib natt wie Eva im Paradiefe, 
oder wie die Venus auf einem Lager von jungem friſchen 
Laube und Frühlingsblumen. Ale Anweſende, ſelbſt der 
Burgfaplan, vergaßen einige Augenblide hindurd im An. 
ſtaunen ihrer Schönheit, weshalb fie eigentlich gefommen 
waren. Endlich befahl der Prediger, dag man fie mit ei» 
nem dalicgenden lichtblauen Gewande bededen ſolle. — 
Bir bemerkten deutlich, daß fie innerlih erbigt und in 
einem Traume begriffen fei. — Nun, feht Ihr, Herr Kite 
ter, ſprach Seifert, da haben wir die Zauberei! Alles ift 
nur Krankheit, Traum, Selöftbetrug, hyſteriſche Zufälle! 
— Es freut mid, fagte der alte Nitter, dag wir dies 
junge Weib fhonen Finnen; denn wahrhaftig, diefe Glied⸗ 


Die Hesenprobe. 133 


magen find zu berrlih und vollendet, als daß fie im Feuer 
verbrennen follten, 

Hat — der Gott ſei bei uns — aud Euch verführt, 
Herr Ritter? rief der Kaplan. Wißt Ihr niht, daß der 
Teufel zu diefem, und vielen andern noch künſtlichern Gau⸗ 
keleien, im Stande iſt, wenn es ihm darauf anfömmt, die 
kurzſichtigen Menſchen zu bintergehen? Es ſcheint freilich 
daß die Väderin bier in ihrer Nadtheit liege, ich will aber 
meinen Kopf darauf verwetten, dag ihr wirklicher Körper 
in diefem Augenblide viele Meilen von bier entfernt, auf 
dem Blodsberge mit den Höllenfragen den Kehraus tanze. 

Der Ritter ſprach: Der Herr Paftor hat Recht; man 
tann nicht wiflen, wie es mit dem Dinge eigentlich beſchaf- 
fen ift. Die Here muß wieder eraminirt werden; und ge 
ſteht fie ſelbſt, daß fie auf dem Blocsberge gemefen, fo fol 
fie fih der Wafferprobe unterwerfen. Beſteht fie darin, 
gut, fo wollen wir es als einen eiteln Traum anfeben; 
dann mag fie künftig ungefört Schwarz- und Weißbrod 
baden; wo nicht, dann follen diefe (hönen Schultern, Lens 
den, Baden mit allem Zubehör binnen adıt Tagen ſchwarz 
verfoßlt werden, wenn fie aud zehn Mal blühender wären. 
— So ward denn zur Waſſerprobe geſchritten. 

In einer Prozeffion von der Art, wie wenn in Spas 
nien ein Keger zum Auto da fe geführt wird, brachte man 
die ſchöne Frau im weißen Gewande, mit herabhängenden 
Haaren und gefalteten Händen, vor die Stadt, um ſich 
im Fluſſe der Probe zu unterwerfen. Unzählige Zuſchauer 
aus der Gegend waren an den Ufern verfammelt. 

Die Baͤterin ging rubig mit langfamen feſten Schrit⸗ 
ten, wie eine Nömerin, blond aber und ſchlank wie eine 
germanifde Heldin der Vorzeit, ihren Weg. Das eigene 


184 Die Herenproße. 


Gefühl ihrer Cchönbeit, die Begeifterung und ihre Unſchuld 
die fie ſelbſt nit einmal kannte) gaben ihr einen Reiz 
eine Würde und etwas Nührendes, das vortheilhaft auf 
die Menge wirkte. Als ihr das Gewand abgeriffen ward, 
ſab fie ſtolz vor fi bin, und ſchämte ſich nichts ein zorni⸗ 
ges Gefühl Färbte ihr aber die blaggewordnen Wangen mit 
ſchönen Rofen, und es wäre ihr leicht gewefen, fih in das 
mädjtige Meer des Haares zu verbergen... Das that fie 
aber uicht, theils aus Stolz, theils aus Befonnenbeit, weil 
fle wußte, dag man bei'm Binden ihr gleich wieder die 
Haare auseinander bringen würde; und fie wollte nicht von 
unreinen Händen ibren Hauptfhmud verdorben haben. Da- 
gegen bob fie die Hände zum Naden zuräd, flocht die 
Haare leicht zufammen und band fie in einen Knoten. Nies 
mand hinderte fie daran, aller Augen verſchlangen ihre 
Reize, von allen Lippen tönte: Bott, wie fhön! Ein mil« 
des Lächeln ſchwebte auf ihren Lippen; diefer vieleicht letzte 
Sieg ſchmeichelte ihrer Eitelkeit, und fie ſchien die Gefahr 
vergeffen zu haben. In diefem Augenblide war gewiß nicht 
Einer zugegen, der nicht das ſchöne Bild gerettet wünſchte. 
Ein junger Menf nit weit von mir feufzte, meinte, rang 
die Hände, ſprach immer leiſe vor ſich bin: Beneditte, Be» 
nediftel und betete. 

Ein Ausrufer hatte ihr Urtheis verkündet: dag fie au 
den Flammen verdammt fei, mofern fie jegt nicht in den 
Bellen unterfinfe. Im Bunde mit dem Teufel befämen 
die Weiber durd ihn, weil er ein Geiſt fei, eine gewiſſe 
Leichtigkeit, die nicht mehr menſchlich fei; daher müßten fie 
auf dem Baffer fhwimmen, und künnten nit unterfinken, 
wie Andre, die nichts mit dem Satan zu thun hätten. 

Die Bäderin ward jegt Treuzweis gebunden, fo dag die 


Die Herenprobe, 185 


rechte Haud an die große Sche des Hinten, die Hufe Land 
am vie große Behe des rehten Fußes feitgefnänft waren. 
Während dem hörte ic den genannten Juͤngling mit trampfe 
haft gefalteten Händen, und mie verzweifelnd Gebete here 
fagen. Das Wort Benedite, das er immer wiederhelte, 
machte mid) glauben. er fei ein Kathelit, etwa der Bäder 
tin verwandt. Die Unglüdlihe ward jept in’s Waſſer ges 
bradıt, und der entſcheidende Augenblid nahte fi. Allein 
die Unſchuld fiegte, Die kalte, todfe Natur erbarmte ſich id 
rer, und that ihr die Menſchenberzen w.eder auf, die ſich 
gegen fie verſchloſſen und verfteinert hatten. Drei Mal 
ward die Probe gemacht, drei Dial fank fie unter, Une - 
ſchuldig! Unſchuldig! rief Seifert, und das ganze Bolt 
mit ibm, Unſchuldig, ſchluchzte der junge Menſch. und hob 
die Hände gen Himmel. Das fböne Weib and wieder am 
Ufer wie eine griechiſche Bildſäule in naffen Draperin — 
ftarrte verwundert vor fih bin, und fragte in der ihr eige» 
nen charatteriſtiſchen Unbefangenheit, indem ein himmliſcher 
Hoffnungsftrahl ihre matten Augen wieder beiebte: Großer 
Gott! bin ich denn wirtiih unfhuldig? 

Ia Du biſt's! Du biſt's! Benedikte, rief der junge 
Menſch, der fi) durch die Dienge zu ihre hindrängte, und 
fie heftig umarmte. Und bier ift Dein Iofeph, Dein Ge⸗ 
liebter, Dein Bräutigam, der aus der Fremde als Bäder» 
meifter zurüdgefommen ift, um Dich zu beiratben, und mit 
Dir glüdlihe Tage zu leben. 

Jetzt batte fih alles in Luft und Freude verwandelt, 
Niemand verließ den Drt, ohne das Brautpaar begrüßt 
und ihr zu ihrer Bermählung Gluͤt gewuͤnſcht zu baben. 
Das Belle war, dag die Baͤcerin ſelbſt durch diefe Probe 
ganz geheilt ſchien; es fiel ihr wie Schuppen von den Augen, 


186 Die Herenvrobe. - 


und fie ſah dentlik ein, daß fie vorher von einem ſchweren 
Wahne befangen mar, befonders als Iofenh fie verficherte, 
dag er nic auf dem Blocsberge, nic auf dem Venusberge 
und nie in Schafhauſen gemefen fri. 

Mit Heiterkeit und Ausgelaffenheit trennte fi die 
Menge; und ein luſtiges Nachſpiel folgte auf die Tragödie. 
Ein armer Maler hatte fih mit ſemem Zeichenbuche an's 
Ufer gefhlihen, um hinter einem Buſche verborgen, die 
fhöne Bäderin im Augenblide des Entkleidens als Stus 
dium zu brauden, weil es ihm unmöglich war, für Geld, 
wenn er es auch gehabt hätte, ein Model zu bekommen. — 
Als es aber zum Treffen kam und ihm die Venus erfchien, 
konnte er nicht zeichnen, die Hand zitterte ihm gewaltig, 
und er brachte eine haͤßliche Frage auf's Papier. Er mard 
entdedt, die Zeihnung ihm aus den Händen geriffen, die 
Karikatur der Bäderin ging von Hand zu Hand und er⸗ 
regte unter der Menge ein erſtaunliches Gelächter. Auch 
Benedifte und ihr Joſeph befamen die Zeichnung zu fehen; 
fie mußte herzlich darüber laden: um aber den Maler eis 
nigermaßen zu träften, verfprad fie ihm, daß er ihr und 
ihres Bräufigams Bild malen folle, 


16. 
Näuber-Örogmuth, 





Mit leichtem Herzen und ſchweren Beuteln zogen wir 
weiter. Ale hatten uns geopfert; der Nitter machte uns 


Räuber - Grogmutb. 187 


zum Abſchiede ein anſehnliches Geſchent, von der Bäderin 
mußte Seifert auch, aller Beigerungen ohnerachtet, etwas 
annehmen. Wäre ihm nicht das Geld fo höhft nöthig ge» 
mefen, wärde fein Stolz wahrſcheinlich die Gabe abgelehnt 
baben; denn freilih war fie nur ein ärmliher Grfaß für 
das, was er an der thönen rau verloren hatte. Unfer 
Barthel blieb beim Ritter, der fih, Bott weiß marum, in 
diefe Frahe fo vergafft hafte, daß er ihm nicht miflen wollte. 
An dem leßten Abend batte Seifert im Spiele gewonnen, 
mir fonnten uns als reihe Leute betrachten, und hatten 
mehr als-Anfangs, da wir von Eiſenach auszogen. Sei» 
fert trug den Schaf in einem Iedernen Gurt um den Leib 
unter dem Leibrode, und fo pilgerten wir luſtig weiter 
durch den Thüringerwald. ir waren unferer fünfe, alle 
nad) damaligen Gebraud mit Flinten und Schwertern be» 
waffnet, und hatten feine Furcht, obſchon das Gerücht ging, 
dag man oft hier im Walde von Näubern geplündert wer- 
de. Auf einem Meinen Hügel madıten wir Halt, und ver 
zehrten unfere Mahlzeit. Der große irdene Krug, den uns 
der Nitter zu guterlept aus dem Zauberkeller hatte füllen 
laſſen, mar ſchon mehrmals herumgegangen, als wir in 
der Ferne, binter den Bäumen ein Stüder fichen bis acht 
Kerls ſtart bemafinet, mit langen fhwarzen Bärten und 
wunderlihen Mügen, entdedten. 

Eeifert befahl uns, zu den Waffen zu greifen, und 
anf die Räuber mit den Flinten zu zielen. 

Der Anführer fab uns kaum ſolche Anftalten maden, 
als er feinen Geſellen gebot, ihre Flinten, Piftolen und 
Zerzerolen auf die Erde zu werfen; drauf winfte er uns 
mit einem Schnupftuche freundlich Frieden zu. Bir nab- 
men alfo auch unfere Gewehre beim Fuß. zogen aber die 





188. Räuber: Grogmuth. 


Schwerter und riefen den Räubern zu, ſie ſollten ſich nicht 
unterftchen, uns auf zmölf Echritte zu nahen. 

Als fie näher kamen, entdedten mir bald, der Haupt 
mann und noch drei derfelben fein Juden, ein Baar an» 
dere Rigeuner, und die übrigen mittelmäßige Chriften. 
Drauf redete uns der Anführer obngefähr in feigenden 
orten an: 

Sollten wir Die nicht kennen, greßer Seifert, der 
Du bei alen benachbarten hoben Schulen und Univerfitä« 
ten im Ruhme ſtehſt, ſowohl Deiner Tapferteit als Ge⸗ 
Iehrfamfeit wegen! Hab’ ich nicht jedes Honigmort, wie eine 
Biene, ron Deinen Lippen gefogen, als Du im Birthe- 
baufe jene Jungen dort werführtert, — Komddianten zu 
merden? Gegen Deine Anfiht der Menſcheng'ſchicht und 
der Natur der Sachen in der Welt kann aud) der größte 
Dummtopf fein vernünftiges Wort einwenden. Ueber die 
Näuber haſt Du ater in’s Blaue gefhoflen; denn wir find 
den Henter nicht fo eigennügig nie Du denken thuft, und 
morden auch nicht immer blos aus Habfuht, fondern aus 
Kurzweil, weil uns das Ding Vergnügen macht, wie den 
Gimbern und Leoparden. 

Seifert antwortete: Ih höre, Du bift ein Jude! Hätt’ 
ich doc) nicht geglaubt, dag einer von Euern Leuten fo 
tapfer fein könne, fih zum Räuber» Haupfmanne aufzu« 
fhwingen. 

Der Räuber antwortete: Willſt kein Ppilifter fein, 
Seifert! und kannſt doch an der Stärke Simfons zweifeln? 
Sind die Juden auch nicht einft tapfer geweſen? Waren 
Mofes, Joſua, der König David und die Maktabäer keine 
Heiden? Haben mir nicht hartnädig gefämpft, den Tempel 
verteidigt, wie Kapen gemiauet, mit den Zähnen gebiffen 


Näunber-Grokmuth. 189 


wad wit den Krallen geriffen, ch’ der Titus uns im die 
Gefangenſchaft fhlenpen fonnte? Und nachher? Sind mir 
eiwa immer Wucheter und Schacherer geweſen? Haben 
nicht im dretzehaten Jahrhundert ein Städer 30,000 um 
anfern Leuten unter König Philipp tem Schönen in Fran» 
reich mit Ehren gefohten? Und mußten wir nicht, gleich 
den Elephanten im Nömerheere, den Vortrab machen, um 
nicht wegzulaufen, und um den Chriften den Weg zu bad» 
nen? Eind wir nicht in Worms zur höchſten bürgerlichen 
Ehre und Würde gelangt? Hieß es nicht dort: „Wormfer 
Iuden, fromme Juden,“ uad Tauteten die Verordnungen 
nit: „Unfere lieben Bürger, Juden und Chriſten?“ Has 
ben wir nicht fogar einft ein Iudenturnier gehalten? Fah⸗ 
renden Schülern thun wir aber kein Leides; das ift ein 
Gefeg unter uns. Bir wollen nur einen Augenblit in 
Eurer: Geſellſchaft ausruhen, und aus Teinem Munde 
geündlihern Unterricht in der Gauner-Philofophie hören. 

Es freute uns, mit diefem Ian Hagel fo leicht fertig 
au werden, und wir gaben ihnen den Bein her. Sie feh- 
tem fi) unberaffnet zu uns, tranken auf unfere Gefund- 
beit, Ieerten den Krug, amd zu guterlept mußte jeder von 
uns auch noch eine Umarmung von diefen Lumpenkerls 
dulden. Drauf wäufhten uns ae eine glüdliche Reife und 
verließen uns ſchnell 

In es doch aicht wunderbar, rief ich nach einigen 
Schweigen, dag man unter ſolchem Befindel noch mitunter 
einen Reſt von Gropmuth finde. Sie wollten nur einen 
Ttunk Bein aus unferm Kruge haben, dann zogen fie 
weiter! > 
Berrunßere mar nick zu fr ihre Befleldenheit, tiet 
Seifert mit erzwangener Kälte. Der Hallunke hat mir un- 


1% Geiftererfgeinungen. 
ter der freundlichen Umarmung meinen Iedernen Gurt mit 
dem Gelde geftohlen. — Bei diefen Worten griff jeder nach 
feiner Zafye, und ſiehe da, alles war rein gefegt. Nur 
einen Bündel mit unbedeutenden Siebenſachen, zur. Komds 
die gehörend, hatten fie ung gelaflen, fo mie drei Gold» 
füde, die Seifert fonleih unvermerkt in der Baumrinde 
verborgen batte. 


17. 
Geiftererfheinungen. 





In diefem traurigen Suftande famen mir zu einem 
Dorfe, das von lauter armen Leuten bewohnt war; nur — 
erzählte uns ein Bettler — wohne an der Ede zunächſt 
der Kirche, eine reiche Witwe, die heute Abend Gänſe brate, 
aber fehr geizig und unbarmherzig fein folle. 

Wollen wir unfer Glüd bei ihr verſuchen? rief Seifert. 
Den Iumpigen Bettler hat fie abgewiefen, wir aber find 
bübfche wohlgefleidete ‚Junggefellen, mit folden pflegen 
Bitwen immer das meifte Mitleiden zu haben. 

Es war ein falter windiger Abend und fehr dunkel, 
denn es war in der Kohlſchaft, wie fih die Gauner 

> auszudrüden pflegen, und der Mond ſchien nicht. Bir ka⸗ 
men an der Kirche und dem Kirchhofe vordgl, und fahen 
in einer Meinen Kapelle eine Lampe brennen. Der Bettler 
erzäblte, dort liege in gläfernem Sarge ein adeliches Fräu- 


Geiftererſcheinungen. 191 


lein, es brenne dort alle Naht eine Oellampe, und es 
werde alle Abend mit einer kleinen ſilbernen Glocke geläu« 
tet, weil fie vor mehreren hundert Jahren der Kirche ihr 
ganzes DBermögen vermaht babe. Es folle aber in der 
Zodtengruft nicht geheuer fein: man erzählte, das gnädige 
Fräulein öffne. mitunter den gläfernen Satg, fteige heraus 
und wandle in der Kapelle auf und ab. 

Der Bettler verließ uns, und wir flanden vor der 
Kapellentgür. Der Küfter hatte fie zu fliehen vergeflen, 
mir traten ein, fanden die Fleine Halle Iuftig. heiter und 
reinfih und frifhgeftreuten Sand mit duftenden Blumen 
auf dem faubern Boden. Die Mumie lag wie eine ger 
ſchmückte Puppe in dem gläfernen Schranke. Ueber der 
Lampe hing ein altes Gemälde, fo ſchwarz beräudert, daß 
man die Gegenftände auf demfelden nicht mehr zu unters 
ſheiden vermochte. Hier treffen wir allenfals ein gutes 
Nachtlager, wenn wir fonft feines befommen, und wir felbft 
Stro mitbringen, fprady Seifert. — Wir gingen weiter, 
und es freute mich heimlich, als wir uns den Wohnungen 
der Lebendigen wieder naheten. Wir entdedten bald das 
Haus der reihen Witwe an der Ede. 

Das Feuer auf dem Heerde ftrablte Iuftig roth durch 
die bleiernen Fenfter zu uns heraus in die Dunkelheit, wir 
naheten uns und gewahrten eine Altlihe grämliche Frau, 
hoch und von ftarfem Knochenbau, die damit beſchaͤftigt 
war, zwei Gänfe zu braten. Sieh mal, rief Seifert, wie 
- braun und leder fie am Bratfpieß glänzen und ſich mit ihm 
drehen. Sollte man es glauben, dag eine Gans fo rei⸗ 
end, ſo verftändtg ausfehen könne? Laßt mir die Frau 
ungeſchoren, id) febe es ihrem Weſen an, daß fie eine gute 
Birthin ik. Sich nur, wie das Kupfer blank gefeuert 


192 Geiftererfheinungen, 


an den Wänden herumbängt. ie die reinlichen zinnernen 
Zeller in Reihen über dem weiß geſcheuerten Kuͤchentiſche 
biinfen. Auch die irdenen Krüge hängen in ſymmetriſcher 
Ordnung. Die Thür zur Speifelammer öͤffnet fih, und 
zeigt mir Tonnen und Flaſchen in unendlichen Reihen. 

In diefem Augenblife befam der Junge, der drinnen 
den Bratſpieß wendete, ein Paar tüchtige Maulfchellen, dag 
das Küdyengemwölbe davon dröhnte, er erhob ein fürdterli- 
Mes Geheul, und ſchrie: IN’s nicht genug, dag ich fein ein- 
ziges Städ Gänfebraten befomme, muß ic mir nody oben. 
drein Ohrfeigen geben laffen? Bas hab’ ich denn gethan? 
— Nichts! ſprach die Frau, darum eben befümmft Du 
Maulſchellenz Du haft den Bratfpich zu drehen vergefien, 
Schlinge! — Ihr feid cine gottlofe Frau, winfelte der 
Junge, und behandelt eine arme Baife, daß es Gott er- 
barme! Immer muß id. mit ſchimmlichem Roggenbrote. 
bartem Käs und Dünnbier vorlich nehmen, während Ihr 
und Euer feifter Sohn Euch mit Spanferkeln, Merfebur- 
ger Bier und Bänfebraten volauf mäftet. Morgen Som 
tags kommt er aus der Stadt, und heute Abend müffen 
ſchon die Gänfe gebraten werden, weil Ihr mit ihm in die 
Kirhe gehen wolt. So zeigt denn auch Früchte Eurer 
Gottesfurdt. Bas hilft das Weinen in der Kirhe, wenn 
Ihr immer graufamer nad) Haufe Tehrt? Gott fieht nur 
auf das Herz; Beweiſet, dag Ihr ein chriſtliches Gemüthe 
badt, effet meinetwegen die Bänfe morgen allein, gebt mir 
nur heute Abend die Flügel. — Ei warum nicht gar? rief 
die rau, Gaͤnſe ohne Flügel ſollte ih morgen meinem 
Sohne worfegen? Dann wär’ id) eine Mutter, auf welche 
die Leute mit Fingern zeigen würden. — Cie werden ihm 
wohl ohnedieß in ven Mund fliegen, fagte der Iunge; Men- 


Beiftererfheinungen. 193 


ſchen fürchtet Ihr freilich wit, ale armen Leute und Be- 
dräugte jagt Ihr obne Mitleid und Erbarmen von Eurer 
Schwelle; nehmt Euch in Acht, dag nicht nieder der todte 
Martin Kiperlein, der verwichene Woche an den Galgen 
gebangen ward, fein kreideweißes Geſicht ins Bleifenfter 
binein ftede, wie er es {bon einmal gethan, weil Ihr bei 
feiner Hinrichtung kein Mitleid fühltet. Kirche und Kirchhof 
find auch, wie Ihr wißt, nit weit von hier. — Knabe, 
ſprich nicht fo ruhlos, erwiederte die Frau fanfter mit ge» 
dämpfter Stimme; laß die Todten ruben und fei fromm, 
ich will Dir ein Stüd Bratwurft und ein Weigbrod geben. 

Diefe Borte waren für Eeiferten genug. Das Bün- 
dei mit theatralifhen Siebenſachen ward aufzethan; er 
machte ſich ein Ereideweiges Geſicht befeftigte einen Strid 
um feinen Hals, hülte fi in ein Gewand, und fland als 
der leibhafte gehangene Martin Kiperlein da, hütete ſich aber 
wohl zu erfheinen, bevor die Gänfe an dem Spiege gar 
waren. Kaum fah er fie aber im Hafen auf zwei großen 
zinnernen Tellern, fo klopfte er leiſe ans Fenfter, und drüdte 
feine Nafenfpige flach gegen die Scheibe. Das todtenblaffe 
Geht fehen, freien und weglaufen war das Werk eineg 
Augenblids für die Frau ſowohl als für den Burſchen; 
burtig bineinfpringen, die Gänfe, zwei Brote und einen 
Krug Bier wegfhnappen, das augenblidlihe Geihäft Sei» 
ferte. Drauf ging er ſpornſtreichs zur Kabelle, mo die 
Maplzeit verzehrt werden ſollte. 

34 blieb auf dem Kirhhöfe unmwilig zuräd, und in 
diefem Augenblide war mein Borfag gefaßt, mid) von Seis 
ferten au trennen. Es geht zu weit! dachte ich; Freilich thus 
er alles im Scherz, ohne Bosheit, ja es miſcht fih ſogat 
immer etwas Liebenswürdiges und Keces in feine Tollhei- 

Drblenf. Schriften. XVI. 13 


194 Geiftererfheinungen. 


ten, foldıe Gefchisbten fünntn uns aber zaletzt ungküctich 
machen. 

So mit mir ſelbſt redend, hatte ih wich auf einen 
Srabftein geſetzt, auf den die Lampe aus dem Kapellfen- 
fter ein fpärliches Licht warf. Wie erfhrat ih, als id, in 
meine Grübeleien verfunfen, die Augen aufſchlug, und 
mid felbander entdedtel Eine lange, bleiche Geftalt ſaß 
in weißem Gewande auf der entgegen geſetzten Ede mir 
gerade gegmüber, und fah mic mit hohlen Augen an. Ich 
wollte fliehen, die GeRalt griff mid mit ciefalter Hand 
am Arm, und dalb ohnmaͤchtig fant ich auf den Grabftein 
zurück. 

Armer Iüngling! ſeufzte der bleiche Mann, biſt Du 
auch ungluͤcliwe Ich bin der Geiſt eines Unglüclichen 
Furchteſt Da Dich vor Geſpenſtern? — Mein Schret er, 
laubte mir feine Antwort, und die weiße Geſtalt fuhr fort: 
Du haft Did) auf das Begräbnig meines zweiten Ichs nie ⸗ 
dergelaffen, fo bi Du in meiner Gewalt: Ih will Dir 
das Geheimnig meiner Leiden anvertrauen. Was ich in der 
Belt geweſen bin, und welden Namen id) damals führte, 
weiß ich in dem jehigen Zuftande nicht mehr. Daß ich aber 
ein edles Maͤdchen liebte, weiß ich leider noch gar zu gut. 
Ich gewann ein treues Herz, weil ih, mie Du wohl noch 
an meinem Schatten wahrnehmen fannft, ein überaus. fdö« 
ner Züngling war. Eitelkeit und Leihtfinn machten es mir 
aber bald zum Bedürfnig, andern Liebſchaften nachzugehen 
Da gtaͤnne fie ſich in der Stile, ſchmachtete Hin und ſtarb. 
Ich meinte und rang die Hände. Bald ftellte fid) aber 
wieder der Leichtfinn ein, ja fo fipmell, dag ich nicht einmal 
warten fonnte, bis das arme Kind zur Erde beftattet 
wurde. Abends vor ihrem Leihenbegängniffe ging ich ſpaͤt 


Beiftererfheiuungen. 19 


auf der Straße, Der Mond ſchien, ich dachte an fie, ih 
hatte in einem Garten Rosmarin gepflüdt, und wollte da» 
mit ihre Leiche zieren. Da ward id) plöplih auf der ans 
dern Seite der Stratze ein ſchönes junges Frauenzimmer 
gewahr. Es Hatte kürzlich geregmet, fie hatte den Rod 
mebr als gewöhnlich aufgezogen, und die (hönften Beine 
mit ſchneeweigen Eträmpfen und Beinen lichtgrauen Schu. 
ben zeigten Ach mir. Sie ging viele Stragen durd, ſchien 
es aber nicht übel zu nehmen, dag ich ihr folgte, immer 
wit wonnetrunkenen Augen die niediihen Beine betrach⸗ 
tend; und wäre fie wie eine Mecrnice ins Waſſer gewan- 
dert, ich wäre ihr blindiings gefolgt. 

Wo wir jept waren, wußte id nicht, id fah unr fie. 
Endlich ſchlüpfte fie in eine Thür Hinein, ohne Diefe hinter 
fich zu fchlisgen I wagte es, ihr zu folgen. Bald ftans 
den wir im fleinen Zimmer. Ein weißes Ruhelager ftand 
mitten in der Stube; lange weiße Gardinen waren vor 
die Zenfler gezogen. Sie fhmebte hin zum Nuhebeite, 
ttrecte fi) darauf hin und ein ſchauerliches klagendes Nedı- 
zen heulte durch die Luft und durchbebte alle meine Ner- 
ven. Ih wollte flichen — die Thüre war zugemacht — 
Komm, Liebipen! zage nicht! tänte es wieder ſpoͤttiſch. Ich 


nahete mich ihr — fie lag blaß und lang ausgeftredt. Ich 


wollte ihre Hand ergreifen — eine eiskalte feuchte Hand 
drüdte id) mit der meinigen. — Gott! es war meine verftor- 
bene Braut! Ih fand vor ihrer Leibe am Sarge. Ein 
Eimer mit Waſſer ſtand auf dem Boden; der Dedel zum 
Sarge war an die Wand gelehnt, ein dumpfer Leichenge⸗ 
ru, vermiſcht mit dem twiderlihen Geruche der neuen 
Fenter- Gardinen erfüllte die Luft. In diefem Augenblide 
fiel ich ohnmaͤchtig Hin und verſchied. 3 


1% Geiftererfheinungen. 


Aber die tollen Menfhen glaubten, ich lebe noch. Statt 
mid) zu begraben, wie ich fie mit weinenden Hugen bat, 
ſperrten fie mid; in ein Irrenhaus ein, und zwangen mid, 
trotz meines Todes, zu een und zu trinken. Ich babe 
mich aber, ihrer Wachſamteit ohnerachtet. aus dem Gier 
fangniſſe gefhlien, das Grab meiner Geliebten aufgefuht 
und es glůcklich entdedt. Nun habe id fie reuig um Ver» 
weibung gebeten, ihr Geift ift mir erfhienen und hat mir 
verkündigt: Wenn id einen unfhuldigen Jüngling, wie 
Abraham feinen Ifaat, auf meinem Grabfteine opfern 
Eönne, dann würde id, während fein Blut das weige Mar« 
morgrabmal färbe, Ruhe befommen. — So fand ih Die, 
theurer, herrlicher Jüngling! Dein Auge beträgt nicht, Du 
bit gewiß gut und unſchuldig, und verdienft, was ich für 
Dich thun will. Durch Deinen ſchnellen Tod werden wir 
beide fogleih zur ewigen Seligteit und Ruhe gelangen. 
Nimm es mir alfo nicht übel, dag ih Dir dies blinkende 
Meſſer ins Herz ftoße. 

Mit diefen Borten padte mid der Nafende an der 
Bruſt, und holte trampfhaft mit der dürren Hand, die 
den Dolch hielt, aus, um mid zu ermorden. Zugleich 
aber kam eine nervigte Fauft aus dem Hollunderftraude 
binter dem Grabfteine hervor, faßte den Wahnfinnigen an 
dem Arm und eine ftarke Bapftimme rief: Da haben wir 
den Beſeſſenen. Fort mit ihm ins Tollhaus. 

Ohne fidy weiter um mic) zu brfümmern, ergriffen die 
Herbeieilenden den Bahnfinnigen und eilten mit ihm da- 
von. Etwas mußten fie Halt machen, weil der Tole Wir 
derftand Leiftete. Dann hörte ich fie ſich heimlich beſpre⸗ 
hen. — Die Jungfrau wandelt wieder auf und ab in der 
Kapelle flüfterte einer; ſeht ihr nicht, wie der Schalten 


Beitererfheinungen. 1 


drinnen an der Dede ſich bin und her bewegt? — Das 
gebt uns nihts an, fprady der mit der Bapftimme, mit den 
Todten haben mir nichts zu thun. — Unverftändiges Vieh! 
tief der Tolle, wenn Ihr mit den Todten nichts zu thun 
babt, mas habt Ihr denn mit mir zu thun, der id eim 
Geiſt bin. — Das werden wir nachher genauer unterfu- 

hen, antwortete jener, vor’s erſte wollen wir den gnädigen 
‚Herrn Geift in eiferne Kette fegen — Und fie eilten, mir 
zum Troſte mit ibm weiter, denn-die unvorfihtigen Men» 
ſchen in der Kapelle ſprachen zumeilen fo laut und lacten 
fo hell, dag man nicht bios ihre Schatten an der Dede 
feben, fondern aud) ihre Stimmen deutlich hören Lonnte. 

So mißvergnägt id aud mit Seiferten war, konnte 
ich doch nicht Nein fagen, als er heraus fam, mid) zum 
Schmauſe in der Kapelle einzuladen, denn id hatte den 
ganzen Tag nichts genoffen. Drinnen war alles fehr fau- 
der und Häuslich eingerichtet. Das weige Gewand, womit 
er den Gehenkten gefpielt hafte, war über den Sarg ges 
breitet, der jept als Tiſch diente. So hatte er:leiht und 
ſchlau das Schauerliche unter diefer Hülle verborgen, und 
ſtatt in einem Grabgemölbe, glaubte man in einem bübs 
ſchen beitern Luſthäuschen zu fein. Die Gänfe fanden auf 
den Tellern, zierlich in gewiſſenhafte Portionen geſchnit⸗ 
ten, und dabei Brod und Bier vollauf. Fünf Ruhelager 
von friſchem Stroh breiteten ſich an der Waud bin. 

Ich mar ſehr hungrig, und vergaß alles Bedenkliche. 
Ich muß geſtehen, nie hat mir eine Mahlzeit beſſer ge⸗ 
ſchmect; zum Deſert erzaͤhlte ich mein gehabtes Abenteuer 
auf dem Leichenſteine, meine Spießgeſellen hörten mir mit 
Verwunderung zu, und bald ſchliefen wir alledſüß auf un» 
ferm Etroblager. 


18 Der Pfarrer und fein Küfter. 


18. 


Der Pfarrer und fein Küfter. 





Herr Jeſus! was ift doch das? hörte id) bein Erwa⸗ 
chen eine heile Stimme ſchreien. Ich öffnete die Augen; 
meine vier Kameraden ebenfalls, wir blidten wild umber, 
und wie erftaunten wir, als wir den Dorfpfarrer und ſei⸗ 
nen Käfter in der Kapellenthür ſtehen fahen, erftern die 
Hände über den Kopf aufammen fhlagerd. Lauft, Traut ⸗ 
mann! rief er; lauft und läutet mit der Sturmglode; das 
will fagen, mit der größten, mit der einzigen Glode, die 
wir haben. Läutet Landſturm. Zigeuner find in die Ge⸗ 
gend gefommen; die Türken find eingebroden, und haben 
thriſtliche Kirchen zu Pferdeftällen gemacht. — Um Gotted« 
‚willen, Herr Paftor! rief Seifert, der glei munter und 
auf den Brinen war, ſchreiet doch nicht, macht ung nicht 
unglüdlih. Bir find weder Zigeuner, Türken, noch Pferde, 
fondern arme fahrende Schüler, die beute Nacht fein Ob⸗ 
dad) unter den Lehendigen erhalten fonnten, und deshalb 
gendthigt wurden, bei dem Todten zu ſchlafen. — Bo ift 
das gnaͤdige Fräulein, wo iſt die Hochſelige hingerathen, 
rief der Pfarrer aͤngſtlich; Ihr ſollt mir für ihren Meinften 
Finger verantwortlid fein. Verlieren wir fie, dann ver- 
Kiert die Kirche jährlich dreihundert Thaler von ihren Ein⸗ 
fünften. Wo habt Ihr das gnädige Fräulein gelaffen? — 
Ich glaube, fie haben fie aufgefreflen, ſprach der Küſter 
trodem, da ftehen noch die Knochen auf dem Teller. Spaß 
apart, Trautmann, ſprach der Pfarrer ärgerlich; Hier gilt 


Der Pfarrer und fein Küfter. 49 


fein Zaudern. Wo habt Ihr den Sarg bingefchleppt, und 
wo habt Ihr den Zifh ber befommen? — Ohne zu ant« 
worten, riß ih das Tuch von dem Sarge; und die Mu- 
mie dag da unzerftört in ihrem Kaften mit den gläfernen 
Scheiben. Den Sarg zum Tiſche zu machen, feufzte der 
Bfarrer, bab’ ic mein Tag nicht gefehen. Und was habt 
Ihr gegefien? Geftohlenen Bänfebraten? Gott behäte, aut« 
wortete Seifert. Der fonderbarfte Fall ift uns geitern be 
gegnet. Hier an der Ede wohnt eine wohlhabende Witwe. 
— Die hat Euch feinen Kuochen mit ihrem guten Bilen 
‚gegeben, ſprach der Pfarrer. Nein, gewiß nicht, fuhr Sei ⸗ 
fert fort, ohne ſich aus der Faſſung bringen zu Iaffen, denn 
das iſt die geisigfte Kreatur, die auf Gottes Erdboden geht, 
fie iſt aber fehr abergläubiih. Ein wahnfinniger Menſch 
iſt beute Nacht auf dem Edelhofe ausgebrochen: in’ weißem 
Gewande gute er ihr in's Fenſtet hinein, als fie die Gänfe 
driet. Die alberne Gans, (ih meine nicht die Gans, fon» 
bern die Frau,) wmähnt ein Gefpenft zu fehen, und macht 
fh aus dem Staube. Der Tolle ftärzt zur Küchenthüre 
berein, erobert die Bänfe,-nebft Bier und Brod, und läuft 
damit nad) dem Gottesacker mas er laufen Tann. Unter⸗ 
wegs begegnet er ung. Weil er nun todt zu fein glaubt, 
und keiner Speife bedürftig, reicht er uns alles hin. Bir 
armen hungrigen Schüler danken ihm, und richten ung in 
der Kapelle fo gut ein, als es in der Eile gehen will weil 
uns im Dorfe jede Ghriftenthür verſchloſen it. Um dem 
ſcheutlichen Anblicke der Todten, während der Mahlzeit, zu 
entgeben, und um der Seligen, die doch noch immer, felnt 
nach dem Adfterben, eine unverheirathete Jungfrau ift, kein 
Aergerniß gu geben, haben wir diefes Gewand als Niſch⸗ 
tuch für uns, und als Beitgardine für fie gebraudt, um 





200 Der Pfarrer und fein Küſter. 


ihr die ſchuldige Ehrfurcht zu ermweifen, und ihren guten 
Ruf zu fhonen, während wir fünf Iunggefellen es uns in 
ihrer Nähe commode machten und zu Bette gingen. Der 
Tolle ift noch etwas auf dem Kirchhofe umbergelaufen; der 
defperate Kerl hat einen von meinen Kameraden, den jun⸗ 
gen Menſchen da, todtftehen wollen; zum Glück famen noch 
die Haſcher zu rechter Zeit, und zogen mit dem Blödfinni- 
gen ab. Seht, Herr Paſtor! das ift die lautere Wahrheit, 
Und wollt Ihr mir nicht glauben, fo fragt den Herrn Ir» 
tenhaus»Infpector, der felbft bier geweſen ift; er it (wenn 
ich nicht irre) ein vernünftiger Mann, und wird mid nicht 
" Zügen ftrafen. 

Durch diefe halbe Wahrheit und halbe Dichtung ret- 
tete Seifert uns vellig. Der alte Prediger, der ein etwas 
einfältiger, zugleich aber gutherziger Menſch war, ward 
über unfern Zuſtand gerührt; und durch die fraßhafte Ein» 
Meidung gewann Seifert den Küfter, einen guten Kopf, der 
mit feiner trübfeligen Phyſiognomie einen Spaß zu lieben 
ſchien, und den Ton zuerft angegeben hatte. 

Wir mußten die Kapelle wieder reinigen, und das 
Stroh heraustragen. Dann Ind uns der Prediger zu Mit-⸗ 
tag ein, und id hatte Gelegenheit, den Character feines 
fonderbaren Famulus weiter zu ftudiren. Er ſchien mir 
zum Küfter nicht geboren. Bierzig Jahre mochte er ohn⸗ 
gefähr alt fein, war blaß und mager, hatte aber ein ſchö⸗ 
nes, ausdrudsvolles Geht, und die tiefliegenden Augen 
hatten noch Feuer und verriethen Gefühl, Er trank unter 
der Mahlzeit viel Wein, und fpottefe in gutmäthigen Tone 
über die Welt, ohne doch aufgehört zu baden, die Menſcheu 
au lieben. Der alte Prediger war ein licher phlegmatiſcher 
Alltagemenſch, und fand Gefallen an uns, weil ihm Sei» 


Der Pfarrer und fein Küfter. 201 


fert ſchmeichelte, und Die alten Schüldereien im Pugiimmer 
rühmte. Nun, Zrautmann! rief der Alte heiter über den 
Zi, es ift nicht genug, guten Bein zu trinfen, man muß 
auch dazwiſchen ein Lied fingen; mas hilft es fonft, die 
Kehle anzufeuchten? — Er kann viele hübſche anftändige 
Trintlieder, verfepte der Alte, die fih aud vor geiſtlichen 
Leuten bei einem Glafe Bein opne Anftoß hören laflen. — 
Ein anfändiges Trinflied! rief Seifert, fo ein gebratenes 
Huhn möchte ih wohl au in der Luft fliegen ſehen. D 
lieber Herr Küfter, fingen Sie doch. — Er hat eine fehr 
gute Singftimme, flüfterte der Prediger Seiferten in's Obr, 
um feinen Liebling nicht laut zu rüpmen; darum hab’ id) 
ibn zu meinem Küfter und Gantor gemadıt. Wenn er nur 
nicht fo tief in's Weinglas fähe; doch Ihr kennt wohl das 
lateiniſche Sprichwort: Cantores amant humores. Nun, 
verfelte Eeifert, wenn er nur immer anfländige Trinklie⸗ 
der dazu fingt, fo bat es nicht fo viel zu bedeuten. Nun, 
Trautmann! rief der alte Prediger, der heute ſelbſt ein 
Glas mehr als gewoͤhnlich getrunken hatte; ein gutes Lied! 
Bein und Liebe! Liebe und Bein. Dafür braudt fid ein 
lutheriſcher Geiſtlicher wicht zu ſhaͤmen! Eingt doch unfer 
großer Reformator, Doctor Martin Luther, ſelbſt: 


Wer nicht liebt Bein, Weiber und Gefang, 
Der bleibt ein Rarr fein Bcbenlang. 


Luther! rief Seifert und ſtarrte mich ernft mit großen 
foöttifhen Augen an; Albert, das ift Waſſer auf Deine 
Mühle. Ich ſchwieg. betrachtete aber Seiferten mit einem 
ruhigen Blide, der ihn ein wenig aus der Faſſung brachte. 
Es lag viel in diefem Blick er fagte: Seifert, id bin nicht 
länger in Dich vergafft, Deine gar zu große Eitelfeit iſt 


202 Der Pfarrer und fein Küſter. 


mir jetzt recht einleuchtend. Da willſt immer allein ſpre⸗ 
hen und fuͤrchteſt fogar jeßt, da es uns vieleicht beim als 
ten. Prediger nupen könnte, daß ih aud) ein Wort mitrede. 

. Sei nur rubig, bald werde ich nicht Dir und Du nicht 
länger mir zur Laft fallen. — Er hatte eine gute Nafe, 
mitterte, was in meinem Gemüthe vorging, nnd wolltt mic) 
im Ernft als einen Enfel Luthers vorftelen; ich raunte ihm 
aber in's Ohr: Kein Wort davon, oder weiß Gott, ich 
ſtehe vom Tiſche auf und gehe meines Weges. 

Der Küfter, der damit befhäftigt war, die Gläfer zu 
füllen, und die Spifode zwiſchen Seifert und mir nicht ge- 
merft batte, fagte jept: Ich weiß wohl, dag man gemöhn. 
lich den Bachus mit der Venus zu baaren pflegt, das ift 
aber, meiner Meinung nad, eine.ganz abgeihmadte mifer 
rable Ehe, eine wahre Mesalliance, aus der mein Tag 
nichts Gutes herauskommen kann. Entweder muß Liebe 
ohne Wein, oder Wein ohne Liebe genofien werden. Bie 
werdet Ihr num wieder diefe Sophifterei beweifen? frug ihn 
der alte Pfarrer. — Durch ein Lied, fprad der Küfler, 
das ich ſelbſt vor zehn Jahren gedichtet Habe, als ich noch 
zu etwas taugte. Drauf fein Glas vor fid) binfeßend, 
fang er: 


Glaͤckuch lieben, Bachus lieben? 
Rein, das thut fein rechter Mann, 
Ber glüdfelig lieben kann, 

Dem ift Bachus fremd geblieben. 
Denn Eupido mit dem Köcher 

IR au fein, zu jart geſtunt; 

Er ift zartlich wie ein Kind, 

@ebt nicht mit bem Gott der Zecher. 





Der Pfarrer und fein Küfer. 


Feucten kannt Du zwar die Lippe 
Liebender, damit in Glut 
Bläder Minor teinte Muth. 
Baus aus der Agauippe. 
Uber aus der Liebe Schale 
Cchlürfen fie, zu füßen Bein. 
Nebenfaft auch teinten? Nein, 
Past nicht au der Siebe Maple, 


Doch unglhücklich, ohne Hoffen 
Sieben, ohne Luft und Muh — 
30 — dann ſchüreſt Du die Giui. 
Soft, und jeigf den Himmel offen. 
Dann, dann muß fih an Dich halten 
Gun verlafen traurig Heri, 
Denn Du Undert feinen Schmeri, 
Mit den dunfligen Gewalten. 


Zeinten win ich, und wicht weinen, 
Trinken neue Bebensluft; 
In die Dunkle, wunde Bruft 
Bird dann Sonne wieder fcheinen. 
Teinfen win ich ohne Trauer, 
Und vergefien, wenn ich fing" 
Iene Traube, die mir hing 
Gar zu Hoch und gar au fauer. 





Leider nur iſt Deine Schale, 
Bachut, mir nicht tief genung; — 
Bagt ich dreiſt den kühnen Eprung, 
Wär's gethan mit einemmale. 








284 Der Pfarrer und fein Küfter. 


@eht den Fluß, er winkt dem Zecher! 
Ber da trinkt, nicht. ferner Flagt. — 
Erin — es war im Scherz gefagt; 
FÜHt mir wieder meinen Becher! 


Als Trautmann das Lied geendigt hatte, ftand er auf, 
und ging in den Obftgarten, der an das Speiſezimmer 
fieg, um den Tauben im Taubenſchlage Erbfen zu geben, 
und der alte Prediger feufzte: Lieber Gott! faſt follte ich 
glauben, der alte Kerl fei noch etwas verliebt, obfhon es 
bereits fünfzehn Jahre find. feit ihm der ſchelmiſche Hei- 
dengott Eupido die Bruft vermundete. Ich verlange, daß 
er ung ein anftändiges Trinflied finge, und dann fingt der 
gottlofe Menſch ein verkapptes Selbftmörderlied. — Nun, 
Herr Paftor, ſprach Seifert, es war wohl fo übel nicht 
gemeint; die Yeute, Die von dergleichen fragen, vollfüh- 
ren es ſelten. Freilich hätte ich lieber ein luſtiges Trink⸗ 
lied gehört; wenn es aber durchaus melancholifch fein follte, 
mar doch diefes Lied eines von den ärgften. Und konnte 
es nicht toll auf die eine, fo mußte es ſoiches auf die andre 
Beife fein. Wenn man trinkt, feht Ihr, mug man ent 
weder das Leben, oder den Tod bis zur Toüheit lieben 
und rlihmen; denn was die Anftändigkeit betrifft, Herr Pa- 
Kor, die ift gewiß ganz vortrefflich in mancher Rüdficht, 
aber zum Trinken taugt fie nicht viel. Ein guter Trunt 
muß entweder ganz warm, oder ganj kalt genoffen werden; 
das Laue ift nnr zum Erbrechen. Euer edler Bein hat 
mid erbitzt; das Trautmann'ſche Lied Hat mich wie ein 
ſchmachaftes Eis oder Gefrornes zum Nachtiſch wieder ab» 
getühlt. — Bas ſprecht Ihr da von Eis, Gefrornem, und 
ich weiß nicht was! junger Sant? rief der Alte, der Sei« 


Der Pfarrer und fein Küfter. 205 


fertens Spaß nicht verfland; mas ſprecht Ihr von ſchwahen 
and nicht thun? Ich fage Euch, er häste es gethan, wenn 
ich nicht geweſen wäre. Nein, fo muß Liebe nicht beſchaf - 
fen fein. Id habe auch den Berluft einer braven Ehefrau 
bemweint; aber alles mit Magen. Man muß nicht darüber 
vum Narren werden. — Zreilih, fagte Seifert, wenn das 
Kind ftirbt, fo ift die Gevatterſchaft vorbei. — Eo meine 
ich es nicht, ſprach der Prediger; man bat aber mehr zu 
thun, als zu lichen in der Belt, und man mug nicht alles 
aufgeben, weil ein Wunſch uns nicht gewährt wird, denn 
das ift eine unmännlide Schwachheit und goftios obendrein. 

Trautmann verliebte ſich vor vielen Jahren in ein hübe 
ſches Mädchen, das fih, ihren Eltern zu Gefallen, ſchon 
mit einem andern adıtharen, febr refpeftabeln Manne ver 
ſprochen hatte. Nun fah fie den guten Trautmann zu ſpät 
und mußte naher in ihren fauern Apfel beißen. Ich traf 
den verzweifelten Juͤngling eben. als er im Begriff fand, 
ſich den Garaus zu machen. Er wollte fih in dem Flug 
ertränfen. Ich bielt ihm aber eine tüchtige Strafpredigt, 
tonnt Ihr glauben. — Naqher it er mein Küfter gewor- 
den; und da muß ic) geftehen, hat er in zehn Jahren fein 
Amt mit Gewiſſenhaftigteit verwaltet, und die Gemeinde un 
gemein mit feiner fhönen Tenorftimme erbaut, wenn er die 
herrlichen Lieder von Ergebung in Gott, Sehufuht nad 
dem Eode, Hoffnung an die Unſterblichkeit, und Troſt im 
Ungtüd gefungen. Die Leute glaubten, «6 fei pure Bot- 
tesfurdt, die aus ihm töne. Gott befier's! Ich mußte 
wobl, wo ihn der Schuh drüde, daß es nur eine weltliche 
Liebe fei, die ihn begeiftere. Ich ließ aber die guten Ehri- 
Ken in ihrem frommen Wahne, und date: auch aus einem 
serbrocpenen Scherben kann man den bimmlifhen Labetrunk 


206 Der Pfarrer und fein Käfer. 


fepöpfen. — Nahıber ift er freilich bitterer und ſpoͤttiſcher 
geworden, und hat aus Trotz, weil ihm die Borfehung ein 
geliebtes Meib verfagte, eine alte böfe Sieben gebeirathet, 
die ihm täglich mehr ärgert, als Kanthippe den Sokrates. 

Der Käfter kam wieder zurüd, und als er etwas mit 
Seiferten geſprochen, und feine Anfihten und Meinungen, 
mit denen cr immer gern hervorrädte, befonders wenn er 
ein Glas Bein getrunten hatte, kennen gelernt, ſprach 
Trautmann: Ihr ſcheint mir von einem militärifhen Beifte 
beſeelt zu fein, und follter billig in diefen wichtigen Zeiten 
Kriegsdienfte thun, ftatt mit jungen Leuten herumzuziehen. 
und Eure Zeit zu vertrödein. Freilich, mas Ihr von dem 
Zily, dem Wallenſtein ſprecht, ift wahr: fein braver Menſch 
follte Ady billig diefen düftern Räuber» Häuptlingen anſchlie⸗ 
pen. Allein wißt Ihr denn nicht, dag gerade ein folder 
Held, wie Ihr ihn mänfct, ein wahrer Enkel Odins, mit 
feinen nordiſchen Burſchen, tie Ihr fie nennt, auf deut, 
ſchem Boden erſchienen iſt? Der berrliche Guſtavus Adol 
phus von Schweden, der mit feinen Nordenhelden in den 
Scheeren bei Elfenaben gelandet iſt, um den Proteftanten 
in der äußerfien Roth beiguftehen. 

Bir jungen Leute vermunderten uns, folde Nachrich- 
ten zu hören, denn obmohl Zeitungen ſchon damals herans- 
gegeben wurden. waren uns doch weder das Frankfurter 
Iournal, noch der Poſtreuter zu Gefit gekommen. Der 
alte Prediger wollte auch ein Wort mitfpreden, er vermed- 
felte abet und verdrehete alle Namen. und warf Begeben« 
beiten und Iahreezahlen fo verworren unter einander, daß 
der Küfter alle Diühe Hatte, denn Wirrwar wieder in Ord- 
nung zu bringen. 

Bon diefem Abende an hatte Seifert feinen Entfhlug 


Der Pfarrer und’fein Küſtet. 207 


gefaßt: er wollte zu Guſtav Adolph, und bei ihm fein 
Glüd verfuhen. Unfere drei Reifegefährten folgten ihm. 
Und ih? Bas that denn ih? Ich blieb beim alten Pres 
viger, um — Sabftitut feines Küfters zu werden. Ihr fine 
det, das fei ein fehr Meines Gluͤck geweſen. In meiner das 
maligen Lage war es in der That ein.fehr großes! Denn 
was wäre fonft aus mir gewordrn, da ich nun einmal nicht 
Luſt hatte Soldat zu werden? Ich follie bei Trautmann 
wohnen, und er verſprach, mir in ledigen Stunden in den 
Schulwiſſenſchaften gründlicheren Unterricht zu ertheilen. Er 
bat Wort gehalten, der arme Unglüdliche, und ic werde 
feine liebliche Erſcheinung nie vergeflen. ’ 

Bon ‘Seifert trennte id) mic) nicht ohne Beträbnig, er 
mar aber, nad) feinem Entſchluſſe Soldat zu werden, noch 
härter als fonft, und machte es fich ordentlich zur Pflicht, 
alle mildeten Gefühle, die oft im reizendften Widerſpruche 
mit feinen Orundfägen fanden, zu unterdrüden. Als ic 
am leßten Abende gerührt durch das bitterfüge Gefühl des 
Abſciedes etwas fagen wollte; rief er: Nicht doch! Noch 
brauch’ ich feinen Beldprediger. Einen Kerl, wie mich, fin- 
dert Du leicht wieder, und Deines Gleichen giebt es auch 
nody in der Belt. Ich mag das Henlen und Umhalſen der 
Leute in der legten Abſchiedoſtunde nicht leiden. Oft ge⸗ 
ſchieht es, wenn man ſich auch vorher nicht ausftehen mochte, 
aus Sauter Freude, dag man ſich gegenfeitig los werde. Im⸗ 
mer leben ſolche Menfchen in der Ginbildung! Nach dem, 
was zugegen ift, fragen fie nie; fie wollen nur das Ber» 
lorne beweinen ; und ‚das Berfäwundene (welches fie auch 
nicht genoffeu baben,) muß immer als Folie und Hinter 
grund ihrer Wehmuth und Berfiimmung dienen, um den 
Genug der Gegenwart zu ſchwächen. Etwa wie eine alte 


208 Der Pfarrer und fein Käfer, 


Witwe, die ihren erften feligen Mann (mit dem fie ſich täg- 
lid) zankte) beweint, um den jepigen täglich zu ärgern. So 
auch das Beten und Lamentiren auf dem Sterbelager, weil 
man ein Leben verlieren fol, das man oft gar nit genofe 
fen hat. Wit Du nicht auch, dag id in Dein Stamm» 
buch ſchreibe: „Wantle auf Nofen und Bergigmeinniht?” 
Und wenn Du etwa im Frankfurter Journal liefeft, der 
Hauptmann Seifert fei da und da rühmlich gefallen, willſt 
Du dann nicht noch ein Meines Grabpügelhen zufammt 
dem Kreuze mit der Feder unter meinen Namen hin 
zeichnen? 

Ich wußte nicht was ih zu dieſen geſchraubten Res 
densarten fagen follte; ich drüdte mit Ernſt und Ruhe feine 
Hand, und ſprach gemütblih: Lebe mohl, Seifert! ih 
danfe Dir für die guten Etunden, die wir mit einander 
‚genoflen haben. — Da ftürzten ihm plöplid) die Thränen 
aus den Augen; er drüdte mic beftig an die Bruſt, fügte 
mid, als ob ich feine Geliebte geweſen wäre, bat mic) aber 
wugleidy, es ja Niemanden zu fagen, daß er fid fo unmänn» 
Kid und fentimentalifd aufführe, damit man ihn nicht des. 
wegen belache und verachte. Ja er fhrieb es fogar dem 
Rauſche zu, obſchon er doch eben diefen Abend fehr wenig 
getranfen hatte. Drauf riß er fi von mir los und eilte 
von dannen. 

In filles Nachdenken verfunten faß ih auf meinem 
Bimmerden,’ und dachte darüber nach, mas ih an Seifert 
verloren habe. Gigentlih mar fein Einflug auf mid fein 

. guter gewefen, er hatte mic zu dem vagabundiihen Leben 
verführt, und mit Sophismen oft meine ſchlichten rechtlichen 
Grundfäge wankend gemacht Immer wollte er allein re» 
den, immer ſich felbit hören, ſtets fyottete er meiner &r- 


Ungläglihe Liche 2 


füble. Kein eigentliher tiefer Eruſt, keine Nude, keine 
wahre Heiterkeit war im ibm; obſchon er beftändig dies 
Bort im Munde führte. Mit außerordentlicher Beredfam- 
keit und Begeiſterung vertheidigte er gewoͤhnlich eine ſchlechte 
Sade gut, ohne ſelbſt ſchlecht zu fein. Seine Liebenswür⸗ 
digkeit und Laune, fein Unternehmungsgeift, feine vielen 
einzelnen treifenden Bemerkungen und originellen Gedanten, 
die Lebendigkeit, womit er jeden Gegenſtand auffapte, alles 
das mußte id am ihm loben und f&äpen, und ic) fühlte 
mopl, dag id einen ſolchen unterbaltenden Geſellen auf 
meinem Lebenswege nicht fobald wieder antrefien märde. 


19. 
Ungfüdlide Liebe. 





Es freute mid, wieder eine Mille, ebrbare Lebensweile 
einzufchlagen; mein Verhältnig zu Trautmann war ange» 
nehm, fein mildes melaucholiſches Schweigen. ein heilſamer 
Balfam auf alle Wunden, die mir Seiferts Geſchwaͤtzigkeit 
oft geſchlagen hatte. Jeßt Eonnte ‚ic doch zumeilen ſelbſt 
denken und mid) frei äußern. In Jenes Gegenwart fühlte 
ich zulept meine Kraft geähmt, meine Perſonlichteit unter- 
drüdt; und ich gewöhnte mid) nach und nad daran, die 
ſtumme Perfon zu fein, die er eigentlich zu feinem Gefell- 
fbafter haben wollte, damit Liefer, wie ein Conductor, die 
Falten Funken feiner egoiſtiſchen Electriſtrmaſchine raofange 
and weiter bringe. 

Keplenf. Eriften. xvi. 14 


210 Unglüdlige Eiche, 


Trautmann ſprach freilich zu wenig, e6 frente ihn aber, 
die Klaffiter mit mir zu leſen, und durch feine geiftreide 
Nittheilung gewann ih Gefhmad an einer Befdhäftigung, 
die mir vorher beinahe widrig geweſen mar, umd zu wei⸗ 
cher ich mich zwingen mußte. 

Meine täglichen Geſchaͤfte in der Kirche waren mir 
auch lieb. Ic ging dort oft allein und betrachtete die Bil« 
der verftorbener Prediger an den Wänden. Wenn Kinder 
getauft wurden, mußte ich den Taufſtein mit papiernen 
Blumen ſchmücken; im Sommer ſuchte ih anfangs natüre 
lie Blumen zu befommen, davon wollten aber die Bauern 
nichts wiſſen; fle verbanden mit den alten Raubigen Kirchen⸗ 
blumen, die fo oft bei ähnlichen Gelegenheiten gebraucht 
waren, einen Begriff von Heiligkeit: Feldblumen, meinten 
fle, hätten fie bereits draugen, deshalb brauchten fie nicht 
ihre Kinder zur Kirche zu bringen. Das ließ ic gut fein, 
denn Abgeſchmadtheit ſelbſt kann fih mit dem Gefühle ver» 
binden, und ein guter Geſchmack herzlos nachgemacht wer⸗ 
den. Bei Begräbniffen fang ih mit Trautmann das Ster⸗ 
des, dei Hochzeiten das Brautlied. Co gewöhnte ih mid 
daran, als rubiger Zufhauer die Menſchen in ihren glüd- 
lichſten und unglücklichſten Augenbliden zu fehen, und relie 
güöfe Erhabenheit, die ihre Freude und ihren Schmerz mä- 
gigte und milderte, gab dem Allen cin Gepräge höherer 
Birde. . 
Dft wenn ic allein ging, dachte ih an Martin Zus 
tber, an meine feligen Aeltern, an meinen guten Bruder, 
den ich vielleiht nie mebr fehen würde; dann meinte ich 
herzlich, und fah mid als eine arme verlaffene Waiſe an. 


Benn id mid) dann aber vor dem Altart niedermarf, wenn . 


ich das Bild des frommen Jeſus fab, wie er am lehten 


Unglüdtige Liebe. EN 


Abende mit feinen Iüngern zu Tiſche faß, wenn ich meine 
Augen zur Taube des Tauffteins, zu dem hebräiſchen Ie- 
hova- Namen {m mpfifcen Dreied über der Orgel erhob, 
und die Heinen Pofaunen- Engel in blauen BBolfen, mit 
vergoldeten Bretterſtrahlen, erblidte, daun fühlte ich mid 
wie von unfihtbaren Geiftern umgeben in einer ewigen 
Heimath, Die ich nie verlaffen konnte, und ward wieder 
beiter und froh. 

Zu Haufe murden mir Die Unterrichtsſtunden auf Traut⸗ 
manns Zimmer die liebſten. Meine Wohnung war fehr 
ſchlecht, und id konnte einen ganzen firengen Winter hin- 
durd aus meinem Bette den Himmelswagen durch Deff- 
nungen im Dache deutlidy fehen. 

Unten in der Stube bei den Eheleuten war es wieder 
gar zu ſchwul; denn die böfe Frau beizte den Ofen derma- 
gen, dag man Aepfel an den Fenſtern braten konnte, dabei 
jankte und lärmte fie wie ein böfer Höllengeift. Nie hatte 
id damals den Haupfgenuß eines jungen Menfhen, mid 
völlig fatt efen zu können. Wenn fie. mir Abends ein 
Bütterbrod gegeven hatte, frug fie: Wil Er mehr? und 
obſchon mir der Mund nad) einem zweiten wäflerte, wagte 
ich es nie, Ia! zu fagen, um den Born meiner Wirthin 
nicht zu reizen. Nur menn ih beim Prediger ag. oder 
wenn mid) Trautmann im Wirthehaufe beföftigte, Tonnte 
id) meinen Hunger völlig ſtillen. 

Trautmann fprad fait nie mit feiner rau; wenn fie 
mäthete, begnägte er ſich, fie mit einem ftillen, veraͤchtlichen 
Blick anzufehen, der ſie nod mehr in Wurh brachte. Ward 
es ihm dann zu arg, fo ;ing er entweder auf fein Zim⸗ 
mer, mo fie ihn nicht ohne Gefahr verfolgen durfte, oder 
deſuchte feinen Freund, den Gaſtwirth. Wenn er dann 

14° 


22 ungluͤalicht Siehe. 


Abends fpät, benebelt, nie aber eigentlich betrunken, nach 
Haufe fam, war er am liebenswärdigften und geiftreichften 
gegen alle andere, nur wagte die Frau es nicht, ihm im 
diefem Zuftande in die Quere zu kommen, denn dann prü- 
gelte er fie gewoͤhnlich, ohne ein Wort zu reden umd ging 
iu Bette. 

Einmal, als ich ihm in diefem Buftande nad Haufe 
begleitete, er febr aufgeräumt war, und über die Erbärm- 
lichteit feiner Frau fpotiete, wagte id), ihn zu fragen, wie 
er denn zu einer ſolchen Gattin getommen fei? Ich bin 

"gar nicht zu ihr gekommen, erwiederte er launig, fie iſt zu 
mir gelommen! Sie hat um meine Hand angehalten, und 
ich fand es unverſchaͤnt von einem Wanne, einem Frauen ⸗ 
simmer den Korb zu geben. Ich war damals ſchon nichts 
ehr werth. Wie nun aber die Weiber find, fie harte ſich 
eigenſinnig in mic vergafft, und id) wolte fie nicht betrüs 
ben, weil ih aus Erfahrung wußte, welch’ ein bitteres 
Kraut unglücliche Liebe fei. Zuerſt war ih freilich Wil⸗ 
lens, mid) zu erfäufen, und das wäre ohne Zweifel Das 
DVernünftigfte gewefen. Der alte Prediger legte ſich aber 
dazwifhen, als ih eben bineinplumpen mollte. Ich vere 
naclägigte alles, wohnte im Haufe meines Lorchens, fie 
gab mir zu eſſen, zu trinken, Kleider, Schuhe, Bett, Dfene 
wärme, fogar Taſchengeld. Gott weiß, wie viel ih ihr 
ſchuldig war, denn id} bin immer ein ſchlechter Buchhalter 
gewefen. Da verkaufte ich mich ihr denn mit Haut und 
Haar, damit das Ding ſchnell ein Ende bekomme. Id 
werfhrieh mid) ihr mit meinem eigenen Blute. Sie war fo 
großmüthig, mein hinfäliges Wefen für Baluta zu nehmen, 
obgleich es fhon damals, weiß Gott, nicht länger Couraut 
war. Ihr Schelten und Lärmen war mir nicht zuwider 


Unglädlide Liebe. J 213 


id habe fünf Jahre in der Nähe eines Kupferſchmide ge⸗ 
baufet; da gewöhnt man fid an ſolchen Epectafel und hört 
ibn zuletzt nicht mehr. Auch könnte id) nicht fagen, dag 
midy anfangs ihre Zänfereicn fehr verdroffen Hätten. Ich 
langweilte mid, vernünftig tonute ih ded nicht mit ihr 
reden; über Dekonomie, Gulden, Groſchen und Kreuzer 
wagte ich es nicht, Betrachtungen anzufellen — womit foll« 
ten wir ung nun unterhalten? Kenntniffe beſaß fie nit, was 
Alerander gethan, mas Ariftoteles geſchrieben hatte, war 
ihr verdammt gleichgültig. Da kam cin gutes Scheltwort, 
eine unvrtſchaͤmte Beleidigung, oft wie gerufen, brachte mir 
das Blut wieder in Wallung, und da gab es denn immer 
volauf zu ſchlichten, zu beſchwihtigen und auszugleichen. 
mitunter zu prügeln. 

- Bir waren bis an die Hausthüre gefommcn, und bör- 
ten fie drinnen die Küchenmagd laut ausfhelten. Traut- 
mann fagte: wir wollen in die Fräuleintapelle gehen, dort 
iſt es immer fo ordentlich und Iuftig, dort wil id) Die 
mehr erzählen, die böfe Cieben ſtört uns da nicht. Ach 
Gott, Albert, ſprach er, ſich drinnen auf eine Bank nieder. 
laſſend, ich gehe fo gern mit den Zodten um; fie liegen fo 
anftändig, fo ernft und fanft, fo ruhig in ihren Särgen, 
ohne Eitelkeit, Bosheit, Zorn und Düntel. Doch mug ih 
Dir auch fagen, daß diefe Kapelle für mid) einen eigenen 
Werth hat; denn bier fah id) meine Siegfriede jum Letz⸗ 
tenmal. — O mein guter Herr, bat id, erzählt mir doch 
Eure Liedesgefhichte. — Statt Dir eine frofige Beſchrei⸗ 
bung meiner feurigen Liebe zu geben, fagte Trautmann, 
mil id) Dir ein altes Lied vorlefen, das auf dies felige 
Sräulein im gläfernen Sarge gedichte worden; denn fie 
fol einft auch eine Unglüdligliebende gewefen fein. Er 





2 Unglüdlie Liebe. - 


nahm ein altes beräuchertes Papier aus feiner Schreibta⸗ 
fel, und Tas mir folgendes Gedicht, deſſen Abſchrift ich 


noch befige: 


Das holde Fräulein von Grauenſtein 
Mit der Taudenſeel / und Mofengeficht, 
@ie war eine adcliche, reihe Maid, 
Mein glüdtfelig war fie nicht. 


Bor Water befaß der Burgen Drei, u 
Ginen chernen Helm, einen Schild von Err; 
Auch war er tapfer und dreift im Krieg, 

und doch, doch hatte der Held kein Herd; 


In der Kapede iu Reifenwaid 

Da lagen ihm Mpnen, fechdchn an Zahl; 

Er Hatte ſich fchier als ein Mffe vergafft, 

Im die Todtengerippe mit Schädel kahl; . 


Er liebte fonft nicht viel auf der Belt, 
Nur Hatt’ er fich vergaft in den Echild, 

Da Randen drei Teufel mit Krallen dein, 
Das war auf der Welt ihm das liebſte Bild. 


Das Fräulein wandelt unten am Bach; 
Die Mühle beim Bafferfa kenat ihr fon; 
Da grüßt fie beim Sonnenuntergang 

Mit freundlicher Miene des Mülers Cohn. 


@ hat feinen Cchild mit Teufeln dein, 
uch keine Burgen, fein Etreitgewand, 


Unglüdtihe Liche. 215 


Er hat einen freien, edlen @inm, 

Mach mangeln dem Burſchen nicht Wip und Berfland. 
And ex erbt ja den Hof, mit Medern viel 

Much jene Mühle, fo gut defekt, 

Der Megendogen ich fpiegelt drein. 

Wenn die Sonne ſaeint und Das Baer fügt. + 


Die Erlen ſchatten, der Eppich grünt, 

Die Müplfeine (Amen ſich vegen mit Cafl. 
Die Liebe mahlt noch feinered Mehl - 
Dies Mäderwerk in des Menfchen Brufl. 


Die ſchoͤnen Stunden verrauſchen (chnell, 
So wie die Wellen im Bafcrfal; 
Mein die Grinnerung ſchwindet nicht; 
Tont aus des Ferne der Biederpall. 





Der Sommer weicht mit dem fhattigen Laub, 
Wo glüdliche Liebe ſich oft werledt, 

Sud hinter dem nactten Herbftedaft 

Der Ritter das freundliche Paar entdedt- 


Du Dirne haft meine Ehre beicimpft, 
Du daft mein adliches Blut emtehrt, 
Drum fon Du ſchmachten im Kerter tiet 
Der Buhe da if des Galgens werth; 


Die Auſchuld Hat unfere Liebe gefch'n 
&s fahen die Sefen den reinfien Kuß, 


216 
| 


Unglüdlige Liche. 


Sich Eppich treu um die Pappel fchlingt, 
Dad macht dem Himmel feinen Berdruß. 


Doc Zor feid Herr, und Water Ihr feid, 
Und feſeit die Tochter im Qualgemadı; 
Dann will ich auc länger nicht Leben mehr; 
So fprict er, und flärst im den Müplenbach. 


Richt rädern win ihn die Mühle fein, 

Sie ftoct in dem Lauf umd ein Mad zerbricht. 
Da floß die Leiche fo bleich und (hön, 
Durch Blumenſchilf wit dem trenen Geficht. 


Biſt Du unfauldig und if er todt, 

So wi ich die Thorheit vergeffen Dein’, 
Komm wieder herauf aus dem Burguerlieh, .- 
Ich liebe Dich wieder als Zöcterlein. 


Und werde des ebien Bitterd Bemaht, 

Der um Deine Liebe bei mir gefleht. 

Die Tochter ſpricht fein einziges ort, 
Als ein weißed Gefpenft im Saal fie ſteht. 


Und naht ſich dem Fenfter, und horcht und horcht. 
IMs Pferdegetrappel? Kommt er zur Etund? 
Ach nein, ed mar nur dad Saufen ja, 

Das Näderwert aus dem Müplengrund. 


Die Erlen (chatten, der Ervich grins, 
Die Müplfteine (ame fich wegen mit Suft, 


Ungtüdlihe Liebe 


Die Liebe mahlt noch feinered Mehl, 
Dies äderwert in des Menichen Bruf, 


Der fchöne Rudolf begraben liegt 

Dort unten am Baum, wo Ctaubregen fällt. 
Der Negenbogen fich friegelt drein, 

Gin nichtiged Ding; fo iſt die Melt. 


Der Nitter kommt mit der Hocheitſchaar 
In Goid, Iumelen und Purpur ſchön. 
Bo if meine Tochter? Der Alte fragt: 
Ich Habe fie heute noch nicht gefeh'n. 


Ste fchläft noch droben im Schlafgemach; 
Der Ritter erblaßt, er ahnet die Roth. 
Gr ürzt in der Tochter Kämmerlein, 
Da liegt fie, weiß wie ein’ (Engel, todt. 


Scrlfslumen drüdt noch die falte Hand 
Ihr an den erblaßten Rofenmund, 

@ie dat um das Paupt einen nafen Aranı, 
Bergißmeinnicht aus dem Wieſengrund. 


Das große Bermögen, ded Fräulein Gut, 
Hat nun die Kirche geerbt allein; 

Im gläfernen Earg der Rapene fie ruht, 
Dort unten modert des Müller Gebein. 


And wenn die Glode des Mbends Klingt, 
Mit fühernem Sant, fo traucig ſchon. 


217 


218 Unglädlihe Liebe. 


Da hat man oft in dem Grieumser 
UNS Schatten das liebende Paar gefch'n. 


Man ficht fie mit fröhlichen Ungeficht, 

Sie ſchweben fo leicht, in Nacıt und Sturm, 
Und fingen: Liebende grämt Euch nicht ; 
Dort nagt an Fiche fein böfer Wurm. 


ALS Trautmann mir das Lied vorgelefen hatte, ſchwie⸗ 
gen wir Beide eine Zeit lang, und unfere Augen ruheten 
auf der braunen Mumie, die einft ein fo ſchöͤnes Mädchen 
gewefen, daß fie einem rüftigen Müllerburſchen den Kopf 
verrüdt Hatte. — Nun, das ift Die alte Leier, ſprach Traut- 
mann: Burg und Mühle, Fräulein und Gefelt, das hat 
man wohl öfter gehört; allein dag Lied ift mit Zartfinn 
und Gefühl gedichte. 

Mit innigem Mitleid, zugleich aber mit dem Gleich 
muthe, der dem Meuſchen eigen ift, wenn ihn das Unglüd 
nicht ſelbſt trifft, ſuchte ih den düftern Mann zu tröften, 
drüdte feine Hand und blickte vor mid nieder. Es war 
fpät, Die Lampe fing an zu fladern. als ob fie verlöſchen 
wolle, und Trautmann ſprach: Komm, mir mollen ins pro⸗ 
viforifhe Grab gehen. 


Somne levin, quamquam certierima mortis imago 
Consortem cupio te tamen esse tori. 

Alma quies, optata veni! nam sic aine vita _ 
Vivere, quam susve est, sic sine morte mori, ®) 


*) Holder Schlaf! wenn auch mir Das ähnliche Wilbniß deb Todes, 
Sehnlich verlang' ich nach Dir, fei mir ein Lagergenoß! 


Unglüdlige Liche. 219 


Bartet! rief id. was liegt denn bier auf dem Fußbe⸗ 
den? Ein Meines Patet. Ih nahm es auf: ein rather 
Bindfaden ummidelte ein Manufeript; ic erkannte meine 
eigene Hand, und las: „die Rolle des verlornen Eodnes.” 
Ich erinnerte mich deutlich, daß ich dies Papier aus der 
Tafche verloren hatte, als ic) am leßten Abende mit der 
ſchönen Tabuletfrämerin zu Tiſche fah. Ein freudiger Hoff 
nungsftrabl ftieg in meiner Seele auf. Ich Höfe zitternd 
den Bindfaden. O Himmel! eine lange feidene Haarlode, 
deren Farbe und Weiche id gar zu gut kannte, lag darin, 
nebft einigen welken Feldblumen, die id) mid wohl erin- 
nerte, ihr auf dem Spaziergange damals gereicht zu haben. 
Unter meinem Namen auf dem Zitelblatte ftand mit etwas 
unfihern, aber doch recht hübſchen Buchſtaben: „Im Leben 
und Tod Deine — Johanna Klein.“ O Gott im Him- 
mel, welche uͤberirdiſche Seligteit durcftrömte mein ganzes 
Befen. Bater, rief ih dem verzagten bleichen Küfter zu, 
der neben mir auf der Bank ſaß, und meine Freude mit 
Verwunderung anfab; — weint nicht mehr, grämt Euch 
nicht mehr über das allgemeine Unglüd der Menſchen. Es 
gibt noch glüllihe Seelen unter der Sonne. Mein ſchö- 
nes, fhühternes Reh if wieder gefunden! Meine Ios 
banna! — jegt weiß ich, wie fie heißt — ift wieder da, 
und hat mir ihre Liebe gefanden. 


Das find nichtige Jugendträume! Schaumblafen einer 
leichtſinnigen Eindildungstraft! — ſprach eine fepulfralı 


‚Geilige uhe, fo komm’ Erwünfchte, denn füß ohne Leben 
IR’S ju leben, und auch ſterben it füß ohme Tod. 
B “ufon, 


220 Unglüdlige Liebe. 


Stimme. — Ich warf erſchtecen den Bid dahin: Ein 
Mann mit einem Bündel auf dem Nüden, mit greifen, 
mild um den Kopf fliegenden Haaren und einem Knoten⸗ 
ſtocke in der Hand, ftand in der Thür. Gram hatte das 
Geficht fehr verändert, ich erfannte indeg doch den Tabus 
letträmer wieder. — Vater, rief id, und flürzte ihm zu 
Zügen, feid nicht ferner fo ftreng, trennt nicht zwei liebende 
Herzen. Wenn id aud nicht reich bin, fo bin id doch 
jung und rüftig; id babe etwas gelernt, und will Euch 
belfen, Euer Brod zu verdienen. 

Elender Komdbiant! rief der Alte erzärnt, bleibe mir 
mit Deinen Lamentationen vom Leibe, mir macht Du mit 
Deinen Poffen nichts weiß, und die, welde Du damit bes 
tbört Haft, fiehft Du nie nieder, fie liegt unter der ſchwar- 
zen Erde. Gieb mir das Paket wieder! Ich Habe es in 
der Kapelle verloren, als ich nad: einem ſchweren Gange 
bier ausruhete. — Cie ift todt? rief ich leichenblaß. — Ein 
Fieber bat fie dahin gerafit, ſprach der Alte, die Folgen 
einer Erkältung, die fie fih zuzog, weil wir Tag und Nacht 
auf offenem Wagen über Stock und Etein wegfahren muß« 
ten, um aus Deinem verführeriihen Dunftkreife zu gelane 
gen. IA habe fie nicht verführt, rief ich entrüftet, und bin 
kein Boͤſewicht. Zu Eurem Eidam war id immer gut ge⸗ 
nug, zum Geliebten des herrlichen Maͤdchens gar zu ſchlecht. 
darum hat mid der Himmel verworfen. Warum habt Ihr 
das weiche Herz gleich eine Tiger zerriffen? Es war mein, 
Ihr Habt es gelefen! Cie hat es geftanden. Aus einem 
Züänglinge kann alles werden, eine Belt der Möglichkeiten 
biegt vor ihm offen. Was hattet Ihr dagegen, Ihr Krä« 
mer, Ihr! nur gewöhnt, Beltverhältniffe mit armſeliger Elle 
zu meſſen; deſſen Ohr. Groſchen und Kreuzer fo lange hat 


Die Grabmäler. 221 


Bingen hören, bis es gegen Seufjer und Klagen eines für 
ben Mädchens völlig taub geworden! 

Ach Du ſprichſt nur zu wahr, rief der Alte, plötlich 
erweicht; ich Hab es mir oft felbft gefagt. Nur ih bin an - 
ihrem Tode Echuld. Er reichte mir die Hand. Das Liht 
der Grabeslampe erlofh. ine tiefe Finfternig verbreitete 
Aid. Wir Heiden Ungläcklichen weinten und feufzten in ihr, 
wie die Mönde des heiligen Grabes am Charfreitage, 
wenn fle fi in der Dunkelbeit geißelad ihr Miferere ſin⸗ 
gen, und Trautmann rief mit ſchrecklichem Hohngelächter: 
Das it Menſchenglück auf Erden! 


Die Grabmäler. 





Der beträbte Baier verblich noch den folgenden Tag 
im Dorfe, und ich wid) nicht von feiner Seite. Liebe Er- 
innerung an einen dritten Verlornen, verbanden zwei fremde, 
ganz verfäicdene Menſchen. Es erleichterte den Alten, ſei⸗ 
nen Schmerz in meinen Bufen auszufhütten, nur war es 
ihm zuwider, daß ich ihn wiederholt fragte, ob fie mih 
denn auch wirklich fo fehr geliebt habe? Ja, ja, ja! ſprach 
er mürriſch, wie oft fol ih es Dir denn fagen, dag fie ih 
sanz in Dich vergafft hatte, daß fie in ihrer Todesſtunde 
nur von Dir phantafirte? 

Als der Alte weiter pilgerte, folgte ih ihm vier Mei- 
len wei nad) dem Orte, wo die liebe Johanna geſtorben 


222 Die Grapmälern ' 


mar. Waͤhrend er fih in der Herberge erholte, lief ich zum 
Gottesader. Biele Gräber waren mit Sand und Blumen 
geſchmückt, unter ihnen ein Meiner friiher Hügel, ſchon et ⸗ 
mas von Neffeln und Unkraut bededt. Auf einem ſchwar⸗ 
gen Holze ſtand mit ſchlichten Buchftaben: „Iohanna Klein.“ 
Du weinft, Eherhard, mein Eohn? Du fühlft, was ich 
bei diefem einfachen Denkmale empfinden mußte? Ja! Ih 
dachte an die Nacht, wo ih umfränzt von taufend Blu 
men, ohne ihren Namen zu willen, das Wort „Geliebte“ 
in den grünen Baum geſchnitten hatte. Hier fand nun 
der wirkliche Name, auf einem dürren Holze, ohne Blüs 
then. Auch die fhönfte Blume ſelbſt war verweltt. Ihr 
begreift, mit welcher Sorgfalt id) das liebe Grab zurecht 
machte und fhmüdte. Der alte Vater faß daneben und 
freuete ſich üher meinen Eifer. Mit berzliher Umarmung 
verlieg er mid, um nad) feiner Vaterftadt Magdeburg 
zu geben. O gütige Vorfehung! Wie wunderbar find 
deine Wege, und mie oft zeigft du dem Menſchen -deine 
Güte da, wo fie Strenge vermuthete! Bäre die holde Ios 
hanna nad Magdeburg zurüdgekehrt, fo wäre fie ohne 
Zweifel ein Opfer der gräglihften Verwüſtung geworden. 
Mit Schmach und Schande bededt, hätte fle ihr junges 
Leben unter Hentersbänden verblusen müffen. Iept nahm 
der Allgütige das füge Kind in feinen Himmel, als ihr jun« 
908 Herz von einem [hönen Gefühle noch ganz durdzüdt 
war. Der Tod Hatte für fie nichts ſchrecliches vielmehr 
etwas Wünſchenswerthes. Sie entſchlief, Feldblumen be» 
deden jetzt ihren Hügel, jeden Sonntag tönen Glodenge 
Läute und Orgeltlänge über ihn bin, und der Fromme 
förcitet an ihm vorbei zum Haufe des Herrn. 

Trautmann freute ſich meiner ſchwaͤrmeriſchen Web⸗ 


J Die Grabmäler.. 223 


muth, und es ſchien mitunter, als ob mein Zuſtand das 
lehte Fünklein Liebeafeuer in feinem ausgeftorbenen Herzen 
wieder anfadye. 


Diefen einzigen Freund follte id nun aud verlieren. 
Er ging jept wieder alle Abend, wenn er vom Wirths⸗ 
baufe fam, den Steig mit den Trauerweiden entlang, und 
phantaſirte in der Einfamteit.. Einſt blieb er au lange aus; 
er kam die ganze Nadıt nicht. Die. Frau heulte und jam⸗ 
merte; ich ſuchte ihm vergebens. Am folgenden Tage brach- 
ten ihn einige Fiſcher; fie hatten feinen Leichnam im Fluſſe 
gefunden. Es hatte in der Nacht ‚geregnet, das Ufer war 
lehmicht und ſchlüpfrig. Es mar nicht unmwahrfäeinfid, 
Trautmann fei unverſehens und wider feinen Willen an eis 
nem jähen Orte herabgeglitſcht. Freilich fand ich das Volks⸗ 
lied vom Waſſermanne in feiner Taſche, und ſtecte es heim. 
lich zu mir. Auch feine Uhr hatte er, gegen feine Gewohn⸗ 
beit. geftern an dem Nagel bei feinem Bette hängen laflen, 
und gerade den Tag zuvor hatte er das heilige Abendmahl 
genoflen. Er erbielt ein criſtliches Begräbnig,. ih fang an 
feiner Gruft und 'erdte fein Küſteramt. Die böfe Frau, 
die, als ſie eine Woche lang gebeult und ſich die Haare 
ausgerifien hatte, wieder zu ſchelten und zu lärmen begann, 
mußte aus dem Haufe. Sie hatte noch einiges Vermögen, 
und zog zu der geizigen Muh, der Seifert die Gaͤnſe 
genommen hatte. 


Natürliermweife konnten ſich zwei ſolche Zanthippen 
nicht in einem Raume vertragen; jebt ‘hatten fie keine Män- 
ner mehr, über die fie ihren Zorn ausbelfern Tonnten, fie 
kehrten ſich daher gegen einander, zankıen, ſchlugen ſich täg⸗ 
lich und wurden zum Kinderfpott. Dan nannte fie: „Done 


224 Die Grabmäler 
mer und Blitz,“ und die Urſache dieſes Spottnamens war 
feltfam genug. 

An einem ſchwulen Sommertage zog ein fuͤrchterliches 
Gewitter über unfere Gegend, ich babe in Europa fein 
ähnliches erlebt; denn hier auf meinen Felſenburgiſchen Aliy- 
pen domnert Jupiter freilich oft in gewaltiger Majetät, wie 
Ihr Hereits gebört haben werdet. Das Bauernvolt wurde 
nun, nad) feiner Art, während des Gewittertobens ſehr an 
dachtig, holte Geſangbücher hervor, und fang unter Don. 
nerfhlägen Sterbe- und Reuelieder. Zulcht aber, als es 
zu arg ward, konnte man nicht mehr fingen. In allen 
Häufern ward es maufeftill, kein Menſch wagte ih hinaus. 
Ich ſtand am Zenfter und flaunte die erhabene Naturfcene 
an. Die Donnerfhläge folgten häufig auf einander. In 
der tiefen Stille der Zwiſchenräume, kam er mir jedoch vor, 
als hörte id Scheltworte und Weibergekreiſch. Der Regen 
firömte wie mit Gimern herab, die Goſſe war übergelau- 
fen, die Straße üͤberſchwemmt. Plöglih — gerade als ein 
entieplicher Blig in einen morſchen Pfabl am Thorwege 
faylägt, ſtürzen jene zwei Weiber, gleich Zurim, mit zer⸗ 
zauſtem Haare und blutig gefrapten Gefihtern aus dem 
Haufe; die Augen funfelten ihnen vor Wuth, die Adern 
ſchwollen von Zorn, ohne das Gemitter zu achten, verfeßen 
fie, unter Donner und Blig, ihre Schlägerei, mitten in 
den Plagregen auf die Gaſſe, und hören nit auf, bevor 
fie Beide häuptlings in die tieffte Pfüpe gefallen find, aus 
welcher fie dann hinlaͤnglich abgekühlt, wie ein Paar Waſ⸗- 
ferragen, ſich beſchämt in ihre Löcher zurüd ſchleichen. 

Ich habe indeß noch einen Bug zu erzählen, in welchem 
Ad) der Charakter der Küfterin ausfpriht. Ic lich es mir 
angelegen fein, das Grab ihres feligen Mannes immer ſau- 


Dis Brahmäler. 25 


ber zu erhalten; wie ich dann auch monatlich eine Mal: 
fahrt früh Morgens nah der Ruheſtaͤtte meiner Johann« 
unfernapm. Einft, als ich bei Trautmauns Grab heichäf- 
tiget war, Ram ein Wagen mit vier Pferden laugſam ger 
fahren. Es wunderte mic, daß die vier Pferde den Mar 
gen fo verdroſſen fchleppten, denn er ſchien im der Ferne 
ziemlich Teer; als er aber näher Bam, kntdeckte ich einen 
‚großen vieredigen Stein im Wagen. Der Kutſcher fahr 
auf den Kirchhof; ein Maurergeſell folgte ihm. Ws fie mich 
fahen, grüßten fie mich, und frugen nach des Küſter Traut- 
mauns Grabe. — Das hab’ ich hier eben in Ordnung ges 
bracht, ſprach sch, und zeigte ihnen Die Rosmarinen, die ich 
darauf gepflanzt hatte. — Gi, lieber Herr, ſprach der May- 
ver, fo thut es mir leid, daß ich Eure Arbeit flören, und 
Eure Pflanzungen vernichten muß, denn hier bring’ ich 
eben einen ſchönen Grabftein, den eine Freundin des feli- 
gen Mannes auf ihre Koften beftelt Hat, und mit Erlaub: 
niß der Obrigkeit, über feinem Grabe errichten Laffen will. 
— Dann zieh’ ic) mich gern zurüd, erwieberte ich. Meine 
Kräuter blühen nur kurze Zeit; ein folder Stein Bann län- 
ger aushalten. — Die Arbeit war bald gethan, und jetzt 
hielt eine Kutfche vor dem Kirchhofe, aus der eine ſehr blaſſe 
Dame zitternd herausſtieg; fie Hatte noch ſchoͤne Gefichtszüge, 
und war, wohl einfach), dennoch geſchmackvoll in weißes 
Zeug gekleidet. Sie nahete ſich dem Grabe, ſtarrte auf die 
Inſchrift, trocknete fih) die Augen mit dem Schnupftuche, 
drauf frug fie mich: Seid Ihr jet der Küfter hier, lieber 
Her? — Ja, war meine Antwort. So bitte ic Euch, 
fahr fie fort, indem fie miv einen Geldbeutel in die Hand 
drüden wollte, für dieſes Grab einige Sorge zu fragen. 


Nicht nöthig, meine liebe Dame, antworsete ich, das thue 
Dehenf. Schriften. XV. {13 


226 Die Grabmäter. 


ich geru unentgelblich, denn der Verftorbene war mein fehr 
guter Freund. Erlaubt mir aber eine Frage: ift Euer 
Taufname nicht Siegfride? — Ja, rief fie ſchnell in Thraͤ⸗ 
nen ausbrechend, meine Hand brücend und wieber zur Kuf- 
ſche hineitend. Ich bückte mid) demüthig vor ihr, und fie 
rief aus dem Wagen: Verzeiht, lieber Herr, daß id Euch 
Geld geben wollte! Wart Ihr fein Freund, und habt Ihr 
ihm feine legten bittern Tage verfüßt, fo fegn’ Euch Gott 
dafür. Drauf rollte ber Wagen fort; bie Arbeiter verlie- 
Fen mich und ic) fand allein nor dem Grabfteine. 

Trautmanns Name, nebft feinem Geburts: und Tor 
destage, war fehr zierlich in den Stein gehauen. Drauf 
fah man den Tod künſtlich abgebildet mit Stundenglas 
und Hippe, und unten folgende Zeilen: 





36 bin nicht (hd, bin Dürr und hart, 
Drum Hilft fein Wiverfreben. 

Ausbtaf ich Euch das irdiche Licht; 
Allein den @eift vertilg ich nicht, 

Gott ſchentt Cuch eiw'gen Lehen. 


Ad) Hanna, rief Eberhard der Freundin zu, die auch 
immer bei den Erzäpfungen des Großvaters zugegen war, — 
der legte Vers des Todestanzes. Erinnerft Du Dich noch 
in Leipzig? Hanna nickte und fhüttelte zugleich den Kopf, 
damit er nicht den Greis zu lange unterbreche, und der alte 
Albert Julius fuhr in feiner Erzählung fort. 

Alle Leute im Dorfe waren über diefen Grabftein er- 
freut, denn fie haften den guten Trautmann alle geliebt; 
drüben aber bei den Kanthippen tobte wieder den ganzen 
folgenden Tag Douner uud Blitz, denn die Wirthin freuete 
fih, daf man ihrem Neffen eine Ehre nach feinem Zode 


Die Grabmäler. 27 


erzeigt habe; die lacherlichſte Eiferſucht fing aber an, bie 
Galle der Küfterin aufs Neue zu erregen, weil ihr, wie fle 
fagte, die unverfchämte Mepe, die ihr Mann geliebt, dies 
fen Streich gefpielt habe. 

Als ich am folgenden Abend ziemlich fpät, es war bei⸗ 
nahe Mitternacht, zufällig an der Kirche vorbeiging, warb 
ich gewahr, ‚daß oben im Kirchenthurme ein Fenfter aufges 
fprungen fei, und vom Winde hin und her getrieben werde. 
Ich wollte nicht, daß die Scheiben zerfchlagen würden, da 
ich num den Schlüffel bei mir Hatte, und mich eben nicht 
vor Gefpenftern fürdytete, ging ich in Gottes Namen hin⸗ 
auf, das Fenfter zu fchließen. 

Kaum ftehe ich droben, fo fehe ich, daß die Muhme 
des feligen Trautmanns ſich mit einem großne Eimer Waſ ⸗ 
fer eilig auf dem Kirchhof ſchleicht und fich in dem Gebein⸗ 
hauſe unmeit des Grabes verbirgt. Ich deuke: Mein Got, 
was hat die Frau vor? Mein Erſtaunen wird aber noch 
größer, als die Küfterin gleich darauf, mit fliegenden 
Haaren, gleich einer Eumenide, und in der Hand ein gro« 
Bes Schlaͤchterbeil, hereinftürzt. Die wunderlichften Phans 
tafien fpielten bei diefen Erfcheinungen in meinem Kopfe. — 
Bald Löfte ſich aber das Näthfel. Die Küfterin eifte mit 
dem Beile zu dem Grabfteine, die Muhme folgte ihr heim · 
lich und ſchnell mit dem gefüllten Waffereimer. Kaum war 
Erſtere beim Ziele, fo vief fie: Jeht, gnädige Frau, werde 
ic) Deine Müpe vernichten! Wagft Du es noch, mit meis 
nem Manne nad feinem Tode vor meinen Augen fchön zu 
thun? — Und jest fing fie an aus allen Kräften den Grabs 
flein mit dem Beile zu bearbeiten. Eine Ede hatte fie 
auch fchon abgefchlagen, als die Muhme ihr den Waſſerei⸗ 
mer mit den Worten: Unverfchämte! wagft Du es, Dich 

15* 


28 Die Grabmäler. 


nach an den Zadfen zu vergreifen, und das Heiligthum 
mit frechen Händen anzutaſten? über.den Kopf goß. 

Furchterlich, wie ein cimbrifches Heidenweib, das den 
Kupferkeffel mit dem Blute des Geopferten gefühlt hat, und 
ſich jeht vafend an den Pferdeſchweif Hängen will, weil die 
Schlacht perioven iſt — dehrte die Küſterin fich mit der im 
Mondſcheine bliukenden Art gegen die Muhme. Zwei fürch⸗ 
texfiche Schläge hörte ich den Eimer mit hohlem Getöſe 
abwehren; ich wagte nicht, den dritten abzuwarten und rief 
oben aus dem Kicchenfenfter mit hohler Stimme herab: 
Gottloſe Weiber! yerfündige Euch wicht! Fliehet dieſen hei⸗ 
ligen Ort. 

Mein Geacht im Hafen. Mondlichte am Beinen Kir 
henfener entdedien, Art und Eimer fallen laſſen, und ge- 
meinſchaftlich zu entllichen, war das Werk eines Augenblicks 
fie Beide, 








Adam Orhlenfchläger's 
Be rt ee 


3um zweiten Male gefammelt, 
vermehrt und verbeffert. 


Siebzehntes Bänden. " 


— — 
3 
J Breslau, 
im Verlage bei Jofef Mar und Komp. 


1839 


28 Die Grabmäler. 


nach an den Todten zu vergeeifen, und das Heiligthum 
mit frechen Händen angutaften? üher den Kopf goß. 

Furch terlich, wie ein cimbrifches Heidenweib, Das den 
Kupferkeſſel mit dem Blute des Geopferten gefühlt hat, und 
ſich seht raſend an den Pferdeſchweif hängen will, weil die 
Schlacht perloren iſt — Behrte die Küſterin lich mit der im 
Mondſcheine bliukenden Art gegen die Muhme. Zwei fürch- 
tertiche Schläge hörte ich den Eimer mit hohlem Getöſe 
abwehren; ich wagte nicht, den dritten abzuwarten und rief 
oben and dem Kiccenfenfter mit hohler Stimme herab: 
Gottiofe Weiber! werfündige Euch wicht! Fliehet dieſen hei⸗ 
ligen Ort. 

Mein Seht im blafien. Mondlichte am Heinen Kir- 
chenfenſter entdedten, Art und @imer fallen laſſen, und ge: 
meinſchaftlich zu entfliehen, war dad Werk eines Augenblicks 
für Weide. 


Adam Orhlenfchläger's 
Bert e 


3um zweiten Male geſammelt, 
vermehrt und verbeffert. 


Siebzehntes Bänden. 


— — — u 
rl . 


JBreslau, 
im Berlage bei Joſef Mar und Komp. 


183® 


Adam Oehlenfchlägers 
Er—züählende Dichtungen. 


Drittes Bändchen. 


Die Infein im Südmeere. Dritter Theil. 





Breslau, 
im Verlage bei Joſef Mar und Komp. 


18398. 


Die 


Snfeln im Südmeere 


Ein Roman 


Dritter Theil. 


1. 
Der Rittmeiſter. 





Munerweile müthete der Krieg mit allen feinen Gräueln, 
und Sachſen war noch das einzige Land, das verfhont ger 
blieben war. 

Jetzt ſollte es au über uns hergeben. Als Tilly ſich 
in dem ausgefogenen Niederſachſen nicht länger halten 
konnte, und der Kurfürft ſich fträubte, vom Leipziger Bunde 
abzutreten, rüdte zener weiter vor, und nahm Eisleben, 
Merfehurg, Naumburg. Zeiz und mehrere Orte in Befiß. 

Die Gemeinden verfammelten ſich taͤglich mit Inbrunft 
in den Kirhen, die Glocken läuteten, die Orgeln Mangen 
und alle Tage ward das göttlihe Streit- und Zroftlied: 
„Eine feſte Burg ift unfer Gott!” gefungen. Eines Tages, 
als wir zu den Worten: 


n Das Wort fie ſollen laſſen fan, 
Und feinen Dank dazu haben.“ 


19 Der Rittmeifter, 


getommen waren, ward die Kirchthüre plöblih aufgeriſſen. 
Ein ftaubiger Kourier in kurſaͤchſiſcher Montur, mit Stie 
feln, die bis Über die Knice gingen, tritt herein. Die Dr« 
gel ſchweigt. der Gefang verftummt; er eilt hin zum Altare, 
ſchwenkt drei Mal feinen Hut und ruft: „Freut Eud), lier 
ben Brüder and Chriften! Die Lutheraner haben gefiegt, 
die Schlacht bei Leipzig ift gewonnen. Ciebentaufend Kair 
ſerliche liegen auf dem Schlachtfelde. Tilly iſt entflohen! 
Der lange Trip bat ihm mit dem umgekehrten Piftol in 
den Rüden und auf den Hinterkopf geflagen. Der Sieg 
iſt unfer. Guftav Adolf und fein ganzes Heer baben dem 
allmaͤchtigen Gott auf ihren Knieen gedantt!“ 

Da lieg id) wieder die Orgel mit allen ihren Flöten 
und Stimmen erklingen, und mit hohen Freudenthränen 
fegten wir alle das Lied fort: 


Sr iR mit und wohl auf dem Plan, 
Wit feinen guten Gaben. 

Nehmen fie und den Leib, 

Gut, Ehre, Kind und Weib, 

aß fahren dahin! 

Es Haben tein'n Gewian. 

Das Weich muß und doch Dieiben. — 





Drei Boden nad) diefem Siegesfeſte, als ic fhät 
Abends in die Fräuleinfapelle trat, um Del in die Lampe 
zu gießen, begegnete mir ein munderliher Vorfall. Im 
Dämmerlichte ward id nämlich auf der Bank eine Men» 
ſchengeſtalt, gehült in einen ſchwarzen Mantel und mit eis 
ner Klappmüge auf dem Kopfe, die dem verftorbenen Traute 





Der Rittmeifter. 11 


mann ſehr aͤhnlich ſah, gewahr. Die Erſcheinung ſchien 
mich nicht zu bemerken, ſaß in tiefen Gedanken, und macte 
eben ſolche Kopf⸗ und Armbewegungen, mie der ſelige gü⸗ 
fer, wenn er ſich allein glaubte, und ſich feinen Gefühlen 
und Borftellungen überließ. Ic trat einen Schritt zuräd, 
und das Blut erftarrte mir in den Adern. — Albert. 
ſprach es leiſe (und jeht erfannte id deutlih Trautmann’s 
Stimme) fürchteſt Du Dich vor einem alten Bekannten? 
— Ale guten Geifter loben Gott den Herrn! ſprach id, 
Muth faffend. — Bravo, Albert, rief jeßt Seifert lachend, 
den Mantel abwerfend, hätt? ich dod nicht geglaubt, daß 
Du fo viel Courage beſaͤßeſt — Mein Entfegen verwan⸗ 
delte fid in Freude, allein mein Staunen hatte nicht auf- 
gehört: Denn im lichtgelben Lederkollet mit polirtem Brufte 
harniſch, hohen Stiefeln, klingenden Sporen, einem großen 
Sdlachtſchwerte an der Eeite, ftand mein fabrender Mite 
fhüler da, als ſchwediſcher Offizier, und fein befiederter 
Helm Tag neben ihm auf der Bank. — Jetzt umarme 
mid! ſprach er, und dann will ih Dir nicht erzählen, 
wie ich ſchwediſcher Rittmeifter geworden, denn das begreift 
fich leicht. Wenn es in der Welt Ernft wird, befommen die 
Kinder der Vornehmen, die Lieblinge der Prinzen und Mi⸗ 
nifter, wenig Einfluß. Im unfern Tagen wirft Du felten 
einen Feldoberſten treffen, der in feiner Jugend nicht die 
Mustete getragen. Selbſt bei den Kaiferlihen und Katho- 
liſchen, die doch die befteu Ariftofraten find, ift dies der 
Tal: Tilly und Wallenftein maren Anfangs ſchlichte Edels 
leute ohne Vermögen; Dampier und Bucaoy ebenfalls. 
Johann von Werth ein Bauer; General Bed ein Schäfer; 
Stablhantſch ein Bediente; der Feldmarſchall Aldringer ein 
Kammerdiener. . 





12 _ Der Rittmeifter. 


Er pfiff, ein großer, blonder, ſchwediſcher Dragoner 
trat herein, legte eine faubere, damaftene Serviette über 
den bekannten Sarg, feßte eine Bouteille Wein und zwei 
grüne Gläfer darauf, und entfernte ſich ſchnell wieder. — 
Das felige Fräulein, ſprach Seifert, wird es einem reifen 
den Soldaten, der weder Heimat noch Obdach hat, ver» 
geben, daß er es fid noch immer in ihrer Nähe kommode 
macht. Drauf goß er die Glaͤſer voll Rheinwein, ftieg mit 
mir an und rief: der große Guftav Adolf foll Ieben! Ia, 
Albert, mein Ideal fputt nicht mehr in meinem Gebirn- 
kaften. Alles, was Odem hat, das will fagen: was Geift 
befißt, muß ihm dienen. Er Ieerte fein Glas und fubr 
fort: Was hat nicht Guſtav alles gethan! Ein beflerer 
Menſch atmet auf Erden nicht, und in der Kriegswiſſen⸗ 
ſchaft hat er es weiter gebradt, als je ein Sterblider vor 
ihm. Guftav Molf fol leben, aud wenn er römifher 
Kaifer fein will, 

Ich wunderfe mid) nicht wenig über die Veränderung, 
die mit Seifert vorgegangen war. Sehr Vieles erzählte 
er mir und ſchloß mit den Morten: Jetzt will ih auch 
Dein Glück machen. Zum Soldaten bift Du nun einmal 
verdorben, allein bei uns adıtet man den Lehrftand, wie 
den Wehrftand. IA habe oft Über Deine Verwandtſchaft 
mit Luther gefpoftet, jept fol fie Did aus dem Staube 
erheben. Der König ift ein eifriger Lutheraner, und wird 
gewiß für Dein Glüf forgen, wenn er bört, dag Du vom 
grogen Martin abftammft, wenn auch nur von einer Seis 
tenlinie. Und jegt gute Nacht! Mein Pferd wichert auf 
dem Kirchhofe in der falten Zuft: ih muß fort: Bir kam⸗ 
piren drei Meilen von bier auf dem Nachbarſchloſſez der 
König und alle feine Generäle find da einquartirt. Beſuche 


” ji Der Rittmeifter. 13 


mid) übermorgen, dann will ih Dich einer Majeftät vor- 
ftellen. Mit diefen Worten umarmte er mid und ſchwang 
ſich auf fein ſchönes Nö. Der Dragoner folgte ihm auf 
einem ähnlihen; und wie zwei Ritterfhatten der Vorzeit 
flogen fie Über den Kirhof durd den Mondſchein, mit 
wmehenden Helmbüfden, und verfhmanden in der Ferne. 

Nie hab’ ic) meinen alten, ſchwarzen Rock forgfältiger 
gebürftet, als an jenem Morgen, da ih meine Wanderung 
nad) dem Schloffe anzutreten hatte, um dem großen Guſtav 
vorgeftellt zu werden. 

Eine Viertelmeile vom Schloſſe traf ih Soldaten, in 
Häufern und Zelten. Sie waren gut gefleidet, und ver 
bielten fi ruhig. Ich dachte, mid, als einen armen Kü« 
fter, würden fie zum Beten haben, da id) aber dem vor 
nehmften Offiziere meinen Schein. vorgezeigt hatte, erwies 
er mir, als einem Geiftlihen, Achtung, und fagte mir, mo 
ich den Nittmeifter Seifert treffen könne; er wohne in der 
Nuübe des Schloſſes. 


Seifert, hoffte ih, werde mir mit offenen Armen ente 


gegen eilen; fein Befiht mar aber mit Wolfen überzogen. 
Als ex mich ſah, ward er noch verdrießliher, und ging mir 
mit den Worten entgegen: Guten Tag, lieber Albert! 
Bar es heute, daß Du kommen follten? Meint’ ich doc, 
id) Hätte Dich erft auf morgen bieher beſtellt. Doc auch 


gut, verſeßte er freundfih, meine Hand drüdend; morgen. 


hättet Du mich vieleicht nicht angetroffen. 

Bas giebt es, Eeifers? rief ich erſtaunt, ift ein Unglück 
geſchehen? Bift Du in Ungnade gefallen? — Umgefehrt, er- 
wiederte er; der König bat mir eine große Gnade, eine 
befondere Auszeichnung erwiefem — Er verſchloß die Tpür, 
und als wit allein waren, ſprach er leife: Jeder Menſch 


14 Der Rittmeifer. 


bat feinen Wurm, und ein großer König iſt auch Menſch. 
Guſtav hat den Zweifampf verboten, und bei Todesftrafe 
verpönt. — Ih wollte fprehen, Seifert rief: Schweige 
Mi, Albert, ih weiß f&on, was Du fagen willſt; als Kür 
fter Hal Du es mit dem Könige, magft auch den Zwei⸗ 
kampf wicht, und finde, dag er Recht habe. So künnen 
König und Küfter denken, denn der Küfter nimmt es mit 
dem point d’homnenr nicht ſo genau, und der König kann 
auf ſolche Weife nicht beleidigt werden. Dem fei jedod, 
wie ihm wolle, der König bat diesmal eine Ausnahme ge» 
macht, und mit dem Hauptmann Soon ein Duell auf Le⸗ 
ben und Tod erlaubt; nur foll der Kampf im Ritterſaale 
vor aller Welt Augen Statt finden, und der König will 
ſelbſt mit allen feinen Feldoberſten zugegen fein. Auf die 
Gallerie kommen aber auch Bürgersleute und dort werde 
ich Dir gleidy einen guten Platz verfhafen. Nimm es nicht 
übel, da ich dem Könige noch nichts von Dir gefagt habe; 
ich batte in diefen Tagen vollauf mit meinen eignen An- 
gelegenheiten zu thun. Sieg ich, fo ift es ja immer Zeit, 
au ſprechen; ſollte id) den Kürzern ziehen, fo wirt Du 
leicht als Luthers Enkel — (er laͤchelte ein wenig, dann 
drädte er wieder ernft weine Hand und fagte) nein, wahr- 
lid, jept ſpatze ich wicht; als Luthers Entel wirſt Du dem 
Könige merkwürdig werden, und er wird für Did forgen. 
. — Er rief einen alten fähfiihen Unteroffizier und fagte 
ibm: Du, Görge, wirft mit diefem Manne auf die Galerie 
sehen; forge dafür, daß er einen guten Plaß bekomme, wo 
er alles fehen Tann, und daß er nicht gedrüdt werde. Jeßt 
muß ich mid anziehen und ein wenig berauspupen., denn 
mir haben vornehme Zuſchauer. 
Aber fage mir dad, Du wunderbarer Mann, rief ich, 


Der Rittmeifter. 15 


der Du zu einem Zweitampfe auf Lehen und Tod, luſtig 
und eitel, wie zum ESchauſpiele, läufft; was habt Ihr denn 
einander gethan? Worin befteht die große Beleidigung? — 
Er Hat mid) einen Wind bentel geſcholten, rief Seifert, 
und id) habe ihn wieder einen groben Ochſen gebeißen. 
Jetzt wollen wir doch fehen, ob der Ochſe den Wind auf 
die Hörner nehmen, oder der Wind den Ochſen umblafen 
werde. — Mit diefen Worten verließ er mid, um feine 
Toilette zu machen. 

Ich fand, wie verfteinert. Der alte Unteroffizier (ah 
mid bedenllich an, nahm ſich eine Prife und ſprach troden: 
Das tam er wodl nicht begreifen, Schufmeifter? IR es 
mir faf felber au hoch, Der ich doc ein Unteroffizier bin. 
Sag’ Er mit, als ein gelchtter Mann, weher Löumt 26, 
dah das Kind fo felten bei'm rechten Namen genannt fein 
will? Ich kenne mm meinen Herrn. feit einem Jahre; ih 
babe ibn in der Schlacht fechten fehen, und Gott foll mid 
ſtrafen, wenn er nicht feinen Degen eben fo gut braucht, 
als das Maul. Und das ift viel gefagt! Denn freilich, 
Berftand und Kenntwiffe hat er, etwas windbeutlicher Na- 
tur it er aber au, das laſſe ich mir nicht ausreden. Und 
der Rittmeiner Soon ift freilich ein braver Held, der ſo⸗ 
gar dem Künige einmal das Beben gerettet hat; er iſt aber 
grob, wie Bohnenſtrohl Wie hat es ihn man fo fehr ver- 
drießen können, ein grober Ochſe genannt zu werden? 


16 Der Zweitampf. 


2. 
Der Zweikampf. 





Ich ging mit dem alten Unteroffiziere auf die Galerie. 
Es waren fon viele Leute zugegen. Die königliche Garde, 
in lichtblauen Rocken mit ftäplernen Brufipanzern, befieder- 
ten Helmen und langen, gelben Klapphandſchuhen, hatte 
ſchon in zwei Reiben den Saal befeßt, und ihre blanken 
‚Hellebarden funfelten auf hoben, ſchwarzen Lanzen. 

Iept füllte fih der Saal nach und nad mit Offizieren; 
Hlöglich verftummte das Gerãuſch ein ehrfurchtsvolles Schweis 
gen verbreitete fih, Die Flügelthüren wurden eröffnet, und 
das Herz tlopfte mir, weil ich jeßt zum erften Male den 
großen König ſehen follte. Gin langer, bagerer Herr, aber 
Mark von Gliedmagen, mit einer Habihtsnafe, hoher Stirn 
und buſchichten Augenbrauen trat herein. In feinem Antlig 
war große Kraft mit Sreundlicfeit verbunden. Er grüßte 
hoͤflich zu beiden Seiten, drauf ging er zu einem für ihn 
beftinnmten Plag, wo er mit verfhränften Armen fand, auf 
den Boden fah, und am der ganzen Sache keinen Antheil 
au nehmen ſchien. Wer ift der vornehme Herr? frug ic, 
das kann dod nicht der König fein; der König, bab' ich 
gehört, fei ein korbulenter, jonialifher Mann. 

Das ift des Königs rechter Arm, ſprach der alte Goͤrge; 
der trefilihe Buftav Horn, der in der Leipziger Schlacht 
dem Tilly gegenüber ſtand. Er ift ein chen fo edeldenken⸗ 
der Mann, als ein ſchreclicher Streiter. Eine Stadt, (wie 
bieg fie doch?) folte geplündert werden, weil der Romman- 


Der Zweitampf. 17 


dant gegen den General ein grober Flegel geweſen. Da 
kamen die fhönften Maͤdchen heraus, ergriffen die Steig. 
dügel des Generals, marfen ſich auf die Kniee, weinten 
und flehten, daß er ihre Ehre und das Leben iprer Anver- 
wandten fhonen folle. Sagt jenem Dummtopfe von Kom» 
mandanten, ſprach der wadere Horn. daß ih Eure Tprä- 
nen eben fo febr ehre. als ich fein Schwert verachte. Und 
die Stedt war gerettet. — Barum ift er denn jeht fo 
beträbt? frug ih. — Er hat neulich feine vortreffliche Ge⸗ 
mahlin und zwei allerliebfte Kinder an einer anftedenden 
Krankheit verloren, war die Antwort. Doc feht da, dm 
Drenftiern, den Reichskanzler, der eben angefommen if. 
Beld ein ſtattlicher Herr. Habt Ihr ein offeneres Geſicht 
gefehen! Gerade das, mas die Italiener ein viso scioko 
nennen? Kein Kardinal Richelieu! Kein Machiavel! Und 
doch klug, wie der Teufel. Da ficht man, ehrliche Leute 
können auch Verſtand haben. Seht da, den jungen Hau- 
Degen, der bereineilt mit dem Helm unter dem Arm, weil 
es ihm zu beiß it! Der da, mit den halb Über die Stirn 
herunter gefämmten Haaren, wie es mehrere junge Leute 
jept pflegen, ſtatt fi, wie der König und der Heihstanz- 
fer, die Haare auf Löwenart binaufzubürften. Kennt Ihr 
ihn? — Ad, rief ih, das ift ja mein gnädigfter Fürſt. 
der Prinz Bernhard von Weimar! — Ja, das wird mal 
der zweite Guſtav Mdolf, ſprach der afte Unteroffizier — 
Ber ift denn der ernfte Seldoberft, der jetzt hereintritt und 
von allen fo freundlich begrügt wird? — Ja feht mal, 
Squlmeiſter, ſprach Görge, das ift nun eben das Schöne 
beim Kriege, daß ſich Berdienfte ſelbſt hervorthun können. 
Das ift der Oberfte Stablhantſch. ein Biständer Im ſei⸗ 
Deslenf. Schriften. xvii. 


18 Der Zweikampf. 


ner Iugend war er gemeiner Bediente, jebt ift er des Her⸗ 
3096 Bernhard Kamerad. 

Iept hörten wir draußen im Hofe Pferdegetrappel und 
Vwatrufen. Ich brauchte mid nur umzufehren, fo fonnte 
ich aud) den ganzen Hof überbliden; denn wir haften das 
Fenſter im Nüden. Da mar ein erſtaunliches "Gedränge 
von Menſchen. Soldaten machten aber nicht Plab; vie 
Leute wichen felbft chrerbietig zurüd. Ich fah einen großen 
Mann in neuem Anzuge von grauem Tuhe: er hatte eine 
grüne Feder am Hute, und rift einen fchänen Flügelfhim- 
mel. Görge brauchte mir nicht zu fagen, daß es der König 
fei. — Seht mal, wie langſam er durch den Hof reitet, 
er fürchtet, etwa einen der Meinen Knaben mit dem Pferde 
zu befhädigen, und Hält die Hand über die Augen, denn 
er iſt etwas kurzſichtig. — Der König iſt ſehr einfach ge» 
leidet, bemerkte ich; nur fein Pferd ift ausgezeichnet fhön. 
— Das ift feine Liebhaberei, ſprach der Alte. — Und 
mer, fragte ich, iſt der breitfcpultrige Held mit dem friſchen, 
braunen Gefihte, und der junge), fÄhmarzgefeidete Menſch 
im Studentenkragen? Er ſcheint noch kaum fiebzchn Jahre 
alt zu fein. — Der ftarke Mann, erwiederte Börge, ift 
der trefflihe Banner, eine lebendige Standarte im wildelten 
Scälatgewühle. Der Jüngling, raunte er mir in's Obr, 
iſt des Königs natürlicher Sohn, Guſtav Guſtavſon, den 
er mit Margaretha Kabiliau vor feiner Ehe gezeugt bat. 
Schade, daß der Junge nicht Kronprinz von Schweden ift; 
denn er hat vieles von des Vaters Ingenium geerbt. Er 
wird gewiß ein treffliher General. Fürs Erfte fol er 
nod, wie man fagt, feine Studien in Wittenberg fortfeßen. 

Iept faß der König im Saale auf einem etwas erhoͤhe ⸗ 
ten Sig, fein Reichskanzler und feine Seldoberften um ihn 


Der Sweifampf. 19 


ber. Der Iufige, fhöne Marſch der den König empfangen 
hatte, verftummte, und auf feinen Wink begannen die Haut 
beiften jegt einen Todtenmarſch, der gewöhnlich geblafen 
ward, menn ein Offizier eines groben Subordinationsfehe 
les wegen erſchoſſen werden follte. Während des Marſches 
murden zwei ſchwarze Sarge von Soldaten hereingefragen, 
und ihnen folgte ein großer, düftrer Mann, mit entblößtem 
Haupte und gemeinem Gefihte Unter feinem rothen Man- 
tel ragte ein fehr blanfes, breites Schwert halb hervor, 
das beinahe mehr Achnlichteit mit einem chirurgiſchen In 
ftrumente, als mit einer Waffe hatte. — Bas ift das? 
frug ich meinen alten Gefellfyafter, der bis jet fo guten 
Beſcheid von allem wußte. Eben fo neugierig, als id, ant- 
wortete er aber, ohne die Yugen von diefer fonderbaren 
Erfdeinung zu verwenden: Das find zwei Särge und der 
Mann im rothen Mantel mit dem Schwerte ift der Kriege 
profoß, der Scharfrichter. 

Als die Särge jeder in eine Ede geftellt waren, und 
der Nachrichter in den Hintergrund zurück gefreten war, 
ſchwieg die Mufit und der König ſprach obngefähr Fol- 
gendes: 

Liehe Herrn und Freunde! 

Es ift jedem von Euch bekannt, dag ich nach reiflicher 
Ueberlegung mit meinen treuen Rüthen und Zeldoberften 
ſchon feit Jahren in meinem Heere den Iweifampf verboten 
und bei Todesftrafe verpänt habe. Das Duell war in der 
Heldenzeit nothwendig, als noch fein Geſetz den Einzelnen 
fügte. Nachher haben die Nitter in ſchwaͤrmeriſcher Lie 
bensmwürdigteit diefes, wie fo vieles andere, übertrieben. 
Bir ſollen aber ihre Uehertreibungen nicht nachahmen! 

Und doch fehen mir heute, daß zwei wadre, ehrenwerthe 

2 


20 Der Zweitampf. 


‚Helden fid) zu einer ſolchen Thorheit verleiten laſſen, und 
vielleicht fogar wähnen, Bemunderung zu erregen, weil fie 
auf den erſten Wink glei) zum Gurgelabſchneiden bereit 
Aindt j 

Nun Lönnte ih Euch freilich wantelmüthig erſcheinen, 
meine Herren, weil ich den Zweitampf im Allgemeinen ver- 
biete, und ihn dann zweien meiner Offiziere in meiner ei» 
genen Gegenwart erlaube. Hier aber ift ein ganz befondes 
rer Fall, wie Ihr hören werdet. Zwei Gelübde binden 
mid) und widerſprechen ſich wechſelſeitig. Um bei diefem 
fonderbaren Verhältniffe Zeugen zu fein, und es richtig bes 
urtheilen zu fönnen, hab’ ih Eud Alle hierher eingeladen, 
damit Ihr mic) beftens entſchuldiget. Die beiden Nittmeis 
ter Soop und Seifert wollen durchaus einander den Hals 
brechen. Ihr kennt fie beide als ehrenwerthe Männer. Coop 
bat fidy ſchon lange als Held bewieſen, er hat mir im pols 
nifhen Kriege das Leben gerettet, als Eirot mitten im Ger 
megel meinen Hut erbeutete; welcher gottlofe ketzeriſche Hut, 
wie man fagt, von den Oeſterreichern nach Loretto geſchickt 
iſt um den Altar der heiligen Jungfrau zu (hmüden. Da⸗ 
mals flug id Soop zum Nitter und gewährte ihm, im 
Vertrauen auf feine Beſcheidenbeit, eine freie Bitte Bis 
jegt bat er nichts von mir verlangt. Geftern aber hat er 
mic) erſucht, ſich mit dem Nittmeifter Seifert ſchlagen zu 
dürfen. Seifert, der auf deutſchen Univerfitäten feinen Hel- 
denmuth gelernt hat, bemeift mir mit vielen lateinifchen und 
griechiſchen Broden, dag ic ihm Billigerweife feinen Wunſch 
nicht abſchlagen könne. 

Bas bleibt mir num zu thun übrig? Mein Wort an 
Soop: ihm eine freie Bitte zu gewähren, kann ich wicht 
brechen; mein Gefeg kann id) feinetwegen nicht umfoßen. 


Der Zweitampf. 21 


Durch Ueberredungen und Gründe der Vernunft laſſen ſich 
die Gegner nicht befänftigen. Glüͤcklicherweiſe habe ih in⸗ 
deß einen Ausweg gefunden. Cie wollen durchaus ihre 
Tapferfeit gegen einander verſuchen, fie wollen durchaus 
einander vernichten. Sei dem alfol Ihre Wünſche follen 
ihnen beiden gewährt werten. Dann hat keiner ſich zu bes 
Hagen. Ich will ſelbſt Augenzeuge ihrer außerordentlihen 
Tapferkeit und Unerfhrodenpeit fein. Wohlan, meine Her 
ren, jeßt fechtet, bis der eine bleibt! Ich babe den Kriegs» 
profoß bierher beftellt: in dem Augenblide, da der eine 
todt Tiegt, ſchlage der Scharfrichter vor meinen Augen dem 
Andern den Kopf vom Rumpfe! So wird jedem fein 
Wunſch gewährt, ic) Halte mein Wort und das Gefeg wird 
nicht Ühertreten. 

Hier ſchwieg der König; der Trauermarſch ward wie 
der geblafen; die Särge wurden näber gebract. der Scharf 
richter trat hervor und entblößte fein gräßlihes Schwert. 

In diefem Augenblide fab ich die beiden Zeinde ſich 
dem Könige zu Füßen werfen und um Gnade bitten. 

Mid habt Ihr um nichts zu bittten, ſprach der Ads 
nig, als Ales wieder ruhig war, denn wenn Ihr nicht 
kämpft, hat der Scharfrichter hier nichts zu thun. (Er gab 
einen Wink und der Büttel entfernte fih ſchnell durch eine 
Hinterthüre) Wollt Ihr aber vor diefer ehrenvollen Ver⸗ 
fammlung Eure Achtung als Chriften wieder gewinnen, 
fo vergeßt allen Groll und umarmt Euch als Freunde. — 
Die zwei Feinde lagen einander in den Armen. 


22 Bstäd. 


3. 
sıäd 





Nach diefem Auftritte ging ich Seiferts Wohnung wies 
der zu. Lachend und keck kam er mir entgegen, reichte mir 
froh die Hand und rief: Nun, nicht wahr, Albert? Das 
mar eine ſchoͤne moralifhe Komödie? Noch beffer ale das 
Narrenfhneiden beim Ritter Rnaufdegen? Alles das hab’ 
id) nun fo eingerichtet, mein Kind, um Dir ein Bergnügen 
zu maden; damit Du auf einmal einen Ucherblid des Gan⸗ 
zen befommen mögen. Hat der König nicht fehr gut ges 
ſpielt? Das ift wirklich unfer alerbefter Aeteur, — Er hat 
nicht gefpielt, Seifert! rief id ernft; er war die Wahrheit 
ſelbſt. — Nun ja, fuhr der Andere ruhig fort: das mein 
ich ja eben! Ein gutes Spiel kann nie ohne innere Wahre 
beit fein. Befonders war der Einfall mit dem Scharfrich- 
ter allerliebſt. Das würde ihm kein anderer fo leicht nach- 
gemacht haben; zu fo etwas muß man geboren fein. 

Und nun, mein Kind, ſprach er, meine Hand freund» 
Kid ſchüttelnd, bleibſt Du bei mir; ic babe ein kleines 
Abendmahl beftellt, wo der Ochs und der Windbeutel wie 
der Brüderfhaft trinten werden. Willſt Du auch etwas 
Gutes thun, fo made uns ein Lied darauf, Du fannft ja 
reimen! Laß cs aber um Gotteswillen luſtig fein, damit 
Wein und Freundſchaft beſſer hinuntergleiten, und nicht wie 
Moral und Staub in der Kehle ſtecken bleiben. 

Ich lieg mir das nicht erft wiederholen; er ſchloß mich 
ein, nachdem er mir Papier, Feder und Dinte gegeben hatte 


Stäüd. 23 


und id mathte folgendes Lied, das die Herren Dffiziere am 
Abend mit vieler Freude und unter hohem Gelädter zus 
fammen fangen, nachdem fon der Wein das Befte gethan. 


Der Ochs und der Bind. 


- Der Ochs iſt ia ein edled hier, 
Wir haben felber einen hier, 

Mit ſtarker, breiter Stirne, 

Der nicht den Feind mit Hörnern flöpt; 
Weit mehr: mit dem Gehirne! 


Der Bind iſt auch ein gutes Ding, 
Zwar iſt der Wind ein Sonderling, 
Der wüthen kann und foren, 

Bald ſchnaudt er in Gibiriend Schnee, 
Bald fpielt er in den Rofen, 


Der Ochs, der Wind nicht konnen fich 
AS Feinde fehlagen ritterlich, 
Bean fie fich auch gefunden; 
Denn flogen Hörner in den Bind, 
Was konnen fie vermunden? 


And HIÄft der Wind den Ochfen an, 
Es nicht dem Starten ſchaden Tann, 
E wird fein Haar ihm rupfen, 
Der Ochs trägt einen guten Yeh, 
Bekommt fo leicht nicht Schnupfen. 


Doch beide find des Bauers Heil, 
Wird gutes Better ihm zu Theil, 


2 sıäüd. 


Dann können Araͤuter (priehen: 
Dann graft Der Dchs im fetten Aler, 
In Hohen Blumenwieſen. 


Drum Sind und Dehſe laf't den Streit 
Und feid allein zur That bereit, 
Den Bauer zu beglüden. 
Und will der Froſch ein Ochfe fein, 
Ylag' er voll Wind in Stüden! 


Das Lied gefiel; es verbreitete ſich Schnell im Lager, 
und fam aud dem Könige zu Geſicht. Schon am dritten 
Tage ließ er mi) rufen. Mir war ganz elend zu Muthe, 
und ich wußte in meiner Verlegenheit weder aus noch ein. 
Ich frug Seiferten, ob er mir nicht einen ſchiclichern Ans 
zug verſchaffen könne? Gr ſprach aber: Albert, das vers 
ſtehſt Du nun wieder nicht. Ehen in diefem abgetragenen, 
armfeligen Küfterrode mußt Du vor dem Könige erſcheinen; 
und als Freund rath' ih Dir, noch unterweges einige Lö⸗- 
Ger in die Aermel zu reißen. Hübſche Kleider Hat der Kö⸗ 
nig genug gefehen; Du mußt aber in Deiner ganzen Gi» 
genthümlichkeit auftreten, als des großen Luthers Enkel, der 
auf die Knie gekommen ift; das wird eine lebhafte Theil⸗ 
nahme hei ihm erweden, und vor Sonnenuntergang, wett” 
ih, läßt er Did reparicen und neu überziehen. 

Die Knie zitterten mis, als id) auf's Schloß ging, und 
die Erde ſchwankte. Es half gewaltig, als ih aroge Un» 
rube im Burghofe mit Paden und Wagenaufladen wahrs 
nahm und erfuhr, der König wolle glei aufbrechen und 
weiter ziehen. In diefem Wirwar, dachte id, wird er nicht 
fo genau auf Dich Achtung geben, und die Audienz wird 


Glüſ. 26 


nur kurz danern. Als ich in das Gemach des Königs ge⸗ 
führt ward, ging er naddenfend auf und nieder und dit 
tirte feinem Geheimſchreiber in die Feder. Der Dienſtha⸗ 
bende Offizier, der mic einließ, berichtete gleichfalls, daß 
der Reichskanzler gleich ommen werde. — Holt mir doch 
ſogleich Euftav Guſtavſon, ſprach der König; drauf fi 
freundlich zu mir wendend, frug er: Biſt Du der junge 
Küfter, der Enkel Lutpers, der Freund Seiferts, der geftern 
das hübſche Lied gemacht hat? — IA antwortete zitternd, 
mid tief verbeugend: Ja, Ihro Königliche Majeftät. — 
Nun, fei wicht bange, mein Kind, ſprach er leutſelig, mir 
mit der Hand die Wange fireihelnd; ſeh' ich denn fo fhred- 
lich aus? Gr betrachtete mich mit einem wahren Bater- 
biide, worin feine ganze große Seele offen lag, und alsbald 
war meine Furcht verſchwunden. — Ach nein, Ihro Mas 
jeftät, antwortete ih: man ann aber auch vor Freude zit⸗ 
tern. — Bie nab' biſt Du denn Luthern verwandt? frug 
er. — Ach nur fehr weitläuftig, erwiederte ich: ich ſtamme 
můtterlicher Seite von einem Bruder von ihm ber. — Du 
baft ein ehrlich offen Geſicht, fuhr der König freundlic fort, 
mir immer Muth einflögend, in fo fern ſiehſt Du ihm ähn« 
Ki; Luther war aber nicht hübſch, und Du haft ja ein 
wahres Madchengeſicht. Kannft wohl gar wie ein Mädchen 
roth werden? Und weinen? — Es rührt mein Gemüth fo 


tief, ſprach ich Leife, dag Eure Majeftät fo herablaffend mit . 


einem armen Menſchen ſprechen. — Ber Geift, Herz und - 
Jugend hat, ſprach der König. ift nicht arm. Ich wollte 
gern etwas für Did thun, babe aber keine Seit, mic, laͤn⸗ 
ger hier aufzubalten. Du bift in einer gelehrten Schule 
unterridstet, höre ich. Haft aber noch feine Univerfität beſucht. 
Sum Küfer biſt Du zu gut, mußt Prediger, wie Luther 


% Sstäüd 


werden: möchten Du wobl mit meinem Sohne nad Bit- 
tenberg ziehen und es da fo gut mie er haben? — Ich 
fand mie verfteinert; der ſchͤne Jüngling, den id) geftern 
im Hofe gefehen, trat herein. Guftav, ſprach der König 
mein lieber Sohn! id) muß Dich jetzt verlaſſen. Beide um» 
armten fid und meinten herzlich. Cie gingen in's Neben- 
zimmer und überließen ſich ihren Gefühlen. Inzwiſchen 
ftand ich allein, war verlegen in der Geſellſchaft des ſtolzen 
Schreibers der mich mehrmals mit einem veraͤchtlichen Blick 
betrachtet hatte, zerfnällte meinen Hut und wünſchte den 
König zurüd, mit dem ic (dom Bekaͤnntſhaft gemacht hatte. 

Meine peinliche Lage vermehrte fih, als der Reichs⸗ 
Banzlır Arel Orenftiern bereintrat, ſich niederlieg und auf 
den König wartete. Der Schreiber reichte ihm einige Pa⸗ 
piere; er fah fie flüchtig durch, runzelte mehrmals die Stirn 
und frug ihn, fie wieder zurüdgebend, auf Schwedifd, was 
ich doch verftand: Iſt denn Abo noch immer krank? Kann 
er nicht bald wieder arbeiten? O ja, antwortete der Schrei» 
ber, er fommt morgen. Sind Eure Ercellenz etwa nicht 
mit der Arbeit zufrieden? — Nun, ſprach der Reichskanz⸗ 
ler, id) habe mic) an Abo gewöhnt; er kann ſich beſſer in 
meine Art fügen. — Id hatte während der Zeit nicht ge« 
wagt, den Kanzler zu grüßen, das fiel ifm auf und er frug 
jegt den Schreiber auf Deutlich, weil er wohl merkte, ich 
fei ein Deutfper: Ber ift der junge Menſch? Was will 
er? — Das ift der Küfter, gnädiger Herr, antwortete der 
Shreiber hurtig, mit boshaftem Lädeln, der geftern das 
Lied vom Bind und Ochfen gedichtet Hat. 

Jetzt lief es mir wie Eis über den Rüden. Herr Jeſus 
dachte ih, Du Haft mit dem Namen des Reichskanzlers 
Deinen Scherz getrieben! Sept ftebft Du vor ihml Wie 


ste a 


wird das ablaufen? — Der Kanzler, der meine Angft ge⸗ 
wahr ward und fogleih verftand, lachte laut, erhob ſich 
vom Stuhle, legte feine Hand auf meine Schulter und 
ſprach, indem er mir wie der König ſogleich Vertrauen ein. 
flögte: In der That, Fieber Freund, Ihr Habt mir ein wahr 
res Kompliment gefagt: dag meine Ochfenftirn mit dem 
Gehirne und nicht mit den Hörnern ftoße. Ih danke Euch 
für den guten Schwant, er hat mid fehr ergäßt, es iſt 
Geift darin. Nun, feid nur nicht fo blöde. Seh’ ih denn 
aus wie ein Dummfopf, der feinen Spaß verficht? Nehmt 
dies dafür zu meinem Andenken. Zugleich reichte er mir 
eine große filderne Echaumünze, die der König neulich auf 
den Sieg bei Leipzig hatte prägen laſſen. 

Der Kanzler ward jeßt zum Könige gerufen, und ich 
blieb mit dem Secretair allein. Da ich aber bereits fo 
große Patrone bei Hofe hatte, wagte id) es, feinem ftolzen 
Blide mit ziemlicher Ruhe zu begegnen. — Schöne Ein 
ritung! brummte er in den Bart, man braudt nur ein 
erbaͤrmliches Lied zu fhmieren, fo wird man und befommt 
man, ich weiß nicht was. Und ein Anderer kann fid in for 
liden Gefhäften von Morgen &is Abend matt arbeiten, die 
Finger lahm ſchreiben, und befommt noch Spitzworte oben- 
drein. Der Abo! Als menn er allein das Pulver erfunden 
hätte. — Ich begnügte mid, die zwei letzten Zeilen meines 
Liedes in den Bart zu brummen: 

And will der Froſch ein Dehſe fein, 
Pla ex voll Wind in Stüden! 

Bas Zeufel nimmt Er ſich heraus, rief der aufge 
brachte Schreiber, Er fingt und trällert in des Königs Kar 
binet? . 


28 Glünc. 


Jetzt kam der Dienſthabende Offizier, der mich herein⸗ 
geführt hatt, und bat mich, ihn zu begleiten, er wolle mir 
Reiſekleider verſchaffen, denn in einer Stunde folle ih mit 
dem jungen Guftav nady Wittenberg fahren. Allein lieber 
Herr, frug ich naiv, wie komme id) denn mit meinem guten 
alten Prediger zuredit, wenn ich mein Amt ohne Urlaub 
verlaffe? — Das wird der König ſchon in Ordnung brin⸗ 
gen, fagte der Offizier! Ich werde dem Sqreiber Hier ei⸗ 
nen Brick dicfiren! Und gemig, id) werde Eure Sache in's 
befte Licht ftellen. — Aud das noch, feufzte der Schreiber, 
und zernagte die Feder. Harte Prüfung! — Triumphirend 
folgte ich dem Offizier, freute mich jedoch, daß ic) den Hof, 
wo die Gunft feinen Augenblick begläden Tann, ohne zu⸗ 
gleich den Neid zu erwecen, fo bald verlaffen hatte. 


4 
Unsgläüd. 





Mit dem herrlichen Jünglinge Guftav Guftaufon ber 
309 ich nun die Wittenberger Umiverfität nnd lebte mit ihm 
dort ein Jahr, ohne daß es eigentlich zur Freundſchaft zwi⸗ 
fen ung gekommen wäre. Dazu waren wir Beide zu ver⸗ 
fhiedener Natur. Als Sohn des großen Guftaus, wenn 
auch aus uneheliher Verbindung, fühlte ich ihn weit über 
mid) geſtellt. Auch Hatte er, bei aller feiner Gutmüthigkeit, 
einen gewiſſen Stolz den id; bei den mehrften Adelihen 


uUngiäüd. 2 


gefunden, den ich gern entſchuldige und fogar natürlich finde, 
den aber meine Natur nie bat ertragen fönnen; denn auch 
ich war ſtolz auf meine Art und zog mic bald empfindlich 
zurück, wenn man mir nit mit Zuneigung entgegen kam. 
Er war einige Jahre jünger als id), kannte die Welt noch 
‚gar nicht, war aber ſchon weit gelehrter. Um feinem gro« 
Ben Bater au ſchmeicheln, machte man ihn nad damaliger 
Sitte zum Rector der Univerfität. Gr benahm fi mit Ans 
Rand und fogar mit Beſcheidenheit iu diefer Würde, und 
hielt Heim Antritte feines Rectorats eine zierliche lateiniſche 
Rede, die das Lob der größten Philologen erhielt. Dennoch 
war ein fibenzehnjähriger Nector Magnifieus eine feltfame 
Erſcheinung; auch ward ic) fehr wohl gewahr, daß er eis 
gentlich zum Gelehrten nicht geboren fei. Der Soldat gudte 
überall hervor. In feinen Zimmern hingen Rappiere, Schwer» 
ter und Helme, unter Duarten und Zolianten; und ftatt 
eines Schreibtiſches lagen feine Echreibgeräthe gewöhnlich 
auf einem Paar großer Pauken, auf denen er fih oft bis 
foät in die Nacht übte, fo dag man, menn ganz Wittenberg 
ſchlief, den Rector Magnificus noch auf feinem Zimmer die 
Vauten ſchlagen und die Trompete blaſen hören konnte. 
Immer hatte er Zur zu fechten. und hierin kam ihm Kei⸗ 
„ner an Geſciclichteit gleich. In jugendlichem Uebermuthe 
warf er mir manchmal. wenn ich an feinen ritterlichen Uebun- 
gen nicht Theil nehmen wollte, vor, daß ich keinen Muth 
befige.. Nichts auf der Welt konnte mid) empfindlicher kraͤn⸗ 
ten. Eine dunkle Röthe färbte mein Gefiht, umd ich zitterte 
vor Yerger. Da er aber der Sohn meines großen Wohl⸗ 
thäters war, zwang ih mid), ihm nichts Unangenehmes zu 
fagen, und Gegnügte mid) zuletzt damit, ihn gelaſſen zu bit- 
ten: Thut mir doch nicht den Schimpf, lieber Herr, mir 


30 uUngläd 


Zeigheit vorzumerfen. Der Muth des Menſchen ift verſchie⸗ 
den, wie fein Charakter. Wie kann ein tiefes Chrgefühl 
ohne Muth fein? Vielleicht habe id nicht, wie Ihr, den 
augenblidlihen, Ariegerifhen; es gehört aber auch Muth 
zum Ausharren, zum Arbeiten; sed gehört Muth dazu, et⸗ 
was Neues und Eigenes zu denken und zu erfinden. Es 
giebt auch einen geiſtlichen Muth. Glaubt Ihr nicht, daß 
Luther Muth beſeſſen Habe? Ei, rief er, das fol ih mel» 
nen, als er gen Worms nach Teufeln und Ziegelfteinen ritt. 
Nun ja, rief id. Dagegen würde er fi mit dem Schwerte 
in der Hand lächerlich ausgenommen haben. Und melde 
von diefen beiden Arten hat denn mein Vater? frug er 
mich prüfend. — Er hat fie beide, rief ich entzüdt, er iR 
ebenfo guter Bürger als Edelmann, denn er ift ein wahrer 
König, und der muß beides in fid vereinigen. — Das ift 
wahr, ſprach Guftav, mein Bater iſt Allee. Guftanus if 
nur ein Anagramm von Auguftus; er vereinigt Alles in 
fi. — Er it weit gröger als Auguſtus! ſprach ih; Der 
mar nicht eben befonders groß. — Wie fo? frug er vere 
wundert, findet Ihr den Kaifer Auguftus nicht grop? Glaubt 
etwa Ihr ein Auguftus fein zu können? — Bebüte Gott, 
antwortete ich, dezu hab id weder feine glänzenden, noch 
feine ſchlechten Eigenſchaften. — 

Wenn der junge Guftav Briefe. von feinem Bater ber 
tam. zeigte er fie mir immer, und wir folgten frahlodend 
dem herrlichen Sieger auf feinem Zuge. — Als der Vater 
ihm feinen feierlichen Einzug in Augsburg beſchrieb, wo er 
plöglic) am Abende Luft zu tanzen befam, und fi) mit den 
Töchtern der Fuggerſchen Häufer und mit mehreren anwe⸗ 
fenden fürſtlichen Perfonen etliche Stunden fang durch eng» 
liſche und deutſche Zänze erlufiigte, warf der Sohn den 


Unglüd 3 


Cicero de offieiis, den er eben in der Hand bielt, durcs 
Fenſter in einen großen Waflerbehälter und rief meinerlih: 
Nein, das ift zum Tollwerden: er dreht fih auf dem Balle 
mit den niedlichen ſüddeutſchen Mädchen herum, und id 
armer Unglücliher mug bier ſihen, um den Cicero de of- 
Keiis zu ſtudiren. 

Die Schlacht bei Zügen war nahe. Alles hoffte, Gu⸗ 
Rav werde den Wallenſtein befiegen — ic überließ mid 
auch diefem Gedanken; — eine dunkle Ahnung aber bee 
ſchwerte zugleich meine Bruſt. — Ich und mehrere Profeſ⸗ 
foren waren eben zugegen, als der Sohn den verhängnig- 
vollen Brief erhielt. Er mar nicht von dem Vater, fondern 
von Ochſenſtiern und mit einem ſchwarzen Siegel verfehen. 
Der Jüngling öffnete den Brief und ward leihenblaß, zit- 
terte aber nicht. Ohne eine Miene zu verändern, las er 
den Brief zu Ende; darauf ſprach er mit ſchwacher Stimme: 
Freut Euch, meine Herren! die Proteftanten haben gefient. 
tie Sriedländifhe Mannſchaft ift zu Grunde gerigtet, Bal- 
lenſtein ift wie eine Memme geflogen! Nur ein Mann ift 
auf der ſchwediſchen Seite gefallen. Mit diefen Borten 
flürzten ihm die Thränen aus den Augen, er eilte aus der 
Zhür und die Zreppe hinab. 

Bir folgten dem unglüdlihen Sohne nad) und konn 
ten ihm lange nicht finden; endlich Körten wir, er habe ſich 
ſelbſt in den Garcer gefperrt, um Ruhe zu haben, und das 
mit ihn Niemand weinen fähe. Dort blieb er vier und 
zwanzig Etunden, ohne etwas zu genicgen; nur der Nacht 
waͤchter hörte ihn laut reden, den Water beim Namen tus 
fen, heulen und jammern. Dann trat er wieder hervor, 
blag wie ein Gefpenft, länger und hagerer. Biele Haarlo⸗ 
den hatte er ſich in der Verzweiflung ausgeriffen, auch wa⸗ 


32 Ungiie 


ten ihm zwei Gelenke an der rechten Hand verwundet ohne 
daß er es wußte. 

Willſt Du mic begleiten, Albert, frug er, die Leiche 
meines Vaters zu fehen? Cie wird nad Stodholm ges 
bracht, wir wollen ihr auf dem Wege begegnen — Ja 
gern, lieber Herr! antwortete id, und ging mit ihm auf‘ 
fein Zimmer. Er öffnete einen Schranf, worin eine volle 
ſtaͤndige Rüfung hing, und rief: Jetzt, Vater, will ih auch 
in den Krieg. Ich will in Deine großen blutigen FZußftan- 
fen treten, id werde Deine Mörder treffen. — 

Bir begaben uns auf den Weg, und hörten, als wir 
nad) Grimma famen, daß die Leiche dort gegen Abend ein- 
treffen werde; und daß die Königin Maria Eleonora, die . 
ihrem Gemahl nach Deutſchland gefolgt war, mitreife, um 
die Leiche nad Schweden zu bringen. Dann, ſprach Gu- 
ſtav ernft und in ſich gekehrt, muͤſſen wir incognito bier 
bleiben. Ich mag fie nicht, und fie foll mich nicht zum er» 
ſten Male am Sarge meines Baters fchen. 

As Wittenberger Studenten mietheteu wir und jeßt 
ein Eeines Zimmer in der Hauptitrage, ziemlich theuer, 
denn die Stadt war ſchon vol Menſchen, befonders in den 
Straßen, wo die Leiche vorbei mußte, um in der Kirche bei⸗ 
gefegt zu werden. Hier wohnten wir nun fill hinter den 
Fenſtergardiuen dem Auftritte bei. Denkt Euch den Bus 
Mand des armen Jünglings, als er durch die Ritze des grü« 
nen Vorhanges den bededten, von Garden umgebenen Ba- 
gen fah, der ziemlidy ſchnell nad der. Kirche hingelenkt ward, 
als die Königin im Gaſthof abgeftiegen war. Der Bagen 
konnte aber nur langfam fortfommen, weil die trage vol⸗ 
der Menſchen war, die fi grade vor den Pferden auf die 
Knie warfen, die Hände gegen den Leichenwagen firedten 


uUngtläüd. 3 


und fluchzend ausriefen: Gott fegne Dich Du edler Bus 
ſtav Adolph in Deinem Himmel, Du unfer zweiter Luther! 
Du der Lutheraner Vater, Befhäper und Erretter. — Da 
meinten die alten Schnurrbärte, die dem Wagen folgten, 
die Veteranen, die alle Schlachten mit Guftav gemacht hat ⸗ 
ten, und deren fräftige braune Gefihter faſt alle mit Eb⸗ 
rennarben geziert waren. Guſtav Guftavfon und ih ware 
fen uns innerhalb des Fenſters auch mit gefaltcten Händen 
nieder und beteten mit dem Volte. 

Sobald ee dunkelte, gingen wir am fürmifchen Nos 
vember- Nachmittage zum Küfer und verlangten, daß er 
uns die Kirche öffne. Er erwiederte: er könne unmöglich 
unfern Wunſch gewähren, er bätte ſchon Bieten die Bitte 
abſchlagen mäflen, und es fet iym ſtreng verboten, Jeman ⸗ 
den in die Kirche zu laſſen. 

Ior ſollt mir nicht nur die Kirche, fondern aud den 
Sarg öffnen, rief der Jängling mit Donnerfiimme, denn 
ich bin fein Sohn, und id will die Leiche meines Vaters 
feben. — Sobald der erſtaunte Mann das hörte, lief er 
hin, Anftalten zu machen; und es ergab fih, daß gerade 
der Nittmeifter Soop bei der Kirchenwache das Commando 
führte. Sobald er den jungen Guftao erkannte, gab er 
Befehl die Kirhe und den Sarg zu öffnen. Aber ad! Vom 
großen Guftav Adolph war nichts mehr zu fehen. Sein 
aufgeſchwollenes, blaues Geſicht hatten die Wunden und der 
Tod ganz entftellt. — Der Sohn flarrte lange auf die jer« 
fehten Ueberrefte, dann frug er kleinlaut: If der Leihnam 
da wirklich mein großer Vater? IA denn gar nichts von 
ihm übrig geblieben? — Ia, bei Gott, rief der Rittmeiſter 
Soop! Sein unfterbliger Ruhm, der über die Vernichtung 
der Zeit ewig erbaben ift. — Da erhlidte der Sohn des 

Dehlenf. Echeiften. XVII. 3 


4 Ungläüd 


Baters rechte Hand, die noch ganz und unverleßt war. Er 
bededte fie mit Küffen und rief: Jeßt erkenn' ich ihm wie⸗ 
der! Ibr habt mid nicht getaͤuſcht, mir nichts vorgelogen. 
Da ift die Hand, die den Tilly, den Wallenſtein geſchlagen 
bat, die das Rettungeſchwert der Chriſten in Deutſchland 
geführt. Kennt Ihr fie noch, diefe Helden ⸗Rechte mit dem 
Bräftigen Daumen, den langen ſtarken Fingern, den ſchönen 
großen Nägeln? Diefe Hand, die eben fo männlich das 
Schwert faßte, als ſich Eindlih-fromm vor Gott dem All⸗ 
mädjtigen faltete! Diefe Hand, mit der er mir zum letzten 
Male feinen väterlichen Segen gab. 

Eine tiefe Stile herrſchte. Der Sohn lag lange ſprach-⸗ 
los neben dem Sarge, drüdte die blaſſe Leichenhand an feis 
nen Mund und ſchien zu beten; endlich fand er auf und 
entfernte ſich erföpft und ſchweigend; der Decel ward 
wieder von dem Veteranen über den Sarg gelegt. Alle 
folgten ihm langſam aus der Kirche. Als ih in Iräume 
verfunfen, meine Augen wieder auffhlug, traf es fih, dag 
ich dem Rittmeiſter zur Seite ging. — Bie gebt es Seis 
fert? wagte ich zu fragen. Er ift in der Schlacht gefallen, 
antwortete diefer. — Ich ſchwieg und folgte dem Rittmei⸗ 
ter aus der Kirche. Was war Seiferts Verluſt gegen den 
des großen Guftaus? Allein er war dod mein Freund ge- 
wefen; und id konnte ihm meine Ehränen nicht verfagen. 


Deland 3 


5. 
Deland. 





Ich Hlieb in Wittenberg bis 1635. Ih will Euch nicht 
damit ermüden, mein Tagewerk zu wiederholen: wie oft ich 
Luthers Grab beſuchte, wie gern ich in den Univerfitätsges 
bäuden verweilte, wo er zu wirfen angefangen hatte, in den 
Hörfälen faß, mo er als Profeſſor. Vorlefungen gehalten. 
Nur bisweilen, wenn font Niemand zugegen war, beftieg 
ih das Katheder, wo der große Mann geftanden, und hielt 
mir ſelbſt begeifterte Reden. Meine Freunde nannten mid 
aum Scherz den Kiofterbruder, weil fie von mir glaubten, 
dag ich, mitfammt meiner Gutmüthigfeit ein Saulenzer fei. 
Bas dies Lehte hetraf, fo moͤchten fie wohl, obſchon nicht 
in ihrem Sinne, Recht gehabt Haben. Ich fühlte, dag in 
mir ein prattiſches Talent erwache. welches nicht hieß zum 
Wiſſenſchaftlichen führte. Ein Tiſchler kam oft in's Gym⸗ 
mafium ; fein fünftlihes Handmwerk ergägte mich, id ver» 
ſchaffte mir eine Hobelbant, und während fih Andere oben 
im Auditorio über philoſobhiſche Subtilitäten lateiniſch zant- 
tem, lernte ich unten Stühle, Tiſche und Schränke machen. 
Unfer Nadıbar, der Schmid, erhielt von mir häufige Ber 
face, und obwohl id bei ihm nicht fo große Fortſchritte 
machte, als bei dem Tiſchler. Iernte ich doch Manches, das 
mir nachher zu Nupen gefommen if. 

Endlich gefiel es mir nicht länger in Wittenberg. ih 
wollte etwas mehr von der Welt fehen, mid verlangte wie 
der nad Abenteuern. Fr 


36 Deland 


Iept fiel es mir ein, nad) dem Norden zu reifen. Durch 
Guſtav Wolf. und feinen Sohn war Schweden mir lieb 
geworden. Mit den Kenntniffen, die ich befaß, fagte man 
wir, würde es mir ein Leichtes werden, dort mein Glüd 
zu madıen. 

Mit einem Meinen Fahrzeuge wollte id von Danzig 
nad Galmar fegeln. Ein Sturm nöthigte uns jedoch, an 
der Infel Deland beizulegen. Hier befam ich das falte 
Fieber, wagte nicht, weiter zu reifen, und mußte in einem 
Dorfe mehrere Wochen verbleiben. Der Bauer war ein 
wohlpabender Mann, man behandelte mid, gut, auch hatte 
ich fo viel Geld, dag id) vor's Erfte nicht brauchte mir et⸗ 
was umfonft geben zu laflen. Das Fieber konnte ich aber 
nicht wieder 106 werden. Es mar auf der Infel fein Arzt, 
und der von Galmar taugte auch nicht viel. Ich behielt 
daher mein Sieber, welches mic) dermaßen ermattete, daß ich 
befürchtete, die Krankpeit werde einen gefährliheren Char 
ratter annehmen. 

In diefem Zuftande tröftete mic ein junges Dienftmäd- 
Wen; ſtark und ſchlank, ſchoͤn gewachſen und fehr blond. 
Sie liebte den Sohn vom Haufe, und er fie wieder. Die 
Eltern wollten jedod nichts davon willen, weil das Mäd- 
den arm war. Das gute Kind wartete mid in meiner 
Krantgeit fehr gewiſſenhaft. Es dauerte nicht lange, fo 
lerute ih fo viel Schwedifh, daß id fie meiftens verftand. 
Ihr Bräutigam war nach Danzig mit einer Ladung Kalt» 
feine abgegangen, denn die Einwohner an der weſtlichen 
Küfte leben befonders von dem Ertrage ihrer Kaltfteinbrüde 
und verfehen Riga, Danzig und Reval damit. Ic berau- 
erte die gute Sara vorzüglid deswegen, dag fie fo weit zu 
geben hatte, um Waſſer zu bolen. Denn da der Grund 


Deland 37 


bier fteinig if, fann man feine Brunnen graben, fondern 
begnögt fih mit den fvarfamen Duellen, die ſich durd das 
Negenwafler aus den Bergrigen fammeln. Deswegen ift 
das Land aud fo mit Dürre geplagt, dag nad langem 
Mangel an Regen die Wieſen ganz dunfelbraun find. Defe 
ſenohngeachtet lichte Sara ihre Heimath, und erzählte mir 
oft von den vielen niedlichen Hafen und Neben, die über 
den Weg liefen, wenn fie nad der Duche ging, und von 
den unzähligen Nachtigallen und andern Singvägeln, die in 
den Dornbuͤſchen und belaubten Bäumen fängen. 

Einft, fam fie ganz wehmüthig von einer Hodzeit in 
der Nachbarſchaft nad Haufe. Cie erzählte mir, wie der 
Bräutigam dem Zuge voran, dem Prediger zur Seite ge⸗ 
ritten, wie dann die Braut mit ihren Brautjungfern zu 
Fuße getommen ſei. Das Better war ſchlecht, es hatte äfe 
ter-geregnet, und mitunter wären fie durch das fteigende 
Seewaſſer bis über die Kndchel gewatet. Daraus hätten 
fie fi) aber Ale nichts gemacht, und Sara war noch ganz 
heiß; fie waren ſtark gelaufen, denn je ſchneller die Braut 
mit ihren Iungfern zur Kirche läuft, defto mehr wird es 
ihr zur Ehre angerechnet. 

Saras Geliehter kam zuräd, und hatte gute Geſchäfte 
gemacht; als er aber hörte, das Mädchen babe ihren Dienft 
aufgefündigt (vermuthlic, um den Alten zuvor zu kommen) 
und wolle zu ihrer Mutter, in einem entfernten Dorfe, zu⸗ 
rüdfehren, ward er fehr betrüßt. 

Ich lag in einem offenen Altoven, der an das große 
immer ftieß, welches für Fremde beftimmt war. Nur dort 
mar es dem guten Zungen erlaubt, fbät Abende mit feiner 
Schönen zu ſprechen; denn fie wußte, dag ich nicht fo früh 
einſchlief; id war in ihr Geheimniß eingeweiht, konnte das 


8 Deland. 


Bett nicht verlaffen: fie waren daber auf die Beife allein, 
und nicht allein, mas eben die Mädchen fo gern wollen. 
Sie firitten fi immer. Er wollte, fie folle fagen: „Ih 
liebe Di,“ und ihm einen Kuß geben. Das wollte fie 
aber nicht, weil feine Eltern die Heirath nicht erlaubten. 
Erit war außer fi; bald meinte er, bald ward er bäfe 
und fluchte, bald Überredete er. Es half ihm aber Alles 
wichte, und obſchon das Mädchen für ihm mie eine Roſe 
lühete, wollte fie doch wicht fagen: „Ich liebe Dich,“ ſon⸗ 
dern nur: „Ic bin Dir von Herzen gut.” Auch durfte er 
nur die Wange, nicht den Mund füffen. 

In feiner Verzweiflung kam er einmal zu mi in den 
dunteln Altoven, als ich gerade einen ſtarken Fieberaufall 
hatte, fo dag mir die Zähne im Munde Mlapperten, und 
fragte weinerlih: Iſt das nicht eine abſcheuliche Kälte, Here 
Magifter? Sie will nicht fagen: „Ich liebe Did,“ und mir 
einen Kuß geben. — Ad, Kinder, ſeufzte ich unter der 
Bettdece zitternd, feld doch feine Narren! Bertragt Euchl 
@enießt in Unſchuld und Freude Euer junges gefundes Les 
ben. Wenn das beinerne Gerippe mit der Senfe kommt 
nn mit den Zähnen klappert, wie jeht, dann ift das Alles 
vorbei. ü ! 

Das wirkte. Gin folder Oratelſpruch von einem Ster- 
benden (fo fah ich mwenigfiens aus) führte Sara ploͤßlich 
vor allen fpräden Bedentlichteiten zur Natur und Billigfeit 
wuräd, Eie umarmte Erik, ſprach: „Ich liebe Dich,“ und 
ihre Lippen begegneten ſich. Im diefem Augenblide ging 
meine Fieberfälte im Hige über. 


Es war eine entſehliche Nacht. Der Sturm wäthete, 


und id konnte die Brandungen gegen die Klippen toben 
hören. Furchtbare Bindftöge heulten über Feld und Wald. 


Delant. 3 


Im Traume fam es uns vor, als ob, ein großer Rettungs⸗ 
engel, ein Cherub mit ſeche ungeheuren Flügeln (wie ihn 
Ejediel beſchreibt. kern am dden Firmamente zu Hülfe elle. 
Als er aber naͤber ſawebte, erſchrak id vor feiner unger 
beuren Geftalt, und kroch unter die Dede. 

Ich wollte mic) im Bette umkehren; da trodnete mir 
eine freundfihe Hand die Stirn, und eine Stimme fragte: 
Nun, Here Julius, wie geht's? Ihr feid wohl fehr ange 
griffen? Ach Sara! rief ih, diR Du da? Bo it Erit? 
Gr ift ſhon zu Bett, antwortete fie. Haft Du den Engel 
sefehen? frug ic. Ihr feid wieder in einem ſchweren 
Traume gewefen, fbrad fie, und ic wollte Euch fo lange 
nicht verlaffen. Ieht hoffe id), das Fieber werde für dies 
Mal vorüber fein, und id will auch ruhen Es iſt ein exe 
Raunlies Better. Der Himmel erbarme fi der armen 
Menſchen auf dem Meere. Gottlob, dag wir Erit wieder 
auf dem Trocknen haben. — Mit diefen Worten nahm 
fie das Licht und verließ mid. Ich fiel in einen erquidlis 
den Schlummer. 


6 
Der Sciffbruch 





Ich erwachte ſpät am Nacmiktage; das Wetter war 
ſchon die Sonne fhien zum Fenſter herein. Eine warme 
kräftige Manneshand fagte die meinige, und fühlte mir den 
Yuls, Durd den zuverfihiltäen fihern Drud erwachte be⸗ 


40 Der Sciffbruch. 


reits Zutrauen in mir. Er hat jett kein Fieber, ſprach 
eine ſonore Stimme, muß aber ſtark angegriffen geweſen 
fein, denn der Puls ſchlägt noch matt. — Wie werden wir 
doch den armen Mann kuriren? hörte id Sara mitlcidig 
fragen. Er bat ſchon lange Arzenei gebraucht, es will aber 
altes nichts verſchlagen. Laßt mid) Eure Chinapulver fe- 
ben, die Euch der Arzt aus Calmar gegeben hat! ſprach 
der Fremde. — Sara brachte ibm einige, er Öffnete das 
Papier, berod) das Pulver, zerrieb Etwas zwiſchen den 
Fingern, Boftete es und ſprach dann: Das gland’ ih, mit 
Birfenrinde, geftoßenen Biegelfteinen, oder Gott weiß was, 
heilt man «ein kaltes Sicher. Ich werde Euch ächte China 
pulver verfhafien. Der Kranke ſcheint ein junger Mann 
von guter Konftitution; er wird bald genefen. — Nachdem 
er dies gefagt hatte, ging er. Ich kehrte mid um und fab 
einen hübfhen jungen Mann, etwa von dreißig Jahren, mit 
locigem lihtbraunen Haare, die Stube verlaffen. 


Ich betrachtete Sara mit ftarren Augen und fprad: 
Mein Gott! wer ift der gute Mann, der mir wieder Hoffe 
nung und Muth in's Herz geſprochen bat? — Gr ift ſelbſt 
vor einigen Stunden der Lebensgefahr enfronnen, erwiederte 
fie. Ihr Habt gefchlafen und wißt nicht, mas vprgegangen 
it. Ein Schiff mit vielen vornehmen Herren ift heute Nacht 
an der Küfte geſcheitert Ueber die hundert Menſchen find 
rund herum in den Dörfern einauartirt. Glücklicherweiſe 
iſt der Arzt Hier, und er wird Euch gewiß bald wieder here 
ſtellen. 

Ich ſah einen alten Seemann, der ſich in der Stube 
bei einem Glafe Branntwein und etwas Falter Kühe an 
den Tiſch feßte. Er war gleich bereit, meine Neugier zu 


Der Schiffbruch. 4 


befriedigen, rüdte mit feinem Zeller meinem Bette näher, 
und erzählte: 

Bir ſchifften Heute vor acht Tagen von Lübel, nachdem 
alles Gepät und Geräthe, nebft zwölf Neitpferden zu Tra⸗ 
vemünde in's Schiff gebradt waren. Die Herren Gefand- 
ten famen auch bald. Tags darauf waren wir an der di- 
niſchen Küfte, weil es aber gelinder Iuftete, gaben wir dem 
Binde alle Segel; jedoch um zehn Uhr, als wir an feine 
Gefahr daten, Iiefen wir auf eine blinde Klippe und blie- 
ben fisen. Es war Neumond, finftere Naht, wir mußten 
nicht, wo wir waren. und fonnten nicht die Schiffslänge zu 
Ende feben. Viele von uns fielen auf die Knie, ſchrien 
und riefen inbrünftig zu Gott um Hülfe. Der Schiffer 
feloft weinte wie cin Kind, und wußte feinen Rath mehr. 
Bas uns das Herz am meiften ergriff, war des Gefandten ' 
Krufins Söhnlein, ein (höner Knabe von neun Jahren, der 
die ganze Nacht auf den Knien lag und mit aufgchobenen 
Händen zum Himmel unaufpörlic rief: Ad, Du Sohn 
Davids, erbarm' Dich mein! Und dann ſoprach der Feld⸗ 
prediger : Herr, wilft Du uns nicht erhören, fo erhöre doch 
dies unfhuldige Kind. Und das hat der liche Herr Gott 
auch ehrlich gethan. Denn wir find gerettet. 

Und was feid Ihr denn eigentlich für Leute, mein 
Freund? frug id neugierig. Ja feht, damit hätte ich frei⸗ 
ih anfangen ſollen, ſprach der Bootsmann. Wir find holſtei⸗ 
niſche Seeleute und führen die prächtige Geſandtſchaft Sci» 
ner Durchlaucht, des Herzogs Sriedri von Holftein-Gottorn 
von Lübel nach Reval. Bon Reval werden die Derrihaften 
den Übrigen Beg nad Perfien zu Fuß oder zu Pferde machen. 

Ich fragte nach den Gefandten. Cie heißen Tag und 
Nacht, ſprach der Bootemann lachend. Tag und Racht! 


2 Der Sciffbruch 


rief ich, das iſt ja eine ſchwediſche Familie. Freilich ver 
feßte der Bootsmann, ift Tag und Nacht die aͤlteſte adelige 
Familie, denn fie entftanden am erften Schönfungstage. Es 
it aber nicht fo zu verftehen; ih meine, die zwei Geſandten 
ſehen fid) fo ähnlich, wie Tag und Naht; denn Krufus ift 
leutſelig und vernünftig; Brüggemann düſter und ärgerlich. 
Dot) da kommt ein Herr, der Euch das Alles beffer fagen 
tann. 

Der Hauswirth trat in die Stube mit einem ſtattlichen 
Manne von mittleren Iahren. Der Fremde war ſchwarz 
gefleidet, und trug eine große weiße, runde Perüde, oben 
mit einem ſchwarzen Käpplein. Er hatte ein Fräftig-männe 
liches Geficht, nicht eben hübſch, aber fehr bieder. Ein klei⸗ 
ner Bart bedeckte ihm die Oberlippe. — Das ift der Ge 

"fandtfgaftsrath und Seerefarius, Herr Adam Dlearius, 
ſptach der Bootsmann, ein gelehrter Herr, der die Reife bes 
ſchreiden und in Drud herausgeben wird, menn die Ger 
ſandtſchaft glüclich nad Haufe gefommen ift. Und der 
junge Mann, frug id, der bei mir mar, iſt alfo der Schiffs-⸗ 
arzt? — Zum Henker audy, erwiederte der Bootsmann las 
hend, das ift der Poet, der Truchſeß und Hofjunker, der 
luſtige Paul Flemming. — Wie, rief ich erſchrocken, ift es 
ein Poet, der mir das falte Fieber vertrieben wii? 

Hier trat der Port und der Arzt in die Stube. Als 
Diearius hörte, daß ein Kranker im Alkoven fhlafe, ſchlich 
er fid) leiſe aus der Thür; der Wirth folgte ihm, und fie 
liegen mich mit dem Poeten und dem Arzte allein. 

Der Arzt ſtimmte dem Dichter bei daß ich bei einer 
ordentlichen Behandlung bald genefen werde. Er legte mehr 
tere Meine Papiere mit ähter China auf den Tiſch, und 
id) betrachtete fie mit eben dem Gefühle, welches ein Lich» 


Der SHiffsru. 8 


baber bei eben fo vielen Liebesbriefchen feiner Inniggelieb⸗ 
tem, worin fie ihm zu hoffen erlaubt, empfindet. — Der 
Dichter 309 eine ziemlich große Flaſche mit Ehinamirtur 
aus feiner Roctaſche und fagte: Die Yulver allein, Grah⸗ 
mann, können fo große Dinge nicht wirken: bier it China 
auf guten alten Rheinwein gefeßt, das wird ihn Märkten 
und erbeitern zugleih. Dann wird er bald auf die Beine 
tommen. Ich denke, wir veranftalten bier noch einen Ball 
für die Iuige Landjugend, ehe mir weiter reifen. : 


„2aßt und tanıen, Iaßt und fpringen, 
Saft und laufen, für nnd für; 
Denn durch Tanzen lernen wir 
Eine Kunft von fhönen Dingen.“ 


Ich Habe mir, fuhr er fort, ſchon ein hübſches Mäd- 
en ermählt, mit dem ich tanzen will. Das einzige Häß- 
liege an ihr iſt der Name Sara; die Heine Here follte bil 
lig Hagar beißen. 

Der Arzt Grahmam der älter und ernfter war, ſprach. 
freundlid feine Hand drüdend: Ia, lieber Flemming, fo 
überlaffe ich denn diefen Patienten Dir; denn ich habe, wie 
Du wohl weißt, mit den gefährliheren Kranten vollauf zu 
hun. IA empfehle mid, mein Herr, ſprach er zu mir; 
haltet Euch nur mit Zuverfiht an diefen guten Mann; er 
ins bios, wie id, ein Leibes-, fondern auch ein See⸗ 
lenarzt. 

Als wir allein waren, berrfihte eine kleine Stille. Der 
Dieter betrachtete mich aufmerkfam, fah, was in meiner- 
Seele vorging warf fi in den Lehnſtubl und lachte. Iept, 
rief er, glaubt Ihr gewiß aus der Schlla in die Charyb⸗ 
dis ‚gefallen zu fein. Gin Poet fol Euch kuriren! Bei die 





4 Der Schiffbruch. 


fem Gedanken klavpern Eud) die Knochen im Leibe, und 
der Schred fhüttelt Euch, mie vordem das Fieber! 

Um Eud) aber den Neft aller Bedenklichteiten zu neh⸗ 
men, ſprach er, indem er Chinamirtur in einen Lörfel 908, 
fo wißt, daß ich aud) ein paar Jahre lang zu Leipzig Mes 
dizin fudirt habe, und wie es der Doftor Grahmann be 
zeugen ann, nicht ohne Erfolg. (Ich verſchluckte zuverſicht ⸗ 
lid) die Mirtur, und mir war's als 06 id bereits heilſame 
Wirkungen verfpüre.) Auch kann ih eben nicht fagen — 
fuhr Flemming fort, — dag mir diefe Wiſſenſchaft eigent- 
lich zuwider wäre. Ein Arzt muß aud Künftler fein. Doc 
als ic) diefe Wiſſenſchaft eine Zeitlang getrichen hatte, wollte “ 
fie mir nicht länger behagen. Ic) hatte zu viel Gefühl, 
war zu reizbar, um ein guter Arzt zu werden. 

Barum habt Ihr doch diefe nüplihe Wiſſenſchaft auf 
gegeben, lieber Herr, fragte ih. — Eben, weit fie nutzlich 
if ſagte er. Ein Dichter ſoll gar nicht nupen, das will ſa⸗ 
gen: mittelbar. Er foll unmittelbar auf den Geift wirken, 
und den Sinn für das Schöne bilden. 

Es freut mid), Tieber Herr, ſprach ic, daß Ihr nicht 
das allgemeine Schidfal theilt, fondern glädlih feid, und 
als ein Zugvogel zum fhönen Dſchinniſtan binflattern könnt, 
wärend wir bier in Europa von Winterftürmen leiden. 

Freilich, ſprach Flemming bedenklik, deshalb reife id) 
auch. Denn wie fieht es jept in Deutſchland aus, feitdem 
Guſtav Adolf gefallen iſt? 

Ihr feid bei der Geſandtſchaft angeftellt? fagte ih. — 
Ja wohl, antwortete Flemming: als Hofjunker und Truch · 
feß; id est: Vorſchneider beim Gefandtentifhe. Iſt das 
nicht eine große Ehre für einen Doctor Philosophiae nen 
non Magister artium? IA verfihere Eu, Herr von 


Der Schiffbruch. 4 


Bruggeman glaubt, der Herzog habe damit einen großen 
Fehler begangen. Hier ward die Thür zur Wohnſtube weit 
aufgeriffen, wir hörten Jemand auf dem Flur ſchelten und 
lärmen, und ein langer, grämliher Mann mit dünnem, 
rötplihen Barte und einer goldenen Kette um den Hals, 
vom Gefandten Kruſius und dem Herrn Olearius begleitet, 
trat herein. 

Rein, das ift zum Tollwerden, rief er mit greller Tee 
norfimme; haben nicht die Buben die Chatoulle mit den 
fürſtlichen Kredenzſchreiben beim Reiten in’s Waſſer fallen 
laſſen, ſo dag fie ganz naß und unleſerlich geworden find, 
und wir aus Neval wieder nach Gottorp ſchreiben müffen, 
um neue Kredenzſchreiben zu erhalten, 

Nun, licher Freund, ſprach Kruflus gelaffen, in ſol⸗ 
chem Wirrwar laͤßt ſich nicht über Alles gebieten, wir has 
ben noch Gott zu danken, dag wir fo ziemlich troden, mit 
heiler Haut davon gekommen find. — Ihr, Herr von Krus 
fius, feid immer troden, ſprach von Brüggemann. Und wie 
fie jeßt berumlaufen. Bas ift denn an diefer armfeligen 
Infel zu fehen? Eteht nicht mit Maren und deutlichen Wor⸗ 
ten in der fürftlihen Hofordnung gefhrieben, daß, „ſobald 
zur Tafel geblafen wird, Alle und Jeder alfobald ſich ein- 
ftellen follen, damit man auf Niemanden warten dürfe?" 
Und doch haben mir heute eine halbe Stunde blafen und 
warten müfen, ebe die Pagen das Eſſen auftrugen, und 
die Herren Truchſeſſe erfhienen. Befonders ift diefer Port, 
der Paul Flemming, febr verfäumlih, und feinem Amte 
gar nicht gewachſen. Wo ift er denn jet? — Er fipt 
drinnen im Altoven bei einem Kranten, ſprach Dlearius. — 
Bas! rief Herr von Brüggemann, ift hier ein Kranker. fo 
geb’ ich ſogleich wieder. Was das doc) auch für Wohnun- 


4“ Der Sciffbruch. 


gen und Einrihtungen find. Krankenſtübchen und Geick- 
ſchaftszimmer, das läuft Ales in Eine, 

Ihr könnt über Eure Wohnung nicht flogen, Herr von 
Bräggemann, ſprach der Marſchall Herrmann von Etaden, 
ich habe Euch eine fehr gute verſchafft. — Aber dort kann 
man dod nicht den ganzen Tag fipen und ſich ennupiren, 
tief der Andere. Die Herren wollen mir nicht die Ehre 
gönnen, fo muß ich wohl zu Ihnen kommen. Was fehlt 
dem Kranken? Ic will doch nicht hoffen, daß es eine an⸗ 
Nedende Krankheit fei? — Flemming kam heraus und ver- 
ſicherte es fei ein Gremder, der nur das falte Fieber habe. 

Recht gut! verfcpte Brüggemann; aber deswegen foll- 
tet Ihr ihm doch nicht Meditamente reihen. Ihr feid jept 
Hofjunfer und Truchſeß, und habt mit den Avothekerſachen 
nichts mehr zu thun. Wenn ih Rebhühner verzehre, will 
ich nicht, dag mein Truchſeß nach Teufelsdred, China und 
Rhabarber ſtinke. — Ich beforenge mid, immer mit wohl« 
riehendem Waſſer ehe ih mid) Euch nahe, Herr von Brüg- 
gemann, ſprach Flemming und konnte einen veraͤchtlichen 
Blic nicht zurädhalten. — Schon gut, Fieber Flemming, fiel 
ihm Krufius-in’s Wort, indem er befänftigend feine Hand 
auf die Schulter des Dichters legte: Wir Andern ind fehr 
mit Euch zufrieden, und folte dem Leibarzte etwas zufto- 
en, fo ift es ja ein großes Glüd, daß wir noch einen Mann 
mit uns haben, — der Berfe darüber maden kann, rief 
Brüggemann böhnifh, — die Euer Wohlgeboren gewiß ge» 
fallen, wenn fie gut find, fprad) Flemming, denn nur Dumm ⸗ 
töpfe haben einen natürlichen Widerwillen gegen den Wiß. 
— Erinnert Eud des erften Artitels der Hofordnung rief 
Brüggemann: „Anfänglic und für's Erfte ſollen alle und 
jede Obbemeldeten unfern Gefandten in unferm Reſpett 


Der Schiffbruch. 47 


alle fhuldige Epre, Folge und Aufmartung erivelfen, und 
ohne Gontradiction oder Weigerung ihren Befehlen pari⸗ 
ren.“ — Es fteht aud in der Hofordnung, rief Flemming, 
„daß fid alle und jede bei der Ambalade der Einigkeit 
befleigigen, daß Einer dem Andern alle gute Freundſchaft. 
Liebe und Aſſiſtenz ermeifen; hingegen aber des Zankens, 
Haderns, unnöthigen groben Agirens, Beſchimpfens und 
Schlagens enthalten fol." — Mit diefen Worten verlieh 
er das Zimmer. 

Barte nur, Bude, rief der aufgebrachte Gefandte ihm 
nad), id werde Di wohl paden. Ich werde eine Klage 
über Dich auffegen und fie nach Holftein fenden; Du wirft 
die goldenen Zinnen von Moskau nicht zum zweiten Male 
feben. 

Ihr feid übler Laune, Herr von Brüggemann, ſprach 
Kırufus, weil wir Schiffbrud gelitten haben. Dem guten 
Paul Flemming werdet Ihr aber gemig nichts zu Leide 
thun. Bir lichen ihn alle, und eher wollten wir zuräd nach 
Gottorp reifen, als diefen wadern Freund und treuen Ge- 
fährten aus unferm Kreife verlieren. — Ia, das ift gewiß! 
fprab Dlearius. — Gewiß, wiederholte der Marſchall von 
Staden. — Gewiß, rief der glühende, raſche Stalmeifter 
von Mandelsiope. — Gerwiß, ſprachen Alle! 

Ich fehe, ich habe bier Ale gegen mich, rief Brügge 
mann; ich werde die Herren heute nicht länger mit meiner 
Gegenwart infommodiren. Er ging, und ſchlug die Thäre 
heftig binter ſich zu. 

Krufius ſchwieg. Gebe der Himmel, daß es fo wäre! 
rief Mandelslohe. Lieber Gott. mit ihm follen wir nun 
den weiten Weg nad Jepahan machen! Bas find Felfen- 
tlüfte und Wüften gegen einen folden ärgerliden, zänfifcen 


4 Die Ausſteuer. 
Menſchen, ohne Kopf und Herz. — Stille! gebot Krufius 


mit Milde. Mir that es aber in der Seele wohl, daß 
mein dichteriſcher Arzt von Allen fo gelicht war. 


7. 
Die Ausfteuer. 





Zwei Mat hatt’ id das Fieber erwartet, es blieb aus. 
Bas das für ein angenehmes Gefühl war, weiß Jeder, 
der aud) einmal in diefem Zuftande geweſen ift. Meine früs 
heren Kräfte ſchienen wieder zu erwachen. Während der 
Zeit war das Schiff flott geworden. Die Gefandtfhaft 
follte abreifen. Herr von Krufius aber hatte zuvor einen 
Ball für die Jugend der Nachbarſchaft veranftaltet. 

Bei diefer Gelegenheit wollte fih Flemming auf edle 
Weiſe an dem geizigen Brüggemann räden. Der Boots- 
mann hatte mir bereits erzählt, daß Iener auf dem Schiff 
in Todesgefahr das Gelübde gethan, ein armes Maͤdchen 
auszuftatten, Es follte ein armes Mädchen auf der Inſel 
Oeland fein, und Clas Lundgreen, unfer Hausmwirth, war 
ſchon von Allem unterrichtet; er fandte feinen Sohn nach 
Gothland, ein Pferd zu kaufen, und erlaubte Sara, ihre 
Mutter auf einige Tage in Runſteen zu beſuchen. Diefe 
Erlaubnig war dem Maͤdchen fehr milltommen. Als der 
Bräutigam weg, und ich geheilt war, verließ fie gern das 
Haus, um dem verliebten Paul Flemming zu entgehen, 
der ihr uüberall nachſchlich, um einen Kuß zu bekommen, 


Die Ausfteuer. cw 


Er wußte nicht, dag fie heimlich verſprochen war, und fie 
nicht, daß fie eigentlich dieſem edlen jungen Mann ihr 
künftiges Gtüd verdanken würde. 

Ad, Julius, ſprach er einmal zu mir, als wir zuſam⸗ 
men allein fagen, und ic über feine Verliebtheit ein wenig 
geſpottet hatte, e8 geht mir, wie einem geweſenen Reichen, 
der fein ganzes Vermögen verloren, und jegt nur noch mit 
unter an einem fremden Zifhe einen Biffen ſchmauſen ann. 
Einmal habe ich ein himmliſches Mädcyen geliebt, fie ſchenkte 
mir wieder ihre Neigung, und damals konnte id fingen: 


„Die iſt wohl beim höchften Echmerie, 
Denn ich weiß ein treued Herze! 


Damals konnte id) fingen: 


„O Sonne der BWonne, 
© Bonne der Sonne!“ 


Aber meine füge Rubella ift geſtorben; in der hödften 
Jugendblüthe raffte die Peft fie hin, und alle armfeligen 
Arzeneien konnten fie nicht retten Bulept haben freilich die 
Iapre meine Wunde geheilt, allein ich trage noch die Nar- 
be, als liebſtes Merkmal ſchöner Stunden, in meiner Bruſt. 
Iept will id mid der Phantafie ergeben, und an fernen 
Orten ſchone, feltne, wunderbare Blumen bflüden. Schöner 

‚ werden die Georgianerinnen und Circaſſierinnen fein, al⸗ 
kein mein ſchuͤchternes erröthendes Liebchen an der Pleiße. 
mit dem kindlichen Melpomenen-Geſichte, die fo früh ver- 
ſchwand, werden fie mid) nie vergeffen machen. 

Jetzt ward -natürkihermeife auch der Schatten meiner 
Neben Zabuletträmerin aus dem Grabe hervorgemahnt, 
und -fo wechſelten wir unfere Gefühle gegen einander aus. 

Geblenf. Schriften. XVIL, 4 


60 Die Ausſteuer. 


Drauf eilte er fort, um in's Werk zu ſetzen, was ich 
leider zu fpät erfuhr, weil er auch mich damit überraſchen 
wollte. 

Der Ball war auf den Übermorgenden Abend feſt⸗ 
gefegt, und damit der geizige Brüggemann nicht umfatteln 
folle, und fein Wort drehen, das er freilid in Gegenwart 
der ganzen Schiffsmannſchaft gegeben hatte, veranftaltete 
lemming erſt, nachdem alles heimlich mit Krufus und 
Dlearius verabredet war, eine Deputation armer Väter 
des Dorfes, um ihm, für feinen chriſtlichen Vorfag, ein 
Maͤdchen aus ihrer Mitte auszuftatten, gehorfamft zu danken, 

Brüggemann, der nicht mußte, mas man von ihm 
wolle, der ſich aber gern gehuldigt fabe, lich ſogleich feinen 
Trompeter, mit wiederholten Stögen das ganze Perfonale 
der Geſandtſchaft zufamme..rufen, und gab alsdann, ums 
ringt von Hofjunfern und Pagen, den Bauern cine fürme 
liche Audienz. 

Als er aber hörte, aus welchem Lore der Wind pfiff 
erblaßte er, und warf einen grimmigen Blic auf Flem · 
ming, denn er witterte gleich, wer ihm dieſen Streich ge⸗ 
ſpielt Habe. Flemming aber ſtand gleich einem frommen 
Kinde mit gefalteten Händen und niedergefcjlagenen Augen. 
Jetzt, da die Sade fo w.it gefommen mar, fah Herr von 
Brüggemann ſich genöttigt bei feinem Worte au bleiben, 
und bielt daher eine zierliche Nede. Denn er befaß eine 
gewiſſe Geſchiclichteit, Nichts mit vielen glatten Worten, 
in fünftlien Worten zu wiederholen. " 

Er geftand, daß er in äußerfter Noth ein ſolches Ge⸗ 
lübde geihan babe; freilich fehr unvernünftigerweife, denn 
jeder gefittete gute Chrift fei doch jegt davon unterrichtet, 
dag man tie goͤttliche Vorfehung nicht mit armfeligen Geld⸗ 


Die Ausſteuer. 51 


gelübden abſpeiſen und auf andere Gedanken Ienten könne. 
Beil das Gelühde nun aber einmal abgelegt fei, wolle er 
auch fein Wort drehen; beklage jedoch, dag die Umftände 
ähm nicht erlaubten, viel für das arme, ehelüfterne Kind 
zu thun. Dreißig Thaler wolle er indeß hergeben, weil es 
nun nit anders fein Lönne. Sollten feine Herren Kolle⸗ 
gen und die übrigen Offizianten finden, daß diefe Enmme 
zu Mein fei, fo fände es Iedem frei, diefelbe nach Herzens 
iuſt zu vermehren. Denn in fofern nicht nur er, fondern 
mit ihm zuglei die ganze Mannfhaft aus der Lebens» 
gefahr errettet fei, fehe er micht ein, warum er für Ale ber 
zahlen folle. 

. Krufius, der feinen Kollegen nicht Länger auf der Fol⸗ 
ter laffen wollte, antmortete ſchnell: er fei bereit, aud drei» 
Big Thaler zu geben. Alle übrigen zur Gefandtfhaft ge- 
börigen Perſonen verpflichteten ſich, verhältnigmäßig zu der 
Ausfteuer beizutragen. So ward ſchnell eine Summe von 
hundert Thaler Elingender Münze zuſammengebracht, ein 
Fa Schatz für ein oelaͤndiſches Landmaͤdchen damaliger 


Ich wußte von allem diefen nichts. Vermuthlich wuünſchte 
Flemming es auch zu verhindern, daß ih auf den Ball 
ginge, und mid) der Nachtluft ausfepte. 

Ih war am Mittage vor dem Balle ein menig im 
Sonnenſchein fbaziert; und zwar zum erften Male nad) der 
Herſtellung; id) fühlte mid etwas erfhöpft, legte mic) aufs 
Bett im Altoven und ſchlief ein. Als id wieder ermadıte, 
war es Nachmittag; id fab Elas Lundareen mit ſeiner 
Frau in die Stube treten, und da fie fih allein glaubten, 
forad er: Nun, Frau, bab’ ich meine Karten nicht pfiffig 
gemiſcht? Erik it nach Gothland gereift, ein Pferd zu kau- 

rü 


52 Die Ausſteuer. 


fen, Sara beſucht ihre alte Mutter in Runſteen, zwei Mei« 
len von bier. Heute Abend werden die Bräute des Dor⸗ 
fes, die ſich zu einer Ausfteuer Hoffnung machen fönnen, 
dem Gefandten vorgeftellt. Gut, dag Cara nicht da ift. 
Beläme fie feine Ausfteuer, fo waͤre das für ung ein Schimbf, 
meil unfer Sohn fie liebt; befäme fie aber aud die lum- 
vigen hundert Thaler, fo müßte ich mein Verſprechen hal 
ten, und meine Plane würden ganz über den Haufen ge 
worfen. Nein, Erik foll die reiche Witwe beirathen, und 
Sara mug fort. Wenn fie ein Paar Boden geweint har 
ben, werden fie fid wohl wieder tröften. Ei freilich, ſprach 
die Frau, das ift eben die rechte Art: Wir Beide Haben 
ja einander auch nie geliebt, und find dod nachher glüdtic) 
geworden. Und es ift ung nicht wie gefühlvollen Eheleuten 
ergangen; denn wir haben nie aufgehört, uns zu lichen, 
weil wir nie den Anfang damit gemacht haben. Wer könnte 
auch, bei taufend Tonnen Teufel”), das Mefen in der Einige 
feit fortfeßen? Das fagt man nur etwa fo hin, 

Allein holen mid) zehntaufend Tonnen Teufel, liede 
Grau, ſprach der Schwede Ieife, legt nicht dort wieder der 
Sachſe aufm Bett, und hat vieleicht jedes Wort gehört. 
— Er foläft, der arme Kerl; antwortete die Frau. Er 
bat heute ein wenig in der Sonne ſpaziert. und iſt fo matt, 
wie eine Fliege. Komm, mir wollen ihn nicht flüren. — 
Sie gingen, allcin jegt hatte ich genug. 

Sobald ich allein war, und es dunfelte, warf ic) mid, 
in einen diden Ueberrod, der dem Wirthe gehörte, nahm 

ein gutes Neitpferd aus feinem Stall, fattelte es in aller 


*) Ein ſchwediſcher Eidſchwur. 


Die Ausſteuer. 53 


Eile, und ohne mit Jemandem zu reden, no um &rlaub- 
niß zu fragen, ritt ih nad Runſteen. um die gute Sara 
zu bolen, damit fie früh genug zur Ausſteuer erſcheine. Als 
ich das Thal durdritt, flieg ein weißer Nebel aus dem 
Grunde. Du wirft das Fieber wieder bekommen, dachte 
id, vielleicht opferft du durch Diefe Anftrengung dein Leben. 
Doch gleichviell Die gute Sara hat mir fo lange treulich 
beigeftanden! Jetzt wi ich ihr auch ihren lieben Erit zum 
Manne verfhaften. Sonft befime fie ihm nie. 

Nach zwei Stunden hielt id mit dem Pferde vor dem 
Haufe, wo Saras Mutter wohnte. IA band das Pferd 
an die Thür, und trat hinein. Es war eine ziemlich ge⸗ 
räumige Stube und Kühe zugleih. Gin luſtiges Feuer 
braunte auf dem Heerd. Die Alte hofte beim Feuer in 
einem Lchnftuple, zu ihren Füßen faß die Tochter auf einem 
Schemel. Aridte und hörte die Mutter ein Mähren er 
zählen. Es war die Boltsfage vom todten Nitter, der das 
Maͤdchen auf feinem Pferde nad dem Kirchhofe brachte 
und worin die Reime vorfamen: 


„Der Mond ſcheint he, 
Die Todten reiten fchnell.” 


Jetzt, Sara, rief id im Hintergrunde der Halle, gilt 
kein Zaudern. Schwinge Did vorn aufs Pferd, halte Dich 
an den Eattelfnopf, fo reiten wir Über Berg und Thal, 
und fommen noch vor Mitternacht feäb genug zur Hochzeit, 
wenn wir ſchnell reiten. 

Die Mutter, die mein wodlblaſſet Geſicht (der Ritt 
batte mic, angegrifen) beim Küchenfeuer entdedte, ſank er» 
ſchroden zurüd in den Lehnftuhl, kreuzte fi mehrmals, und 
glaubte, der todte Baladensitter ſei da, um ihre Tochter 





5 Die Ausſteuer. 


nad) dem Grabe zu bringen. — Cara erfannte mid aber 
ſogleich; mit zwei Worten hatte ich ihr alles erklärt; fie 
nahm hurtig Abſchied von der Mutter, die ſich tröftete; 
und jest trabte ich fort mit dem Mädchen, über nactes 
Geftein, braune Haide und überſcwemmte Ufer. Es ſah 
nach Regen aus, und id hörte das fromme Kind inbrün 
flig zu Gott beten, daß er es doch nicht eher ‚regnen laſſen 
molle, bis wir im Trodnen wären, damit meine Geſundheit 
nicht gar zu fehr leide, 
Der liche Gott erhörte ihr Gebet. Erſt als wir wie- 
der ins Dorf anfamen, fiel ein feiner Staubregen. Bir 
börten die Geigen im großen Birthshaufe luſtig erklingen. 
Als wir näher famen, war die ganze Straße von Lichtern 
die durch die Fenfter ftrahlten, erheüt. Ih warf den Ueber» 
roc ab, nahm Sara vom Pferde, gab dem Hofknechte das 
Mferd und den No, und bat ihn, für heides Sorge zu 
tragen, während ih meine Dame hinauf brachte. — Iſt 
das nicht Clas Lundgreens Pferd und Ueberrod? frug der 
Haustnecht. — Freilich, ſprach ih. — Ie, feld Ihr. 
nicht der junge Deutſche, der bei ihm wohnt? — Ia, der 
bin ih! — Nun, das wird ihm einen ſchweren Stein vom 
Herzen wälzen, verfeßte der Knecht. Er glaubt, dag Ihr 
mit dem Ueberrode und dem Gaule Neigaus genommen, 
ohne die Miethe zu bezahlen. — Dummes Zeug, rief ich. 
auf einer kleinen Infel flicht man nicht weit zu Pferde. — 
Ich ging mit Sara hinauf und traf den Mann in der 
Thür. Bo itt mein Pferd? rief er mir entgegen. — Es 
ſteht unten im Thorwege, antwortete ih. — Bo ift mein 
Ueberrock? verfeßte er. — Der Hoftnecht trägt ihn auf 
dem Arm, fagte ih, und bier ift Eure Schwiegertochter 
noch obendrein. Ohne fih um meine Borte zu betümmern 


Die Ausfteuer. 5_ 


ftürzte er die Treppe hinunter, um feinen Ueberrock ‚und 
fein Pferd zu befommen. Ich trat mit Sara in’s große 
Balliimmer. Zwei Lehnftühle fanden im Hintergrunde. 
In dem einen breitete ſich Herr von Brüggemann, fo viel 
es ihm feine hagere Länge erlauben wollte. Der andere 
Stuhl, für Krufus befimmt, ftand leer, doch ſah ich ihn 
und .alle übrige zur Geſandtſchaft Gehörenden in der Nähe. 
Bor dem Richter im Lehnftuhle fanden drei Dienſtmädchen 
die weder hübſch nod jung waren; auch madıten ihre ges 
meinen Geſichtezüge einen widrigen Eindrud auf die Bus 
ſchauer. — Nun, meine Herren, hörte id Brüggemann zu 
den andern ſpoͤttiſch ſagen: Welcher von diefen drei Goͤt⸗ 
tinnen foll ich den Apfel reihen? — IA dachte: wie die 
Göttinnen, fo der Paris. Sie zauderten alle, und Niemand 
batte Luft unter den drei Schönheiten zu wählen! 

Hier iſt noch eine Vierte, rief ich, und 309 meine nied- 
liche blonde Schwedin hervor, deren beſcheidene Schüchtern⸗ 
beit fie noch liebenswuͤrdiger machte. 

Es bedurfte nur eines ganz einfachen Vortrags der 
Sache, um Sara foyleid den Preis zugumenden, und die 
hundert Thaler wurden ihr in Golde gereicht. — Glas 
Lundgreen fam zurüd. Mein Pferd ift da, forady er, aber 
ganz mit Schweiß bededt, mein Ueberrod auch, aber vom 
Regen durchnetzt. Ber hat Euch erlaubt, fo mit andrer 
Leute Eigenthume zu wirthſchaften? — Fragt Euren Sohn, 
Bater Glas, ſprach Herr Olearius, wenn er von Gothland 
zu Haufe fümmt; und ſcheltet nicht diefen wadern Jüngling, 
der für feine tapfere Treue eher einen Lorbeerkranz vers 
diente. — Jetzt wollen wir für ihn forgen, rief Paul 
Flemming. 

Er und Grahmann brachten mid nach Haufe und zu 


56 Die Ausfeuer. 


Bette, gaben mir einen guten Schlud Chinamirtur und 
dedten mic warm zu. Ich ſchlief bald ein, und verfpürte 
am folgenden Tage feine ſchlimmen Zolgen; welches ich 
wohl theils der Begeifterung, theils der Eile, und beſonders 
Vater Glafens vortrefflichem Ueberrode von didem, wolle 
men Zeuge, zuzuſchreiben hatte. Der Alte war genötbigt, 
Ah zufrieden anzuftelen. Das Pferd, das ich geritten 
batte, ward indeg frank, und er wollte mir das Pferd zu 
Rechnung führen. Als aber Erik mit einem guten Pferde 
von Gotbland zurädfam, wagte der Alte es nicht mehr, 
von der Sache zu reden, um den Sohn, des gefbielten Strei» 
es willen, nit noch aufgebranter zu machen. 

Zwei Tage darauf war die Verlobung der jungen 
Leute. Flemming fhrieb ein Hochzeitslied, in weldem er, 
wie es bei folhen Gelegenheiten gewöhnlich ift, mit den 
Namen fpielte, und von der jungen Sara in Vergleich 
mit der alten bibliſchen viel Wipiges ſagte. Das Hoch- 
zeitslied ward gefungen, und ich mußte diefen Abend mit 
dem trefflichen Manne Brüderfgaft trinken; weiches id als 
eine gar große Ehre anzufehen hatte. Er trug bereits ei 
nen berühmten Namen, und feine Gedichte waren mir weit 
lieber, als die von Opig, die er mir geliehen. Als id dem 
Herrn Diearius meine Verwunderung über Slemminge 
außerordentliche Liebe zu den Opipifhen Gedichten zu er⸗ 
kennen gab; ſprach diefer: Das ift nur cin Zug von Zlem- 
mings Liebenswürdigkeit; er hat als Kind Dpipens Werte 
gelefen, fie Haben ſich mit feinen blühendflen Jugeudvor- 
ſtellungen verbunden, er kann fie nicht von diefen trennen. 

Das Schiff war wieder fegelfertig; ich, der id gar 
feinen Lebensplan entnorfen Hatte, der allein in der Belt 
Nand, und nun in Flemming, Olearius und Grahmann 


Die Ansfeuer. 57 


nene Freunde gefunden hatte, wäre gern mit nad Perſien 
gereift, alle Uchrigen hätten mich auch gen mitgenommen, 
Herr von Brüggemann fepte ſich aber mit Händen und Fü- 
Ben dagegen, befonders, weil es Flemming fo fehr wünſchte. 
So mußte id) denn nad) berzliher Umarmung meiner Freunde 
das Schiff mit ihnen abfegeln fehen. 

Iept mußte ich nicht, mas ich anzufangen bitte. Das 
Fieber war ic) freilich los; durd meinen langen Aufenthalt 
bier, war mein Geldbeutel aber auch beinahe leer gewor⸗ 
den; umd obfhon die jungen Leute mid als ihren Mobl- 
thäter gern bei ſich ſaben, fühlte ih doch, daß es für ein 
grogumäthiges Herz angenehmer fei, Wohlthaten zu beweiſen, 
als zu empfangen. 

Mein gutes Schickſal wollte aber, daß id) auf andern 
fonderbaren Wegen meinem entfernten, geahneten Glüde 
entgegen gehe, denn eines Tages, als id) ganz trübfelig al- 
fein in der Stube faß, das Haupt auf meine Hand geftäßt, 
trat Erik Lundgreen herein und rief mir entzegen: Ieht, 
Herr Albert Julius, könnt Ihr von Glück fagen, und die 
Welt zu ſehen bekommen, wenn Ihr es felbft begehrt. Ein 
Schiff aus Eſthland liegt hei Calmar vor Anker. Ein vor- 
nehmer hollaͤndiſcher Edeimann, der über England nad 
Dflindien reifen will, bat feinen Kammerdiener verloren, 
und ſucht jest einen geſchikten Menſchen, der etwas gelernt 
bat, und der immer um ihn fein fann. Wenn Ihr Euch 
ein wenig Mübe gebt, Könnt Ihr gewiß diefen Poſten be⸗ 
kommen. 

Mir ſchnitt das Wort „Rammerdiener“ verfluht in’s 
Ohr. Nach reiflicher Ueberlegung fand ich es jedoch thö⸗ 
richt, in meiner jeßigen Lage eine ſolche Rettung eines blo⸗ 
Gen Namens wegen nicht zu benupen, 


58 Die Ausſteuer. 


Ich ging nad) Calmar ab und fick mid bei dem Edel» 
manne melden. Ich gefiel ihm, und aud der Herr Karl 
Franz van Leuven machte auf mid einen angenehmen 
Eindrud. Er hatte fein ftolzes Ausfehen; war ein feiner, 
ſtiller, freundlidyer, junger Mann, nur, wie es ſchien, etwas 
ſchwermüthiger Natur. Diefer melancholiſche Zug, verbun⸗ 
den mit feinem boländifhen Phlegma, gab ihm etwas An⸗ 
genehmes. Auch merkte ich bald, dag er verliebt fei, denn 
wenn er fi) allein glaubte, küßte er oft ein Mignaturbild, 
das er auf der Bruft trug. Unter den glatt gefämmten 
Haaren woͤlbte ſich eine ſchoͤne Etirn, die mid an die nie 
derländifhen Sreibeitshelden denken Lich, von welden er 
abftammte. Wir waren bald einig, id follte 68 fo gut ha⸗ 
ben, als er, und ihn nur unterhalten; er hatte bereits einen 
andern Bedienten, ‚der alle fervilen Arbeiten verrichtete. 
Indeß blied mir dod der Name „Kammerdiener.“ Unſere 
Sergel wurden gefpannt und wir fuhren ab. 


Als wir an der Infel Deland vorbeifegelten, ftand das 
junge Brautpaar Arm in Arm am Ufer, winkte mir ein 
Lebewohl mit den Tüchern zu, und trodnete fih die Augen. 
Ich grüßte fie freundlich. Das Schiff durchſchnitt die Wel⸗ 
fen. I ftand auf dem Verde, und date forgfam über 


meine fünftige Lage nah. Bald aber ſchöpfte ich wieder 


Muth; um mid zu ſtaͤrken, holte ih mein Stammbuch her- 
vor, und überlas in demfelben das treffliche Lied, welches 
mir Paul Flemming beim Abſchiede gedihtet hatte, 


Laß Dich nur Nichts nicht dauern 
Mit Trauern. 
Sei fine! 


Kopenhagen. 5 


Wie Gott es fügt, 
&o fei vergnügt 
Dein Bitte. 


Was willſt Du heute forgen 
Für morgen? 
Der Eine 
Steht Allem für, 
Der giebt auch Dir 
Das Deine! 


Sei nur in allem Handel 
Ohm’ Wandel, 
Eich fehe; 
Bad Gott berchleußt, 
Das in und Heißt 
Das Befe! 


8. 
Kopenhagen. 





Als wir nad) Kovenhagen gefommen waren, mietheten 
wir uns glei in ein gutes Wirthehaus ein. Mein Hert 
befam ein fhönes Zimmer, weil aber noch fein Plap da 
war, indem ein Fremder das mir beftimmte Zimmer erft 
räumen follte, fand id) mid, gern darein, dag man mir ein 
Felddette in's Bedientenzimmer fepte. Herr van Leuven 
befuchte diefen Abend einen Bekannten. Als ich etwas in 


60 Kopenhagen. 


den Straßen herumgeſchlendert war, kehrte ich mit dem 
Hausknechte zurück. Ich gedachte ein*einfahes Abendbrod 
zu eſſen, und dann früh zu Beite zu geben, weil mid, die 
Reife ermüdet hatte. 

Waͤhrend ich die Treype hinaufftieg. ermahnte ih mich 
felber, gegen den Bedienten recht freundlich zu fein, und 
mid vor allem Stolz und Dünkel gegen ihn wohl zu 
hüten. Ich hatte immer die Verachtung gehaßt, womit 
vornehme Herren fo oft ihre Diener behandeln. Sie ma- 
Gen ihnen das Leben leicht und angenehm, dachte ih, 
müſſen fi alle Augenblide müde laufen, und befommen 
obendrein fargen Lohn und höhniſche Worte. Warum nennt 
man den Dienerftand niedrig? Iſt es niedrig. daß der Aer— 
mere dem Glüdlichern hilft, um es ein wenig befler zu ha⸗ 
ben? Wie wunderlich find dod die Menfhen! Ieht fangen 
die Poeten an, das Hirtenleben zu befingen, und vor ein 
Paar hundert Jahren waren die Hirten unehrlich und wurs 
den zu der Klaffe der Schinder und Büttel gerechnet. Bes 
diente find ja alle Staatsdiener. Iſt es viel befler, daß 
id) für meinen Borgefepten etwas rein ſchreibe, als daß ich 
feine Stiefeln wichſe? Ich werde mich wohl vor folhen 
Vorurtheilen hüten. Mit diefen chriſtlihen Borfägen trat . 
ich in's Bedientenzimmer. Kaum war id aber da, fo fing 
die feierfihe Stimmung an, etwas nachzulaſſen. Schon 
die Atmofphäre war mir zuwider, von den vielen gewichs⸗ 
ten Stiefeln, die an der Band hingen, aud andere Sachen 
efelten mich an, Der Bediente des Herrn van Leuven ſat 
mit mehreren feines Gelidhters an einem runden Tiſche, voh 
Beinhouteillen, Bierflafhen, Gläfern, Tabatspfeifen and 
Tabadsafcıe. 

Als ich hereintrat, fanden Re alle auf und machten 


Kopenpagen. 6 


dem Heren Kammerdiener ibre Heverem. Ein Lehn⸗ 
ſtuhl ward mir fogar angemwiefen, wo ih als Primus inter 
pares präfdiren follte. Da mußte id denn von biefen 
bochſt unmiflenden Menſchen alle mögliche alberne Grob- 
beiten hören, wie fie Fürften und große Männer verſpotte⸗ 
ten und verurtheilten. Alles höhnten fie, alles ſuchten fie 
au fih hinunter in den Echlamm zu zichen. Nichts Edles, 
Großes, Verdienſtvolles gab es ihrer Meinung nah. Nur 
Eigennug und Furt bändigten fie. Da begriff id denn, 
woher die Verachtung gegen den Bedientenftand im Ganzen 
fich fhreibe. In diefem Trübfinne Rörte mid mein Rad 
bar, der indeg mein Glas gefüllt hatte und vorſchlug, dag 
wir Brüderfaft trinken follten. Ich erröthete Aber und 
Über, und war in der größten Verlegenheit. Geraden, 
Mein zu fagen, wagte ich nicht, um mid der Wuth der be ' 
truntenen Menſchen nicht auszufegen. Ein glücklicher Ein- 
fall rettete mid: id) gab ein Nafenbiuten vor, hielt das 
Sqgnupftuch vor das Geſicht, eilte die Treppe hinunter, lief 
die Straßen entlang, lenkte in einige Quergaſſen ein und 
ruhete nicht, bevor ich mid) wor dem Gefindel in Sicherheit 
mußte. 

Iqh lieg mic) auf eine Thürſchwelle wieder, ergab mid, 
in mein Schickſal und hoffte, die Nachtwächter würden mich 
wenigſtens aufs Ratbhaus bringen, wo id Lieber bleiben 
wollte, als in der vorigen Geſellſchaft. — Es dauerte auch 
mit Lange, fo ſah ich zwei Wächter einen Betrunfenen oder 
Todten auf ihrer Leiter durch die Etrage tragen. Sie 
bielten an der Hausthüre ſtill. wo ich faß, ließen die Leiter 
herunter und riefen mehrmals: Matz Hanfen! Map Han« 
fen! jetzt feid Ihr zu Haufe. Es balf aber alles nichts. 
So müſſen mir ihm in die Nafe kneifen, ſprach der eine. 





62 . Kopenhagen. 


Als das geſchehen mar, fing der Betrunfene auf der Leiter 
an, munter zu werden, richtete fih auf und ſprach heiter: 
Schon da! Nun, gute Nacht, lieben Kinder! Gotteslohn! 
Da it Trinfgeld! Habt Ihr geflingelt? Sie tbaten es und 
das Mädchen kam herunter mit Liht. Co entdedten mid 
die Vaͤchter und wollten mich glei) wegſchlepben. Als ih 
aber erzählt hatte, wer ich fei, und wie ich mid verirrt 
babe, ſprach Mat Hanfen auf Deutſch: Irren ift menſch⸗ 
fi. Bei Gott, Kinder, Ibr follt diefem armen deutſchen 


Menſchen nichts zu Leide thun! Es ift eine gute Haut und . 


ein ebrlihes Blut, das merke ih an Allem. Es giebt über» 
haupt in diefer Welt Feine Bosbeit, feine Sünde, feine 
Schurken, Beträügereien und Gfeleien, das find nur Sclin- 
gel und Epigbuben, die fo etwas gegen das arme Menfchens 
geſchlecht behaupten. Alles ift gut, vortrefflid, allerliebſt 
auf diefem ſcönen Erdenrunte, Seht nur die Sterne dro⸗ 
ben! die Milhfleden und Nebelftragen, wie fie funkeln und 
ſich berumdrehen! Was find wir Würmer und Maden ger 
gen ſolche mächtige Himmelskörper, die nie zu Bette gehen? 
Und wenn ſ.lbſt fie benebelt fein können, koͤnnen wir es 
nicht? Wenn ſelbſt der Himmel feine Fleden hat. was ſchaͤ⸗ 
‚men wir uns, benchelt und beflekt zu fein? Seht nur, wie 
bell und demüthig der Mond im Ninnfteine daliegt. Der 
Koth vermag feine ätheriſchen Strahlen nicht zu verduns 
fein. Wenn der Mond im Ninnfteine liegen fann, feiner 
Gottheit unbefhadet, wie follte id es nicht auch, der ich 
nur ein Anterſchmid bin? Und bin ich nicht derfelbe reihe 
Mag Hanfen, der ſich feinen Sonntagsraufh getrunken 
bat, dort, fo gut wie anderswo? Darauf verliehen uns 
die Wächter Mag Hanfen führte mid die Treppe binauf, 
und wies mir ein ſchoͤnes Zimmer und ein gutes Bett an, 


Kopenhagen. 63 


mo ich beute übernachten könne. Der Rauſch ſchien ihm 
etwas verdunftet zu fein; als er hörte, dag id noch nicht 
zu Nacht gegeffen, ließ er kalte Küche bringen, und id 
mußte noch ein Glas mit ihm trinken. 


Bir Dänen, ſprach er, müſſen mehr als andere Men- 
ſchen trinken, weil wir bier mitten im Meere wohnen, um 
uns gegen die feuchten Dünfte des Ozeans zu wahren. Ein 
Rauſch ift an und für ſich nicht zu tadeln, wenn man ihn 
nur gut vertragen kann und wenn er der Befundbeit, dem 
Bleiße, der Tugend, den Verrichtungen keinen Abbruch thut. 
34) bin eigentlich nie beſoffen und verliere nie mein menfch« 
liches Bewußtſein, noch mein korberliches Gleichgewicht. Lege 
id) mich einmal auf die Leiter und laſſe mid von den Wäc- 
tern nad) Haufe tragen, fo ift das eine freiwillige Hand» 
lung, weil ich dieſe Beförderung liebe; fle iſt commode und 
dtonomiſch zugleich: ic rue da bequem auf den Eproflen. 
und kann mittlerweile friſche Luft ſchöpfen und die Milch⸗ 
frage betrachten. Sonft trinke ich gewöhnlich alle Tage 
nur vier Flaſchen Wein. Der Sonntag allein ift eine Aus» 
nahme, da trinke id zmölfe und gerathe dadurch in drei 
verfihiedene Zuſtãnde. Erſt werde id fehr mißtrauifh und 
zäntifh, und da rathe ich Keinem, mir zu nahe zu treten, 
weil ih in dieſem Zuftande mit Scheltworten und Nafen- 
ſtübern ſehr Freigebig bin. Nachher ergreift mich eine in⸗ 
mige Behmuth und Demuth; ich werde über Alles gerührt, 
die Thränen laufen mir von den Baden herunter, und id 
bekomme eine übergroge Luft, alle Menfhen zu küſſen und 
zu umbalfen und um Berzeifung zu bitten, bis ich das Du⸗ 
gend geleert habe, wodurch ich denn in die Erhabenheit ge» 
tathe; dann ſchaue ih zum Himmel hinauf, und Tann mit 


“ Kerensagın 


rem Iihes ud Berzılıra der Firteme mt Manche 
nal fm: warten — 

Des Ziorsen darauf ran er beurt ur rein za wir 
in's Zammer, mut ich pur matı ans wer cm Ami ter 
auitır Em Grisı mar act friert, ut Die 
Kae Basıc omas maarniyahtes, der Dan Saoe Nik 
tem aber ii mut fröfzig munter den ungchruree Aaccabras · 
am verrer. die aufiahın, als eb ür mu Eneimahie gie 
Amar miraı Er war vicrireria um) rem einer craas · 
In Yarekirte Die Dan? tridır er mur ie. dab des 
Diss wir (a% zu dem Naariwarde Ieransiprang wehei er 


im tie Rüde gegangen war. {aate cr: ir haben 


woh) einige gute Zimmer zu verniciben ERÜ vcun IXIT Dam 
Lruven vihciht hier wohnen weile, ſe Rchen fc km zu 
Dienken. Im Birtfeganie if es zu firaer mehun. da 
mus man wur irinfen. ein erfes Stecwert wirt von 
einem veruchmen Diüsier bemehnt. der wid nad Hofe 
tommt. Gr ii eim gufer Freund von uns. kcionders von 
meiner Frau. Die Leute mennen ige den ars. meine 
uud mich il 


I 


Kopenhagen. 6 


Henker, mas die Tudmäufer mit diefen Redensarten fagen 
molen. So viel weiß ih, daß Bachus der Gott der Res 
ben ift, und das ift mir genug. Uebrigens hat mir der 
Offizier die Lieferungen für die Flotte verſchafft, wodurch 
er mich zum wohlhabenden Manne gemacht hat. 

Jetzt eilte ih nach dem Wirthsbaufe, um Herrn van 
Leuven über alles Beriht zu erftatten. Er begegnete mir. 
in größter Unruhe auf der Treppe; die ganze Nacht hatte 
er meinefwegen fein Auge zugethan, weil id, nad) der Ber 
diensen Ausfage, einen Blutfturz bekommen babe, und wie 
ein toller Menſch meggelaufen fei. Sie batten mid) überall 
Hefucht, aber nirgends finden können. Ic erzählte ihm ale 
les rein aus, wie ſich die Sache verhielt. Lieber Julius, 
forad) er leutfelig, warum habt Ihr mir das nic gleich 
gefagt? In der kurzen Zeit, dag wir uns kennen, babe ih 
ſchon an Eudy entdrdt, daß Ihr ein gebifdeter, braver Jüng- 
ling feid. Bon jegt an feid Ihr mein Sekretär! Int es fo 
gut? Der nafeweile Bediente bat ſchon feinen Abſchied, ih 
mochte ihn fo nicht leiden. Wollt Ihr aber. bei mir blei⸗ 
ben, fo will id Euer Glück machen. Ihr sefalt mir. ih 
braude einen Freund, und mein Herz fagt wir, dag ic) ihm 
in Eud finden werde. 

Diefe feltene Güte rübrte mich fehr, ih küßte Herru 
van Leuven die Hand. leid) darauf liegen wir alle un- 
fere Sachen nad) dem Haufe des Ehmids bringen, wo mir 
uns fehr gut befanden. 

Herr van Leuven hatte mandes abzumachen und viele 
Briefe zu ſchreiben, wovon ih gar nichts wußte, obſchon 
ich fein Sekretär war. Während der Zeit ging der treffe 
liche Schmid mitunter mit mir in der Stadt berum. Er 


brachte mid) am naͤchſten Eonnabende in den — Re 
Ochlenſ. Echriften. XVIL. 


4 Der Schiffbruqh. 


reit6 Zutrauen in mir. Er hat jeht fein Fieber, ſprach 
eine fonore Stimme, muß aber ſtark angegriffen geweſen 
fein, denn der Puls ſchlägt nod matt. — Wie werden wir 
do den armen Mann kuriren? hörte ih Sara mitleidig 
fragen. Er hat ſchon lange Arzenei gebraucht, es will aber 
alles nichts verfhlagen. Laßt mich Eure Chinapulver fer 
ben, die Euch der Arzt aus Galmar gegeben hat! ſprach 
der Fremde. — Sara brachte ihm einige, er dffnete das 
Papier, beroch das Pulver, zerried Etwas zwiſchen den 
Fingern, foftete es und ſprach dann: Das glanb’ id, mit 
Birkenrinde, geftoßenen Ziegelfteinen, oder Gott weiß was, 
heilt man -ein faltes Fieber. Ich werde Euch ächte China- 
pulver verfhaffen. Der Krante ſcheint ein junger Mann 
von guter Konftitution; er wird bald genefen. — Nachdem 
er dies gefagt hatte, ging er. Ih Fehrte mid) um und fab 
einen huͤbſchen jungen Mann, etwa von dreißig Jahren, mit 
Iedigem lichtbraunen Haare, die Stube verlaflen. 


Ich betrachtete Sara mit ftarren Augen und ſprach: 
Mein Gott! wer ift der gute Mann, der mir wieder Hoff 
nung und Muth in’s Herz geſprochen hat? — Er ift felbit 
vor einigen Stunden der Lebensgefahr entronnen, erwiederte 
fie. Ihr habt geſchlafen und wißt niht, was vorgegangen 
iſt. Ein Schiff mit vielen vornehmen Herren ift heute Nacht 
an der Küfte geſcheitert. Ueber die hundert Menſchen find 
rund herum in den Dörfern einquartirt. Glücklicherweiſe 
1 der Arat hier, und er wird Euch gewiß bald wieder her ⸗ 

ellen. 


Ib fah einen alten Seemann, der ſich in der Stube 


bei einem Glaſe Branntwein und etwas Falter Kühe an 
den Tiſch fepte. Ex war gleich bereit, meine Neugier zu 


Der Shiffbrug. 4 


befriedigen, rüdte mit feinem Zeller meinem Bette näher, 
und erzählte: 

Bir fhiften Heute vor acht Tagen von Lühel, nachdem 
alles Gepäd und Geräthe, nebft zwölf Neitpferden zu Ira 
vemünde in’s Schiff gebracht waren. Die Herren Geſand⸗ 
ten kamen auch bald. Tags darauf waren wir an der dä- 
niſchen Küfte, weil es aber gelinder Luftete, gaben wir dem 
Binde alle Segel; jedoh um zehn Uhr, als wir an feine 
Gefahr dachten, liefen wir auf eine blinde Klippe und blie- 
ben ſihen. Es war Neumond, finftere Nacht, wir mußten 
nicht. wo wir waren. und fonnten nicht die Schiffslange zu 
Eude fehen. Viele von uns fielen auf die Anie, fhrien, 
und riefen inbrünftig zu Gott um Hülfe. Dir Schiffer 
ſelbſt weinte wie ein Kind, und mußte feinen Rath mehr. 
Bas uns das Herz am meiften ergriff, war des Gefandten " 
Krufius Söhnlein, ein fhöner Knabe von neun Jahren, der 
die ganze Nacht auf den Knien lag und mit aufgehobenen 
Händen zum Himmel unaufhörli rief: Ad, Du Sohn 
Davids, erbarm Dich mein! Und dann ſprach der Feld» 
prediger: Herr, willſt Du uns nicht erbören, fo erhöre doch 
dies unfhuldige Kind. Und das hat der liche Herr Gott 
auch ehrlich gethan. Denn wir find gerettet. 

Und was feid Ihr denn eigentlich für Leute, mein 
Freund? frug id neugierig. Ja feht, damit hätte ich frei» 
Hidy anfangen follen, ſprach der Bootsmann. Wir ind holſtei- 
niſche Seeleute und führen die prächtige Geſandtſchaft Sei- 
ner Durchlaucht, des Herzogs Friedrich von Holftein-Gottorn 
von Lübel nach Neval. Bon Reval werden die Herrihaften 
den Übrigen Weg nach Perfien zu Fuß oder zu Dferde machen. 

Ich fragte nad) den Gefandten. Eie heißen Tag und 
Nacht, fprad der Bootemann lachend. Tag und Nacht! 


42 Der Schiffbruch 


rief ich, das iſt ja eine ſchwediſche Familie. Freilich ver⸗ 
feßte der Bootsmann, iſt Tag und Nacht die ältefte adelige 
Familie, denn fie entftanden am erften Schöpfungstage. Es 
it aber nicht fo zu verftehen; ich meine, die zwei Gefandten 
fehen fid) fo äͤhnlich wie Tag und Nacht; denn Krufius ift 
feutfelig und vernünftig; Brüggemann düfter und ärgerlich. 
Dot) da kommt ein Herr, der End das Alles beffer fagen 
kann. 

Der Hauswirth trat in die Stube mit einem ftattlihen 
Manne von mittleren Jahren. Der Fremde war ſchwarz 
gekleidet, umd trug eine große weiße, runde Perüde, oben 
mit einem ſchwarzen Käpplein. Er hatte ein fräftig-männs 
liches Geſicht. nicht eben hübſch. aber fehr bieder. Ein klei⸗ 
ner Bart bededte ihm die Oberlippe. — Das ift der Ger 

ſandtſchaftsrath und Serretarius, Herr Adam Dlearius, 
ſprach der Bootsmann, ein gelehrter Herr, der die Reife ber 
fhreiden und in Drud herausgeben wird, menn die Gee 
ſandtſchaft glücklich nach Haufe gekommen if. Und der 
junge Mann, frug id, der bei mir war, iſt alfo der Schiffs- 
arzt? — Zum Henker audy, erwiederte der Bootsmann las 
hend, das iſt der Poet, der Truchſeß und Hofjunker, der 
luſtige Paul Flemming. — Ric, rief ich erfhroden, ift es 
ein Poet, der mir das falte Fieber vertrieben will? 

Hier trat der Port und der Arzt in die Stube. Als 
Dlearius hörte, daß ein Kranker im Alkoven ſchlafe, ſchlich 
ex ſich leife aus der Thür; der Wirth folgte ihm, und fie 
liegen mid) mit dem Poeten und dem Arzte allein 

Der Arzt ſtimmte dem Dichter bei dag id bei einer 
ordentlichen Behandlung bald genefen werde. Er legte mehr 
tere Meine Papiere mit ähter China auf den Tifh, und 
ich betrachtete fie mit eben dem Gefühle, welches ein Lich» 


Der Shiffsrut. 43 


baber bei eben fo vielen Liebesbriefchen feiner Inniggelieb⸗ 
ten, worin fie ihm zu boffen erlaubt, empfindet. — Der 
Dichter zog eine ziemlich große Flaſche mit Chinamirtur 
aus feiner Rocktaſche und fagte: Die Pulver allein. Grab⸗ 
mann, können fo große Dinge nicht wirken: bier ift China 
anf guten alten Rheinwein gefeßt, das wird ihn ftärken 
und erbeitern zugleih. Dann wird er bald auf die Beine 
tommen. Ich denke, wir veranftalten hier noch einen Bal 
für die luſtige Sandjugend, ehe wir weiter reifen. 


„2aßt und tanzen, laßt und fpringen, 
Saßt uns laufen, für nnd für; 
Denn durch Tanien lernen wir 
Eine Kunfı von ſchönen Dingen.“ 


34 Habe mir, fuhr er fort, ſchon ein huͤbſches Mäd- 
en erwaͤhlt, mit dem ich tanzen will. Das einzige Häße 
liche an ihr ift der Name Cara; die Heine Here follte bil» 
lig Hagar beißen. 

Der Arzt Grahmann. der älter und ernfter war, ſprach, 
freundlich feine Hand drüdend: Ja, lieber Flemming. fo 
überlaffe ich denn diefen Patienten Dir; denn ich habe, wie 
Du wohl weißt, mit den gefaͤhrlicheren Kranten vollauf zu 
tbun. Ich empfehle mid, mein Herr, ſprach er zu mir; 
haltet Euch nur mit Zuverſicht an diefen guten Mann; er 
14 nicht blos, wie ich, ein Leibes⸗ fondern and) ein Ste- 

rat. 

Als wir allein waren, herrſchte eine Eleine Stile. Der 
Dichter betrachtete mid aufmerkfam, fah, was in meiner- 
Serie vorgiug warf fih in den Lehnſtubl und lachte. Iept, 
rief er, glaubt Ihr gewiß aus der Scylia in die Charvb⸗ 
dis gefallen zu fein. Gin Poet foll Euch kuriren! Bei die⸗ 


4 Der Schiffbruch. 


fem Gedanken Flanpern Euch die Knochen im Leibe, und 
der Schrec ſchüttelt Gud, wie vordem das Fieber! 

Um Euch aber den Neft aller Bedenklichkeiten zu neh⸗ 
men, ſprach er, indem er Chinamirtur in einen Löffel goß, 
fo wißt, dag ich auch ein paar Jahre lang zu Leipzig Mer 
dizin ſtudirt Habe, und wie es der Doktor Grahmann bes 
zeugen kann, nicht ohne Erfolg. (Ih verſchluckte zuverſicht ⸗ 
lich die Mistur, und mir war's, als ob ich bereits heilfame 
Wirkungen verfpüre.) Auch kann ich eben nit fagen — 
fuhr Flemming fort, — dag mir diefe Wiſſenſchaft eigent» 
lid) zuwider wäre. Ein Arzt muß auch Künftler fein. Doch 
als ich dieſe Wiſſenſchaft eine Zeitlang getrieben hatte, wollte 
fie mir nicht länger behagen. Ich hatte zu viel Gefüht, 
mar zu reisbar, um ein guter Arzt zu werden. 

Barum habt Ihr doch diefe nüglihe Wiſſenſchaft auf 
gegeben, lieber Herr, fragte ich. — Eben, weil fie nützlich 
it, fagte er. Ein Dichter fol gar nicht nutzen, das will fas 
gen: mittelbar. Er foll unmittelbar auf den Geift wiren, 
und den Sinn für das Schöne bilden. 

Es freut mich, lieber Herr, ſprach ich, dag Ihr nicht 
das allgemeine Schikfal theilt, fondern glücklich feid, und 
als ein Zugvogek zum ſchönen Dſchinniſtan binflattern könnt, 
während wir hier in Europa von Binterflürmen leiden. 

Freilich, fprad) Flemming bedenklich, deshalb reife ich 
aud. Denn wie ſieht es jept in Deutſchland aus, ſeitdem 
Guſtav Adolf gefallen in? 

Ibr feid bei der Geſandtſchaft angeftelit? fagte ih. — 
Ja wol, antwortete Flemming: als Hofjunter und Truch⸗ 
feß; id est: Vorſchneider beim Gefandtentifhe. IR das 
nicht eine große Ehre für einen Doctor Philosophiae new 
non Magister artiam? Ih verfihere Euch, Herr von 


Der Sciffbruch. 4 


Bruggeman glaubt, der Herzog babe damit einen großen 
Fehler begangen. Hier ward die Thür zur Wohnftube weit 
aufgeriffen, wir hörten Iemand auf dem Flur ſchelten und 
lärmen, und ein langer, grämlider Mann mit dünnem, 
rothlichen Barte und einer goldenen Kette um den Hals, 
vom Gefandten Krufius und dem Herrn Olearius begleitet, 
trat herein. B 

Nein, das ift zum Tollmerden, rief er mit greller Te⸗ 
norfimme; haben nicht die Buben die Chatoulle mit den 
füͤrſtlichen Kredenzſchreiben beim Reiten in’s Bafler fallen 
laſſen, fo daß fie ganz naß und unleferlih geworden find, 
und wir aus Neval wieder nach Gottorp ſchreiben müſſen, 
um neue Kredenzfchreiben zu erhalten, 

Nun, lieber Freund, ſprach Kruflus gelaſſen, in ſol⸗ 
dem Wirrwar laͤßt fid nicht über Alles gebieten, wir has 
ben noch Gott zu danken, daß wir fo ziemlich troden, mit 
Geiler Haut davon gekommen find. — Ihr, Herr von Kru- 
ſius feid immer trocken, ſprach von Brüggemann. Und wie 
fie jept herumlaufen. Bas ift denn an diefer armfeligen 
Juſel zu fehen? Steht nicht mit Maren und deutlihen Wor⸗ 
ten in der fürftlihen Sofordnung geſchrieben, daß, „ſobald 
zur Tafel geblafen wird, Alle und Jeder alfobald ſich ein« 
ſtellen follen, dait man auf Niemanden warten dürfe?” 
Und doch baden wir heute eine halbe Stunde blafen und 
warten müffen, ehe die Pagen das Eflen auftrugen, und 
die Herren Truchſeſſe erfhienen. Beſonders ift diefer Voet, 
der Paul Flemming, febr verſäumlich, und feinem Amte 
gar nicht gewachſen. Wo ift er denn jept? — Er fipt 
drinnen im Alkoven bei einem Kranten, ſprach Dlearius. — 
Bas! rief Herr von Brüggemann, ift bier ein Kranker, fo 
geb’ ich ſogleich wieder. Was das doch auh für Wohnun⸗ 


4 Der Schiffbruch 


gen uud Eiriquunoen find. Crauteaſtũcqen und Geh 
Moaftsziumer, Das läuft Ars in Eins. 

Ihr könnt über Eure Wohnung nicht Magen, Herr von 
Brüggemann, ſprach der Marſchal Herrmann von Staden 
ich Habe Euch eine fehr gute verfhaft. — Aber Dort kann 
man doch wit Dem ganjen Tag ſihen und fd eununiren, 
rief der Audere. Die Herren wollen mir niht die Ehre 
gönnen, fo muß ih wohl zu Ihnen kommen. Was fehlt 
dem Kranten? Ich will doch nicht hoffen, daß es eine an- 
Nedende Krankheit fei? — Flemming kam heraus und ver» 
ſcherte e6 fei ein Zremder, der nur das falte Fieber habe. 

MRecht gut! verſchte Brüggemann; aber deswegen fi 
set Inr ihm doch nicht Medikamente reihen. Ihr feid jept 
Hofjunfer und Zrucfeß, und habt mit den Avotheterſachen 
nichts mehr zu thun. Wenn ich Rebhühmer verzebre, mil 
46 nicht, dag mein Truchſeß nad Teufelsdret, China und 
Ababarder finfe. — Id beſprenge mid) immer mit wohl» 
riechendem Waſſer ehe ich mid Euch nahe, Herr von Brüg- 
gemann, ſptach Ziemming und konnte einen verähtlihen 
Bil nit zurädhalten. — Schon gut, lieber Flemming fiel 
ihm Arufus in's Wort, indem er befänftigend feine Hand 
auf die Schulter des Dichters legte: Wir Andern find fehr 
mit Euch zufrieden, und ſollte dem Leibarzte etwas zufo- 
sen, fo iſt es ja ein großes @lüd, Dap wir noch einen Mann 
mit uns haben, — der Verſe darüber machen kann, rief 
Brüggemann höhniſch. — die Euer Wohlgeboren gewiß ger 
fallen, wenn fie gut find, ſprach Flemming, denn nur Dumm⸗ 
töpfe haben einen natürlichen Widerwillen gegen den Wiß. 
— Erinnert Eud des erften Artikels der Hofordnung rief 
Brüggemann: „Anfaͤnglich und für's Erſte ſollen alle und 
jede Obtemeldeten unfern Befandten in unferm Nefbeft 





Der Shiffsrug. 4 


alle ſchuldige Ehre, Folge und Aufwartung eriveifen, und 
ohne Gontradiction oder Weigerung ihren Befehlen Hari» 
ven.“ — Es fteht aud in der Hofordnung, rief Flemming, 
„dag ſich ale und jede bei der Ambaſſade der Einigfeit 
befleigigen, dag Einer dem Andern alle gute Freundfdaft, 
Liebe und Aſſiſtenz erweifen; bingegen aber des Zankens, 
Haderns, unndtbigen groben Agirens. Beſchimpfens und 
Schlagens enthalten folle." — Mit diefen Worten verlieg 
er das Zimmer. 

Barte nur, Bude, rief der aufgebrachte Gefandte ihm 
nad), id werde Did wohl paden. Ich werde eine Klage 
über Dich auffeßen und fie nach Holftein fenden; Du mirft 
die goldenen Sinnen von Moskau nicht zum zweiten Male 
feben. 

Ihr feid übler Laune, Herr von Brüggemann, ſprach 
Krufius, weil wir Schiffbrud gelitten haben. Dem guten 
Paul Flemming werdet Ihr aber gemig nichts zu Leide 
thun. Bir lieben ihn alle, und eher wollten wir zurüd nach 
Gottorp reifen, als diefen wadern Freund und treuen Ge⸗ 
fährten aus unſerm Kreife verlieren. — Ja, das ift gewiß! 
ſprach Dlearius. — Gewiß wiederholte der Marſchall von- 
Staden — Gewiß, rief der glühende, raſche Stallmeiſter 
von Mandelslohe. — Germiß, ſprachen Alle! 

Ich fehe, ic) babe bier Ale gegen mid, rief Brügge 
mann; ich werde die Herren heute nicht länger mit meiner 
Gegenwart infommodiren. Er ging, und fhlug die Thüre 
heftig binter ſich au. 

Krufins ſchwieg. Gebe der Himmel, daß es fo wärel 
rief Mandelelohe. Lieber Gott. mit ihm follen wir nun 
den weiten Weg nah Jsbahan machen! Bas find Zelfen- 
Müfte und Hüften gegen einen ſolchen ärgerliden, zaͤntiſchen 


48 Die Ausſteuer. 
Menſchen, ohne Kopf und Herz. — Stille! gebot Krufus 


mit Milde. Mir that es aber in der Seele wohl, daß 
mein dichteriſcher Arzt von Allen fo gelicht war. 


7. 
Die Ausftener. 





Zwei Mat hatt’ ih das Fieber erwartet, es blieb aus. 
Bas das für ein angenehmes Gefühl war, weiß Jeder, 
der aud) einmal in diefem Zuſtande geweſen ift. Meine frür 
beren Kräfte ſchienen wieder zu erwachen. Während der 
Zeit war das Schiff flott geworden. Die Geſandtſchaft 
follte abreifen. Herr von Krufius aber hatte zuvor einen 
Ball für die Jugend der Nachdarſchaft veranftaltet. 

Bei dieſer Grlegenpeit wollte fid Flemming auf edle 
Weiſe an dem geizigen Brüggemann raͤchen. Der Boote 
mann hatte mir bereits erzählt, daß Jener auf dem Schiff 
in Todesgefabr das Gelübde gethan, ein armes Mädchen 
auszuftatten, Es follte ein armes Mädchen auf der Jaſel 
Deland fein, und Glas Lundgreen, unfer Hausmwirth. war 
fen von Allem unterrichtet; er fandte feinen Sohn -nady 
Gothland, ein Pferd zu kaufen, und erlaubte Sara, ihre 
Mutter auf einige Tage in Nunfteen zu beſuchen. Diefe 
Erlaubnig war dem Maͤdchen fehr milltommen. Als der 
Bräutigam weg, und ich geheilt war, verließ fie gern das 
Haus, um dem verlichten Paul Flemming zu entgehen, 
der ihr überal nachſchlich, um einen Ruß zu bekommen. 


Die Ausfteuer. L.) 


Er wußhte nicht, daß fie heimlich verſprochen war, und fie 
nicht, daß fie eigentlich diefem edlen jungen Mann ibe 
künftiges Gtüd verdanken würde. 

Ab, Julius, ſprach er einmal zu mir, ale wir zufame 
men allein fagen, und ic über feine Verliebtheit ein wenig 
geſpottet hatte, e8 geht mir, wie einem geweſenen Reichen, 
ber fein ganzes Vermögen verloren, und jegt nur noch mite 
unter an einem fremden Tiſche einen Bien fhmaufen kann. 
Einmal habe ic ein himmliſches Mädchen geliebt, fie ſchenkte 
mir wieder ihre Neigung, und damals Lonnte id) fingen: 


„Sir iſt wohl beim höchften Echmerie, 
Denn ich weiß ein treued Heriel 
Damals konnte ic fingen: 


„D Sonne der Bonne, 
© Bonne der Sonne!" 





Aber meine füge Rubella ift geſtorben; in der hoͤchſten 
Iugendbläthe raffte die Peſt fie hin, und alle armfeligen 
Arzencien konnten fie nicht retten Zuletzt haben freilich die 
Jahre meine Wunde geheilt, allein ich trage noch die Nar- 
de, als liebſtes Merkmal fhöner Stunden, in meiner Bruſt. 
Jett will id mid) der Phantafie ergeben, und an fernen 
Orten fhöne, feltne, wunderbare Blumen vflüden. Schöner 

‚ werden die Georgianerinnen und Circafficrinnen fein, al⸗ 
kein mein ſchüchternes, errötbentes Liebchen an der Pleiße. 
mit dem kindlichen Delpomenen» Gefihte, die fo früh ver- 
ſchwand, werden fie mic) nie vergeffen machen. 

Jetzt ward -natürliherweife aud der Schatten meiner 
lieben Zahuletträmerin aus dem Grabe bervorgemahnt, 


und -fo wechfelten wir unfere Gefühle gegen einander aus. 
Beblenf. Schriften. XVII, 4 


60 Die Ausſteuer. 


Drauf eilte er fort, um in's Berk zu ſegen, was ich 
leider zu fpät erfuhr, weil er auch mich damit überrafchen 
wollte. 

Der Ball war auf den übermorgenden Abend feſt- 
gefeßt, und damit der geizige Brüggemann nit umfatteln 
folle, und fein Wort brechen, das er freilih in Gegenwart 
der ganzen Schiffsmannſchaft gegeben hatte, veranftaltete 
Flemming erft, nachdem alles heimlich mit Krufus und 
Diearius verabredet war, eine Debutation armer Bäter 
des Dorfes, um ihm, für feinen chriſtlichen Vorſatz, ein 
Mädchen aus ihrer Mitte auszuftatten, gehorfamft zu danken. 

Brüggemann, der nicht wußte, was man von ihm 
wolle, der ſich aber gern gehuldigt fahe, lich ſogleich feinen 
Trompeter, mit wiederholten Stößen das ganze Perfonale 
der Geſandtſchaft zufamme.rufen, und gab alsdann, ums 
ringt von Hofjunkern und Pagen, den Bauern eine förm⸗ 
liche Audienz. 

Als er aber hörte, aus welchem Loche der Wind Hfif, 
erblaßte er, und warf einen grimmigen Blick auf Flem- 
ming, denn er witterte gleich, wer ihm diefen Etreid ger 
foielt Habe. Flemming aber fand gleid) einem frommen 
Kinde mit gefalteten Händen und niedergefchlagenen Augen. 
Jetzt, da die Sache fo w.it gefommen mar, fah Herr von 
Brüggemann ſich genötbigt bei feinem Worte zu bleiben, 
und hielt daher eine zierlihe Rede. Denn er befaß eine 
gewiſſe Geſchicklichteit, Nichts mit vielen glatten Borten, 
in fünftlihen Worten zu wiederholen, 

Er geftand, dag er in Äußerfter Noth ein ſolches Ges 
1übde gethan habe; freilich fehr unvernünftigerweife, denn 
jeder gefittete gute Chrift fei doc jept davon unterrichtet, 
dag man tie göttliche Vorfebung nit mit armfeligen Geld⸗ 


Die Ausſteuer. 5 


gelähden abfpeifen und auf andere Gedanken lenken könne. 
Beil das Gelübde nun aber einmal abgelegt fei, wolle er 
auch fein Wort brechen; beklage jedoch, dag die Umſtaͤnde 
ihm nicht erlaubten, viel für das arme, eheläfterne Kind 
zu thun. Dreißig Thaler wolle er indeg hergeben, meil es 
nun nit anders fein tonne. Sollten feine Herren Kolle- 
gen umd die übrigen Offizianten finden, daß diefe Enmme 
au Mein fei, fo fände es Jedem frei, diefelbe nach Herzense 
luft zu vermehren. Denn in fofern nit nur er, fondern 
mit ihm zugleih die ganze Mannfdaft aus der Lebens» 
gefahr errettet fei ſehe er nicht ein, warum er für Ale be- 
zahlen folle. 

Kruſius, der feinen Kollegen nicht länger auf der Fol⸗ 
ter laſſen wollte, antwortete ſchnell: er fei bereit, auch dreis 
Big Thaler zu geben. Alle übrigen zur Geſandtſchaft ge- 
börigen Perfonen verpflichteten ſich, verhältnigmäßig zu der 
Ausfteuer beizutragen. So ward ſchnell eine Summe von 
bundert Thaler klingender Münze zufammengebradt, ein 
wahrer Schaf für ein veländifces Landmäddhen damaliger 
Zeit. 

Ich wußte von allem dieſen nichts. Vermuthlich wünſchte 
Flemming es auch zu verhindern, daß ich auf den Bau 
ginge, und mic der Nachtluft ausfepte. 

Ich war am Mittage vor dem Balle ein wenig im 
Sonnenſchein fpaziert; und zwar zum erften Diale nad) der 
Herftelung; ich fühlte mich etwas erſchoͤpft, legte mic aufs 
Bett im Altoven und ſchlief ein. Als id wieder erwachte. 
mar es Nachmittag; id ſah Clas Lundgreen mit jeiner 
Frau in die Stube treten, und da fie fid allein glaubten, 
ſprach er: Nun, Frau, hab’ id meine Karten nicht pfiffig 
gemiſcht? Erik ift nad) Gothland gereift, ein u u kau⸗ 


2 Die Ausfteuer. 


fen, Sara beſucht ihre alte Mutter in Runſteen, zwei Mei 
len von bier. Heute Abend werden die Bräufe des Dor⸗ 
fes, die ſich zu einer Ausfteuer Hoffnung machen fönnen, 
dem Gefandten vorgeftellt. Gut, daß Cara nit da if, 
Betaͤme fie feine Ausfteuer, fo wäre das für uns ein Schimpf, 
weil unfer Sohn fie liebt; befäme fie aber aud die lum⸗ 
pigen hundert Thaler, fo müßte ich mein Verſprechen hal« 
ten, und meine Plane würden ganz Über den Haufen ger 
worfen. Nein, Erik foll die reiche Witwe heirathen, und 
Sara muß fort. Wenn fie ein Paar Wochen geweint har 
ben, werden fie fid wohl wieder tröften. Ei freilich, ſprach 
die Frau, das ift eben die rechte Art: Wir Beide haben 
ja einander auch nie geliebt, und find doch nachher glücklich 
geworden. Umd es ift uns nicht wie gefühlvollen Eheleuten 
ergangen; denn wir haben nie aufgehört, uns zu lieben, 
weil wir nie den Anfang damit gemacht haben. Ber könnte 
aud), dei taufend Tonnen Teufel”), das Wefen in der Ewig- 
keit fortfeßen? Das fagt man nur etwa fo hin. 

Allein holen mid, zehntaufend Tonnen Teufel, liede 
Frau, ſprach der Schwede Teife, liegt nit dort wieder der 
Sachſe aufm Bett, und hat vlelleicht jedes Wort gehört. 
— Er fhläft, der arme Kerl; antwortete die Frau. Er 
hat heute ein wenig in der Sonne fpaziert, und ift fo matt, 
wie eine liege. Komm, wir wollen ihn nicht flören. — 
Sie gingen, allein jegt hatte ich genug. 

Sobald ich allein war, und es dunfelte, warf ich mid, 
in einen diden Ueberrod, der dem Wirthe gehörte, nahm 

- cin gutes Reitpferd aus feinem Ctall, fattelte es in aller 


*) Ein ſchwediſcher Eidſchwur. 


de 


Die Ausftener. 53 


Eile, und ohne mit Iemandem zu reden, nod um Erlaub⸗ 
niß zu fragen, ritt ih nad Runſteen, um die gute Sara 
zu bofen, damit fie früh genug zur Ausfteuer erſcheine. Als 
ich das Thal durchritt, flieg ein weißer Nebel aus dem 
Grunde. Du wirft das Fieber wieder bekommen, dachte 
ich vielleicht opferft du durch diefe Anftrengung dein Leben. 
Doch gleihwiell Die gute Sara hat mir fo lange treulich 
beigeftanden! Jetzt will id) ihr auch ihren lichen Erik zum 
Manne verfhaffen. Eonft bekäme fie ihn nie. 

Nach zwei Stunden bielt id mit dem Pferde vor dem 
Haufe, wo Saras Mutter wohnte. IA band das Pferd 
am die Thür, und trat hinein. Es war eine ziemlid ge⸗ 
räumige Stube und Küche zugleih. Ein Iuftiges Feuer 
brannte auf dem Heerd. Die Alte hofte beim Feuer in 
einem Lehnſtuhle, zu ihren Zügen faß die Tochter auf einem 
Schemel. fridte und hörte die Mutter ein Mähren er» 
zählen. Es war die Boltsfage vom tedten Nitter, der das 
Mädien auf feinem Pferde nach dem Kirchhofe brachte, 
und worin die Reime vorfamen: 


„Der Rond ſcheint heil, 
Die Todten reiten fhnel.” 


Iept, Sara, rief id im Hintergrunde der Halle, gilt 
kein Zaudern. Schwinge Did vorn aufs Pferd, halte Dich 
an den Eatteltnopf, fo reiten wir über Berg und Thal, 
und fommen noch vor Mitternacht frůt genug zur Hodyeit, 
wenn wir ſchnell reiten. 

Die Mutter, die mein todtblaſſes Geſicht (der Ritt 
batte mic, angegriffen) beim Küchenfeuer entdedte, ſank er⸗ 
ſchtocen zurüd in den Lehnftuhl, kreuzte fi mehrmals, und 
glaubte, der todte Baladenriter fei da, um ihre Tochter 


56 Die Ausſteuer. 


Bette, gaben mir einen guten Schluck Chinamirtur und 
dedten mid) warm zu. Ich ſchlief bald ein, und verfpärte 
am folgenden Tage feine ſchlimmen Folgen; weldhes ich 
wohl theils der Begeifterung, theils der Eile, und befonders 
Bater Claſens vortrefflichem Ueberrode von didem, wolle 
men Zcuge, zuzuſchreiben hatte. Der Alte war genötbigt, 
Ach zufrieden anzuſtellen. Das Pferd, das id geritten 
batte, ward indeß frank, und er wollte mir das Pferd zu 
Rechnung führen. Als aber Erit mit einem guten Pferde 
von Gotbland zurädfam, wagte der Alte es nicht mehr, 
von der Sache zu reden, um den Sohn, des gefpielten Strei- 
&es willen, nicht noch aufgebrachter zu machen. 

Zwei Tage darauf war die Verlobung der jungen 
Leute. Flemming ſchrieb ein Hochzeitslied, in welchem er, 
wie es bei folden Gelegenheiten gemöhnlid iſt, mit den 
Namen fpielte, und von der jungen Sara in Vergleich 
mit der alten bibliſchen viel Wipiges fagte. Das Hoch» 
zeitslied ward gefungen, und ich mußte diefen Abend mit 
dem trefflichen Manne Brüderſchaft trinken; welches ih als 
eine gar große Ehre anzufehen hatte. Er trug bereits ei⸗ 
nen berühmten Namen, und feine Gedichte waren mir weit 
lieber, als die von Opip, die er mir geliehen. Als ich dem 
‚Herrn Dfearius meine VBerwunderung über Flemmings 
außerordentliche Liebe zu den Opißiſchen Gedichten zu er⸗ 
kennen gab; ſprach diefer: Das ift nur cin Bug von Flem- 
mings Liebenswürdigfeit; er hat als Kind Opitzens Werke 
gelefen, fie haben fid) mit feinen blübendften Jugeudvor⸗ 
Relungen verbunden, er kann fie nicht von dieſen trennen. 

Das Schiff war wieder fegelfertig; ih, der ih gar 
keinen Lebensplan entworfen Hatte, der allein in der Welt 
Rand, und nun in Flemming, Dlearius und Grahmann 


Die Ausfeuer. 57 


neue Freunde gefunden hatte, wäre gern mit nad Perſien 
gereift, alle Uebtigen hätten mid) aud) gen mitgenommen, 
Herr von Brüggemann fepte fid) aber mit Händen und Für 
Ben dagegen, befonders, weil es Flemming fo fehr wünſchte. 
So mußte id) denn nad) Herzliher Umarmung meiner Freunde 
das Schiff mit ihnen abfegeln fehen. 

Jeht mußte id nicht, mas id) anzufangen bitte. Das 
Sieber war id) freilich 108; durch meinen langen Aufenthalt 
bier, war mein Geldbeutel aber aud beinahe leer gewor⸗ 
den; umd obſchon die jungen Leute mich als ihren Wohl⸗ 
thäter gern bei ſich ſahen, fühlte ih doch, daß es für ein 
großwmätgiges Herz angenehmer fei, Wohlthaten zu beweiſen, 
ale zu empfangen. 

Dein gutes Shiefal wollte aber, daß ich auf andern 
fonderbaren Wegen meinem entfernten, geahneten Gläde 
entgegen gebe, denn eines Tages, als id) ganz trübfelig al- 
fein in der Stube faß, das Haupt auf meine Hand geftüßt, 
trat Erit Lundgreen herein und rief mir entgegen: Jetzt, 
Herr Albert Julius, Fünnt Ihr von Glück fagen, und die 
Belt zu ſehen befommen, menn Ihr es felbft begehrt. Ein 
Schiff aus Eſthland liegt hei Calmar vor Anker. Ein vor- 
nehmer boländifher Edeimann, der Über England nad 
Dfindien reifen will, bat feinen Kammerdiener verloren, 
und ſucht jegt einen geſchikten Menſchen, der etwas gelernt 
Sat, und der immer um ihn fein kann. Wenn Ihr Euch 
ein wenig Mühe gebt, Könnt Ihr gewiß diefen Poſten bes 
kommen. 

Mir ſchnitt das Wort „Kammerdiener“ verfluht ims 
Obr. Nag reifliher Ueberlegung fand id es jedoch thö⸗ 
richt in meiner jehigen Lage eine ſolche Rettung eines blo⸗ 
Ben Namens wegen nicht zu benupen. 


58 Die Ausftener. 


Ich ging nach Calmar ab und fick mic bei dem Edel- 
manne melden. Ich gefiel ihm, und aud) der Herr Karl 
Franz van Leuven machte auf mid einen angenehmen 
Eindrud. Cr hatte fein ftolzes Ausfehen; war ein feiner, 
ſtiller, freundlider, junger Dann, nur, wie es ſchien, etwas 
ſchwermüthiger Natur. Diefer melancholiſche Zug, verkun« 
den mit feinem hollaͤndiſchen Phlegma gab ihm etwas An» 
genehmes. Auch merkte ich bald, dag er verliebt fei, denn 
wenn er fi) allein glaubte, fügte er oft ein Mignaturbild, 
das er auf der Bruft trug. Unter den glaft gefämmten 
Haaren woͤlbte fid) eine fhöne Stirn, die mich an die nie» 
derländifhen Freiheitshelden denken lich, von weldhen er 
abftummte. Wir waren bald einig, ich follte es fo gut ha⸗ 
ben, als er, und ihn nur unterhalten; er hatte bereits einen 
andern Bedienten, ‚der alle fervilen Arbeiten verrichtete, 
Indeß blieb mir dod der Name „Kammerdiener.“ Unfere 
Seegel wurden geſpannt und wir fuhren ab. 


Als wir an der Infel Deland vorbeifegelten, fand das 
junge Brautpaar Arm in Arm am Ufer, winfte mir ein 
Lebewohl mit den Tüchern zu, und frodnete fi die Augen. 
Ich grüßte fie freundlich. Das Schiff durchſchnitt die Bel 
len. Ic ftand auf dem Verdeck, und dachte ſorgſam über 
meine fünftige Lage nach. Bald aber ſchöpfte id wieder 
Muth; um mid zu ſtaͤrken, holte id mein Stammbud ber» 
vor, und überlas in demfelben das treffliche Lied, welches 
mir Paul Flemming beim Abſchiede gedichtet hatte, 


Laß Dich nur Nichts nicht dauern 
Mit Trauern. 
@ei fine! 


Kopenhagen. 59 


wie Gott es fügt, 
&o fei vergnügt 
Dein Bitte. 


as wiuſt Du heute forgen 
Für morgen? 
Der Eine 
Sept Allem für, 
Der giebt auch Dir 
Das Deine! 


Sei nur in allem Handel 
Ohn Bandel. 
eied fene; 
Bas Gott befchleußt, 
Das if und heißt 
Das Bene! 


8 
Kopenhagen. 





Als wir nad Konenhagen gekommen waren, mietheten 
wir uns glei) in ein gutes Wirthehaus ein. Mein Herr 
bekam ein fhönes Simmer, weil aber noch Fein Plap da 
war, indem ein Fremder das mir beſtimmte Simmer erft 
räumen follte, fand ih mic) gern darein, dag man mir cin 
Feldbette in's Bedientenzimmer feßte. Herr van Leuven 
befuchte diefen Abend einen Bekannten. Als id etwas in 


60 Kopenhagen. 


den Straßen herumgeſchlendert war, kehrte ich mit dem 
Hausknechte zurück. Ich gedachte ein*einfahes Abendbrod 
zu eſſen, und dann früh zu Beite zu gehen, weil mich die 
Reiſe ermůdet hatte. 

Waͤhrend ich die Treppe hinaufſtieg, ermahnte ih mid 
ſelber, gegen den Bedienten recht freundlich zu ſein, und 
mich vor allem Stolz und Dünkel gegen ihn wohl zu 
hüten. Ich Hatte immer die Verachtung gehaßt, womit 
vornehme Herren fo oft ihre Diener behandeln. Cie ma- 
hen ihnen das Leben leicht und angenehm, dachte id. 
müſſen ſich alle Augenblide müde laufen, und befommen 
obendrein kargen Lohn und höpnifhe Worte. Warum nennt 
man den Dienerftand niedrig? Ift es niedrig. daß der Aer⸗ 
mere dem Gtüdlihern hilft, um es ein wenig beffer zu ba» 
ben? Wie wunderlid, find doch die Menſchen! Jetzt fangen 
die Porten an, das Hirtenleben zu befingen, und vor ein 
Paar hundert Jahren waren die Hirten unchrlih und wur⸗ 
den zu der Klaffe der Schinder und Büttel gerechnet. Ber 
diente find ja alle Staatsdiener. Iſt es viel beſſer, daß 
id) für meinen Borgefepten etwas rein ſchreibe, als daß ich 
feine Stiefeln wichſe? Ich werde mich wohl vor ſolchen 
Vorurtheilen hüten. Mit diefen chriſtlichen Vorſätzen trat . 
ich in's Bedientenzimmer. Kaum war id aber da, fo fing 
die feierliche Stimmung an, etwas nachzulaſſen. Schon 
die Atmofphäre war mir zuwider, vom den vielen gewichs⸗ 
ten Stirfeln, die an der Band hingen, auch andere Sachen 
efelten mich an, Der Bediente des Herrn van Leuven faß 
mit mehreren feines Gelichters an einem runden Tiſche, vol 
Beindouteilen, Bierflaſchen, Gläfern, Tabadepfeifen und 
Tabadsafcır. 

As ich Hereintrat, fanden fie alle auf und madıten 


Kopenhagen. 6 


dem Herrn Kammerdiener ibre Reverenz Ein Lehn⸗ 
ſtuhl ward mir fogar angewiefen, wo id al6 Primus inter 
pares präfidiren follte. Da mußte ih denn von diefen 
hochſt unwiſſenden Menſchen alle mögliche alberne Grob⸗ 
beiten hören, wie fie Fürften und große Männer verſpotte⸗ 
ten und verurtheilten. Alles höhnten fie, alles fuchten fie 
zu fi hinunter in den Schlamm zu ziehen. Nichts Edles, 
Großes, Berdienftvolles gab es ihrer Meinung nad. Nur 
Eigennug und Furcht bändigten fie. Da begriff ih denn, 
woher die Verachtung gegen den Bedientenftand im Ganzen 
fd) ſchreide. In diefem Trübſtune färte mid mein Nach⸗ 
bar, der indeß mein Glas gefüllt hatte und vorſchlug, daß 
wir Brũderſchaft trinken follten. Ich erröthete über und 
Über, und mar in der größten Verlegenheit. Geraden, 
Nein zu fagen, wagte ich nicht, um mic der Wuth der ber ' 
truntenen Menſchen nicht auszufeßen. Ein glüdliher Ein- 
fall rettete mich: id) gab ein Nafenbluten vor, hielt das 
Ehnupftud vor das Gefiht, eilte die Treppe hinunter, lief 
die Straßen entlang, lenkte in einige Duergaflen ein und 
ruhete nicht, bevor ich mich wor dem Gefindel in Sicherheit 
wußte. 

Ich ließ mich auf eine Thürſchwelle wieder, ergab mich 
in mein Shidfal und hoffte, die Nachtwaͤchter würden mich 
wenigftens aufs Rathhaus bringen, mo id lieber bleiben 
wollte, als in der vorigen Gefellfhaft. — Es dauerte auch 
nicht Tange, fo ſah ich zwei Wächter einen Betrunkenen oder 
Todten auf ihrer Leiter durch die Straße tragen. Sie 
hielten an der Hausthüre fi, wo ich faß, liegen die Zeiter 
herunter und riefen mehrmals: Map Hanfen! Mag Han- 
fen! jeßt feid Ihr zu Haufe. Es dalf aber alles nichts 
So müſſen wir ihm in die Naſe kneifen, ſprach der cine, 





62 Kopenhagen. 


Als das geſchehen war, fing der Betrunfene auf der Leiter 
an, munter zu werden, richtete ih auf und ſprach beiter: 
Schon da! Nun, gute Nacht, lieben Kinder! Gotteslohn! 
Da ift Trinfgeld! Habt Ihr geflingelt? Sie taten es und 
das Mädchen kam berunter mit Licht. So entdedten mid 
die Wächter und wollten mid; gleich wegſchleppen. Als ich 
aber erzählt Hatte, wer ich fei, und wie id mid verirrt 
babe, ſprach Mas Hanfen auf Deutſch: Irren ift menſch⸗ 
lich. Bei Gott, Kinder, Ihr follt diefem armen deutſchen 
Menſchen nichts zu Leide thun! Es ift eine gute Haut und 
ein ebrlihes Blut, das merke ih an Alem. Es giebt über 
haupt im diefer Welt feine Bosbeit, keine Sünde, keine 
Schurken, Betrügereien und Efeleien, das find nur Schlin- 
gel und Spitzbuben, die fo etwas gegen das arme Menſchen⸗ 
oeſchlecht behaupten. Alles ift gut, vortrefflih, allerliebſt 
auf diefem ſchoͤnen Erdenrunde. Echt nur die Sterne dro⸗ 
ben! die Milchfleken und Nebelftragen, wie fie funkeln und 
fid herumdregen! Was find wir Würmer und Maden ger 
gen ſolche mächtige Himmelstörper, die nie zu Bette gehen? 
Und wenn f.Ioft fie benebelt fein können, können wir es 
nicht? Wenn ſelbſt der Himmel feine Zleden hat, was ſchä- 
men wir uns, benebelt und befledt zu fein? Seht nur, wie 
bel und demüthig der Mond im Ninnfteine daliegt. Der 
Koth vermag feine ätherifhen Strahlen nicht zu verduns 
fein. Wenn der Mond im Ninnfteine Tiegen fann, feiner 
Gottheit unbefhadet, wie follte ich es nit auch, der ich 
nur ein Anterfhmid bin? Und bin id nicht derfelbe reihe 
Map Hanfen, der ſich feinen Sonntagsrauſch getrunfen 
bat, dort, fo gut wie anderswo? Darauf verließen ung 
die Wächter Mag Hanfen führte mid die Treppe hinauf, 
und wies mir ein ſchönes Dimmer und ein gutes Bett an, 


Kopenhagen. 63 


mo ich Heute übernachten könne. Der Rauſch ſchien ihn 
etwas verdunftet zu fein; als er hörte, daß ich nod nicht 
zu Nacht gegeffen, ließ er kalte Küche bringen, und ich 
mußte noch ein Glas mit ihm trinken. 


Bir Dänen, ſprach er, müſſen mehr als andere Men- 
ſchen trinfen, weil wir bier mitten im Deere wohnen, um 
uns gegen die feuchten Dünfte des Ozeans zu wahren. Ein 
Rauſch ift an und für ſich nicht zu tadeln, wenn man ihn 
nur gut vertragen kann, und wenn er der Gefundheit, dem 
Fleige, der Tugend, den Verrichtungen keinen Abbruch thut. 
Ich bin eigentlich nie befoffen und verliere nie mein menſch- 
liches Beroußtfein, noch mein Lörperliches Gleichgewicht. Lege 
ich mid) einmal auf die Leiter und laſſe mid) von den Waͤch⸗ 
tern nach Haufe fragen, fo ift das eine freiwillige Hand» 
lung, weil id) diefe Beförderung Liebe; fie ift commode und 
öfonomifd zugleich: ich ruge da bequem auf den Eprofien. 
und kann mittlerweile friſche Luft ſchöpfen und die Milch» 

ſtraße betrachten. Sonft trinke ich gewöhnlich alle Tage 
nur vier Flaſchen Wein. Der Sonntag allein ift eine Aus 
nahme, da trinke ich zwölfe und gerathe dadurd in drei 
verſchiedene Zufände. Erſt werde ich fehr mittrauiſch und 
zankiſch, und da ratbe ih Keinem, mir zu nahe zu treten, 
weil id in diefem Zuftande mit Scheltworten und Nafens 
Nübern fehr freigebig bin." Naher ergreift mic eine in» 
ige Behmuth und Demuth; ich werde über Alles gerührt, 
die Thränen laufen mir von den Baden herunter, und ich 
befomme eine übergroße Luft, alle Menſchen zu küſſen und 
wm umhalſen und um Berzeifung zu bitten, bis ich das Du- 
send geleert habe, wodurd ich denn in die Erhabenheit ger 
rathe; dann ſchaue ich zum Himmel hinauf, und Tann mit 


64 Kopenhagen. 


dem Zählen und Vewundern der Firfterne und Plaueten 
nicht fertig werden. — 

Den Morgen darauf trat er Beiter und räftig zu mir 
in’s Zimmer, und fah gar nicht aus wie ein Menfch, der 
ausfhmeift. Sein Geſicht war freilich kupferroth, und die 
Naſe hatte etwas traubenähnliches, die Meinen Augen blig- 
ten aber hell und Fräftig unter den ungeheuren Augenbraur 
nen hervor, die ausfahen, als ob fie mit Stiefelwichſe ges 
ſchwaͤrzt wären. Er war vierfhrätig und von einer erftaun- 
lichen Leibesftärfe. Die Hand drüdte er mir fo, dag das 
Blut mir faſt zu den Ragelwurzeln heransiprang, wobel er 
übermäßig lachte. Nachdem ich erft warmes Bier mit ihm 
hatte trinfen müffen, folgte ich ihm in die Werkftatt, wo 
ich mid) denn über die Kraft wundern mußte, womit er die 
gewaltigen Anter haͤmmerte. Alle Gefellen bezeigtem ihm 
die größte Ehrfurcht, auch war er den ganzen Tag bindurch 
ein ordentfiher Diann Es freute ihn, dag ih auch ein 
wenig von der Schmicdefunft verſtand, dod meinte er, daß 
ich mit meinem glatten Mädcengefihte zum Schmid nicht 
tauge. Jeßt brachte er mid aud zu feiner Frau, einem 
friſchen blonden Beide, mit ſchelmiſchen Augen. Als fie 
wieder in die Küche gegangen war, fagte er: Bir haben 
noch einige gute Zimmer zu vermiefhen, und wenn Herr vam 
Leuven vielleicht hier wohnen wollte, fo ſtehen fie ihm zw 
Dienften. Im Wirthsbauſe iſt es zu theuer wohnen, da 
muß man nur frinten. Mein erſtes Stocwert wird von 
einem vornehmen Dffizier bewohnt, der viel nach Hofe 
tommt. Er iſt ein guter Freund von uns, beſonders von 
meiner ‚Grau. Die Leute nennen ihn den Mars, meine 
Gran die Venus und mi den Bulkanus. Beil id mid 
aber auf die Etymologie nicht verftehe, fo weiß id den 





Kopenhagen. 65 


Henter, mas die Tuckmäuſer mit diefen Redensarten fagen 
wollen. So viel weiß ih, daß Bachus der Gott der Re⸗ 
ben ift, und das ift mir genug. Uebrigens Hat mir der 
Offizier die Lieferungen für die Flotte verſchafft, wodurch 
er mid zum wohlhabenden Manne gewmacht hat. 

Jetzt eilte ih nad dem Wirthshaufe, um Herrn van 
Leuven über alles Bericht zu erftatten. Er begegnete mir 
in größter Unruhe auf der Treppe; die ganze Nacht hatte 
er meinetwegen fein Auge zugethan, weil id), nad) der Bes 
dienten Ausfage, einen Blutfturz bekommen babe, und wie 
ein toller Menſch meggelaufen fel. Sie batten mid überall 
gefucht, aber nirgends finden können. Ic erzäbkte ihm ale 
des rein ans, mie ſich die Sache verhielt. Lieber Julius, 
ſprach er leutfelig. warum habt Ihr mir das nicht gleich 
gefagt? Im der kurzen Zeit, dag wir uns Eennen, babe ih 
ſchon an Euch entdrdt, dag Ihr ein gebildeter, braver Jäng- 
ling feld. Von jept an feid Ihr mein Sekretär! Iſt es fo 
gut? Der nafeweile Bediente bat fhon feinen Abſchied, ih 
mochte ihn fo nicht leiden. Wollt Ihr aber, bei mir blei⸗ 
ben, fo will ih Euer Glück machen. Ihr gefallt mir. ih 
brauche einen Freund, und wein Herz fagt mir, daß ich ihn 
in Euch finden werde. 

Diefe feltene Güte rübrte mid fehr, ich küßte Herrn 
van Leuven die Hand. Gleich darauf liegen wir alle un 
fere Sachen nad) dem Haufe des Schmids bringen, wo wir 
uns ſeht gut befanden. 

Herr van Leuven hatte manches abzumachen und viele 
Briefe zu ſchreiben, wovon ih gar nichts wußte. obſchon 
ich fein Sekretär war. Während der Zeit ging der treffe 
liche Schmid mitunter mit mir in der Stadt berum. Er 


brachte mid) am nähften Sonnabende in den fhönen Ro- 
Oedlenſ. Schriften. XVII. 5 


66 Kovenhagen. 


fenburgergarten, mo eine köſtliche Statue von Bronze auf- 
geftelit wurde, die ein vom Lönen zerriffemes Pferd vor 
Reit. 

Man mutmelte allerlei von der Bedeutung des Bildes; 
von dem Herzoge von Lüneburg, deſſen Bapdenbild ein Pferd 
ift, wie das daͤniſche ein Löwe, und frug fi mit allerlei 
Reden von der Feindſchaft, die der Herzog dem Könige im 
dreigigiährigen Kriege gezeigt habe. Aber laut wagte feie 
ner zu foreden, außer Maß Hanfen, der heute Feierabend 
machte, und ſchon ein Paar Flaſchen über das gewöhnliche 
Maag ausgeftohen Hatte. Er war jept in feiner zaͤnkiſchen 
Laune und machte laute Anmerkungen über deutſche Pferde 
and daͤniſche Löwen, die ſich feinen lüneburger Sand in die 
Yugen werfen liegen. Drauf fing er noch an, über deutſche 
Windbeuteteten Stichelteden herzufagen. Das hätte ich ihm 
nun als Deutfcher eigentlich Übel nehmen follen. Weil ih 
An aber fhon dannte und wußte, daß diefe Gemuͤthoſtim ⸗ 
mung bald in eine fanfte übergehen wärde, fobald er nur 
mehr Wein getrunken habe, eilie ich ſchleunig mit ihm In 
eine Schenke, und kaum hatte er noch zwei Flaſchen geleert, 
To mußte ich wieder mit ihm in den Garten hinaus. Hier 
fing er an, meinend eine Menge welfen Laubes in den Hut 
au ſammeln und obfhon es im Spätherbfte mar, wollte er 
oc, Vergigmeinnichte und Veilchen pflüden. — Ach, Ir 
Kns, ſprach er ſchluchzend, was find wit Menſthen andere, 
als welles Laub? Alles Fleiſch iſt Heu. mein Sohn. Alles 
bluͤht aur, um zu verweifen. Ein groter Zweifel beengt 
mir die Bruſt. “Wieder Herzensjunge, kannſt Du mir die 
Unſterblichteit matgematifch beweifen? Glaubſt Du wirklich 
daran, daß mir nad) dem Tode im Sarge einmal wieder 
fellg aufleben und die Augen aufſchlagen, wenn wir be 


Der Mater. 76 


graben find? Id) weiß wohl mad den’ Volizeigefepen ift es 
ung befoßlen, fo etwas zu glauben. Aber ale Philoſophen 
lieber Junge, als Freidenker und Atheitten, was glauben 
wir da? Und warum fann eine Katze oder ein Hund nicht 
eben fo felig wie id werden, wenn er fih bier im Lehen 
gut auffũhrt und nicht betrintt? Als wir nach Haufe gin- 
gen, verließ er mich, um durd die legte Dofis in-die Er⸗ 
habenheit zu gerathen, und da zweifle id denn nicht, dag 
ihn die Aſftronomie wieder in’s Gleichgewicht haben wird. 


® 
Der Maler. 





Sert var Leuven hatte für meine Garderobe geforgt, 
die fehr in Verfall gerathen war; als aber der Schneider 
mir das Maaß nahm, und es doppelt, für einen männli- 
dien und einen weibiihen Anzug machte, Tonnte id) das 
nicht begreifen. Das Näthfel löſte ſich aber bald. J 

Im ſchoͤnen Herbſtwetter fuhren wir zur Stadt hinaus 
nad) dem Holländerdorfe‘). Dies Dorf ift an einem 
anmutpigen waldigen Hügel gelegen, wovon man die freie 
Ausficht hat Über Kopenbagen, die Infel Amat, die Oſtſee 
und Schweden. Seinen Namen hat e6 von Holändern bes 
kommen, die feit den Zeiten Chriſtian des Zweiten dort 


*) Racer Greberitäberg. 


68 Der Water. 


wie auf der Infel Amat wohnen und die Stadt mit (hd 
nem Gemüfe verfehen. 

Bir fuhren den Hügel hinauf und hielten vor einem 
anmutbigen Häuschen am, wo des Königs Hofmaler Karl 
van Mandern wohnte der ein vorzüglicer Künftler und 


+ alter Freund des Edelmanns, und eben in diefen Tagen 


damit beſchaͤftigt war, des Känige Bild zu malen. 

Seine Stube bing voll von Werken flamändifder Meir 
fer, und ich fonnte mid) an den reizenden Bildern nicht 
fatt fehen, obſchon fie lauter alltägliche Gegenftände dar- 
elfen, weil alles mit fo viel Wahrheit, Treue und Gemüth- 
Tichfeit wiedergegeben war. 

Das ift es chen, ſprach van Mandern, nicht ſowohl 


* den Gegenftand bewundern wir in der Kunft, als vielmehr 


deu Geift des Künftlers, der das Ding mit Kraft und Ges 
fühl auffaßte, und deshalb können uns die gemeinften Sa- 
Gen im Bilde, als ausgezeichnet erfreuen. Biele neuere 
Italiener dagegen behandeln das Große und Erhabene auf 
eine konventionelle Hleinlihe Art, und darum maden uns 
Diefe Bilder, die nicht ſchöne Nachahmungen der Natur, 
fondern mittelmägige Nahahmungen der Kunft find, fo ver» 
ſtimmt und niedergefchlagen. Allein das können die meiften 
vornehmen Leute nicht begreifen! Und Bott foll mid) ftrafen, 
wenn mander Italiener jept, der in einer Nacht einen Gott 
Vater bei Fadelihein verfertigt, im Etande ift, bei Tagese 
lichte eine ordentliche Kuh auf dem Felde zu malen. 

Habt Ihr die Frauentracht vom Schneider bekommen, 
frug van Leuven laͤchelnd, als das ernfte Geſpraͤch abge» 
brochen war. — Verſteht ſich, antwortete der Maler, fie 
bängt droben im Dachzimmer, wenn fid Albert hinauf be⸗ 
mühen will. — Albert, ſprach van Leuven, es wird näd« 


Der Mater. 6 


ſtens eine Masterade gegeben, hättet Ihr wohl Zur, der» 
felben beijuwohnen? — Zu fo etwas bat ein junger Menſch 
inmer Luſt, war die Antwort. — Wohlan, verfeßte er, 
Ihr folt als junge Holländerin gekleidet erſcheinen und ich 
wil Euer Edelmann fein. Herr van Mandern bat mir ver- 
ſprochen. Euch beſtens auszuftaffiren, damit das Männliche 
fo viel als moͤglich verſchwinde. Ihr feid ein hübſcher Jüng- 
ling, habt noch feinen Bart umd könnt zur Noth für ein 
Srauenzimmer gelten. Geht hinauf und zieht Euch die 
Kleider an ich will mich fo lange in der Gegend umfehen. 
Benn Ihr fertig few, fo zeigt Euch dem Herrn van Man« 
dern; er wird an Euren Pub die lette Hand legen. 
Diefer Spaß machte mir Vergnügen; oben traf id 
eine alte Haushälterin, die mir half, wo mein eigener Ber 
fand nicht ausreidhte, und bald ftand die junge Holländerin 
fertig da. 
Ich lief die Treppe Hinuter, riß die Thüre meit auf 
und rief: Da bin ich, Herr van Mandern! Wie kleidet mich 
Die Tracht? Iſt es fo Recht? — Wie erſchrak ih aber, als 
ich einen Rattliden Herrn vor dem Maler fipen fab. An 
dem bedeutenden Geſichte, der goldenen Halskette, worin er 
den Elephantenorden trug, und der herunterbängenden Filz⸗ 
loce errieth ich gleich, daß es der König fei. Id lief er- 
ſchrocen zurüt und ſchlug die Thüre hinter mir zu. Der 
König ſprang lachend auf und rief: Ei, ei, mein lieber 
van Mandern, ift das die alte Hausbälterin, von der Ihr 
mir vorgefhwapt habt? — Großmädtigfter König, ant- 
wortete der Maler verwirrt, es ift eine junge Verwandte 
von mir, neufih erft von Amfterdam angefommen. Cie 
verficht werder daniſch noch deutſch. — Nun, fprad der 
König. fo viel holländiſch verſteh' ich ſchon, als möthig ift, 


70 Der Aukerſchmid in feiner Glorie. 


am ein junges Frauenzimmer zu unterhalten. — Ich zit 
terte am ganzen Leibe hinter der Thüre und dachte: Gro⸗ 
Ser Gott, wie wird das ablaufen, ich ſpreche weder Hol⸗ 
Sändifh, noch Hin ich ein Srauenzimmer. 

Glůclicherweiſe befreite mich des Königs geliehtefte 
Tochter, die ſchoͤne Fräulein Eleonora Chriſtina. Sie hielt 
in ihrem Wagen vor der Thür, und war gefommen, um 
ihren Bater während des Malens zu unterhalten, damit er 
fein luſtig ausſehe und vor Langeweile kein faures Geſicht 
made. Kaum hatte der König durch's Fenſter feine Toch⸗ 
ter bemerkt, fo ſetzte er ſich gleich wieder fehr gravitätiſch 
auf den Stuhl und bat den Mater, in feiner Arbeit fort- 
aufahren. IA lief wieder hinauf, kleidete mich ſchleunigſt 
um und ſchlich mid aus dem Haufe, um Herrn van Leuven 
draußen zu treffen. Diefer Zufall machte ihn fehr beſtürzt. 
Er Hätte meinen ganzen Plan über den Haufen werfen 
tonnen, ſprach er. Gott fei Dank, daß alles nod fo gut 
abgelaufen ift. — Ich begriff feine Worte nicht, wollte 
aber nicht weiter in ihn dringen, weil ich merkte, daß er 
nicht Luſt Hatte, fi umftändlicher zu äußern. — 


10. 
Der Ankerſchmid in feiner Ölorie. 





JIhr dürft aber nicht meine Fran umhalſen und küfe 
fen, denn das geht zu weit,” hörte ih den Ankerſchmid 


Der Ankerſchmid in feiner Blorie 71 


verdrießlich rufen, als ich, wieder nach Kopenhagen zuräd- 
gekommen, in die Stube trat, wo id Qulfanus, Mare und 
Venus zufammen traf. — Ei Map Hanfen, rief der Dfr 
Mister Tuftig, einen Kuß in Ehren darf niemand mehren. 
Ih f&mwöre End zu, es ift der erfte, den ich ihr beute im 
meinem ganzen Leben gegeben habe. Date ih dad, Ihr 
märet über ſolche Vorurtheile weit erbaben. Seid kein 
Kind, Freund. und hört, mas ih Euch Wichtiges zu fagen 
babe. Ihr habt mich fo oft beneidet, weil ich bei des Ko⸗ 
nigs Tafel eſſen und trinken kann; was fagt Ihr dazu 
wenn ih Euch auh eine Einladung zur Königs-Zafel ver 
ſchaffe. wo Ihr nicht nur trinken fol, fo viel Ihr Luſt 
bat, fondern mod weit mehr. 

Macht mir den Kopf mit Euren verfänglihen Neden 
nicht noch krauſer, rief der Schmid. Trage ich fein Schwert 
an der Seite, fo verfteh” id mit dem Hammer in der Hand 
defto beffer umzugehen, und mein’ Sec’, der Menſch, dem 
id) damit vor. die Stirn ſchlage, fteht fobald nicht wieder 
auf. — So mahr ih ein Ravalier und Euer guter Freund 
bin, ſprach dr Dffizier, ich babe Euch nichts vorgelogen. 
Hört mir aufmertfam zu. Hier ift eine vorncehme fuͤrſtiiche 
Verſon ein Knees aus Rußland angefommen, der fih ein» 
bildet, der erfie Trinker der Welt zu fein. Der König hat 
es fon mit allen feinen tafelfäbigen Unterthanen verfucht, 
ihn zu überwinden ; fie haben aber alle dem Kürzeren ger 
zogen. Beil nun der gute Herr feine Unterthanen wie Kin- 
der licht, hat es ihm das Herz gefreſſen, daß die Dänen 
ihren alten Ruhm, die been Trinker zu fein, einbüßen _ 
felten. Da trat id vor Seine Majeftät und ſprach getroft: 
Grohmdchtigſter König und Herr! Nicht immer in den bd- 
heren Etänden fol man die Tugend und ausgezeigneten 


i2 Der Anferfhmid in feiner Glorie. 


Leute ſuchen; oft unter einem ſchlichten Kleide verbirgt fich 
das flille Verdienſt. Ic kenne einen wacern Zecher aus 
dänifhem Geblüte, der es mohl mit dem ruſſiſchen Kneeſe 
aufnehmen kann. Zwar iſt er weder von Adel, noch von 
ausgezeichnetem Range, treibt aber ein ehrliches Gefhäft, 
denn er maqt den Schiffen Eurer Majeftät Flotte den ge» 
waltigen eifernen Zahn, womit fie in den Abgrund beißen, 
und der Mat der Elemente trogen. — Es freute den 
König fehr, Euch fo rühmen zu hören; und er ermiederte: 
Hat nichts zu fagen, daß er fein Adelicher üft, wenn er nur 
nicht betrunken wird. Eilt ſogleich nad Haufe, und fast 
Eurem Schmid, daß er fi Übermorgen Punkto eif Ubr 
im großen Luſthauſe des Rofenburger Gartens einzufinden 
babe. Laßt ihn aber erſt ins Bad gehen, reine Waͤſche ans 
ziehen, ſich mit Biſam und riechendem Waſſer die Gelente 
einreiben; leidet ihn dann wie einen Ritter und bringet 
ihn mit. — Ich eilte nun ſpornſtreichs hieher, Eurer Fran 
das Evangelium zu bringen; weil das gute Weib Euch nun 
zärtlich liebt und wohl meiß, wie fehr Euch diefe Auszeich⸗ 
nung ſchmeicheln würde, iſt fie mir vor Freuden um den 
Hals gefallen. Das ift es alles! 

So falle ihm noch einmal um den Hals, liebe Frau, 
rief der Anterfhmid gerührt; denn das ift ein wahrer 
Freund in der Noth,. der wohl weiß, wo mid der Schub 
drüdt. Habe id erſt die Freude gehabt, mid vo: dem 
Angefihte Seiner königlichen Majeftät und an feiner eige- 
nen Tafel zu betrinfen, fo will id gern ind Grab gehen. 
— Aber erft den ruſſiſhen Knecs überwinden, rief der 
Dffier. — Das wird feine Noth haben, antwortete der 
Schmid. 

Das Wetter war noch wortreflih, das Gras —* 


Der Anterfhmid in feiner Gloörit. 73 


grün und die Bäume voll frifher Blätter, deren goldene 
Heröffieden im Sonnenſcheine nur ein noch fhöneres Far- 
benfpiel gewährten. Freilich wor dieſes Jahr eine Aus 
nahme, aber auch immer ift Dänemark mit feinem Meere 
und feisen Seen, mit feinen Biefen, Acdern, Hügeln und 
herrlichen Wäldern weit ſchöner, als das nördlihe Deutſch- 
land mit feinen fandigen Tannen-Haiden, und als ein Theil 
Frankreichs, mit feinen kreidigen Weinbergen. Nur in Düs 
nemart und England wachſen die Buchen fo mächtig und 
fbön, grünt das Gras bis in den Winter hinein mit fole 
ber Friſche; auch iſt die Kälte bier eigentlich gar nicht zu 
Haufe; die Infeln in der Dftice werden, wie England, 
‚mehr von Negen und Nebeln, ale von Eis und Schnee 
beimgefugit. 5 

Als cin junger Menſch ſpürte ih eine große Luft in 
mir, der Zrinkfcene im Lufthaufe zuzuſehen. Das lieh ſich 
aber nicht thun. Herr van Leuven hätte vielleiht, als Edel» 
mann, dieſen Spaß baben können, wenn er ih am Hofe 
Hätte vorftellen laſſen; er war aber zu ernft, um Vergnügen 
an fo etwas zu finden, auch wuͤnſchte er inkognito zu bleiben. 

Unverhofft. fagt man aber, kömmt oft. Ich batte mich 
den Tag vorber in der Morgenftunde auf eine Bank im 
Rofenburger Garten niedergelaifen und las in den Horazifchen 
Den. Eine Bortfügung war mir zu ſchwer, ich zerbrach 
mir vergeblich den Kopf, und wünſchte mir laut ein Wöre 
terbuch. — Hier it cin Börterbud, börte id) einen Men⸗ 
fen fagen, was wollt Ihr willen? — IA ſchlug die Au⸗ 
gen auf und entdedte einen ſchoͤnen, wohlgebildeten Herrn, 
mit geiftreihem, freundlichen, zugleich aber etwas ſtolzen 
Geſichte, febr prächtig angezogen, der neben mir ſaß. — 
Ih fprang von der Banf auf, grüßte ihn chrerbietig und 


74 Der Anterfpmid in feiner Glorie 


reichte ihm das Bach. Gr überfepte mir gleih die Stelle 
mit Leichtigkeit in gutes Deutfc, obſchon ic an feiner Aus⸗ 
ſprache mertte, daß er ein Däne fe. Habt Ihr erft neulich 
angefangen, Latein zu lernen? fragte er. — Nein, geftrene 
ger Herr, antwortete ich; die Horaziſchen Oden find aber 
ſchwer, es kommen fo viele Bezichungen und Heine griechi⸗ 
ſche Wendungen darin vor, Daß es einem immer genug zw 
ſchaffen macht, wern man aud die einzelnen Worte ver 
ſteht. — IM will Euch doch in einer wenigen ſchweren Ode 
+zaminiren, ſprach er, blätterte ein wenig herum, und zeigte 
drauf gleichgültig auf eine Etelle mit dem Finger. Ich 
überfeßte: 

„Geroaltiger wird Die ungeheure Tanne vom Cturme gefchüte 

telt; die erhabenen Burgsinnen ſtützen mit lauterem Getöfe ; 

der Bliß fchlägt in Die Höchften Bergaipfel - 


Ganz gut, ſprach der Fremde, der auf den Inhalt der 
Heilen nit zu achten ſchien, fondern nur daraus meine 
Sorachtenntniß erfehen wollte, Als er hörte, ich fei ein 
Fremder, der große Luſt babe, morgen der fonderharen 
Zrinffcene beizuwohnen, verfrad) er mir einen Plaß drau- 
Ben im Garten beim Fenſter zu verſchaffen, wo es dem 
Bolte bei ſolchen Gelegenheiten erlaubt fei, zu ſtehen. Ber 
det Euch nur an einen meiner Bedienten, fprad er, und 
ſagt. ich Habe «6 defoblen, dann wird man Euch gleich ce» 
nem guten Plag verſchaffen. — Damit ging er fort, ohne 
mir zu fagen, wer er fel. Ih wagte nicht zu fragen, und 
fo war id denn wieder nit weiter, als vorher, als ih 
eine Heine fonderbare Geſtalt durch den Garten nad) dem 
Schloſſe hinauf eilm fah. Es mar ein ältliher Mann 
mit trummer Nafe und großem, kahlen Scheitel deffen we⸗ 


Der Ankerſchmid in feiner Glorie 75 


ige braune Haare ſchon anfingen, gran zu werden; er 
war in ein ſchmutziges, ledernes Wamms gekleidet, umd feine 
Skube waren mit Hafen zufammen geneftelt; in der rede 
ten Hand trag er einen Stod, mehrere Bapiere unter dem 
linten Arme und an den Fingern hatte er Dintenkiedfe. 
Dabei ſah er weder rechts, mod links, fondern eilte nur 
in feinem Berufe fort. Id wagte es indeß, ibm in dem 
Beg zu treten und beicheiden zu fragen, ob er mir nicht 
fagen fünne, wer der vornehme Herr dert fei, der mid in 
. den Horayifchen Odeu eraminirt habe? — Der Heine Mann- 
ſtarrte mid, mit durchdringenden, blauen Augen an, und 
fragte dann neugierig: Weihe Etelle hat er Euch über 
feßen laſſen? Ich zeigte ihm die Dde. Er fhlug die Au- 
gen zum Himmel, ſchuttelte den Kopf und rief: Sonderbar, 
fonderbar! Allein mas helfen alle Warnungen. Lieber 
Freund, warum habt Ihr ihm nicht auh den Schluß über- 
feht: „Sch keck und ftark im Gläde, wenn fid) aber der 
Wind drebt, ziehe weielich die gar zu ſchwellenden Seegel 
ein.“ — 

Der vornehme Herr in goldgeſticter Seide, verſette 
der Meine Mann, ift der Reichsbofmeiſter Gorfig Uifeld; 
und ic im Ledertoller. mit zuſammengeneſtelte Schuben, bin 
des Königs Staatsfekretär Friederid Günther.” Gr 
habt Euch wohl, mein Freund. ich babe feine Zeit, länger 
mit Euch zu forechen. Damit eilte er zum Schloffe hinauf, 
und ich konnte mich äber dies fo fonderhare, gegen einander 
abſtechende Paar nüht genug wundern. 

Am folgenden Tage fah ich die ganze Trinttomodie 
ſeht gemaͤchlich dard's Gartenfenfter. Der König ſelbſt 
führte dem vornehmen Ruſſen in den Gartenfaal, wo der 
Aufl) gededt Rand. Mein Wirth war auch fhen da, und 





76 Der Anterfhmid in feiner Gloric. 


ich erkannte ihm nur an dem bäurifhen Komplimente, das 
er dem Könige machte, fonft wäre es mir unmöglich gewe⸗ 
fen, denn er ftroßte fteif im goldgefitten Node, und auf's 
Haupt hatten fie ihm eine große gepuderte Perräde mit 
weit hinunterhängenden Loden, gefekt. 

Der Tiſch mar reichlich mit Speifen verfehen, mit Bra- 
ten und Pafteten, Beinfuppen und Torten. Die Pafteten 
maren wie Greife gebaden, mit ausgebreiteten Flügeln, 
reichlich vergoldet, bemalt und mit Budsbaum ausftaffirt. 
Borne an der Bruft trugen fie das dänifche Wappen. Auch 
ward viel Gebadenes aufgetragen, wie Bafilisken und Hähne 
geformt; zwei gebratene Ferkel fah ih mit rothen Aepfeln, 
Hechte mit Leber im Munde. Auch mangelte es nicht an 
Marcivanen und föftlihen Gonfituren. 

Der König winfte, und eine fhöne Tafelmuſik lietz 
Ad) durch verfhiedene Deffnungen im Saale hören; bad 
ſchien fie ganz nahe, bald weit entfernt zu fein. Dicfe reis 
sende Erfindung verdanfte man dem Könige ſelbſt. Der 
Nuffe glaubte, «8 fel Hererei, und munderte ſich über die 
Magen, Der Schmid lich fih aber von nichts anfehten; 
er ftand ganz ruhig, die Augen ftarr auf die großen, ſilber⸗ 
nen Pokale gerichtet, die ihm zum Eiege winkten. \ 

Jetzt follte das Trinken losgehen. Der Anterfhmid 
faß dem Kneeſe gerade gegenüber. Er war vorher dem 
Geſellſchafter des Ruffen, der franzöfiih forady. vorgeftellt 
“ worden, als ein Herr von Anker, aus einer fehr alten Fa⸗ 
milie, die ſich fhon vor den Zeiten der Sündflut befon- 
ders ausgezeichnet habe. Jetzt wurden den beiden Zechern 
die großen Pokale gereicht. Der Ankerſchmid hatte nur fo 
viel Franzoͤſiſch gelernt, dag er „A vous!“ fagen konnte, da- 
mit ihm der Ruſſe immer Beſcheid thue Als fie aber eine 


Der Ankerſchmid in feiner Glorie. 77 


Weile ſolchergeſtalt getrunken hatten, fing die däniſche Macht 
an. zu ermatten, und der König fürchtete, Map Hanfen 
würde die Sergel reihen müſſen. Gr war aber jegt in 
feiner zäntifhen Laune, und fing an, über die Allongever- 
rüde, die er tragen mü’te, gewaltige Satiren zu machen. 
Benn man in einem ſolchen Wulſte erftikt wird, ſprach er, 
und fo eingewidelt in goldgeftidten Schnärbrüften fipen 
muß, wie ein Kind in Windeln, wie fann man da als freier 
Mann trinken? Bekomme id nicht Erlaubnig, die unnöthie 
gen Kleidungsftüde über Bord zu werfen, fo vergehe ih 
mit Mann und Maus, und der heilige ruffiihe Nikolaus 
bat auf ewig die drei dänifthen Zömen mit fammt dem 
Elefanten verfhlungen. — In's Teufels Namen, rief Cor- 
ſitz Uifeld, thut, wie es Eud gefällt, nur trinkt! — Kaum 
börte Map Hanfen diefen Orakelſpruch, fo flog die Allonge- 
perrüde Über den Tiſch und einem Pagen in’s Gefiht, der 
Dinter des Könige Stuhle ftand. Hierdurch verbreitete ſich 
eine weiße Staubiwolfe über den ganzen Tiſch, und aus 
diefem Baubernebel flieg Mag Hanfen wie men geboren 
empor; denn als das Wetter ſich erheiterte, faß er wieder 
ganz als Ehmid da, mit tahlem Scheitel, in bloßen Hemds⸗ 
ärmeln, die nicht die ſauberſſen waren, weil die Spitzen⸗ 
manſchetten an den Händen nicht weit hinauf reichten. So 
griff er aufs neue das Werf an mit Fäuften, während ihm 
die heilen Thränen über des Königs Leutfeligfeit und Here 
ablafung über die Baden in den Becher floflen und den 
Bein würzen; denn jept war er in die Wehmuth gerathen. 
Der Ruffe fing an, noch dümmer, wie vorher, auszufehen, 
wiſchte ſich den Bart mit der Hand, wie die Kape mit der 
Pfote, wenn fie zu viel Rahm getrunken, und wollte fon 
Stillſtand machen. Alein Mag Hanfen, dadurch nur mehr 








78 Der Unterfgmid in feiner Glorie 


angefeuert, rief begeiftert: Bei allen heiligen Siebengeftir- 
nen und Himmelswagen, jetzt wollen wir ein Mal die Ge 
ſundbeit des unfterblihen Aftronomen Tycho de Brabe 
trinfen, der aud, wie ic, eine kupferne Naſe trug, und der 
fi fo gut auf den Himmel verftand, ohne ein Narr auf 
Erden zu fein. Aber erft muß ih ein wenig friſche Luft 
ſchopfen, umo.die neue Statue da hinter den Bäumen in 
der Nähe befehen, damit es mir nicht wie Tycho de Brabe 
bei der Tafel des Kaifers Rudolf ergebe. 

Die Hofleute fahen bedaͤchtig den König an, als aber 
diefer laut auflahte, wagten fie es aud. Der Ruſſe bog 
ſich mit f@läfrigen Augen über den Tiſch und verſuchte ver 
seblich, den Mund zum Läheln zu ziehen. Da trat Map 
Hanfen nieder neu belebt und räftig in den Saal, und ale 
er ein großes, ſilbernes Beden bemerkte, einen Gishehälter, 
worin man Sommers den Wein abfühlte, befahl er dem 
Mundſchenken. denſelben mit altem Rteinweine zu füllen. 
Drauf den Ruſſen am Halstragen füttelnd, rief er laut: 
& vous! und verſchlang die Hälfte. — Nun follte der 
Knees die zweite Hälfte ausleeren, kaum hatte er aber aue 
gefangen, fo verdrehte er die Augen, wie ein Stück Bich, 
das mir dem Beile vor die Stirn geſchlagen wird, und 
ſank wie leblos unter den Ziſch. Darauf ward dem Dir 
nen Map Hanfen mit vielem Hurrahrufen von den Pagen 
eine Weinrebe. um’s Haupt geflochten, umd fo ward er im 
Triumphe vom Volke nad) Haufe gefahren. 





Die männlide Braut. ” 


11. 


Die männlide Braut. 





Ich Tehnte mic, nad) der Masterade, und wagte Herrn 
van Leuven zu fragen, ob fie nicht dald Statt Haben wer⸗ 
de? — Ja wohl, lieber Freund, ſprach er, uͤbermorgen wird 
fie gegeden; die einzige vermummte Perfon folt aber Ihr 
fein. Und doch braucht Ihr Feine Maske zu fragen. Ich 
will Eud auf dem Lande in eine Geſellſchaft als meine 
rau einführen. Seid nur darauf bedacht, recht zaͤrtlich 
gegen mich zu fein. Ihr braucht aber nicht zu ſprechen; 
#9 führe Euch in eine englifhe Familie, wo fie nicht Hol 
landiſch verſtehen. Die Engländer ſprechen ohnehin mit 
fremden Frauen, die Re zum erften Male feben, wenig; die 
Holländer gar nicht, und Ihr Fünnt fo blöde und ſchüchtern 
fein, als Ihr wolt. So viel Helländiſch Könnt Ihr ſchon. 
um zur Roth einige höflihe Worte zu ſagen. Spielt Ihr 
Eure Rolle gut, fo habt Ihr mein Glüd gemacht, und ih 
merde das Eurige machen, wenn Ihr Euch dazu entſchlie- 
Ben Fönnt, mir nah Oſtindien zu folgen. — Ih folge 
Euch Dis an der Welt Ende, Herr van Leuven, ſprach ich 
und thue gern, was ihr von mir verlangt. 

Ohngefahr zwei Meilen von der Stadt naͤherten wir 
uns einem (hönen Lamdhaufe, am Eingänge eines Waldes 
und am Ufer eines Sees gelegen. — Hier mehnt ein eng« 
Hiper Kaufmann, Herr Samuel Plärs, forad van Leuven. 
3% babe feine Bekanntſchaft vor zwei Jahren in London 
gemacht. Der Kämig von Dänemark, der viel für den Hau⸗ 


© Die männlige Braut. 


del feiner Staaten thut. bat diefen einfictsvollen Maia 
auf vortheilhafte Bedingungen dazu vermocht, ſich in Die 
nemark niederzulaffen. — Ban Lruven würde mir noch 
mehr gefagt haben, aber ein Better des Haufes, der ihn 
Eannte, begegnete uns ſchon zu Pferde und rief: Ei, ei, 
mein Herr van Zeuven, willlommen in Dänemark! Erinnert 
Ihr Euch aber auch wohl Eures Verſprechens; meinen 
Obeim nicht eher zu beſuchen, als bis Ihr verheirathet waͤ⸗ 
vet? — Das ift ſchon geſchehen, antwortete van Xeuven, 
und bier feht Ihr meine Frau. — Nun, das if mas ans 
ders, rief der Engländer. Und wenn Ihr heute über vier- 
zehn Tage wiederfommt, boffe ih Euch and. meine Braut 
zu zeigen, denn die ſchöne Concordia wird, hoffe ih, bald 
ihrem Vater geherfamen, und mir ihr Jawort geben. — 
Alſo thut fie es nicht gern, fragte van Leuven mit einem 
gezwungenen Lächeln, indem er die Bläffe feines Gefichtes 
mit feinem Schnupftude zu verbergen ſuchte. — Das giebt 
ſich alles nachher, ſprach der Engländer. Jetzt will ich Cuch 
aber gleich melden. Co ſelbander feid Ihr uns ſehr will 
kommen! Damit fpornte er fein Pferd und ritt zuräd. - 

Nun wißt Ihr (don etwas, Albert, ſprach van Leuven. 
Vergebt, daß ich noch ſchweige. Mein Herz fdlägt mir zw 
unruhig, zu ungeduldig. zu gefpannt ermartungsvoll. Spiele 
aur beute die Rolle meiner Frau! Sie ift leicht zu ſpielen. 
denn fie iſt ganz paſſiv. 

Es freut mic, Herr van Leuven, (rief der Kaufmann 
Samuel Plürs, ein fetter Maun, mit rotken Baden und 
lichtgrauen Augen, der uns in der Thür begegneten, es 
freut mid, Euch bier in Dänemark bei mir zu fehen. Ich 
böre, Ihr. feid jetzt verbeiraspet. Euer Herr Vater in Ant- 
werpen und ih in London ftanten ſonſt zu einander im 





Die männlige Braut. 81 


freundſchaftlichem Verkehr, und haben mit einander vide 
Geſchaͤfte gemacht, wobel feiner verlor und jeder gewann. 
Er, als Erelmann, wollte aber nicht, daß Ihr eine Bin 
serliche beirathen folltet. IA verdenke es ihm micht, Gleich 
und Gleich geſellt fib am beſten. Eure Heirath mit meis 
ner Tochter würde ihm feinen Stammbaum in Unordnung 
gebracht haben. Euer Bater fand es unnatürlich, einen 
friſchen Zweig in einen alten Baum einzuimpfen, und id) 
habe Euch aufrichtig bekannt, dag mir diefe Ehe auch ſehr 
zuwider war. Wir Bürgerliche haben auch unſern Stolz. 
Adel und Bürgerſchaft find zwei verſchiedene Rationen die 
ſich, wie alle Nachbarvoͤlker, haſſen, weil fie immer Fehde 
mit einander geführt haben. Eure Kinder mit meiner Toch⸗ 
ter wären dod nur Zwitter geworden, weder Fiſch noch 
Fleiſch. Der Adel würde über Mic die Nafe gerümpft ha⸗ 
den, weil fie nur ein balbes Wappen führten; fie ſelbſt mir 
den über ihren bürgerlichen Großvater die Rafe gerämpft 
haben, weil er Schuld an ihrer adelihen Halbheit gewefen 
märe; und in allen bürgerlichen Gefellihaften würde man 
wieder über fie die Nafe gerämpft haben, wegen des alber- 
nen Dünfels. AH diefes gegenfeitigen Nafenrümpfens find 
mir nım quitt und loe. Sept deitathet Concordia meinen 
Reffen. Bir find fhon Compagnons im Handel und diefe 
Ehe wird unfere Intereffen noch näher verbinden. 

Es waren mehrere Gäfe beim Kaufmanne zu Tiſch 
geladen. Sie fpazierten vor dem Eſſen im Garten in ver- 
ſchiedenen Gruppen umber. 

Allein die fhöne Concordia, um derentwillen wir au 
die Subereitung und die ganze Reife gemacht hatten, fahen 
wir nicht. Cie hatte Kopfſchmerzen vorgegeben, und blieb 
auf ihrem Zimmer. Herr van Leuven, der „ der Mahl. 

Dehlenſ. Echeiften. XVII. 








82 Die maͤnnliche Braut. 


zeit mit mir allein in einem großen fleifen Hedengange im: 
entlegenen Winkel des Gartens fpazierte, war untröſtlich. Gr 
hatte deutlich) an mehreren Aeußerungen gemerkt, dag der 
Tochter nichts fehle, und dag es weder des Baters nod des 
Liebhabers Schuld fei, dag fie nicht komme. Es mußte alfo 
Zorn gegen van Leuven fie dazu bewogen haben, weil fie 
glauben mochte, er babe ſich wirklich verheitathet. — Bas 
iſt num gewonnen? feufzte er. Ach, alles it verloren! Nur, 
um Gelegenbeit zu finden, fie allein zu fpreden und zu ei 
ner ſchleunigen Flucht zu überreden, habe ich dies Gaufel- 
fviel getrieben. Aber fie will mid) nicht fehen. Großer Gott! 
bat fie mid) denn wirklich vergeffen? Will fie den erbärmlie 
ben Menſchen, der nur an Zahlen und Geld denkt, heira- 
then? Umd zürnt fie, weil ich fo zur Unzeit erfheine? — 
Er lehnte ſich an meine Schulter, drüdte meine Hand an 
fein Herz, und ich fühlte eine heiße Thräne darauf Fallen. 

Ei, ci! wie Ihr doch fo verliebt in Eure junge Frau 
feid, ſprach eine kreiſchende Stimme, da Ihr mit Euren 
Xichlofungen nicht einmal warten Fönnt, bis dag Ihr nach 
Haufe kommt. — Ich ſab auf, und bemerkte eine Hägliche 
Negerin, die mit zornigem Geſichte vor uns ftand; die gro« 
sen breiten Lippen hatte fie zu einem höhniſchen Lächeln 
beinahe bis an die Ohren hinaufgezogen, und mit den 
meißen Zäpnen fletſchte fic uns an, als ob fie uns beißen 
wolle. 

Ad, Mingal bit Du da rief van Leuven; liebe, treue 
Minga, wo iſt Deine Mig? Wo ift meine Concordia? — 
Eure Concordia, antıvortete die Schwarze höͤhniſch, ſendet 
Eud diefen Brief. — Er öffnete zitterad den Brief und las: 

Treulofer Karl Franzi 
Während drei Jahren habe ih nur an Euch gedacht! 


. Die wännlige Braut. 83 
Nur Euren Namen nonnte ic in meinem Morgen- und 
Abendgebet. Das Veilchen zeigte mir nur Eure Treue, die 
Nofe Eure Liebe. Wenn it Muſit hörte, war es cin Wort 
meines Geliebten aus der Ferne. Spiegelte der Mond ſich 
in meinen Thränen, fo tröftete es mid), dag er aud Eure 
Trauer fähe. Ih hatte Verzicht auf alle Jugendfreuden 
geleiftet, denn Wehmuth und Sehnſucht waren mir mehr 
als Gegenwart und Vergnügen. Nun ift das Alles wie 
ein Traum verſchwunden. Ihr habt Goncordia verlaffen, 
und feid noch fo graufam, mit Eurer Frau hieher zu kom⸗ 
men, um mid) zu verhößnen. Bon jet. an bat das Leben 
für mid, feinen Werth mehr. Ich gehöre nun ganz meinem 
Bater. Dem fonft Verhaßten reihe id meine Hand. Er 
iſt micht fchön, micht geiſtreich und micht reizend, allein er iſt 
ehrlich, und verfpricht nicht mehr, als er zu halten gedentt. 
Concordia Plürs feht Ihr nimmermehr. ' 


Gott im Himmel! rief van Zeuven, bla mie der Tod, 
diefem Irrthume muß ſogleich vorgebeugt werden. — Er 
nahm einen Bleiſtift aus der Brieftafche, und ſchrieb auf 
ein Meines Stuͤck Pergament: 


Himmlifhe Concordia! 

Alles it Irrthum. Ich bin nicht verbeirathet. Nur 
Zreundfhaft Hat fih dazu bequemt, die Nolle meiner 
Frau zu fpielen, um unfere Liche zu unterflügen. Gilt in 
den Garten! Die gute Minga wird Euch fageh, wo Ior 
treffen könnt Euren bis in den Tod getreuen und liebenden 

“ Karl Franz van Leuren. | 


Als er der Negerin diefe Zeilen vorgeleſen hatte, ver- 
ſchwand gleich die gehäffige Miene aus ihrem Geſichte 
6° 





4 Die männlige Braut. 


Kurz vorber hatte fie ihm wie ein nurrender Hund die 
Zaͤhne gezeigt, nun blidte fie ihm wie ein treuer Pudel ru⸗ 
big in’s Auge, und ſchnell wie ein Windfpiel eilte fie mit 
dem Zettel fort. 

Entzädung über Concordias treue Liebe wechſelte jept 
mit Belämmernig und Sehnſucht in feiner Bruf, und er 
konnte die Minuten kaum abwarten, die ihn noch von der 
Geliebten’trennten. Wie viel peinliher ward aber noch die» 
fer Zuftand, als ihm der Kaufmann Plürs entgegen kam. 
Er hatte ihn aufgeſucht. um ihm eine neue Bildfäule zw 
zeigen, die.er auf eimem grünen Rafenplage aufgeftelit hatte, 
und die den Mercurius vorſtellen ſollte. Das Bild, ſprach 
der Kanfınann, fei freitich nur von Holz; da er es aber 
Babe grau malen laſſen, und die Delfarbe mit feinem 
Sande gemiſcht fei, fo fähe «6 lelbhaftig aus, als ob es 
ein wirklicher Mercurius von Stein wäre. Ban Leuven 
fagte mir ein paar Worte in’s Ohr, id) mußte Müdigkeit 
vorgeben und blieb auf der Bank figen, damit Jemand da 
fei wenn Concordia fäme. 

Es dauerte nicht lange, fo eilte ein fhönes ſchlankes 
Mädchen durch den Bang hinauf. Jhr Gefiht ann ich 
Euch nicht beſchreiben, fo etwas mug man geſehen haben. 
Bas hilft es, wenn id Euch erzähle, daß fe beinahe 
ſchwarze Haare hatte, wie eine Brünette, weiße Haut und 
blaue Augen, wie eine Blondine; dag die Glieder ihres 
Körpers in den fhönften Verhaͤltniſſen zu einander ſtanden; 
dag Schüchternheit und Charakter in ihr feltfam vereint 
waren? Dag kindliche Undefangenheit und die ernfte Schwär« - 
merei eines gefühlvollen Herzens in ihren Bliden fo unter 
den großen Wimpern bervorlenchteten, wie die Morgenfonne 
durch eine dunkle Wolfe? Meine Urenfeiin, die Heine Gore 


Die minnlige Braut. 85 


dula da, gleicht ihr etwas, nur dag fie lichte Haare hat. 
Sie war fhliht und doch geſchmacvoll angezogen. Sobald 
fie mid) ſah, eilte fie mir entgegen, flog mich in ihre 
Arme, drüdte mic an den Bufen, fügte mid) zu wiederhols 
ten Malen, und rief: Liebe, undekannte Freundin! Um 
Gottes Willen, vergebt, dag ih Euch vertanut habe! — 
Ein elektriſches Feuer durchzuckte mid, wie Ihr wohl bes 
greifen könnt, und es foftete mich viel, zu geſtehen, dag fie 
mich noch vertenne, und dag ih ein Mann fi. — Cie 
fuhr erfhroden und beſchämt zurüd, faßte ſich aber gleich 
und fprab: Auch gut! Noch befier! Den Dank habt Ihr, 
er ift Euch von Herzen gegönnt. 

Jetzt tam Herr van Leuven zurüd, und Minga und id 
zogen uns zurüd, um Wade zu halten, und um den Lite 
benden Gelegenheit zu geben, ſich ungefört zu ſprechen. Die 
Küffe der Schönen brannten mir noch heiß auf Linpen und 
Bangen. Bir gingen an einer Duelle vorbei; id) ſchöpfte 
zitternd Waller mit der Hand, trank envas, und wufd mir 
das Gefiht, es weilte aber als nichts helfen. 

Yıöplid kamen uns die beiden Liebenden ängrtlik und 
blaß entgegen. Hiwmel, liebe Dinge, rief Concordia häns 
deringend, haft Du ſchon meinem Vetter Anton Plürs den 
Brief gebraht, den ich ihm in der erſten Aufwallung mei⸗ 
nes Herzens ſchrieb, und morin id) ihm mein Jawort gab? 
— 3% traf ibn nicht auf feinem Simmer, antwortete 
Minga, aber id legte den Brief auf den Tiſch im Luſt⸗ 
baufe, wo er gewoͤhnlich feine Pfeife raucht und fein Mit⸗ 
tagsfhläfdyen hält. — Laufe um Gottes Willen, rief Eon» 
cordia, und hole den Bricf zuräd, wenn er noch da Liegt. 
Laufen, erwiederte Minga, kann ich fo gut wie eine, ob 
aber der Brief noch da liegt, weig id nicht. 


86 Die männlige Braut. 


Eie lief fort und fam bald darauf mit der traurigen 
Nadricht zuräd, daß der Brief ſchon vom Tiſche wegge⸗ 
nommen fei. — Das ift Gottes Etrafe, rief die fhöne 
Concordia, weil ich glei in Zorn gerietb und mid) raͤchen 
mollte. Den Anton Plürs nehme ic nie, mein gelichter 
Karl Franz, feitdem id von Eurer Treue und Redlichteit 
überzeugt bin. Ich folge Eud) wohin Ihr wollt. Allein 
böhrt unangenehm ift doc) diefer Zufall. Ih babe noch 
nie einem Menſchen etwas vorgelogen, nod nie mein Wort 
gebrochen, und jet, jept muß ich es doch thun! 

Bir waren Alle über dies Ereigniß verfiimmt. und 
wurden es nod mehr, als uns der Vetter Anton Plürs 
fehr vergnägt mit einem offenen Briefe entgegen fam. Als 
er ihr aber den Brief reichte und fie erfuhr, es fei rur eine 
angenehme faufmännifhe Correſpondenznachricht, ſchoöpfte 
fie wieder Muth und äußerte gleichgültig ihre Zufriedenheit 
darüber. Als er aber auh Plag bei ung nehmen wollte, 
fagte fie ruhig: Lieber Anton. laßt ung bier einen Augen» 
blick allein. Herr van Leuven beſucht ung nicht wieder, er 
reift nad Oftindien. Mein Vater wird nichts dagegen ha⸗ 
ben, daß ih unferm Freunde in feiner Gemahlin Gegen- 
wart das letzte Lebewohl fage. 

So entfernte ſich denn der beſchwerliche Liebhaber, um 
feiner Coufine nicht zu mißfallen, und tröftete ſich vermutbe 
lich damit, daß dies Gefprädy mit dem beneideten Neben- 
buhler das letzte fei. 

Goncordia folgte ihm ſpähend mit den Augen und 
ſprac: Ich begreife das Alles nicht! Er ſcheint den Brief 
noch nicht befommen zu baben- und doch liegt der Brief 
nit da. Iſt er vielleicht meinem Vater in die Hände ger 
fallen? Das wäre nod ärger! 


Die männlige Braut. 8 


In diefem Augenblide hörten mir eine Schelle Klingen; 
es war der Meine Beautiful, der Schooghund und das 
Schooßlind ‚Soncordiens, der mit dem Briefe im Munde 

laufend kam, um ihn feiner Herrin zu bringen, wie er oft 
zu thun pflegte, wenn er von ihren Sachen etwas fand, 
das cr am Gerud erkannte. Anton Plürs begegnete dem 
Hunde, und als er fah, er trage einen Brief im Munde, 
wollte er den Meinen Beautiful an fi loden und fangen, 
um ihm den Brief aus den Zähnen zu reißen. Man denfe 
fi) Concordia's Schrecen; denn die Aufſchrift war ja chen 
an den Verhaßten. Der Hund entwich ihm aber behend, 
lief zu feiner Herrin, ſprang ihr auf den Schooß und reichte 
ihr den Brief, den fie ſchnell in die Taſche fedte. Anton 
Plüre fam herbei und mollte wiſſen, von wem der Brief 
fei und mas er enthalte? Das geht Eud nichts an, ſprat 
Goneordia raſch, die jet wieder Athem ſchöpfte, nod habt 
Ihr mir nichts zu befehlen, noch feid Ihr nicht mein Herr; 
ob Ihr es jemals werdet, ift eine große Frage. 

Er ſchlich ſich beſchamt von dannen, und fo war Alles 
wieder im Gleife. Die nöthigen Verabredungen wurden 
von den Liebenden getroffen, und Concordia ging wieder 
auf ihr Zimmer; wir nahmen Abſchied von der Geſellſchaft 
und fuhren nad der Stadt zurück 





88 Abſchied von Konenbagen. 3 


12. 
Abſchied von Kopenhagen. 





Die Flucht war gelungen, und die Trauung in aller 
Eile heimlich in der Etadt, in Gegenwart der nöthigen 
Zeugen geſchehen; ein Schiff lag fegelfertig auf der Rhede. 
um uns nad Dftindien zu führen. Ban Leuven hatte den 
beiden Eltern Briefe Hinterlaffen. Der Inhalt war: „Gr , 
ſaͤhe recht gut ein, daß ehrenwerthe Männer, die beide ei⸗ 
nen großen Theil ihres Lebens thätig, ihrem Etande ge- 
mäg, genoffen Hätten, feine Veränderungen wünſchten; daß 
fie gern ihre Kinder nach fih bilden wollten. Es fei auch 
gufer Kinder Pflicht, den Eltern zu gehorfamen. ſich nad 
ibren Tugenden zu bilden, ja fogar ihre Eigenheiten zu adj 
tem und zu fhonen. Er glaube aber, Gott vergebe es den 
Kindern, dag fie gegen der E.tern Eigenfinn bandelten, 
wenn diefer das hoͤchſte Glück ihres eigenen Lebens au vers 

uichten drobe. Er theile ihre Meinungen, was den Stan 
desunterſchied betreffe, nicht. Eben, damit die Geſchlechter 
ſich nicht ſtets von einander trennen follten, und fo zulegt 
entarten, habe Gott die Liebe in die Herzen gepflanzt, wo⸗ 
durd das Neue, das Ungewohnte und Fremde plöplid, wie 
durch einen Zauberſchlag dem Gemüthe theuer und ere 
wuͤnſcht werde. Durch Umpflanzungen und Ginimpfungen 
gewinne ſowohl das Menſchengeſchlecht als der Baum. Die 
fi gar nit miſchten, würden zuleht blödfinnig. Woher 
ſchreibe ſich fonft der Gräuel der Blutſchande, als aus die 


Abſchied von Kopenhagen. 80 


sem Gefühle? Was nun Concordien und van Leuven be⸗ 
treffe, 10 märe ihr Stand gar nicht fe verfdieden. Ihre 
Eltern feien beide Kaufleute, ob adlich oder bürgerlich, das 
thue zur Saqhe nit. Sie hätten beide lange in freund⸗ 
ſchaftlichem Verkehr zu einander geftanden und Geſchäfte 
abgemacht: dieſe Heiraty werde ihnen größeren Vorteil 
dringen. Cie hätten ſich fange einen treuen Commis auf 
der Infel Ceylon gewünfdt; er, van Leuven reife jegt mit 
feiner jungen Zrau dapin, um ſich mit ihr fünf Jahre dort 
aufzuhalten. Während der Zeit wolle er ihre Geſchäfte auf 
der Infel mit größter Treue und Fleiß beforgen; und wenn 
er nadıher wieder nad) Gurena reife, einen zuverläfigen 
Mann verfhaien, der ihm ablöfen fünne. Auch in’ der 
Ferne würden fie ihre Eltern lieben, und täglih zu Gett 
für ſie beten; und der Allmägtige der die bimnmlifhe Liebe 
in ihre Herzen gepflanzt hätte, würde fie auch als treue 
Kinder zurüd in die Arme ihrer verfüpmten Eltern führen.“ 

Ic war meder zugegen bei der Hochzeit, noch bei dem 
Eleinen Abendſchmauſe, den van Mandern beforgt hatte, ob⸗ 
ſchon id) eingeladen war. Warum? Id) hatte Unpaͤßlichteit 
vorgegeben. Was fehlte mir denn? Soll ich es ſagen? Die 
Küffe der fhönen Gonrordia brannten mir noch beiß anf 
Lippe und Wange. Ib mar fterblid in fie verliebt, und 
obſchon id Herrn van Lenven chrie und fhäpte, war es 
mir doc unmöglich, Zeuge feiner Trauung wit der ſchönen 
Gngländerin zu fein. 

Cie liegen ſich noch denjelben Abend nach dem Schiffe 
hinaus rudern, ich folte noch eine Nact bei dem Anker⸗ 
ſchmiede bleiben und erſt morgen folgen. Grdanten und 
Berathſchlagungen kreuzten fi) fo in meinem Kopfe, daß 
ich die ganze Nacht nicht ſchlafen konnte. Zuerſt beſchloß 


n Abſchied von Kopenhagen. 


ich, nicht mitzureifen. — Ban Leuven, dachte id), ift ein 
Biedermann; er verdient nicht, daß Du feine Offenheit hin« 
tergebeft, daß Du ihn heimlich beneideft. Diefe Glut fün- 
nen nur Zeit und Trennung fühlen. Was ftürze Du Dich 
muthwillig in den Krater hinunter? Noch ift es Zeit, den 
Zug vom Abgrunde zurädzuziehen. 

Dann dachte id wieder: Du haft ihm Dein Wort ge 
geben, ihn zu begleiten, er rechnet darauf, dein Ausbleiben 
würde ihn in Verlegenheit fegen. Junge Liebende brauchen 
einen verftändigen, ruhigen Freund in der Nähe. — Biſt 
Du denn ein folder verftändiger, ruhiger. Freund? fragte 
ich mid wieder? — ber, mein Gott, was fol id denn 
thun? Kann ic ihm die wahre Urfache fagen? Und ſag' 
ich fie nicht, muß er mid) nicht für einen undankbaren und 
manfelmüthigen Menſchen balten, ohne alles Zartgefühl? 
Und fol fie das von mir glauben? Soll fie der einzige 
Kup gereuen, den fie mir gegeben hat und je geben wird? 
Und will ich wirklich die füge Goncordia nie wiederfehen? 
Nein, nein! Id reife mit. Allein, bei Gott! ich will meine 
licht als Freund und Menſch erfüllen. 

Als ich fo mit mir felber einig geworden war, nahm 
id von meinem waderen Birthe Abſchied. Er wollte mich 
aber durchaus nad dem Schiffe begleiten. 

Er war heute nicht betrunken und fehr freundlich ger 
gen mid, denn er hatte mich lich gewonnen. Ich wi mid 
ein Stündlein nod mit Dir Icgen, fagte er; den Bein habe 
ich immer, und wenn ic trinke. fo Iche ich in meinen eige⸗ 
nen Einbildungen und Vorftellungen, umd Lehre mid den 
Henfer an IJemanden, dann habe ich aud) nid? die nötbige 
Aufmertfamfeit für meine Freunde. — Ich war dem ehr- 
lichen Manne auch recht gut geworden, der mir fo viele 


Abſchied non Ropenbaget. 9A 


Dienfte geleiftet hatte, ich drüdte ihm Herzlich, die Hand und 
bat ihn, fünftig doch nicht mehr fo viel Wein zu trinken. 
Er verſprach es mir gleich ohne Widerfprud), id zweifle 
aber, dag er Wort gehalten habe. Mir ruderten an der im 
Hafen liegenden däniſchen Flotte vorbei. Die fhöne rothe 
Flagge mit dem weißen Kreuz wehete überall. — Wenn , 
wir Dänen diefe Flagge betrachten, ſprach der Schmid, Dann 
färbt ſich unfere Stirn auch roth von altem Nationalſtolz. 
Sind wir dod die älteften Sceleute Europens. Als noch 
feine Benetianer, Genuefer, Holländer und Engländer wa⸗ 
ren, befegelten mir ſchon das Weltmeer und die Flüſſe und 
verdreiteteten unfern Ruhm, wohin wir kamen. 

Der Anterfhmid befticg mit mir das Berded, mo ſich 
ſogleich die ganze Mannſchaft binzudrängte, um den fonder» 
baren Trinker zu fehen. Als er den großen neuen Anfer 
fab, den er felbft gefhmicdet hatte, und der jegt feine erfte 
Reiſe mitmadyen follte, ward ihm ganz weich um’s Herz, 
und er fing ordentlich an, den Anfer wie ein geliebte Thier 
zu ſtreicheln und zu liebtofen. — Bift Du da, mein Junge? 
fagte er; num, das ift gut, glücliche Reife! Gehab' Dich 
wohl! Seefrant wirft Du nimmer werden. Grüße die 
Wallfiſche, die Seeſchlangen, die Haie und Delphine viels 
mals; und merde nicht ſtolz und vergig nicht, menn Du im 
tiefen Beltmeere unter Korallen liegt, und mit ſeltſamen 
Gemwäcfen und Pflanzen Bekanntſchaft machſt, Deinen al» 
ten Matz Hanfen und die fröplihen Stunden, die wir im 
Auftigen, feurigen Elemente mit einander zugebracht haben. 
Du bift ja ein Bild der Hoffnung! So fei denn auch ſtark 
wie die Hoffnung auf Gott, und faß nie diefe chrlihen 
Leute verzweiflungsvoll die Hände ringen. Halte feſt mit 
Deinem Hafen, wenn der Wind pfeift und die Belle fhäumt. 


9 Abtchied von Kopenhagen. 


Sollleſt Du aber endlich einmal liegen bleiben, weil das 
faule Tau nicht länger im Stande it, Did wieder hinauf 
zu ziehen, fo liege getroft da, bis zum jüngften Gericht. 
Uud wenn einmal der Teig der Erde wieder umgeknetet 
wird, dann verftede Dich ſchlau in cin Stud Thonſchiefer 
oder fo etwas. damit man Did verfteinert in künftigen 
Naturalien- Kabinetten aufbewahre, und ſich über den auf 
Dir eingegrabenen Borten: „Maß Hanfen“ vergeblich den 
Kopf zerbrede, ob es Chaldäiih, Egvptiſch oder Syriſch fei. 

Unfer Schiff war neu und fhön, und beinahe fo groß 
wie eine Fregatte, nur hatte es fehr wenige Kanonen. Der 
Schiffskapitãn, ein geborner Franzofe, hatie einen Meinen 
Tiſch auf das Verded binftellen laſſen, mit zwölf Bouteil« 
len des beiten Bordeaurweines und einigen geräuderten 
Speifen befeßt. Rund umher waren Stühle in eine Neige 
geftclt, als ob ein Schaufpiel aufgeführt werden follte: al 
les, (wie ich nachher hörte) um der fhönen Frau van Leise 
ven einen Spa zu mahen. Der Kapitän ſprach Halli 
diſch, was der Ankerſchmid verftand, reichte ihm die Hand 
und fagte: Weil Ihr mir den Anker fo wohlfeil verkauft 
Habt, Meifter, ſoll es mir auf ein Duzend Bouteillen guten 
Bordeaurer nicht anfommen. Seht Eud und früpkädt. — 
Mag Hanfen ſchielte ihn an wie ein mürrifher Hund, dem 
wan aus einem Glaſe zu trinken reicht, und antwortete: 
Dante vielmals, Herr Kapitän 2eimelie; als wir um den 
Unter handelten, waret Ihr nicht fo freigebig. Ich trinke 
nur in Geſellſchaft, oder für mein eignes Geld. Ihr habt 
ja ordentlich da eine Komödienbude aufgerihtet; glaubt 
Ior, daß ich Euer Hanuswurſt fein will? So trinten viele 
leicht die Franzofen, aber die Dänen nit. — Habt Ihr 
doch auch beinahe fo im königliche Luſthauſe gezet, ante 


Abſchied von Kopenhagen. 93 


wortete der Kapitän ſpottiſch. — Das that ih meinem 
großen Könige zu Gefallen, ermiederte Map Hanfen ſtolz; 
rien Chriftian dem Bierten von Dänemark und Kapitän 
Lemelie ans Havre de Grace ift doch wohl einiger Unter 
ſqied; obſchon ich wohl weiß, dag Ihr ein Edelmann feid- 
Dort war ja au ein Kerl, ein Aneet, der mir Beiheid 
thun konnte. Ihr ſcheint mir aber der Mann nicht dazu 
zu fein. — Der Kapitän erblagte vor Aerger; er hatte 
ein recht hübfhes, aber mir hoöͤchſt widerliches Geſicht. Här 
miſche Liſt ſuchte fih in den großen, mattblauen Wagen, 
die einen Menſchen nie gerade anfeben konnten, vergeblich 
zu verbergen, und das falſche Lächeln auf feinen ſchmalen 
Lippen war füß und giftig, mie Bleizuder. — Gr ſuchte 
ſich jegt ſchnell zu fallen, was ibm nit ſchwer fiel, und 
fing an, den Schmid aufzuichen, um ihm noch mehr in 
Harniſch zu bringen. — Map Hanfen fagte aber ruhig: 
Berfteh” Euch ſchon. Herr Lemelie: Ihr feid hier im Schiffe 
Gert umd Gebieter, möchtet mic) gern beben, damit ich Ha⸗ 
der und Zant anfinge, and mid gegen Euch vergäße! Dann 
tanutet Ihr mir als Meuter meine rechte Hand mit einem 
Meſſer an den Maftbaum nageln lafien. Nein, das ſol 
wicht geſchehen! Mit diefer nervigten Rechten, die der Wein 
nad) nicht geſchwaͤcht bat, drüde ich zum Abſchiede die Hände 
meiner Freunde Albert Julius und van Leuven. Noch lange 
Zeit Hoffe ih Damsis den ſchweren Hammer umd das leichte 
Glas zu ſchwingen. Soltet Ihr aber Zur haben, Euch 
mit mir wieder aufs Land nach dem Weinhauſe zu bemäs 
ben, mo Ihr fein Wort zu befeblen habt, da ſieht Euch 
dieſe gute Fauſt in allem zu Dienfen. Da wil ih Euch 
unter den Tiſch trinken, oder aus dem Zenfter ſchmeißen 
mie es ſich fügen mag. Hier empfehle ich mid. 


94 Abſchied von Kopenhagen. 


Damit verlich uns der gute Schmid, ‘und wir waren 
alle auf den Kanitän verdrieplidh, dag er dem ehrlichen 
Bürger fo verädtlic begegnet babe. Was ging ihn fein 
Trinken an, wenn Maß Hanfen es vertragen Lonnte, und 
ſonſt ein rechtlicher, ordentlicher Mann war? Und das war 
er. Es giebt in der Natur mitunter ſolche Ausnahmen, 
ſolche Niefenfonftitutionen, die fi alles erlauben können. 
Map Hanfen war eine davon. Herr van Leuven und ich 
minften ihm unfer Lebewohl zu, als er ſich fortrudern lieg. 
Er hatte eine Flaſche Wein im Boote verftedt mitgehabt, 
diefe nahm er hervor, ſchwenkte feinen Hut, feßte die Flaſche 
vor den Mund und ſo verſchwand er, indem fein Boot bei 
einem großen vor Anker liegendem Schiffe umlenkte, und wir 
ſahen ihn nie wieder. 

Im Schiffe hatten die jungen Gpeleute ihre eigene 
hübſche Kajüte. Drunten fand ic die fhöne Concordia, 
die treue Minga und den Meinen Beautiful mit feiner 
Stelle. Er lief undeforgt umber, und war feiner Herr⸗ 
ſchaft gefolgt, ohne zu ahnen, welche lange Reife er untere 
nommen babe. Concordia reichte mir ibre fhöngeformte, 
ſchneeweiße Hand; ich küßte fie zitternd und erröfhete über und 
über. — Man follte nod glauben. dag er ein Mädchen fei, 
ſprach van Leuven Lüceind, fo ſchuͤchtern und blöde ift noch 
der gute Albert. Doch das giebt fi bald, — Wir dürs 
fen einander nicht fremd bleiben, — fagte Concordia. — 
Mein Karl Franz und ic ſprechen Holländiid, Ihr Deutſch. 
fo verftehen wir uns ohne Schwierigkeit. Ich babe (dom 
fo viel Gutes von Euch gehört, lieber Julius: ich hoffe, 
wir werden recht vergnügt met einander in Geylon leben 
wo die herrlichen Zimmtbäume wachſen, mit deren füger 
Ninde die Europäer ihren Reisbrei beſtreuen. — Dieſe 


Abihied von Kovenbagen. % 


Ninde, ſprach van Leuven, wird ung in den Stand ſehen. 
das Mart des wahren Lebensbaumes zu genießen. — Ih 
ſtimmte aud) mit in diefen Ton ein, und bald war die Bes 
tanntſchaft gemacht. Concordia war heiter und aufgewedt, 
augleicy aber auch tieffühlend und ernft. Ihr Herz mar 
weich, ihr Charakter feit, kurz, fie war das herrlichſte 
Bein. — Cs it mir oft aufgefalen, fagte fie. wie Sa- 
en, die in Europa von Einzelnen fo wenig genoflen und 
geachtet werden, den Kaufınann doch fo erſtaunlich berei⸗ 
bern fönnen, blos, weil alle Menſchen ein Geringes davon 
brauchen. er in den Meinen armſeligen Familien, der zu 
feinem Kaffee cin Bischen Zuder in den Mund nimmt, eine 
Diefferfpige Pfeffer auf feine Erbfen freut, ein kleines 
Stůct Ingwer in feine Suppe thut, oder feine Wäͤſche mit 
einigen Gran Indigo bläuf, denkt wohl daran, d.B cr das 
zu beitrage, Mitlionäre zu maden? 

Nachdem wir die Seckrantheit glůclich Überftanden hat. 
ten, fuchte Jeder auf feine Weife ſich die Zeit zu vertreiben. 
Concordia ſchlug vor, mid Engliſch zu lehren, und wie 
gern milligte ih ein, ihr Schüler zu fein. Lemelie wollte 
fie wieder Spanifd lehren, denn er verftand die meiften le⸗ 
benden Epradyen gut. Sie danfte iym höflich, entſchuldigte 
fi) aber, dag fle nicht Aufmer:famfeit genug befipe. um 
Schülerin zu fein; Lehrerin, befonders ihrer eigenen Mut · 
terſprache zu fein, ginge ſchon leichter. Auch meinte fi, des 
Kapitäns Gegenwart auf dem Berded molle alle Augen» 
biıde vonnöthen fein. — Nicht, wenn wir unter den Vaſ⸗ 
fat fommen, ſprach Lemelie, mit gezwungenem Lächeln ftir 
nen Zorn verbergend. 

Ich mertte wohl, daß er mic) beneidete, wenn id der 
fhönen Frau fo nahe faß, dag meine Wange beinahe die 


[73 Ubſchied von Kopenhagen. 


ihrige beräßrte, und ihr Athem die meinige bethaute; wenn 
mein, Auge mehr auf der ſchönen Hand ruhete, die das 
Bud) hielt, als auf dem Bude felber. Concordia merkte 
recht gut meine Zerſtreuungen. und laͤchelte mitunter dar 
über; doch dräte dies Laͤcheln weder Spott noh Mifver- 
gnügen aus. Es gefällt auch einer tugendhaften Frau, mit 
Geiſt und Herz ſich von einem Manne gehuldigt zu fehen, 
den fie achtet und leiden mag. Ban Leuven war nicht eis 
ferfüchtig; daß id) von feiner Fran bezaubert war, fand er 
nicht blos natürlich, ſondern auch nothwendig. Er erfannte 
in mir einen unſchuldigen Jüngling, und war nicht meinet⸗ 
wegen beforgt. Diefe Großmuth verpflichtete mich ihm noch 
mehr, und machte unfer gefelliges Berhältnig edel und an- 
genehm. 


13. 


Macbeth und die Seeräuber. 





Sobald ic) im Engliſchen cin wenig vorgerudt war, fing 
Concordia an, mid mit des trefflihen Shakeepear’s Wer- 
fen befannt zu machen. Diefer Shakespeare war ihr Stamm» 
vater mätterliher Seite, denn fie war eine-Entelin feiner 
‚geliedteften Tochter Sufanna, an den Doctor und Arzt John 
Hall verheirathet. Ihre Großmutter lebte ned), ihre eigme 
Mutter war aber in den Wochen mit ihr geftorden. Sie 
erzählte mir manderlei von dem herrlichen Shakespeare, 


Macbeth und die Seeräußer. 7 


der in die Charaktere und Gemütber der Menfchen fo tief 
geſchaut hat. Sie zeigte mir auch fein Bild: ein kräftiges, 
offenes Gefiht. In den Ohren hatte er Heine Obrringe. 
— Bartet einmal, die ann ih Euch wirklich zeigen. — 
Sie eilte bin, öffnete einen Schrank, und brachte ein Kaͤſt ⸗ 
chen mit Baumwolle, woraus fie ein Paar ſchlichte goldene 
Oprringe nahm. — Da find fir. rief fie ſtolzz das find 
Shatespeare's Ohrringe. Heute will id feine Obrringe 
tragen. 

Minga mußte ihr belfen, ihre eigenen abzunehmen und 
die Shatespear ſchen wieder in die Obrläppden zu fteden. 
Da ſaß nun die fhöne blühende Ur» Enkelin des großen 
Dichters, mit den Beinen goldenen Ohrringen in den zart 
geformten Ohren. Als eine wahre Julia, als eine reizende 
Viola faß fie da. 

Sie hatte mir etwas von der Tragödie Romeo und 
Julia erzählt, und ich flug ihr vor, diefelbe mit mir zu 
Iefen, fie wählte aber den Macbeth. 

Zemelie war oft in meinen Unterrihtsftunden zugegen, 
nicht. um das Stüd zu hören, das er immer kleinlich kriti⸗ 
firte, fondern um meine Freude zu fören. 

Das ift ein abſcheuliches Stüd, diefer Macbeth, rief 
er voll Unmutb, als wir zu dem Tode des Boͤſewichts im 
legten Akte gefommen waren. So etwas darf ein Dichter 
wicht Fildern; ein Gediht darf nur angenehme Empfin- 
dungen erweden, und bei diefer Dichtung Lönnen Einem ja 
die Haare zu Berge ftehen, wenn man nicht mehr Courage 
bätte, als diefer Macbeth, der im Grunde ein erbärmlicher 
Tropf iR, denn er hat alle Augenblicke das Hafenfieber. 

Dies Meifterftäd, erwiederte id, rührt von einem böchft 
menſchlichen milden Genius her, der mit den von Laftern 

„Sehlenf. Cchriften. XVII. 7 


%* Macbeth und die Sceräuber. 


und Leidenfchaften verirrten Menſchen, in deren Herzen noch 
nicht der lehte Funke des Gewiflens ausgelöfcht ift, Mitleir 
den fühlt. Die Handlung diefes Dramas befteht nicht ſo⸗ 
wohl in Macheth's Verbrechen, als in dem Kampfe feines 
Gewiſſens vor und nad) der That. Sein Weib ſcheint frei» 
lich noch teufliſcherer Natur zu fein; fie bept ſich aber ſelbſt 
mit graͤßlichen Worten, chen weil fie innerlih im Herzen 
nit ruhig fündigt. Und wenn fie feläft, behauptet Die 
Natur ihre Rechte, und als Traummandierin gefteht fie, 
was ihr wachend Stolz und Furcht zu fagen verbieten; ja, 
fie erkrankt. fie flirbt vor Verzweiflung. Alles in dieſem 
trefflichen Werke verräth den tiefften Menſchenkenner. 

Wie lacherlich, bemerkte Lemelie, von Menſchenkenntnitz 
und Natur in einem Stüde zu reden, das von lauter Un⸗ 
naluͤrlichteiten und Albernheiten zufammengefeßt it. Die 
Heren wahrfagen ihm ja Alles voraus. So ift Alles ja 
auf den Fatalismus gegründet. Macheth ift unfhuldig; 
Gott oder der Teufel treibt fein Spiel. Und das ift noch 
das Vernänftighe von Allem, fuhr er nad einer Meinen 
Vauſe fort, denn ich bin felbft zu dem Glauben geneigt, 
daß feurigen, lebendigen Naturen nicht immer das anzu⸗ 
rechnen fei, was die Welt im gewöhnlichen Leben Sünde 
nennt. 

Soft bewahre! rief id), fo hat es gemig Shakespeare 
nicht gemeint. Diefe Heren find nur Macheth's eigene 
böfe Leidenſchaften und Neigungen. So treten diefe firen 

Ideen vor Macheth, fo offenbaren fid die verzerrten Geftal« 
ten feines böfen Willens, diefe Miggeburten zweier Grtreme, 
die immer verbunden find: Graufamfeit und Furcht, als 
bärtige Weiber, und legen die ausgezehrten Zeigefinger 
auf die weiten Lippen. 


Macbeth und die Seeräuber. ” 


Biel Geſchrei und wenig Wolle, rief Lemelie, das ift wohl 
auch der Mühe werth, eines folden einzelnen Todſchlages 
megen fo viel Aufbebens zu machen. Wie oft. nd nicht 
weit größere Miffethaten verübt, gegen welche diefe eine 
wahre Kleinigkeit ift. So mas thun die türfifhen Sultane 
alle Tage; zu ihrem Vergnügen enthaupten fie oft den 
Sklaven, der ihnen den Steigbügel Hält, während fic ſich 
in den Sattel ſchwingen. Und wie haben die Chriften, die 
Kreuzfahrer, die Inquifition, die Katholiken und Ketzer ge⸗ 
‚gen einander gemüthet. 

Mit ſolchen Gräueln, antwortete ih, Tann fid die 
Dichttunſt nicht befaſſen. Der Dicter kann nicht Tiger, 
Hyänen, Bölfe, Brillen und Klapperfhlangen auf die 
Bühne bringen. 

‚Herr Lemelie, bemerkte Concordia, ſcheint fi) zu mir 
derforedhen, erft ift ihm Macbeth zu graͤßlich, dann if er 
ihm nicht gräßlic genug. Ihr meint, Shatespeare könne 
feine berzlofe kalte Böfewichier ſchildern. ohne Gewiſſen und 
Neue? Left einmal den Dtbello, Herr Lemelie, und fagt 
mir dann, wie Ihr mit Jago zufrieden feid. Ich ſollie 
meinen, er fei niederträhtig, keck und unverfhämt genug. 

In diefer Unterredung wurden wir geſtört, indem ein 
Matrofe in die Kajüte trat und meldete, ein maroftanifder 
Seeräuber ſehe uns aus allen Kräften nad) und merde ung 
bald einholen. Concordia erblagte, aud mir ward bei dire 
fer Nachricht nicht wohl zu Muthe. Lemelie ließ ſich aber 
von nichts anfechten. Nachdem er durch das Fernrohr die 
Schebede ausgeſpäht und bemerkt hatte, Daß das Schiff voll 
von Menſchen mit Saͤbeln in den Händen gerade auf uns 
168 fteure, fam er wieder zu uns in die Kajüte hinunter 
und rief hoͤhniſch: Nun. Wadgme, wird es bald bier är- 

7 


100 Macbeth und die Seeräuber. 


ger, als in Macbeth zugehen. Die Heren nahen ſich ſchon. 
Wolt Ihr nicht Euren großen Poeten bitten, daß er ung 
zu Hülfe komme, fonft ift es um unfer Zehen und Eure 
Tugend geſchehen. Die Eorfaren haben nicht Romeo und 
Julie gelefen, fie werden Euch als Sklavin verfaufen, und 
ich mette, binnen drei Monaten Hat Eure Schönheit öfter 
Monde gewechſelt, als der Mond am Himmel. | 

Jetzt trat aud) van Leuven in Die Kajüte; gerührt, je- 
doch mit Faſſung ergrüf er feiner Gemahlin Hand und bat 
fie, nicht zu verzweifeln. Wir wollen uns wehren, ſprach 
er, bis auf den letzten Blutstropfen, und entweder mit Ehre 
leben oder fterben. 

B Lemelie lachte höhniſch. Ihr feld mir große Helden, 
ſprach er, ftehen die Barbaresten erft auf dem Verded, fo 
zerhauen fie uns zu Frikaſſee, und die fhöne Frau muß 
nachher zum Deferte dienen. Nur Lift und Gewandtheü 
önnen uns retten. — Wo wollt Ihr jegt hin mit Eurer 
zit, rief van Leuven. Die Barbaren verfichen weder Lift 
noch Tranzöfifh. Wie wilde Thiere fürzen fie mit ſcharfen 
Zapen auf uns ein. — Und fallen vieleicht in die Grube, 
antwortete Lemelie, kalt wie is. 

Darauf befahl er dem Konftabel, zwei Kanonen aus 
den Kanonenlöcyern berauszuzichen und fie auf dem Ver⸗ 
ded aufzupflanzen, in einen gewiffen Winkel fhräg in die 
Luft gerichtet. Diefen Winkel mag er forgfältig, nachdem 
er die Schebecke wiederholt durch's Fernrohr betrachtet hatte. 
Zugleich befahl er, feinen einzigen Schuß auf den Feind zu 
thun. Als die Corſaren zu bemerken glaubten, daß wir kei⸗ 
nen Widerſtand leiſten wollten, kletterten fie alle auf das 
Bugfpriet hinaus; und daran bängend mie ein Bienen« 
ſchwarm an einem Baumzweige, ſchwenkten fie die Säbel, 


\ 


Macbeth und die Seeräuber. 1 


tiefen: Allah! Alah! und erwarteten den Augenblid, wo 
fie vom quer über unfer Schiff binragenden Bugfpriete wür- 
den aufs Verded hinunter fpringen fünnen. Das war es 
eben, was Lemelie wollte, 

Blaß und kalt fand er wie eine Gisfäule bei feinen 
Kanonen. Noch immer maß er forgfältig den Winkel, wie 
der Tiſchler die Brettlinie, nach der er hobeln fol. Plög- 
lich drennen feine Kanonen 106, die Kugeln zerſchmettern 
das Bugfpriet. Der Maft und der ganze darauf wim ⸗ 
melnde Haufe ftürzen krachend und heulend, wie vom Blige 
getroffen, in die Wellen, und Ale finden da ihren Tod. 
Unfer Schiff fegelt jept feines Weges ungeſtört weiter fort; 
die Schlacht if gewonnen, die Gefahr vorüber. 

Diefer plöglihe Gtüdsmehfel wirfte heftig auf uns 
alle, beſonders auf Concordia, die febr erſchöpft ſich früh 
Nachmittags unentkleidet auf das Bett warf und eiuſchlum⸗ 
werte. Bir Männer waren alle ſeht vergnügt. Die Ma- 
teofen hatten doppelte Portionen Branntwein befommen, 
tiefen Hurrah und tranten des braven und Mugen Kapi-⸗ 
täns Gefundbeit. _ 

Der brave Lemelie, fagte van Leuven, wir haben ihm 
Unrecht gethan. Was kann er dafür, dag ihm die Natur 
fein gutes Geſicht gegeben? — Sein Gefiht, bemerkte id, 
iſt nicht häglich, nur etwas verdroſſen und ärgerlich fieht er 
aus. Er mag viel üble Erfahrungen gemacht haben, dar 
um traut er den Menſchen nicht gleich. 

Als Lemelie auf feinem Schiffe Alles wieder in Ord⸗ 
nung gebracht Hatte, und die Matrofen auch wieder ruhig 
waren, fam er zu ung hinunter, und lud van Leuven und 

mich ein, in feiner Kajüte ein Glas Punfh zu trinten, 
wäbrend die Weiber ſchliefen. 


102 Machetb und die Sreräuber. 


Bir fanden einen Punfhnapf auf dem Tiſche dam- 
pfend, fondern eine Theemaſchine mit kochendem Waſſer 
und dreisfhän geſchliffene gläierne Pokale, für Jeden einen 
bingefteltt. — Ic) trinke den Punſch am liebften wie Thee 
fagte Lemelle, man befommt ihn fo am wärmften, und er 
muß heiß genoffen fein, denn lauer Punſch ift ein erhärm- 
liches Geföffe. So ann ihn Ieder nad Gefallen brauen, 
und braucht ſich nicht nad der Andern Geſchmack zu rihten. 

Bir hatten gegen feine Theorie nichts einzuwenden, 
und als wir über die Zubereitung einig geworden, that er 
Zuger In die Porale und bat Ieden, fo viel Gitronenfaft, 
Num und Waſſer⸗ Hineinzugießen, als er wolle, aud über 
PR Diehr oder Weniger des Zuckers nach Belieben zu ver · 
fügen. . 
Der Ronftable, der dem Kapitän heute bei den Kano⸗ 
nen geholfen, und zugleich fein Bedienter war, ftand chrere 
bietig hinter dem Stuble des Herrn van Leuven. Er hatte 
einen Meinen Tiſch hinter fi mit einem ähnlichen Potale, 
der nicht vergeffen wurde. Und wahrlich, wir fanden alle, 
dag der chrlihe Kerl wohl verdient habe, ein Glas Punſch 
mit uns au frinfen, denn ohne feine Hülfe hätte Lemelie 
fein Manöver nicht ausrichten fönnen. Als der Punſch fer- 
tig war, wurde die Thecmafdine zu Dem Konftable auf 
den kleinen Tiſch gefegt, damit wir auf dem unfern beffern 
Raum hätten. 

Bir ftiegen mit einander an und wollten chen die Pos 
tale zum Munde führen,’ als eine feltfame Erſcheinung uns 
fo vermunderte, daß Jeder fein Glas wieder auf den Tiſch 
ſehte. Die Thüre ging auf, und mit einem Lichte in der 
Hand, mit fteifen Schritten und ftarr geöffneten Augen, die 
nicht faben, trat Goncordia, gefpenftermäßig, im weißen 


Macbeth und die Sceräuber. 103 _ 


Nacıtzeuge, traummandelnd berein, fehte ſich zwiſchen ihren 
Mann und Lemelie, und ſprach mit Hopler Stimme: Mir 
erſt den Pokal, ich wi ihn kredenzen! Darauf ergriff fe 
van Leuven’s Glas und wollte trinten. — Lemelie erblaßte, 
riß ihr hurtig den Becher von den Lippen und ſprach in ei» 
nem gezwungenen gleihgültigen Tone, der ihm doch nicht 
recht gelingen wollte: Der Punſch it zu ſtart für Euch, 
Madame, Frangois muß erft cin wenig Waſſer hinein gie- 
Ben. Bei Gott, fie fhläft, fie weiß ſelber nicht, was · fie 
but! — Damit reichte er dem Konftabler den Polal, der 
jept hinter feinem Tiſche ftand. Diefer fehte den Punſch 
auf den Meinen Tiſch zu feinem eigenen Glafe, weil er mir 
aber im Wege ftand, indem er ums den Nüden zukehrte, 
konnte ich nicht ſehen, ob er den Pokal rechts oder links zu 
feinem eigenen feßte, auch konnte id nachher nicht. unter- 
beiden, in melden Pokal er Waller goß, denn fie waren 
einander völlig aͤhnlich. — Concordia ftarrte Lemelie grüße , 
lich an und ſprach: „Ihr feid Krieger und zagt? Was 
macht es Euch, wenn es auch Iemand weiß? Wer zicht 
wohl Eure Macht zur Rechenſchaft?“ Darauf feine Hand 
ergreifend und mit ihrer eigenen Handflaͤche reibend, ſprach 
ſie leiſe: „Hier ift ein Fleck bier riet es noch nad Blut. 
Die Miyrrben des ganzen Arabiens vermögen nicht, diefer 
Hand den Geruch zu benehmen.“ Ad, fagte Lemelie, der 
ſich ſchnell gefaßt hatte, jetzt verftehe ich Alles! Ihre Lebens 
geifter find heute durch die Angſt zerrüttet worden. Sie 
wandelt im Traume, hat fürzlid den Macbeth gelefen und 
fpielt jeßt die Rolle der Lady Macheth, mit einigen Heinen 
Beränderungen. 
Komm, meine Liebe, fagte van Leuven, ic will Did 
zu Bette dringen. — Ach ja, mein Freund, ſprach fie und 


104 Macbeth und die Seeräußer. 


tüßte ihn, folge mir. Bleibe nicht bei dem Boſewicht und 
trinke nicht mit ihm; der Tod lauert im Beer. — Ich 
entfeßte mic und fprang vom Stuble auf. — Reiche mir 
den Bedyer wieder, Trangois! ſprach Lemelie ruhig. Fran⸗ 
<ois reichte ihm einen von den Polalen, welcher es aber 
war, konnte ich, wie gefagt, nicht unterſcheiden. — Wollt 
Ihr nicht mit mir trinken, verfeßte Lemelie, fo will ih we⸗ 
nigftens zu guter Nacht Eure Gefundheit aus Euren eige- 
nen Gläfern trinken, (und bei diefen Worten Ieerte er wirk- 
lich die Hälfte aus dem dargereichten und aus meinem Po» 
tale) damit Euch nicht dieſe Begebenheit die Phantafie mit 
nichtigen Einbildungen erhitze. 

Bir ſtanden alle auf; Frangois aber, der zurüdtreten 
wollte, war fo unvorfihtig, fein eigenes Glas, das hinter 
ihm fand, mit dem Ellenbogen auf den Boden zu werfen. 
Hlerüber ward Lemelie ſehr entrüftet, und während er dem 
Kerl tüchtig aueſchalt, daß er ihm fein ſchon geſchliffenes 
Glas entzwei geſchlagen babe, folgten van Leuven und id 
Concordien in ihre Kajüte. Die ſchwarze Minga und der 
Beine Beautiful ſchliefen ſchon auf der Matratze. Concor- 
dia firedte ſich ruhig auf ihr Lager hin, ohne aufzuwachen. 
Ban Leuven und ich fahen einander lange flumm und ver« 
wundert an. — 

Ein nichtiger Traum! fagte er endlich; Lemelie trant 
ja ſelbſt aus unfern Bechern. Aus dem melnigen, ja, — 
antwortete id), der Konftable hatte aber zuerit den Eurigen 
anf feinem Tiſche, wenn er ibn nun umgewechſelt hätte, 
während wir nod über Goncordiens Erſcheinung ftaunten? 
Dann bat Lemelie aus des Konftables Becher getrunten, 
und der Konftabler hat den Eurigen auf den Boden ges 
worfen. 


Macbeth und die Seeräuber. - 105 


Um Gottes Billen ſchweigt, rief van Leuven. und ſprecht 
fein Wort zu Goneordien davon, Vielleicht weiß fie es ſelbſt 
nicht, wenn fie ermadıt. Gebe Gott, daß wir dieſen ge» 
fährlichen Menſchen los wären, und glüdlih auf Ceylon 
angefommen. 

Als Concordia den folgenden Morgen erwachte, fagte 
fie: Ich babe verwichene Nacht einen abſcheulichen Traum 
gehabt, werde aber Niemandem ſagen, was mir träumte. 
Bir drangen nicht in fie; fie fuhr aber fort: Hütet Euch 
vor Zemelie, mein Gemabl! pt nnd frinft nur, was ich 
mitgeniege. — Er verſprach es ihr. Als wir Lemelie wie 
der fahen, war er guter Dinge, als wenn nichts Huperor- 
dentliches vorgefallen wäre. Bir ſchwiegen auch. 


1a. 
Schiffbruch und Rettung. 





Unfere Fahrt war im Anfange fo glüklid, als man 

Ach nur wänfchen kann. Schon faben wir fern das Vor⸗ 
gebirge der guten Hoffnung, ohne das geringfte von Regen 
und Ungewitter ausgeftanden zu haben. Der Kapitän ver⸗ 

‚ fißerte, wir würden bald dort angekommen fein, und er 
wolle einige Tage da ausruhen. Allein der Himmel wollte 
es anders, und ſchwere Wahrzeichen liegen das Aergſte bes 
fürdten. Die Sonne war eines Abends in einer diden, 
erdfarbigen Wolke untergegangen, die oberen Bolten er⸗ 





106 Schiffbruch und- Rettung. 


fdyienen dunkelroth. Den Morgen darauf, als fi) die 
Sonne dem Gefigtstreife näherte. ſtrahlten die Bolten 
zwar angenehm vergoldet, faum war indeß die Sonne über 
zwei Grade geftiegen, fo verlor fie fid in einem trüben, 
raudähnlicen Dunft der wie eine Mauer den Horizont 
umgürtefe, und woraus eine Menge ſchwaͤrzliche Etrahlen 
bervordrangen. Bald war der Himmel mit ſolchen Bolten 
bededt, melde die Secfahter dichte nennen, und die mit 
keinem Negen drohen. Vom Rande des Horigontes an, bis 
drei oder vier Grad Höhe, waren fie goldfarbig. dann roth⸗ 
glänzend, endlich dunkler in ihrer natürlichen Farbe. 

Lemelie hielt diefe Anzeihen für ſehr wichtig, weil er 
bemerkt Hatte, ein folhes Gemölt verfündige immer einen 
nahen Sturm. Ich erwartete, daß er mit gewöhnlicher Ger 
kaffenheit der Gefahr entgegen gehen werde. Aber weit ges 
fehlt! Er war Meinlaut und unruhig, feine Gefihtefarbe 
ward nod) bleierner, als zuvor; er zitterte, ging in feine 
Kajüte, verſchloß fih drinnen, und wir hörten ihn wie ein 
Kind Vaternofter plapbern, und mit heiferer Stimme latei- 
niſche Hymnen fingen. 

Als er wieder heraus Fam, war er cin wenig rnbiger. 
Ich wunderte mic, fehr über die Verſchiedenheit feines Be⸗ 
nehmens bier und gegen die Seeräuber, und gab ihm dies 
zu erfennen. Gr antwortete: Bor Menſchen habe ich mid) 
nie gefürdtet; wenn man aber mit Gott oder dem Teufel 
zu thun Hat, fo weiß man nie recht, wie man daran iſt. — 
Darauf ſuchte er den Matrofen Muth einzuflögen. Muth 
mangelte diefem Janhagel nicht, (denn wie der Meifter, fo 
die Gefellen) fie fuchten ſich aber auf eigene Art zu ermun⸗ 
tern. Als der Sturm am. färkten wüthete, verloren fie 
ganz den Gehorſam gegen. den Kapitän; und ohne ihn zu 





Sciffbruch und Rettung. 107 


fragen, offneten fie zwei Fäller mit Branntwein, fingen an, 
fid) zu betrinten, ſchrien Hurrah und fangen Zedlieder, die 
fie felber nicht hören konnten, weil fie der Sturm übertäubte, 

Als Lemelie den nahen Tod vor Augen fab, benahm 
er fi wie ein gemeiner Miffethäter, der hingerichtet werden 
fol. Er verzog das Geſicht abſcheulich, ein halb wahnſin⸗ 
niges Lächeln, das zugleih Troz und Verzweiflung aus 
drüdte, zudte von Zeit zu Zeit gräßlic auf feinen blauen 
Lippen; mechaniſch verrichtete er noch einige Gebete, dann 
betrant er ſich aud, um fein Gewiſſen einzufcläfern. 

Jeht war an feine Nettung mehr zu denten. Die 
Bellen gingen fo hoch und furz auf einander, wie man ih» 
resgleichen wohl felten gefchen hat. Hätte fih eine Belle 
an unferm Schiffe gebrodyen, fo bütte fie und unfehlbar in 
den Abgrund getaucht. Dabei verurfadten fie ein fo ger 
waltfames Schwanfen des Schiffes, daß man in unaufhör- 
licher Gefahr ſchwebte, fi) ven Kopf an dem Verdeck oder 
an der Wand einzuogen. Der Negen ſchoß ſtromweiſe 
herab, und der Orfan b:ulte fo, da man eine abgeſchoſſene 
Kanone nicht gehört haben würde. Diefe unfihtbare Ges 
walt mußte meines Erachtens unfer Schiff zumeilen in eie 
ner Stunde fehr viele Meilen fortführen. Zumeilen, fhien 
es dagegen an einer Stelle zu bleiben, und wurde wie ein 
Kreifel in der See berumgedreht, während der Bind durch 
alle Striche des Kompaſſes lief. 

Ban Leuven und Goncordia hatten ſich auf ihr Lager 
bingeftreitt, ſchloſſen einander in die Arme, und ſchienen den 
Tod nicht zu fürdten. Drunten auf der Matrage lag noch 
ein zärtlihes Paar: die Negerin mit dem Beinen Hunde, 

Zch armer Knabe hatte Niemanden, mit dem id) fterben 
konnte. Schmwermäthig blidte ih in einen Winkel; da ent 


108 Schiffbruch und Rettung. 


decte ich meine Bibel; ih nahm ſie herunter und drückte 
fie an mein Herj. 

In dieſem Augenblide hörte ich einen außerordentlichen 
Knall; das Schiff löfte ſich aus feinen Fugen, die Kajüte 
füllte fi) halb mit Waſſer, welches aber ſchnell wieder ab» 
lief. Das Shif war auf einer Sandbant geſcheitert. Die 
Kajüte war in ganz verfehrtem Zuftande: der Fußboden 
war zu einer Seitenwand geworden, und wir alle in einen 
Bintel geworfen, Iept hören wir eine Stimme, die „Eons 
cordia, Concordia!“ ſchrie. Cs war Lemelie, der ſich des 
Boots bemädtigt hatte. Auf der großen Schaluppe hatte 
ſich ſchon die betrunfene Mannſchaft herausbegeben. Ban 
Leuven und id nahmen Concordia, die in einer Ohnmacht 
lag, und wollten fie in’s Boot bringen, Der Kapitän rief 
aber, er wolle nur Concordia mitnehmen. Wir kehrten 
uns aber an feine Drohungen und Flüche nicht, und fpran- 
gen mit hinein. Kaum waren wir da, fo ſchleuderten uns 
die Wellen weit bin und verfchlangen und. Bas weiter 
mit mir geſchehen ift, weiß ich nicht, das Bewußtfein ver» 
lieg mid, und erit den folgenden Tag erwachte id, und 
fand mid ſchwach und matt auf dem trodenen Sande an 
der Sonne liegend. 

Es mwunderte mic, die Sonne wieder am Elaren Him⸗ 


mel zu erbliden, von deren wärmenden Strahlen ih die 


angenehmſte Erauitung in meinen Gliedern empfing. Ich 
richtete mih auf, ſah mid) um, und fah, daß ih mid auf 
einer Heiner Sandinfel befand; hinter mir ragte ein un⸗ 
geheurer ſchroffer Felſen in die Luft. Ein Schauer durch⸗ 
fuhr meine Glieder. Biſt Du allein bier gerettet, dacte 
id, um an der den Klippe eines langſamen Todes zu fler- 
ben? Haben fon die Sreunde den bitten Kelch draußen 


Sgiffbruch und Rettung © 10 


geleert? — Bie froh wurde ich Bald darauf, als ich un 
fern von mir Concordia und van Leuven auf dem Sande 
ſchlafend entdedte. Ieht war id wieder ganz ruhig. Ib 
kehrte meine annoch nafle Seite gegen die heiße Sonne, ließ 
mic, durchbraten und ſchlief wieder ein. 

Als ih nach einem tiefen Schlummer die Augen aufe 
flug. fund van Leuven neben mir mit untergefchlagenen 
Armen und betrachtete mid mehmüfhig. — Armer Albert, 
feufzte er; ift dies das Glüd, das ih Eud) verfprah? Wir 
theilen ein gleiches Loos; als Brüder und freue Gefellen 
wollen wir Freude und Leid theilen. Bir ftellen bier im 
Kleinen ein Bild des Menfhenlebens dar: Auf die öde 
Erdſcholle hinausgeworfen, find wir unfern eigenen ſchwa⸗ 
hen Kräften überlafen; ein Engel und ein Teufel beglei- 
ten uns auf dem unfieren Pfade. — Bei diefen Worten 
warf ic meine Augen ſpäͤhend umber, und entdeckte außer 
Eoneordien noch Lemelie, der entfernt von uns auf einem 
Steine faß; mit unterftügtem Haupte ftarrte er auf das 
jetzt ruhige Meer. 

Ban Leuven hatte eine große mit Baſt umflochtene 
Beinflafhe, woraus er mir zu trinken gab. — Ih babe 
Mühe genug gehabt, fagte er, dieſe Flaſche auf einige Au⸗ 
genblide von Lemelie zu bekommen. Er bat fie gerettet, 
und mill fie allein auslerren. Wo wir jeßt find, ob mir 
je wieder Menſchen fehen werden, weiß Gott. Das Schiff 
iſt drüben an der nahen Sandbant gefheitert. Das Hin, 
tertheil ragt noch ziemlich hoch über die Wellen empor; und 
fo in noch Hoffnung da, daß wir die Lehensmittel retten 
können, um uns einige Beit das Leben zu friften. 

I brachte Lemelie fein? Weinflaſche wieder. Statt 
Gott für feine Rettung zu danten, entfuhren nur Lauter 


10 Sciffbruch und Rettung. ' 


Fluche und Gottesläfterungen feinem Munde, und er wollte 
fi) gar nicht tröften Iaflen, weil er, wieer fagte, durdy die 
fen Schiffbruch Ehre und Eigentum verloren. — Eigen» 
thum, dachte id, mag fein; wer aber vorher feine Ehre 
noch hatte, konnte fie nicht durd einen Schiffbruch verlieren. 


Wir verließen ihn und näherten uns Concordia, die in 
einen Mantel gehült, mit den Zähnen Happerte, fehr über 
Froſt klagte und wicder ſchlafen wollte; erft verlangte fie aber 
einen Trunk friſchen Waſſers. Das hatten wir nihtl Ban 
Leuven gab ihr ein wenig Wein, den fie, weil er friſch war, 
ſehr begierig hinunter ſchluckte. Cie befand fid) aber übler 
darnach und glühete bald wie eine Kohle. Ihr Gemahl 
machte ihr die größten Liebkoſungen, fie fprad aber ſtrenge 
und mit wildem Blide: Karl Franz, gebt mir aus den 
Augen, damit id ruhig fterbe. Die übergroge Liebe zu 
Euch hat mid verführt, das vierte Gebot zu übertreten; 
nun kömmt die Strafe. Gott fei meiner und Eurer Seele 
gnaͤdig. 

Der ſonſt fo ruhig beſonnene van Leuven wurde von 
diefen Worten ganz zur Verzweiflung gebradıt. — Algür 
tiger Himmel, rief er bänderingend, iſt es möglih? Noch 
einen Verluſt fol id an diefer öden Klippe leiden, nachdem 
ich alles verloren wähnte. Ihre Liebel Das Ungebeuerftet 
Ihre Liebe, um derentwillen id dem Tod und dem mwüthen« 
den Elemente tropen wollte? So mil id denn auch nicht 
länger leben. — Darauf lief er nad) dem Meere zu, und 
bätte fid gewiß bineingefürzt, wenn id ibm nicht zuvor⸗ 
gefommen wäre, und ihn durch Fräftige Reden, die mir 
Gott eingab, wieder zur Vernunft gebracht hätte. Ic) ftellte 
ibm vor, Concordia wife ja in der Ziederhige felber nicht 


Schiffbruch und Nettung. 11 


was fie fage; fo ward er denn wieder etwas rubiger, legte 
ſich nieder und ſchlief bald ermattet ein. 

Concordia bewegte ſich, und ich lief zu ihr. Gie bat 
mid, ihr etwas Regenwaſſer aus dem Mantel auszudrüt- 
fen, der dort am Baume hinge. Lieber Gott, da war wer 
der Baum noch Regenwaſſer! Ich bat fie, eine Halde Stunde 
zu warten, weil die Arbeit etwas langfam von der Hand 
‚geben würde; fie verfprady mir, fo lange Geduld zu haben. 
Jetzt watete id in’s Waffer hinaus, gerade nad dem Schiffe 
au; zur Noth fonnte ich auch ein wenig ſchwimmen. Es 
mar aber nicht mötbig, das Waſſer reichte mir nur bie an 
die Kniee, und fo Mletterte ich gemählih an dem Schiffe 
hinauf, um in die Kajüte zu gelangen. Als ich bis an die 
Zhür gekommen war, hörte ih zu meinem Grftaunen fol« 
gende Worte: Armes Tier, arme Schwarzel Eind treue 
Geſchöpfe, unferer Herrin mit Leib und Seele ergeben. 
Konnten nicht mit ihr den naflen Tod leiden; wollen zus 
fammen auf der Matrape verſchmachten! Ich riß die Thür 
auf und fand Minga mit dem Beinen Beautiful auf dem 
Boden liegend. Ihr font kohlſchwarzes Geht war aſch⸗ 
grau vor Kummer und Mattigkeit geworden. Sobald fie 
aber hörte, Concordia lebe noch, kehrte die fhmarze Farbe 
in ihr Geſicht zurüd, umd fie rief: Dann, Beautiful, wol» 
len wir aud leben und ein Freudenmahl begchen. Drauf 
Kief fie bin, Lebensmittel zu Holen, denn es war wirklich 
ihre Abfiht gervefen, fi und den Hund zu verhungern. 

Ich ſuchte nun auch das Nöthige. In der Kajüte hing 
eine Rolle Schmwefel, deren ich mid) bemächtigte. Feuerzeug 
konnte idy nicht finden, dagegen ein Paar wohleingewidelte 
wiſtolen, welche mir achft dem Schwefel zum ſchönſten Feuer ⸗ 
zeug dienlich ſchienen. Zu meiner Freude fand id) ein wohl 


112 Schiffbruch und Rettung. 


sugevichtes Faß fügen Waſſers, wovon id ein ertraͤgliches 
Lägel füllte. Thee, Zuder und Rum fand fih auch noch 
im der Kajüte, und mit diefer Laft anf meinem Haupte wa⸗ 
tete ip zurüd, nachdem ic) erft mit Minga und dem klei⸗ 
nen Beautiful gefrübftüdt hatte, 

Minga mußte zurüdhleiben, um den Zwieback, geräu- 
Wertes Fleiſch, Neis und Mehl aus den Fäffern zu neh 
men und in Beine Bündel zu binden, damit man es näd» 
ſtens gemaͤchlich hinüber tragen könne. Lange war nicht 
zu zaudern, denn der erfte ftarfe Windftoß konnte das Wrak 
glei in die Wellen hinunterſtürzen. — Ich batte etwas 
Fleiſch, Brod und Rum gleich mitgenommen. und mit dies 
fen Habfeligfeiten watete ich zurüd. Auf der Sandbant 
hatte ich hinaufgeſpültes, trodenes Holz genug gefehen; ein 
Beil und einen alten mollenen Bruflag in der Kajüte gr» 
funden. Ich zerrig den Ichten in Streifen, flug Feuer - 
und blics fo fange, bis das Holz in volle Flamme gerieth. 

Concordia erwachte wieder und verlangte heftig au trin« 
ken. Ich reichte ihr den unterdeß zubereiteten Thee in einem 
Becher; fie glaubte, dag es wieder Wein fei und rief wei⸗ 
nend: Ihr wollt mir das Herz mit Wein brechen. Gott 
vergeb’ es Euch! Als fie aber den Ehre gefoftet hatte, fagte 
fie froh: Habet Dant, mein lieber Albert, jetzt bin ih voll- 
tommen erquidt; dedt mid) nun mit dem Mantel zu umd 
tagt mid) ſchlafen. — Ic) gehorfamte ihr, und machte hin⸗ 
ter ihrem Nüden ein gelindes Feuer, welches nicht eher aus« 
neben durfte, bis die Sonne mit ihren Fräftigen Stralen 
hoch genug ftand. 

Als id) meine mitgenommenen Sachen auf einen breis 
sen Stein ausgenaft hatte, ſtopfte ih auch die Pfeifen, 
machte einen guten Punſch, (obſchon ‚nicht. nach Lemelies 


Shiffbruh und Rettung. 113 


Tbeorie in verfhiedenen Glaͤſern) und ging bin, die beiden 
Herren einzuladen. Van Leuven lief nod, denn er hatte 
die Nacht vor Kummer über Concordia gewacht; er ward 
aber bald munter und freute ſich fehr, als er die Beſſerung 
feiner Frau hörte, und den gedeckten, fteinernen Tiſch auf 
dem Sande fah. — Lemelie, der Smicbad in der Taſche 
mitgehabt. und die große Weinflafhe dazu ausgelcert hatte, 
fluchte noch immer. ICh hätte ihm feine Pfeife angezündet, 
und. um mid mit diefem tüdifhen Menſchen ein wenig 
auszuföhnen, weil uns die Noth doch jegt fo nabe verbun« 
den hatte, reichte ich ihm höflich die Pfeife und Iud ihn 
ein, nachher an unferm Mahle Theil zu nehmen. Er rig 
mir die Pfeife aus der Hand, als ob ic) fein Knecht fei, 
und dankte mir mit feinem Worte, vielmehr fluchte er noch 
ärger. Beil ih nun zum Jähzorne geneigt bin, beſonders 
menn man meinem guten Willen höhniſch entgegen kam, 
füblte ich mich ſehr aufgelegt, ihm die Pfeife aus den Zäh⸗ 
nen zu reißen und in's Waſſer zu werfen, zwang mid) aber, 
meiner armen Leidensgefährten wegen. 

Wahrend der Mahlzeit ſuchte er fi dem Herrn van 
Leuven gefällig zu erzeigen, weil er meine Gemüthsbewegung 
wohl gemerkt hatte, und mic ärgern wollte. — Bir Zwei 
find geborne Edelleute, Herr van Leuven, fagte er: der gute 
Albert da, iſt, wie mir gefagt worden, vorher Euer Be 
diente geweſen; fo ift es denn billig, daß er fein voriges 
Amt wieder einnimmt, denn einen Sekretär braucht Ihr 
wohl ſchwerlich hier auf der Sandbant, einen Bedienten 
tann man aber immer brauden. 

Es freut mid), Herr Lemelie, antwortete van Leuven, 
Euch wieder luſtig zu fehen und ſprechen zu hören, denn 
im Ernſt könnt Ihr wohl unmöglid fo dresen. Nur ein 

Oedlenſ. Schriften. XVfL. 


114 Schiffbruch und Rettung. 


Migverändniß bat zu jenem augenblidlihen Mihverhaͤlt. 
niß zwiſchen Herrn Julius und mir Anlaß gegeben. Er ift 
von guten eltern, wohlerzogen, und, was id) über alles 
ſchäte, er ift brav und tugendhaft. Selbſt in den glän» 
aendften Verhältniffen würde ic ihn zum Freunde wählen, 
wie weit mehr jept, als armer Schiffbrüchiget auf der äden 
Kippe. 

Ich ſchwieg, auch Lemelie ſchwieg. Ohne ein Wort zu 
fagen, nicht einmal gute Nadıt, ging er fort, nachdem er 
waidlich getrunten hatte, hülte fid) in feinen Mantel, kratzte 
ſich ein Loch in den Sand, wie eine Henne, und ſchnarchte 
bald fo laut, dag mir es von weitem hören fonnten — 
Dan Leuven und id wurden einig, einander abzulöfen, um. 
beim Feuer zu wachen. IA wollte der Erfte fein. Er legte 
fi) vergnügt fchlafen, als id ihm von Minga und dem 
einen Beautiful erzählt hatte, mit welcher Nachricht wir 
Concordia morgen erfreuen wollten. 

Ich machte ein großes Feuer hinter ihrem Rüden und 
umfcanzte fie mit einem Sandwalle, damit fie auch im 
Schuß vor dem Binde liege, wenn er ſich wieder erheben 
follte, denn jeßt rührte ſich fein Lüftchen. Darauf feßte ih 
mid) auf einen Stein und ſchauete bald in die dunkle Fin» 
fterniß hinaus, die über dem ungeheuern Meere ruhete, bald 
auf die reizende Geftalt, die neben mir lag. vom Nachtfeuer 
maleriſch beleuchtet. — Ach, dachte id, mas wäre die 
ganze Welt ohne fie, und wie gern trenne ich mid) von der 
Belt, wenn ih mit ihr in der Einfamteit Ichen kann! — 
Mein jugendlicher Muth ließ mid nidt daran zweifeln, 
daß es uns gut gehen würde. Sie hatte [hlafend die fhöne 
Hand aus dem Mantel herausgeftredt; ich wollte fie audel« 
ten, eine unbezwingliche Luft reiste mic) aber, die Hand 


Sciffbruch und Rettung. 115 


erſt zu füllen. IA lieg mic) auf ein Knie nieder, weine 
zittternde Lippen naheten fi ſchon der Hand — da ent- 
dedte ich van Leuvens fhlihten, goldenen Trauring an ih- 
rem Zinger, und bebte zurüd. — Id) kehrte mid) um und 
ſah nach ihm bin. — Suverfihtlic und freundlich f&lief 
der ritterliche Niederländer, als od er fagen wolle: Mein 
treuer Iulius wacht, id) verlafe mid ganz auf ihn. — Nie 
werde ich diefe Zuverſicht mißbrauchen, fagte id) leiſe, und 
bedecte wieder die fhöne Hand. — Lemelie in der Ferne 
ſchlief unruhig, waͤlzte fi oft träumend umber und flug 


mit geballter Fauft in den Sand. Ich hoffte, van Leuven . 


würde nicht fobald aufmachen; ich wollte allein. machen und 
fühlte mid, doch faft vom Schlafe überwältigt. Als ih 
das Feuer gefhürt hatte, feßte ih mid auf den Stein, 
fügte mid) auf ein Stüd Holz und fing fhon an, mitunter 
einzuniden. Da ftand mit einem Male der biedere Geſell 

wach und heiter vor mir. — Wie habt Ihr das fo genau 
abpaffen können? frug id, Ihr lagt im tiefften Echlummer 
noch vor einem Augenblicke. — Hat mir der Kriegsdienſt 
aud nichts weiter genüßt, antwortete er, fo hat er mid) 
wenigftens gelehrt, zu beftimmter Stunde aufzuwachen; und 
ich verſchlafe nie die Zeit. Geht bin und ruht jept, lieber 
Albert, Ihr habt Euch mehr, als wir Andern, geftern an« 
gegriffen, und feid der Ruhe bedürftiger als ich. 


116 Troglodptenichen. 


15. 


Troglodytenleben. 





Concordia erwachte ziemlich fpät, das Frühſtück wartete 
ihrer ſchon und ſie verzehrte es mit Luſt. Ihre jugendliche 
Stärke ſchien die Erkaͤltung bald beſiegen zu wollen und 
fie fragte ungeduldig, wo ihr Karl Franz wäre? Er kam 
gleid) hervor und füßte fmieend und weinend ihre Hand. 
Eie trodnete feine Thränen mit ihrem Halstuche und ſprach 
mit kräftiger Stimme: Weine nicht, mein theurer Freund, 
ich befinde mic) jeßt meit beffer, und Gott wird ferner 
beifen. 

Iept waren wir alle Drei wieder fo froh, als ob wir 
glülid) in Ceylon augefommen wären. Ban Leuven wollte 
ihr eben von Minga erzählen, ich bat ihn aber, nod zw 
ſchweigen, damit fie die freudige Ueberraſchung recht geniche. 

Nun lief ich wieder nad dem Sciffe hinaus, wo ih 
Minga und den Meinen Hund fhlafend fand. Sie wurden 
beide gleich munter. Ich lich Minga fi mit fo vielem Sa⸗ 
hen belaften, als fie tragen konnte, ich felbft that ein glei 
ches, und fo gingen wir fort. Es that mir Leid um Beau ⸗ 
tiful, aber diesmal mußte er zurüd bleiben, weil wir zu 
bepadt waren, um ihn auch noch zu tragen. Ich fperrte 
ihn in die Kajute ein, und es betrübte mid) recht, das treue 
Thier drinnen heulen und mit der Pfote an der Thüre 
kratzen zu hören. 

Concordia wollte ihren Augen nicht trauen, als fie 
Minga wicderfah. Nun, rief fie, zweifle id) nit an Ente 


Troglodptenleben. 117 


tes Hüffe, da er mir diefe Freundin gerettet und wieder⸗ 
gegeben bat. — Sie umarmten fid) innig. Minga batte 
Eoncordia feit ihrer früheften Kindheit gepflegt, und fo mes 
nig aud die Negerin eigentlich in Bildung fortgerädt war, 
fo hatte dod ihre freue Gefinnung und Anhänglicfeit fie 
au Goncordias Bertrauten gemadıt; Ihr begreift alfo, wie 
Schr fie das Wiederfehen derfelden entzücken mußte. Auch 
van Leuven und id umarmten ung und meinten vor Freude 
wie die Weiber. Allein unfer Glüͤck follte noch erhöht were 
den. Mitten in der Umarmung hört Goncordia von fern 
aus den Bellen eine Schelle erklingen. Wir fhauen Hin: 
O Bunder! der kleine Beautiful, der eine offene Spalte 
in der Kajüte gefunden haben mußte, wodurch er aus fei« 
nem Gefängnife entfhläpfen konnte, hatte fih, auf feinen 
feinen Gerudy und fein angebornes Schwimmertalent vers 
trauend, auf den naffen Weg begeben, um feine Herrſchaft 
aufzuſuchen — Welch Entzüden! Ban Leuven and ic) brauche 
ten unfers ganzen Anfehens, um den einen Schwimmer, 
voll Sand und Waſſer, der fih in dem Scooge feiner Her- 
in erft abſchutteln wollte, fo lange zurück zu halten, bie 
wir ihm fauber abgetrodnet hatten. 

Nun erwachte auch Lemelie; ohne fid am unfere Freude 
zu fehren, die ihn ärgere, oder an unferem Srühftüde 
Zeil zu nehmen, das er verfhmähete, begab er ſich ſelbſt 
heute gerade nad) dem Wrade hinaus. 

Ic) lief voll Entzüden umher, mit dem Hunde auf dem 
Arm; ihn fonnte id) doch ohne Sünde fo viel küſſen und 
bergen, als id) wollte Allein diefer Tag war zu glũclichen 
Enideckungen beſtimmt, denn, wie ich ſo umherlaufe, ſtotze 
id) auf einen Sandhaufen, der mir gar zu ordentlich länge 
ti) gewolbt ausficht, um vom bloßen Zufalle fo gemacht 


118 Troglodytenleben. 


au fein. Ich flampfte mit dem Fuße darauf und entdedte 
das von Sand überſchüttete, umgeroälzte Boot, weraus wir 
in die Eee geftürzt waren, und das gleichfats vom Sturme 
bierher getrieben fein mußte. 

Bir zwei Männer und Minga baten jetzt vollauf zu 
thun. das Boot aus dem Sande heraus zu ziehen. Einige 
Bretter lagen in der Naͤhe, die man leicht mit dem Beile 
zu Rudern machen konte. Bald war die Arbeit fertig und 
wir im Befig eines Bootes, was ung von größer Wichtig · 
keit war; denn nun Fonnten wir nicht nur alle Sachen leicht 
von dem Wrade abholen, fondern auch Goncordia nach je» 
nem Felfenufer bringen, weldes von unferer Sandbant 
durch ein tiefes Waller getrennt war, wo hindurd man 
nicht waten konnte. Dort fahen wir aber herrliche, trodene 
Hallen in der Kippe ſich öffnen, theils gegen die Sonne 
gekehrt, theils im Schatten liegend. 

Bir. bradten die theure Frau gleich an den ſichern 
Strand hinüber und wählten ihr eine gute, trodene Grotte, 
wo Sonne und Schatten zugleich zu finden waren. Hier 
ließen wir fie mit den Lebensmitteln zurüd, und ruderten 
hinaus nad) dem Wrade, um alles Mögliche zu retten, be 
vor ein neuer Sturm ſich erhöbe und die Trümmer in's 
offene Meer ſchleuderte. 

Ju der Kajüte lag Lemelie auf dem Fußboden, sine 
Bewußtfein, hingeſtrekt. Wir dachten, der Boͤſewicht habe 
ſich ſelbſt ermordet oder ein Schlagfluß habe ihn getroffen; er 
batte fih aber nur betrunken und ſchlief jept feinen Rauſch 
aus. Bir befümmerten uns nicht weiter um ibn, Yadten 
das Boot voll Proviant und Geräthe, und fuhren fo den 
ganzen Tag bin und zuräd, bis wir beinahe alles in der 
Kajüte Befindlie in die Felſenhoͤhle gebracht hatten. 


Troglodytenleben. 119 


Bei der fünften Ladung ermunterte Lemelie ſich erſt. 
und machte große Augen, als er die Kajüte leer fand. Er 
fragte, was das bedeuten folle, ob wir als Seeräuber vers 
fahren wollten, und befahl une, folde Verwegenheit ein» 
auftellen, ſonſt wolle er uns etwas anderes lehren. Herr 
Lemelie, antwortete ih, entweder habt Ihr den Verſtand 
verloren, oder Euren Rauſch noch nicht ausgefhlafen. Ich 
bitte Euch, hört auf zu brutalifiren! Die Zeiten haben ſich 
deider geändert, Euer Kommando ift zu Ende. Bolt Ihr 
bier auf dem gebrechlichen Wrade umkommen, fo thut es 
meinetwegen, Bir reiten, was noch zu retten if. Bolt 
Ior vernünftig fein, fo werden wir brüderlih mit Euch 
theilen; nur von Seeräubern ſprecht uns nicht, denn wir 
laſſen uns nicht [elten. . 

Ueber diefe Rede wollte er rafend werden und augen» 
bliclich vom Leder ziehen, van Leuven ließ es aber dazu 
nicht kommen, fondern riß den Großſprechet wie ein Kind 
au Boden. Hieran fhien es dem Lemelie blos gefehlt zu 
haben, in wenigen Minuten fam er völlig wieder zu Ver⸗ 
ande, vertrug fi, dem Scheine nad, recht brüderlich mit 
uns, und legte auch Hand mit an die Arbeit, fo, dag wir 
mod) vor der Nacht wohlbeladen bei Concordia in der 
neuen Felſenwohnung anlangten. 

Ich habe ſchon erzäbkt, daß mehrere Höhlen da waren, 
fo, dag wir unfere Wohnzimmer wählen und theilen konn⸗ 
ten. Die Eheleute bekamen die beften und gemädlicften, 
welche ihnen Lemelie ſelbſt aufgefucht hatte. Minga hatte 
fidy gleich nebenbei eingerichtet, ih wohnte nicht weit vom 
ihr, und dann Lam Lemelles Höhle. Unfere Betten waren 
gerettet; mit trodenem Meergrafe verftöpften wir die Löcher 
gegen den Zugmind, umd fo hatten wir es erträglich gut. 


120 Troglodptenlehen. 


Lebensmittel, Yulver/ Blei und Slinten waren vom Wracke 
geholt, und das Wihtigfte, drei Faͤſſer friſchen BWalers, 
wurden in einer tiefen fühlen Kluft aufbewahrt. 

So lange wir nod mit dem Netten befhäftigt waren, 
ermunterte uns ein freudiges Gefühl. Aber, licher Gott, 
als die ganze Meine Habe in der Höhle fand, da ſank ung 
wieder der Muth, denn eine leichte Berechnung lieg uns 
leicht einfehen, dag uns diefe Wenigkeit nur ein Paar Wo⸗ 
hen lang das Leben kümmerlih erhalten könne. 

Fleiſch und Brod waren freilich für längere Zeit da. 
Mit unfern Flinten konnten wir Vögel ſchießen, eine große 
Schildkröte hatten wir fhon auf dem Strande gefunden, 
auch Seefälber waren in der Ferne au fehen, auf melde 
wir Jagd machen konnten. Lemelie war nicht nur ein Let⸗ 
kermaul, fondern auch ein trefflicher Koch, der die Leder 
biffen gut zu bereiten verftand; und diefe Arbeit, die ihn 
in ein näheres Verhältnig zu Concordia brachte, trug viel 
dazu bei, feine Langeweile und üble Laune zu verſcheuchen. 
Bei Tiſche, wo Concordia vorlegte, befam er immer die 
erſte Portion, und wir Hüteten uns wohl, einen Biffen in 
den Mund zu fteden, bevor er und mit einem guten Bei⸗ 
fpiele vorangegangen. Diefe Borfiht machte ihn nicht im 
mindeften verlegen, er nahm «6 als eine Höflichkeit, die wir 
ihm, als dem Vornehmſten, erwieſen. Demüthigung, Be- 
ſchämung und Neue waren gar nicht zu fpüren. Wir zo⸗ 
gen hieraus den Schluß, daß diefer Menſch fhon durchaus 
verdorben fein mäfle, und daß er nicht zum erften Male 

ein ſolches Verbrechen begangen habe, weil fein abgeſtumpf- 
„tes Gewiffen gegen Gindräde der Art ſchon: ganz unem- 
pfindlich zu fein ſchien. 

Ban Leuven war ein guter Jäger und ich fein gelch« 


Troglodytenleben. 121 


riger Schüler, der ihm gern mit der Flinte folgte, und 
ſchnelle Fortſchritte machte. So hätten wir denn recht gut 
eine Zeit Hang feben und unfere müßigen Stunden damit 
zubringen Fönnen, nadı vorbeifegelnden Schiffen zu fehen, 
wäre nur Waffer dagemefen. Was wollten aber ein Paar 
Bäffer verfchlagen? Und welch ein gräßliher Gedanke, auf 
den trodenen Steinen zu verdurften! Bir liefen fo weit 
umher, als wir fonnten, nirgends aber war die Spur einer 
Quelle zu ſehen. 

Bir Hofften, noch ein Fap Waſſer auf dem Wrade zu 
entdecken, und wollten den naͤchſten Morgen danach hinaus 
fahren, denn ſollten auch einige Tonnen mit Seewaſſer ver» 
miſcht fein, fo war das ja doch beffer, als gar feine. In 
der Nacht erhob ſich aber der Sturm aufs neue, und da 
Eonnten wir Gott danken, dag mir ziemlich hoch hinauf im 
Felſen wohnten, und alles auf dem Zrodenen hatten, denn 
die Sandbant und der flahe Strand unten am Felſen 
murden ganz vom Meere überſchwemmt. Gegen Morgen 
legte ſich freilich der Sturm, als wir aber nad dem Wrade 
binausfahen, waren die leßten Trümmer verſchwunden. Nur 
etwas Schwarzes ragte noch aus den Bellen, da, wo das 
Shif gefheitert war, 

Die Hoffnung greift nach einem Grashalm, um ſich 
zu retten. Dan Leuven und ic ſchifften burtig binaus, 
um zu fchen, was das Schwarze fei. Unfere Phantafie 
bildete ſich ſchon ein großes Faß fügen Waſſers daraus, fo 
trefflich verſchloſſen und verpicht, daß es fih mitten im Salze 
meere undefhädigt erhalten habe. 

Als wir hinaus famen, war es das Schiifsanter aufs 
recht im Sande chend, und die eingegrabenen däniſchen 
Borte: „Mads Hanfen i Kiöbenhaun“ ragten über 





12 Troglodytenleden. 


die Wellen, die fie lieblich mit leichtem Schaume beſpülten. 
Herrn van Leuven madıte diefe Entdecung fehr betrübt; 
denn er hatte gehofft, wenigftens etwas zu finden, was man 
mitnehmen könnte. Ich aber rief: Glück auf, mein Here 
van Leuven! Das ift ja die Hoffnung felber. Erinnert Ihr 
Eut nicht der fhönen Rede, die uns Mag Hanfen beim 
Abſchiede hielt, und des wäterlihen Segens, den er feinem 
Anter mitgab. Mir wird bei diefem Wahrzeichen ganz lu⸗ 
fig zu Muthe, als od ich mit unferm wackern Wſrthe wie» 
der eine Flaſche guten Rheinweines getrunken hätte. Hof» 
fen, lieber Herr, boffen muß man, bis das Herz bricht. 
Bir wollen gleih eine weitere Fahrt um die Klippe ver- 
ſuchen. Zu Lande verbieten uns zwei in’s Meer weit hin⸗ 
ausfpringende ſchroffe Felfenpfeiler, an der Küfte berum zu 
wandern. Rudern können wir aber, und vielleicht entdeden 
wir in einer entfernten Bucht die viel gewünfdte Duelle. 

Bir nahmen uns nun vor, recht weit zu rudern, faum 
waren-wir aber dem Bafalt- Pfeiler vorbei, fo tamen wir 
plötzlich in eine Art von Mahlſtrom, von zwei gegen einans 
der ſtehenden Zelfen gebildet, welche wie lange Pyramiden, 
obngefäbr vom Ausfehen wie die fogenannten Maidens bei 
der ſchottiſchen Infel Sky, aufrecht abgetrennt im Waſſer 
fanden. Vergeblich firengten wir uns an, unfer Boot zu 
reiten. Das Ruder zerbrach in meiner Hand. Jeht war 
nichts weiter für uns zu thun, als ins Wafler zu ſpringen. 
zurück zu ſchwimmen und das Boot indeß in den Strudel 
gleiten zu laſſen. 

Mit genauer Noth retteten wir auf diefe Art das Les 
ben; das Boot aber, unfere einzige Hoffnung, hatten wir 
eingebüßt. Concordia dankte Gott, dag wir noch der Ge» 
fahr entvonnen waren; Lemelie tobte und fluchte, und machte 


Zroglodytenleben. 13 


uns bittere Vorwürfe, dag wir, als zmei Londragen, die 
mit einem Fahrzeuge nicht umzugehen müßten, ohne fein 
Biffen und feine Zeitung die Fahrt unternommen hätten. 
Bir fühlten, dag er diesmal Recht hatte und ſchwiegen. 

Ih ging in meine Höhle, Meidete mich um, ag tühtig 
auf die Bewegung, ſchlief gleih darauf ein, und als ih 
erwachte, hatte midy die Hoffnung noch nicht verlaffen. Ich 
vertraute auf Gottes Barmherzigkeit; die alte Luft, die ich 
Lange nicht in mir gefpürt, Verſe zu machen, erwachte aufs 
neue, und fo ſchrieb id denn, um mic ſelbſt und meine 
Freunde zu tröften, folgendes Lied: 


Du heil'ger Duell, 

©o freudenheil, 

Du feifcher Geitt des Lebens. 

weh, ſcmachten wir 

Vieueicht nach dir 

An dieſem Strand vergebens: 
Eonſt liebteſt du die Klippe ia, 
Und auf dem Feiſenſtiege 

Warſt du ald Meines Kind fchon da, 
Da fand man deine Wiege. 


Bas hilft dad Meer 

So tief und hehr 

Mit feinen breiten Wellen? 

Cin Zruggeict! ° 

Es reicht und nicht 

Den füßen Trank der Queen. 
Wir (machten in dem Weberfluß, 
Es merken laut und Farben; 


124 


Troglodvtenleben. 


Wir wůſſen fo wie Tantalus 
Den Becher fehn — und darben! 


Dem Baffer nah, 

Kein Bafler da, 

Zu ſtillen unfer Schmachten. 

Wie trodner Cand J 

Im wůſten Sand 

Die Fluten nur zu achten. 

Doch in der Wüfe Quellen oft 
Der matte Pilger findet; 

Bir finden auch! Die Seele hofft, 
Bis ganz das Leben ſchwindet. 


MS Moſes mit dem Gtabe fchlug 
Im trocnen Felfenthale, 

Da fprang das Bafler reichlich g’uug 
Mit breitem Gilberfale, 

Die Hoffnung falägt, 

Das Heri bewegt, 

Und Muth wir alle fallen; 

Die Zuverficht 

Berläßt und nicht: 

Gott wird und nicht verlafen! 


Ich hatte das Lied zu einer Kirhenmelodie verfaßt, es 


fand allgemeinen Beifall; ſelbſt Lemelie, der cs ſich von 
Concordia überfegen lieg, mochte es leiden, nicht, als ob er 
etwas Frommes oder Erbauliches dabei gefühlt hätte, der 
Inpalt unterhielt ihn aber, weil ihm aud nad der Duelle 





— 


Iroglodytenichen. 125 


verlangte. Sein kalter Geiſt fand den Gegenſatz von Meer- 
waſſer in Weberflug und Mangel an fügem Waſſer artig, 
als Franjoſe hatte er ein wenig Achtung für die Dictkunft 
gelernt, und ich merkte wohl. daß er von heute an den Ton 
gegen mich änderte. 


Soncordia, van Leuven und id fangen jeden Abend 
dies und andere geiftlihe Lieder dreiftimmig, und es Mang 
recht ſchön in der großen Felienmölbung, während die 
Sonne ins Meer tauchte. = Einmal wurden wir aber von 
einem gräßlihen Geſchrei mitten in unferer Andacht geftört. 
Es kam von Minga’s Höhle. Wir liefen hin und trafen 
Lemelie vor Wuth zitternd, mit einem blinfenden Meffer in 
der Hand, und die Negerin, immer nody fehreiend, in einen 
Winkel bingeflähtet. Bir glauben erft alle, er babe fie 
morden wollen, emtdedten aber bald, daß es auf den klei⸗ 
nen Beautiful gemünzt war, den fie auf dem Arme trug. 
— Barum, frug van Leuven, mollt Ihr das arme unſchui⸗ 
dige Thier ermorden? — Was unſchuldig? rief er rafend; 
verfluchtes Bich, das uns das wenige noch Uebrige auffrigt 
und trinkt. Sollen Menſchen eher als eine ſolche Beſtie 
umtommen? Sol es unfer Yarges Diahl, womit wir er- 
baͤrmlich das Leben friften, noch ſchmaͤlern? 

Concordia warf ſich ihm zu Zügen und beſchwur ihn 
mit Thraͤnen, ihren kleinen Liebling zu (denen. Das rührte 
ihn etwas; er bat fie höflich, wieder aufzuftchen, drüdte ihr 
die Hand und fagte: Für Euch, Madame, onfere ich Act, 
felbft mein Leben, 


So war denn der Friede wieder hergeſtelt. Als wir 
mit Minga darüber ſprachen, fagte fie: Wäre der Hund 
gefrägig, wollt' ich mir es noch gefallen laſſen; er frißt 





1236 Trogloditenleben. 


aber wenig und trinkt noch weniger. Seht einmal, den 
Topf mit Waſſer hat er ja beute kaum angeräbrt. 

Nicht angerüprt? wiederholte id, und ein Hoffaungs- 
ſtrahl durddrang mir die Eeele. Ih ſchwieg aber, um 
Alles erft ſelbſt zu unterfuhen. Am folgenden Morgen 
fand ich früh auf, der Meine Beautiful, der bei mir ge⸗ 
ſchlafen hatte, und den id laufen ließ, verlor ſich gleich in 
die Zelfenklüfte. Nac einer halben Stunde kam er wies 
der, Iedte fi um’s Maul, und im Barte hingen ihm noch 
Mare Waflertropfen. — Ic fhmedte daran. O Himmel! 
«s war. frifces, füges Waſſer. Noch ſchwieg id und nahm 
mir vor, dem Hunde das nächſte Mal auf feiner Bandes 
rung zu folgen. Es war aber unmöglid), er entſchlüpfte 
wir, und id) konnte feine Spur nicht finden. Nun fülte 
ich ein Saͤctchen mit weißem Sande, machte ein Loc) daran 
und band es dem Hunde das nähfte Mal auf den Rüden, 
fo, dag er im Laufen immer eiu wenig daraus verlieren 
mußte. Auf diefe Art zeigte mir ein weißer Streifen den 
Weg über nadtes (hwärzlihes Geſtein Moos und Dornen, 
durd mehrere Schlupfwinfel, und id war feine Biertels 
meile gegangen, fo hörte ich ein ſtarkes Braufen, und ent» 
deite, als ich auf einem ziemlihen Umwege dem ſchroffen 
Meerpfeiler vorbei gefommen war und wieder hinunter 
nad dem Etrande ftieg, einen großen Waſſerfall, der ſich 
aus der weiten Oeffnung des Berges in’s Meer ergoß. 
Da ftand der Meine Beautiful und trant mit dem Sad 
auf dem Rücken, woraus er aber das Meiſte verſchüttet 
batte Ich befreite ihn glei von feiner Bürde und fdönfte 
Baffer mit der bohlen Hand. Es war Mar wie Kryſtall 
und konnte nicht beffer fein. 

Eu mein Gefübl in diefem Augenblide zu ſchildern. 


Troglodytenlehen. 127 


iſt unmdglich. Ich eilte zurück und begegnete Lemelie, der 
verdrießlich und niedergeſchlagen ausfab. Er wunderte ſich 
über mein frohes Geſicht. Hat Concordia Euch wieder eine 
englifhe Stunde gegeben? frug er ſpöttiſch. — Herr Les 
melie, antwortete ich, ich will Euch eben fo vergnügt ma⸗ 
hen, wenn Ihr mir erlaubt, Euch Baumwolle in die Ohr 
ven zu ftopfen, und cin Tuh um die Augen zu binden. Er 
bedachte ſich ein wenig, weil er aber an meiner arglofen 
Freude wohl merkte, dag mir ehvas Angenehmes begegnet 
Mr 4 ih ihm mittpeilen wollte, lich er fich die Bedingung 
gefallen. 


So führte ih ihn zu dem Waſſerfall und ließ ihn we ⸗ 
der hören noch feben, bis wir gerade vor der herrlichen fau- 
fenden Fluth fanden, von grünen Eträudern und Felfen- 
blumen umringt. Wie beſchreibe ih Euch fein Geſicht, als 
er den Waſſerfal fah und braufen hörte? Es giebt Augen- 
blicke wo ſelbſt das fältefte Herz des verruchteften Sünders 
von Gottes Güte, Almadt und Schönheit gerührt werden 
muß. Seine Geſichtemuskeln verzogen ſich krampfhaft, denn 
es koſtete fie eine große Anftrengung. die gewöhnlichen höh- 
niſchen Spottfalten, die hämifche Tüde daraus zu verjagen, 
und demütbig, dankbar und beglüdt auszufehen. Das ge⸗ 
lang nun freilich nit; das Ganze ward dod nur eine wie 
drige Frage, rührte mich aber dennoch, weil id die Mög- 
lichkeit zur Beſſerung daran erkennen konnte, 


Scht einmal, Herr Lemelie, rief ic, diefe Quelle hat 
der Feine Hund entdert, den Ihr vorgeftern morden wolle 
tet, weil er einige Tropfen Waffer in feinen Topf befam. 
Bäre «6 geſcheben, fo hätten wir alle bald auf dem trof- 
tenen Felſen verſchmachten müſſen. Seid fünftig nicht mehr 


128 Troglodptenleben. 


fo graufam, und haht und verfolgt niht unſchuldige Ge⸗ 
ſchopfe, die Euch nichts zu Leide thun. 


Ihr babt Recht, Herr Albert, antwortete er fanft und 
bedentlich, indem er den Hund, der uns zur Duelle gefolgt 
mar, ftreigelte; wahrlich, das ift eine edle Art, ſich zu rä 
en. Ihr fammelt mir alle glühende Kohlen aufs Haupt. 
Ich habe es nicht verdient. Man hat mir fonft gefagt: 
ein einziger fündhafter Menfh auf einem Schiffe könne die 
ganze Mannſchaft in’s Verderben ftürzen; bier geht es um» 
gekehrt: der Himmel rettet einen Sünder, tugendbafter Men- 
fen Willen. JIept wollen wir uns aud recht brüderlich 
lich vertragen. 

Es freute mid) fehr, ihn fo fpreden zu hören. Con. 
cordia, van Leuven und Minga theilten unfer Entzüden, 
als wir fie nad dem Waſſerfalle brachten. Als Lemelie 
vorangegangen war, erzählte ich ihnen aud feine Neue und 
wie er geſprochen habe. — Beim lebendigen Gotte, rief 
der biedere van Zeuven, diefe Nachricht Klingt mir eben fo 
litblich und tröftend in's Dbr, als das Rauſchen der neue 
entdedten Quelle! 


Gebe der Himmel, feufzte Concordia, daß diefe Gefin« 
nung eben fo dauerhaft fei. Aber leider! Auch auf dem 
nadten Sande kann wohl das Heidefraut mitunter ſpaäͤrlich 
gedeihen. Es blüht ein Meiner Fleck und ficht recht reizend 
und grün aus, als wäre es frifher Wiefengrund. Der lot 
tere Sand liegt aber lofe darunter. Bei'm naͤchſten Wind» 
ſtohe reigen ſich die ſchwachen Wurzeln los, und der Sand 
wir bell wieder abſcheulich in die Luft, und verdunfelt den 
Himmel. Aud das Krokodil meint im Scilfe, wie ein 
unſchuldiges Kind, wenn es Menſchen verfhlingen will. — 


Troslodytenleben. 130 


Beſonders bat fie ihren Gemahl. ſich vor dem falſchen grau. 
ſamen Menſchen in Acht zu nehmen. 


Liebes Kind, ſprach van Leuven, fie Heiter tröftend, wir 
Holländer find ein ruhig aufmerkſames Volt, und Laffen uns 
nicht fo leicht hintergehen. Haben wir dod) täglich mit ei⸗ 
nem meit fürdterlideren Ungeheuer zu fümpfen, das ung 
zu verſchlingen droht, das gewaltige Meer, und doch leben 
mir gfüdtic hinter unfern Deicen, laſſen ung nit aus der 
Faſſung bringen, und feine Furcht ſtört unfern ftillen Ge 
nuß. Hier jprudelt die Lehensquelle wieder friſch und er⸗ 
quidlih, fo wollen wir denn auf Gottes Gnade bauen, 
und nicht bloß Miftrauen und Furcht aus diefem ſchönen 
Hoffnungsbecher ſchlürfen. 


Nun waren wir im Beſiß der wichtigſten Lebensbedurf⸗ 
niſſe. Der Fels vertheidigte uns, wenn das Meer wüthete. 
hinter feinen Wänden fanden wir Schatten gegen die drüt⸗ 
kende Mittagshige, obſchon wir nicht die Freude hatten, uns 
unter einem fühlen, grünen Baume zu erquicken. denn nichts, 
als früpplihes Geſtruͤpp wuchs umber in den Nipen. Nur 
um die Duelle blühte etwas Gras und einige Blumen. 
Bir nannten diefen Ort Goncordias Barten, und ih hauete 
Eipe in den Stein, damit wir die Morgen» und Abend- 
Runden da zubringen onnten. Auch richteten wir eine Küche 
in der Nähe ein, um gleich Waſſer zu haben. Zwieback 
und geräucertes Fleiſch hatten wir nod für ein Biertel- 
jahr, Syießpulver und Biel für ein ganzes Jahr, und das 
mit wir auch nachher unfere Nahrung finden fönnten, hatte 
die Borfehung uns noch einen fhönen Bogen und“ Pfeile 
in der Kajüte finden laffen, ‚womit fih van Leuven zum 
Vergnügen vor feiner Abreife geübt hatte, denn weil er 

Veplenf. Echeiften. XVIL. 9 


130 Zroglodytenleben. 


fonft ein-guter Schüge war, wollte er aud den Ceylonern 
zeigen, daß er mit ihrer Waffe umzugehen wifle. 

Diefen Bogen bewahrten mir, als unfer koſtbarſtes 
Kleinod; ich nannte ihn Philoftets Bogen, und fühlte nun 
erſt die Schönheit der fophotleifchen Tragödie, wo ſich die 
Handlung einfach fhön um einen ſolchen Bogen dreht, der 
des Verlaffenen einziger Troft ift, den ihm dennoch feine grau⸗ 
ſamen Landsleute aus Eigennug rauben wollten, ohne ſich 
um feine Leiden zu befümmern, bis die Vorſehung es fo 
fügt, daß der Unglüdliche ihrem Berlangen nad diefem Bo» 
gen eben feine Rettung verdantt, indem die Gefährten, die 
nur NRaubfucht in feine Nähe gebracht hatte, zum Mitleide 
gegen ihn bewegt werden. 

Uchrigens war unfer Zuftand doch höchſt elend. Soll- 
ten wir fo, als Zroglodyten, auf dem nadten Steine in 
dunteln Höhlen unfer ganzes Leben zubringen? Waſſer hate 

- tem wir freilich genug; follten wir aber nie mehr die Müte 
terliche Erde betreten, aus deren fruchtbarem Schooße der 
Lenz mit lieblichen Farben empor blüht, der Herbft mit 
goldenen Früchten wrangt? Ia, noch eine größere Furcht 
drobete ung in der Ferne; nod ein zweites Element drohte 
uns zu verfallen! Der Funke des Lebens, die Erheiterin 
und Hervorruferin der Schöpfung, das beilige Feuer. 
Denn Bretter und Planken lagen freilich vollauf umher 
nach dem Schiffdruche. Wie lange konnte aber das dauern? 
Und Holz wuchs auf diefem Zelfen nicht. Das wenige Ge⸗ 
fräud mochte nur wenig verſchlagen; unfere einzige Hoff« 
mung gründete fi nod auf das Meergras, ob wir das- 
vielleicht trodnen kdunten, um unfer Effen dabei zu kochen. 

Für Concordias Schönpeit that es mir im Herzen am 
leideſten. Soll diele zarte Blume, dachte ih, in Nebel, 


Troglodytenleben. 131 


Regen, Hipe und beigendem Seewinde zuſammen ſchrum⸗ 
pfen und verwelfen? Soll die zarte reizende Lady bald wie 
ein armfeliges hollaͤndiſches Fiſcherweib ausfeben? — o 

Noch war nichts verloren; wir hatten alle Kleider ge« 
nug, und gingen fo einher, wie wohlhabende Bürger auf 
den flamländifhen Bildern. Minga mar eine fleißige Bär 
ſcherin. Ein großer breitihattiger Sonnenhut, den Cori- 
cordia mitgenommen hatte, kam ihr jept fehr zu Staiten. 
Und etwas darf id nicht verſchweigen: mir hatten ein gro- 
Bes Paket dänifher Handſchuhe aus Kopenhagen mitgenom- 
men; das war aud) gerettet. So fand zu hoffen, daß we⸗ 
der Kälte, Regen noch Sonnenſchein das Alabaſterwerk ih 
ver ſchoͤnen Hände vernichten würde. 

Ich ſelbſt foll mic, als vier und zwanzigjähriger Iüng- 
ling, mit den wallenden braunen Loden, mit dem ſchwar⸗ 
zem Sederhute, der kurzen Jade, der Jagdtaſche auf dem 
Nüden, der Flinte auf der Achſel. am Felſenſteige nicht übel 
ausgenommen haben. Zu meinem fanguinifhen Blute machte 
van Leuvens männlich ruhiges, tieffinniges, etwas bleiches 
Gefiht einen guten Gegenfag. Und um dem Bilde auch 
feinen Schatten zu geben, fo ſtach Lemelie wieder zu uns 
recht poetifd) ab, mit dem liſtigen hämiſchen Antlige, und 
ven fraufen blonden Locken, worauf er fehr ſtolz that, weil 





‚fie feinen alten franzöfilhen Adel bemeifen follten. Freilich , 


war der Scheitel ſchon ziemlich fahl; die breite Stirn nur 
von wenig Haaren bededt, der rothe Bart aber war ftark, 
und verbarg das gar zu fbigige Kinn. Nafe, Mund und - 
Augen hätte man ſchoͤn nennen können, wenn ein beflerer 
Ausdrud das Gefiht belebt hätte. Ein grauer aufgefrem- 
velter Hut mit hochrother Feder ſaß ihm immer ſchraͤg am 
Kopfe; und fo fah er einem vermummten Teufel nit unähn« 

— 8 


12 Neue Entdedungen. 


lich. Minga und der Tleine Beautiful, ſchwarz und weiß, 
vollendeten das Bild; beide treu, gefund, wach und immer 
u Bewegung; neigte die ftumpfe Neger-Natur in ipr ſich 
zum Thieriſchen, fo ließ der gefählvolle Blick des Hundes 
etwas Menſchliches ahnen. Diefe Berwandfdaft fühlend 
waren fie unzertrennlich. 

Hätte nun ein guter Mater diefes unfer ganzes Perfos 
nal auf der Klippe gefehen, um den berrlihen Waſſerfall 
gelagert. beim Sonnenuntergang, oder während die blaſſe 
Sichel des Mondes über dem Felfen ſchwebte, und das Küchen⸗ 
feuer hinten dunfelroth aus der Spalte deſſelben hervor lo⸗ 
derte; bäfte er zugleich ein Paar fledige Schildkröten dort 
hinauf Frieden, ein Seekalb den Kopf aus den Wellen er- 
heben laſſen. da wo die ſentrechten Bafaltpfeiler ſich im 
Waſſer fpiegelten, hätte er mod die Zuft mit einigen Ser 
vögeln bevölkert, fo würde das wahrlich, fein ſchlechtes Bild 
gegeben haben. 


16, 
Neue Entdedungen. 





Im Klettern war mir Niemand überlegen. Als ih nun 
merkte, daß fih oben auf der elfenfripe andre Gattungen 
Bögel bören und fehen Liegen, ſuchte ih durch allergand 
Umwege immer höher zu fteigen, bis ich den höchſten Gipfel 
erreiht hatte. Wie wurden nun meine Einnen von dem 
größten Bergnügen der Belt erfült! denn es fiel mir, durch 


Neue Entdelungen. 133 


einen einzigen Blick die anmuthige Gegend dieſer Zelfen- 
Infel in die Augen, melde ringsum mit dergleihen ſtarken 
Dfeilern und Mauern umgeben und verborgen war. 

Eine ganze Stunde Rand id) vol Entzüfen, denn der 
Gegenfag meines bisherigen Aufenthaltes, und des jehigen 
konnte nicht ftärker fein. Dort wafle, raube Seeluft, ſchroffe 
natte Zelfenwwände, das öde, flache, oder fhaumbededte, brau⸗ 
fende Meer, Sandbänfe, Meergras, Schildkröten und heie 
ferfchreiende Waſſervögel. düftere Bergklüfte; alles nur von 
Morgen» und Abendroth und Mondſchein einförmig oder 
geſpenſtermaͤßig beleuchtet. Hier füger Zrühlingsduft, Blu- 
men, Wälder, Bählein, Eingvögel in den Zweigen, Hirſche, 
Rehe, Affen und Ziegen im Thale; die mehr verwundert 
als bang, ſich nicht weit entfernten, um über den vielleicht 
mie gehabten Wunderanbitt eines Menfhen zu ſtaunen. Id 
fab mebrere Arten Geflügels, das unfern Nebhühnern glich. 
gab unter fie Feuer, und fünf blichen auf dem Plage lies 
gen. Nah dem Schuſſe, der oft in den Bergen wieder» 
halte, Aupten alle lebendigen Geſchöpfe gewaltig. gingen 
und flohen, jedoch bedachtſam, fort, und verbargen fih in 
den Wald. Faſt that er mir leid, daß mid der Knall die 
fer angenehmen Geſellſchaft beraubt hatte. 

Ich flreifte weiter umder, um auch Menſchen zu finden, 
fand aber feine-Spur davon; und — fol ich die Vahrbeit 
befennen? ich kann nicht fagen, dag mir viel daran gelegen 
war. Es war jeßt zu fpät, über den Felſen zu meiner Ge⸗ 
fellihaft zurüdzufehren. I blieb alfo im Innern der In 
fel; und verzehrte mein mitgenommenes Abendbrod. Schöne 
rothe Beeren, unfern Morellen glei, bingen auf dem 
Bäumen, und lodten mid mit ihren ſchwellenden Kugeln, 
ich wagte fie aber nicht zu Loften, weil ich ſie noch nicht 


134 Neue Entdedungen. 


tannte, und begnügte mid), aus dem Bächlein meinen Durft 
zu löfhen; dann flieg ich auf einen Baum, und ſchlief dort 
die Naht. Ic, der gewohnt war, nur das Meer braufen 
zu hören, wurde diesmal von dem Iuftigen Bogelgefang 
früß erwedt. Ich färlug die Augen auf; das Gras war 
mit Thaudiamanten überftreut. Das braune Wild erſchien 
m verſchwand Hinter den Bäumen. Bunte Papageien und 

joldfafane hüpften in den Smeigen. In den oberſten 
Baummipfeln zürnten kalikutiſche Hähne, breiteten ihre Faͤcher 
troßig aus, und wurden roth und blau vor Aerger, weil ſich 
die Morgenfonne unterftand, ihnen in die Augen zu blin⸗ 
fen. Naͤrriſche Affen krochen umher in der Nähe, und der 
gudten mid neugierig. Sie mußten nicht, ob fle mid zu 
ihrem Geſchlecht reinen follten oder nicht. Ein ſchoͤner klei⸗ 
ner Vogel kam mir fo nahe, daß ich meinen Hut über ihn 
werfen, ‚und ihn lebendig fangen konnte. Ich ſteckte den Bo- 
gel in meine Jagdtafche, und weil das hohe Gras doch noch 
zu naß war, ſchnitt ich einige Smweige von einem nahen 
Baume, der mit einer Beide große Aehnlichkeit hatte, und 
flocht in aller Eile einen runden Käfig für meinen Bogel, 
den ich Goncordien bringen wollte. Drauf begab ih mid 
wieder auf den Weg, um meine Gefährten nad) diefem Gas 
naan zu führen. Das erftaunlid reihe Farbenſpiel auf den 
Schmetterlingsflügeln, Slumenblättern und Bogelfedern, das 
ich nie fo in Europa gefehen hatte, entzüdte mid außeror- 
dentlih. Nod war es mir niht eingefallen, mich vor den 
mögliden Uebeln zu fürchten. Plöglih fuhr der Gedante 
mir wie ein Blig durd den Kopf: Wenn nun der Bald 
voll reigender Tiere, das Gras vol tödtender Schlangen, 
die Erde voll Giftpflanzen wäre? Meine gereizte Phantafie 
lieg mich ſchon alles deutlich fehen. Ic glaubte ein Löwen» 


Neue Entdelungen. 135 


haupt mit ungeheurer Maͤhne ſchaue ſchon dort hinter dem 
Baum hervor; hier Ero eine ſchuphige Schlange, mit der 
graßlichen Brile an dem gefhwollenen Halfe. Das Löwen- 


baupt war aber nur ein Baumfnoten in der Rinde, die 


Salansı ein heruntergefallener trodner Zweig, mit gelbem 
oft. 

Ploͤtzlich entdede ih Scherben eines zerbrochenen Topfes 
aus der Erde Halb hervorragend. Dieſes Merkmal eines 
Menfependafeins richtete mic wieder auf. Alfo Fönnen doch 
Menſchen bier Ichen und haufen, dachte ih. Aber licher 
Himmel, wenn nun das Kannibalen find, die did greifen, 
ſchlachten, braten und verzehren? Es lief mir eisfalt über 
den Rüden, id verwünfchte meine Neugierde, und wünſchte 
mic) wieder in die fteinerne Höhle zu Concordia und van 
Zeuven zurüd, wo wir nur gegen ein reigendes Thier, eine 
Giftblume, eine Brillenfhlange und einen Kannibalen 
uns zu wehren hatten. 

In diefe Gedanken vertieft, gerieth ih auf einen ſchma 
len, wie es ſchien, einft durch das Gehdlz gehauenen Weg, 
der in eine Sommerlaube führte. Sie war freilid jeht 


ganz verwachlen, fhien aber doc ein Wert von Menfhen- , 


band zu fein, das fah id) an den geraden, in einer Linie 
abgefägten Baumftämmen, die wieder hoch emporgefhoilen 
waren. Diedurd war das Dad dichter geworden, und die 
genaue Sufammenfügung der Zweige lieg aud vermu- 
then, dag nicht alles Natur und Hloger Zufall fei. Das 
Laubdach war fo did, daß kein Waffertropfen durchdringen 
fonnte. - 

In der Nähe diefer Laube fand ih deutlih Spuren 
eines längft verfallenen Gartens, wo nod. alle Obftbäume 
in Reihen fanden. Menſchen und Wohnungen gelang «6 


13 Rıne Exrttedungen 


mir aber wicht zu entzeien De chem dieſe Guitelung 
mar mir Die lichite. Ich ſah dentlich. dag hier an Ein- 
Fedler geringer Zabl gelebt, ie Längft geterhen jem mung. 
sem. Wis gehörte Tiefe Jaſci ums; Ed wir hatiea ver 
eigenten Ihierm vichts za fürdeen, tem die Meberrefie 
xigten ja, Tag einzelne Diewihen hier lange Zeit ungehört 
ihre Sitihſchaf getriehen hartem. 

Au eilie ich wirder nach Dem Felſen zarad. und ſchet 
meh cin junges Reh auf tm Sege, das ich witichlevpte 
Den Zaawes fand ich leicht und üher, denn ih hatte bei 
ter Ede cin Zeiden gemacht; dus mir im dicjen Pargrin- 
Ihe ſtatt Des Fadens der Ariatne diente. Mein junges 
Ach ward ziemlich beitanst, meil ich es nachilempte, die 
Ürbhübner hingen wir im einem Bunte auf dem Nüden, 
der Bogelläig anf der Bruk, die Flinte diente mir zum 
Banderhabe, und mein Hut firpte von Blumen umd frie 
ſchen Laube. 

34 wunderte mich über meine eigne Dreiftigkeit, als 
ich wie ein Strinbed, über Die Abgründe fprang und ohne 
Grauen die ſteilen Bänte Hinnterfieiterte. 

Im Hinunterfieigen mertte ih mir eine gefährliche 
Kluft. Hier muß eine Meine Brüde für Gencerdia geichla- 
gen werden, fagte ib. Ich zitterte, wenn ich am die Gefahr 
date, der fie fi) ausſeten Lünnte; mein Troſt mar aber: 
6 ik leiter hinauf- als binunterkiettern. 

Den erfien, den ich in den untern Regionen fraf, war 
van Leuven. Gr faß ziemlich hoch auf einem Felſenbloce. 
den Kopf auf die Hand, den Arm aufs Knie getügt, und 
ich hörte ihm fagen: Mein guter, frommer Albert Julius! 
So haben wir did denn aud verloren? Herrlicher Icbens- 
Infiger Junge! voll Zuverſicht und Hoffnung, mit dir if 





Neue Entdedungen. 137 


das Gläd von ung gewichen, und die Sonne dringt nicht 
mehr in unfere düftre Eteinpöhle. — Herr van Leuven! rief 
ich froh geräprt, grämt Eud nicht. Da habt Ihr den Al- 
bert Iufius wieder. Und feht mal den fhönen Vogel! Der 
bringt wie Noahs Taube ein Delblatt mit im Munde. Seht 
Ihr aud das frifhe Laub, die Blumen auf meinem Hute? 
Die Rebbühner und das Reh? 

Er wollte feinen eigenen Augen nicht trauen, und das‘ 
hochſte Entzüden verdrängte den tiefften Schmerz. — Ad, 
sief er, fo önnen wir nun doch noch den Geburtstag mei- 
ner Concordia mit Freude feiern? Ich glaubte, es würde 
aur ein Schmerzenstag für uns fein. Ich habe Euch verge- 
bens geſucht, bin weit höher hinauf geweſen, und wäre gern 
noch weiter geftiegen: allein der Gedanke, auch, wie Ihr 
vermuthlich, in dem Abgrund zu ſtürzen und das arme Weib 
mit dem abſcheulichen Boſewicht allein zu laſſen, hielt mich 
zurück 

Ibt Geburtstagl rief ih — und eine freudige Röthe 
überflog mein Geſicht. — Sie vollendet heute ihr neunzchn« 
tes Iahr, antwortete er. Ad, id habe ihr fein Geſchent 
matten Fönnen; nicht einmal meine zärtlihe Aufmerkfamteit 
Bonnte ic ihr widmen, denn meine Gedanken waren bei 
Euch, fieher Freund, auf dem Felſen. — Lemelie dagegen 
iſt recht aufgeräumt. Er fheint fih Euren Verluſt gar 
nicht nahe gehen zu laſſen. Er möchte uns wohl gern Beide 
zum Ichtenmal gefehen haben. Ein Paar hübſche Angelvue 
then hat er geſchnitten, und Concordien die eine gefchentt. 
Jetzt ſihen fie drunten und filhen. Der Elende! Mit ver- 
führerifhpen Reden liegt er immer der unfhuldigen Seele im 
Dhr. Bas follen wir aber thun? Das Schidfal hat ung 
nun einmal im engen Kreiſe mit ihm zuſammengebracht. 


138 Reue Entdedungen. 


Durch Strenge und Milde zugleich mäfen wir feine Bos- 
heit zähmen und bändigen. Die treue Minga verläßt Gon- 
cordien wie, wenn er bei ir it, und er fürdtet fih mehr 
vor diefer gutberzigen Schwarzen, als vor dem Teufel; 
denn er weiß, fie verficht feinen Spaß, umd wenn er fi 
die Meinfe Unverihämtpeit gegen die Herrſchaft erlaubte, 
würde fie ihn, gleih wie der Iagdhund den wilden Eher, 
an der Kehle faflen, ohne ſich an feine Hauzähne zu Lehren. 

Ban Leuven folgte mir in meine Höhle, wo ich erft 
ein Lied auf Goncordiens Geburtstag dichtete. das ihn ſebt 
erfreute. Ich glaube, fie Hat auch Etwas heute über Euch 
gemacht, fagte er, denn fie iſt ganz untröftlih, bat lange 
in ihrer Höhle geleflen und geſchrieben. Sie hat es aber 
wieder entzweigeriffen, ohne es Iemanden zu zeigen, und 
vor Beträbnig ſich faſt die Augen ausgeweint. 

Wie wopl that mir dieſe Rachricht ĩ Ich flocht das Laub 
und die Blumen in einem Kranz, und lief hinunter nach 
dem Strande, die ſchöne Zifherin zu tröften, umd ihren Hut 
mit dem Kranze zu (hmüden. Den Bogel im Käfig hatte 
ich mitgenommen. 

Lemelie faß verdroffen siemlih weit von ihr entfernt, 
und ſchien mit gerunzelter Stirn fehr aufmerkfam feine An« 
gelruthe im Waſſer zu betrachten. Minga fah ihn höhniſch 
an, mit den Händen in die ‚Seiten geftemmt, und warf mit- 
unter bedeutende Blicke auf Goncordia, die betrübt in tiefen 
Gedanken da ſaß, die Hände im Schooß, und mit Teifer 
Stimme fang: 

„Keine Blum’, Beine Blam’füß 
@ei gefreut auf den ſchwärzlichen Sarg, 
Keine Eeer, feine Seel grüß 
Mein Gebeia wo die Erd’ eb verbarg. 


Neue Entdedungen. 139 


Um Ach und Beh zu wenden ab, 
Bergt alleine 

Dich, wo fein Treuer wa aus —* 
Und weine.“ #) 


Ich ſchlich mich leiſe auf dem Sande binter fie, und " 


ffredte meinen Arm über ihr Haupt, fo daß der niedliche 
Bogel im Käfig ihre grade vor die Augen am, ohne daß fie 
mußte woher. Und wie alerliebft! Der Kleine Sänger, der 
die ganze Beit feiner Gefaugenſchaft geſchwiegen hatte, fing 
gleih an, eine luſtige Weiſe anzuſtimmen. Sie fhrang-er- 
ſchroden auf, und kehrte ih um. Da fand id, und firedte 
ibt das Lied, den Kranz und den Vogel entgegen. Ste fiel 
mir entzüdt um den Hals, küßte mid und rief: Mein ger 
liebter Freund! Meines edlen Gatten Freund! Lebt Ihr 
noch? Athmet Ihr noh? Nun, fo wollen wir auch wieder 
aufleben und hoffen. Ich bat fie, dag Meine Gedicht zu le⸗ 
fen; «6 lautete alfo: 


Der Fiſch und der Vogel. 


Das Fifchlein mag wohl niedlich fein, 

Mit Silberſchuvven (hön. 

Doch kann es mit mir leben? Rein! 

Bald irs um und gefcheh'n. 

Es jappelt eine kurze Beil, 

Der waffe Gein entflicht in Ei’; ’ 
Dann legt es in der Butte todt, 

Bis die Ratur gebot, 





*) Aus Ehakefpeareh „ 





s ihr wollt,” nach ©. 8. Ochlegel. 


140 Neue Entdedungen 


Und folgen kaunt du nicht dem Fiſc 
Racı.feinem Clement. 
Der duntie Grund iR gar zu feifch, 
Wo feine Sonne brennt. 
Da ſchwimmt der Waufifch und der Hai 
Dem röthlichen Korall vorbei; 
And was in jener Tiefe Ned, 
r ‚Hat noch fein Aug’ entdeckt. 


Dagegen fich das Böglein an 

Im bunten Federſchein! 

Es fingt fo Kieblich, fliegt bergan 
Und bringt dich nach dem Hain. 
Bei Sonnen Kufs und Untergang 
Es witſchert feinen Lobgefang. 
Und deiner Schönheit Herrlichkeit 
Befngt es, ohne Neib. 


Der Vogel fömmt zum Fee her 

Und bringt ben bunten Kram. 

Concordia, dad graue Meer 

‚Hat feinen ſolchen Glanz. 

So folg’ dem Bogel kec genug, 

Nach Paradies geht hoch fein Flug. 
Komm! — Evas Tochter bift du doch; — 
Rur &a mangelt noch. 


Lemelie ſaß indeg mit affectirter Ruhe bei feiner An⸗ 
gelruthe, woran nichts beigen wollte, und that. als ob er 
meine Zurädtunft gar nicht bemerkt haͤtte. Dan Leuven 


Neue Entdelungen. 14 


mußte ihn mehrmals einladen, ehe er aufſtand und zu uns 
tam. — . 

Ei, ei, rief er, da haben wir ja ünfern Poeten. Ich 
mußte wohl, daß er zu vernünftig fei, fich wirklich in Le⸗ 
bensgefahr zu wagen. Mit Gemfenjagd geben ſich die Her- 
ren Verfifere felten ab. Er bat Blumen in einer Zelfen- 
Muft gefunden und einen Vogel gefangen. Charmant! Und 
deshalb ift ihm Madame um den Hals gefallen und bat 
ihn fo zärtlich gefüßt, als ob es ihr Gatte wäre. Bas 
fagt der gute Herr van Zeuven dazu? — Ich würde fie 
nicht Lieben, antwortete van Leuven, wenn fie nit den bra⸗ 
ven, ehrlichen Albert lichte, und um ihn befümmert geweſen 
wäre. — Nun, Ihr ſprecht ja recht, wie ein vernünftiger 
Ehemann, ‚Herr van Leuven, verfeßte der Kapitän: allein 
marum foll id denn allein das Stieffind fein, und mit trok⸗ 
kenem Munde davongepen? Warum darf id) nicht auch küſ-⸗ 
fen und ein wenig geliebt werden? Was die Sitte in Ew 
ropa verbietet, wo Weiber volauf find, davon faun die Rede 
nicht bier am äden Beifenftrande fein, wo wir nur ein ein» 
ziges Srauenzimmer haben. Denn das bäßlihe, ſchwarze 
Thiermenſch, das dort mit dem Wildpret zur Küche gebt, 
wollt Ihr doch wohl fein Frauenzimmer nennen; fo wenig 
mie die Hündin, die ihr nachlaͤuft? Citten richten fih aber 
nad) Zeit und Umftänden, nad) der Natur der Verhaͤltniſſe. 
fonft werden fie Vorurtheile. Was natürlih und menſchlich 
ift, kann weder gottlos noch fafterbaft genannt werden; und 
fo denfe id, dag“ die reizende Goncordia nit länger fpröde 
thun wird, ſeitdem Herr van Leuven nicht Länger eiferfüch- 
iſt. Bei den Mohamedanern ift Polygamie, bei einigen 
malabarifcen Stämmen Polyandrie eingeführt. Sollen uns 
die Indianer in gefundem Menſchenverſtande, in Artige 








142 Reue Entdelungen. 


keit und Gefältigfeit beſchämen? Bas fih eine zarte, indi⸗ 
fe Schonheit gefallen läpt — und ich verfihre Euch auf 
Ehre, Madame, die indifhen Damen haben viel Zartgefüpl 
vielen Gefhmad, viel ſchwaͤrmeriſche Religiöfität und Blu 
menliebe; — das, denke ih, wird eine fhöne Engländerin 
aud) thun können. 

Ihr ſpaßt wieder, Herr Lemelic, antwortete van Leu⸗ 
ven; könntet Ihr im Ernfte fo reden, müßten wir Euch bes 
dauern und verachten. Doch muß ih Euch fagen, ſelbſtt 
als Spaß betrachtet, finde ich ſolche Reden in einer tugend» 
haften Frau Gegenwart fehr unziemlich, und mug wir in 
der Zufunft folde verbitten. Id weiß wohl, die Sranzofen 
nehmen es mit dergleihen Aeußerungen nicht fo genau, und 
das kann Euch einigermaßen zur Entfhuldigung dienen. 
Bir Engländer, Deutſche und Niederländer find aber ehr⸗ 
barer. Sogar Senegal und Gambia mit ihren Thiermen- 
fen würde gewiß unferm Gefhmade beitreten. Und ge 
gen eine folde Duadrupel-Allianz wird ſich hoffentlich Frant- 
reich in der Zukunft nicht auflehnen. — Ihr habt ganz 
Recht, Zeit und Umftände verändern Vieles. Hättet Ihr 
uns fo etwas in Europa gefagt, ich hätte Eud als Edel⸗ 
mann geantwortet. Hier auf diefem öden Zelfen- fühle ich 
mich aber zugleih weniger und mehr als vorher. Hier 
bin ih nur Menſch und Chriſt. — Das ſolltet Ihr auch 
fein! . - 
Ihr feid ja kein Chrift, Ihr feid ja nur ein Holländer, 
tief Zemelie lachend, der die ganze Sache zu einer Plai- 
fanterie madyen wollte. Wir theilten ihm alfo unfere Ente 
decung mit, die jedoch feinen fonderbaten Eindrud auf ihn 
machte. Er beneidete mir vielmehr meine Entdeckung und 
fragte fpöttelnd: Hat der Spürhund wieder etwas auf- 


Die Inſel. 143 
genöbert? Ich kehrte mich an feine Bosheit nicht und wür« 


digte ihn Feiner Antwort. Der kommende Morgen ward 
zu unferer Wallfahrt beſtimmt. 


17. 
Die Infel. 





Ban Leuven, Lemelie und id begaben uns friſch auf 
ven Weg. Concordia blieb in der Felfenhöhle zurück mit 
Minga, bis wir ihr eine hequemere Bahn gemacht und eine 
Wohnung droben eingerichtet halten. Lemelie ſtellte ſich 
trant an, ale wir eine Eleine Strede geftiegen waren, und 
fagte: er fünne heute nicht weiter Mettern, weil ihm ſchwind ⸗ 
lich werde. Als mir aber die Reife feinetwwegen auffhieben 
mollten, und verfiherten: wir würden oßne ihn feinen Schritt 
weiter ihun, ließ er es fih gefallen und fagte: Eben fo gut 
Heute als morgen, wenn es doc) fein muß. 

Man fann aber mitunter auch einem Schelmen Unrecht 
tbun, und das war heute der Fall, denn er befand ſich wirt 
uch nicht wohl, und als wir bei der großen Kluft ftanden, 
worüber er fpringen follte, erblagte er, und wäre ohne Zwei⸗ 
fel in den Abgrund geftürzt, hätte ich ihm nicht an den Arm 
gegriffen. Er fiel in Ohnmacht, wir trugen ihn abfeits in 
Scatten und rieben ihm die Schläfe mit Brantwein. Er 
zitterte Über den ganzen Leib, big die Zähne zufammen, 
Schaum ftand ihm vor dem Munde und ein kalter Schweiß 
bededte feine Stirn. 


144 ‚Die Infel, 


Als er wieder die Augen aufſchlug ſtatrte er mic) an 
und ſprach beifer: Das war nicht hübſch von Euch gerhan, 
Monfleur Julius, mid) gerade vor die Höllenthür zu füh- 
ren, bevor ich gebeichtet hatte. Wenn id nun hinunter ge 
fallen wäre? Kein Erbarmen wäre jenfeits zu hoffen. Denn 
id) fah ſchou den Teufel drunfen, ganz rauh und ſchwarz 
wie ein ungebeurer Affe, mit Glutaugen und ſcharfen Aral» 
len an den Fingern, nad) mir greifen. Drunten wimmelte 
es von feinen, efeligen böfen Geiftern, wie in einem Schylan- 
gennefte. Die Marterfammer öffnete fi) fhon, und ich ſah 
deutlich die Folterbant zubereitet, worauf: ich Cünden be⸗ 
fennen folte, von denen ic) nichts weiß. denn ic bin fo 
unſchuldig, wie ein neugebornes Kind. 

‚Herr Lemelie, antwortete id, Ihr ſprecht noch im Fie⸗ 
ber. Ih habe Euch fein Leides gethan, vielmehr babe ih 
Euch das Leben gerettet. — Ad, das ift wahr, fagte er, 
ſich die Stirne reibend. Iept beſinne ich mid. Ihr grifft 
mid) beim Arme, als mir ſchwindelte. Icht it mir wieder 
wohl. Ich habe die Schwachheit, mitunter ſchwindlig zu 
werden. Dann fafele ih und forede das dümmſte Zeug, 
ganz gegen meine eigene Ueberzeugung. Sobald id vom 
Teufel ſpreche, könnt Ihr immer gewiß fein, daß ich Erant 
bin. Im gefunden Zuftande Denke ich nie an fo etwas Un⸗ 
verfländiges. Laßt mid) aber bier bleiben und mid erho« 
den. Ueber die Kluft ſpringe ich nicht; denn da iſt es nicht 
geheuer. 

Ban Leuven und ich berathſchlagten uns, was wir mit 
ihm machen follten. Einem ſolchen durchaus verdorbenen 
Menſchen, ſprach ich, ift nicht zu trauen. Vielleicht fagt er 
nur alles das, um, wenn wir ihn verlaſſen, hinunter zu 

” Concordia zu laufen. Beſſer gehen wir zwei gleich hinun- 


Die Inſel. 145 


ter, einige Bretter und ein Tau zu holen. Wir müffen ja 
doch an diefem Orte Concordien eine'Brüde bauen. 

Gefagt, gethan! und als das Brett über dem Abgrund 
lag, als van Zeuven am der einen und ich an der andern 
Eeite des Abgrundes das Tau hielten, wagte fi endlich 
Lemelie ſchwankend in fihtbarer Todesangſt hinüber. — 
Bir wunderten uns, daß einem erfahrenen Seemanne fo 
ſchwindlich fein Fönne. Unfere Muthmagung ward aber 
inner mehr und mehr beftärft, dag er nur ein Abenteu- 
ver fei, der das eigentliche Seeweſen nie recht gründlich ge- 
trieben hatte, 

Ban Leuven freute ſich eben fo fehr wie ich, das ſchöne 
Eitand zu entdeden. Sogar in Lemelie erregte der Anblick 
der blühenden Natur eine angenehme Empfindung. Seine 


Sinnlichteit fühlte fi) geſchmeichett in der behaglihen Im- 


gebung, die ihm in der Zufunft größere Bequemlichkeit ver⸗ 
ſprach· 

Concordia zeigte ſich beim Hinaufſteigen weit raſcher 
und dreiſter, als id) erwartet Hatte. Die Sehnſucht, bald 
die fhöne Infel zu fehen, verdrängte alle Furcht; wie eine 
leichte Nympbe ſchwebte fie Über die Kläfte, und als fie 
aun droben im Grünen land, unter den Bäumen, unter 
den Blumen, da kniete fie hin und fredte die ſchönen Hände 
gen Himmel, und wir mit.igr, und ich fimmte an: 

Huf den Mebel folgt die Sonne, 

Auf das Zrauern Freud und Bonne, 
Auf die ſchwert bitt’re"Pein 

Eteut ſich Troſt und Labfal ein. 
Weine Seele, die zuvor 

Eant His zu dem Höltenthor, 


Steigt nun bis zum Dimmelcor! 
Oehlenſ. Echriften. XVII. 10 


124 Troglodytenleben. 


Bir müfen fo wie Tantalus 
Den Becher ſehn — und darben! 


Dem Waher nah, 
Kein Bafler da, 
Zu Riten unfer Schmachten. 
Wie trodner amd 
Im wüften Sand 
Die Fluten nur zu adıten. 
„Doc in der Wüfle Quellen oft 
Der matte vilger findet; 
Bir finden auch! Die Setle hoft, 
Bis ganz dad Leben ſchwindet 


Ms Moſes mit dem Stabe ſchlag 
Im trocknen Felfenthale, 

Da fprang das Waſſer reichlich g’uug 
Mit breitem Gilberftrale. 

Die Hoffnung fhlägt, 

Das Hers bewegt, 

Und Muth wir ale fallen; 

Die Zuverfiht 

Berläßt und nicht: 

Bott wird und nicht verlaffen! 


Ich hatte das Lied zu einer Kirchenmelodie verfaßt, es 
fand allgemeinen Beifall; ſelbſt Lemelie, der cs fih von 
Concordia überfegen ließ, mochte es leiden, nicht, als ob er 
etwas Frommes oder Erbauliches dabei gefühlt hätte, der 
Inhalt unterhielt ihn aber, weil ihn aud nach der Duelle 


Iroglodytenlehen. 125 


verlangte. Sein kalter Geiſt fand den Begenfap von Merr- 
waſſer in eberflug und Mangel an fügem Waſſer artig, 
als Franzoſe hatte er ein wenig Achtung für die Dichtkunſt 
gelernt, und ich merkte wohl. daß er von heute an den Ton 
gegen mid änderte, 


Goncordia, van Leuven und id fangen jeden Abend 
dies und andere geiftlihe Lieder dreiftimmig, und es klang 
recht ſchoön in der großen Felſenwoͤlbung, während die 
Sonne in’s Meer tauchte. = Einmal wurden wir aber von 
einem gräßlichen Geſchrei mitten in unferer Andacht gehört. 
Es kam von Minga’s Höhle Wir liefen, Hin und trafen 
Lemelie vor Wuth zitternd, mit einem blinfenden Meſſer in 
der Hand, und die Negerin, immer nody fehreiend, in einen 
Binfel bingeflähtet. Bir glaubten erft alle, er habe fie 
morden wollen, entdeckten aber bald, dag es auf den klei⸗ 
nen Beautiful gemünzt war, den fie auf dem Arme trug: 
— Barum, frug van Leuven, mollt Ihr das arme unfhul- 
dige Thier ermorden? — Was unſchuldig? rief er rafend; 
verfluchtes Vieh, das uns das wenige nor) Uebrige auffrißt 
und trinft. Sollen Menſchen eher als eine folde Beftie 
umfommen? Sol es unfer Yarges Mahl, womit wir er 
barmlich das Leben friften, noch fümälern? 

\ Goncordia warf ſich ihm zu Fügen und beſchwur ihn 
mit Tpränen, ihren kleinen Liebling zu ſchonen. Das rührte 
ihn etwas; er bat fie höflich, nieder aufzuftchen, drüdte ihr 
die Hand und fagte: Für Euch, Madame, opfere ih ul, 
felbft mein Leben. 


So war denn der Friede mieder hergeſtellt. Als wir 
mit Minga darüber ſprachen, fagte fie: Wäre der Hund 
sefräßig, wollt' ich mir es noch gefallen laſſen; er frißt 


126 Trogloditenleben. 


aber wenig und trinkt noch weniger. Seht einmal, den 
Topf mit. Waffer hat er ja beute kaum angeräbrt. 

Nicht angeräprt? wiederholte -ih, und ein Hofnunge- 
ſtrahl durddrang mir die Seele. Ich ſchwieg aber, um 
Alles erft ſelbſt zu unterfuhen. Am folgenden Morgen 
fand ic) früh auf, der kleine Beautiful, der bei mir ge 
Schlafen hatte, und den ic Laufen ließ, verlor ſich gleich in 
die Felfenklüfte. Nach einer halben Stunde kam er wie 
der, Tedte ſich um's Maul, und im Barte hingen ihm noch 
Mare Waſſertropfen. — Ic fhmedte daran. O Himmel! 
es war. frifcyes, füßes Waller. Noch ſchwieg id und nahm 
mir vor, dem Hunde das näcfte Mal auf feiner Bandes 
rung zu folgen. Es war aber unmöglich, er entſchlüpfte 
wir, und id Eonnte feine Spur nicht finden. Nun füllte 
id ein Saͤcchen mit weißem Sande, madıte ein Loch daran 
und band cs dem Hunde das naͤchſte Mal auf den Rüden, 
fo, dag er im Laufen immer ein wenig daraus verlieren 
mußte. Auf diefe Art zeigte mir cin weißer Streifen den 
Weg über nadtes ſchwärzliches Gefein, Moos und Dornen, 
durch mehrere Schlupfwinfel, und ich war feine Viertel» 
meile gegangen, fo hörte ich ein ſtarkes Braufen, und ente 
dedte, als id auf einem ziemlicyen Umwege dem (droffen 
Meerpfeiler vorbei gefommen war und wieder hinunter 
nad dem Etrande ftieg, einen großen Wafferfall, der ſich 
aus der weiten Definung des Berges in’s Meer ergoß. 
Da ftand der Meine Beautiful und trank mit dem Sad 
auf dem Rüden, woraus er aber das Meiſte verſchüttet 
hatte Ic; befreite ihn gleich von feiner Bürde und ſchöpfte 
Waſſer mit der hohlen Hand. Es war Mar wie Kryſtall 
und konnte nicht beffer fein. 

Euch mein Gefühl in diefem Augenblide au ſchildern. 


Troglodytenleben. 127 


iſt unmöglih. Ich eilte zuräd und begegnete Lemelie, der 
verdriehlich und niedergeſchlagen ausfab. Er wunderte ſich 
über mein frohes Gefiht. Hat Concordia Eud wieder eine 
engliſche Stunde gegeben? frug er ſpöttiſch. — Herr Les 
melie, antwortete ich, id will Eud eben fo vergnägt mar 
hen, wenn Ibr mir erlaubt, Euch Baummolle in die Ohr 
ven zu ftopfen, und ein Tuch um die Augen zu binden. Er 
bedachte fi) ein wenig. weil er aber an meiner arglofen 
Zreude wohl merkte, dag mir etwas Angenehmes begegnet 
fü das ich ihm mittheilen wollte, ließ er fich die Bedingung 
gefallen. 


So führte id) ihn zu dem Waſſerfall und lieg ihn we» 
der hören noch feben, bis wir gerade vor der herrlichen fau- 
fenden Fluth ftanden, von grünen Eträudern und Zelfen- 
blumen umringt. Wie beſchreibe id) Euch fein Geſicht, als 
er den Wafferfalt fah und braufen hörte? Es giebt Augen- 
biide, wo ſelbſt das Pältefte Herz des verruchteſten Sünders 
von Gottes Güte, Allmacht und Schönheit gerührt werden 
muß. Seine Gefihtemusteln verzogen ſich trampfhaft, denn 
es foftete fie eine große Anftrengung. die gewöhnlichen Höh« 
niſchen Spottfalten, die haͤmiſche Tüde daraus zu verjagen, 
und demäthig, dankbar und beglüdt auszufehen. Das ge⸗ 
fang nun freilid nicht; das Ganze ward dod nur eine wi⸗ 
drige Frage, rührte mich aber dennoch, weil ich die Mög- 
lipfeit zur Beflerung daran erkennen konnte. 


Seht einmal, Herr Lemelie, rief ich, dieſe Quelle hat 
der Meine Hund entdedt, den Ihr vorgeftern morden mol 
tet, weil er einige Tropfen Waſſer in feinen Topf befam. 
Bäre es geſcheben, fo hätten wir alle bald auf dem troß- 
tenen Felſen verſchmachten mäffen. Seid künftig nit mehr 


123 Troglodvtenleben. 


ſo grauſam, und haßt und verfolgt nicht unſchuldige Ge⸗ 
ſchoͤpfe, die Euch nichts zu Leide thun. 

Ihr habt Recht, Herr Albert, antwortete er fanft und 
bedenklich, indem er den Hund, der ung zur Quelle gefolgt 
mar, ftreihelte; wahrlich, das ift eine edle Art, ſich zu rär 
den. Ihr fammelt mir- alle glühende Kohlen aufs Haupt. 
Ich habe es nicht verdient. Man hat mir fonft gefagt: 
ein einziger fündhafter Menf auf einem Schiffe könne die 
ganze Mannſchaft in’s Verderben ftürzen; bier geht es um⸗ 
gekehrt: der Himmel rettet einen Sünder, tugendhafter Men» 
ſchen Willen. Jetzt wollen wir uns aud recht brüderlich 
lich vertragen. 

Es freute mich fehr, ihn fo fprehen zu hören. Gon- 
cordia, van Leuven und Minga theilten unfer Entzüden, 
als wir fie nad dem Waflerfalle brachten. Als Lemelie 
vorangegangen war, erzählte ic) ihnen auch feine Neue und 
wie er gefprochen habe. — Beim lebendigen Gotte, rief 
der biedere van Leuven, diefe Nachricht klingt mir eben fo 
litblich und tröftend in's Dbr, als das Rauſchen der neue 
entdedten Quelle! 


Gebe der Himmel, feufzte Concordia, dag diefe Geſin⸗ 
nung eben fo Dauerhaft fei. Aber leider! Auch auf dem 
naften Sande kann wohl das Heidefraut mitunter ſpäͤrlich 
gedeihen. Es blüht ein Meiner Fled, und fieht recht reizend 
und grün aus, als wäre es friſcher Wiefengrund. Der lot⸗ 
tere Sand liegt aber lofe darunter.. Bei'm nädften Wind» 
ſtohe eigen fi die ſchwachen Wurzeln los, und der Sand 
mirbelt wieder abſcheulich in die Luft, und verdunfelt den 
Himmel. Auch das Krokodil weint im Scilfe, wie ein 
unſchuldiges Kind, wenn es Menſchen verfhlingen wild. — 


Troslodytenle ben. 13o 


Befouders bat fie ihren Gemahl. fi ver dem feiften. grau 
famen Menſchen in Acht zu nehmen. 


Liebes Kind, ſprach van Leuven, fie heiter tröftend, wir 
Holländer find ein ruhig anfmerffames Volk, und laſſen ung 
nicht fo leicht bintergehen. Haben wir do) täglich mit eis 
nem meit fürdpterliyeren Ungeheuer zu kämpfen, das ung 
zu verſchlingen droht, das gewaltige Meer, und doch leben 
wir gfüßlih hinter unfern Deichen, laſſen uns nit aus der 
Faſſung bringen, und feine Furcht ſtört unfern ftillen Ge 
nuß. Hier jprudelt die Ledensquelle wieder frifh und er⸗ 
quidlih. fo wollen wir denn auf Gottes Gnade bauen, 
und nicht blog Mißtrauen und Furcht aus diefem fhönen 
Hoffnungsbecher fhlürfen. 


Nun waren wir im Befig der wichtigſten Kebensbedürf- 
aiffe. Der Fels vertheidigte uns, wenn das Meer wüthete. 
hinter feinen Wänden fanden wir Schatten gegen die drüß- 
kende Mittagshige, obſchon wir nicht die Freude hatten, uns 
unter einem fühlen, grünen Baume au erquiden, denn nichts, 
als früppliches Geftrüpp wuchs umber in den Rißen. Nur 
um die Duelle blühte etwas Gras und einige Blumen. 
Bir nannten diefen Ort Concordias Garten, umd ih hauete 
Eige in den Stein, damit wir die Morgen- und Abend- 
Runden da zubringen fonnten. Auch richteten wir eine Kühe 
in der Nähe ein, um gleich Waſſer zu baden. Zwiebac 
und geräuchertes Fleiſch hatten wir nod für ein Viertel» 
jahr, Shiegpulver und Blei für ein ganzes Jabt, und das 
mit wir aud) nachher unfere Nahrung finden könnten, batte 
die Vorſehung uns noch einen fhönen Bogen und’ Pfeile 
in der Kajüte finden laffen, ‚momit fih van Leuven zum 
Vergnügen vor feiner Abreife geübt hatte, vun weil er 

Deplenf. Exheiften. XVIL. 


130 Troglodytenleben. 


ſonſt ein guter Schüge war, wollte er auch den Ceylonern 
zeigen, daß er mit ihrer Waffe umzugehen wiſſe. 

Diefen Bogen bewahrten wir, als unfer koftbarftes 
Kleinod; ich nannte ihn Philoftets Bogen, und fühlte nun 
erft die Schönheit der fophofleifhen Tragödie, wo fih die 
Handlung einfach fhön um einen folden Bogen dreht, der 
des Verlaffenen einziger Troft ift, den ihm dennoch feine grau« 
famen Landsleute aus Eigennug rauben wollten, ohne ſich 
um feine Leiden zu befümmern, bis die Vorſehung es fo 
fügt, dag der Unglückliche ihrem Verlangen nad) diefem Bo- 
gen eben feine Rettung verdankt, indem die Gefährten, die 
nur Raubſucht in feine Nähe gebracht hatte, zum Mitleide 
‚gegen ihn bewegt werden. 

Uchrigens war unfer Zuftand doch boͤchſt elend. Soll 
ten wir fo, als Troglodyten, auf dem nadten Steine in 
dunteln Höhlen unfer ganzes Leben zubringen? Waller hat« 

- ten wir freilich genug; follten wir aber nie mehr die müt« 
terliche Erde betreten, aus deren fruchtbarem Schooße der 
Senz mit lieblihen Farben empor blüht, der Herbft mit 
goldenen Früchten mrangt? Ja, nod eine größere Furcht 
drohete ung in der Ferne; noch ein zweites Element drohte 
uns zu verlaflen! Der Funke des Lebens, die Erheiterin 
und Hervorruferin der Schöpfung, das beilige Feuer. 
Denn Bretter und Planten Lagen freilich vollauf umher 
nad dem Schiffbruche. Wie lange fonnte aber das dauern? 
Und Holz wuchs auf diefem Felfen nicht. Das wenige Ge⸗ 
ſtrauch mochte nur wenig verfhlagen; unfere einzige Hoff ⸗ 
mung gründete fih noch auf das Meergras, ob wir das 
vielleicht trodnen könnten, um unfer Eſſen dabei zu kochen. 

Für Concordias Schönpeit that es mir Im Herzen am 
leideſten. Soll diefe zarte Blume, dachte ich, in Nebel, 


Troglodytenleben. 131 


Regen, Hipe und beißendem Seewinde zufammen ſchrum⸗ 
pfen und verwelten? Soll die zarte reizende Lady bald wie 
ein armfeliges hollandiſches Fiſcherweib ausfehen? — 5 

Noch war nichts verloren; wir hatten alle Kleider gee 
nug, und gingen fo einher, wie wohlhabende Bürger auf 
den flamländifhen Bildern. Minga mar eine fleigige Bä- 

ſcherin. Ein großer breitfhattiger Sonnenhut, den Con⸗ 

eordia mitgenommen hatte, fam ibr jept fehr zu Statten, 
Und etwas darf ich nicht verfeptweigen: wir hatten ein gro- 
es Paket daniſcher Handſchuhe aus Kopenhagen mitgenom- 
men; das war auch gerettet. So ftand zu hoffen, daß wer 
der Kälte, Regen noch Sonnenfhein das Alabaſterwerk ih · 
rer fdjönen Hände vernichten würde. 

Ich ſelbſt fol mich, als vier und zwanzigjähriger Tünge 
ling, mit den wallenden braunen Loden, mit dem ſchwar⸗ 
gem Sederhute, der kurzen Iade, der Jagdtaſche auf dem 
Nüden, der Slinte auf der Achſel. am Felfenfteige nicht übel 
ausgenommen haben. Zu meinem fanguinifhen Blute machte 
van Leuvens männlich ruhiges, tieffinniges, etwas bleiches 
Geſicht einen guten Gegenfag. Und um dem Bilde auch 
feinen Schatten zu geben, fo ſtach Lemelie wieder zu ung 
recht poetiſch ab, mit dem Liftigen hämifhen Antlipe, und 
den Eraufen blonden Loden, worauf er fehr ftolz that, weil 
‚fie feinen alten franzoͤſiſchen Adel bemeifen ſollten. Freilich 
"mar der Scheitel ſchon ziemlich kahl; die breite Stirn nur 
‚von wenig Haaren bedekt, der rothe Bart aber war ftark, 
und verbarg das gar zu fhigige Kinn. Nafe, Mund und 
Augen hätte man fhön nennen können, ‘wenn ein beſſerer 
Ausdrud das Geſicht belebt hätte. Gin grauer aufgefrem- 
velter Hut mit hochrother Feder ſaß ihm immer ſchräg am 
Kopfes und fo fah er einem vermummten Teufel „ia unähn« 





1% Neue Entdedungen. 


lich. Minge und der Leine Beautiful, ſchwarz und weiß 
vollendeten das Bild; beide treu, gefund, wach und immer 
Wi Bewegung; neigte die ſtumpfe Neger-Natur in ihr ſich 
zum Thieriſchen, fo lieh der gefühlvolle Blid des Hundes 
etwas Menſchliches ahnen. Diefe Verwandfchaft fühlend 
waren fie unzertrennlich. - 

Hätte nun ein guter Maler diefes unfer ganzes Perfo- 
nal auf der Klippe gefehen, um den herrlichen Waſſerfal 
gelagert, beim Sonnenuntergang, oder während die blaſſe 
Sichel des Mondes über dem Felſen ſchwebte. und das Küqhen ⸗ 
feuer hinten dunkelroth aus der Spalte deffelben hervor lo⸗ 
derte; bätte er zugleich ein Paar fledige Schildkröten dort 
hinauf Friehen, ein Seekalb den Kopf aus den Wellen ers 
beben laſſen. da wo die fenkredhten Bafaltpfeiler fi im 
Waſſer ſpiegelten. hätte er nod die Zuft mit einigen See 
vögeln bevölkert, fo würde das wahrlich kein ſchlechtes Bild 
gegeben haben. 


16, 
Neue Entdedungen. 





Im Klettern war mir Niemand überlegen. Als ih num 
merkte, daß ſich oben auf der Zelfenfvipe andre Gattungen 
Bögel bören und fehen Liegen, fuchte ih durch allerhand 
Ummege immer höher zu fleigen, bis id} den höchſten Gipfel 
erreicht hatte. Wie murden nun meine Einnen von dem 
größten Vergnügen der Belt erfüllt! denn es fiel mir, durch 





Neue Entdedungen. 133 


einen einzigen Blick die anmuthige Gegend dieſer Felſen ⸗ 
Inſel in die Augen, welche ringsum mit dergleichen ſtarken 
Pfeilern und Mauern umgeben und verborgen war. 

Eine ganze Stunde fand id) voll Entzüden, denn der 
Gegenfag meines bisherigen Aufenthaltes, und des jegigen 
konnte nicht lärker fein. Dort waffe, rauhe Seeluft, ſchroffe 
nafte Selfenwände, das äde, flache, oder fhaumbededte, brau⸗ 
fende Meer, Sandbänfe, Meergras, Schildkröten und heie 
ſerſchreiende Waffervögel, düftere Bergklüfte; alles nur von 
Morgen« und Abendroth und Mondſchein einförmig oder 
geſpenſtermaͤßig beleuchtet. Hier füger Frühlingsduft, Blu- 
men, Wälder, Bählein, Eingvögel in den Zweigen, Hirfche, 
Rebe, Affen und Biegen im Thale; die mehr verwundert 
als bang, fid nicht weit entfernten, um über den vicleicht 
nie gehabten Wunderanditd eines Meuſchen zu faunen. Ih 
ab mehrere Arten Geflügels, das unfern Nebhühnern gli, 
gab unter fie Feuer, und fünf blieben auf dem Platze lie⸗ 
gen. Nah dem Schuffe, der oft in den Bergen wieder- 
Halte, Rugten alle Iehendigen Geſchöpfe gewaltig. gingen 
und floben, jedoch bedachtſam. fort, und verbargen fid in” 
den Wald. Faſt that er mir leid, daß mid der Knall die- 
fer angenehmen Geſellſchaft beraubt hatte. 

Ich flreifte weiter umber, um auch Menſchen zu finden, 
fand aber feine-Spur davon; und — fol ic die Wahrheit 
befennen? ic kann nit fagen, daß mir viel daran gelegen 
war. Es war jegt zu fhät, über den Felſen zu meiner Ges 
ſellſchaft aurädzutchren. IA blieb alfo im Innern der In 
fel; und verzehrte mein mitgenommenes Abendbrod. Schöne 
rohe Beeren, unſern Morellen gleich, bingen auf den 
Bäumen, und lotten mid mit ihren ſchwellenden Kugeln, 
ich wagte fie aber nicht zu Roften, weil ich ſie noch nicht 


134 Neue Entdetungen. 


Tannte, und begnügte mich, aus dem Bächlein meinen Durft 
zu löfhen; dann flieg ich auf einen Baum, und fälief dort 
die Nadıt. Ich, der gewohnt war, nur das Meer braufen 
zu hören, wurde diesmal von dem Iuftigen Vogelgeſang 
früh erwedt. Ic ſchlug die Augen auf; das Gras war 
mit Tpaudiamanten überftreut. Das braune Wild erfhien 

md verſchwand hinter den Bäumen. Bunte Papageien und 

oldfafane hüpften in den Bmeigen. In den oberften 
Baummipfen zürnten kalikutiſche Hähne, breiteten ihre Fächer 
troßig aus, und wurden roth und blau vor Aerger, weil ſich 
die Morgenfonne unterftand, ihnen in die Augen zu blin- 
ken. Naͤrriſche Affen krochen umber in der Nähe, und bes 
gudten mich neugierig. Sie mußten nicht, ob fle mid zu 
ibrem Geſchlecht rechnen follten oder nicht. Ein ſchöner klei⸗ 
ner Vogel kam mir fo nahe, daß ich meinen Hut über ihn 
werfen, und ihn lebendig fangen konnte. Ich ftedte den Vo⸗ 
gel in meine Jagdtaſche, und weil das hohe Gras doch noch 
zu naß war, ſchnitt id) einige Zweige von einem nahen 
Baume, der mit einer Weide große Aehnlichkeit hatte, und 
flocht in aller Eile einen runden Käfig für meinen Vogel, 
den ih Goncordien bringen wollte. Drauf begab id) mid 
wieder auf den Weg, um meine Gefährten nad) diefem Gas 
naan zu führen. Das erſtaunlich reihe Farbenfpiel auf den 
Schmetterlingsflägeln, Blumendlättern und Bogelfedern, das 
ih nie fo in Europa gefehen hatte, entzüdte mich außeror- 
dentlih. Noch war es mir nit eingefallen, mid vor den 
möglicen Uebeln zu fürdten. Ploötzich fuhr der Gedanfe 
mir wie ein Big durd den Kopf: Wenn nun der Bald 
voll veigender Thiere, das Gras vol tödtender Schlangen, 
die Erde voll Giftpflanzen wäre? Meine gereizte Phantafie 
Lie mic) ſchon alles deutlich fehen. Ich glaubte ein Löwen, 


Neue Entdedungen. 135 


haupt mit ungeheurer Maͤhne ſchaue fhon dort Hinter dem 

Baum hervor; bier kroch eine ſchuppige Schlange, mit der 

gräßlihen Brille an dem geſchwollenen Halfe. Das Lümen- 

baupt wat aber nur ein Baumfnoten in der Rinde, die 

Saint ein heruntergefallener trodner Zweig, mit gelbem 
of. 

Möglich entdede ich Scherben eines zerbrochenen Topfes 
aus der ‚Erde halb hervorragend. “Diefes Merkmal eines 
Menfchendafeins richtete mic) wieder auf. Alfo können doch 
Menfchen bier Ichen und haufen, dachte ich. Aber licher 
Himmel, wenn nun das Kannibalen find, die did) greifen, 
ſchlachten, braten und verzehren? Es fief mir eiskalt über 
den Rüden, id verwunſchte meine Neugierde, und wünſchte 
mic wieder in die fteinerne Höhle zu Concordia und van 
Leuven zurüd, wo wir nar gegen ein reißendes Thier, cine 
Giftblume, eine Brillenfhlange und einen Kannidalen 

uns zu wehren hatten. 

In diefe Gedanken vertieft, gerieth ih auf einen (hma- 
len, wie es ſchien, einft dur das Gehölz gehauenen Weg, 
der in eine Sommerlaube führte. Sie war freilich jeßt 
‚ganz verwachſen, ſchien aber doch ein Werk von Menfchen« 
band zu fein, das fah id) an den geraden, in einer Linic 
abgefägten Baumftämmen, die wieder hoch empotgeſchoſſen 
waren, Diedurd) war das Dad) dichter geworden, und die 
genaue Zufammenfügung der Zweige ließ auch vermu- 
then, dag nicht alles Natur und bloger Zufall fe. Das 
Laubdach war fo did, dag kein Waflertropfen durchdringen 
tonnte. 

. In der Nähe diefer Laube ‚fand ih deutlich Spuren 
eines längft verfallenen Gartens, wo nad). alle Obftbäume 
in Reihen fanden. Menſchen und Wohnungen gelang es 


136 - Neue Entdedungen. 


mir aber nicht zu entdeden. Doc eben diefe Entdedung 
war mir die liebſte. Ic ſab deutlich, daß hier einft Ein- 
fiedler geringer Zabl gelebt, die längft geftorben fein muß- 
tem. Alſo gehörte diefe Infel uns; und mir haften vor 
eißenden Thieren nichts zu fürchten, denn die Ueberreſte 
zeigten ja, daß einzelne Menſchen hier lange Zeit nngefört 
ihre Wirthſchaft getrieben hatten. 

Nun eilte ich wieder nad) dem Felſen zurüd, und ſchoß 
noch ein junges Reh auf dem Wege, das ic) mitſchleppte. 
Den Rüfmweg fand ich leicht und fiher, denn ich hatte bei 
jeder Ece ein Zeichen gemacht; das mir in diefem Labyrin- 
the ftatt des Fadens der Ariadne diente. Mein junges 
Neh ward ziemlich beſtaubt, weil id es nachſchlebpte. die 
Rebhühner Bingen mir in einem Bunde auf dem Rüden, 
der Vogelkäfig auf der Bruft, die Flinte diente mir zum 
Banderftabe, und mein Hut ftrogte von Blumen und frie 
ſchem Laube. 

Ic) wunderte mid über meine eigne Dreiftigleit, als 
id, wie ein Steinbod, über die Abgründe fprang, und ohne 
Grauen die fteilen Wände Hiunterfletterte. 

Im Hinunterfteigen. merkte ih mir eine gefährliche 
Kluft. Hier muß eine Meine Brüde für Concordia geſchla⸗ 
gen werden, fagte id). Ich zitterte, wenn ih an die Gefahr 
dachte, der fie ſich ausfegen Könnte; mein Troft war aber: 
Es ift leichter hinauf» als binunterkfettern. 

Den erften, den ich in den untern Regionen traf, war 
van Leuven. Er faß ziemlich hoch auf einem Zelfenblode, 
den Kopf auf die Hand, den Arm auf's Knie geftügt, und 
ich hörte ihn fagen: Mein guter, frommer Albert Iulius! 
So haben wir did denn auch verloren? Herrlicher Iebens- 
Iufiger Junge! voll Zuverſicht und Hoffnung, mit dir iſt 


Neue Entdedungen. 137 


das Glück von uns gewichen, und die Sonne dringt nicht 
mehr in unfere däftre Eteinhöhle.— Herr van Leuven! rief 


"ih froh gerührt, grämt Euch nicht. Da Habt Ihr den Ar 


bart Julius wieder. Und feht mal den fhönen Vogel! Der 
bringt wie Noahs Taube ein Delblatt mit im Munde. Seht 
Ir auch das friſche Laub, die Blumen auf meinem Hute? 
Die Rebhühner und das Reh? 

Er wollte feinen eigenen Augen nicht trauen, und das‘ 
hochſte Entzüden verdrängte den tiefften Schmerz. — Ach, 
rief er, fo Fönnen wir nun doc noch den Geburtstag mei- 
ner Concordia mit Freude feiern? Ich glaubte, es würde 
nur ein Schmerzenstag für uns fein. Ic babe Euch verge⸗ 
bens geſucht, bin weit höher hinauf geweſen, und wäre gern 
noch weiter geftiegen: allein der Gedanke, auch, wie Ihr 
vermuthlic, in den Abgrund zu ſtürzen und das arme Weib 
mi dem abſcheulichen Böfewicht allein zu laſſen, hielt mic 
zurück. 

Ihr Geburtstag! rief ih — und eine freudige Röthe 
überflog mein Geſicht. — Sie vollendet heute ihr neunzchn- 
tes Jahr, antwortete er. Ad, ich Habe ihr fein Geſchent 
matten fönnen; nicht einmal meine zärtlihe Aufmerkfamteit 
konnte id ihr widmen, denn meine Gedanfen waren bei 
Eu, lieber Freund, auf dem Zelfen. — Lemelie dagegen 
iſt recht aufgeräumt. Er ſcheint fih Euren Verluft gar 
nicht nahe gehen zu laſſen. Er möchte uns wohl gern Beide 
zum letztenmal gefehen haben. Ein Paar hübfhe Angelru⸗ 
then hat er geſchnitten, und Goncordien die eine gefhentt. 
Iept figen fie drunten und fiſchen. Der Elende! Mit ver- 
führerifhen Reden liegt er immer der unfyuldigen Seele im 
Ohr. Bas follen wir aber thun? Das Schidfal hat ung 
nun einmal im engen Kreiſe mit ihm zuſammengebracht. 


138 Neue Entdedungen. 


Durch Strenge und Milde zugleich mäffen wir feine Bos- 
heit zähmen und bändigen. Die treue Minga verläßt Con- 
eordien nie, wenn er bei ihr iſt, und er fürdtet fih mehr " 
vor diefer gutherzigen Schwarzen, als vor dem Teufel; 
denn er weiß, fie verfteht keinen Spaß, und wenn cr fi 
die Meinfte Unverfhämtheit gegen die Herrſchaft erlaubte, 
würde fie ihn, gleich wie der Iagdhund den wilden Eher, 
an der Kehle faſſen, ohne ſich an feine Hauzähne zu kehren. 

Ban Leuven folgte mir in meine Höhle, wo ic erſt 
ein Lied auf Goncordiens Geburtstag dichtete, das ihn ſehr 
erfreute. IA glaube, fie hat aud ‘Etwas heute über Eu) 
gemacht, fagte er,. denn fie iſt ganz untröftlih, hat lange 
in ihrer Höhle geſeſſen und geſchrieben. Sie bat es aber 
wieder entzweigeriffen, ohne es Iemanden zu, zeigen, und 
vor Beträbnig fih faft die Augen ausgeweint. 

Bie wohl that mir diefe Nachricht! Ich flocht das Laub 
und die Blumen in einen Kranz, und lief hinunter nad 
dem Strande, die fhöne Fiſcherin zu tröften, und ihren Hut 
mit dem Kranze zu fhmüden. Den Bogel im Käfig hatte 
ich mitgenommen. 

Lemelie ſaß verdroffen ziemlich weit von ihr entfernt, 

und ſchien mit gerungelter Stirn ſehr aufmerkfam feine An⸗ 

gelruthe im Waſſer zu betrachten. Minga fah ihn Höhnifch 
an, mit- den Händen in die Seiten geftemmt, und warf mit« 
unter bedeutende Blide auf Concordia, die betrübt in tiefen 
Gedanten da faß, die Hände im Schooß, und mit leiſer 
Stimme fang: 

„Reine Blum, feine Blum’rüß 

@ei geftseut auf den ſchwärzichen Sarg, 

Keine Seel, keine Seel’ grüß 

Mein Gedein, wo die Erd eb verbarg. 


Neue Entdedungen. 139 


Um ch und Sed zu wenden ab, 
Bergt alleine 

in, wo fein Trener wat” ans Gieb 
Und weine.” *) 


Ich ſchlich mic leiſe auf dem Sande binter fie, und " 
firedte meinen Arm über ihr Haupt, fo daß der niedliche 
Bogel im Käfig ihr grade vor die Augen kam, ohne daß fie 
mußte woher. Und wie allerliehft! Der Eleine Sänger, der 
die ganze Zeit feiner Gefangenfhaft geſchwiegen hatte, fing 
gleich an, eine luſtige Weiſe anzuftimmen. Sie forang-er- 
ſchroden auf, und kehrte fi um. Da fand id, und firelte 
ihr das Lied, den Kranz und den Vogel entgegen. Ste fiel 
mir entzuckt um den Hals, fügte mid) und rief: Mein ge- 
liebtet Freund! Meines edlen Gatten Freund! Lebt Ihr 
noch? Athmet Ihr noch? Nun, fo wollen wir aud wieder 
aufleben und hoffen. Ich bat fie, dag Meine Gedicht zu le⸗ 
fen; es lautete alfo: 


Der Fiſch und der Vogel. 


Das Fiſchlein mag wohl niedlich fein, 

Mit Silberfhhuppen (hön. 

Doc kann es mit mir leben? Rein! 

Bald iſns um uns geicheh'n. 

Es jappelt eine kurze Beil, 

Der nafle Bein entflicht in Gil’; 2 
Dann liegt es in der Butte tobt, 

Bie's die Ratur gebot, 





*) Mus ehateſpeares „Bas ihr wollt," nach 0.3. Ochlegel. 


140 Neue Entdedungen. 


Und folgen kannt du nicht dem Fiſch 
Nach. ſeinem Glement, 

Der dunkie Grund iR gar au frifch. 

Wo feine Sonne brennt. 

Da ſchwimmt der Wallfiſch und der Hai 
Bem rötplichen Korall vorbei; 

And was in jener Tiefe fedt, 

‚Hat noch fein Aug" entdeckt. 


Dagegen fieh das-Wöglein an 

Im bunten Federſchein ! 

&8 fingt fo lieblic, fliegt bergan 
Und bringt dich nach dem Hain. 
Bei Sonnen Auf und Untergang 
Es witſchert feinen Lobseſang. 
Und deiner Schonheit Herrlichkeit 
Befingt ed. ohne Neid. 


Der Vogel kommt zum Feſte her 

Und bringt den bunten Kram. 

Concordia, Dad graue Meer 

‚Hat feinen ſolchen Glam. 

So folg' dem Bogel fe genug, 

Nach Paradies geht hoc) fein Flug. 
Komm! — Gvas Tochter bift du doch; — 
Nur Goa mangelt noch. 





Lemelie (aß indeg mit affectirter Ruhe bei feiner An⸗ 
gelruthe, woran nichts beißen wollte, und that. als ob er 
meine Zurückkunft gar nicht bemerkt Hätte. Dan Leuven 


Neue Entdelungen. 141 


mußte ihn mehrmals einladen, ehe er aufſtand und zu uns 
tam. — - 

Ei, ei, rief er, da haben wir ja unfern Poeten. I 
mußte wohl, daß er zu vernünftig fei, ſich wirklich in Les 
bensgefahr zu wagen. Mit Gemfenjagd geben ſich die Her- 

‚ren Berfifere felten ab. Er hat Blumen in einer Selfen- 
luft gefunden und’ einen Bogel gefangen. Charmant! Und 
deshalb ift ihm Madame um den Hals gefallen und bat 
ihn fo zaärtlich gefüßt, als ob es ihr Gatte märe. Bas 
fagt der gute Herr van Leuven dazu? — Ih würde fie 
nicht Lieben, antwortete van Zeuven, wenn fie nit den bra⸗ 
ven, ehrlichen Albert liebte, und um ihn befümmert geweſen 
wäre. — Nun, Ihr fpreht ja recht, wie ein vernünftiger 
Ehemann, Hert van Lenven, verfeßte der Kapitän: allein 
marum foll id denn allein das Stieffind fein, -und mit trof- 
kenem Dlunde davongehen? Barum darf ich nicht auch küſ⸗- 
fen und ein wenig geliebt werden? Bas die Sitte in Eu⸗ 
ropa verbietet, wo Weiber vollauf find, davon faun die Rede 
nit bier am dden Ferſenſtrande fein, wo wir nur ein ein« 
siges Frauenzimmer haben. Denn das häßlihe, ſchwarze 
Thiermenſch, das dort mit dem Bildpret zur Küche gebt, 
wollt Ihr do wohl fein Frauenzimmer nennen; fo wenig 
wie die Hündin, die ihr nachläuft? Eitten richten fih aber 
nad) Zeit und Umftänden, nad) der Natur der Verhältuifie, 
fonft werden fie Borurtpeile. Was natürlich und menſchlich 
ift, fann weder goftlos noch Lafterbaft genannt werden; und 
fo denfe id), daß die reigende Concordia nicht länger fpröde 
“hun wird, feitdem Herr van Leuven nicht länger eiferfüh- 
iR. Bei den Mohamedanern ift Polygamie, bei einigen 
malabariſchen Stämmen Polyandrie eingeführt. Sollen uns 
die Indianer in gefundem Menfchenverftande, in Artig- 


142 Neue Entdedungen. 


keit und Gefälligfeit beſchämen? Bas fid) eine zarte, indie 
ſche Scyimpeit gefallen läßt — und id verfihre Euch auf 
Ehre, Madame, die indiſchen Damen haben viel Zartgefühl 
vielen Gefhmad, viel fhwärmerifhe Neligiöftät und Blu 
menliebe; — das, denke ich, wird eine fhöne Engländerin 
auch tun Fännen. 

Ihr ſpaßt wieder, Herr Lemelic, antwortete van Leu 
ven; könntet Ihr im Ernſte fo reden, müßten wir Eu) be 
dauern und verachten. Doch muß ih Euch fagen, ſelbſt 
als Spaß betrachtet, finde ich ſolche Reden in einer tugend» 
baften Fran Gegenwart fehr unziemlich, und muß mir in 
der Zufunft ſolche verbitten. Ich weiß wohl, die Franzofen 
nehmen es mit dergleihen Aeußerungen nicht fo genau, und 
das kann Eud einigermaßen zur Entfhuldigung dienen. 
Bir Engländer, Deutſche und Niederländer find aber ehr- 
barer: Sogar Senegal und Gambia mit ihren Thiermen- 
ſchen würde gewiß unferm Geſchmacke beitreten. Und ge 
gen eine ſolche Duadrupel-Allianz wird ſich hoffentlich Frant ⸗ 
reich in der Zukunft nicht auflehnen. — Ihr habt gang 
Net, Zeit und Umftände verändern Bieles. Hättet Ihr 
uns fo etwas in Europa gefagt, ich hätte Eud als Edel 
mann geantiwortet. Hier auf diefem öden Zelfen- fühle ich 
mich aber zugleih weniger und mehr als vorher. Hier 
bin id) nur Menſch und Chriſt. — Das foltet Ipr auch 


fein! B - 
Ihr feid ja fein Chrift, Ihr feid ja mur ein Holländer, 
rief Lemelie lachend, der die ganze Sache zu einer Plai⸗ 
fanterie machen wollte. Bir tyeilten ihm alfo unfere Ent 
dedung mit, die jedoch feinen fonderbaten Eindrud auf ihm 
machte. Er beneidete mir vielmehr meine Entdelung und 
fragte ſpöttelnd: Hat der Spürhund wieder etwas auf- 





| 


Die Intel. - 143 
getöbert? Ic kehrte mich an feine Bosheit nicht und wür⸗ 


digte ihn feiner Antwort. Der kommende Morgen ward 
zu unferer Wallfahrt beſtimmt. 


17. 
Die Infel 





Dan Leuven, Lemelie und ich begaben uns frifh auf 
den Weg. Concordia blieb in der Zelfenhöhle zurüd mit 
Minga, His wir ibr eine bequemere Bahn gemacht und eine 
Vobnung -droben eingerichtet hatten. Lemelie ſtellte ſich 
krank an, ale wir eine kleine Strecke geſtiegen waren, und 
fagte: er könne Heute nicht weiter klettern, weil ihm (Kroind- 
lich werde. Als wir aber die Reife feinetwegen auffhieben 
wollten. und, verfiherten: wir würden oßne ihn feinen Schritt 
weiter Ihun, ließ er es ſich gefallen und fagte: Eben fo gut 
heute als morgen, wenn es doch fein muß. 

\ Man fann aber mitunter au) einem Schelmen Unrecht 
thun, und das war heute der Fall, denn er befand ſich wirt- 
luch nit wohl, und als wir bei der großen Kluft ſtanden. 
worüber er fpringen follte, erblaßte er, und wäre ohne Zwei⸗ 
fel in den Abgrund geſtürzt, hätte ich ihm nicht an den Arm 
gegriffen. Er fiel in Ohnmacht, wir trugen ihn abſeits in 
Scyatten und rieben ihm die Scläfe mit Brantwein. Er 
zitterte Über den ganzen Leib, big die Zähne zufammen, 
Schaum fand ihm vor dem Munde und ein kalter Schweiß 
bededtte feine Etirn. 


144 ‚Die Infel, 


Als er wieder die Augen aufſchlug ſtarrte er mid an 
und ſprach Heifer: Das war nicht hübſch von Euch gethan, 
Monfleur Julius, mic gerade vor die Höllenthür zu füh- 
ren, bevor ic) gebeichtet hatte. Wenn ich nun hinunter ge⸗ 
fallen wäre? Kein Erbarınen wäre jenfeits zu hoffen. Denn 
ich ſah ſchou den Teufel drunfen, ganz taub und ſchwarz 
wie ein ungeheurer Affe, mit Glutaugen und ſcharfen Kral- 
len an den Fingern, nad) mir greifen. Drunten wimmelte 
es von Meinen, ekeligen böfen Geiftern, wie in einem Schlan⸗ 
gennefte. Die Marterfammer öffnete fih fhon. und id fah 
deutlich die Folterbant zubereitet, worauf id) Cünden bee 
kennen follte, von denen id) nichts weiß, denn id bin fo 
unſchuldig, wie ein neugebornes Kind. 

‚Herr Lemelie antwortete id, Ihr fpreht nod im Fie⸗ 
ber. Ich habe Euch fein Leides gethan, vielmehr babe ich 
Euch das Leben gerettet. — Ach das ift wahr, fagte er, 
fid) die Stirne reibend. Jetzt befinne id) mid. Ihr grifft 
mid, beim Arme, als mir ſchwindelte. Jetzt ift mir wieder 
wohl. Ich Habe die Schwachheit, mitunter ſchwindlig zu 
werden. Dann fafele id) und fprehe das dümmfte Zeug, 
ganz gegen meine eigene Ueberzeugung. Sobald ih vom 
Zeufel ſpreche, fönnt Ihr immer gewiß fein, daß ich krant 
bin. Im gefunden Zuftande denke ic nie an fo etwas Un⸗ 
verfländiges. Laßt mid aber hier bleiben und mic erbos 
den. Ueber die Kluft fpringe id) nicht; denn da ift es nicht 
geheuer. 

Ban Leuven und ich berathſchlagten uns, was wir mit 
ihm machen follten. Einem folden durdaus verdorbenen 
Menſchen, ſprach ic, ift nicht zu trauen. Vieleicht fagt er 
nur alles das, um, wenn wir ihn verlaffen, hinunter zu 

“ Eoncordia zu laufen. Beſſer gehen wir zwei gleih hinun⸗ 





Die Infel, 145 


ter, einige Bretter und ein Tau zu holen. Bir müffen ja 
doc) an diefem Orte Concordien eine Brucke bauen. 

Gefagt, gethan! und als das Brett über dem Abgrund 
lag, als van Leuven an der einen und id an der andern 
Seite des Abgrundes das Tau hielten, wagte ſich endlich 
Lemelie ſchwankend in fihtbarer Todesangſt hinüber. — 
Bir mwunderten uns, daß einem erfahrenen Seemanne fo 
ſchwindlich fein könne. Unfere Muthmaßung ward aber 
immer mehr und mehr beftärft, daß er nur ein Abenteu⸗ 
rer fei, der das eigentliche Seeweſen nie recht gründlich ge- 
trieben hatte, 

Ban Leuven freute ſich eben fo ſehr wie ic, das ſchöne 
Eiland zu entdeden. Sogar in Lemelie erregte der Anblick 
der blühenden Natur eine. angenehme Empfindung. Seine 
Einnlidjteit fühlte ſich geſchmeichelt in der hehaglihen Im- 
gebung, die ihm in ‚der Zukunft größere Bequemlichkeit ver- 
ſprach. 

Concordia zeigte ſich beim Hinaufſteigen weit raſcher 
und dreiſter, als ich erwartet hatte. Die Sehnſucht, bald 
die ſchone Inſel zu ſehen, verdrängte alle Furcht; wie eine 
leichte Nymphe ſchwebte fie Über die Klüfte, und als fie 
nun droben im Grünen fand, unter den Bäumen, unter 
den Blumen, da Ehiete fie hin und ftredte die ſchönen Hände 

gen Himmel, und wir mit.ihr, und id ftimmme an: 
Auf den Nebel folgt die Sonne, 
Auf dad Trauern Freud und MWonne, 
Auf die ſchwere hitt're’pein 
@tent fih Troſt und Labfal ein. 
Meine Seele, die zuvor 
Eant His au dem Höllentdor, 


Steigt mun bis zum Dimmelhor! 
Oehlenſ. Schriften. XVII. 


146 Die Infel.. 


Ich batte mein Geſangbuch in der Taſche, ſchlug das 
Lied auf und reichte es van Leuven und Goncordien. Sie 
batten ſchon öfter deutſche geiftliche Lieder mit mir gefun- 
gen, und die fremde Ausfprade machte ihre Andacht noch 
rührender. Nur Semelie fang nicht mit. Ihr feid Keper, 
pflegte er bei folder Gelegenheit zu fagen, ih als guter 
Katholit muß meine Andacht abgefondert von Euch halten. 
Darauf ging er fort mit der Branntweinflafhe, und ich 
zweifle nicht, daß er fehr eifrig auf feine Weiſe gebetet habe, 
denn- als er wieder zurüdtam, waren ihm die Augen roth, 
und die Flaſche war leer. . , 

Mit den ſchwerſten Rechnungen, wenn ſie aud noch fo 
fehr in die Brüche gehen, ann ic) fertig werden, fagte van 
Leuven, da muß das Facit richtig werden; die Menſchen wa⸗- 
ven mir aber immer eine ſchwierige Aufgabe, befonders die⸗ 
fer Leinefie; denn das ift ein Bruch, der weder Zähler noch 
Nenner hat. Mit dem blogen Berftande, Herr van Leuven, 
antwortete ich, beurtheilt man keinen Charakter. Ihr feid 
älter und habt gewig mehr Scarffinn als id; Ihr fheint 
Euch aber mit Euren Wiſſenſchaften, mit Eurer Mathema« 
tie und Aftronomie fo.eifrig abgegeben zu haben, daß Ihr 
die übrige Welt darüber vergeflen habt. Und jept find wir 
ja aud von diefer mittelmägigen Welt getrennt; ein Engel 
hat Euch begleitet, nad Elvſium feid Ipr mit ihm verſcht. 
wozu denn jet jene viel gepriefene Menfchentenntnig? — 
Allein Lemelic! verfegte van Leuven, auf ihn möchte ich 
mic doch gern verftehen. — Wäret Ihr in Eurer Jugend 
nicht fo glüdlid und wohlhabend gewefen, ermiederte ich, 
nicht nad einer Schnur erzogen, hättet Ihr nicht immer 
brave tugeudbafte Leute um Euch gehabt, die vernünftig 
bandelten, fo würde Euch die Nothwendigkeit wohl gelehrt 





Die Infel. om 


haben, End auf folde Kähze, wie der Lemelie, zu verfte- 
ben. Wolluſt ohne Herz macht immer graufam. Böfe Men- 
ſchen ohne Gewiſſen müſſen fi) auch die Gottheit boshaft 
und grauſam denfen. Darum fürchtet er Gott, ohne ſich 
zu beſſern. Darum find Aberglaube und Unglaube laͤcher⸗ 
lid bei ihm gepaart. Alle erhabene Gefühle, tröftende re 
ligiöfe Bortellungen, Kunft, Poefle, Tugend und Großmuth 
verachtet er als Schwmärmereien. Sein Geift, der am Grob» 
Irdiſchen Alebt, kann ſich nie vom Staube losreißen; daher 
ſchreiben fi) die Schreckbilder des plumpeften Materialis- 
mus, wenn er zu fterben fürchtet. Wenn aber die Angft 
vorüber ift,- fpielen Eitelkeit und Stolz wieder ihre alten 
Nollen, unterfiügt von der Lüge, und der ſchwache knechti⸗ 
ſche Geiſt in feiner Dummheit wähnt, er fei ein Freigeiſt; 
weil,er nit weiß, dag nur in Gott allein die Freiheit zu 
ſuchen if. 

Jetzt verſteh ich mid) fo gut auf Lemelie, wie auf den 
Hutbageräifien Lehrfag, rief van -Leuven. Eo, lieber Als 
dert, mollen wir oft mit einander ſprechen. “Ihr folt mich 
die Weltfenntnig, und ic will Euch Mathematik und Aſtro⸗ 
nomic lehren. Gin gutes Fernrohr haben wir gerettet. Ad, 
das it fhön, Herr van Leuven, rief ih Das wollen wir. 
— Nenne mid nit mehr Herr van Leuven, nenne mid 
Du, fora er freundlich, und reihte mir die Hand. Das 
Schickſal hat uns zu Brüdern gemacht. Ziemt es fid noch 
für uns, ſolche fremde Redensarten zu gebrauchen? — Ach, 
ſprach id, ich mollte gern, — aber id ſchäme mich — geht 
das an? Und mas wird Eure Frau Gemahlin dazu fagen? 
Solten wir fie nit er fragen? — Närrifher Albert! 
rief van Leuven, eben ſprachſt Du fo vernünftig, und jept 
fpript Du fo albernes Zeug. Da haben nn wieder den 





wo. Die Infel. 


Widerſpruch des Menſchlichen. Ih frage Did noch einmal, 
willt Du mein Sreund fein oder niht? — Nun ja denn! 
Dein Freund bis in den Tod, rief id, und drüdte den- vor 
trefflihen Mann an meine Bruf. 

Bir hatten vollauf zu thun, unfere Wirtbfhaft auf 
der Infel einzurichten. Die Sommerkaube war bald gerei- 
nigt und ausgelüfte. Unter der Iodern Erdlage, die ſich 
von faulen Blättern in vielen Jahren gebildet hatte, fan- 
den wir einen trefflihen Eſttich von Sand und Thon, der 
fich ganz troden hielt. Als die Wände glatt befhnitten, 
die Fenſierloͤcher darin gemacht waren, konnte ih Goncor- 
dien nicht davon abhalten, diefe Laube zu ihrem Schlafzim⸗ 
mer zu wählen. Mit allen Euren übrigen Einrichtungen, 
Hieber Albert, ſprach fie, bin id ſehr zufrieden, aber in's 
Bogelneft, in den Baum, mag ih nicht alle Abende bin- 
aufflettern, wenn ſich eine fhöne Wohnung ganz von felbft 
darbietet. Eure Sorge wegen der Luft ift Übertrieben. Der 
Steintoplendampf in London ift oft ärger. Was fagt Ihr 
dazu, mein Gemahl? Ach, verfeßte van Leuven, gebe Gott, 
dag wir immer in Holland und Antwerpen eine ſolche Luft 
gehabt hätten. — Nun, rief Concordia ladend, fo mag 
Herr Albert als Sachſe, der auf der Wartburg und am 
Ihüringerfelfen beim Nitter Rnaufdegen feine Lunge ver- 
wöhnt hat, (des Dachzimmers beim Küfter, wo er das Cie 
bengeſtirn durch's Loch fehen konnte, nicht zu vergeffen,) im 
Baume lange genug friſchere Luft fhöpfen. Wir Eheleute 
und Minga bleiben hier; denn eine Beine Borftube wird 
Aid) leicht machen laſſen. — AG, Frau, antwortete die 
Schwarze, mo Gras und Erde ift, da iſt Bett für Minga 
und für den kleinen Beautiful. 

So richteten wir uns denn en; fo gut wir fonnten 


Die Infel. 149 


und mochten, und weil weiter für ihn nichts zu mählen 
war, mußte Lemelie auch in einen Baum hinauf. Concor⸗ 
dia und Minga fingen gleidy an, ven alten Garten zu bes 
arbeiten. Bir Männer "harten mehrere Tage vollauf zu 
thun, alle Sachen aus der Steinhöhle über den Fels auf 
die Infel binauf zu bringen. Hier halfen uns mun van 
Leuven's Kenntniffe in der Mechanik, wodurd er uns die 
‚Arbeit fehr erleichterte und beinahe das Unmögliche mög. 
lich madıte. 

Als wir damit fertig waren, hatten wir beinahe nichts 
zu hun. Jagd und Fifderet kofteten uns im Anfange gar 
feine Mühe. Die Thiere hießen ſich ſchiegen, die Fiſche fan⸗ 
gen ebne Schwierigkeit. Und io ift der Menſch! Bas er 
gar zu leicht hat, achtet er nichtz die Jagd hatte für une 
ihren Reiz verloren, meil dabei nichts zu wagen war, weil 
fie feine Anftrengung koſtete. Es koſtete van Leuven und 
mir große Ueberwindung, die unfchuldigen Thiere zu töd⸗ 
ten, die uns forglos entgegen kamen. 

Do das dauerte nit lange. Die Thiere lernen bald 
die Menfchen kennen, wo fie ſich treffen. Bald entflohen 
Vögel und Wildpret, wenn fie unfere blanken Flinten fü- 
ben, und wir hatten Unterhaltung genng. 

Waren van Leuven urd ic ganz Jäger und Baumei- 
fter, Concordia ganz Gärtperin und Fiſcherin, fo war wie 
der Lemelie ganz Koh. und Minga mußte ihm in der 
Kühe Hülfe leiten. Es war nicht zu läugnen, die Maple 
zeiten, die er uns off durch feine Reden verbitterte, ‚mußte 
er durch die Zubereitung lederhaft zu würzen. Bein und 
Branntwein hatten wir nicht viel mehr, der Palmenfaft 
mit Wafler gemifcht gewährte uns aber ein fehr angench« 
mes Getränf. Unfer Zwieback wurde wie ein fäftlices 


150 Die Infel. 


Bacwerk nur ſparſam zum Naqtiſch genoſſen. Der Bret- 
baum war aber auf einmal unfer Adermann, Müller und 
Bäer, und wir brauchten nur die Hände augzuftreden, um 
das liebe Brod zu haben, darum ſich Die lieben Europäer 
im Schweiße ihres Angefihts bemühen. Lemelie, der vor« 
der blaß und mager war, fing jept an, fett und roth im 
Gefihte zu werden. Er machte fid keine Bewegung, auf 
die Jagd mochte er nicht geben: wenn er in der Küche fer« 
tig war, lag er den ganzen Tag auf feiner Matrage, klim⸗ 
verte auf feiner Laute, Die er gerettet hatte, und wollte 

Concordia ihn nicht giftig machen, fo mußte fie ihm wenig- 
ſtens eine Stunde täglich bei der Handarbeit zuhören. 

Zeit genug hätte id nun gehabt, mit der fhönen Frau . 
den Shafespeare zu Iefen. Ein Paar Bände waren auch 
von dem Wrade gerettet, wir konnten fie aber nachher gar 
nicht in den Steonhöhlen finden. Wahrſcheinlich hatte Les 
melie die Bücher vernichtet, weil er nicht Teiden mochte, daß 
Concordia und id) zufammen tarin fafen. ine deutſche 
und eine engliſche Bibel, woran er ſich vermuthlich nicht zu 
vergreifen wagte, hatten wir doch noch. Auch van Leuven 
rettete einige wiſſenſchaftliche Werke. Nun las ih alle ' 
Tage mit Concordta in der englifhen Bibel, wodurch der 
Unterricht mir ſehr erleichtert vourde, weil ih beinahe meine 
deutſche Bibel ausmendig mußte. Es freute mic fehr, die 
mohlbefannten Sachen in einer fremden Sprache erzählt 
umd ausgeforodhen zu hören, wodurd fie den Reiz der Neu- 


beit gewannen. R 





Der Greis in der Höhle, 151 


18. 
Der Greis in der Höble. 





Beil id) einmal der Entdeder geworden war, fo ber 
gnügte ih mich nicht damit, allein in unferer Gegend zu 
bleiben, fondern ftreifte weit umber auf der Infel. Ueberall 
ſab ich fruchtbare Thaͤler, fhöne Wälter. Ein größerer 
und Mleinerer Flug bildeten niedlihe Seen und durchfloſſen 
das Eiland. Der große Fluß werlor ſich in die Bergklüfte, 
woher wir gefommen waren, und ih entdedte fpäter, daß 
er drunten den Waſſerfall bilde, der uns in den erften Ta- 
‚gen das Leben gerettet hatte. 

Mitten auf der Infel fing es wieder an, bügelicht zu 
werden. Eine fhöne Anhöhe zog befonders meine Aufmert⸗ 
famteit auf fi. Ich hätte fie leicht von einer enfgegenger 
ſetzten Seite erfteigen können, weil ich mid) aber einmal an 
das Klettern gewöhnt hatte, gefiel es mir mehr, die ſchroffe 
Bandfeite hinaufzufteigen, weil diefer Weg viel fürzer war. 

Die fteinerne Band war mit Moos und Geftrüpp ber 
wachſen. Kaum hatte id einige Schritte gethan, fo fiel ich 
flürzte in ein Loc) hinein. und befand mid) in einer finftern 
Höble, wo die Luft fo beflommen war, daß ich faſt zu er» 
fiden glaubte. Ich ſchöpfte beinahe nicht Athem, bevor ich 
ſchnell wieder aus dem Loche herausgekrochen war. Dann 
lief ih, mas ich laufen fonnte; es war mir ein Schreden 
in's Blut gefommen; nicht blos der verhefteten Luft wegen. 
ſondern weil es mir vorgefommen war, als bütte id) einen 


152 Der Greis in der Höhle. 


alten Mann mit langem Barte im Hintergrande der Höhle 
an einem Tiſche ſihen gefehen. _ 

Im Freien ſchöpfte ih wieder Athem; trank Waller 

aus der Quelle die aus dem Steine herausfloß, und mußte 
über meine eigenen Ginbildungen laden. Wie könnte ein 
Menfd wohl in einer ſolchen verſchloſſenen Höhle voll erfis 
Gender Luft wohnen? — Das ift die alte Geſchichte von 
Barthel im Weinkeller, Dachte id), die Dir im Kopfe ſpukt. 
Das Maͤhrchen von Kaifer Friedrich, deilen rother Bart 
durch den fteinernen Tiſch gewachſen war. 
Iſch befümmerte mic nicht weiter darum und blieb die 
Nacht oben auf der Anhöhe, wo ich guten trodnen fteiner- 
nen Grund fand, worauf id in meinem mitgenommenen 
Mantel gewidelt ſchlafen konnte, ohne von den Dünften des 
Thales zu leiden. — Was mir diefe Nacht begegnete, wii 
ich Euch ganz erzählen. Wahrſcheinlich war es ein bloger 
Traum; denn es ift nicht zum erſten Male, daß ich wa⸗ 
hend träumte, an demfelben Orte befindlich, wo ich wirke 
Kid) war. und fonft alle Gegenftände wohl ertennend. 

Es däudte mich, als hörte ich unter der Erde, drun⸗ 
ten im Hügel, worauf ich f&lief, ein Gepolter, als ob Ie= 
mand vom Stuhle aufftehend, einen ſchweren Tiſch von ſich 
Thöbe. Darauf lie ſich ein Seufzen vernehmen, wie von 
einem Tiefbetrübten. Eine tiefe Baßſtimme las darauf la⸗ 
teiniſche Gebete; dann börte id deutlich Iemanden Feuer 
ſchlagen, worauf Alles eine kurze Weile file ward. Ich 
richtete mid von meiner Schlafſtelle auf und fah erſchro⸗ 
den gerade vor mid, hin, denn ich glaubte, leiſe langſame 
Schritte zu vernehmen. Erft fah id nur einen Meinen ro» 
then Etern. Als der Stern näher fam, war es das Licht 
einer großen Lampe mit vier Dochten, wie fie oft in den 








Der Greis in der Höhle. 153 


Shiffelaternen zu brennen pflegen. Die Rampe ward von 
einer alten runzlihten Knochenhand getragen, und dahinter 
ſah ich einen langen hagern Greis auf mid zu wandeln, 
Cein grauer Bart reichte ihm bis zum Nabel. Sein Rod 
mar von rohen Thierfellen, und eire ähnliche Drüpe bedecte 
den Kopf. Sein Gefiht war eraft und traurig, das Alter 
hatte es mit Runzeln durdpflügt. Diefes Schredbild ber 
tradytete mich lange fhmeigend. Dann ſprach es: 

Leichtfinniger Knabe! Diefe Höhle willſt Du mwicder 
verlafen, woran id fo viele Jahre hindurch fleißig arbei⸗ 
tete, bis fie zu meiner Bequemlichkeit taugte. Meint Du 
etwa, das Verhängnig habe Dich zufällig in jenen Graben 
binunter geftoßen? Nein, feinesweges! Weil ich aber mit 
eigenen Händen mehrere Chriftenbräder bier auf der Infel 
begraben habe, ziemt es Dir aud), mir diefen Lichesdienft 
zu erweiſen. Fürchte Did nicht! Deifne meine Wohnung. 
Hüte Dich aber, Hinein zu gehen, ehe Du mit Scießpulver 
und Rauchwerk die Luft gereinigt haft. Deine Mühe wird 
Dir reichlich belohnt werden; und ein in Gott verftorbener 
Ehrift dankt Dir, dag Du ihm die Gratesruhe gönnft. 

Mit diefen Worten verſchwand die Erſcheinung, oder 
ich erwachte vollends aus meinem Traume; in welhem Bus 
ftande, fönnt Ihr felber denten. 

MUS ich zu meinen Gefährten zurädtam, und ihnen 
mein Abenteuer erzählte, wurden van Leuven und id darin 
einig, dag wir mächftens hingehen wollten, die Höhle zu un 
terfuchen. Nur Lemelie ſprach viel dagegen. Lußt Die Tod- 
ten ruhen, wo fie Tiegen. Bas wollt Ihr im Dunkeln 
Schooße der Erde wählen? Da kommt Ihr doch früh ge 
mug bin. Vielleicht fowkt in der Gruft ein verdammter 
Geift, wenigftens eine im Fegfeuer leidende Seele, weil 

, b 


154 Der Greis in der Höhle. 


"feine Serlenmeffen über fie gelungen find. Und könnt Ihr 
das als Ketzer tun? Bas hilft dann alles Aufwühlen? 
Menſchen fuͤrchte ich nicht; mit den unſichtbaren Mächten 
mag ich aber nichts zu ſchaffen haben, 

Vielleicht, ſprach Concordia mit Nahdrud, ängfteten 
Euch die unſichtbaren Mächte weniger, wenn Ihr Euch vor 
Menſchen mehr fürchtetet. — Bir liegen den albernen 
Tropf ſchwatzen; doch Die fonft fo fanfte, beſcheidene Gon- 
tordia hörte nicht auf, ibn mit Spott zu verfolgen, bis er 
mitging. — Ihr ſprecht immer fo viel von Eurem Muthe. 
‚Herr Lemelie, ſprach fie, ich fürdte aber, er iſt nicht weit 
ber. Beil es Euch einmal gelungen ift, einen glädlihen 
Schuß auf Leute zu machen, die zu entferne waren,. um ſich 
vertbeidigen zu können, ift Euer Heldenmuth noch nicht ab- 
gemacht. Bolt Ihr für einen Mann gelten. fo folgt den 
Männern, und laßt uns Weiber allein in der Küche. Wir 
brauchen Eurer Hülfe nicht mehr. Wahrhaftig, man follte 
Blauben, Ihr wäret vorhet ein Koch geweſen. Folgt den 

. Männern, ſag' ic, rührt Euch und arbeitet. Ihr fipt bier 
in der Hütte, flimpert auf der Laute, faullenzt und werdet 
fett und unverſchämt vor lauter Trägheit. — Im faufen 
Holze niften die Giftſchlangen, fagte Minga. 

Es munderte uns Andere, die fromme Goncordia fo 
reden zu bören; allein ihre Wangen brannten von edlem 
Borne, und fie hatte wohl ihre Urſachen. Lemelie erblagte, 
mie er immer that, wenn er böfe ward, faßte ſich aber 
glei und ſprach läͤchelnd: Cine fhöne Frau kann einen 
Cavalier nicht beleidigen. Ienen wichtigen Kanonenſchuß. 
der Euch Lehen und Ehre rettete, folltet Iht doch nicht ver» 
böhnen. Bas der Eindifhe Spott über meine Geſchicklich- 
feit, Speifen zu bereiten, betrifft, fo kann ic) ſolches bela⸗ 








Der-Greis in der Höhle. 155 


en ‚Ein franzöfiiher Eoldat, ſelbſt vom älteften adlichen 
Gefchledite, legt ſich in feiner Jugend immer etwas auf die 
Kochkunft, um nicht, wenn er in barbarifchen Ländern can- 
tonnirt, wo die Leute nicht kochen können, zu verhungern. 
Und diefe Sertigfeit fann ein Seemann, der alle Tage — 
Mangel und Noth entgegen geht, noch meniger entbehren. 
Bolt Ihr lieber das Fleiſch Fünftig roh oder verkohlt effen? 
Meinetwegen! Wollt Ihr Eure fhönen Hände am Küden- 
feuer verderben? Sollen die niedlichen ‚Finger bald wie Pe⸗ 
terfilienwurzeln und gelbe Rüben ausfehen? Meinetwegen ! 

Folgt den Männern, rief Concordia, und fümmert Euch 
nicht um meine Singer. Cure Furcht vor Gemwittern und 
Gefpenftern zeigt ein boſes Gewiſſen — Gewiſſen? wic- 
derholte Lemelie; mit diefen Worten verbinden die Menſchen 
nur einen bornirten Begriff Ich geftehe, ich liebe nur 
Schönes, und mag mit dem Efligen nichts zu tbun- baden. 
Indeg, damit Ihr mid) feine Memme ſchelten folt, will ih 
Diesmal mitgehen. 

Alfo machten wir uns auf den Weg nach der Höhle. 
Rauchwerk, Schießpulver, Spaten, Hafen und ein Stüd 
Segeltud hatten wir mitgenommen. Wir fanden droben 
auf dem Hügel ein rundes Loch durch den Stein gehauen, 
von Gebüfd, bedeckt; unmeit der Stelle, wo ih die Nacht 
gefchlafen hatte. Ob es ein Zenfter oder ein Schornſtein 
geweſen, mußten wir nicht zu unterfceiden. Den Eingang 
zu der Höhle, wo ich hineingefallen war, öffneten wir leicht. 
Darauf liegen wir ein Licht oben durch's Loch in die Höhle 
gleiten. Diefes konnten wir durch die geöffnete Thüre deut⸗ 
lich im Hintergrunde brennen fehen, bis es doch bald er- 
loſch. Lemelie glaubte bier wieder Gefpenfterumtriebe ‚zu 
mitten. Ban Leuven verfiherte aber, es komme nur vom 


156 ” Der Breis in der Höhle, 


tohlenfauren Gas und Mangel an Lebensluft im lang⸗ 
verſchloſſenen Raume. Gut, fpra er, dag ſich unfer Al- 
dert nicht tiefer hineingemwagt, fonft wäre er faum lebendig 
zurückgekommen. — Und doc wollt Ihr mich in diefes 
Zeufelsneft Hineinjagen? frug Lemelie. Die Luft drinnen, 
antwortete van Leuven, Tann leicht gereinigt werden. Der 
Eingang und das Fenfter find jept offen. Der Zugwind 
hat freien Epielraum. Bir wollen etwas Pulver hinunter 
werfen und abbrennen, wollen tüchtig mit Eſſig räuchern. 
und den Keller einige Tage offen ftehen laſſen. Dann präs 
fen wir es wieber mit dem Lichte; wo ein Licht Mar bren« 
nen kann, da kann eine Menſchenbruſt au) gefund athmen. 

Bas van Leuven vorausgefagt hatte, geſchah. Zuleßt 
konnte das Licht fehr- gut brennen. Wir liegen eine große 
Lampe hinunter, und als diefe ganz heiter die Felſenwände 
erleudjtete, faßte Lemelie plöpfih Muth, und um den leg» 
ten Zweifel gegen feine Tapferkeit wegzuräumen, wollte er 
fogar vorangehen. Kaum war er aber drinnen, fo ſchrie 
er: Jeſus Maria! und ftürzte wie Ichlos zu Boden. Was 
iſt das? ſprach van Leuven, mid bedenklich anfehend; iſt 
die Luft drinnen voch fo verpeftet? Habe ich unſchuldiger- 
weiſe den böfen Menſchen aus der Belt fortgeihafft?- — 
Bas fönnen wir dafür, antwortete ih. Es war ja fein 
eigener Bille; wäre nicht er, fo wäre einer von uns voran 
gegangen. Ad, mein theurer Freund, rief van Leuven, und 
umarmte mich, hier erfenne ih Gottes Finger. — Bir ent 
fernten uns etwas. Lemelie zu retten, der tief in der Höhle 
lag, war unmoͤglich, wir fonnten, uns auch bineinwagend. 
nur fein Schidfal theilen. 

Bir ließen uns anf zwei entfernte Steinblöde nieder, 
athmeten tief. fahen einander ſchweigend an, und wollten 


Der Greis in der Höhle. 157 


uns nicht felber gefteben, daß uns der Tod eines Menſchen 
nicht fehr beträbe, deſſen Bosheit unferm eigenen Leben alle 
Tage mit Berderben drohe. 

Ich mahıte mir innerlich Borwürfe, ſolche Gedanken - 
au begen; bald hatten wir uns aber gar nichts vorzumer- 
fen, denn Lemelie kam unerwartet leichenblaß und zerfört 
uräd. Ich dachte, er würde van Leuven mit Schrähun- 
gen überfallen, dag er ihn in die mephitiſche Luft hineinge - 
lodt Habe; der ehrliche Niederländer mollte ſich ſchon recht 
fertigen, allein von erſticender Luft war die Rede gar nicht; 
die Lampe brannte drinnen noch lichterloh. — Barum 
feid Ihr denn aber in Ohnmacht gefallen? fragten wir. — 
Beil mir auch das Sqredkild erfhienen ift, ſagte er. Bei 
meiner Ehre und den Anfechtungen des heiligen Antonius, 
id) habe den Alten mit dem langen Barte auch geſehen. 
Er fag an dem fteinernen Tiſche und ſtarrte mic mit hob» 
len Augen an. — Nichts weiter? ſprach van Leuven ruhig; 
dann wollen ih und Albert gleich bineingehen und die Ent 
derungen fortfegen. 

Bir gingen hinein, idy nicht ganz obne Grauen. Kaum 
Hatten mir einige Schritte getban, fo faben wir die näms 
Hiche Erſcheinung. Im Winkel, rechter Hand. ſaß ein alter 
Mann. grade fo, wie id) ihn verwichene Nacht geſehen. auf 
einem fteinernen Seilel, als ob er fäliefe, das Haupt hatte . 
er auf den einen Arm, der auf dem Tiſche ruhte, geftäßt. 
Seine rechte Hand lag ausgeftredt. An der Wand neben 
ibm hing eine vieredige Lampe; auf dem Tiidhe fanden et» 
liche Speifen und Trinkgeſchirre. Der voflige Feuerſtahl im 
bölzernen Kaften entging nicht meiner Aufmertfamfeit. Bald 
entdedten wir nun, daß wir einen verdorrten Leichnam vor 
uns hatten. Auf dem Tiſche unter feiner rechten Hand, 


18 Der Greis in der Höhle. 


worin noch ein eiferner Griffel ſtegte, lag ein ausgehäm- 
merter zinnerner Teller, worin folgende Zeilen in lateinie 
ſcher Sprache eingegraben waren: 

-  Gremder, wer Du auch ſeiſt. wenn Did der Zufall in 
meine Behaufung führt, fo erſtaune nicht gar zu fehr Über 
den unvermutheten Anblid meines Gerippes, fondern ges 
denke, daß Du nad dem Fall unferer erſten Eltern dem- 
ſelben Schickſal unterworfen biſt. Laß die Ueberrefte eines 
ehrlichen Spaniers nicht unbegraben liegen. Einem Chris 
ften, wo Du anders ein Chriſt, wenigftens ein Menſch biſt. 
gebührt es, einen Chriften ehrlich zur Erde zu beftatten. 
Du wirft für Deine geringe Arbeit einen reihen Lohn ern- 
ten; denn in meiner Höhle findet Du Schaͤtze, die Dich 
reich machen können. Bift Du aber, wie id, gezwungen, 
in diefer Einſamkeit zu verbleiben, fo werden Dir doch ei⸗ 
nige merfwürdige Schriften, die in meinem fteinernen Stuble 
verborgen find, erforderlich und nüßtzlich fein. Lebe wohl, 
anfommender Freund! Der Himmel madıe Dich glüdticyer, 
als mid), obſchon ich mic) nie ganz unglüclich fühlte. Ich 
bin geboren den 20. Auguft im Jahre 1498, und fam auf 
diefe Infel den 14. November 1530. Ich fühle, dag ich 
Alters halber bald fterben werde, obwohl id) weder von 
Krankpeit noch von Schmerzen leide. — Ich lebe noch im 
Jahre 1613, bin aber dem Tode fehr nahe, den 28., 20. 
30. Iunius. Noch den 1. Iulius, 2,3. 4. — — 

Bir wollten den Leichnam nad) dem Wunſche des Ein 
fiedlers, glei begraben. Ich ſchlug aber vor, Eoncordien 
erſt zu holen, um ihr diefen feltfamen Anblid zu gönnen. 
— Bas Anblic? rief Lemelie, wie kann cine zarte, fein. 
fühlende Frau Vergnügen an ſolchem Gräuel finden? 

Der chriſtliche Greis hat fid ein chriſtliches Begräknig 


Der Greis in der Höhle. > 189 


gewünfeht, erwiederte van Zeuven, das wollen wir ihm nicht 
verfagen. — Und wenn er nun verlangt hätte, Ihr folltet 
ihn in Ambra und Myrrhen balfamiren und nad Spanien 
fenden, wohtet Ihr das aud, ohne Spezereien und Schiff, 
tbun? fragte Lemelie hoöͤhniſch. Vergebt, dag id) grade von 
der Leber weg ſpreche; Ihr zwingt mid) dazu! Wie könnt 
Ihr dem ftreng katholiſchen Spanier ein chriſtliches Begräb- 
mig geben, da Ihr felber Keper feid, die — feiner Meinung 
nad — ewig verdammt merden? 

Sein langer Aufenthalt in der Einfamfeit und der. 
Natur, antwortete van Zeuven, wird ihn, wenn er auch 
vorher die Vorurtheile feiner Zeit, feiner Umgebungen theilte, 
nad) und nad) zurüd zu Jeſu wahrer, menſchenliebender 
— ohne Haß, phariſäiſchen Stolz und Dänfel geführt 

jaben. — 

Concordia und Minga kamen nun aud), den am Tiſche 
figenden Leichnam zu feben, ehe wir ihn begruben. Bei die- 
fer Gelegenpeit offenbarte ſich wieder reht ein wahrer Zug 
Lemelieſchet Bosheit. Concordias Ankunft milderte feinen 
Ingeimm nicht, fondern verftärkte ihm vielmehr, weil fie ihn. 
auch kürzlich mit Verachtung von fi) gewiefen hatte. Das 
mußte nun der kleine Beautieul entgelten, der mitgelaufen 
mar, und nah Hundeart zu Heufen und bellen anfing, als 
er die fremde Geſtalt in der Höhle fab. Lemelie, der nur 
auf eine Gelegenheit Iauerte, um Concordia zu fränten, 
ftieß dem armen Zhiere mit dem Fuße fo ſtark in die Bei- 
ben, dag ibm das Eingeweide aus dem Leibe heraus fiel 
und rief dabei: Verfluchte Beſtie, wagt Du auch nod mit 
unverfhämtem Bellen die Grabesruhe diefes feligen Geiſtes 
zu fören? 

Nein, Beftie, rief van Leuven und padte ihn mit flar- 


10. Der Greis in der Höhle. 


fer Fauſt an der Bruft; das Meine Thier war unſchuldig 
alein Du bift ärger, als ein wüthendes Tpier. Einmal 
haft Du mic ſchon vergiften wollen; meine Ftau wilft Du 
verführen! Unſer armes Leben verbitterſt Du täglich mit 
Bosheit und Tüde. Hebe Did) weg von uns, Satan! Bir 
hätten Did drunten an der Klippe follen ſchmachten Laffen; 
das wollten wir aber nicht. Und Du ſollſt auch jept noch 
nichts verlieren, wir wollen redlih mit Dir theilen. Aber 
als Kain folft Du aus unferm Eden verwieſen fein. Noch 
baft Du nicht Abel ermordet, Fliehe weit von uns nah 
entfernten Gegenden. Bir werden Dir das Nöthige zu ber 
ftimmter Zeit nad) beftimmten Orten Kinbringen, aber fe 
hen wollen wir Did nimmermehr. 

Um Gotteswillen, Herr van Leuven, rief Lemelie de- 
müthig und Fleinlaut, feid doch nicht fo graufam, und ver« 
ſtoßt nit einen armen Mann, nahdem er ſchon Shift, 
Eigentum, Mannfaft und Alles verloren hat. Ich fhmöre 
Euch zu, Ihr hut mir das größte Unrecht; nie habe ich 
daran gedacht. Euch zu fhaden. Ich habe ja ſelbſt damals 
das für Euch eingefhenkte Glas ausgeleert. — Nachdem 
es Dein Konftable zuerft ausgewechſelt hatte, rief van Leu⸗ 
sen. — Habt Ihr das gefehen? fragte Lemelie; könnt Ihr 
vor Gott und Eurem Gewiflen Euren Eid darauf anlegen, 
dag dem fo wäre? — Ban Leuven ſchwieg. — Ihr ver- 
muthet es alſo nur, weil Eure Frau einen tollen Traum 
batte. Smeimal, wicht im Traume, babe ih Euch wirlich 
das Leben gerettet; erſt gegen die Gorfaren, dann im klei⸗ 
nen Boote, als das Schiff ſcheiterte. Und was babe ich 
Euch nachher gethan? Bin ih mitunter etwas ärgerlich 
und ungeduldig, mas man eigem Manne in meinem Zus 
Rande zu gute halten muß — fo bat es mir ja immer nach ⸗ 





Der Greis in der Höhle. 161 


ber Leid gethan. Ich habe mic in alle Eure Ginritun- 
gen und Launen gefügt. Es thut mir herzlich leid, dag ih 
den Meinen Beautiful getötet babe, der ung die fhöne 
Quelle entdedte, aber es geihab im Unwillen, als der Kopf 
mir nicht recht ftand. Allein es wäre doch gar zu hart, ci» 
nen Hundemord mit einem Menfhenmorde zu räden! Und 
vergehen muß ich, wenn ich verfaffen den Trübfeligkeiten 
diefer Infel allein ausgefeßt werde. Ihr thut alfo Unrecht 
daran, Euren Unwillen gegen mid) auszulaſſen. Denn dag 
Ihr jept nur Gelegenheit zum Streite ſuchen folltet, und 
mic) wegjagen, blos, um den gefundenen Schatz allein für 
Euch zu behalten, kann ich unmöglich glauben. 

So bleibe denn, Berräther, rief van Leupen, ihn un 
geduldig von ſich wegftogend: bleibe und finne nur auf un« 
fer Aller Berderben. 

Lemelie verlor fi in den Wald, ohne ein Wort mehr 
zu fagen. Concordia war über den Meinen Beautiful un⸗ 
troͤſtlich und folgte Minga, die das arme fterhende hier 
auf dem Arme nad) Haufe trug. Ban Leuven und ich blie⸗ 
ben zurüd. Das Grab hatten wir bald gemacht; wir 
wollten jest den Leichnam in's Segeltuch wideln, van Leu⸗ 
ven fagte ihn an den Schultern, ih an den Beinen. Als 
wir ihn aber aber aufheben wollten, fiel er mit Gepraſſel 
in einen Klumpen zufammen. Wir erfhrafen anfangs et⸗ 
was, fanden aber bei reiferer Ueberlegung, daß es nicht an- 
ders fein fünne. So begruben wir denn unfern ehrwürdi⸗ 
gen Vorgänger fo gut, als wir fonnten, am Fluſſe unter 
einen grogen Baum, fehten ihm ein Kreuz aufs Grab und 
fangen Grabeslieder über ihn. 





Oehlenſ. Schriften. XVII. Hi 


162 Der Greis in der Höhle. 


Ws der Altvater ſo weit in feiner Erzählung voräe- 
ract war, fra er: Ran will ich Euch nicht damit ermü« 
den, die Scaͤtze aufzuzäͤhlen, M wir in der Höhle fanden, 
welche nachher durch reiche Ladungen vermehrt worden find, 
die der Sturm am unfere Küfte geworfen hat, und durd 
große, in den Bergen gefundene Goldſtufen, Schäge, die 
alle Einwohner dieſes Gilandes zu reihen Leuten machen 
Bönnten, wenn fie Luſt haben follten, dies Paradies zu ver» 
laffen; um fid) in Europa anzufiedeln. So viel will ih nur 
fagen, daß diefer Fund den Lemelie auf einige Tage ganz 
tot machte. Er verglich ſich ſelber mit dem Tantalus, mit 
den Danaiden und dem Prometheus, an die Klippe ge⸗ 
ſchmiedet. Er klagte das Schilfal an, daß es ihm diefen 
Streih nur darum gefpielt, um, wie er fih nad der Kot- 
tunſt ausdrüdte, einen haut gout auf fein Unglück zu fehen. 

Ganz Unrecht Hatte er freilich nicht; und wenn ich nicht 
in Concordia fo platomifch verliebt geweſen märe, hätte ich 
vielleicht in feine Klage mit eingeftimmt. Ieht beſchaͤftigte 
ich mich damit, die Lebenshefhreibung Don Eyrilo’s, die 
wir in feinem fteinernen Stuble fanden, aus dem Lateini« 
ſchen zu Überfegen. Sobald die Arbeit fertig war, Tas ich 
fie meinen Gefährten vor. IA babe das Manufeript noch, 
und nun kann mein Eberhard mid ein wenig ablöfen. 

Der We holte die Papiere ans dem Schrank, reichte 
fie Eberharden, und diefer las nun, wie folgt: 


Rebensbefchreibung 


des 


Don Eyrillo de Balaro. 


Glauben mir, wenn wir denn als Chriften nicht an- 
ders fönnen, daß jedes Gefhid bier im Leben uns von der 
goͤttlichen Vorſehung zugetheilt werde, um uns zum künfti⸗ 
gen Dafein zu bilden, fo follte Billig fein Menſch Hagen; 
erwägen wir aber die Schmerzen, den Kummer und die 
vielen vereitelten Hoffnungen mancher unſchuldig Zeidenden, 
wer wagt dann, auf feinen Bruder den erften Stein zu 
werfen, weil er Magt? Aber in meinem Alter klagt man 
miche mehr; das längft verfhmundene Leben liegt mie ein 
balbvergeffener Traum mit feinen Schatten und Irrlihtern 
weit binter mir, und ich erzähle nur diefe Begebenheiten, 
um mir felbft während des Schreibens, und vielleicht einem 
Nachfolger während des Lefens eine kurze Unterhaltung zu 
gewähren. 

Und darum, mein Freund, wenn Du diefe Blätter in 
meinem fteinernen Stuhle findeft, ebe fie vermefen, will ich 
Deine trübfelige Einfamfeit mit trühfeligen Betrachtungen: 
nicht noch trübfeliger maden; noch, wenn Du vielleicht 
gläktih biſt, Dir Anlag geben, die Ungeduld des Greifes 
au verfpotten; vielmehr will id ſuchen, das an fih Eraus 
tige mit einer gewiſſen Heiterkeit vorjutragen, um feinen 
Eindrud zu mildern; auch verſpreche ih Dir, nicht gar zu 
meitläufig zu fein, obſchon man fagt, daß dies ein gewoöͤhn ⸗ 
licher Fehler des Alters fei. 


166 Lebensbeſchreibung des 


Wabrlich, Lieber Lefer! wenn ich Die die lleberſchriften 
meiner Lebens»Kapitel voraus fage, glaubſt Du vielleicht ei- 
nen Scherz zu hören, oder dag ich Dir ein eitel Näthfel zu 


» löfen gebe. Denn mas fagft Du dazu, wenn ih Dir er- 


zähle, dag mein edler Vater nach feinem Tode ſchaͤndlich 
bingerichtet ift, dag mein ſchuldiger Bruder wiſſentlich einen 
unſchuldigen Selbftmord begangen. "Daß ih den reichſten 
Mann, der je in der Welt lebte, in Armuth babe ſterben 
eben; daß meine Frau ‚alles aufgeonfert und gewagt aus 
Liebe zu ährem nic geliebten Gatten, daß ich einen Voeten 
mit einigen Reimen eine Raͤuberharde Habe bändigen fchen, 
die ein mächtiger Furſt mit feinen Kriegerbaufen nicht bän- 
digen onnie, und endlich. daß mich das wunderbare Schid» 


ſal ans sinem künſtlich gezwungenen in ein matürkiges Frei- 


williges Kloſter führte. 

3% flamme aus einem altadlichen ſpaniſchen Geſchlechte. 
Mein Bater, Don Diego de Valaro, wer Feidoberſi im Le 
niglichen Heere, und meine Mutter war eine Donna Blanca 
de Cordua. Obſchon die Geburt etwas Zufaͤlliges iſt und 
der Erloͤſer, eben um den eitlen Stolz der Menlchen au ben⸗ 
gen, ſich in einem elenden Stalle von gemeinen Eltern zur 
Welt dringen ließ, freut es mid) doch, wenn ih an ‚meine 
wadern Borfahsen Danke, die -nehtlihe Leute and Aanfere 
Krieger waren. B 

Auch freut es mi, ‚ein Spanier gu Sen; und das Ge 
fübt, ſo id ſhon als Kind begte, wenn ich die Karte Eu 
topens betrachtete, mo Diefer Welttheil als eine Jungkrau 
dargeftels it, hege ih noch immer als Exeis. Denn ;wabr- 
baftig, das Yand kann man wohl das Haupt nennen, Das " 
fekbfftändig für fih, nur durch den Marken Raden der Pp⸗ 
enden zu dem Nüdgrate des übrigen Körpers gefügt iſt, 


Den Cyrillo de Valaro. 167 


wo fi Berge, Thaͤler, Flüſſe und Wälder, wie auf dem 
menſchlichen Haupte Knochen. Jleiſch, Adern und lociges 
Haar wunderſchon zu einem Ganzen verbinden, und wo ſich 
Nömer, Weſtgothen, Chriften und Mohren mie Gedanken 
und Meinungen im menfhlihen Gebirn lange bekämpft. 
befiegt und abenteuerlich gefreut haben. Kann nun auch 
das fhöne Frankreich für den ſchwellenden Bufen der Jung» 
frau gelten, wo Leichtſinn und Liebesluſt reizend ihr Spiel 
treiben, ift Italien der geiſtliche, und England der weltliche 
Arm diefer Minerva, Deutſchland der Leib, wo alles ver- 


daut wird, und woraus die Nahrungsfäfte zu den Übrigen 


Gliedern geben; und kann man die weniger gefannten und 
gebildeten Länder ihre Schleppe nennen, fo ift und bleibt 
Hispania dod das Haupt! Und Iammerfhade, dag fih 
Portugal, weldyes mit dem Gefichte zum Weltmeere Hin» 
aus ſchaute, ſich eigenfinnig vom Haupte gefrennt, wodurch 
es feine Lebendigkeit verloren bat, und eine bloße Maste 
geworden iſt. 

Freilich leidet von allen Theilen des Körpers der Kopf 
oft am meiften von Ziebern und Nervenzufällen, und fo ere 
gab es fid) denn auch, daß ich das Licht erbliden mußte im 
Jahre Chriſti 1498, chen, als mein Vaterland an innern 
Budungen außerordentlich Litt. Denn wenn aud) der katho⸗ 
liſche Glaube nie fiegreiher glänzte, als kurz vor der glüd- 
lichen Sclacht, worin die Mauren überwunden wurden, 
und ihr Reich in Spanien ein Ende nahm; wenn auch zur 
ſelbigen Zeit hundert und ficbenzigtaufend caftilifhe Iuden- 
familien nad) Portugal, Mauritanien und Navarra flohen, 
fo lägt es ſich auf der andern Seite nicht läugnen, dag die 
ſpanifchen Provinzen dadurch unendlich geſchwächt wurden, 
und gar zu viel von ihrer alten Kraft und Blüthe einbüg- 


168 Lebensbeſchreibung des 


ten. Und wie man fagt, daß der Löwe, feiner Natur nady 
eim edles Thier, wenn feine fharfe Zunge erft Blut gelcdt, 
plötzlich graufam wird, fo dag er mitunter felbft feinen 
freundlichen Wärter zerreißt, dem er font gehorfamte, fo 
geſchah es auch Hier; denn die Heilige Inquifition fing auf 
einmal an, von wahnfinnigem Blutdurft ergriffen, von dem 
Henfersgeifte des abſcheulichen Torquemadas befeelt, wie ein 
geimmiges Thier zu wüthen. Freilich ſtarb dies Ungeheuer 
in meinem Geburtsjahre, feine Nachfolger Deza und Cis— 
neros waren aber um fein Haar befler; und in wenigen 
Jahren hatte Spanien viele taufend feiner Söhne und Toͤch- 
ter unſchuldig hingerichtet, wie Saturnns in feiner Wuth 
die eigenen Kinder verfhlang. 

Die erfte merkwürdige Begebenheit, die auf mid als 
Meiner Knabe von acht Jahren augerordentlihen Eindruc 
machte, war folgende: Ich hatte meine Eltern früh verlo- 
ven; nur ein Bruder, zehn Jahre älter als idy, Ichte noch. 
Unfer Bater Hatte ung aber ein großes Vermögen hinter» 
laſſen, und wir wurden in einem fdhönen, großen, einfamen 
Palafte in Baladolid, unferer Vaterſtadt, auferzogen. Mit 
unferm Hofmeifter befuchten wir off die alte Domtirde, wo 
das marmorne Grabmal unfers feligen Vaters ftand, und 
mo feine fehr ähnliche Büfte, über dem Sartophage, zwi- 
ſchen Trophäen und Attributen feines Standes und Ran- 
ges thronte. Oft, wenn ich das Bild fo anfchaute, rief ich 
in Eindliher Unbefangenheit: Bater, komm zurüd! und 
wünfcpte ihn felber zu feben. 

Eines Tages, als wir fo ftanden, kamen einige Fami- 
Haren der Inquifition mit ihren Trabanten. Ein gewillir 
Don Petro de Tramaflo, der, wie ich nachher hörte; der 
Todfeind meines feligen Baters geweſen, und jegt ein be- 





Ton Eyrillo de Balaro. 169 


rüchtigter Fanatiter geworden war, näherte fih uns, und 
meinen Wunſch hörend, den Bater ſelber zu fehen, ſprach 
er: Nun, Kind, den Wunſch kann ic Dir gewähren. — 
Darauf fielen die Leute über das ſchöne marmorne Denk 
mal her, und vernichteten es ſchnell mit ihren Hämmern 
und Brecheiſen. Der Dedel wurde vom Sarge aufgcho- 
ben, die einbalfamirte Leiche meines Vaters berausgenom- 
men, und aller Pracht entblößt auf eine ſchlechte hölzerne 
Bahre geworfen. — Haft Du ihn jeßt gefehen, Kind? frug 
der graufame Familiar, und während ic heftig weinend 
den Leichnam meines Vaters halb mit Grauen, halb mit 
tindlicher Neigung betrachtete, warfen fie ein großes Stück 
Salleinewand über ihn und trugen ihn zur Kirche hinaus. 

Einige Tage darauf hörten wir die große Glode im 
alten Dome ſchauerlich zu einer Auto da fe läuten; der 
Bug ging aber unferm Haufe vorbei; da fahen mir denn, 
wie es in jener Zeit oft gefhah, die zum Sceiterhaufen 
verdammten Keper in fafranfarbigen Bußkleidern (san be- 
nito) mit der fhigigen Müße (coraza), mit Flammen und 
Zeufeln bemalt, zum Tode wandeln. Auch ein ſchwarzer, 
mit Feuer und Höllenfragen bemalter Sarg’ erſchien im 
furchtbaren Zuge. Das waren die Ueberrefte unferes Bas. 

- ters, der als Keher ſechs Jahre nach feinem Tode verurs 
tbeilt, auch den Flammen übergeben wurde. 

Mein Bruder, der weit älter war als id, batte im ⸗ 
mer, feiner Jugend ohnerachtet, einen fehr ftoifhen Charat- 
ter gezeigt. Sein Herz war nicht weich, fein Temperament 
etwas düfter-melangolifh, und fo verſchlog er den Schmerz 
ſchweigend in feinem Innern, ohne die Erleihterung der 
Tränen und der Mittheilung zu fühlen. Den Tag nad 
der Hinrichtung fagte er zu mir: Mein lieber Eyrillo, man 





170 Lebenshefhreibung des 


bat unfern Bater nad feinem Tode aus Rache und aus 
toller Schwärmerei_beihimpft; wenn wir aber, nicht ſelbſt 
lebendig fein Schicſal teilen wollen, dürfen wir fein Wort 
gegen Andere äußern. Auch auf uns fält die Strafe. Un— 
fere Güter behalten wir freilich; die Ehre iſt ung aber ge- 
raubt; unfer alter Name ift jept eine falſche Münze ohne 
Klang; wir können fein Amt erhalten, Feine Ehrenſtelle be 
tleiden. So wollen wir und denn allein den Wiſſenſchaften 
ergeben, wie wir angefangen ‚haben; allein in unfern Häu- 
fern wollen wir wabnen, und die Menſchen ihren wilden 
Gang gehen laſſen. Bleibe Du hier im Palaſte zurüd mit 
Deinem braven Lehrer Francesco Perez, der Dich nicht vers 
laſſen wird. Ich ziehe mit meinen einzigen Freunde (bier 
ſtrich er den Nüden eines überaus ſchönen Iagdhundes, der 
ihm überall folgte) auf unfer Meines Jagdſchloß im Walde 
hinaus. Da wil id mid, halb Eremit, Halb Jäger, dem 
ftillen Kummer weigen. Vielleicht ſchleift die Zeit die Scharte 
aus, und das Gemüth wird wieder ruhig. 

Ich blieb alfo bei meinem guten Francesco de Perez 
im Palaſte, der im großen Stile gebaut war, mit weiten 
Vorhalen und Hreiten marmornen Treppen; in den leeren 
Niſchen hatten vorber fhöne Statuen von hohem Werthe 
geftanden; allein auch diefer griechiſchen Gögenbilder hatte . 
fid die heilige Inguiftion bemädtigt. Die Gemaͤcher wa» 
ren beinahe alle Leer. Die Mobilien im Haufe waren feit 
uoferer Eltern Tode, theils verkauft, tbeils geftablen, weit 
kein ordentlies Aufſehen da war. — Nur die Konſoltiſche 
mit vergoldeten Zügen und fhönen bunten Steinplatten 
ftanden noch da. Auch bewunderte ih oft die großen, 
in der Wand eingemauerten Spiegel, die dod alle etwas 
gelitten Hatten. Mein Lehrer verſtand ſich wohl gut auf 





Don Eyrillo de Balaro. m 


Spragen und Wiſſenſchaften, auf weltliche Dinge nur wer 
nig; und die Haushälterim, wenn fie uns ein ſpaͤrliches Ef« 
fen zubereitet hatte, ‚meinte ihre Pflicht gethan zu baben, 
und ließ den alten Palaſt ſich felber hüten. 

Bas auf mein kindliches Gemüth den tiefſten Eindruck 
machte, war eine große gemölbte Halle uon ſchwarzgrauem 
Marmor, im Erdgeſchoße, die gegen den kählen, ſchattigen 
Nafenplap im Garten binaus lag, wo zur Rechten eine 
Duelle aus einem feinen Felſen duch Blumen reichlich flot 
‚Hier brachten mein Hofweifter und id) die heiheſten Com- 
mertage mit Leſen zu, in der fhönen friſchen Kühle und 
der größten Einfawkeit. Und wie fonderbarl I es Dir, 
lieber Leſer auch nicht mitunter fo gegangen, daß Du einen 
Zuftand zweimal au erleben glaubteft? So ſchien mir der 
Aufenthalt in der ſchwarzgrauen Marmorhalle zu Ballade 
lid ein Vorbild meines jehigen Stilllebens in diefer Infel« 
böble zu fein. Denn auf hier iR es luftig, kühl und ge» 
räumig; auch bier bringe id meine meifte Zeit mit Lefen 
au. Auch diefe Höhle Liegt nach einem ſchönen Nafennlape 
binaus; und was dag fonderbarfte ift, auch hier ſprudeit 
eine Duelle rechter Hand ans den Steinen und wällert 
meine Blumen. 

In den großen Gemähern wandelte ih oft, obſchon 
fie wüft .und leer waren. Nur ein Bild fand id in einem 
Kabinette noch, das id ſebt liebte. Es ſtellte eine fhöne 
Frau der, ein kleines Kind an ihren Buſen drüdend. Das 
Gefit der guten Frau betrachtete mic) fo liebevoll, obſchon 
Beuchiägteit die Farben etwas verderben Katie; und ber 
Beine Kaabe au ihrer Bru laͤchelte mich Immer fo ſchel⸗ 
miſch an, als ob cr fagen wolle, keunſt Du mid deun wicht? 
— Nach vielen vergebligen Bitten und unerfülten Verhei⸗ 


172 Lebensbeſchreibung des 


gungen bewog ich endlich meinen alten, ſteifen Lehrer, ſich 
mit mir eines Tages die Treppen hinauf zu bemühen. Er 

- verftand ſich gar nicht auf Bilder und dergleichen: als er 
aber das Gemälde lange betrachtet Hatte, ſprach er: Ich 
müßte mid) fehr"irren, oder das ift ein Bild Deiner feligen 
Mutter; was das Kind aber bedeuten foll, weiß ich nicht; 
vermuthlich ſtellt es Deinen ältern Bruder vor, wie er Mein 
war. Dir gleicht es ja nicht. Nun bolte id die Haushäls 
terin, die mid) gleich verfiherte, das Kind folle Niemand 
anders als mich bedeuten, und daß ich gerade fo ausgefehen 
babe, als ich nur erft zwei Jahre alt geweſen. 

Bie lieb mir das Bild von diefem Tage an wurde, 
begreift ein Ieder, der eine Mutter verloren hat; ich ging 
täglich, da hinauf, und dort verrichtete ich mein Morgenges 
bet, wenn die Sonne heiter in's Kabinet herein ftrahlte. 
Eines Tages wollte ih auch mein Abendgebet dafelbft vers 
richten; es war ziemlich foät, und der Mond ſchien durch 
die fangen, großen Fenfter der Gemäder. Als id in's Kar 
binef treten wollte, wozu die Thür halb offen fand, ſchien 
es mir, als entdece id) eine weiße Geftalt, vor dem Bilde 
mit gefaltenen Händen ftehend und es ſehr aufmerffam be» 
tradıtend. Als die Geftalt meine Enarrenden Fußtritte hörte, 
tebrte fie das Geſicht gegen die Thür, und ic glaubte das 
Anttig meines feligen Vaters, weiß wie die Alabafterbäfte 
auf feinem Sarkophage zu feben. Ich entfloh mit einem 
Geſchrei. Es half nichts, dag mich mein Lehrer verfiherte, 
es fei nur meine eigene, aufgeregte Einbildungskraft gewe⸗ 
fen. Ich magte nie mehr, die dden Hallen im Mondfcheine 
allein zu betreten. Im Morgenrotb, wenn die Böglein draus 
Ben in den Bäumen ſchlugen, beſuchte ich ſie aber immer 
Moch getroſt. 





Don Eprillo de Balaro. 173 


Der gute Francesco Perez ſchlug mir eines Tages vor, 
mit ihm nad einer einen Straße der Stadt hinzugeben, 
um einen alten Freund von ihm au beſuchen, der jeßt da _ 
wohne, den er mir aber noch nicht nennen wollte. Gr fagte 
mir, es fei ein fehr gereifter Mann, der noch vor Kurzem 
in weit glüdlicyeren Umftänden gelebt babe, und mir viele 
unterhaltende Gefdichten erzählen Fünne, wenn er nur wolle. 
3% folgte ifm gern, und wir traten in ein ziemlich ſchlech⸗ 
tes Simmer binein mit gemeißten Wänden, wo eine große 
roſtige, eiferne Kette am Nagel hing, wie in einem Gefäng- 
niſſe. Gin ältlier Mann mit einem fonneverbrannten, 
aber fehr bedeutenden Geſichte faß in einem wunderlihen 
Lehnſtuble von geflochtenen Weidenruthen. In Käfigen bins 
gen mehrere fhöne, bunte Vögel, dergleihen ich noch nie 
gefehen hatte, und einen hübſchen, Kleinen, bunten Teppich 
von Baft hatte er unter den Fügen. Sonft war das Stu. 
bengeräth aͤrmlich und fparfam, und der Mann fügte ſei⸗ 
nen Arm auf einen ungemalten Fichtentiſch, worauf ein klei⸗ 
ner Erdglobus ftand. Er fag in Gedanken vertieft, ſtarrte 
den Globus an und drehete ihn fpielend mit dem Finger 
herum. B 

Als wir hinein traten, erhob der Fremde fein großes, 
braunes, feelenvolles Auge, das etwas geſehen zu haben 
ſchien. mas fein anderes Auge fo gefehen hatte, und lächelte 
freundlich. 

Willtommen, Freund Pere, fprad er mit ſchwacher 
Stimme, hier fige ich mit meiner Heinen, neuentdedten Erde, 
der ich ein Jauusgeſicht verſchafft babe, fo daß fie künftig 
au beiden Seiten dinausſchauen kann. Barum bemüht ſich 
doch der Menſch fo viel, Erde zu finden? Braucht er doch 
aulegt nicht mehr, als ein naar Schaufeln vol, um die mü⸗ 


eſchreibung des 
em. Ber if der bübſche Meine 


ihm, und ſprach zu mir: Knie 
laß Bir’ vom dirfem: unfterblichen 

Er keidet auch unſchuldig, hat 
n Neid und die Verfolgung der 
flehſt Gier den großen Admiral 
re wie er in’ feiner Hafienifhen 
gt: Chriftonyoro Columbo. 
Golumbo, feine Hand auf meine 
! Du Hift in den glüdtichen Jah⸗ 
‚feiten. Schaue nicht zurüd auf 
eit, fondern mir vormärts im die 
h noch jung; mie Du, bei Gott, 
mod nicht die Segel einziehen; ich 
je nieder wehen laſſen und in die 
d dom, verfepte er nach einer klei ⸗ 
ich eigentlich entdeden? — Men- 
ungen? Die kenne ich fon gar 


kam herein und fagte ihm etwas 
vieder binauegegangen war, kehrte 
fagte: Ich ſchaͤme mich faft, mein 
oth bricht Eifen, toͤnnt Ihr mir 
er leihen? Es ſcheint Freitidy lãcher⸗ 
von Indlen, der feiner ſpaniſchen 
er mit Gold fühte, um fünf Pia- 
Kaffe ift aber Teer, ich habe dem 
ieine Meine Penfiom iſt mod: nicht 
ıgt ja: waͤhrend das Gras wachſt, 
itlanifchen und aragmifden Hufe, 


sa. u. ...—.n 


Don Eyrillo de Balare. 175 


wißt Ihr, geht alles fehr langfam. Konnte es acht Jahre 
danern, bevor ich die drei Böte bekam, womit ic die neue 
Belt entdedte, wie-lange wird es dann nicht dauern, ehe 
daß die Penfion mir angemiefen wird, Befonders wenn mein 
Breund Don Juan Rodrigo de Fonfeca fie mir auszahlen 
fol. — 

Mein Hofmeifter drach in Verwünſchungen über die 
Undantbarkeit der Regierung ans, Columbo bat im aber, 
ruhig zu fen. — Ich bin ſchon über folde Eitelkeit hin- 
ans, fpra er, denn ich fühle, daß ich Bald eine weit‘ grd» 
Gere Reife zu thun babe, nach einer wigtigern terra ineo- 
guita als Indien ift. Ih will dem Könige Fernando feine 
Borwürfe maden; feine Beine. Seele fann nichts Großes 
ſchaͤtzen. denn er ahnete nie, was Größe mar, und in feinem 
meidifhen Herzen wunzelte nur Giferfucht gegen alles Auge 
gezeichnete. Als die Königin Iſabella ſtarb, fiel meine lette 
Stüge; fie fhägte das Berdienft, und war eine feltne Frau, 
ihren einzigen Fehler, eine gar zu hohe: Meinung von den 
Fähigkeiten ihres Gemahls, würde man ihr im Privatftande 
als’ eine Tugend angerechnet Haben. Auch vergebe ich gern 
allen meinen Zeinden. Wäre ich ſelbſt nicht chrgeizig ge⸗ 
weſen, fo hätte ich als Ausländer, als Sremder, nicht den 
ſpaniſchen Nationalſtolz gegen mic) gereist. Barum. wollte 
ich Vicefönig fein? Bar der fhlichte, genuefifhe Schiffer 
Chriſtoph Columbo, der die neue Belt auf feinem gebrech⸗ 
lichen Babrzeuge entdecte, der ſich erft durch alle Hoflaba- 
Ien; dann durd alle Scheeren und Sandbaͤnke arbeitete, 
ohne zu. fheitern, nicht mehr werth, als ein weitindifger 
Vicelönig, wozu man jeden Höfling, jeden Schwachtkopf ma- 
hen kann, der immer hoͤber fteigt, je tiefer er ſich büdt? 
Darum vergebe ich auch dem armſeligen Bovadilla der mic 





176 Lebensbefhreibung des 


mit diefer eifernen Kette ale Verbrechet nach Europa brin- 
gen ließ; und weiß Gott, die Kette hängt nicht da an der 
Band aus Race, um ihn vor der Welt anzuklagen, fon« 
dern als ein memento mori aller weltlichen Eitelkeit, und 
fo fol fie mir auch in’s Grab folgen. 

Ih beſuchte von diefem Augenblide an alle Tage den 
großen Columbo, der Vergnügen daran zu finden ſchien. 
mic, Fleinem.-Iungen viele feiner Sata und Begebenheiten 
zu erzählen, und.fo hörte ich denn auch, dag er einmalnahe 
daran geweſen, wie id jegt, auf der Infel Jamaika Ein- 
fiedler zu werden, ganz von aller gefitteten Menſchengeſell⸗ 
ſchaft getrennt. 

" Seine Gefundheit litt taͤglich mehr, und er neigte ſich 


augenſcheinlich zum Grabe. Eines Abends, als id ihm bes 


ſuchte, war er fehr aufgeräumt, er hatte cin Lied gedichte. 
Das Fenfter ftand ofen, die Luft war fo dunkelblau wie 
das Meer, und leichte Bolten, von der beruntergehenden 
Sonne mit Gold verbrämt, ſchwebten fern am Horizonte als 
Tafeln. — Lies mir einmal dies Schwanenlied laut vor, 
mein Sohn, fprad er, indem er beide Hände über den 
Erdglobus, der vor ibm auf dem Tiſche ftand, faltete und 
mit feuchten Augen in die fernen Wolken hinaus fchante. 
3% las: " 


Bed iſt MUCH nun volldracht. 
Bald die dieiſe wird beginnen, 
um das umentdeckte Sand, 
Sähnelien Laufes, Dort iu finden. 


Da ein Jeder feloR entdedt, 
Ohne Nachricht Doch au bringen, 


Don Eyrillo de Balaro. 


Denn kein Schiffer kehrt zurůck 
30 ex felig nur von hinnen. 


Kein geſchnittaes Hol, fein Baum 
Bird hierhergefpült vom Himmel; 
Keinen Leichnam findeft Du 

Bon verfiorbnem Engelötinde. 


aues if Geheimnis Dir; 

Nur durch Glauben, Freud’ und Piebe, 
ar durch Hoffnung fegein Du 

Dort auf Deines Todes Schife. 


Spanne dann die Segel auf 
Unverzagt, mein frommer Schiffer! 
Seele, durch Das Aethermeer 

Wirſt in kurzer Zeit Du ſchwimmen. 


30 fein Bei die Tiefe mipt, 

Scheitern Du auf feinem Rife, 
Und die Engelgflü, 
Werden zum Paflate dienen. 





©o verlaffe denn getroft 
‚Die Ayoren, die nur irdiſch; 
30 die Wolle roſenroth⸗ 
Da ift Deine Rettungsinfel. 


Eicht Du den San Ealvador? 
Deinen Heiland wirſt Du finden. 
80 nicht Eiteiteit Dich treibt, 
Bird Die Beine Freude ſchwinden. 


Keblenf. Schriften. XVIL. 12 


177 





178 Lebensbeſchreibung des 


Ich hatte das Lied nad) Verlangen mit lauter, deut⸗ 
licher Stimme vorgelefen, und warf jeßt meine Augen von 
dem Papiere hin auf den Berfaffer, um ihm für die Fromme 
Dichtung zu danken. Da faß der große Columbo todt, mit 
den gefulteten Händen über dem Erdglobus, und feine ges 
brodenen Augen ſtarrten hinaus nad den Wolteninfeln; 
die Abendfonne laͤchelte heiter auf feine roftige Kette, und 
fünftehalb Piafter Tagen noch auf dem Tiſche. 





Ich habe ſchon erzählt. dag mein Bruder ſich zwiſchen 
feinen Bücyern und der Jagd theilend, einfam im, Walde 
hauſete, wobei er die Sonderbarkeit zeigte, feines Bedienten 
Hülfleiftung haben zu wollen. Zweimal woͤchentlich ließ er 
ſich die nöthigen Lebensmittel in einem Korbe hinaustragen 
und in die Vorhalle des einen Jadſchloſſes hinfeßen. Und 
fo lebte er derin als ein wahrer Eremit mit dem Hunde, 
der fein einziger Freund und Bertrauter war. Denn er 
hatte, feit dem ſchändlichen Spiele, das man mit unfers 
Vaters Leiche getrieben, einen wahren Haß gegen die Men- 
ſchen gefaßt. Ale Vorſtellungen des biedern Francesco Pe⸗ 
rez halfen zu nichts, und wie ein hitziger Jünbling bald 
mit feiner Theorie fertig ift, fo geſchah es denn auch bier. 
Selbſt der ehrliche Perez verlor die Freundſchaft meines un» 
vernünftigen Bruders, weil er feinen Spipfindigfeiten und 
Liehlingsideen widerſprach, und beweifen wollte, dag noch 
Ehrlichteit und Liebe unter den Menſchen feien. — Nein, 
rief der aufgebrachte Dionyfio, der Menſch ift ein falſches 
Thier, nur von Eigenliebe, Wolluft, Graufamteit, Kälte, 
Traͤgheit, Neid und Unbarmderzigfeit zufammen gefegt. Nur 
unter den Thieren iſt noch Treue zu finden. ‚Der Hund ift 


"Don Cvorillo de Balaro. 179 


treu. Der liebt mich ehrlich; er will nichts von mir, als 
die nothwendigſte Bedingung feines Lebens; er fhügt mic, 
wachſam und muthig, und verläßt mich nicht in der Noth. 
Mit den ehrlichen braunen Augen blidt er mir, ohne Falfch. 
tief in die Seele. Nur Fidelio fol mein Lebensgefährte 
fein, und fterb’ ich einmal, fo bin idy gemiß, er wird auch 
vor Gram auf meinem Grabe fterben. 

So kehrte er mit dem Hunde in den Wald zuräd; auf 
dem Rüden hatte er feine Flinte hängen, an der Seite fein 
Waldhorn, welchem er im Weggehen die lieblichſten Töne 
entlodte, die feinen Gemüthszuftend mir wenig verriethen, 
denn er war auf diefem ſchwierigen Inftrumente ein ziem- 
licher Virtuoſe. 

So verſtrichen meine Kinderjahre. Ih beſuchte meinen 
Bruder ein Paarmal jährlih auf dem Jagdſchloſſe, und 
lebte felbft mit meinem Ueben Lehrer Fernando Perez in 
ſtiller Rube. 

Als Jüngling sing id) äfter in die Kirche, als gewöhn« 
lich. Sol ich meine Iugendfünde betennen? Sicht fo fehr 
aus Gottesfurdt, als um die ſchöne Muflt zu hören, und 
eine nod-fhönere Srauengeftalt zu fehen, die während der 
Meſſe alle Augenblide ihre Iunoaugen auf mic richtete. 
Bir fahen uns oft da, und die Blide wurden immer ſchmach⸗ 
tender und zärtliher. — Ih wagte feinen Schritt weiter 
zu thun. Sie hatte aber mehr Muth, als ih. Einmal 
im Beggeben drüdte fie meine Händ zärtlich im Gedränge, 
und der Drud zudte mir durch Mark und Bein. — Den- 
noch wagte ich es nicht, ihr au folgen, noch kannte ich fie 
bei Namen, ich fürchtete mid, Iemanden zu fragen, damit 
nicht das Beben meiner Stimme und meine Gefihtsfarbe 
mein Geheimnig verrathen möchten. " 


Baic Google 


Don Eyrillo de Balaro. 175 


wißt Ihr, gebt alles fehr langſam. Konnte es acht Jahre 
dauern, bevor ich die drei Böte befam, womit ich die neue 
Belt entdedte, wie lange wird es dam nicht dauern, ehe 
dag die Penfion mir angemiefen wird, Befonders wenn mein 
Bund Don Iuan Rodrigo de Fonſeca fie mir auszahlen 

Dein Hofmeifter brach in Berwinfgungen über die 
Undankbarkeit der Regierung aus, Columbo bat ihn aber, 
ruhig zu fein. — Ich bin ſchon über ſolche Eitrikeit Hin 
aus, ſprach er, denn ich fühle, Daß ih Bald eine weit grd« 
Here Reife zu thun habe, nad) einer wichtigern terra inco- 
guita als Indien ift. Ich will dem Könige Fernando keine 
Bormwürfe. maden; feine Meine. Seele kann nichts Großes 
fdyägen, denn er alnete nie, was Groͤße mar, und in feinem 
neidiſchen Herzen wurzelte nur Giferfudht gegen alles Huse 
gezeichnete. Als die Königin. Ifabella ftard, flel meine Iepte 
Stüpe; fie ſchatzte das Berdienft, und war eine ſeltne Frau, 
ibren einzigen Tehler, eine gar zu bobe: Meinung ven den 
Fähigkeiten idres Gemabls würde man ihr im Privasktande 
als’ eine Tugend angerechnet. haben... Auch vergebe ich gern 
atien meinen Feinden. Wäre idy ſelbſt nicht ehrgeizig ger 
mefen, fo hätte ih ale Ausländer, als Sremder, nicht den 
ſpanifchen Nationalftolz gegen mich gereist. Barum. wollte 
ich Birefönig fein? War der fhlihte, genueſiſche Schiffer 
Shriftopp Columbo, der die neue Belt anf feinem gebres · 
lipen Fahrzeuge entdete, der ſich erſt durch alle Hoftaba- 
In, dann dur alle Scheeren und Sarvbänfe arbeitete, 
oßme au. fheitern, nicht mehr wertg, als ein meitindifger 
Diceögig, wozu man jeden Höfling, jeden Schwachtopf ma- 
hen Weg, der immer höher fleigt, je tiefer er ſich hädt? 
Da ee ich arch dem annfellgen Bopadilla, der mich 


170 Lebensbefgreibung des 


bat unfern Vater nad feinem Tode aus Rache und aus 
toller Schwaͤrmerei befihimpft; wenn wir aber nicht ſelbſt 
lebendig fein Shidfal theilen wollen, dürfen wir fein Wort 
gegen Andere äußern. Auch auf uns fält die Strafe. Un- 
fere Güter behalten wir Freilich; die Ehre iſt uns aber ge- 
raubtz unfer alter Name ift jeßt eine falſche Münze ohne 
Klaug; wir können fein Amt erhalten, Feine Ehrenſtelle de» 
tleiden. So wollen wir ung denn alein den Wiſſenſchaften 
ergeben, wie wir angefangen haben; allein in unfern Häu- 
fern wollen wir wohnen, und die Menſchen ihren wilden 
Gang gehen laſſen. Bleibe Du hier im Palafte zurüd mit 
Deinem braven Lehrer Francesco Perez, der Dich nicht ver» 
laſſen wird, Ich ziehe mit meiner einzigen Sreunde (bier 
ſtrich er den Rüden eines überaus ſchönen Jagdhundes, der 
ihm überall folgte) auf unfer kleines Jagdſchloß im Walde 
hinaus. Da wil ih mih, halb Eremit, halb Jäger, dem 
ſtillen Kummer weihen. Vielleicht ſchleift die Zeit die Scharte 
aus, und das Gemuͤth wird wieder ruhig. 

Ich blieb alfo bei meinem guten Trancesco de Perez 
im Palafte, der im großen Stile gebaut war, mit weiten 
Vorhallen und breiten marmornen Treppen; in den leeren 
Niſchen hatten vorber fhöne Statuen von hohem Berthe 
gefanden; allein auch diefer griechiſchen Göpenbilder hatte . 
fich die heilige Inquiſition bemädtigt. Die Gemaͤcher a» 
sen beinahe alle Leer, Die Mobilien im Haufe waren feit 
unferer Eltern Tode, theils verkauft, teils geftoblen, weil 
fein ordentlies Auffehen da war. — Nur die Konfoltifce 
mit vergoldeten Zügen und fhönen bunten Steinplatten 
fanden noch da. Auch bewunderte ih oft die großen, 
in der Wand eingemauerten Spiegel, die doch alle etwas 
gelitten Hatten. Mein Lehrer verftand ſich wohl gut auf 





Don Eyrillo de Valaro. m 


Spraden und Willenfhaften, auf weltliche Dinge nur we⸗ 
nig; und die Haushälterin, wenn fie uns ein ſpaͤrliches Efr 
fen zubereitet hatte, meinte ihre Pflicht gethan zu haben, 
und ließ den alten Palast ſich ſelber hüten. 

Bas auf mein kindliches Gemüth den tiefften Eindruck 
machte, war eine große gemwölbte Halle von ſhwarzgrauem 
Marmor, im Erddeſchohe, die gegen den kühlen, ſchattigen 
Nafenplap im Garten hinaus lag, wo zur Rechten eine 
Duelle aus einem Meinen Felſen durch Blumen reichlich flog. 
‚Hier brachten mein Hofweifter und id die heigeſten Som- 
mertage mit Lefen zu, in der fhönen friſchen Kühle und 
der gwößten Ginfamfeit. Umd wie fonderbarl Iſt es Dir, 
lieber Lefer auch nicht mitunter fo gegangen, daß Du einen 
Zuſtand zweimal zu erleben glaubteft? So (diem mir der 
Aufenthalt in der ſchwarzgrauen Marmorhalle zu Ballado- 
lid ein Vorbild meines jepigen Stilliebens in diefer Infel- 
böble zu fein. Denn au bier if es Iuftig, Lühl und ger 
täumig; auch bier bringe id meine meiſte Zeit mit Selen 
au. Auch diefe Höhle liegt nach einem (hönen Raſenplatze 
binaus; und was dat fonderbarfte iſt. au bier ſprudelt 
eine Quelle rechter Hand aus den Steinen und wällert 
meine Blumen. 

Im den großen Gemaͤchern wandelte ich oft, obſchon 
fie wůſt und leer waren. Nur ein Bild fand ih in einem 
Kabinette noch, das. ich ſeht liebte. Es ſtellte eine ſchone 
Frau dar, ein kleines Kind an ihren Buſen drücend. Das 
Geſicht der guten Fran bettachtete mich fo liebevoll, obſchon 
Feuchtigleit die Barben etwas verborben baties und ber 
Heine Knabe an ihrer Bruſt Läcelte mid immer fo ſchel⸗ 
miſch an, ale ob er fagen wolle, kennſt Du mic denn nicht? 
— Nach vielen vergebůchen Bitten und unerfüllten Verhei⸗ 


172 Lebensbeſchreibung des 


hungen bewog ich endlich meinen alten, fteifen Lehrer, ſich 
mit mir eines Tages die Treppen hinauf zu bemühen. Er 
verftand ſich gar nicht auf Bilder und dergleichen: als er 
aber das Gemälde lange betradhtet hatte, ſprach er: Ich 
müßte mic) fehrtirren, oder das ift ein Bild Deiner felgen 
Mutter; was das Kind aber bedeuten foll, weiß ich nicht; 
vermuthlich ftellt e8 Deinen ältern Bruder vor, wie er Mein 
war. Dir gleicht es ja nicht. Nun holte ich die Haushäl« 
terin, die mid) gleich verficherte, das Kind folle Niemand 
anders als mid) bedeutch, und daß ic) gerade fo ausgefehen 
babe, als ich nur erft zwei Jahre alt geweſen. 

Bie lieb mir das Bild von diefem Tage an wurde, 
begreift ein Jeder, der eine Mutter verloren bat; id} ging 
taglich da binauf, und dort verrichtete ih mein Morgenges 
bet, wenn die Sonne heiter in’s Kabinet herein ftrahlte. 
Eines Tages wollte Ih auch mein Abendgebet daſelbſt ver- 
richten; es war ziemlich foät, und der Mond ſchien durch 
die langen, großen Fenſter der Gemaͤcher. Als id in's Kar 
binet treten wollte, wozu die Thür halb offen ftand, ſchien 
es mir, als entdede id eine weiße Geftalt, vor dem Bilde 
mit gefaltenen Händen ſtehend und es fehr aufmerffam bes 
trachtend. Als die Geftalt meine Enarrenden Zußtritte hörte, 
kehrte fie das Gefiht gegen die Thür, und id glaubte das 
Antlitz meines feligen Vaters, weiß wie die Alabafterbäfte 
auf feinem. Sarkophage zu ſehen. Ich entfloh mit einem 
Gefäyrei. Es half nichts, dag mich mein Lehrer verfiherte, 
es fei nur meine eigene, aufgeregte Einbildungstraft gewe⸗ 
fen. Ich wagte nie mehr, die dden Hallen im Mondſcheine 
allein zu betreten. Im Morgenrotb, wenn die Böglein draus 
gen in den Bäumen ſchlugen, beſuchte ich fie aber immer 
noch getroft. 


Don Cyrillo de Balaro. 173 


Der gute Francesco Perez flug mir eines Tages vor, 
mit ihm nad) einer Heinen Stage der Stadt hinzugeben, 
um einen alten Freund von ihm zu befuchen, der jeht da _ 
wohne, den er mir aber noch nicht nennen wollte. Er fagte 
mir, es fei ein fehr gereifter Mann, der noch vor Kurzem 
in weit glüclicheren Umftänden gelebt habe, und mir viele 
unterbaltende Geſchichten erzählen könne, wenn er nur wolle. 
Ic folgte ihm gern, und wir traten in ein ziemlich ſchlech⸗ 
te8 Zimmer hinein mit geweißten. Wänden, mo eine große 
voftige, eiferne Kette am Nagel hing, wie in einem Gefäng- 
niſſe. Ein ältlier Mann mit einem fonneverbrannten, 
aber fehr bedeutenden Gefichte fag in einem wunderlichen 
Lehnftuble von geflochtenen Weidenruthen. In Käfigen hin⸗ 
gen mehrere fchöne, bunte Vögel, dergleichen ih noch nie 
gefehen hatte, und einen hübſchen, Kleinen, bunten Teppich 
von Baft hatte er unter den Füßen. Sonft war das Stu- 
bengeräth aͤrmlich und fparfam, und der Mann fügte feie 
nen Arm auf einen. ungemalten Fichtentiſch, worauf ein klei⸗ 
ner Erdglobus ftand. Er ſaß in Gedanken vertieft, flarrte 
den Globus an und drehete ihn fbielend mit dem Singer 


m. . 

Als wir hinein traten, erhob der Fremde fein großes, 
braunes, feelenvolles Auge, das etwas gefehen au haben 
ſchien. was fein anderes Auge fo gefehen hatte, und lächelte 
freundlich 

Willkommen. Fteund Perez. ſprach er mit ſchwacher 
Stimme, hier fie ich mit meiner kleinen, neuentdeckten Exde, 
der id) ein Ianusgefiht verſchafft babe, fo dag fie künftig 
au beiden Seiten hinausſchauen kann. Barum bemüht ſich 
doc) der Menſch fo viel, Erde zu finden? Braucht er doch 
zuletzt nicht mehr, als ein naar Schaufeln voll, um die müs 


174 Lebensbeſchreibung des 


wären &ebeine zu bederen. Ser iM der bübſche Heine 
Knabe dar 

Meim Lehrer fagte es ihm, und fſprach zu mir: Knie 
wieder, mein- nd, und lag Bir vom diefem unſterblichen 
Manne den’ Segen geben. Er keidet au; unſchuldig, hat 
aud die Armfeltgkeit, den Neid und die Verfolgung der 
Menſchen erfahren. Du flehſt bier den grogen Admiral 
Chriſt obh Gofen, oder wie er in’ feiner ttalieniſchen 
Mutterſprache eigentlich heißt: Chriſtophoro Golumbo. 

Gutes Kind, ſprach Columbo, feine Hand auf meine 
Stirn Iegend, fafle Muth! Du biſt in den glüclichen Jahr 
ren aller ſchönen Möglichkeiten. Schaue nicht zurüd auf 
die träbfelige Vergangenheit, fondern nur vormärte im die 
rofige Sufmft. Waͤre ich noch jung; mie Du, bei Gott, 
ich wollte nicht tranern, noch nicht die Segel eimziehen; ich 
würde meine fühne Flagge wieder wehen Ihffen und in die 
offene Eee ſtechen. — Und dom, verfepte er nach einer klri⸗ 
nen Beile — mas wollte ich eigentlich: entdegen? — Men ⸗ 
ſchen und Menſchenwohnungen? Die kenne ih ſchon gar 
zu gut. 

Seine Haushälterin kam herein und fagte ihm etwas 
leiſe ing Ohr. Als fie wieder himausgegangen war, kehrte 
er fi zum Freunde und fagte: Id ſchaͤme mich faft, mein 
lieber Franceseo, doch Noth bricht Eiſen, innt Ihr mir 
auf acht Tage fünf Piafter leihen? Es ſcheint freilich Fücher- 
li, daß der Vlcefönig von Indien, der feiner ſpaniſchen 
Majertät die Schattammer mit Gold fühle; um fünf Pia- 
ſter Bitten fol. Meine Kaſſe ift aber Teer, ih habe dem 
Könige alles gegeben, meine Meine Penfion ift noch nidyt 
angefonmmen, und man fagt ja: während‘ das Bras wächft, 
ſtirbt die Aub. Am kaſtiñaniſchen und aragmifden Hufe, 


Don Eyrilo de Balaro. 175 


wißt Ihr, geht alles ſeht langſam. Konnte es acht Jahre 
dauern, bevor ich die drei Böte befam, womit ich die neue 
Belt endete, wie lange wird «8 dann nicht dauern, ehe 
dag die Penfion mir angeriefen wird, Befonders wenn mein 
Freund Don Iuan Rodrigo de Fonfera fie mir auszahlen 
fol. — 

Mein Hofmeifter brach in Wermünfdungen über die 
Undankharkeit der Regierung aus, Columbo bat ihn aber, 
ruhig zu fein. — Ich bin ſchon Aber ſolche Eitelkeit hin- 
aus, ſprach er, denn ich fühle, daß ih Bald eine weit grd- 
Bere Reife zu tun habe, nach einer wichtigern terra ineo- 
guita als Indien ift. Ich will dem Könige Fernando keine 
Borwürfe. machen; feine Heine. Seele kann nichts Grotzes 
f&ägen, denn er ahnete nie, was Größe war, und in feinem 
neidiſchen Herzen wurzelte nur Eiferſucht gegen alles Yus« 
gezeichnete. Als die Königin Iſabella ftard, fiel meine letzte 
Stüge; fie ſchaͤzte das Berdienft, und mar eine feltne Frau, 
ihren einzigen ehler, eine gar zu hohe: Meinung von den 
Fähigkeiten ihres Gemahls, würde man ihr im Privatftande 
als eine Tugend angerechnet haben. Auch vergebe ich gern 
allen meinen Feinden. Wäre id; ſelbſt nicht ehrgeizig ge⸗ 
weſen, fo hätte ih als Ausländer, als Frruder, nit den 
ſpaniſchen Nationalftolz gegen mich gereist. Barum. wollte 
ich Vicefönig fein? Bar der ſchlichte, genuefifhe Schiffer 
Cbriſtoph Eolumbo, der die neue Belt auf feinem gebrech⸗ 
lichen Fahrzeuge entdecte, der ſich erft durch alle Hofkaba- 
len; dann durd alle Scheeren und Samdbänte arbeitete, 
ohne zu ſcheitern. nicht mehr werth, als ein weſſindiſcher 
Bicekönig, wozu man jeden Höfling, jeden Schwachkopf ma- 
hen kann, der immer höher ſteigt, je tiefer er fih büdt? 
Darum vergebe id; auch dem armfeligen Bovadilla der mic) 


166 Lebensbeſchreibung des 


Baprlich, Lieber Leſer! wenn ich Dir die lleberſchriften 
meiner Lebens ⸗Kapitel voraus fage, glaubft Du vielleicht ei⸗ 
nen Scherz zu hören, oder daß ich Dir ein eitel Räthfel zu 

» Löfen gebe. Denn was ſagſt Du dazu, wenn ih Dir er» 
zähle, dag mein edler Vater nady feinem Tode ſchändlich 
bingerichtet ift, dag mein ſchuldiger Bruder wiſſentlich einen 
unſchuldigen Selbſtmord begangen. ˖ Daß ich den reichſten 
Mann, der je in der Weit lebte, in Armuth habe ſterben 
fehen; dag meine Frau ‚alles aufgeonfert und gewagt aus 
Liebe zw übrem nicht geliebten Gatten, daß ich ‚einen Morten 
mit einigen Reimen eine Räuberharde Habe bändigen ſeben, 
die ein mächtiger Fuͤrſt mit feinen Kriegerbaufen nicht baͤn- 
digen konmie, und endlich, Daß mich das wunderbare Sci 

ſal ans einem kuͤnſtlich gegwungenen in ein matürkshes Frei» 
williges Klofter führte, 

36 ſtamme aus einem altablihen Franifihen-Beiülchte. 
Mein Vater, Don Diego de Valato, war Beldoberft in L- 
niglichen Here, und meine Mutter war eine Donna Blanca 
de Cordua. Obſchon die Geburt etwas Bufälliges iſt und 
der Grlöfer, eben um den eitlen Stolz der Menden zu ben⸗ 
gen, ſich in einem elenden Stalle von gemeinen Eltern zur 
Welt dringen ‚Heß, freut es zich doch, wenn ih an meine 
wadern Borfahsen Denke, die rechtliche Zente und Aanfere 
Krieger waren. - 

Auch freut es mid, ‚in Spanier gu fen; und das Ge⸗ 
fübd, fo ich ſchon als Kind hegte, wenn ih die Karte Eu- 
topens betrachtete, mo dieſer Welttbeil als cine Jungfrau 
dargeſtellt iſt hege ich noch immer als Gteis. Denn wahr⸗- 
baftig, das Yand kann man wohl das Haupt nennen, das 
ſelbſtſtandig für fih, nur durd den ſtarken Raden der Pp⸗ 
senden zu dem Nüdgrate des übrigen Körpers gefügt ift, 


Den Cvrillo de Valaro. 167 


wo fi Berge, Thäler, Flüſſe und Wälder, wie auf dem 
menſchlichen Haupte Knochen, Fleiſch, Adern und lodiges 
Haar wunderfhön zu einem Ganzen verbinden, und wo ſich 
Nömer, Weſtgothen, Chriften und Mohren mie Gedanfen 
und Meinungen im menfhlihen Gebirn lange befämpft, 
befiegt und abenteuerlich gekreuzt haben. Kann nun auch 
das ſchone Frankreid für den ſchwellenden Bufen der Jungs 
frau gelten, wo Leichtſinn und Liebesluſt reizend ihr Spiel 
treiben, it Italien der geiftlie, und England der weltliche 
Arın diefer Minerva, Deutſchland der Leib, wo alles ver- 
daut wird, und woraus die Nabrungsfäfte zu den übrigen 
Gliedern gehen; und fann man die weniger gefannten und 
gebildeten Länder ihre Schleppe nennen, fo it und bleibt 
Hispania doch das Haupt! Und Iammerfhade, dag ſich 
Portugal, welches mit dem Geſichte zum Weltmeere Hin» 
aus fhaute, ſich eigenfinnig vom Haupte getrennt, wodurch 
es feine Lebendigkeit verloren bat, und eine blohe Maske 
geworden iſt. 

Freilich Teidet von allen Theilen des Körpers der Kopf 
oft am meiften von Ziebern und Nervenzufällen, und ſo ere 
gab es fid) denn aud, daß id) das Licht erbliden mußte im 
Jahre Chrifti 1498, chen, als mein Vaterland an Innern 
Zuckungen außerordentlich litt. Denn wenn auch der katho⸗ 
liſche Glaube nie ſiegreicher glänzte, als kurz vor der glüd- 
lichen Schlacht, worin die Mauren überwunden wurden, 
und ihr Neid in Spanien ein Ende nahm; wenn aud zur 
feldigen Zeit Hundert und fiebenzigtaufend caſtiliſche Iuden- 
familien nach Portugal, Mauritanien und Navarra flohen, 
fo lägt es ſich auf der andern Seite nicht läugnen, daß die 
ſpaniſchen Provinzen dadurch unendlich gefhwädt wurden, 
und gar zu viel von ihrer alten Kraft und Blüthe einbüg- 


168 Lebensbeſchreibung des 


ten. Und wie man fagt, daß der Löwe, feiner Natur nadı 
ein edles Thier, wenn feine fharfe Zunge erft Blut gelckt, 
plöglid) graufam wird, fo dag er mitunter felbft feinen 
freundlichen Wärter zerreißt, dem er ſonſt gehorfamte, fo 
geſchah es auch Hier; denn die Heilige Inquifition fing auf 
einmal an, von wahnfinnigem Blutdurft ergriffen, von dem 
Hentersgeifte des abſcheulichen Torquemadas befeelt, wie cin 
grimmiges Thier zu wäthen. Freilich farb dies Ungeheuer 
in meinem Geburtsjahte, feine Nachfolger Deza und Cis- 
neros waren aber um fein Haar befler; und in wenigen 
Jahren hatte Spanien viele taufend feiner Säne und Toͤch- 
ter unſchuldig hingerichtet, wie Saturnns in feiner Wuth 
die eigenen Kinder verfhlang. 

Die erfte merkwürdige Begebenheit, die auf mid als 
Bleiner Knabe von acht Jahren außerordentlihen Eindrud 
machte, war folgende: Ich hatte meine Eltern früh verlo- 
ren; nur ein Bruder, zehn Jahre äfter als ich, Ichte noch. 
Unfer Vater Hatte ung aber ein großes Vermögen hinter» 
Taffen, und wir wurden in einem ſchoͤnen, großen, einſamen 
Valaſte in Baladolid, unferer Vaterftadt, auferzogen. Mit 
unferm Hofmeifter beſuchten wir oft die alte Domtirche, wo 
das marmorne Grabmal unfers feligen Vaters ftand, und 
mo feine fchr ähnliche Büfte, -über dem Sarkophage, zwi⸗ 
ſchen Trophäen und Attributen feines Standes und Ran 
ges thronte. Oft, wenn ich das Bild fo anſchaute, rief ich 
in kindlicher Unbefangenheit: Bater, komm zurüd! und 
wünſchte ihn felber zu fehen. 

Eines Tages, als wir fo ftanden, famen einige Fami- 
liaren der Inquifition mit ihren Trabanten. Ein gewiſſer 
Don Petro de Tramaſſo, der, wie ih nachher hörte, der 
Todfeind meines feligen Vaters gewefen, und jeht ein bes 


Ton Eyrilio de Balaro. 169 


rüdjtigter Fanatiker geworden war, näberte fi uns, und 
meinen Wunſch hörend, den Bater felher zu fehen, ſprach 
er: Nun, Kind, den Wunſch kann ih Dir gemähren. — 
Darauf fielen die Leute über das ſchoͤne marmorne Dent- 
mal her, und vernichteten es ſchnell mit ihren Hämmern 
uud Brecheiſen. Der Dedel wurde vom Sarge aufgcho- 
ben, die einbalfamirte Leiche meines Vaters herauegenom- 
men, und aller Pracht entblöt auf eine ſchlechte Hölzerne 
Bahre geworfen. — Haft Du ihm jetzt gefehen, Kind? frug 
der graufame Familiar, und während ic heftig weinend 
den Leichnam meines Vaters halb mit Grauen, halb mit 
tindlicher Neigung betrachtete, warfen fie ein großes Stück 
Sadleinewand über ihn und trugen ihn zur Kirche hinaus. 

Einige Tage darauf hörten wir die große Glocke im 
alten Dome ſchauerlich zu einer Auto da fe läuten; der 
Bug ging aber unferm Haufe vorbei; da fahen wir denn, 
wie es in jener Zeit oft geſchah, die zum Scheiterhaufen 
verdammten Ketzer in fafranfarbigen Bußtleidern (san be- 
nito) mit der fhigigen Müpe (corasa), mit Flammen und 
Zeufeln bemalt, zum Tode wandeln. Auch ein ſchwarzer, 
mit Feuer und Höllenfragen bemalter Sarg” erſchien im 
furdtbaren Zuge. Das waren die Meberrefte unferes Ba- 

+ ters, der als Keher ſechs Jahre nad feinem Tode verur- 
theilt. aud) den Flammen übergeben wurde. 

Mein Bruder, der weit älter mar als ic, batte im⸗ 
mer, feiner Jugend ohnerachtet, einen fehr ftoifhen Charak- 
ter gezeigt. Sein Herz mar nicht wei, fein Temperament 
etwas duͤſter⸗ melancholiſch, und fo verfploß er den Schmerz 
ſchweigend in feinem Innern, ohne die Erleihterung der 
Tränen und der Mittgeilung zu fühlen. Den Tag nad 
der Hinrichtung fagte er zu mir: Mein lieber Eyrillo, man 





170 Lebensbeſchreibung des 


bat unfern Vater nad) feinem Tode aus Rache und aus 
tolleg Schwärmerei beihimpft; wenn wir aber nicht felbn | 
lebendig fein Scicfal theilen wollen, dürfen wir fein Wort | 
gegen Andere äußern. Auch auf uns fält die Strafe. Un 
fere Güter behalten wir Freilich; die Ehre iR uns aber ge- 
raubtz unfer alter Name ift jept eine falle Münze ohne 
Klang; wir können fein Amt erhalten, Feine Ehrenſtelle bes 
tleiden. So wollen wir uns denn allein den Wiſſenſchaften 
ergeben, wie wir angefangen haben; allein in unfern Häu- 
fern wollen wir wohnen, und die Dienfhen ihren wilden 
Gang gehen laſſen. Bleibe Du bier im Palafte zurüd mit 
Deinem braven Lehrer Francesco Perez, der Dich nicht vers 
laſſen wird. Ich ziehe mit meinem einzigen Freunde (bier 
ſtrich er den Rüden eines überaus fhönen Jagdhundes, der 
ihm überall folgte) auf unfer Meines Jagdſchloß im Walde 
hinaus. Da wil id mid, halb Eremit, halb Jäger, dem 
fillen Kummer weihen. Vieleicht ſchleift die Zeit die Scharte 
aus, und das Gemüth wird wieder rubig. 

Ich blieb alfo bei meinem guten Francesco de Perez 
im Palaſte, der im großen Stile gebaut war, mit weiten | 
Vorhallen und breiten marmornen Treppen; in den leeren. | 
Niſchen hatten vorber [höne Statuen von hohem Werthe 
geſtanden; allein auch diefer griechiſchen Göpenbilder hatte . 
fi) die heilige Inguifition bemädtigt. Die Gemäder wa» 
ren beinahe alle Leer. Die Mobilien im Haufe waren feit 
unferer Eltern Tode, theils verkauft, teils geſtoblen, weil 
kein ordentliches Aufſehen da war. — Nur die Konſoltiſche 
mit vergoldeten Zügen und fhönen bunten Steinplatten 
fanden noch da. Auch bewunderte ich oft die großen, 
in der Wand eingemauerten Spiegel, die dod alle etwas 
gelitten hatten. Mein Lehrer verſtand ſich wohl gut auf 





Don Eyrillo de Valaro. m 


Spraden und Wiſſenſchaften, auf weltliche Dinge wur wer 
ig; und die Haushälterin, wenn fie ung ein ſpaͤrliches Eſ⸗ 
fen zubereitet Hatte, meinte ihre Pflicht gethan zu baben, 
und fie den alten Palaſt ſich felber Hüten. 

Bas auf mein kindliches Gemüth den tiefſten Eindrud 
machte, war eine große gewoͤlbte Halle uon ſchwarzgrauem 
Marmor, im Erdoeſchohe, die gegen den kühlen, ſchattigen 
Nafenplap im Garten binaus dag, wo zur Rechten eine 
Duelle aus einem Meinen Felſen durch Blumen reichlich floßz. 
‚Hier brachten mein Hofweifter und ich die heißeſten Som⸗ 
mertage mit Leſen zu, in der ſchonen friſchen Kühle und 
der größten Ginfamfeit. Und wie fonderbar! Iſt es Dir, 
kieber Lefer auf nicht mitunter fo gegangen, daß Du einen 
Zuftand zweimal zu erleben glaubteſt? Co ſchien mir der 
Aufenthait in der ſchwarzgrauen Marmorhalle zu Ballado- 
lid ein Vorbild meines jegigen Stiliebens in diefer Infel- 
boͤhle zu fein. Denn auch hier iR es Iuftig, kühl und ger 
räumig; auch bier bringe ich meine meifte Zeit mit Leſen 
zu. Auch diefe Höhle liegt nach einem ſchönen Nafenplape 
binaus; und was das fonderbarfte iſt, aud hier ſprudelt 
eine Duelle echter Hand aus den Steinen und wäſſert 
weine Blumen. 

In den großen Gemaͤchern wandelte ib oft, obſchon 
fie wůſt und leer waren. Nur ein Bild fand ich in einem 
Kabinette noch, das ih fehr liebte. Es ſtellte eine fhöne 
rau dar, ein Kleines Kind an ihren Bufen drüdend. Das 
Geficpt der guten Fran betrachtete mid) fo liebevoll, obſchon 
Feuchtigteit die Fatben etwas verdorben hatie; umd der 
Heine Knabe au ihrer Bruſt Läcelte mid Immer fo fehel- 
miſch an, als ob er fagen wolle, kennſt Du mid denn nicht? 
— Nach vielen vergeblichen Bitten und unerfüllten Verhei - 


172 Lebensbeſchreibung des 


tungen bewog ich endlich meinen alten, fteifen Lehrer, ſich 
mit mir eines Tages die Treppen hinauf zu bemühen. Er 

verſtand ſich gar nicht auf Bilder und dergleichen: als er 
aber das Gemälde Tange betrachtet Hatte, ſprach .er: Ih 
müßte mic) fehr*irren, oder das ift ein Bild Deiner feligen 
Mutter; was das Kind aber bedeuten foll, weiß ich nicht; 
vermuthlich ftellt es Deinen ältern Bruder vor, wie er Mein 
war. Dir gleicht es ja nicht. Nun bolte id die Haushäls 
terin, die mid) gleich verfiherte, das Kind folle Niemand 
anders als mich bedeuten, und daß ich gerade fo ausgefehen 
babe, als ich nur erft zwei Jahre alt geweſen. 

Bie lieb mir das Bild von diefem Tage an wurde, 
begreift ein Jeder, der eine Mutter verloren hat; ich ging 
täglich, da hinauf, und dort verrichtete ih mein Morgenge» 
bet, wenn die Sonne heiter in's Kabinet herein ſtrahlte. 
Eines Tages wollte ih auch mein Abendgebet daſelbſt ver- 
richten; es war ziemlich ſpät, und der Mond ſchien durch 
die langen, großen Fenſter der Gemäder. Als ih in's Kar 
binet treten wollte, wozu die Thür halb offen ftand, ſchien 
es mir, als entdede id) eine weiße Geftalt, vor dem Bilde 
mit gefaltenen Händen ftehend und es fehr aufmerffam be» 
trachtend. Als die Geftalt meine knarrenden Fußtritte hörte, 
tehrte fie das Gefiht gegen die Thür, und id glaubte das 
Antlitz meines feligen Vaters, weiß wie die Alabafterbäfte 
auf feinem Sarkophage zu feben. Ih entfloh mit einem 
Geſchrei. Es Half nichts, dag mich mein Lehrer verfiherte, 
es fei nur meine eigene, aufgeregte Einbildungskraft gewe⸗ 
fen. Ich wagte nie mehr, die den Hallen im Mondſcheine 
allein zu betreten. Im Morgenroth, wenn die Vöglein draus 
sen in den Bäumen ſchlugen, beſuchte ich fie aber immer 
noch getroft, 





Don Cyrillo de Balaro. 173 


Der gute Francesco Perez fhlug mir eines Tages vor, 
mit ihm nad) einer Meinen Straße der Stadt hinzugeben, 
um einen alten Freund von ihm zu beſuchen, der jeßt da _ 
wohne. den er mir aber noch nicht nennen wollte. Er fagte 
mir, es fei ein fehr gereifter Mann, der noch vor Kurzem 
in weit glüdlicheren Umftänden gelebt habe, und mir viele 
unterhaltende Geſchichten erzählen Lönne, wenn er nur wolle. 
Ich folgte ihm gern, und wir traten in ein ziemlich ſchlech-⸗ 
tes Zimmer binein mit geweißten Wänden, wo eine große 
roſtige, eiferne Kette am Nagel hing, wie in einem Gefänge 
niſſe. Ein ältliher Mann mit einem fonneverbrannten, 
aber febr bedeutenden Geſichte faß in einem wunderlichen 
Lehnftuble von geflochtenen Weidenruthen. In Käfigen bin. 
gen mehrere fchöne, bunte Vögel, dergleichen ih noch nie 
sefehen Hatte, und einen hübſchen, Meinen, bunten Teppid) 
von Baft hatte er unter den Fügen. Sonft war das Stu- 
bengeräth aͤrmlich und ſparſam, und der Mann ftüpte ftie 
nen Arın auf einen ungemalten Fichtentifc, worauf ein klei⸗ 
ner Erdglobus fand. Er faß in Gedanken vertieft, ftarrte 
den Globus an und drehete ihn fpielend mit dem Finger 
herum. 

Als wir hinein traten, erhob der Fremde fein großes, 
braunee, feelenvolles Auge, das etwas gefehen au haben 
ſchien. was fein anderes Huge fo gefchen hatte, und läͤchelte 
freundlich. 

Willkommen, Freund Perez ſprach er mit ſchwacher 
Stimme, hier fige ich mit meiner kleinen, neuentdedten Erde, 
der id) ein Janusgeſicht verſchafft babe, fo daß fie künftig 
au beiden Seiten hinausfhauen kaun. Barum bemüht ſich 
doch der Menſch fo viel, Erde zu finden? Braut er doch 
aulegt nicht mehr, als ein yaar Schaufeln voll, um die müs 


174 Le bensbeſchreibung des 


müden Gebeine zu bederen. er iM Ber buͤbſche Meine 
Knabe da? \ 

Mei Lehrer fagte ws ihm, und ſprach zu mir: Knie 
mieder, mein- Mid, und lag: Dir vom dirfem unfterblichen 
Manne den’ Segen geben. Er beider auch unſchaldig, hat 
auch die Armfeligkeit, den. Neid und die Verfolgung der 
Menſchen erfahren. Du flehſt bier den großen Admiral 
Chriſtoph &ofen, oder wie er in feiner ttalieniſchen 
Mutterſprache eigentlich beigt: Ehr iſtophoro Columbo. 

Gutes Kind, ſprach Columbo, feine Hand auf weine 
Stirn legend, faſſe Muth! Du biſt in den glücklichen Jah⸗ 
ren aller ſchönen Möglichkeiten. Schaue nicht zurück auf 
die träßfelige Vergangenheit, fondern nur vorwärts in die 
rofige Zutunft. Ware ich noch jung; mie Du, bei Gott, 
ich wollte nicht tranern, noch nicht die Segel eimziehen; ich 
würde meine fühne Flagge wieder wehen laſſen und in die 
offene See ſtechen. — Und doch, verſetzte er nach einer klei⸗ 
nen Weile — mas wollte ich eigentlich entdeden? — Men⸗ 
ſchen und Menſchenwohnumgen? Die kenne ich ſchon gar 
zu gut. . “ 

Seine Haushälterin kam herein und fagte ihm etwas 
leiſe in's Ohr. Als fie wieder binansgegangen war, kehrte 
er fi zum Freunde und fagte: Ich ſchaͤme mid; faſt mein 
lieber Sranceseo, doch Noth Kriht Eifen, könnt Ihr mir 
auf acht Tage fünf Piafter Leihen? Es ſcheint freilich lächer⸗ 
lich, dag der Vlcefönig von Indien, der feiner ſpaniſchen 
Majeftät die Schattammer mit Gold fülte; um fünf Pia 
fter bitten fol. Meine Kaffe ift aber Teer, ich habe dem 
Könige alles: gegeben, meine Meine Venſivn ift noch midyt 
angefonmmen, und man fagt ja: während‘ das Gras wädft, 
flirdt die Anh. Am kaſtinauiſchen und aragoniſchen Hufe, 





Don Eyrillo de Balaro, 175 


wißt Nor, geht alles fehr langſam. Konnte es acht Jahre 
dauern, bevor id die drei Bote befam, womit ich die neue 
Belt enfdedte, wie lange wird es dann nicht dauern, ehe 
da die Penfion mir angewieſen wird, Befonders wenn mein 
Freund Don Juan Rodrigo de Fonfeca fie mir auszahlen 


Mein Hofmeifter brach in Berwünfdungen über die 
Unvankbarkeit der Regierung aus, Columbo bat ihn aber, 
rubig zu fen. — Ih bin ſchon über ſolche Eitriteit bin- 
aus, ſprach er, denn ich fühle, dag ich Bald eine weit grd» 
dere Reife zu thun habe, nach einer wichtigern terra inco- 
gnita als Indien ift. Ich will dem Könige Fernando keine 
Sorwürfe. machen; feine Heine. Seele kann nichts Großes 
ſchaͤtzen. denn er ahnete nie, mas Größe war, und in feinem 
meidifchen Herzen wurzelte nur Giferfucht gegen alles Aus- 
gegeidmete.. Als die Königin Iſabella ftard, fiel meine Iepte 
Stüge; fie ſchatzte das Berdienft, und war eine feltne Frau, 
ihren einzigen Fehler, eine gar zu bobe: Meinung von den 
Fähigkeiten ihres Gemahls, würde man ihr im Privatftande 
als eine Tugend angerechnet haben. Auch vergebe ih gern 
allen meinen Feinden. Wäre ich ſelbſt nicht ehrgeizig ge⸗ 
weſen, fo hätte ich als Ausländer, als Fremder, nicht den 
ſpaniſchen Nationalftolz gegen mich gereist. Barum. wollte 
ich Vicekönig fein? Bar der ſchlichte, genueſiſche Schifer 
Chriſtoph Columbo, der die neue Welt auf feinem gebrech⸗ 
lichen Fahrzeuge entdete, der ſich erft durch ale Hoflaba⸗ 
len; dann dur alle Scheeren und Sandbänfe arbeitete, 
ohne zu ſcheitern, nicht mehr wert, als ein weitindifcer 
Vicekönig, wozu man jeden Höfling, jeden Schwachtopf ma- 
hen Tann, der immer höher fleigt, je tiefer er ſich büdt? 
Darum vergebe ich auch dem armfeligen Bovadila, der mid) 


176 Lebensbeſchreibung des 


mit diefer eifernen Kette ale Verbrecher nach Eurepa brin- 
gen Tieß; und weiß Gott, die Kette hängt nicht da an der 
Band aus Race, um ihn vor der Welt anzuflagen, fon« 
dern als ein memento mori aller weltlichen Eitelkeit, und 
fo fol fie mir auch in’s Grab folgen. 

Ich befuchte von diefem Augenblicke an alle Tage den 
großen Columbo, der Vergnügen daran zu finden ſchien 
mir, feinem. Jungen viele feiner Sata und Begebenheiten 
au erzählen, und.fo hörte ich denn aud, daß er einmal nahe 
daran geweſen, wie ic jet, auf der Infel Jamaika Ein 
fiedier zu werden, ganz von aller gefitteten Menſchengeſell⸗ 
ſchaft getrennt. 

* Seine Gefundpeit litt tägfih mehr, und er neigte fih 
augenſcheinlich zum Grabe. Eines Abends, als ih ihn ber 
ſuchte, war er fehr aufgeräumt, er hatte ein Lied gedichtet. 
Das Fenſter ftand offen, die Luft war fo dunkelblau wie 
das Meer, und leichte Wolken, von der heruntergehenden 
Sonne mit Gold verbrämt, ſchwebten fern am Horizonte als 
Infeln. — Lies mir einmal dies Schwanenlied laut vor, 
mein Sobn, ſprach er, indem er beide Hände über den 
Erdglobus, der vor ihm auf dem Tiſche ftand, faltete und 
mit feuchten Augen in die fernen Wolken hinaus fchante. 
Ich las: " 


Bald iſt Ach nun vollbracht. 
Bald die Reife wird beginnen, 
Um das unentderfte Sand, 
Schnellen Laufes, dort au finden. 


Das ein Jeder flo entdect, 
Ohne Nachricht Doch au bringen⸗ 








Don Cyrillo de Balaro. 


Denn kein Eifer ehrt turid, 
IN ex felig nur von binnen. 


Kein gefchnittnes ‚Hola, fein Baum 
Bird hierhergefpült vom Himmel; 
Keinen Leichnam findet Du 

Bon verflorbnem Engelötinde. 


aues if Geheimnis Dir; 

Nur durch Glauben, Freud’ und Piche, 
Nur durch Hoffnung fegelt Du 

Dort auf Deines Todes Schife. 


Spanne dann die Segel auf 
Anverjagt, mein frommer Schiffer! 
Seele, durch das Meihermeer 

Wirt in kurzer Zeit Du ſchwimmen 


80 fein Bei die Tiefe mißt, 
Sqeiterſt Du auf feinem Kiffe, 
Und die Engelsflügelein 
Werden jum Paflate dienen. 


eo verlaffe denn getroft 
Die Atoren, die nur irdiſch; 
80 die Wolle roienroth, 
Da ift Deine Wettungsinfel. 


Eich Du den San Ealvador? 
Deinen Heiland wirſt Du finden. 
Wo nicht Gitelfeit Dich treibt, 
Wird Die Beine Freude ſchwinden. 


Keplenf. Schriften. XVII. 


17 


178 Lebensbefhreibung des 


Ich Hatte das Lied nad) Verlangen mit lauter, deut- 
Hiper Etimme vorgelefen, und warf jept meine Yugen von 
dem Papiere bin auf den Verfaffer, um ihm für die Fromme 
Dichtung zu danfen. Da faß der große Columbo todt, mit 
den gefalteten Händen über dem Erdglobus, und feine ge 
brodenen Augen ftarrten hinaus nach den Wolfeninfeln; 
die Abendfonne laͤchelte beiter auf feine roſtige Kette, und 
fünftehalb Piafter Tagen nod auf dem Tiſche. 





Ih babe ſchon erzäglt. dag mein Bruder ſich zwiſchen 
feinen Büchern und der Jagd theilend, einfam im Walde 
hauſete, wobei er die Sonderbarkeit zeigte, feines Bedienten 
Hüffleiftung haben zu wollen. Zweimal wöhentlid lieg er 
ſich die nöthigen Lebensmittel in einem Korbe hinaustragen 
und in die Vorhalle des Meinen Jadſchloſſes hinſehen. Und 
fo lebte er denn als ein wahrer Eremit mit dem Hunde, 
der fein einziger Freund und PVertrauter war. Denn er 
hatte, feit dem ſchaͤndlichen Spiele, das man mit unfere 
Vaters Leihe getrieben, einen wahren Haß gegen die Men- 
ſchen gefaßt. Ale Vorftellungen des biedern Francesco Per 
res halfen zu nichts, und mie ein hitiger Jünbling bald 
mit feiner Theorie fertig ift, fo geſchah es denn aud bier. 
Selbſt der ehrliche Perez verlor die Freundſchaft meines un» 
vernünftigen Bruders, weil er feinen Spipfindigfriten und 
Liehlingstdeen widerfprad), und beweifen mollte, dag noch 
Edrlichteit und Liebe unter den Menſchen feien. — Nein, 
rief der aufgebrachte Dionyfio, der Menſch ift ein falfches 
Thier, nur von Eigenliebe, Wolluſt, Graufamteit, Kälte, 
Trägbeit, Neid und Unbarmperzigfeit zuſammen gefeht. Nur 
unter den Tpieren iſt noch Treue zu finden. Der Hund ift 


"Don Gprillo de Balaro. 179 


treu. Der liebt mid ehrlich; er will nichtz von mir, als 
die nothmendigfte Bedingung feines Lebens; er fhüpt mic, 
wachſam und muthig, und verläßt mid) nicht in der Noth. 
Mit den ehrlichen braunen Augen blidt er mir, ohne Falſch 
tief in die Seele. Nur Fidelio fol mein Lebensgefährte 
fein, und fterb’ ich einmal, fo bin ic gewiß, er wird auch 
vor Gram auf meinem Grabe fterben. 

So fehrte er mit dem Hunde in den Wald zuräd; auf 
dem Rüden hatte er feine Flinte hängen, an der Seite fein 
Baldorn, welchem er im Weggehen die lieblichſten Töne 
entlodte, die feinen Gemüthezuftand mir wenig verrietben, 
denn er war auf diefem ſchwierigen Inftrumente ein ziem⸗ 
licher Birtuofe, 

So verftriden meine Kinderjahre. Ich befuchte meinen 
Bruder ein Paarmal jährlid auf dem Jagdſchloſſe, und 
lebte ſelbſt mit meinem lieben Lehrer Fernando Perez in 
ſtiller Nude, 

Als Züngling ging ich öfter in die Kirche, als gewöhn- 
li. Soll ich meine Iugendfünde befennen? Nicht fo fehr 
aus Gottesfurdt, als um die fhöne Muſit zu hören, und 
eine nody-fhönere Srauengeftalt zu fehen, die während der 
Meſſe alle Augenblide ihre Junoaugen auf mic richtete. 
Bir fahen uns oft da, und die Blide wurden immer ſchmach · 
tender und zärtlicher. — Ich wagte feinen Schritt meiter 
zu thun. Sie hatte aber mehr Muth, als ih. Einmal 
im Beggeben drüdte fie meine Hand zaͤrtlich im Gedränge, 
und der Drud zudte mir duch Mark und Bein. — Den- 
noch wagte id es nicht, ihr zu folgen, noch kannte ich fie 
bei Namen, id fürchtete mich, Iemanden zu fragen, damit 
nicht das Beben meiner Stimme und meine Geſichtsfarbe 
mein Geheimniß verrathen möchten. 

12° 


180 Lehensbefchreibung des 


Ber fMilderb meine Angſt, als id meine Schöne in 
den folgenden Tagen nicht mehr in der Kirche fand? Troſt⸗ 
los ſtrich ich durd die Straßen, um fie vieleicht zu finden. 
Ad), dachte ich, dag iſt eine ſchöne Reiſende gewefen, fie ift 
jet nad) fernen Gegenden gezogen, und Du fiebft fie nim- 
mermehr. 

So mit mir felber redend, ging ich vor einem großen 
Palaſte vorbei, wo Tranergardinen in den Fenſtern hingen. 
Eine Gardine ward von einer ſchneeweißen Hand wegge⸗ 
sogen, und wie ein Eugelslopf binter einer Wolle erſchien 
meiner Geliebten rofiges Geſicht, welches der Trauerflor 
noch reigender machte. 

Kaum fehe ich fie, fo ſtürze ich, ohme mid au bedenken. 
die Treppe hinauf. Sie begegnet mir in einer großen Bor« 
balle, wir fliegen einander in die Arme, unfere Lippen be⸗ 
gegnen fi. Kaum aber habe ich den erften fügen Schaum 
der Liebe gefchlürft, fo bittet fie mic) ängitfic, gleich wieder 
weg zu geben, damit mid Niemand fehe. — Die Sitte 
Hispelt fie, erlaubt mir noch nicht, Dich bier bei mir zu fer 
ben. Mein alter, kraͤnklicher Mann ift vorgeftern geftorben, 
da drinnen ſteht feine Leiche noch. Gile, damit Dir weder 
Bediente noch Verwandte auf der Treppe begegnen. Ih 
kenne Die, Cyrillo liebe Di! Nur Du, fhöner Täugling, 
follt mein Herz defigen, mein Gatte werden. Entferne Dich 
aber heute ſchnell wieder, damit Did Niemand treffe. 

Ich taumelte fort und mußte nicht recht, ob dies ein 
Traum fei oder nicht. Erſt als ich die lange Straße zu 
Ende gekommen war, wagte ich, einen Laftträger zu fragen, 
wer dort im Trauerhaufe wohne. Das ift die fhöne Donna 
Eleonora de Sylva, antwertete er, die heute ihren alten 
Mann begräht, den fie todt geärgert bat, und wenn ihre 





Don Eyrillo de Balars. 181 


Feueraugen nicht Tügen, fo wird fie wohl bald einen fri« 
fen, jungen Gatten nieder nehmen, wenn das Trauerjahr 
nur erft verfloffen if. 

Gütiger Himmel, dachte ich junger Thor in meiner eine 


. fältigen Ungeduld: ein ganzes Jahr mußt Du noch warten. 


Ih eifte nach Haufe, mo mir mein alter Lehrer mit einem 
fo ernften Geſichte begegnete, dag ich ihm fein Wort zu für 
gen wagte. Einen Vertranten brauchte ih aber. Ich bes 
ſchloß alfo, meinem Bruder wicder einen Beſuch zu machen. 
Sonft wenn ih bei ihm war, fodte die Unterredung alle 
Augenblide, weil wir einander nichts zu fagen hatten. Jetzt 
war mir das Herz vol. Ich eilte froh hinaus, und hatte 
gerade einen Lühlen Abend dazu. gewählt, da der Mond 
ſcien und die Naqtigallen meine verliebten Tränmereien in 
fügen Liedern ausdrüdten. 5 

Als ich mich dem Iagdhaufe näherte, fah ih meinen 
Bruder tieffinnig im offenen Feuſter fipen und den Mond 
betrachten. Kaum fah er mid), fo forang er auf und rief 
mit düfterer Freude: Nun, fo timmft Du doch endlih, Cy⸗ 
rillol Sehnſuͤchtig Habe ih auf Dich jeden lichten Mond⸗ 
ſcheinabend gewartet, und die Stunden des Monats an der 
Abnahme and Zunahme der wanfelmüthigen Luna gezählt. 
Böreft Du jept nicht gekommen, fo hätte ih Dir einen 
Brief ſchreiden müffen, den vermuthlich ein Anderer gefun⸗ 
den, und ſich fo Deines rehtmäßigen Vermögens bemächtigt 
hätte, Hier, lieber Bruder, find die Juwelen, das Einzige, 
was wir noch gerettet haben. 

Er warf mir ein verfiegeftes Pärchen hinunter In Mehr 
men Hut, drauf ſprach er: Und jept, mein Cyrillo, muß ich 
von Dir Abſchied nehmen, um den Scaiten unferer Glen 
in jene unfihtbaren Reihe zu folgen. 


182 Lebensbeſchreibung des 


34 rief: Um Gotteswillen, mein Dionyfio, was fol 
diefe erſchregliche Nede? Du fterben, in Deiner Jugend vol 
Kraft und Stärke? Dionyfio, bit Du wahnfinnig gewor- 
den? — Schon etwas, antwortete er fürchterlich und zaudre 
ich länger, werde ich e8 immer mehr. Mein Mund wird 
austrodnen, meine Zunge wird mir rauh zum Munde aut 
bängen, wie bei einem nad) Waller Ichzenden Hunde; meine 
Stimme wird heiſer und abgebroden, wie das Bellen des 
Hundes. 

Gott im Himmel, Dionyfio, rief ic, bit Du vergifter 
worden? Wer hat das gethan? — Mein einziger Freund! 
rief er, laut und höhniſch ladyend; bei dem nur noch Treue 
au finden war, der mir ohne Falſch, mit ehrlichen Augen. 
tief in die Seele fab; mein Fidelio, der Gefährte meines 
2ebene! Mein Hund, die verdammte Beftie, die die Wafler- 
ſcheu befommen hatte, lohnte mir fo, als id ihn liebkoſte 
und über die Niederträcptigkeit der Menfhen meine gewöhn- 
liche Spottrede hielt Imanzig Tage find es her. No 


« fhleiht das Gift heimlich in den Adern herum, wie ein 


Bandit in den dunfeln Zimmern, ehe er den Mordſtreich 
gethan. Alein keine Rettung ift da, und fo will ih denn 
meinem bämifhen Feinde zuvortommen! Kein Chriſt, fein 
Menſch kann mir diefen Selbftmord zur Sünde anrechnen. 
Ich babe vor mir felber gebeichtet, id) habe vor dem Krus 
zifir im Walde gefniet, und nun will ih einem beflern Da- 
fein fed entgegen geben. Lebe wohl, Eyrilo! — Mit die- 
fen Worten ergriff er die Jagdflinte, ftedte fih den Lauf in 
den Mund, drüdte den Hahn mit dem Fuße ab, ein Schuß 
fiel, und mein unglücklicher Bruder ſtürzte mit zerſchmetter- 
tem Gehirn zurüd. — 

Ich weiß nit, wie lange ich verfteinert fand, ohne 


Don Eyrilto de Valaro. 183 


mid vor Schreden bewegen zu können. Zur Befinnung 
kam ich erft wieder, als mid) einige Bauern ergriffen und 
frugen: Bas haft Du in der Hand? — Das find die Ius 
welen, antwortete ih mit gedämpfter. Stimme, und ſtarrte 
fie an. — Greift ihn, rief der Eine, da ift der Mörder, 
er bat ihm die Juwelen geſtohlen. Cie padten mich an 
und ſchleppten mich fort. Es half nichts, dag ich zu wie 
derholten Malen rief: Ich bin fein Bruder! Menſchen. 
mäthet doch nicht, wie der Hund. — Bift Du fein Bruder, 
antworteten fie, fo ift Deine Sünde noch viel größer, dann 
haft Du ärger ale ein Hund gewüthet. — Mit diefen Wors 
ten fleppten fie mich fort und warfen mic in ein clendes 
Gefängnig. 

‚Hier blieb ich aber nicht lange. Meine Ausfage, duß 
mein Bruder in Hundswuth ſich felbſt getödtet habe, wurde 
von den unterſuchenden Aerzten beftätigt. Als Brudermör- 
der konnte ich alfo nicht geftraft werden. Man hatte aber 
die Juwelen gefegen, und einigen Samiliaren der Inquifition 
gelüftete danach. Eines Morgens, als ich in Freiheit ge 
fegt au werden hoffte, holten fie mid nur heraus, um mic) 
in ein noch ärgeres Gefängnig zu werfen. Sobald ich hier 
antam, verzweifelte id an meiner Rettung. An eine or- 
dentliche Rechtsbflege war in diefer Höle nicht zu denken. 
Der Gefangene mußte ſich ſelber anklagen, heimliche Kläger 
murden gehört und geglaubt, ohne mit dem Beſchuldigten 
eonfrontirt zu werden. Ich wußte noch gar nicht, was id 
gethan hatte. Endlich frug mid ein frommer Pater, ob 
ich nicht behauptet babe, daß einige der heiligen Märtyrer, 
ſchwaͤrmeriſch aus Eitelkeit den Tod gefucht, und ihre Pei⸗ 
niger mit Scheltworten aufgehcht hätten, damit fie ſelbſt 
feliger im Paradiefe glänzen, und ihre Henker tiefer in der 


184 Lebensbeſchreibung des 


Holle brennen möchten? — Diefe Anklage verfehte mid in 
die größte Angſt, denm obſchon id; meinen Eid darauf ab» 
legen konnte, daß ich midy folder freveihaften Worte gegen 
die Heiligen nie bedient habe, fo bonnte ich doch nicht Läug- 
nen, daß id einen ähnlichen Gedanken gehegt, und dag mir 
der Zweifel entfhlüpft war, ob wohl eine foldhe Luft, ein 
ſolches Hafen nach einem ſchmerzlichen Tode, wo er nicht 
eben nothwendig fei, Bott angenehm fein könne? 

Id) bereitete mid) nun zu meinem Tode, den ih uns 
vermeidlich glaubte, und als, bei dunkler Nacht zwei Mas 
ten in Mänteln zu mir hereintraten, um mid abzuholen, 
ermuthigte ich mid, um nad) dem Blutgeräfte zu wandeln. 
Es wunderte mich ſehr, daß die Hinrichtung dei Naht ge» 
fhäge, denn fonft pflegte man folde Blutſchauſpiele beim 
bellen Tage unter dem Läuten der Domglode in gros 
fen Projeffionen dem Volke zu geben. — Die zwei Mas- 
ken Liegen mic in einen Wagen fleigen und fuhren im vol« 
ten Lauf nad Simanca, einer kleinen Stadt am Duero. 
‚Hier brachten fie mich auf ein Fahrzeug mit einer Beinen 
Kajüte und verliegen mid. 

Bas ſchildert mein Entzäden, als ih mid plöplih von 
den fönen Armen meiner geliebten Donna Gleonera de 
Sylva umfhlungen fühlte? — So habe ih Dich doch ge⸗ 
rettet, mein Inniggeliedter! rief fie. Hier’ find Deine Dia- 
manten, (fie reichte mir ein Padet,) und bier find die mei 
nigen (fie zeigte mir ein aͤhnliches). Bir flichen nad) Por 
ya und von da nad) Ferrara, wo ic maͤchtige Befhäger 
abe. 

In Liſſabon bielten wir uns nur kutz auf. Als wir 
ein Paar Juwelen verkauft hatten, mietheten wir ung ein 
Schiff, um damit nad) Venedig zu gehen. Ich bätte mich 





J 


Don Cyrillo de Valaro. 185 


‚gern gleich mit. meiner ſchoͤnen Eleonora trauen laffen, menn 
es die Sitte nit verboten hätte, weil nod fo kurze Zeit 
vom ihrem Bitiwenftande verfloffen war. Die barbariſche 
Einrichtung, rief fie, ein ganzes Jahr feiner fhönften Ju⸗ 
gendblätge dem Andenken eines grämlichen Alten zu opfern, 
den man im Leben nie geliebt hat, fol ung aber nicht lange 
binden, wenn wir erſt in Ferrara find. Ic babe ſchon der 
Herzogin von Ferrara, Lucrelia Borgia, einer Freundin mei» 
wer feligen Mutter, gefärieben. Sie wird bald vom Papſte 
Leo einen Brief haben, worin wir gegen die Nachſtellungen 
der Inquifition Schuß finden, und Erlaubniß befommen, 
uns glei zu heirathen. Solden Meinen Dienſt wird er 
einer italienifhen Herzogin, und der Tochter feines Vorgän« 
gers nicht abſchlagen. 

Die Tochter ſeines Vorgängers? rief ich erſtaunt, und 
ſchlug die Hände zuſammen in meiner Unſchuld, id dadıte, 
die Pabſte dürften ſich nicht verheirathen? — Meine fhöne 
Braut betrachtete mid ſpöttiſch, mit einem Boblgefallen, 
womit erfahrene Frauenzimmer oft ganz unerfabrene Jüng« 
linge anfehen, die in fie verliebt find — ſtrich mir mit der 
feidenen Hand über das Gefiht und ſprach: Du biſt ein 
Neuling in allem, mein Cyrillo! Weißt Du denn nicht, dag 
man aud) natürliche Kinder befommen Tann? — Aber das 
iſt ja eine große Sünde! rief ich treuherzig. — Für An- 
dere, ja, antwortete fie ſchlau ablenfend; wer wagt aber 
den heiligen Vater mit der dreifahen Krone zu richten? — 
Wie hieß denn ihr Vater? frug id. — Alerander der 
Sechſte. — Aber das foll ja ein Ungeheuer von einem 
Papfte gewefen fein. — Stil, Eyrille! rief Eleonora, ge 
möhne Did daran, mein Freund, künftig Deine unüberleg⸗ 
ten Gefühle beſer in Deinem Bufen zu verbergen. Ein 


186 Lebensbeſchreibung des 


ſolches Wert konnte uns in Ferrara unglüclich machen. 
Alcrander war nicht gut, das iſt gewiß, er bat mande 
Mordthaten auf feinem Gewiſſen, lebte gar zu rudhles; 
zuletzt fiel er auch in feine eigene Schlinge und trank aus 
Verſehen den Giftbecher, den er für Andere bereitet batte. 
Bas Lann aber die unfhuldige Lucretia dafür? — Unſqhul · 
dig? rief id; und fie foll im frevelhaften Verhältniſſe au 
ihrem eigenen Vater geftanden haben. — So fprict der 
Leumund, erwiederte Eleonora; der edle Herzog Alphons 
bat fie zur, Gemahlin genommen; das bindet allen loſen 
Gerüchten den Mund; und fagt nicht felbft der große Ariofto: 


Lucretia Borg a, die mit jedet Stunde 

Stetd neue Schönheit, neue Tugend zahlt; 

Und wächft an Ruf und Gluͤck, fo wie Die Pflanze 
Im lockern Erdreich wächft beim Sonnenglanze *). 


IA lichte meine Eleonota fo fehr, und war in der 
neueften Weltgeſchichte fo wenig zu Haufe, dag ic) ihr gerne 
glaubte, Hätte fie auch die Lucretia Borgia zu einer Lucretia 
Collatina gemacht. Wie konnte idy auch anders, als ein fo 
hönes Weib lichen, das mein Leben gerettet hatte, und 
mid) mit ihrer Gegenliebe beglüdte? Der graufame Fami- 
Kar Hatte ſich ſterblich in fie verlicht; fle hatte verforoden, 


*ı Nach der Gries ſchen Meberfegung. Im Driginale heißt es: 
Lucretia Borgia, di cui d’ora in ora 
La beltä, la virtü, la fama onesta 





Che giovin pianta in morbido terreno. 


Don Eyrillo de Balaro. 187 


ihm feinen Wunſch zu verfagen, wenn er mic) reiten könnte. 
Verblendet von Liebe zu ihr, hatte er ihr meine Juwelen 


und den Schlüſſel zum Gefängniſſe gegeben, nachdem er die 





Unterbedienten im entſcheidenden Augenblide entfernt hatte. 
Das fie ſelbſt auch entfliehen wollte, Konnte er nicht abnen. 
So hatte fie ihren großen Palaft, ihren guten Ruf im Stich 
gelaſſen, um mir zu folgen. 

In Ferrara wurden wir von der herzoglichen Familie 
gut empfangen. Der Herzog war ein edler, freundlicher 
Herr, etwas ſtill und verſchloſſen, er Tiebte aber die Künfte 
und Wiſſenſchaften, und es machte ihm Vergnügen, feine 
ledigen Stunden mit Erzarbeiten und Mexallgießerei zur 
zubringen. Seine Gemahlin Lucretia war eine biendende 
Schoͤnheit geweſen, und nod, durd die Künfte der Toilette, 
fehr Hübfb. Sie empfing meine Elconora mit mütterliher 
Güte, fie ſchloſſen ſich oft mit einander ein, und hayten ſich 
vieles zu erzählen und zu vertrauen. Wir erwarteten indeg 
alle Tage das Breve vom Papſte. Ein hübſches Haus follte 
uns getauft werden; unfere Juwelen ſicherten uns ein Ber- 


mögen, wovon wir anftändig leben konnten. So ging alles " 


vortrefflich. Ich befümmerte mic um nichts, lichte meine 
ſchone Braut, ward von ihr, wenn au nicht fo innig, doch 
heftiger geliebt, und fo hing der Himmel vol Geigen. Zum 
Hofmanne war id) nicht geboren, das merkte ich gleich; ich 
Hebte die Einfamteit, und konnte nur ſprechen, wenn ich 
felbander mit einem Freunde war. Diefen Freund fand id) 
da, wo id es am wenigſten erwartet hatte. Der berühmte 
Dichter Arioſt war mir ein folder. . 

Ich hatte mir ihn, nad den Belhreibungen meiner 
Eleonora, und nad den vielen — rein aus zu fagen — 
efelhaften Schmeicheleien, die er im rafenden Rolande an 


188 Lebensbefhreidung des 


den Kardinal Hippolit verfbwendet hatte, als einen geſchmei⸗ 
digen Höfling vorgeftellt, den id) nie würde leiden können. “ 
Es war mir alfo ein faurer Gang, als id auf das aus 
druckliche Verlangen meiner Braut ihm meine Aufwartung 
machen mußte. Er hatte ſich neuerlich ein Häuschen mit 
einem Garten in der Strage Mirafole gekauft, der Kirche 
St. Bencdetto gegenüber, Ic wunderte mid, daß ein 
Mann, der in feinem Orlando fo prächtige Palaͤſte geſchil⸗ 
dert habe, ein fo ſchlichtes Haus bewohne. Als ih aber 
die Inſchrift Über der Thüͤre las: 


Klein iſrs, doch mir gerecht, auf Riemand's Koſten, Doch auch nicht 
Wermlich, für eigenes Geld, mard mir dad eigene Haus*). 


fing meine Zucht an, etwas nachzulaſſen. IC klingelte, 
und dachte daran, wie id den grogen Manne ein wohl 
gedrechſeltes Kompliment machen follte. Der Here war aber 
nicht zu Haufe, und ich mußte in den Garten geben, wo id 
alles ſehr miedlic, fand; die Fruchtbaume und Pflanzen im 
ſchönſten Wachsthume, die Gänge mit Baumrinde bededt, 
die Blumen an gemalte Stöde gebunden. Kein Unkraut 
ließ ſich ſehen. Ein alter Mann war zugegen, der einige 
Pflanzen wäfferte, gegen diefen äußerte id; meine Zufrieden. 
beit, daß der Hausherr ein fo guter Gärtner fei. 

Gärtner? wiederholte der Alte etwas ſpoͤttiſch, aber 
augleich gutherzig. Ja, wenn der alte Antonio nicht wäre, 
fo würde das Alles bald ein anderes Ausfehen bekommen. 


*) Parva, sed apta mihi, sed nulli obnoxia, sed non 
Sordida, parta meo «ed tamen aere domina, ° 


od 


Don Eyrilfo de Balaro. 18 


Der gute Meffer Ludovico glaubt, es fei fo leicht, Blumen» 
beete umgulegen und Bäume zu pflanzen, als Verſe zu ma» 
en. Er ändert beftändig, und läßt fein Ding über drei 
Monale lang an feinem Orte. Wenn er Pflirfifchlerne oder 
andere Saamen geſtedt hat, fo fiebt er fo oft nad, ob fie 
teimen, bis er zulegt den Keim zerbroden bat, Und da er 
die Kräuter nicht kennt, pflegt er, ſtatt ihrer, mit großer 
Sorgfalt das nahe daran wuchernde Unkraut fo lange, bis 
er endlich, feinen Irrthum entdedt. So hatte er neulich 
Kapern gefäet und ging alle Tage hin, fie zu befchen, am 
Ende fand fi, daß das Aufgegangens Hollunder war; von 
den erwarteten Kapern war aber nichts zum Vorſcheine ge» 
Fommen, 
Diefe Nachricht ergößte mic) fehr und flößte mir — 
„was vielleicht Viele wundern wird — eine größere Achtung 
gegen den Beſitzer ein. Arioft dadıte ic, muß dod ein wah⸗ 
rer Dichter fein, weil er fi fo wenig um dje Defonomie 
des Einzelnen befümmert, und ſich fo fehr über die Blüthe 
der Bollendung freut, daß er darüber das Werden und die 
Zubereitung vergift. IH war ſelbſt in der Art: fein 
Menſch konnte ſich mehr über Blumen, Pflanzen und Bäume 
freuen, als id), wenn fie blühend daſtanden. Wie fie aber 
gepflegt werden follten, und wie fie alle biegen, mußte ich 
nit. Die Namen, dadıte ich, ind willtürliche Benennun- 
nen. Die Pflanzen und Bäume haben lange geblüht, ehe 
die Menſchen ihnen folde Namen gaben. 

Es tam mir ein geiſtlich gefleideter Herr entgegen, von 
hoben, anſehnlichen Wuchſe. mit einer ausdrudsvollen Phys 
fiognomie. Das war Arioſt. Gr hatte eine breite, ge 
wolbte Stirn, ſchwarzes, Fraufes Haar und als er die Müge 
wor mir abnahm, entdedte ich cine Fleine Glate. eine 


190 Lebensbeſchreibung des 


Augenbraunen ragten hochgewolbt und fein Über tieffiegende 
ſchwarze, Heiterbiidende Augen. Er hatte eine Adlernafe, 
ſchmale Lippen, fhöne Zähne, hagre Wangen. Die Gefihte- 
farbe war gelbbraͤunlich und ein dünner Bart bededte fein 
Kinn. Er ging langfamen Schrittes und grüße mich freund» 
lid; als er hörte, wer ich fei, rief er: Ah, der junge Spa- 
nier, der ſchon fo viele Abenteuer ausgeftanden hat, der 
Bräutigam der fhönen Donna Eleonora! Ihr müßt heute 
mit mir ſpeiſen. Wenn ich nicht irre, iſt es eben Zeit, au 
Tiſche zu gehen. 

Es ſchmeichelte mir nit wenig, gleich von dem großen 
Dichter zu Tiſche geladen zu werden. Er führte mi in 
ein fühles Speifegimmer, wo nur für Zwei gededt war, 
und ich mußte ihm während der Mahlzeit meine ganze Ges 
ſchichte erzählen, von meinen Eltern, dem äden Palaſte 
Golombos und meines Bruders Tod, meine Gefangenfhaft 
und meine Befreiung. 

Er hörte mir mit großer Aufmerffamteit zu und weinte 
oft über mein Schickſal, aß aber immer fort mit großem 
Appetit und vergaß beinahe, etwas auf meinen Teller zu 
legen, um das ich mic aber nicht kümmerte, denn es freute 
mid mehr, den Dichter Arioft mit meinen Erzählungen zu 
unterhalten, als zu effen Als aber beim Ende der Mahl 
zeit fein Bruder Gabriel in das Zimmer trat und alle Kno⸗ 
hen des verehrten Geflügels auf feinem Teller fand, rief 
er: Nun bat er wieder in der Diftraction alles allein aufe 
gegeffen. Arioft madıte viele Entfhuldigungen, als er den 
Bock wahrnahm, den er geſchoſſen hatte, und die Köchin 
mußte mir gleich einen Eierkuchen mit Confituren bereiten, 
— So ift er immer, rief der Bruder, nicht aus Gefraͤtig⸗ 
feit, fondern in der verfluchten Zerftreuung. — IA bitte 


Don Eprillo de Valaro.“ 11 


um Verzeihung antwortete ih, Euer Bruder ift gar nit 
zerſtreut gewefen, er bat mir fehr aufmerkſam zugehört, 
und mir fein Mitleid während des Erzählens reichlich ger 
zeit. — Nun; fo ift es aus lauter Aufmerffamteit geſche- 
ben, verfeßte der Bruder. Er ift gefund, ſeht Ihr, und 
fbeifl nur einmal des Tages; dann fann man ihm auch vor⸗ 
fegen, was man will, er ift es auf. Erinnerſt Du Dich 
noch, Zodovico, ald Dir der Freund Alberto Pio eine Krähe 
oder Eule vorfehte, die Du verzehrteft, in der Meinung, es 
fei ein Rebhuhn? Wie Du früh Morgens von Carpi in 
Pantoffeln ausgingeft, fo in Gedanken verloren, dag Du 
den halten Weg nady Ferrara hinter Dir Hatteft, che Du 
den Fehler entdedteft, und darauf, um nicht zuräd zu gehen, 
acht gute Meilen nad Ferrara in Pantoffeln gingeft. 


Der Dichter lächelte, ich merkte aber doc, dad ihm der 
Spaß nicht behagte. Gabriels Scherz mar von der Laune 
des alten Gärtners fehr verfhieden. Iener hatte in des 
Herrn Abwefenbeit gebrummt, vielleicht aus Ungeduld, weil 
er ihm etwas verdorben hatte. Hier fpielte mehr die Eitel- 
keit, die die Größe des Bruders durch Traveftiren verkleis 
nern wollte, damit die Brüderſchaft nicht gehoben werde. 


Der Dichter bat mich, ihn öfter zu beſuchen, was ich 
gern that, und fo gelang es mir, Kald feine Freundſchaft 
au gewinnen. — Bir Dieter, ſprach er einmal, müſſen 
uns zu den jungen Leuten halten, in denen nod Saft und 
Kraft ift. Es geht den Aelteren wie den Spargeln und 
den Erbfen, fie verhärten ſich mit der Zeit, und find. zuletzt 
gar nicht mehr zu genießen. — Ih babe mid) in Euch 
ganz geirrt. Meſſer Lodovico, ſprach ih. Ich meinte, Ihr 
würet ein Weltmann, ein Polititer, fein und geſchmeidig 


1% Lebensbefhreibung des 


wie ein Damenhandihub, und nun finde id einem treu, 
berzigen Priefter, der Mill für ſich im feiner Klauſe lebt. 
Nun, mit dem Prieſterthume, antwortete er, iſt es nicht 
weit ber; freilich leide ich mid als Priefter, und geniege 
durd die Borforge des Kardinals Hippolit einige Pfründen, 
die beſſer wären, wenn id) mic) die höhere Weihe zu neh 
men häfte entſchliegen fönnen. Weil ih aber die Freiheit 
liebe, und das Recht, mid zu verheirathen, nicht aufgeben 
wollte, ift es nie geſchehen. — Ihr feid ja aber doc nicht ver« 
heirathet, fagte ih. — Nun, fo habe id wenigftens Erlaub⸗ 
nig, es zu thun, wenn ich will, und das ift die Hauptfache. 
— Barum babt Ihr es denn nicht gethan? — Beil ih 
fürdtete, es Tönne mir einmal aud) ein folder Becher ge« 
reiht werden, wie Rolanden vom Burgherrn im drei und 
vierzigften Gefange. Ihr wißt ja wohl? — Dreiundvier- 
sig, antwortete ich ftotternd, id) habe nur mit dem größten 
Vergnügen die erften zwanzig Gefünge gelefen, aber da 
kommt nichts darin vom Beder vor. Meine Braut bat 
mir ein Eremplar Eures Orlando geſchenkt — in Spanien 
in meiner Einſamkeit war es mir nod nicht zur Hand ges 
kommen, — und auf der fünellen Reife — Nun, was 
braucht Ihr mir dafür Rechenſchaft abzulegen, rief Arioft, 
keine menſchliche Macht kann Euch dazu zwingen, meinen 
tafenden Roland zu leſen. — Aber eine göttliche, ſprach id, 
die Macht des Gefanges ſelber; — wenn, wie gefagt, nicht 
"die Zerftrenungen — Ihr fürchtet vieleicht, rief der Dichter 
lachend, den Faden der Geſchichte zu verlieren? Aber feht, 
mein junger Freund, deshalb habe ih chen den Plan fo 
loder und loſe angelegt, daß eigentlich gar fein rechter Fa⸗ 
den darin ift, und dag man überall anfangen kann. Wenig ⸗ 
tens geht der Faden nur in die Ereuz und quer, wie der 


Don EhHrillo. de Balaro. 193 


Zwirn der Ariadne im Labprinth. Luſtige, verliebte, felt- 
fame Abenteuer, nur durch Blumenketten zufammen gefloch« 
ten. Dadurd habe ich aber den Beitgefhmad getroffen. — 
Gewißz, rief ih, das Gerät fagt, Euer Gedicht habe ſo 
ſeht dem Volksgeſchmade zugefagt, dag es fogar in die ita- 
Tienifchen Räuberhoͤhlen gedrungen fei. Allein zwei Räthfel 
werdet Ihr mir erklären und löfen. Wie war es möglich, 
dag der Kardinal Hippolit, der Euer großer Gönner: und 
Freund war, als er den Roland gelefen hatte, fagen fonnte: 
Aber, mein lieber Meifter Ludwig, wie haft Du dod alle 
die Narrenspoffen zufammenreimen tönnen? Uud wie mar 
es möglid, daß ein folder Mäcen der ſchönen Künfte fei- 
nem natürlihen Bruder aus Eiferſucht die Augen ausreigen 
Laffen konnte? — Die Antwort liegt in Eurer Trage fel- 
ber: Wäre Hippolits Herz weich und offen genug für die 
Dichtkunſt gewefen, fo hätte er feine ſolche Graufamteit be⸗- 
‚sehen Eünnen. Wie folte aber der mit einem armen Poeten 
glimpflic verfahren, der feinen eigenen Bruder fo behan- 
deite. — Und doc, ſprach ic, habt Ihr mit ihm fehr lange 
gelebt, und ihn in Eurem Gedichte entfeplih gerühmt. — 
Gar zu viel, antwortete Arioft und flug die großen Augen 
nieder, die auf einige Augenblice ihre Heiterkeit verloren. 
Jeder Menſch hat feinen Wurm Die Italiener und die 
Dichter übertreiben gern ihre Lobeserhebungen, und ic ge- 
böre beiden Nationen an. Hippolit hat mid, viele Jabre 
bindurch unterügt und gelohnt; immer etwas farg zwar, 
ich lebte aber doch bei ihm und teilte alle die Bergnügun- 
gen des Hofes. Iene Miſſethat war viele Jahre ein Ge⸗ 
beimnig. Jugend und Eiferſucht haben oft ein heftiges 
Herz zum augenblidlihen Frevel verleitet, das fih nachher 
gebeffert. Hippolit betrug ſich in fpätern Jahren mit Anftand 
Dehlenſ. Scheiften. XVII 13 


1% Lebensbeſchreibung des 


und Grazie. Er -war fein fhöner Geift, liebte mich als 
Geſellſchafter, nicht als Dichter. Die Dichtkunſt betrachtete 
er- als etwas Untergeordnetes zum blohen Vergnügen. — 
Jetzt habt Ihr es alfo weit beffer, Mefler Lodovico, ſprach 
ic, beim ruhigen, heitern Alphonſo, der große Künftler und 
Dichter über alles ehrt umd licht. Aber fagt mir dad, un- 
ter uns, wie hat Alphonſo die Lucretia Borgia zur Frau 
nehmen fönnen? — Alphonfo ift und bleibt edel, antwortete 
Arioft. Als der graufame Cäfar Borgia in Italien mü- 
thete, hätte dieſer giftige Drache ſich auch gegen Ferrara 
gekehrt, wenn nicht Lucretia im hoͤchſten Grade ihrer felt- 
nen Schönheit eine heftige Liebe für Alphonſo gefagt hätte. 
Durch diefe Heitath hat er fein Leben gerettet, und von ſei⸗ 
ner ftillen, männlichen Größe bezwungen, bat fi auch Lu⸗ 
cretia gebeſſert. — So ift denn alles jegt gut und vor« 
trefflich, rief ich. Der Herzog ift glüdlih, Ihr feid glüd- 
lich. und ich werde auch bald glüdlid fein. — Ich nenne 
mic glücklich, ſprach Arioft, weil ih gefund bin, ih muß 
mich aber immer noch ziemlich tnapp durchſchlagen, und habe 
eine große Familie zu unterhalten. Alles waͤre noch recht 
ſchon wenn man uns unfer Erbgut Bagnolo liege. Allein 
weitläufige Prozeffe, erft mit den Minoriten und dann mit 
der berzoglihen Kammer, verbittern mir manche ſchöne Tage 
des Lebens. Befonders jest, da Alphonfo Trotto, ein ver- 
unglüdter Poet, herzoglicher Factor und Gurator des Fis- 
tus, mein Feind if. Er ift wie tol, fobald die Nede von 
mir iſt. Sonft in feinen Geſchaͤften war er vorher ein ganz 
ordentlicher Mann; er hat aber jet die fire Idee, alles in 
der Poeſie beffer, oder wenigftens eben fo gut, als ih. ma- 
hen au wollen. Schreibe ih eine Komödie, fo macht er 
auch eine, dichte ich einen rafenden Roland, fo macht er 


Don Eyrillo de Balaro. 195 


einen vernünftigen dito. Man lacht ihn aus, und ih würde” 
auch laden, wenn der verdammte Kerl nicht durch Zufall 

in ein Berbältnig gekommen wäre, wo er mir fhaden kann, 

und mo id von ihm abhänge. Gin Wort des Herzogs 

Tönnte den ganzen Streit endigen, id harre aber vergeblich 

auf das Wort. Ein Jahr vergeht nad dem andern, ic) 

werde jedesmal ein Jahr älter, die Haare fallen mir immer 

mehr aus, und die Glatze wird immer größer. 


Dann muß man fie mit Lorbeeren bededen! ſprach die 
ſchone Alelandra Strogzi, des Dichters Freundin, (und, wie 
mehrere meinten, feine heimliche Gemahlin) die chen’ aus 
dem Garten bereintrat und ihm einen friſchen, breiten Kranz 
um die Schläfe drüdte. Nun feht Ihr noch aus, wie ein 
vierundzwanzigjähriger Züngling. — Ach, liebe Frau, fagte 
ich, gäbe Gott, dag wir vierundzwanzigjährige Jünglinge 
fo ausfähen. — Damit nahm id) Abſchied, um die Lieben- 
den nicht zu flören, und um meiner eigenen Liebe et 
sehen. 


Es vergingen faum drei Wochen, fo machte mid die 
She zum gluͤcklichſten Menſchen. Die Herzogin machte ſelbſt 
unfere Hochzeit auf einem feinen Luſtſchloſſe. 


Eines Abends Tuftwandelte id) mit meiner jungen Frau, 
um die Nachtigallen zu hören: Das füge Getön lockte ung 
ümmer tiefer in den Wald hinein. Eleonore war eine au« 
Berordentlidye Liebhaberin von Nachtigallen, und es liegen 
fi) Heute Abend vier auf einmal hören, die einander ganz _ 
ordentlich) ablöften, und ftärker als gewoöͤhnlich ſchlugen. Zus 
legt waren wir ihnen ganz nahe und fürcteten, die kleinen, 

- furdtfamen Sänger mit unferm Geräuſch zu efüreem und 


1% Lebensbeſchreibung des 


megzufceuden. Cie liegen ſich aber gar nicht irre machen 
und frillerten immer befler und beffer. Wie erſchraten wir 
aber nicht, als wir die Augen aufſchlugen, und ftatt Heiner, 
grauer Vögel, vier Kerle in den Bäumen fahen, mit Schnurt- 
bärten, in rothen Jädchen, ‘und mit Slinten in den Hän- 
den, womit fie auf ung zielten. Meine Frau fiel in Ohne 
macht. Mehrere Näuber fprangen aus dem Gebäfd,. ber 
maͤchtigteu ſich ihrer und zogen mit ihr fort, während die 
Nachtigallen mit fürdterlihen Bapftimmen mir befahlen, 
feinen Echritt weiter zu thun, fie mürden mid, fonft gleich 
auf der Stelle todtſchießen. IA war unbewaffnet, und eis 
ner gegen fo viele, was konnte ich anders thun, als gehorchen. 


Als die Andern weit genug mit der Armen fort wa · 
ren, gaben mir die Räuber ein Zeichen, dag ich aud gehen 
könne. Ich gehorchte, und als ich einige Schritte gethan, 
hörte ich ein fernes Pferdegetrappel, woran ich dann wahr 
nahm, daß fih das Raubgeſindel mit der fhönen Beute 
weit genug wegbrgeben hatte, um nicht eingeholt zu werden. 


An boͤchſter Verzweifelung und in Thränen gebader, 
begegnete ich dem Dichter Arioft, der meine Erzählung ziem- 
lid) gelaffen und mit einer Art von Zerſtteutheit hörte; als 
ich ihm aber eine Schilderung von den koloſſalen Nach- 
tigallen machte, brach er in ein lautes Gelähter aus. 
Sein.Spaß brachte mi in Zorn gegen ihn, ic) fhalt ihn 
ein kaltes Herz, einen egoiſtiſchen Menſchen, der, in feinem 
eigenen, eitlen Träumercien verfunfen, für das Scidfal fei- 
nes Nächten fein Gefühl übrig habe. Darauf wollte ich 
ihn verlaffen. Er griff mid beim Aermel und fragte, wo 
ich Hin wolle? — Zum Herzoge, rief id. — Er ift nicht 
zu Haufe, antmortete er mir. — Zur Herzogin, zur Freun⸗ 


Don Cyrillo de Valaro. 197 


din meiner Geliebten. — Bleibt bei mir, ſprach er, das 
ift deffer. Die Herzogin würde gar zu viel weinen. Ich 
weine freilich nicht mit ud, babe vieleicht mehr als billig 
gelacht; Ihr Habt mich aber beleidigt, garflig ausgeſcholten 
und ich fordere Satisfaction. Bern! rief ic, und 303 gleich 
vom Leder. Das Leben hat für mic keinen Werth mehr, 
Ich hin glei) fertig. — Ich nicht, erwiederte er fehr ru- 
Big; ich muß erft einen Degen holen, denn wir geiſtlichen 
Leute gehen, wie Ihr miflet, unbewaffnet einher. Auch brauchte 
ich mid) eigentlich als Weltgeiftliher nicht mit Euch zu ſchla⸗ 
gen; wenn ich es thue. fo geſchieht es blos aus Freundſchaft. 
um Euch damit ein Vergnügen zu machen. — Sein forte 
gefepter Scherz erhitterte mich nicht mehr, aus feiner beitern 
Ironie dämmerte vielmehr ein geheimer Tron für mid), den 
ich begierig zu willen verlangte. 


Darauf erzählte er mir, wie fih in der Garfagnana, 
einer dem Herzoge zugehörigen Provinz, zwiſchen Modena, 
" Lucca und Maffa, von hohen Gebtrgen durchſchnitten, meb- 
rere Näuberbanden gebildet hätten, als ſich das Land unter 
der Gewalt des Papftes befand. Mord. Gewalt, Lift und 
Raub gehörten, als der abfheulihe Cäfar Borgia wüthete, 
zur Tagesordnung. Im der legten Zeit hatte fih aber ein 
Haufen VBagabunden aus guten Häufern, die ſelbſt alles 
verloren haben, verbunden, blos um bedeutende Beute meg« 
zuſchnabben und gegen ein gutes Löfegeld wieder auszulie- 
fern, weldes aber zu beftimmter Zeit prompt bezahlt wer- 
den müſſe, wenn die Räuber nicht aus Race die Gefange- 
nen hinrichten follten, worauf fie einen grägligen Eidſchwur 
gethan hätten. 


Bas mir Arioß ſagte, defätigte ih noch den ſelbigen 


198 Lebensbeſchreibung des 


Abend, als mir ein Zettel folgenden Inhalts, mit Bleifift 
gefchrieben, zum Fenſter bereingewvorfen wurde: 


„Benn Den Cyrilo de Valaro binnen Monatefrift 
feine und feiner Frau Juwelen in den hohlen Baum im 
Walde hinlegt, wo er die Nachtigallen mit Scnurrbärten 
ſchlagen hörte, befümmt er gleich feine Frau Eleonora ge⸗ 
fund und unbefhädigt wieder, mo nicht, wird er ihren Leid- 
nam mit einem Dolde in der Bruft unter dem Baume 
finden.“ 


Ach rief ich entzädt, als Arioft eben zu mir hereintrat, 
ich bekomme fie wieder! Die Bagabunden mollen nur arm⸗ 
felige Edelſteine haben, auf den herrlicften, Ichendigen Ju⸗ 
wel, den fie ſchon befigen, verſtehen fie fid nicht, willen fie 
keinen Preis zu feßen. — Keinen Preis? wiederholte der 
Dichter der nun den Zettel gelefen hatte, nun beim Badus, 
mic) dünkt, der Preis iſt bod) genug. Und wovon wollt 
Ihr mit Eurer unfhägharen Frau fünftig Ieben, wenn Euer 
“Vermögen dahin it? — Der Herzog wird mir, durch Ber- 
mittelung der Herzogin, einen Heinen Poften geben, ant- 
wortete id, wovon wir leben Finnen. — Baut nit darauf, 
antwortete der Dichter; der Herzog bat aud nice viel 
feloR die Landeskinder, Die ausgezeichnetſten Leute, die er 
liebt und fhäpt, und die tägli um ihn find, befommen 
wenig. Mir, zum Beifpiel, hat man neulich ein Stipendium 
zu zahlen aufgehört, welches ich ſchon während des Krieges 
fehr unordentlich befam, weil fein Geld in der Kaffe ift.— 
Es fing mir an, heiß um die Obren zu werden; Ariofto 
verfegte aber ernft: Ich will Euch nicht entmuthigen, Cy⸗ 
rillo, aber auch nicht mit unzeitigen Hoffnungen zu früh be» 
rubigen. Ich mit Euch ſchlicht hin meinen Plan mittheilen: 


Don Eyrillo de Valaro. 40 


Ihr nehmt die Juwelen mit Euch, ich verfaffe ein klei⸗ 
nes Gedicht, fo begeben wir ung beide nach der Garfagnana, 
und beſuchen iu der Nacht die Räuberhöhle, wohin uns die 
Wachen der Vagabunden bringen werden, wenn wir ung 
als Leute anmelden, die den Domenico Morotto zu ſprechen 
wünſchen. Vielleicht trau ich zu viel auf ihre Grofmutb; 
fo viel weiß ich aber, daß noch oft ein Funken von Große 
muth da nod) in der Aſche glimmt, wo Gerechtigkeit und 
Billigkeit (don lange verlofhen find. 


Ihr Habt mir felbft erzählt, dag mein Name in Italien 
fogar bei den Näubern etwas gelte. Iept wollen wir die 
Probe machen! Sollte ich mit einer langen Nafe davon 
sehen, fo habe ich Euch dody meinen guten Willen gezeigt, 
und wenn Ihr den Näubern die Jumelen bringt, bekommt 
Ihr allenfalls gewiß Eure Frau wieder. 


Edelmũthiger Mann, rief id), das ift zu viel; fie were 
den ſich Eurer eigenen Perfon bemädtigen, um ganz Italien 
in Gontribution zu fegen. — Das thun fie nicht, wenn id) 
freiwillig komme, ſprach Arioft. Wie die Beduinen der ara 
biſchen Wüſte, werden fie die Gaſtfreiheit nicht verlegen, 
und dem Manne fein Leides thun, der ſich zuverſichtlich ihrer 
Schwelle naht, . 

3% danfte Gott, der mir diefen trefilihen Mann zum 
Freunde gegeben, nahm unf®n ganzen Schaß und reifte mit 
Arioft nady der Garfagnana, wo wir Nachts eintrafen und 

uns gleich in die wilde Gebirgsgegend binauswagten. Wir 
riefen jeßt, als wir nach des Dichters Meinung in der Näbe 
der Räuberhöhfe waren, fo oft Domenico Morotto, bis ung 
feine Borpoften ergriffen und ung mit verbundenen Augen 
in die Höhle führten. 


208 Lebensbefhreibung des 


Nie vergeffe ich den Augenblid, als wir in der Zelfen- 
"halle ftanden und uns die Binde von den Augen geriffen 
wurde, x 
Erſt wo mir hineintraten, in einer Art von Borzim- 
mer, lief ein Waldbäclein leiſe fäufelnd durch die Kluft, 
mährend der Mond droben durch eine Rige feinen langen, 
blagblauen Strahl ſchräge durch die Dämmerung warf. 
Drinnen rundete fi ein großer Raum, mie ein Tempel, 
von rothhrennenden Fadeln zum Theil erleuchtet. Die 
Bände waren präctig mit töſtliden Sachen, Waffen, Klei⸗ 
dern von Sammet und Eeide, Boldgefhmeiden und Silber⸗ 
sefhirren ausftaffirt. Mitten im Zimmer fand cin mar⸗ 
morner Tiſch, und um diefe Tafelrunde fagen die Räuber 
ſchoͤn gruppirt, ohne daß fie es mußten, denn fie hatten ſich 
in verſchiedenen Stellungen nadylägig hingeworfen, um ihren 
Anführer Domenico Morotto zu hören, der ihnen laut aus 
einem großen Bude vorlae, Die Räuber waren alle fehr 
aufmerffam, und fein Bild von Garavaggio Fünnte beffer 
fein. Schöne, ſchlaue laͤchelnde, wolläftige, zum Theil wilde 
Geſichter, glatt und jugendlich, mit Meinen Schnurrbärten, 
theils mit Zederhüten, teils mit bloßen Krausföpfen, halb 
im bellften Licht, halb in den dunkelſten Schatten phanta» 
ſtiſch geftellt. Zur Seite dom Häuptlinge Morotto, deifen 
wohlgeftalteter Körper dem Bildhauer zum Modelle eines 
Kriegsgottes trefflic hätte Dielen können, faß meine Eleo- 
nora de Sylva ganz gelaffen, als idealifhe Bäuerin ge⸗ 
Mleidet, ein lichtrothes Netz über die blonden Haare, die wei, 
gen Arme und Hände im vortheilhafteften Lichte, bei einer 
Handarbeit, wie Penelope bei den Freiern in Ulyſſes Ab⸗ 
weſenhelt. Sie hörte dem Moretto zu mit zufricdener 
Aufmertfamteit, und ſchien mit Ihrer Arbeit fehr befhäftige, 





Don Eyrillo de Balaro. a1 


mäbrend ihre Augen doc oft, mie in Gedanken vertieft, 
auf den vollendeten Umriſſen feines Körpers ruheten. Wenn 
er mitunter aufblidte und fie anfab, midte fie ihm lü- 
hend zu. — 


Bas fol die arme Frau thun, dachte ih. Sie it 
wobl genöthigt, gute Miene zu machen, und mit Jädelndem 
Gefichte in den fauern Apfel zu beißen. 


Als wir näher kamen, hörte ich deutlich, dag aus dem 
‚rafenden Roland von Arioſto vorgelefen wurde. Cs war 
im zwölften Gefange, wo Noland vor Paris ſich ganz al- 
fein mit den wilden Saracenen fohlägt. 


Ha, Bravo! Arioſto, Braviſſimo! tönte cs von allen 
Seiten her. Ein göttliger Kerl! Ein wahrer Port, ſprach 
Einer; er ſchildert Euch die Männer chen fo tapfer und 
kühn, als die Weiber verlicht und reizend! Er hat aud) 
ſelbſt das Pulver gerohen, fagte ein Zweiter, den Vene 
tianern ein Schiff auf dem Po genommen. — Ich wünſchte 
ihn zu ſehen, rief ein Dritter. — Moͤchte ihm gern einen 
Gefallen tun, wollte ihm meine beſten Piftolen geben, rief 
ein Bierter. — Hier ift er, forad der Fünfte, der ung 
meldete; er toͤmmt mit dem Gatten der ſchönen Eleonora, 
um fie loszufaufen. 


Die Räuber fprangen alle von ihren Sitzen auf, als 
ob cine Geiftererfheinung fie in Erftaunen fege. Diefen 
Augenblic benutzte der Dichter, und mid bei der Hand 
nehmend, trat er hervor und ſprach laut und vernehmlich 

«folgende Worte: 


202 


Lebensbefgreibung des 


Ihr Männer, die Ihr mit zu fühnem Etreben 
Die Heldenzeit zurück zu rufen denkt, 

Nur Ubenteuer achtend, nicht Dad Leben, 

Durch Site’ und durch Befeg Euch zu befchänft; 
Freiwillig hab’ ich mich hieher begeben, 

Nach wilden Wäldern meinen Gchritt gelenft. 
Auf Cure Großmuth darf ich ruhig bauen 

And hoffend Euch in die Geſichter (hauen. 


Denn wenn auch gar au fühn, gar gu verwegen, 
Ihr mandı Berpältni freventlich verlegt, 

Habt Ior Doch nimmer Euren Heldendegen 

Je gegen ded Anſchuid gen Bruft gewept. 

An Mord und Blut it es Guch nicht gelegen, 
In Graufamteit Ihr keine Ehre ſebt. 

Die meinen hier aus edlem Blut entfproffen, 
Gläsritter ſind s und tapfre Kriegägenoflen. 


Richt wie ein Tumpiges Geſindel fchleihen 
Sich Eure Banden furchtſam durch die Nacht; 
I} dent: Ihr nehmt es auf bald mit den Beichen, 


> Denn in der Höhle feh" ich große Pracht. 


‚Hier daͤmmerts nicht, hier riecht es nicht nach Beiden; 
Ihr Habt den Iuft'gen Wruderbund gemacht. 

Goldtetten feh" ich, ſilberue Piftolen, 

Und Diamanten auf den Terzerolen. 


Bie junge Adler fchirmen ihre Beute 
Im hohen Met, in breiter Eichen Laut, . 
Seh” ich nur lauter junge, feifche Leute 
Im Felſen Reli ſich lagernd um den Raub. 





Don Eyrillo de Valaro. 203 


Ihr Hört des Dichters Sied zuerſt nicht heute, 
Seid nicht für den Gefang der Mufe taub. 
Vernehmt denn, was fie bittet! Darf fie's wagen, 
Und werdet Ihr Die Witt’ ihr wohl verfagen? 


Ihr Hab in dem Orlando gern gelefen, 

Wie ih Meder, Angelita gelicht; 

‚Bier in der Höhle ſeufzt ein ähnlich Weſen . 
Das durch Gefangenschaft Ihr ſehr betrübt. 

Cie hat ſich den Geliebten auseriefen, 

Der für die Braut fein Gold, fein Mes giebt; 
Doc wer fol dann bie fchöne Blume pflegen? 

Auf nadtem Stein verweltt fie, ohne Regen: 


Er Reht Hier mit dem Echap, ich mit dem Borte, 
Die dreifte Bette Hab’ ich fühn gemagt: 
Vertrauend, fprach ich, wandl’ ich nach dem Orte, 
Und bringe fle zurück noch eh’ es tagt. 

3% wage mich nicht nach dem Drachendorie, 

Der giftig auf dem Gold fich felber plagt. 

Richt alle Räuber fpotten aller Pflichten: 

Sie fchägen noch das Beben und das Dichten. 


Sie laſen Arioſtos Abentener 

Vom ſchoͤnen Mädchen, nackt am Pfahl gebunden; 
Doch mit dem Kraken, mit Dem Ungeheuer, 
Gefühllos haben fie fich nicht verbunden. 

Auch ſelbſt Das Leben Fauft man oft zu theuer! 

Bas ift der fchöne Leib, wenn er geſchunden? 

©o ſchentt dem Mann denn feine Gattin wieder, 
Damit besahlt Ihr reichlich meine Lieder. — 


204 Lebensbefhreibung des 


Ine wünfchtet oft, den Dichter ſetſt zu fehen, 
Wodlan, Ihr alle gleich ihn kennen follt; 
Den Meiofto feht Ihr vor Euch ichen, 

Es freut ihm, Daß Ihr feinem Liede hold! 
Son er von dannen wieder fröhlich gehen, 
So ‚gebt dem Mann die Gattin, nehmt kein Gold, 
And zeigt, Daß wahr in Euch der Dichter (chaute, 
Der feloR Hei Mäubern noch auf Broßmuth baute! = 





Brandy’ ich hinzuzufügen, welche Wirkung diefes Lied, 
im glücklichſten Augenblide recitirt, auf die phantaſtiſchen, 
eitlen Gemütber machte? Ein allgemeiner Beifall ertönte 
noch lauter, als vorher. Alle drängten fih Hinzu, um den 
geliebten Dichter zu fehen, um feine Hand zu drüden. Ich 
betam gleich meine Frau zurück die nicht fo vergnügt (bien, 
als ich es geglaubt hatte, ohnerachtet fie zu wiederholten 
Malen mir die Freude verfiherte. 


Damit der Eidſchwur der Räuber, keinen Gefangenen 
ohne Löfegeld heraus zu geben, nicht gebrochen werde, mußte 
id) dem Domenico Morotto die Edelfteine geben, der fie 
aber gleich wieder mit ritterlichem Anftande meiner Frau 
ſchenkte, mit der Verfiherung, es freue ihn fehr, bei dieſem 
Zufalle den großen Arioft kennen zu Iernen, und iym einen 
Dienft zu ergeigen. 

. Drauf lieg er köſtlichen Wein und kalte Pafteten brin- 
gen. Nach geendeter Mahlzeit entlich uns der Häuptling 
ſehr höflich. Wir wurden wieder mit zugebundenen Augen 
von zwei Waͤchtern weggeführt, die uns auf der Heerſtraße 


Don Eyrillo de Balaro. 205 


verließen, wo wir mit einer Geſellſchaft junger, lachender 
Menſchen zufammen trafen.“ 


Bir erſchraten anfangs etwas und fürdteten, dag wir 
aus der Scylla in die Charybdis gefallen fein möchten, 
denn diefe Leute fahen wahrhaftig eben fo verdächtig aus, 
als die, welche wir eben verlaflen Hatten, ja nod) ärger. 


Kaum aber hörte Arioft fie ſprechen und fah ihnen recht 
in die Gefichter, fo kannte er fie alle gleich, ſchlug erftaunt 
die Hände zufammen und rief: Träum’ ich? Oder find alle 
edlen Jünglinge aus Ferara jeht Bagabunden gemorden? — 
Das verfteht ſich — antwortete Pietro Benbo, der aͤlteſte 
von ihnen, der einen prächtigen Palaft in der Etadt befag. 
Bas thut man nicht den Mufen zu Gefallen, und um 
ein fdhönes Lied von Italiens größtem Dichter zu bekommen. 


Wir begriffen noch nicht, was er damit fagen wollte. 
Als Arioft aber feinen Bruder Gabriel mit im Gefolge ent- 
dedtte, begriff er wohl, dag man einen Schwant vorhatte, 
erzählte ihnen fein Abenteuer und den Erfolg davon, und 
bat, ihn jept aud in ihr Gebeimnig einzuweihen 


Ihr feid zu einem zweiten Triumphe gekommen, götte 
licher Mann! rief Pietro Bembe. Denn wie eben Euer 
großes Verdienft felbft von Raubern gewürdigt ward, fo 
ſollt Ihr jegt Zeuge von der Beſchämung, der Anmagung 
und der eitlen Thorbeit fein. 


Jetzt erfuhren wir, daß die ganze Masterade dem Fat- 
tor Alphonfo Trotto zu Ehren angeftellt war. Diefer mun« 
derliche Menſch hatte kaum ausfpienirt, daß Ariofto zu den 
Räubern in der Garfagnana gehen wollte, um fie in einem 


206 Lebenshefhreibung des 


Gedichte um die Freilaffung der ſchönen Eleonora ohne Li- 
fegeld zu bitten, als er beſchloß, dem Dichter zuvorzutom⸗ 
men, und es felbf zu thun. (Einige Freunde, denen er feir 
nen Vorfag mittheilte, erſchralen. In folder Verlegenheit 
wendeten fie ſich an andere ihrer Zreunde, die aber nicht 
die feinen waren, und fo wurde denn diefe Komödie veran- 
ſtaltet. Borftellungen, das wußte man voraus, würden beim 
Trotto nichts helfen, denn einem vernünftigen Grunde hatte 
er immer hundert Spipfindigkeiten entgegen zu fellen. Wenn 
fie aber fein Leben retteten, meinten fie, hätten fie auch die 
Erlaubnig, fi mit feiner Narrheit etwas zu Gute zu thun. 


Die jungen Leute verfleideten fih alfo als Räuber. 
Die alte Haushälterin des Alphonfo Trotto ward mit in’e 
Geheimuig hineingezogen. Diefe Zanthippe, die ihr einziges 
Vergnügen darein ſehte, mit ihrem Hausberrn zu zanken, 
that gern, mas man von ihr verlangte. Sie lich ſich gern 
dazu überreden, die fhöne Eleonora vorzuftellen, und ging 
verfpleiert mit, um den Knoten der Kataftrophe zu rechter 
Zeit mit dem Barbiermefler ihrer Zunge zu durchſchneiden. 


Es däuerte nicht lange, fo fahen wir Alphonſo Trotto, 
von zwei Bedienten gefolgt, an deren gefährlichen Arms 
und Kopfbewegungen wir deutlich merkten, daß fie ihm noch 
von dem gefaͤhrlichen Schritte abriethen. Er ließ fie aber 
zurück geben, und fehr emfig und unerfhroden madelte der 
magere, dünnbeinige Faktor ung entgegen, mit einem Del- 
zeige in der Hand, und die Beinen, nihtsfagenden Augen 
weit aufgefperrt, um uns Ehrfurdt einzuflögen. Er hatte 
ſelbſt eine blanke Trompete an der Seite hängen, worein 
er alle Augenblide ſtieß, um fih als Friedensherold anzu: 
Fündigen. Als cr uns auf Schußweite nahe gefommen, ver» 





Don Eyrillo de Balaro. 207 


Iangte er Gehör. Die wurde ihm ſogleich zugeftanden, 
morauf er aus der Rodtafche ein Panier, aus der Hofenta- 
ſche eine Brille zog. Darauf räufperte er ſich, und las, 
ftotternd und oft die Worte wiederholend, folgende Etanzen: 


Ihr Sünder, die Ihr wohl verdient ju hangen, 

3a, ſelbſt zu radebrechen nicht zu gut! 

Freiwitig bin ich heut hinausgegangen, 

Ihe Seht, es mangelt Zeotto'n nicht an Muth. 

Zwar ſteyt mach Euch mir Hera nicht, noch Verlangen, 
Bielleicht vergießt Ihr noch mein edles Blut. 

Doch, Seutchen, nein! das werdet Ihr wohl laſen. 
Mit geoßen Heren if ed nicht gut au ſpaden 


Ihe Habt begangen viele Miflethaten, 

Und werdet deshalb auf der Folter fchroigen, 

Denn wollet Ihr die Frevel nicht verrathen, 

Bleibt das Beheimniß in der Kehl' Euch figen, 

So willen wir, verhärtete Krabaten, 

Den Bauch mit dem Geheimniß aufjurigen. 

Dann werden wir julept den Trot wohl ſchwächen. x 
Doch jeto wi ich von was Anderm fprechen! 


Mlfo: Ihr Habt dem Mann die Frau geſtohlen. 
Schamt Euch, gebt ihm die Gattin gleich zurück. 
Ich tomme felber her, fie abzuholen, 

So liefert fie heraus im Augenblick. 

Es brennen unter'n Füßen mir Die Sohlen, 

Ich aittee vor der Zrefflichen @eichie. 

I Hoffe doch, Ihr Habt ihr nichts entwendet, 
nd bin deöhalb gerichtlich ausgefender. 


Lehensbefhreibung des 


I will Such Hac and der Moral beweifen, 

Ihr Habt fein Secht, des Maubed zu genießen, . 
Denn Jeder hämmern muß fein eignes Gifen, ’ 
Und Jeder mit der eignen Zlinte (chießen. 

Gin Dieb nur jeigt fich fecch in fremden Kreifen. 
Und pflüct die Blumen, die für Andre fpriehen. 
Bas wolt Ihr? Seid Ihe wide Infulaner? 

Seid Ihr Tuneſen? Ccid Ihr Maroccaner? 


Ein Neimihmid Hat ſich thorich unternommen, 

Mit Werfen, falfchen Reden Guch zu fchmeicheln ; 
Doc) ich bin als Juriſt Heransgetommen, 

Und wi ald Hund Euch nicht wie Hunde freicheln. 
Zwar fühl ich mich im Walde fehe beflommen, 

o grimm’ge Thiere leben nur von Gicheln. 

Zu Zauben fprech ich hier, nicht zu Juriſten! 

And — lieber Bott im Himmel — kaum au Chriſten. 


Wenn Ihr mich fenntet, tenntet meine Gabe, 
Und meine Renntniß und Gelehrfamteit: 
Ich ſprach lateiniſch ſchon ald Kleiner Anabe, 
Und von dem Griechiſchen war gar nicht weit, 
In Nebenflunden ich gedichtet Habe, 

Doch machte ſich mein Genius nicht breit, 

3% konnte wohl auch einen Roland machen — 
Noch jebo fprechen wir von andern Sachen. 





Gebt Ihr zurůck die Frau mir, ohne Schande, 
Und Habt Ipr feeventlich ihr nichts geihan, 
&o reit’ ich Euch drei Brüder aus der Bande, 
Die ſonſt zum legten Mal die Sonne fahn. 


Don Cyrillo de Balaro. 209 


7 Geht friedlich dann mit ihnen aus dem Lande, 
Ihr dürft Euch nimmer unfrer Bränge nah. 
"Den Venetianern Fonnt Ihr frei begegnen! 
Da raubt nur — und der Himmel wird Euch fegnen! 





Als Alphonſo Trotto fertig war, rief Pietro Bembo 
mit verftellter Stimme: Beim Jupiter, ein gar ſchönes Lied! 
Beſſere Stanzen Lönnte ſelbſt Arioft an feinem Ambofe 
nicht ſchmieden. — Das follte ich meinen, ſprach Alphonſo 
ſtolz. In meinen Stanzen findet Ihr nichts von Schmei- 
“helei, nichts von Schwärmerei, nichts von phantaſtiſchen 
Bildern. Id ſpreche zu der Vernunft, und damit Baſta. 


Und dann diefe Humanität, diefe Vaterlandsliebe, rief 
Giambattifta, die es mit unfern Nachbarn, den Venetia- 
nern, fo gut meint, — Und der fiomme, gottesfürdtige 
Wunſch zum Schluß, rief Pietro Bembo, hat mir vorzüg- 
lich gefallen. Wahrbaftig, ich fehe nicht ein, daß uns ete 
was anders zu thun übrig bleibt, als ihm die Schöne aus- 
auliefern. — Ich habe einen andern Vorſchlag, rief Ga— 
briel Arioft mit roher Bapftimme: Ich finde in diefen er- 
bärmlihen Reimen nichts als den unverfhämteften Düntel, 
und meine vielmehr, dag wir dem Schurken den Bauch aufe 
rigen follen, wie er zu thun uns gedrohet hat, und ihn 
dann an einen der nächften Bäume aufhängen. — Sollte 
das das Beffere fein? frug Pietro Bembo bedenflih. Im 
es ift wohl möglich. Man kann eine Sade von verfhie- 
denen Geſichtspunkten anfehen, und meint die Mebrheit, daß 
er billigerweife bangen foll, fo will ich nicht fo unbeſcheiden 
fein, einer ganzen werthen Geſellſchaft zu mberforeden, 

Schlenf. Schriften. XVIIL. 





210 Lebensbefhreibung des 


Iept entftand ein Etreit, zu dem Alphonſo Trotto 
ſchwerlich ein ruhiger Zuhörer fein konnte, obſchon er ſich 
mit mehr Faſſung dabei benahm, als wir es von ihm er- 
wartet hatten. Einige wollten ihn hängen und ihm den 
Bau) aufrigen, Andere wollten ihn mit Lorbeeren frönen 
und die Schöne ausliefern. Man fing (hen an, den Kranz 
zu flehten, und an dem Strid eine Schleife zu machen. 
Endlich firgte die freundliche Partei, und die alte Haus— 
hälterin, die wie eine Hyäne auf den Raub hinter dem 
Schleier lauerte, wurde ihm als Donna Eleonora zugeführt, 
worauf wir fie beide verliegen, uns aber nur fo weit ent 
fernten, dag wir hinter den Büfhen das Schelten und Ban» 
ten der beiden Hausgenoffen hören konnten, als er die 
Wahrheit entdedte. Alpbonfo war fehr aufgebracht, aber 
die alte Kanthippe noch mehr. Hab’ id mein Tag fo etwas 
geſehen, rief fie, der alte Geck läuft hinaus, ſich von Räur 
bern ſchlachten zu laſſen, um junge Frauenzimmer von zwei⸗ 
deutigem Rufe im Walde zu befreien. Habt Ihr nicht mid 
ohne allen Riſiko ſchon zu Haufe? Bin ih Euch etwa zu 
alt jegt? In alten Tagen war ich Euch jung genug. — 
Sage mir nur, ‚fage mir nur, meine Siebe, befie Nebekta, 
ftammelte der Faktor vol Wuth, wer die Unmenfchen wa⸗ 
ren, die mid fo verhößnt haben, dann wil id Dir Deine 
ganze infame, niederträdtige Treufofigkeit von Herzen ver- 
zeiben. — Lauter Freunde, Fauter Beſchüher, Pbllofophen 
und weltweife Sofrateffe waren es, tief fie, die Euch Har- 
letin eine Lehre geben wollten. Lauter Wohlthäter, die Euer 
nicptsrwürdiges Leben gerettet! Glaubt Ihr, daß wirkliche 
Räuber ſolche Schimpfworte ungeahndet gehört. hätten, ohne 
Euch lebendig in fiedendem Del zu kochen? Dantt Ihr 
Gott und der heiligen Jungfrau, dag Alee fe gut abge 


Don Eyrillo de Balaro. a1 


laufen ift. Jetzt feid Ihr freilich zum Gelächter der gan- 
zen Stadt geworden; aber das waret Ihr ja ſchon vorher; 
Ihr habt alfo nichts eingebüßt, fondern vielmehr gewonnen. 
— Verdammter Arioft, ſchnaubte Alphonſo, verdammter 
Verſemacher, das iſt wieder einer von Deinen Streichen. — 
Mehr hörten wir nicht; denn die Alte, die fi) an ihn wie 
ein Blutigel gehängt hatte, zog ihn fort und verſchwand 
mit ihm hinter den Bäumen. 





Ich war jet wieder im Berg meiner ſchönen Frau, 
und würde mid) vollkommen glülid) gefühlt haben, wenn 
ich nicht eine gewiſſe Traurigkeit bei ihr entdect hätte, die 
ich nicht begreifen fonnte. Denn während wir noch mit 
taufend Echwierigkeiten zu ftreiten hatten, mar fie heiter 
und aufgeräumt, und jet, da wir zum Ziele gelangt, war 
fie mißvergnügt. Ich fürdtete, dag id, efmas von ihrer 
Liebe verloren Habe; vorher hatte fie mid) immer fo entzudt 
angefehen; jet mufterte fie mid) mit einem gejwungenen, 
freundlichen Lächeln, und ſchien innerlich Vergleihungen an- 
zuftellen. — Ich blickte fie zärtlich an, ihre Kälte betrübte 
mi, und die Thränen traten mir in die Augen. Sie trod- 
nete mir die Wangen mit ihrem Schnupftuche, und den 
Blic rubig auf mid beftend, fagte fie, vornehm bedauernd 
mit einem mitleidigen Lächeln: Hm! die Fleinen Augen! — 
Vorher waren ihr meine Augen groß genug geweſen Ih 
fühlte mich beletdigt und ging auf mein Zimmer, in der 
Hoffnung, fie mürde nahtommen un. die Beleidigung wie- 
der gut machen. — Sie kam aber nicht, fondern blieb auf 
ihrem Zimmer. Ich ſchlief die ganze Nacht nicht, und weil 

14° 


212 Lebensbeſchreibung des 


ich fie nody heftig liebte, eilte ich beim frühen Hahnenge ⸗ 
ſchre hinein, um Alles wieder gut zu machen. 


Beder fie nod ihr Kammermaͤdchen fand ih da, fon- 
dern einen Brief von ihrer Hand an mid, auf dem Tiſche 
liegend, der mir Alles erklärte. Der Brief lautete wie folgt: 


Mein lieber Eyrilfo! 

Es tyut mir herzlich Teid, dag ih Dich betrüben muß, 
Du haft Dir aber von mir eine zu hohe Idee gemacht; 
denn in Deiner einfamen, kühlen Marmorhalle bei dem al- 
ten Francisco Perez haft Du nur in Büchern gelefen, und 
weder die Welt noch die Menfhen kennen gelernt. So 
glaubteſt Du denn auch, als Du mic) in der Kirche Enieen 
fahft, eine heilige Gäcilia, oder Gott weiß was zu entde- 
den, deren Gefühle auf den Bogen der Melodien zum Hims 
mel hinauf fhwebten, während id doch hödftens nur eine 
ſchͤne (und zwar feine bügende) Magdalene war. — Den 
Zodtenfopf, womit die Maler immer die Magdalena ab» 
fonterfeien, hatte ich fretlich ale Nächte bei mir liegen; 
denn meine harten Eltern vermählten mid in früher Ju⸗ 
gend mit einem ſchwachen, graͤmlichen Greife. — 


. Daß ich mid) in Dich ſterblich verlichte, weißt Du recht 
gut. Dante Du aber der heiligen Jungfrau dafür, Cyrillo 
daß ich nicht fo platonifd) wie Du in den höheren Regio⸗ 
nen ſchwaͤrmte, fonft märe Deine Aſche ſchon längft in der 
Luft zerftäubt. Denn der graufame Familiar, der die Welt 
beffer als Du kannte, ließ fi nit mit leeren Verſprechun - 
gen abfpeifen, und wäre Deine Gelichte eine Heilige geme- 
fen, fo märeft Du auf dem Auto da fe lebendig verbrannt 
worden. Ich habe Dir Leben und Vermögen gerettet, ich 


Don Eyrilto de Balaro. 213 


babe Dir in einem fremden Lande Deine Ritterehre, die 
Du ſchon durd Deinen. Vater verloren, wieder verſchafft, 
ich habe Dir Sicherheit und Schuß gegen die Nachſtellun⸗ 
gen der Inquifition verſchafft. IA babe mid) Dir zärtlih 
hingegeben. Bas willft Du mehr von mir? Daß ih Dir 
treu ergeben verbleibe? Das kann ich nicht! Das ift ganz 
gegen meine Natur. Soll ih heucheln? Soll ich vor Dir 
lügen und Did heimlich wie meinen Alten bintergehen? 
Das will ich nit; das verdient Du nicht von mir, daß 
ich Did) beleidige. Der Alte verdiente es. 


Ich liebe jept den ſchönen, berrlihen Domenico Mo- 
rotto, und werde von ihm eben fo heiß geliebt. IA folge 
ihm auf feinen Abenteuern, feinen Streifzjügen Dies Ler 
ben bebagt mir ſehr, es iſt romantiſch, es verfeßt mid) fo 
ganz bin in die poetiſche Welt unferes großen Dichters. 
Grüge ihn vielmals, den herrlichen Arioft, und fage ihm, 
daß Domenico und ich feinen rafenden Roland zufammen 
leſen. Allein Du darfft nicht ein folder rafender Roland 
werden, mein Cyrillo, und Did wie ein wildes Thier ge» 
berden, wenn Du etwa die Namen Domenico und Eleo⸗ 
nora, wie er weiland Angelifa und Meder, in der Baum- 
rinde eingefcpnitten und an den Felfenwänden gerigt finden 
folteft. Doc das hat keine Noth. Du biſt ein frommee, 
weiches, gelaffenes Kind; ein wenig weinen wirft Du und 
Did) dann hübſch zufrieden geben. 


Glaube mir, Eyrilo, wir Zwei waren für einander 
nicht geſchaffen. Ih muß einen Mann baben, der mir auch 
imponiren fann, und in Domenico Morotto habe ic mei 
nen Meifter gefunden. Er it fhön und feurig wie ein 
Türke, ich glaube, er konnte mic aus Liebe prügeln, und 


214 Lebensbeihreibung des 


id glaube, ih würde es ihm aus Liebe nicht Abel nehmen. 
Uebrigens weißt Du, daß er gar nicht graufam ift, und ich 
boffe noch auf ihn und die ganze Bande einen wohlthuenden 
Einfluß ‚zu üben, und fie alle gefitteteter und artiger zu 
machen. 

So lebe denn wohl, mein guter Cyrillo! 

„SBergeblich fuchft Du nun ſeit Diefem Tage 
Der Schönen Epur, die nichts Die fenntlüh macht." 

Deine Juwelen habe id) Dir alle hinterlaffen, and die 
drei größten meiner eigenen wirft Du nod dabei finden, 
die ich bitte, als ein Andenken von mir zu behalten. Soll- 
teft Du aber einmal in Geldverlegenheit fein, fo verkaufe 
fie nur gleich, ohme BVedenklichteit. Ich unterſchreibe mid 
jeßt mie immer - 

Deine 
bis in den Tod treue Freundin 
Eleonora de Sylna. 





Diefe plögliche Veränderung meines Zuftandes madıte 
einen fonderbaren Eindrud auf mi. Lieben konnte ic) fic 
nicht mehr, Erbitterung gegen fie konnte id) aber auch nicht 
fühlen; ſelbſt in ihrer Verworfenheit zeigte fie noch ein 
tindiſch natves, aufrichtiges Nalurell. Sie hatte mir wirt⸗ 
lid) Leben, Vermögen, Ehre und Sicherheit wiedergeſchenkt. 
Sie hatte mic) auf kurze Zeit höchſt glüdtid gemadt. Iept, 
ihrem unglüdfeligen Hange folgend, flog fie wie ein Abend» 
Schmetterling ſelbſt in’s Licht. Wie konnte ic fle haſſen? 
Bedauern fonnte ich fie, Mitleid konnte id mit ihr haben. 





Don Cyrillo de Balaro. 215 


Allein ich fühlte mein Herz von diefem Angenblide wie mit 
einer Krufte überzogen, die mid) ftumpf ſowohl gegen alle 
angenehme, als fhrvermüthige Empfindungen machte. 


Mitten in diefem wogenden Weltmeere voll tobender 
Leidenfhaften und tragifher Begebenheiten winkte mir das 
ſtille Kloſter, wie ein Zelfen in der See mit einer ruhigen 
Hätte und erquidendem Kräutergärtlein: Die fühlen Kreuz ⸗ 
gänge der Bencdictiner, die friedlich und brüderlich zufam- 
men lebten, ihre Tage zwiſchen Andacht und einem harım- 
Iofen Gefyäfte theilend, Iuden mic ein. Und bald ging 
ich auch im fangen Kleide geſchoren einher, nachdem ich der 
heiligen Jungfrau und dem Jeſuskindlein in der filbernen 
Kapelle erft zzwei goldene Kronen auf die Häupter geſetzt 
hatte, worin meine irdifhen Diamanten als Thautropfen 
und Tränen der Wehmuth und der Sehnfucht glänzten. 


Als ich zwei Jahre Moͤnch geweſen, wollte unfer Abt 
einen Boten nah Mailand fhiden, um ein Gefhäft mit 
einem dafigen Präfaten abzumachen. Weil ih mir nun 
gern einmal eine tüchtige Bewegung machen wollte (ielleicht 
auch unberußt aus Luft, die Welt cin wenig wieder zu fe- 
ben) erbat ih mir von ihm die Erlaubnig, diefe Pilger- 
ſchaft machen zu dürfen. 


So ſchritt ih mit dem Stabe in der Hand und den 
Bündel auf dem Rüden gemächlich fort, kam zum Präla- 
ten, richtete mein Gelhäft aus und begab mich wieder auf 
den Nüdweg. Die Tage waren heiß, die Abende kühl, und 
weil ich mid) vor Räubern nicht fürchtete, (denn ih hatte 
nichts, was ihre Habſucht reizen konnte) durchzog ich unbe» 
kümmert die Heerſtraße bei Lodi mit den meilenweiten Wie ⸗ 


216 Lehenshefhreibung des 


fen und Beidenheden, wo die Straßenräuber in der großen 
‚ Einöde ungehindert ihren Unfug treiben können, obſchon 
fein Wald in der Nähe if. 


Eines Abende nad) Sonnenuntergang, als ich fo in 
Gedanken vertieft gehe, höre ich in meiner Nähe eine Na» 
tigal laut ſchlagen. Die Erinnerung des merkwürdigen 
Abends, als mir Eleonora entriffen wurde, erwachte plöß- 
lich in meiner Seele; ich ſchlug die Augen auf und wun- 
derte mich Beinahe, als ich feine Räuber in den Bäumen 
fab, fondern nur den kleinen, grauen Sänger, der von Meie 
nem Geräufge erfredt, flatternd die Hece verließ und wei⸗ 
ter hinflog, um feinen Gefang fortzufegen. 


Ich folgte ihm, weil eben mein Weg dahin ging. Kaum 
ſtehe ich vor einigen Kleinen Hügeln gerade am Wege, fo 
entdede id, dort einen Körber auf dem Rade und etwas 
weiter zur Linken einen Kopf auf einer. Stange, deflen lan« 
ges blondes Haar weit bin in die Nachtluft flatterte, fo 
dag man dadurd mitunter die Sterne fehen konnte, befons 
ders die Venus, die im Herunfergehen ganz außerordentlich 
ſchon glänzte. Als ic dem Todtenfopfe gerade gegenüber 
fand, Fonnte ich nicht umbin, ihn genau zu befragten. Da 
ſchaute mid) Eleonora de Sylvas ſchönes Geſicht lilienweiß 
an, aber mit dem wehmüthig⸗entſetzlichen Todeslaͤcheln, das 
man immer auf den blauen Lippen der Enthaupteten finder. 


Ich ſtürzte zur Erde. Ein mitleidiger vorbeigehender 
Bauer half mir auf und brachte mic in feine Hütte. Bon 
ihm erfuhr ib), dag der Näuberhäuptling Domenico Mo- 
rotto geftern hier mehrerer Mordthaten wegen gerädert wor⸗ 
den. Seine Frau oder Konfubine habe man geköpft, und 


Don Cyrillo de Balaro. 27 


“viele Leute wären geftern hinaus gegangen, um den Kopf 
auf dem Pfahle zu fehen, weil er fo ſchoͤn fei, und der herr 
liche, reihe Haarwuchs fo weit Hin in die Luft flattere. — 

Das war meine Ichte- Wanderung in Europa! In fünf 
Jahren fam ich nicht aus dem Bezirke des einfamen Klo⸗ 
ſters. Allein da war mir aud das Herz wieder ganz tur 
big und heiter geworden. Ich lebte mit meinen Ordens» 
brüdern im freundſchaftlichſten Verkehr; nad) der Eitelfeit 
und den Genüffen der Welt verlangte mid gar nit. Bor 
Frauenzimmern hatte ich, feit jener fürchterlichen Begeben- 
beit, ordentlich einen paniſchen Schreden bekommen, und es 
mar mir in ihrer Nähe gar nicht wohl, Mit meinem Zus 
ſtande mar ich alfo nicht, im mindeften unzufrieden, und 
mas Viele unglüclich machte, machte mic fo glüͤcklich, als 
id) es in dieſer Welt noch werden konnte. 


Das Einzige, wonad ih mic) fehnte, war eine größere, 
erhabenere Natur. Der Kloftergarten war mir zu Hein, 
id) beneidete-die Eremiten der Vorzeit, die in großen Wäls 
dern leben konnten, und bekam felbit Luft, ein folder zu 
werden. 

Diefer Wunſch gewann alle Tage in meinem Herzen 
Herzen größere Gewalt, und die Kloftermauern engten mid) 
immer mehr ein. Wie groß war alfo meine Freude, als 
der Abt eines Tages zu uns ins Nefectorium trat und er⸗ 
zählte: der Papſt habe ein Manifeft ausgehen laſſen, es 
fei unternehmenden, frommen Mönden, die einen Beruf 
dazu in fi fühlten, unverwehrt, nah Indien zu gehen, 
um in den neuentbedten Landen, Meriko und Peru, Klö- 
ſter zu bauen, die wilden Heiden zu befehren und das Evan- 
gelium zu predigen. 


218 Lebensbeſchreibung des 


Kaum hörte ih diefes, fo fühlte ih einen Muth in 
mir erwachen, den ich mir ſelbſt nicht zugetraut hätte, und 
ich fegte alle Räder in Bewegung. um Borfteher einer fol- 
hen Gefeufhaft zu werden. Ich beſuchte nod einmal den 
Dieter Arioft, der nad jener Begebenpeit Statthalter in 
Sarfagnana geworden; ich befuchte den Herzog und feine 
mir fonft widrige Gemahlin Lucretia. Arioſt that wieder 
alles für mic, was er konnte. 

Bald hatte ih durch den Einfluß meiner Freunde 
meinen Wunfd erreicht, und der Papſt hatte mid durch 
ein Breve zum Prior über die Mönche eingefept, die mit 
mir nach den merifanifhen Wäldern feegeln wollten. In 
Livorno ſchifften wir uns ein. Die Neife ging erft glüd« 
lich. Die Unerfabrenheit des Schiffers brachte uns aber 
auf einen irrigen Weg; der Sturm zerfhlug das Schiff 
an diefem Zelfen, wo id allein mit acht Brüdern gerettet 
wurde. 

Wie wir ung nun bier viele Jahre hindurch aufgehalten 
baben, ung in Diefem treflihen Sandſteinhügel Zellen aus⸗ 
geböhlt und unfer voriges frommes Leben frei und un— 
beſchränkt im fhönften Paradiefe fortgefeßt, mit Gebet und 
Dantliedern, nad) katholiſchem Nitus und ftrenger Obfer- 
vanz unferes Ordens; mie ‚id diefe treuen Gefährten nach 
und nad alle begraben habe. bis ic bier als hundert- 
jähriger Greis auf diefer Infel ganz allein fipe, das, licher 
Freund, Avirft Du in meinen Tagebüchern genau aufge» 
zeichnet finden, die auch hier im fteinernen Stuhle liegen, 
nebſt vielen Bemerfungen und Entdelungen, die Dir fehr 
nüglic fein werden, wenn Du Dich andy vielleiht viele 
Jadre allein auf der Imfel, ohne menſchliche Geſellſchaft. 
aufhalten ſollteſt. 


Don Eyrillo de Balaro. 139 


So will id) denn jeßt von Dir Abfchied nehmen, und 
Dir von Herzen wünſchen, dag, wenn Du aud) vorher 
unglüdlic warft, wie id es gemefen bin, der, himmliſche 
Bater Did eben fo glüdtih, als mih auf meine alten 
+ Tage machen wolle; durch die Bermittelung feines Sohnes 
Jeſu Chriſti, des heiligen Geiſtes. der heiligen Iungfrau 
und aller übrigen gebenedeiten Heiligen; wozu ich vornehm- 
lich St. Hubertus, meinen und aller Waldhrüder Schutz- 
Natren, anrufe. Amen. 


Ende des dritten Theile. J 


Inhalt 
des dritten Theile. 


¶. Der ittmele ed 
2. Der Zweit ee 
Par: a u Br Bu u Zu =) 
4 unglueceeee er Be 7 es 
5 Dad ee 
6 Dee Sauna » re 
7. Die Ausſteuet Pa a EB BE BE Ze Ze 
s. Aopenhage ee. 0464 
9% Der Maler⸗— „ei. .. . .. e 
40. Der Anterichmid in feiner Gloric rer: Mm 
1 Die männlihe Brut» rennen 
42. Mbfchied von Kopendagen « ee 





13. 
1 
2. 
1. 
17. 
"8. 


Macbeth und die Serriuber «+ + 
Echifbruch und Rettung + * « « 
Troglodntenleben 9 0 ee 
Neue Entdedungen «7 0 es 
Die Ill or een 
Der Greis in der Gölle © ° > 
Sebensbefchreibung des Don Gurillo de Balaro 


Adam Oehlenfchläger's 
Be rt ee 


Zum zweiten ale gefammelt, 
vermehrt und verbeffert. 


Achtzehntes Bändden. 
. 


— 
Breslau, 
im Verlage bei Joſef Mar und Komp. 


1839. 


Adam Oehlenfchläger's 
-Erzäblende Dichtungen. 


Viertes Bänden. 


Die Infeln im Süntmeere Bierter Theil 





Breslam, 
im Berlage bei Iofef Mar und Komp. 





1839 


Die 


Snfeln im Südmeere 


Ein Moman. 


Vierter Zeil. 


1. 


Unterirdifher Gang und Sternwarte 





In der Verlaſſenſchaft des Don Cyrillo fanden wir bei- 
nahe alles, was uns in unferm jegigen Zuſtande dienen 
tonnte; und was mehr war, als Gold, Silber, Juwelen 
und Perlen, (melde Schäge wir nit brauden konnten) 
wir fanden bei ihm italieniſche, ſpaniſche und lateiniſche Bür 
her. Viele Schriften lagen in Bündeln zufammen ges 
ſchnürt. vermuthlich von Schiffbrüchen gerettet, und von den 
frommen Brüdern noch ungelefen. In eine trodene Berg 
rige war Vieles hinein geftopft, woran man noch deutlich 
die Spuren des Seewaſſers fah; es waren lauter engliſche 
Sachen, ungebunden, meiftens alte Zeitungsblätter, melde 
aber doch Goncordien große Zreude machten, weil fie fie 
gleihfam in ihr Vaterland zurüd verfegten. 

Ban Leuven hatte noch größere Ausbeute ale Eoncors 
dia und id gemacht. In den Tagebüchern des Alten fand 
er aufgeſchrieben, wie man leicht, wenn der Flug im Som. 
mer feiht wäre, einen Damm machen Fönnte, und durch 


10  Unterirdifher Gang und Sternwarte. 


den aufgetrodneten Felſenſchlund gemaͤchlich hinunter nad 
dem Etrande geben. Diefe Arbeit, wozu id und Lemelie 
ibm behülflich waren, brachten wir bald zu Stande, denn 
mir fanden das alte fteinerne Bollwerk noch unbeſchädigt, 
und brauchten nur eine hölzerne Schleuße zu machen, fo 
fonnten wir den Flug in feinem Laufe hemmen. 

Nachdem wir ein Paar fette Fichtenfpäne als Fackeln 
angezündet hatten, traten wir Männer die Wanderung an; 
das will fagen, van Leuven und id; denn Lemelie wollte 
wieder nicht in's Loch hinunter, fendern mie ein ſcheues 
Pferd blieb er indeſſen droben auf der Weide. 

Beld ein Entzüden, als wir, auf dem feinen trode- 
nem Sande gemädlid) binuntergehend, nad kurzer Zrift 
aus dem dunfeln Gange beraustraten, und das unendliche 
lichte Meer mit feinen Tuftigen Bogen vor’ uns ſahen, wäh 
rend das Geſchrei der Seevögel uns bewilllommte und 
einlud, in den alten Hallen® unferes erften Aufenthaltes 
auszuruben. — Eine Reife, die fonft ein Paar Tage 
dauerte, und die man mur mit bödfter Anſtrengung und 
Lebensgefahr machen konnte, wurde auf diefe Weiſe leicht 
in einer Stunde gemacht. 

Den Tag darauf brachten wir Concordia und Minga 
hinunter, und da bäffen wir denn gern Lemelie entbehrt, 
er wollte aber durdaus mit gehen. — Concordia freute 
fi) wie ein Kind, und meinte, als fie alle die gelichten 
Gegenftände wieder ſah, befonders als fie die Scherben ci» 
ner Schaale entdedte, woraus id ihr während des Fiebers 
zu trinken gegeben. Zemelie war aud über diefe Einrich⸗ 
tung ſehr froh. Jetzt, meinte er, Lünnten wir doch hoffen, 
von einem vorbeifegelnden Schiffe gefehen und gerettet zu 
werden. Droben auf dem Zelfen würden wir nur vergeb- 


Unterirdifger Bang und Sternwarte 11 


lich mit den Schnupftüchern gewint haben. Er meinte, 
wir müßten auf Alles vorbereitet fein, und fobald wir wier 
der droben wären, wollte er die gefundenen Schaͤtze gewiſ⸗ 
fenhaft theilen, damit jeder das Seinige bekäme; denn was 
uns jetzt unnüß ſchiene, könne und, wenn ein Schiff ſich 
fehen Liege, von größter Wichtigkeit werden. Eigentlich — 
meinte er — follten wir drei Männer, die den Schaf ge⸗ 
funden hatten, allein teilen; er beftebe aber darauf, dag 
die fhöne Concordia aud ihren Antheil bekäme, Bon der 
ſchwarzen Minga als einer Leibeigenen könne natürliher- 
meife die Rede nit fein. — Minga ſah ihn böhnifd an 
und fagte: In Mingas Vaterland findet man Gold wie 
Sand, Minga hat gelernt, Gold wie Sand zu verachten. 

Ban Leuven hatte aus den Tagebühern Don Epril- 
108 noch eine für ihn höchſt angenehme Entdeckung gemacht. 
Es war ihm nämlicy zu einer Warte hoch auf dem Felſen 
Anmeifung gegeben. Die eine ſchmale Treppe, die da 
hinauf führte, fand ſich bald; wir gelangten leicht zu der 
Bergzinne, und hier entdedten wir ein vierediges Zimmer⸗ 
hen im Zelfen gehauen, mit Fenſterlochern nach allen vier 
Beltfeiten. 

Nun balf ic meinem Freunde diefen aſtronomiſchen 
Thurm zu Stande bringen. Unter der Sternwarte fand 
ſich noch ein Felſenſtübchen, mo der Obfervator, wenn er 
wollte, ſchlafen konnte. Um den Thurm herum ging ein 
ſchmaler Gang mit einer niedrigen Bruftwehre. Hier hatte 
man die fhönfte Ausſicht, mußte ſich aber wohl hüten, nicht 
in den Abgrund hinunter zu fallen. 

Bir hewunderten die Arbeit, woran ein Duzend Men⸗ 
ſchen vielleicht ein halbes Jahrhundert täglich fi ermüdet 
hatten. — Wie glüdlid bin id, dag ih meine Fernröhre 


12 Unterirdifher Bang und Sternwarte. 


gerettet babe, rief der gute van Leuven, mas nüßten mir 
fonft alle diefe ſchönen Zubereitungen?. Es würde mir wie 
dem unfterblihen Galilei gehen, der in feinen alten Tagen 
blind wurde. D 

Ich drachte manche Stunde mit meinem Freunde dro- | 
ben auf der Sternwarte zu, und obſchon es mir nie inden | 
Sinn kam, Aftronomie zu fudiren, freute es mid) doc, das 
Bunderbare jener Welten, das fi dem bewaffneten Auge 
tund giebt, zu betrachten. 

Wenn man das alle& betrachtet, Albert, fagte van Zeus 
ven, mit feiner lieblichen, wehmüthigen Stimme, was wird 
dann aus der Meinen Erde, aus unferm enbemerifhen Men» 
ſchenleben? | 

Wenn ich der Aftronomie einer Urfahe wegen abbold 
fein follte, ermiederte ih, fo wäre es eben, weil fie mit 
fammt ihrer Erhabenheit gar zu viele, fonft fehr verftän 
dige Menſchen verwöhnt bat. Denn es gebt Euch Are 
nomen wie armen Leuten, die Furze Zeit in großer vornehe 
mer Geſellſchaft leben; wenn fie wieder nad) Haufe zuräd- 
kehren, ſchaͤmen fie fidy ihrer Armuth, und wollen ihre al» | 
ten Verwandten kaum wieder kennen. Und wenn die Belt 
verachtung eben aus der Weltbewuuderung entftchey follte, 
fo halte ich es mit Tycho Brabe, mit Iofua und der Bie 
bel, gegen Copernicus und Galilei. Ja Homers ehernes 
Himmelegewölbe und feine Götter auf den Berggipfeln wä⸗ 
ren mir fogar dann lieber. — Der fhöne Wahn muß der 
erbabenen Bahrbeit weichen, ſprach van Leuven. 

Nur Eitelfeit und Cigenliebe hindern den Menſchen. 
fi) der großen Idce des Unendlichen ganz hinzugeben. 

Und wo will er denn Bin, mein lieber Karl Franz? 
frug id. Er kann doch nicht ÜheraN fein. An einem Orte 





Unterirdifher Gang und Sternwarte 13 


muß er doch weilen; denn er ift nicht Gott, nicht die Al- 
macht felber; und auch nad dem Tode, im feligeren Zur 
ſtande, wird er ſchwerlich die Allwiſſenheit, die Algegen- 
märtigteit mit feinem Schoͤpfer theilen. Die Tugend wird 
nicht nad Ellen, Meilen und Gradabtheilungen gemellen. 
Wenn eine Made Vernunft hätte, frei Handeln könnte und 
gut handelte, ih würde fie mehr bewundern und lichen, 
als eine Sirinskugel ohne Geift und Herz. 

Das ift wahr, ſprach der edle Holländer, das lehrt 
uns ſchon die Religion. Allein aud darin ſtimmt die Re⸗ 
ligion mit der Aftronomie überein, daß fie den Menſchen 
zu erbabenen Gedanken ftimmt, ihn das Irdiſche verachten 
lehrt, um ſich nach dem Himuliſchen zu fehnen. 

Eine tiefe, himmliſche, wehmüthige Sehnfuht, ante 
mortete id), iR von Gott in jede fühlende Bruft niederge⸗ 
Iegt, um ung in Unglüd, Krankheit und Widerwaͤrtigkeiten 
zu tröften und zu ftärfen; nicht aber, um uns in guten 
Stunten zu ſchwaͤchen und zu flören. Und warum, lieber 
Karl Franz, ftarrt Dein treuee Auge oft fo ſehnſuchtsvoll 
in's Blaue hinein, da Du doch ſchon einen Himmel hier © 
auf Erden Haft? 

Ach das it gewiß! rief der gute Mann, Du baft 
Recht, Albert, und id) fhäme mic meiner fonderbaren Me- 
lancholie. Ich bin aber einmal ein melancholiſcher Menſch. 
Zwar fühle ih mid in dem Beſitze meiner Concordia und 
Deiner Freundſchaft fehr glücklich; es follte mir auch mei- 
netwegen nicht grauen, Zeitlebens auf diefer Infel zu blei- 
ben. Aber Deinetwegen, Albert! denn Du haft eine 
Concordia. Und dann ängftiget der böfe Lemelie meine 
Seele. Er umſchleicht uns, wie die Schlange im Para- 
diefe, und wird cher nicht ruhen — Er ſchwieg. 


14 Unterirdifher Gang und Sternwarte. 


Bir werden ihn ſchon zaͤhmen — erwiederte ich luſtig — 
ihm die Giftzähne aus dem Munde brechen, und dann mit 
diefer Brillenſchlange im Bufen ſpielen. 

Es gelang mir, den Freund etwas zu erheitern; «6 
freute ihm, daß ic doch in Wittenberg die Sterne ein wer 
nig kennen gelernt hatte. Er ließ mich durd feinen Tubus 
fehen, und zeigte mir die ſüdlichen Sternbilder. 

Wie er aber einmal mit dem Fernrohr im Firma 
mente umher flanfirte, rief er plöplich verwundert: Bei 
Gott, da it ein Komet! — Id fhaute aud hinein, und 
entdedte wirklich in der Ferne ein ſolch mattes Nebellicht 
mit langem bleihen Schweife, das als unerwarteter, ger 
heimnißvoller Gaft ſich der Übrigen wohlbekannten luſtigen 
Geſellſchaft nahte. 

Ich konnte die Erſcheinung nicht ohne Grauen wahr⸗ 
nehmen, der Volkoglaube, die alten Vorurtheile forderten 
in meiner Ginbildungekraft ihre Rechte wieder. Ban Leu 
ven blieb ganz kalt dabei; es freute ihn aber fehr den fel- 
tenen Stern zu fehen. 

Vieleicht, fagte ih, halb im Scherze, wird diefer ge- 
rade auf unfern Erdball ftogen, und ihn in den Abgrund 
fürzen. — Barum nicht gar? rief van Leuven lachend. — 
Glaubſt Du auch nicht, daß ein folder Komet über die 
Erde Ungläd und Zwietracht bringe? — Ic glaube es 
nicht, antwortete id; ganz unmöglid wäre es aber doch 
aud) nit. Brauden wir don, was das betrifft, zum craf- 
fen Aberglauben unfere Zuflucht nicht zu nehmen. Daß 
ein fehr großer naher Himmelstörper auf unfere Atmofbbäre 
Einflug haben Tann, leidet feinen Zweifel. Wie viel wirkt 
(don der Heine Mond mit Ebbe und Flut. Die Luft 
wirft auf die Körper der Menſchen, und ihre Körper auf 





Der Komet. 15 


" ipren Geift. Wohl möglich, dag eine folde VBerfiimmung 


im Grogen wie im Kleinen mitunter ftatt finden Fönne. 

Die Phantafie, ſprach mein Freund nad einigem 
Schweigen, erfhöpft ſich in Hypotbefen, wo der Verſtand 
nicht Länger binteicht. Du wollteſt mid, erheitern, Albert, 
mir das Ungeheure lieblich machen, und jept erfheint Dir 
ein unſchuldiges Himmelslicht ſelbſt als ein Ungeheuer. 


Der Komet. 





Unfer Aftronom hatte jept alle Naͤchte auf der Etern« 
warte volauf zu thun mit Berechnungen und Wahrneh⸗ 
mungen. Concordia lichte nicht diefes Nachtwachen, denn 
er war von einer zarten Konftitution, ſah blaß aus und 
befand ſich nicht immer wohl. Ihr Betragen gegen ihn 
mar aber immer wie das der Jochter zum Vater. Sie 
widerſprach ihm nie, weil fie eine unbedingte Hochachtnng 
für feine Gefinnungen und Meinungen begte; und gegen 
das, was ihn vergnügen konnte, wagte fie feine Silbe ein- ' 
zumenden, aus Furcht feine Freude zu flören. 

Als der Komet feine Größe erreicht hatte, erregte er in 
uns ein fhauderhaftes Bewundern, wenn er fo fhräg am 
Himmel über unfere Heine Inſel feine blaßleuchtende Ruthe 
ſtrecte. Doch machten Die Umgebungen von Bald und 
Hügeln den Anblic drunten weniger fürdterlih. Als ung 
aber van Leuven einlud, ihn auf dem Felſen zu beſuchen 


16 Der Komet. 


> 
und wir droben das Nebelbild in füͤrchterlicher Einfamteit 
am Firmamente faben, da fanden uns die Haare zu Berge. 
Denä_als ein trübes mattes vicht im dunteln Grabgewölbe 
der Ewigkeit hing er nadhlißig da, als ob er von dem 
Nagel berunterfallen wollte, während die andern Sterne 
in den Hintergrund zurüdtraten, um den Eindrud des fel- 
tenen Gaftes nit zu flören. Und drunten faufte das 
bieierne Meer ein Sterbelied, oder einen Choral, als ch 
alle die feit der Sündflut Ertrunkenen fi bören Liegen, 
und ihre bleihen Häupter aus der Nacht emportaudten, 
um die Todeskerze am Himmel zu feben. 

Eine traummandelnde Lady Macbeth im Großen — 
fagte Concordia. — Minga war au mit, und fab durch 
den Tubus; fie warf ihn aber erſchrocken aus der Hand, 
hielt fid die Hände vor die Augen und rief: Hu, hu! gräß 
lid. Den Kopf der Enthaupteten! Das Haupt der Donna 
Eleonora, von der Stange gefprungen, hoc in der Luft 
ſchwebend — todfenblag — ſchon etwas verfault — die 
lichtgelben Haare im Binde flatternd. Don Cyrillo Hatte 
recht! Man kann die Sterne dadurd ganz deutlich, fehen. 

Nun, Ihr tollen phantaifhen Menſchen — ſprach van 
Leuven, aͤngſtlich nad) feinem Fernrohre greifend, (fi) aber 
berußigend, als er es noch ganz fand), — jeßt habt Ihr 
über meinen Kometen genug gefabelt und geträumt, Laßt 
mich jeßt mit meinen Berechnungen allein. — Willſt Du 
denn heute Nacht wieder nicht zu Bette geben, mein Lie⸗ 
ber? frug Goncordia. — Drunten im Felſenſtübchen werde 
ich recht ordentlich ausruhen, ſobald es tagt, fagte er. 

Diefe bedeutungsvollen Worte waren die Iepten, fo wir 
aus jeinem Munde hörten. Ach! es ahnete ung gar nichts. 
— Us id mit Goncordien nad) Haufe ging, (denn Minga 


Der Komet. 17 


war vorausgelaufen) ſprachen wir nur von ihm, und fie 
konnte nicht aufhören, feinen liebenswürdigen Charakter zu 
rühmen. Ihr glaubt nicht, Albert, ſprach fie, welche Ger 
malt diefer herrlihe Mann über mein Herz gewann, glei 
das erfte Dial, als er meinen Bater in Handelsgefhäften 
beſuchte. Man fagt, Shatkeſpeare Habe beinahe alle menſch⸗ 
lichen Charaktere gezeichnet, allein dieſen nicht. Und das 
war wohl aud) imöglid; denn was dramatiſch auftreten 
fol, muß fi produciren; muß Gigenheiten zeigen; und 
mein Karl Franz, obſchon ein Mann, der ſich überall Ads 
tung, oft Ehrfurcht erwarb, zeichnet ſich dod vornehmlich 
in den qriſtlichen Tugenden aus, welche dod die edelften, 
obſchon fie negativ find. Die meiften ausgezeichneten Den« 
ſchen find lieber grogmüthig als gerecht, theilen Lieber einen 
Genug mit andern, als fie ſich ihretwillen etwas verfagen, 
ſprechen beffer als fie hören, denken felbft leichter, als fie 
Anderer Gedanken in ſich aufnehmen. So nicht er! Wenn 
er mit einem Freunde, mit feiner Frau ſpricht, ift er ganz 
Ohr, ganz Aufmerkfamfeit, ganz Gedähtnig. Die feinſten 
Züge entgeben feinem Zartgefühle nicht. Alles konnte er 
für einen Freund aufopfern, denn der größten Anftrengung, 
dem unangenehmften Gefhäfte konnte er ſich unterziehen, 
um ihm eine Freude zu machen, einen Dienft zu leiſten. — 
Ihr meint, er fei nicht poetiſch genug, und ich geftehe, fein 
Geift und feine Bildungsweife haben durch ganz andre Bee 
ſchäftigungen eine entgegengefegte Richtung befommen. Er 
lieſt nicht ſelbſt viel in dichteriſchen Werfen, weil ihm feine 
Wiſſenſchaften die meifte Zeit nahmen. Allein von zweiter 
Hand weiß er doch alles. Und was fagt Ihr dazuz unfere 
meifte Unterhaltung beftcht darin, daß ich ihm Dichterwerke 
vorerzäble, die ich gelefen habe? Gewiß verlieren fie durch 
Schlenf. Schriften XVII. 2 


18 Der Komet. 


meinen Mund vieles von ihrer Lebendigkeit und Friſche; 
allein das erfeßt die Liebe, die er zu mir trägt: und ich 
fühle deshalb tief: es iſt meine höchſte Pflicht, diefem hei» 
ligen Menſchen von ganzem Herzen ergeben zu fein. 

So redend hatte fie ihren Arm leiſe aus dem meinigen 
gezogen, und legte die ſchoͤne Hand, die ich kaum leiſe zu 
drüden gewagt hatte, auf ihr Herz. — Ih fab zur Erde, 
eine Thräne der Unmuth entquoll meinem Auge, weil fie 
ſich fo raſch von mir zurüdgezogen batte, als ob fie mir 
dadurch einen Verweis geben wollte. Gewiß — rief ih — 
Euer Ehegatte it edel und gut; ich Liebe ihn, und will 
ibm fein Iota feines Verdienftes rauben, das Euch mit 
Recht entzüdt. Allein, was die Entfagung, die Aufopfe- 
rung betrifft — ich glaube Euch, daß er eines Freundes 
wegen Verzicht auf vieles thun könnte; — das wäre für 
feinen rubigen fanften Charakter gewiß nicht ſchwer. Allein 
das braucht er nicht! Er ift ruhig im Befiße des böchſten 
Erdenglüds. Denkt Euch aber eine Seele voll Feuer, ein 
Herz ‚voll Liche, ein Gemüth voll Drang ſich mitzuteilen, 
einen Geift, der nad Sympathie ſchmachtet, — umd der 
doch darben, doc entfagen, doch ſchweigen muß, und es 
gern thut, weil es Pflicht, weil es Tugend und Freund⸗ 
ſchaft gebeut! — Bei'm ewigen Gotte, ein folhes Weſen 
verdient auch nicht, mit Härte und Mißtrauen behandelt 
zu werden. 

O, mein lieber, guter Albert, rief fie betrübt, hab’ 
id) Eud beleidigt? Seid Ihr mir böfe geworden? — Ihr 
sieht Euren Arm aus dem meinigen, fagte id weinend; 
bab” ich diefe Kälte, diefe Yengftlihkeit, diefen fummen 
Vorwurf verdient? — Nein, bei Gott nitl rief fie, und 
reichte mir die Hand, die ich mit Küſſen bededte. — Ewige 





Der Komet. 19 


FZreundſchaft! reine unfhuldige Freundſchaft bis in den 
Tod! riefen wir. — Ic drüdte fie an meine Bruft, meine 
Lippen brannten auf die ihrigen. Da ſtieß fie mich wild 
eriroden zurüd. Um Gotteswillen, rief fie vol Ent 
fegen — das Ungeheuer! Seht Ihr nicht das Ungeheuer, 
das uns belanſcht? Der Mond hat ſich in ein drohendes 
Geſpenſt verwandelt, 

Ib fah binauf durch die Baumzweige, der Komet 
fand eben dicht beim Monde. Sie hatten fih begegnet, 
waren wie in einander gefhmolzen, und der lange Komes 
tenſchweif ſtrecte fi wunderbar hinaus vom untern Horne 
der Mondſichel. — Aufgeſchreckt und verfiimmt trennten 


wir ung. 


Lemelie war in diefen Tagen frank geweſen, und hüs 
tete das Bett. Eine große Aengftlihkeit und Unruhe mar⸗ 
terten ihn: er fonnte den Kometen nicht ausftehen, nannte 
ihn cin Teufelsgefiht, und blieb in feiner Zelle, wo ibm 
Minga das Eflen brachte, welches er doc gierig genug ver» 
ſchlang 

Den Morgen darauf, als Concordia und ich uns beim 
Früpftüd zufammen fanden, erftaunten wir über Minga; 
denn fie mar ganz verflört. Die Haare hingen ihr unor⸗ 
dentlih um die Schultern, fie war ganz afdıgran im Ge⸗ 
fiht. und wollte fein Wort ſprechen. Wenn wir fie anre- 
deten, fhüttelte fie verzweifelt den Kopf, und zeigte nach 
Lemelies Höhle. — Iſt er todt? fragte ih. — Sie ſchau⸗ 
derte zurüd, fab mid mit flarren Augen an, und nidte 
dabei ganz leife. 

Ich eilte in Lemelies Zimmer. Gr lag im Bette eis⸗ 
falt, und zitterte unter der Dede. Die matten Augen 
brannten im Fieber, ich hörte ihn einige Gebete undeutlich 

. 2° 


20 Der Komet. 


berfagen, er verfuchte vergeblich die Hände zu falten; 
Schaum ftand ihm vor dem Munde. — Der Parorismus 
mußte lange gedauert haben, denn wie ich hineintrat, er» 
bolte er fid etwas, kehrte die Augen ſchüchtern nad mit, 
reichte mir die eisfalte Hand und fagte: Ad, Fieber Albert, 
feid Ihr da? Ich babe cine ſchrecliche Nacht gehabt, bin 
wieder am Rande des Abgrundes geweſen. Reicht mir et⸗ 
was Palmenfaft! — Als er getrunken hatte, frug er un 
rubig: Wo ift die gute Minga? Sie hat die ganze Nacht 
bei mir gewacht, die treue Seele. Ich fürchte, mein Wahn⸗ 
finn hat fie angefteft, denn fie will fein Wort mehr fpre« 
ben. Ich habe fie mit meinen wilten Reden vielleicht vers 
-rüdt gemacht; denn Ihr wißt, wenn ich frank bin, ſpreche 
ich immer vom Teufel und von der Hölle. Beil fie nun 
ſchwarz ift, habe ich fie vielleicht für den leibhaftigen Sa- 
tan angefehen, und bin ihr etwas unfanft an den Hals 
gefahren. Es Hat aber, hoffe ic, keine Noth. Der Adams» 
apfel, der uns Sündern allen in der Kehle ftedt, ift ihr 
nur ein wenig gefhwolln. — Wie befindet ſich die liebe 
Concordia und der gute van Leuven? Werde ih nicht die 
Ehre haben, diefen edlen Gönner bald bei mir zu fchen? 
Ban Leuven, ſprach ich, iſt heute Nat nit nach 
Haufe gelommen, er fhläft auf der Sternwarte. — Adi, 
das ift wahr! verfepte Lemelie, drunten im Felſenſtübchen. 
Sein Geift wandelt Über den Sternen, er mag mit ums 
Erdenwürmern nichts zu thun haben. Es träumte mir 
beute Nacht, dag ich ihm ein Fernrohr gab, wodurch er 
die Sterne und den Kometen noch befler feben konnte. 
Scheint die Beftie noch? — Es ift lihter Tag, Herr Les 
melie, fagte id); der Komet ift im Eonnenlihte verſchwun ⸗ 
den. — Nun, das ift gut, ſeufzte der Kranke; die Sonne 


Der Komet. 21 


darf auch ſolchen Gräuel nicht anfehen. Ich will ihn auch 
nicht feben; ich boffe, er wird ung nicht öfter beſuchen. 

Bir erwarteten alle Yugenblide, daß van Leuven nad) 
Haufe kommen würde, er am aber niht. — Es ward 
Mittag, er kam nit. — Jetzt fingen wir an unruhig zu 
werden. Ich lief nad der Klivpe und Concordia wollte 
durdaus mitgehen. Ihre Unruhe nahm mit jedem Schritte 
zu, und fie fuchte ſich ſelbſt mit allen möglichen Wahrfdein« 
lichteiten zu tröften. 

Er bat da fo lange gefeffen, fagte fie, bis ihn aulegt 
die Müdigkeit überwältigte, dann hat er fih nachher ver- 
ſchlafen. Nicht wahr? Und dann mochte er in der Mits 
tagebige nicht nad) Haufe gehen. Nicht wahr, lieber Als 
bert? — So ift es gewiß! feufzte ich. 


Bir naheten uns der Eleinen Felſentrepbe. — Hört 
Ihr nicht, wie mein Herz Mopft? fragte fie, mid wild an« 
blidend, mid däucht. man kann es Elopfen hören. Ihr 
mügt mir Eure Hand reihen, font falle ih. — Sie eilte 
fo ſchnell, dag mir felber. bang ward, fie möchte hinunter 
ftürzen; id bat fie, nicht fo fehr zu eilen. — Ach, Ihr 
habt Recht klagte fie; laßt uns ein wenig warten, auf dier 
ſem fteinernen Sig ausruhen; fo haben wir dod einige Aus 
genblide die Hoffnung noch, wenn aud das Aergfte einger 
troffen fein ſollte. Man fagt, Gewißheit fei beffer als Un» 
gewißheit, das ift nicht immer wahr; denn — Sie hielt 
inne, und ſprach, ängftli die Hand auf's Herz legend: 
Ich möchte fo gern ein wenig Waſſer trinken. 

Ich will Euch glei etwas holen, rief ih. — Nicht 
doc, fprad fie wieder unruhig; immer munter hinauf! 
Karl Zranz! Mein lieber Karl Franz! Bit Du droben, 


22 Der Komet. 


fo antworte mir mit einem einzigen, theuren, unbezahlba⸗ 
ren Borte, damit id Dir ſchnell entgegen eilel 

Cine Todesftile bertſchte, fie Rürzte hinauf, lief an 
dem fleinen Schlafzimmer vorbei, und trat in die Stern» 
warte. — Da ifi er, rief fie freudig! Er ift nod bier; 
wir haben uns ohne Urſache geängftig. — Hier? frug ich 
Meinlaut, ich fehe Niemanden. — Sein Hut, jaudyzte fie, 
bängt’am Nagel. Und da liegen noch die Papiere, vol 
Zahlen, und Berehnungen. und Bogen und Kometen. Ad, 
feht nur, er hat „Concordia am Rande feines Manuferipts 
geſchrieben, und einen Eleinen Blumenkranz darum gezeich- 
net. Er denkt dod immer an mid, ſelbſt unter den ernſt⸗ 
bafteften Beſchaͤftigungen, und „Albert Julius“ ſteht auch 
da. Und meit entfernt, tief im Winkel drunten, hat er 
ganz Mein mit vorher Dinte „Lemelie” gefchrieben. — Jetzt 
binunter in’s Schlafſtübchen, den lieben Siebenſchläfer zu 
weden. 

Eie eilte hinunter — aber die Lagerftätte fand leer; 
kein Menſch fhien da heute Nadıt gerubt zu haben. — Er 
muß aufs Bollwerk. Hinausgegangen fein, rief fie — fri⸗ 
ſche Luft zu ſchöpfen — da hat man eine freiere Ausſicht 
über die Gegend, da werden mir ihn bald entdecken. — 
Vol ſchlimmer Ahnung folgte id nad, und dachte nur Da» 
tan, Goncordien vom Hinunterfallen zu retten. — Es that 
Noth! Sie ſtarrte hinunter, taumelte am Nande des Ab» 
orunds, flieg ein lautes Geſchrei aus, und wäre id ihr 
nicht zu, Hülfe gefprungen, fo wäre fie fier in die Tiefe 
binunter geſturzt. 

Sie lag in meinen Armen, einer Todten aͤhnlich; ich 
trug fie in’s Meine Schlafzimmer, legte fie auf's Bett, eilte 
mieder binauf, fhaute in die Tiefe unter mir, und war 


Begräbnig nud Geburtstagsfeier. 3 
ſelbſt nahe daran, in den Abgrund zu ftärzen; denn ich ent 


dedte den Beihnam meines theuren Freundes drunfen, n fin 
merlid) auf dem Zelfen zerſchmettert. 


8. 
Begräbnig und Geburtstagsfeier. 





Ich kann Euch unferen ungeheuren Schmerz nicht des 
ſchreiben. Concordia und ic) liefen durch den unterirdifhen 
Gang nad) dem Strande zu und fanden den, todteu Körper 
unferes feligen Freundes auf dem Sande, von feinem un⸗ 
ſchuldigen Blute gefärbt. Das. Haupt war zerfhmettert 
er konnte feinen fhmerzlihen Tod gelitten haben. Das 
Fernrohr hielt er noch feſt in der kalten Hand; und — 
wunderbar genug. von den zerbrechlichen Gläfern war feins 
zerbrochen. Ich befige den Tubus noch, und habe oft das 
durch nachher nad) dem Himmel gefhaut, wohin mein ed⸗ 
fer Freund vorausgegangen, und id ihm bald folgen werde, 

Ich ließ Concordia bei dem Leichname aurüd, während 
ih Minga holte. Lemelie war kränker als je, und das 
Fieber fcyättelte ihn fo gewaltig, daß ich ihm das Unglück 
nicht gleich fagen mochte, um feinen Zuſtand nit noch är- 
ger zu machen. 

Minga erſchrak nicht, als ich ihr die Trauerkunde 
brachte, aber fie meinte fehr, und ſchüttelte den Kopf. Sie 
konnte noch nicht ſprechen, nur einen heiſern Ton von ſich 
geben, und ihr Hals war fehr geſchwollen. Sie hatte ſelbſt 


24 Begräbnig und Geburtstagsfeier. 


Blutegel daran gehängt, und heilfame Blätter gekocht, wos 
mit fie ſich gurgelte. — Werden wir auch noch diefe treue 
Seele verlieren? dachte ich im Hingehen; bat der Böfewict 
fie auch noch erdroffelt? Ach jet kann uns fein Unglüd 
mehr unerwartet kommen; das Ungeheuerfte ift geſchehen. 
Drunten fanden wir das treue Weib über den Leiche 
nam bingeftredt. — Ich babe mic) gefaßt, ſprach fie fanft 
meinend. Der frifhe Seewind hat die wilde Wuth meiner 
Verzweiflung über die Wellen d'nweggeſpült, fie fol die fer 
lige Todtenftille meines Geliebten nicht unterbrechen. Meine 
Seufzer werden ihn nur wie Heine traurige Elfen umfäs 
Gen. Ale Chriſt Hat er gelebt, als Chriſt iR er geftorben. 
Als er geftern von mir Abſchied nahm, um wieder auf die 
Sternwarte zu gehen, börte ic ibn im Weggehen noch fo 
freundlich rührend diefe Worte des Morgenliedes fingen: 


Rimmft du mich Go:t in deine Hände, 

So muß gewiß mein Lebensende 

Den Meinen auch zum Troft gedeih'n; 

Es mag gleich ſchnell und Mäglic fein. u 


- Das war fein Schwanenlicd! Eine Prophezeiung ſei⸗ 
nes Cchidfals. — Ad) feht, Albert wie der Trauring noch 
fo heil und golden auf feinem blutigen Finger glänzt! Das 
bedeutet, er ift mir freu bie in den Ted geblieben. Ia, 
ich weiß c6, er war ganz, ganz mein. Kein phantaſtiſcher 
Gedanfe, kein fremder Neiz, kein fhwärmerifhes Gefühl 
tonnte fein Herz nur einen Augenblick von feiner Concordia 
abmendig maden. Und darum verdient aud nicht mein 
Ring, den ich feinem kalten Singer entziche, ihm in's 
Grad zu folgen, nicht, daß ich ihn neben den feinigen ſtecke. 
Er fol an meinem linken Zeigefinger fiken, mid an fire 





Begräbnig und Geburtstagsfeier. . 25 


Treue erinnern, und mir immer ein ftiller Vorwurf fein, 
Und doch — Gott weiß, er war mir unendlich lieb; ich 
babe nie aufgehört, ihn zu lieben, und ich werde von dies 
fem Augenblide feine frohe Stunde mehr haben. Allein, " 
mein lieber Karl Franz, ich will mich zwingen — zwingen 
aus Pflicht. Der Sqhmerz foll dies Herz nicht brechen, 
denn. ich befige von Dir ein Iehendiges Pfand unter dem 
biutenden Herzen, das ich fhonen muß. Du follt mir in 
Deinem Kinde wieder Ichen. Ich werde Deine treuen edlen 
Züge im Geſichte des kleinen Geſchöpfes wieder entdeden, 
werde ihm taͤglich von feinem feligen Vater erzählen, drr 
jegt im Himmel ift, wo die Sonne fheint und die Sterne 
glänzen, wonach fein irdifhesAuge immer fo ſehnſuchtsvoll 
ſchaute. Ad, mein gelichter Freund! warum foltet Du 
doch nie die Baterfreude genießen, der Du fo ganz zum 
Bater geſchaffen wareft? 

Eine reihe Thränenflut badete das fhöne Geſicht der 
Leidenden. Sie küßte ihrem todten Gatten den Mund und 
die Hand, drauf richtete fie ſich wieder auf und forad: 
Meine Freunde! beftattet jegt den Leidinam zur Exde, ich 
will ihn nicht öfter fehen. — So verließ fie den Todten 
mit langfamen Schritten, in ihr Gewand gehüllt. Am 


Eingange des unterirdifhen Ganges kehrte fie fih noch ein» - 


mal um, warf dem Leichnam einen Kuß zu, richtete die 
Augen gen Himmel, und verſchwand im Dunkeln. 

34) faß lange auf dem Zelfenblode und ftarrte meinen 
feligen Freund an, während Minga ihm das Gefiht und 
die Hände wufh, und vom Duellenrande Blumen holte, 
damit den Leichnam zu fhmüden. Cie ſprach kein Wort, 
weine aber oft, Rüßte ihm alle Augenblide die Hand, und 
ſah hinauf nad den Bolten. 


% Begräbnig und Geburtstagsfeier. 


Minga, fagte id), wir wollen ihn nicht begraben, Sieh 
mal alle die Zodtengrüfte im Felſen, die ihre offenen 
Schlünde gegen das Meer hinausfehren. In einer ſolchen 
Höhle wollen wir unfern feligen Freund beiſehen, und den 
Eingang gegen Vögel und Eeethiere vermauern. 

Minga drüdte treuherzig meine Hand, und wir bradje 
ten den Tag damit zu, das Grab zu verferfigen. Eben 
als mir das Iehte Loch der Mauer zuſchließen wollten, ſtieg 
der Mond aus dem Meere, und fhien durch die Höhle, 
heiter und freundlid auf den Leichnam, und auf den Hoff 
nungsanfer draußen in den Wellen, gerade dem Eingange 
des Grabgewolbes gegenüber. Ich übte die Verrichtungen 
des Predigers aus. Id) fang das Grablied: „Iefus meine 
Zuverſicht,“ warf etwas frifhe, fhmwarze Erde über ihn, 
die ich von der Infel mitgenommen hatte, (denn hier unten 
mar nichts als Sand) und ſprach: „Menſch, aus Erde bift 
Du entftanden, zur Erde folft Du werden! Aus der Erde 
ſollſt Du wieder auferfichen.” Wozu die gute Minge 
mit beiferer Kehle, aber. doch vernehmlic ihr Amen beis 
Rimmtg. 

Als Concordia nad; Haufe gefommen war, wohin fie 
in ifrem Schmerz, gegen Gewohnheit, allein opne Minga 
ging, weil fie Lemelie im Bette krank liegend glaubte, fand 
fie ihn ganz heiter außer der Höhle ſihen, feine Pfeife ran. 
end. Als er ihren Kummer ſah, fagte er: Tröftet Euch, 
liebe Fraul wir mäffen alle erben, früher oder ſpäter. 
Bolten wir Über das Unglück des Andern immer trauern, 
wie tönnten wir dann im Leben eine vergnägte Stunde ges 
niegen? Denn es begegnet alle Tage fo etwas, und es ver⸗ 
geht fein Augenblid, wo nicht ein Menſch ftirbt oder zur 
Erde beftattet wird. Alle Augenblide werden aber auch 





Begräbnig und Geburtstagsfeier. 27 


wieder Menfchen geboren, getauft und verheirathet, und fo 
mag das Eine das Andere aufmägen. Der Wille vermag 
Vieles, fagen ja die Philofophen, und deshalb babe ich 
mid aud) jegt aller trübfeligen Gedanken entfhlagen, und 
will nicht länger krant fein. Ich raue mein Pfeifen, 
trinke mein Bläschen, und befinde wich wieder beſſer. Co 
mird es auch Euch geben, menn die Leidenſchaft ausgetobt 
bat. — 

Contordia märdigte ihn feiner Antwort, und ging 
nad) der Eommerlaube, wo wir fie allein trafen. Ich 
batte an der treuen Schwarzen gemerkt, dag fie fehr uns 
ruhig nad) ihrer Herrin hinaufeilte, fobald fie hörte, Con⸗ 
cordia fei allen nach Haufe gegangen. 

Lemelie merkte wobl, dag wir ihn verabſcheuten und 
geſellte ſich in einigen Tagen nicht zu ung. Minga konnte 
noch nicht ſprechen, doch fing die Geſchwulſt allmäplig an 
nachzulaſſen, fo da feine Gefahr länger dabei war; wenn 
vieleicht auch ihre Stimme noch lange daran leiden konnte. 

Vierzehn Tage nach dem Tode van Leuvens hatte Le⸗ 
melie Gelegenbeit- geſucht, Goncordien allein zu ſprechen; 
fie wollte ihn aber nur in Mingas Gegenwart hören, und 
da hatte er ihr geradezu einen Heiraths⸗ Vorſchlag gemacht. 
Sie Hätte nur zwiſchen Zweien zu wählen — fagte er; 
weil jept er und Herr Albert die einzigen Männer auf der 
Infel wären; und da zweifle cr denn nicht, daß fie ihn, 
einen Offizier vom älteften franzoͤſiſchen Adel, einem gewe⸗ 
fenen Komödianten, Schuhputzer und verlaufenen Schul 
tnaben vorziehen würde. — So viel will id Euch nur noch 
fagen, Madame, verfeßte er, — fpannt nicht den Bogen 
gar zu hoch, er könnte zerfpringen. Zu einem Zweikampfe 
mit mir hat der elende Menſch keinen Muth; es giebt aber 


2 Begraͤbniß und Geburtstagsfeier. 


aud andere Mittel, eines beſchwerlichen Kerls los zu wer⸗ 
den. Bolt Ihr ihm mohl, fo fagt ihm für's Erfte kein 
Wort von dem Vorgefallenen; und feid Ihr mit meiner 
Ungeduld unzufrieden, fo bedenft, dag Ihr allein daran 
Schuld feid, und daß es in Eurer Macht ftcht, mid zum 
gefhmeidigften, freundlichſten Menfchen zu machen. 

Die arme Concordia wußte nicht, was fie antworten 
follte, feine Drohungen gegen mid) hatten fie im höchſten 
Grade erſchreckt. Sie bat ihn um Gotteswillen, ruhig und 
vernünftig zu fein, und ihren Zuſtand zu bedenken. — Ih 
gebe Euch noch drei Tage Friſt, fprad er. Euer Kind 
will ih als das meinige annehmen. Aber meine Frau 
müßt Ihr werden.” Ich will nicht länger warten, habe 
ſchon zu lange gewartet. Der gute Albert ift ja fhon Kür 
fter geweſen, fo mag er den Predigerdienft gelernt Haben. 
Er kann uns nah den Formeln Eurer eigenen Kirche 
trauen, damit Ihr Euch feine Skrupel machen follt. Das 
iſt mir alles eins, wenn ich Euch nur befiße. 

Damit ging er. Concordia vertraute mic Alles, als 
wir uns allein fahen. Wir waren im der größten Angft! 
Dem Lafter ftehen taufend Mittel zu Gebote, wo die Tu- 
gend oft fein einziges weiß. Minga dagegen war in der 
letzten Zeit gegen ihre Gewohnheit ruhig und heiter gewor⸗ 
den. Sie fing auch an, etwas zu ſprechen, und fagte: 
Lapt mid nur machen, und fürdtet Euch nicht. Lemelie 
bat mir gefagt: daß morgen fein Geburtstag fi. Ihr 
mügt mit ihm effen, feine Gefundheit trinken, und ihn wies 
der verfößnen. Alles wird noch gut werden, wir wollen 
ihn ſchon zur Ruhe bringen. — Aber nur keine hinterliftis 
gen Mittel, gute Ming, riefen ih und Concordia zur 
glei. — Alles offen, ehrlich und gerade zu, antwortete 


Begräbnig und Geburtstagsfeier, 3 


die Schwarze. Kein Gift im Eſſen noch im Weine, wir 
genießen ja alles gemeinfhaftlih. — 

Bir liegen fie machen, und fie bereitete eine gute 
Mablzeit, wozu fie Zemelie einlud. Als er mit ung in das 
große Gewölbe trat, fahen wir einen Blumenkranz um 
feinen Namenszug, eben an dem Drte, wo der eiferne 
Schiffsleuchter des Don Epyrillo- gehangen hatte; und da 
mo fein erftarrter Leichnam geſeſſen, war für Lemelie ge- 
det. — Er fand fid dabei gefhmeichelt, weil er wähnte, 
Concordia habe es getban; als er aber hörte, die Aufmerk- 
famteit rühre von Minga ber, äußerte er finfter: Das 
hätte ich begreifen follen; das ſchwarze Thier weiß nicht 
einmal Difteln von Blumen zu unterfheiden, fie hat mir 
einen Kranz von lauter Unkraut zufammen geflochten. 

Hübſche Farben! rief Minga heifer; blau und gelb 
und roth und grün. So brauden wir’s an den Küften 
Senegals, wenn wir unferm Könige eine Ehre erweiſen 
malen Sept Euch, erquit Euch, mein Herr und Ge 

ieter! 

Die Unterredung bei Tiſche ſtotte im Anfange alle 
Augenblide. Als aber Lemelie tüchtig getrunfen hatte, 
ward er munter. — Der Komet, fagte er, verfämindet 
jetzt alle Abende mehr und mehr, fo fol aud) die Verlegen⸗ 
beit und das Migvergnügen unter uns verfhwinden. Din» 
ga! reiche mir dod das Meſſer, damit ic) die fhöne Mes 
Tone unter ung vertheile. 

Minga brachte das Mefler, als er ſich aber zurück auf 
dem Stuhle bog, und den Arm ausſtreckte, um das Mefs 
fer zu empfangen, ftieß ihm die Schwarze den ſchneidenden 
Stahl in die Bruft, fo daß fein Blut den Tiſch befpräzte, 
und er nad) einigem Wanken vom Stuple herunter fiel. — 





30 Begräbnig und Geburtstagsfeier. 


Als Minga den Boͤſewicht verwundet hatte, rief fie: 
34 fomme wieder, wenn er geftorben it! und lief in den 
Bald hinaus. Lemelie mar toͤdtlich vermundet, ftarb aber 
erſt zwei Tage darauf in großen Schmerzen. Bir ver 
banden ihn fo gut als mir konnten, und brachten ibn zu 

. Bette. Er litt gewaltig, mitunter auch von Gewiſſensbiſ⸗ 
fen, die er aber.mit Palmenfaft und feiner elenden Philo⸗ 
ſobhle zu betäuben ſuchte. Bor feiner Mörderin war ihm 
noch immer bang, und cs berubigte ihn etwas, als er 
börte, fle fei wweggegangen. 

Bir bedauerten ihn, und baten ihn, nod während es 
Seit war, feine Seele reuig an Gott zu wenden. Er big 
aber die Zähne zufammen, der Schaum ftand ihm wieder 
vor dem Munde und er rief: Macht mir mit dummen 
Geſchwaͤt meinen Zuftand nicht noch ärger. — Bir ſchwie⸗ 
gen, Concordia ging hinaus, und er verfehte fanfter: Herr 
Albert, reiht mir doch das gefpriebene Heft da aus der 
Schublade. Ih ann nicht länger leben, und fterben kann 
ich auch nod nicht. Vieles fhmerzt mid; am meiften Euer 
einfältiges Mitleid, Eure närrifhe Einbildung von meiner 
außerordentlichen Boeheit. — Ihr feid noch Kinder, junge, 
unerfabrne Menſchen, die die Welt nicht fennen, und bier 
auf diefer Infel werdet Ihr ſchwerlich Gelegenheit finden, 
Eure Kenntniffe zu erweitern. Leſet meine Geſchichtel Ich 
bin auch Schriftftellee geworden, und habe mir in der fcß- 
ten Seit, wie Don Cyrillo, damit die Langeweile vertrie- 
ben, meine Begebenheiten aufzuzeichnen. Ihk werdet fehen, 
mie id) es getrieben, haben es Viele getrieben, und die 
meiften meiner Zeitgenoffen waren ärger als ih. Gebt in 
Eure Zelle und leſetl Laßt mic allein beim Palmenfafte. 
Eine Pfeife fann ic) auch wohl nod rauhen, wie ein ar⸗ 


Lemelies Lebensgeſchichte. 3 


mer türkifher Eau, der lebendig gefpiegt ift, und dem 
das Eifen noch nicht die edleren Theile verwundet. Wenn 
Ihr fertig feid, kommt zurück! IH will Euch den Reſt er⸗ 
zählen. Denn ic fühle, id kann nicht fterben, ehe ih vor 
Euch gebeichtet habe, obſchon Ihr Ketzer feid, die mich 
nicht abfolviren können. Macht nur, dag ich die Schwarze 
nicht wieder fehe, dann hat «6 keine Noth. — 

Ich nahm das Heft, ging zu Concordia in unfere ge⸗ 
meinfhaftlihe Höhle, und las mit ihr die Bekenntniſſe, die 
ich Euch bier mittheile. 


4. 
Lemelie's Lebensgeſchichte. 





Id bin zu Paris im Jahre 1590 geboren, chen in der 
Hrogen Hungersnoth, als die Pfaffen durch Prozeffionen 
die Zeit vertrieben, und Predigten: wer vor Hunger ftürbe, 
ftürbe den Martyrtod. 30,000 Menſchen maren fhon vor 
Hunger hingeſchmachtet, und Heinrid der Bierte konnte 
doch noch nicht Paris einnehmen. Ih ftamme aus 
der alten Samilie "*""*, meine Eltern waren aber blut- 
arm, und bewohnten ein Meines Haus in der rue de la 
ferroniere; denn fie gehörten zur Partei der Guifen, und 
hatten, ale Heinrich der Dritte den Herzog von Guife 
duich adıt Edelleute erdolchen lich, kaum das Lehen geret- 
tet. Iept lebeen fie ſtill und ängftlid unter dem angenom ⸗ 
menen Namen Lemelie, trieben ein bürgerliches Gewerbe, 


32 Lemelies Lebensgeſchichte. 


und verdienten ihr Brot damit, lakirte Papparbeiten zu 
machen, welches Handwerk mein Vater in beffern Tagen 
6108 zum Vergnügen gelernt hatte. 

Ich börte in meiner Kindheit nichts, als von Mord 
und Vergiftung. Meine Eltern waren eifrige Katholiken, 
baten die Hugenotten auf's Blut, und ſprachen von der 
Bartholomaͤusnacht, von dem Morde des Admirals Coligny 
und von der Vergiftung des Prinzen Eonde, mit der größ- 
ten Entzüdung. Die Königin Katharina de Medicis, ein 
Weib von allen Zaftern zufammengefept, ward uns als ein 
Mufter aller Frauen gepriefen. Man ſprach von dem lie, 
benswürdigen Zuge Karls des Neunten, dag er felbft durchs 
Fenſter, auf feine Unterthanen ſchoß, und „Zödtet! Tödtet!“ 
tief. Heinrich der Dritte war aber meinen Eltern von 
Herzen verhaßt, weil er den Herzog ermordet hatte; und 
ihre Freude war groß, als der gottesfürdtige Moͤnch Ia- 
tob Element fi) als Supplitant zu ihm hineinwagte, und 
ihn auf dem Nachtſtuhle, wo er, von Hofleuten umringt, 
Audienz gab, ermürgte. J 

Bas baif aber die Bartholomäusnacht, wenn man 
einen Keper, wie Heinrid den Bierten, auf den Thron 
feßte? Sobald er König werden konnte, ſchwur er feinen 
Glauben ab. Konnte man aber auf diefen neugebadenen 
Glauben bauen? Tapferkeit konnte man ihm freilich nicht 
abſprechen, und fein Suly war ein recht guter Rechenmei⸗ 
fer; auc gefiel dem gemeinen Volke ſehr feine Aeugerung, 
dag, wenn ihn Gott leben laſſe, fole jeder Bauer im Kür 
nigreiche, wenigſtens alle Sonntage fein Huhn im Topfe 
baben. Man kannte ihn aber übrigens recht gut; er war 
ein wäthender Spieler, und der Unzudt fo ergeben, wie 
Einer; auch ſah er oft nicht viel anf die Mittel, die ihn 


Lemelies Lebensgeſchichte. 33 


zum Zwede führten. Er pflegte fid darüber ſpaßhaft fo 
auszudrüden: Ich vergolde die Böfen alle Tage, damit das 
Blei ihrer Bosheit nit fihtbar werde. 

Weil er num nicht alles Blei vergolden konnte, blieb 
immer ſichtbares Blei genug übrig, und man dachte nur 
daran, wie eine unſichtbare bleierne Kugel ihn treffen, oder 
wie man ein unfihtbares Eifen gegen ihn wehen könne, 

Erſt verfuchte der Jeſuitenſchuler, Johann Chatel, ihm 
einen Streidy zu verfeßen, that es aber fo ſchlecht, dag er 
ihm nur ein Paar Zähne in den Mund binein ftieß; wo⸗ 
durch er Niemand als die ſchöne Gabriele beträbte, wenn 
fie der König küffen wollte. Es follte aber beffer tommen! 
Die ungeheuren Todesmartern des armen Chatel erbitter- 
ten die Herzen nod mebr, und bald fand ſich in unferer 
Nachbarſchaft ein Mann, der die Sache verftand. 

Natürliherweife mollte fi) fein vernünftiger Menſch 
zu folder Aufopferung hergeben. Denn mas ginge ihn 
das Heil Frankreichs an, wenn er felbft lebendig gerädert 
werden follte? Glüdlihyermeife giebt es aber immer der 
gutherzigen Narren genug, mit deren Pfoten man die heir 
Ben Kaftanien aus der Aſche berausziehen Tann, ohne ſich 
felbſt die Finger zu verbrennen. Ein folder Schwärmer 
lebte in unferm Quartiere, id) Iernte ihn durd einen Zu⸗ 
fall fennen 

Ich machte ohngefähr achtzehn Jahre alt fein, als ich 
eines Abends ziemlich ſpät im Garten der Zuillerien ſpa⸗ 
zierte, wo mir ein huͤbſches Mädchen ein Stelldichein gege- 
ben hatte, 

Als ich fo herumging, und vergeblih in der Nähe 
eines Teiches wartete, hörte ic), bei der verabredeten Hede, 

Oedlenſ. Eqhriften XVIIL, 3 


34 Lemelies Lebensgeſchigte. 


lögtih Jemand in's Vaſſer fallen. Ich fürhtete, daß es 
mein Maͤdchen wäre; das Baffın war nicht tief, und it 
Mürzte mid ohne Bedenken ins Bafler, um meinen Gold» 
RI wieder zu fangen. Statt des Goldfiſches hatte ich 
aber eine garfige Kröte zu packen bekommen. Es war ein 
biglier alter Menſch, bla, hager mit einem großen 
Maule, ſchwarzen Zäpnen, und matten Kleinen ſchiefen Aus 
gen, die er aber fehr andägtig gen Himmel kehrte. — Er 
füpte mir die Hand zu wiederholten Malen, und dankte 
“vielmals, dag id) ihm gerettet habe; nicht, weil er das Le 
ben fo fehr liebe, fondern, weil er glaube zu großen Zwel- 
Ben der Welt geboren zu fein, welche nod nicht in Erfül⸗ 
lung gegangen. 

Ih Hatte keine Zeit, diesmal länger mit ihm zu ſpre⸗ 
dien. fondern eilte, trodne Kleider anzuziehen, und mein 
Mädchen zu finden. Den Abend darauf traf ic aber dies 
fen Menſchen wieder tm Garten, und madıte feine nähere 
Bekanntſchaft. Ein fonderbarerer Kauz ift mir nit vor- 
getommen. Er hieß Franz Ravaillac, ein gewefener 
Ordensbruder, und aus einer armen Patrizier- Familie. 
Er trug ein bärenes Hemd auf dem biogen Leibe, lebte 
meiſt nur von Brot und Wurzeln, geißelte fih oft, und 
ging nur aus, wenn es regnete und blies, um die Todten- 
grüfte zu beſuchen. Als id ihn frug, warum er das thue? 
antwortete er: um das Fleiſch zu tödten, und den Verſu⸗ 
dungen zu widerftehen. Der heilige Hilarion habe fi) des⸗ 
wegen felbft mit Zäuften geſchlagen; Evagrius ftand bei 
Binterzett naft in einem Brunnen, bis er vor Kälte er» 
ftarrte. Das hatte er aud im Garten thun wollen, ale 
ihm ein reizendes Maͤdchen begegnet Avermuthlid) meine 
Liebſte). Weil er aber das Gleichgewicht verkor, und ums 


Lemeltes Eebensgerdißte. 3 


Ken märe er gerotß ertrunten, wenn Ach ihn nicht gerettet 
e. 

Ein Bild, das in der Vorhalle eins Kloſters King, 
und einen lebendig gefhundenen Mäetyeer darſtellte, war 
ihm die liebfte Augenweide. Stumdenlang konnte er mit 
größter Wollur fo ftehen, und die blutigen entblögten Mus⸗ 
kein der Leidenden heiraten, nebſt den Henkersknechten 
die theils die Haut abzogen, theils ruhig wit dem Meſſer 
im Munde ftanden, wie Meßger, die einen Ochſen ſchlach⸗ 
ten. — Bas das füß, mas dag bonigſüß fein muß — 
feufzte er — fo für die gute Sache zu fterben. Sein Blut 
duftete wie Nofen, die Meſſerſtiche ſchmecen ihm wie Am⸗ 
broſial — und mas des tollen Geredes weiter war. B 

Vir lachten oft über ihn, ich und meine Geliebte, das 
Kammermädden der fhönen Maranife de Verneuil, einer 
geweſenen Maitreffe des Könige. Diefe Ehre durfte fir 
leider nicht lange genießen; er verlich fie, nad) feiner Leichte 
finnigen Art, um andern Liehfhaften nachzugehen. Oft 
hörten wir die arme Verlaſſene in ihrem Gemade meinen 
und rufen: Lebt denn kein Chriſtenmenſch, der diefem ln 
treuen feinen Lohn geben will? 

Zu der Zeit ereignete ſich noch etwas, Pas mir einen 
perſonlichen Haß gegen ven König einflögte, Mein Vater 
debte, wie gefagt, von latirten Papparbeiten, aud konnte 

“er von Drangeſchalen niedlige Biskuitſchachteln machen 
Was er nit zu Haufe verkaufte, verkaufte ich für ihn auf 
dem Miorkte, wo id einen Laden und ziemlich viele Kunden 
unter den hübſchen Mädchen hatte, weil ich gut ausſah und 
ihnen allerlei Luftiges Zeug vorſchwatzen konnte. 

Eines Tages kam ein teiher Bauer, und wollte mir 
eine Schachtel abtaufen. Man fagt: Wenn der Narr zu 


3 Lemelies Lebensgeſchichte. 


Markte kömmt, gewinnt der Krämer Geld. Ich merkte 
wohl, der Kerl verftehe ſich nicht auf fo etwas, und ver⸗ 
langte daher zehn Mal fo viel, als das Ding wohl werth 
fein mochte. Beil nun aber der Laffirnis recht rein und 
bell Über dem bunten Bilde glänzte. das Adam und Eva 
im Paradieſe vorftellte, fo ließ ih es der Bauer gefallen, 
und gab das Geld ber. Kaum hatte ic) es in die Taſche 
geftedt, fo kam ein anderer Papparbeiter, und wollte ihm 
ein aͤhnliches Stüd weit wohlfeiler verkaufen. Der Bauer 
verlangte fein Geld zurüd, id) wollte es ihm aber nicht ge- 
ben, und eben in diefem Augenblide ging der König vor- 
bei, denn er hatte es ſich zur Pflicht gemacht, auf den 
Märkten herum zu geben, um zu fehen, ob auch die Bür- 
ger ihr Fleifh und Brot zu billigen Preifen befämen, und 
ob das Hubn bald aus dem Ei gekrochen fein würde. das 
der Bauer ae Sonntage im Zopfe haben follte, 

Der König wollte willen, worüber der Streit entftan- 
den wäre, man fagte cs ihm. — Gieb ihm das Geld gleich 
zurück, Bube! rief der König, entrüftet mit veraͤchtlichem 
Bid. Diefe Beratung trieb mir das Blut in die Wan- 
gen, und ich ſprach: Eire! ih bin fein Bube, ih bin cin 
armer Edelmann, den das Unglüd nöthigt, ein hüͤrgerliches 
Gewerbe zu treiben. — Du beſchimpfſt ſowohl Adel als 
Bürgerfhaft mit diefen Worten, erwiederte der König. Das 
Unglüd nöthigt feinen Dazu, VBetrügereien zu begehen. 
Glaubſt Du etwa, weil Du viedeiht zu den Hefen des 
Adels gehört haft, daß Du ungeftraft den guten Maren 
bürgerlichen Trank mit Deinem Unflate verunreinigen darfft? 
— Id) antwortete in der Berlegenheit etwas unzufammen- 
bängendes Zeug. Der König fehrte fih aber lachend von 
mir und fagte: Der Burſche ſcheint entſchlich einfältig zw 


zusam | on 


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EEE STETTEN 


Lemelies Lebensgeſchichte. 3 


fein; id glaube, er hat es mehr aus Dummheit als aus 
Bospeit gethan. Wir wollen ibm diesmal durch die Finger 
fehen. — Damit ging er. Ich blieb befhämt zuräd, und 
mein Handel mar ruinirt, denn von diefem Tage an, wollte 
Niemand mehr etwas von mir kaufen. 

Ich vertraute meiner Geliebten noch felbigen Abend 
mein Ungläd. Die Marguife fam zu uns hinein, und bee 
Magte ſich auf ihre Weife. Sie hatte Beſuch bei ſich von 
einem fehr vornehmen Herrn. Gr hatte feinen Bedienten 
weggeſchickt, und frug jetzt freundlich, ob ih wohl fo gut 
fein wollte, ihn nach Haufe zu broleiten; denn es war zu 
der Zeit unfiher, allein fpät des Abends auf den Straßen 
zu gehen. Ich hatte nichts zu verlieren, und es freute mic, 
dem großen Herrn einen Gefallen zu thun. Ich mußte ihm 
durd viele Gemächer auf fein Zimmer folgen, obſchon es 
fehr fpät war. Hier ſprach er fehr Leutfelig, allein mit fo 
ſchwacher Stimme, daß id es faum hören konnte: Lieber 
Zemelie! Ihr thut Unrecht daran, den guten König fo fehr 
au haſſen, denn er ift wirklich ein herzenslieber Menſch, und 
würde fi) als Privatperfon, als tabferer Soldat, als an⸗ 
genehmer Gefelfhafter vorzüglich) gut ausnehmen. Leider 
iſt er aber zum König gar nicht geſchaffen, und das ift ein 
großes Unglüd, dem je eher je lieber vorgebeugt werden 
muß. Sein Tod ift ein nothwendiges Uebel, zum Heil des 
Ganzen; und da darf denn ein wahrer Patriot ſich von 
Tiebensmwürdigen Schwaͤchen und Bedenklihfeiten irre machen 
laſſen. Border konnte man freilich mehrere Strupel begen, 
als er noch Ketzer war, jeßt aber hat es mit feiner Selig- 
feit feine Noth; und wenn man ein gutes Mittel müßte — 
das kein Auffehen machte, wodurd man ihn leicht und 
ſchnell in die Ewigkeit verfeßen könnte, — Id gebe Euch 


38 Bemelies Lebensgeſchichte. 


mein Ehrenwort darauf, ein folder Watriet, der diefen 
aligemeinen Wunſch erfüllte, Könnte auf die böchfte Dant ⸗ 
barkeit der meiften Bergen Frankreichs Rechnung machen? 
und eine Geldſumme, die ihn Zeitlebens zum reichen Manne 
machte, würde ihm gewiß zugefihert werden. 

Ich fah dem grogen Herrn ſchelmiſch in die Yugen, 
und antwortete nafeweis: Ihe wagt viel, Monfeigneur, 
mir einen ſolchen Vorſchlag zu than. 

Gar nichts, lieber Lemelie, antwortete er ganz ruhig, 
Euer Leben iſt in meiner Hand, ih babe meine Spione 
überali; aus der Schule zu ſchwatzen und Euch in's gewiſſe 
Berderben zu frürzen waͤre tineriei. — Ich fage es nur 
sam Scherz, gnädigre Here, verfeßte ih. Ihr begreift 
wohl, dag es mir eben fo viel um des Königs Untergang 
zu thun ift, als Euch. Wenn man, wie gefagt, nur ein 
Mittel wüßte. — Nun, es giebt doch eigentlich der Mittel 
genug, bemerkte er. Nacht, Duntelyeit, ein gut geſchliffe ⸗ 
ner Dolch, Lönnen Vieles ausrichten. — Der Tag Tank 
aber Vieles entdeden, fagte id, und in's warme Bad, das 
man dem Jakob Element und dem Johann Chatel geheizt, 
bat man viel Senf und Salz gemiſcht; ich jweifle, daß 
fobald wieder Jemand darnach gelüftet, 

In diefem Augendlide ging mir aber ein Licht auf, 
und id} rief froßlodend: Und doch, gnädiger Herr. — Ihr 
wohnt ja dem botanifhen Garten fehr nahe, wo die ſchöne 
Palme fteht? Könnt Ihr mic einen Palmenzweig verfihafe 
fen — (elbſt Habe ich aud ein reines weißes Hemd), fo 
Pe den Wunſch zu beiderfeitigem Vergnügen durch⸗ 
zuſegen. 

Der große Heer glaubte erſt, dag ich wieder ſpate; 
als id ihm aber alles erklart hatte, fand er den Einfal 


Lemelies Lebenegeſchichte. 39 


vortrefflih. Er verſchaffte wir heimlich den Palmengweig: 
id) z0g ein weißes Hemd über die Kleider, fepte mir eine 
lange blonde Peruce auf's Haupt, und weil ih von Kine 
desbeinen wie cine Kape klettern konnte, (bis in frütere 
Jabre, mo ich an Schwindel leide) fo ſchlich ich mid aufs 
Dach und foazierte über ein Poar Nachbarhäuſer. bie ih 
an Novaillacs Dachſtube kam. Hier brach id) einige Zu⸗ 
gelſteine 106, kroch in’s Zimmer hinein, und verbarg mid) 
im Bintel, . 

Er kam fürg darauf zu Haufe, machte mir mit Pater 
nofter- beten die Zeit ziemlich lang, und legte ſich endlich 
aufs elende Bett, nachdem er einige Heiligenbilder eifrig 
gekügt hatte. Ehen wie er das Licht auslöfhen weilte, er- 
ſchien ich mit dem Palmenzmeige in der Hand, und rief: 
Granz Ravaillac! — Er ſchien eine ſolche Erſcheinung bei 
nahe erwartet zu haben; denn fie wunderte ihm gar nicht. 
Er richtete ſich auf die Kniee auf, faltete die Hände, und 
fagte andächtig: Sprich, Herr! Dein Diener hört. — Fram 
Navaillac, verfepte ich ruhig und gebieterifih: Du folk 
Heinrich den Vierten, König von Frankreich, erſchlagen; 
dadurch geſchieht unfer Wie im Himmel, wie auf Erden. 
— Er ſchloß die Augen andächtig zu; neigte fh mehrmals 
zur Erde und feufzte: Wohl, Here, ih gehorche. Sithel 
ich bin Dein geringer Knecht. nur ein armfeliges Werkzeug 
deſſen Du Dich zu der Ausführung diefer großen Entwürfe 
bedienft. — Ic blies fein Licht aus, Metterte noieder zum 
Dache hinaus, fehte die Ziegelfteine wieder vor das Loch, 
und gelangte glüdlih in meine Wohnung zurüd, ohne ent- 
dedt zu werden, und ohne den Hals zu brechen. 

So geſchah denn jene That, melde die ganze Welt 
tennt. 





40 Lemelies Lebensgeſchichte. 


Als des Königs Kutſche eines Tages in unfere Straße 
tam, mo id) mit meinem Kameraden la Maffon am Ten 
ſter fand, war der Weg von Fuhrleuten und Kärrnern fo 
verftopft, dag ftill gehalten werden mußte. Die Bediente 
ſprangen alle Herunter, einige gingen über den Kirchhof, 
andre liefen voraus, um Pla zu machen; fo daß der Kd- 
mig ganz ohne Bedeckung gelaffen war. Die ſechs rüd- 
wärts figenden Herren faben ſich nad den Pferden um. 

In diefem Augenblide entdedten la Maſſon und ik 
unfern guten Freund Navaillac, der fih ganz leife umd 
eilig herſchlich, und durd die Menge zum Wagen bin ar- 
beitete 

Sieh einmal den Ravaillac, ſprach la Maſſon zu mir, 
er ift bei Gott aud heute aus dem Nefte gefrohen, um 
die Umtriebe der eiteln Welt zu feben Man merkt es ihm 
an, dag er Furzfichtig iſt, weil er fi) dem Wagen fo fehr 
nahet. Ich fürchte aber, feine Nafeweisheit wird ihm übel 
befommen. Mein Seel, rief er wieder, der Kerl ift ganz 
toll, er fteigt aufs Wagenrad hinauf, und büdt fid in 
den Bagen zum König hinein, als ob er ihn küffen wollte, 

Kaum hatte la Maſſon das gefagt, fo hören wir den 
König rufen: Gott! id bin verwundet! — Er ftürzte zu» 
rück in feinem Blute, und Navaillac, der ſich leiht im Ge⸗ 
tümmel hätte wegfcleihen können, wenn er das Mefler 
nur weggeworfen häfte, ftand ſtarr und ruhig, mie eine 

- Bildfäule; mit dem blutigen Eifen in der Hand, und er⸗ 
wartete den Lohn feiner That. 

Diefen befam er denn nun aud fo derb und tüchtig, 
wie es nur der Graufamfeit möglid war, folden zu er« 
finden. \ 

uUebrigens hätte Ravaillac ſeht leicht aus dem Gefäng- 


. 


Lemelies Lebensgeſchichte. 41 


niſſe entſchlüpfen können, das man oft für ihn offen ſtehen 
lieg. Die Marquife de Verneuil, die mit vielen Großen 
des Reichs in Verbindung fand, und der es wehe that, 
daß der arme Teufel fo zu fagen unfhuldig ftürbe, weil 
er nur ein blindes Werkzeug ihrer Rache geweſen, ſchickte 
mid) zu ihm in's Gefängnig, um ihm geradezu zu fagen: 
er fönne leicht. entfliehen. — Wäre ih im blogen Hemde 
mit einer blonden Perüde, und mit dem Palmenzweige in 
der dand erſchienen, fo Hätte er ohne Zweifel auch gehorcht. 
Das ging aber niht an, und fo richtete id nichts aus 
Er ſchůttelte den Kopf, zeigte mir ein altes Bilderbud voll 
Hinrichtungeu der Märtyrer, und fagte: Sie werden mid 
nicht mit Martern tödten können! Mit dem’ Schwerte- můſ⸗ 
fen fie mir das Haupt abfhlagen. Dann wird fih der 
Himmel äffnen, und der Engel mit dem Palmenzweige 
wird wieder herunter kommen, mid in Abrahams Schooß 
hinauf zu tragen. 

Ich fagte: Ravaillac, Haft Du Dich doch nicht vieleicht 
geirrt? Sollte der Engel, den Du zu fehen glaubteft, nicht 
etwa eine bloße Einbildung oder ein verkleideter Spitzbube 
geweſen fein? 

Gehe hinweg von mir, Du freulender, gottlofer Menſch! 
rief er wüthend. Ich Habe noch ein Meſſer bier, das mir 
ein guter Freund heimlich zugeftedt hat. ‚Einen Selöftmord 
will id) nicht begehen — ſprichſt Du aber noch ein ſolches 
Bort, fo foll es Dir übel geben. 

Ich lief aus dem Gefängniffe, ſchlug die Thür Hinter 
mir zu, und dadıte: Laß den Narren es fo gut haben, als 
er felber will. 

Den Tag nad) feiner Hinrichtung ſchlich ih mic zu 
meinem vornehmen Gönner, Er empfing mid augeror- 


. 42 Lemelies Kebensgefhichte. 


dentlich guädig, zahlte mir das Drittel der verſprochenen 
Summe aus, und verfiherte, dag id den Neft Übermorgen 
befommen fellte. Drauf Iud er mid ein, mit ihm zu früb⸗ 
itüden, ſchenkte mir eigenhändig ein Glas fügen Weines 
ein, der ganz Löftfich fein folte, und frug: ob mir nicht 
ein Stück Kuchen gefällig wäre? — In dieſem Augenblid 
ward er binausgerufen. Sein kleiner Hund lief umher in 
der Stube, wedelte mich an, und wollte aud Kuchen bar 
ben. Ich. gab ihm ein Stüd. Kaum hatte aber der Hund 
den Kuchen verfhludt, fo beulte er, verdrehete die Augen, 
lief ein Paar Mal ſchwindlich umber, fiel in Konoulfionen 
auf den Boden, und war maufetodt. 

Mein edler Gönner kam zurüd, und ſtutzte — vers 
muthlich, weil er mich noch lebend fand. Ich deklagte das 
Unglüd feines Hundes, und verficherte, ich fei am deſſen 
Tod unfhuldig, weil id nicht gemußt habe, dag der Kuchen 
vergiftet fei. Drauf bemerkte ih: Ich begreife fehr gut, 
gnädiger Herr! dag Ihr einen Menſchen los zu werden 
fucht, dem Ihr ein übereiftes Verſprechen getfan, und der 
in ein wichtiges Geheimniß eingeweiht iſt. Was aber das 
Geld betrifft, fo bin id mit der Summe zufrieden, die ich 
ſchon bekommen habe; und, nicht aus der Schule zu 
ſchwatzen, dazu zwingt mich ja meine eigene Rettung. Euer 
Gnaden können mir aber aud) nicht verdenken, daß ich 
nicht gern ermordet fein wid Soll ich vernichtet werden, 
fo made id Lärm, gebe uns Beide an, und nebme Euch 
mit. Das Zenfter ift geöffnet, und ich brauche nur hinaus 
au ſchreien. Wollt Ihr aber auf Euer Kruzifiz ſchwören 
mir ferner fein Leides zu thun, fo verfprede id binnen 
drei Tagen aus Paris, und binnen acht Tagen außer den 
Grenzen Frautreichs zu fein. 





Fortſeßung von Lemelies Lebensgeſchichte. 43 


Mein Gönner war äußert Ieutfelig, umarmte mid 
und verſicherte, dem Kuchen fehle feines Willens gar nichtes 
der Hund müfle anderswo efmad Ungelundes genoflen ha« 
ben. Er feiftete mir gleich auf das Kruzifir feines Nacht⸗ 
uiſches den verlangten Gid, entlieg mid mit vielen Liebko⸗ 
ſungen mir zur Treppe hinunterfolgend, und- bemerkte nur 
mit einem feinen Nahdrude und liebenewärdigem Lächeln, 
«6 würde mir fehr zuträglich fein, je eher, je lieber 
Fraukreich zu verlaſſen und auf Reifen zu gehen, wodurch 
fi) ein junger Menſch außerordentlich bilde. 





5. 


Fortfetzung von Lemelies Lebensgeſchichte. 


J 





Ich reiſte jetzt nad) Italien, wo id) recht gut hätte le 
den können, hätte ich nicht die Weiber ünd den Pharao⸗ 
tiſch zu fehr geliebt. 

Ein junges, ſchönes Mädchen in Florenz, mit einem 
Goldſchmiede, Namens Andrea Druzzi verfproden, wußte 
ich in der Abweſenheit des Bräutigams in's Garn zu lok⸗ 
sen. Er mar nad) Frantreich gereift. Die Trennung 
mugte ich fhlau zu benugen, die Folgen davon wurden 
Immer fihtbarer; die Zeit ihrer Entbindung nahete ſich 
Ste ließ mir durd) eine alte Fran das neugeborne Kind 
bringen, und bitten, väterlih dafür Sorge zu tragen. — 
Bas folte ih mit dem Wurme mahen? Ich konnte mich 
taum ſelbſt ernähren, Ich wickelte es in meinen Mantel, 


44 Fortſetzung von Lemelies Lebensgeſchichte. 


und ging ſpät Abends längs den Ufern des Arno ſpazieren 
bis id) an einen abgelegenen, von Bäumen und Hecken vers 
borgenen Ort fam. Hier wollte ich die Schachtel mit dem 
Meinen Mofes in's Schilf hinunter feßen, damit ihn eine 
mitleidige Prinzeffin wieder finde, umd zum großen Manne 
erziehe; als id eine Stimme hörte, die mir hohl zurief: 
Laß das fein, Kindermörder! 

Eine ſchwarze Geftalt ftand vor mir im, Mantel ge 
hält. Ic) erfannte aber bald in ihr den Ugolino Gaspa⸗ 
ri, einen Luftigen Gefellen, deſſen Bekanntſchaft ich In Siena 
gemacht, und der, Schulden halber, nicht nad Florenz zu 
kommen wagte, obſchon ich doch gefehen, daß er in der 
letzteren Zeit viel Geld im Spiel gewonnen Hatte. Id ging 
mit ihm, behielt das Kind unter dem Mantel, und frug: 
Bie bit Du hinter mein Geheimnig gefommen? 

Das, und weit mehr, weiß id, ſprach er däfter, und 
erzählte mir Saden, worüber ich erftaunen mußte, weil 
kein Menſch außer Antonia und ic das fo willen fonnte, 
es müßte denn ihr Bräutigam Andrea Druzzi, in Fran 
reich, fein. Drauf fiedte Ugolino Gaspari die Hand in 
die Taſche, nahm eine Handvoll Dutaten heraus und frug: 
Moͤchteſt Du es auch fo gut haben? — Gern gleichl war 
meine Antwort. — Fürchteſt Du Dich vor dem Teufel? — 
Nicht fonderlih. — Glaubſt Du, dag er Gewalt über die 
Menſchen übe? — Wer eigentlih die Gewalt übt, er 
miederte id), ift ſchwer zu fagen. Faſt follte man meinen, 
das Meifte, das in der Melt gefchieht, rühre mehr von 
ihm, als von feinem fogenannten Gontrapart. — Bift Du 
aud der Meinung, daß ein Vogel in der Hand beffer ſei 
als zehn in der Luft? — Das bin ih. — Möchteſt Du 
wohl auf eine künftige, wahrſcheinlich nur eingebildete Se» 


Fortſehung von Lemelies Lebensgeſchichte. 45 


ligkeit Verzicht thun, wenn Du es hier im Leben gut und 
immer vollauf haben könntet? — Sehr gern! ſprach ich, 
doch nicht ohne ein beimliches Grauen. 

Bir waren indeß in eine tiefe, dunkle Grotte gekom⸗ 
men, mo der Mond gefpenftermägig hineinfhien, und mo 
eine Duelle mit feltfamem Säufeln aus der Tiefe riefelte, 
als ob fie Geiſtergeſchichten der Unterwelt erzählen wolle. 

Ich habe mid) ſchon dem Teufel ergeben, ſprach Ugos 
Kino Gaepari düfter, und Haft Du Muth, kannſt Du «6 
jegt auch thun. Hier if ein Pergament aus Menfchenhaut 
zubereitet, da eine rothe Hahnenfeder, Du mußt aber Dein 
eigenes Blut zur Dinte bergeben. — Id will mir die Haut 
aufrigen, ſprach ih. — Nicht doc, rief er, Dein Blut 
fliegt ja ſchon in dem Kinde. Tödte es auf jenem ſchwar⸗ 
zen Eteine dort. — Ic fhauderte zurück. — Narr! ver» 
fegte er, meint Du, weil das Waffer weicher ift als der 
Stein, daß diefe Todesart ſchmerzlicher, oder der Mord 
unverzeihlicher fei? — Du haft mic) ſelbſt vor dem Kin« 
dermorde gewarnt, forad id zaghaft. — It es denn abe 
gemacht, Narr, daß Du der Bater diefes Kindes bift? 
frug er höhniſch lachend, und erzählte mir Geſchichten, von 
denen ich deutlich abnehmen konnte, daß er mit Antonia im 
vertraulichften Werhältniffe geftanden, während fie mid) mit 
verftellter Liebe Hinterging. 

Diefe Entdedung erbitterte mich fo fehr, daß ich das 
Kind nahm, und gegen die Felſenwand ſchleuderte. — 
Eich, da haben wir rothe Dinte volauf, ſprach er ruhig: 
tunfte die Feder in das Blut und reihte mir fie. — Das 
Aergfte war geſchehen. Ich bedachte mic nicht lange, mein 





Gehirn brannte, und in den gräßlichften Ausdrüden ergab - 


ich mic dem Teufel ewig mit Leib und Seele. 


46 Fortſehung von Lemelies Lebensgeſchichte. 


Den Brief mußte ih auf offenem Felde unter dem 
Sochgerichte, mit dem abgebleihten Schädel eines Dinge 
richteten in die Erde graben, während der Grhängte am 
Galgen im Winde baumelnd mir mit den Füßen an den 
Kopf ſtieß. Ugolino folgte mir darauf wieder auf die Herr 
frage, hier drüdte er mir krampfhaft die Hand, und ſprach: 
Lebe wohl, Lemelic! ich habe mid) gerächt. Ic) bin der ber 
trogene Bräutigam Antoniens, Andrea Druzzi, der, nah 
Eiena zurüdtommend, Deine Niederträchtigkeit entdedte. 
Das Kind gehörte wirklich Dir, Mädchenfdänder und Kin» 
dermörder! Erſt wollte ich Dich morden. Allein diefe Rache 
dien mir beſſer. Jetzt gehört Du dem Teufel mit Leib 
und Seele. Er kehrte mir den Rüden, und verſcwand in 
der Nacht, ich habe ihn feitdem nie wieder gefeben. 

Id war in dem feltfamften Gemüthezuftande. Ich 
ſchauderte vor dem Kindermord, den ic) begangen hatte 
obſchon ich mit dem Vorſatze binausgegangen war, ibm zu 
begeben. Andrea Drazzi hatte mid zum Beſten gehabt, 
und fo war ja aud die ganze Teufelsverſchreibung nichtig 
und windig. Indeß ängftigte fie mich doch immer noch 
und id dachte nur daran, wie ih das Pergament, das im 
Galgenhügel vergraben war, wieder bekommen follte, che 
es der Teufel nehme. 

Es koſtete mid große Ueberwindung, in dunkler Nacht 
wieder über das einfame Feld hinaus nad) der Schädel 
ftätte zu geben. Das Pergament hatte ib unter dem Gal 
gen, mitten im Dreiet, wo die Araunenwurzeln wachſen 
vergraben. I konnte beim Sternenfhimmer ten Gchan- 
genen in der Ferne bin und her ſchweben fehen. - Es ſchien 
mir cin ſchwarzer Engel zu fein, der den Schatz bewachte. 
Lange ftand ich unfglüffig, und wagte nit, hinzugeben, 








. Sortfegung von Lemelies Lebensgeſchichte. 47 


Endlich (höpfte ih Muth, und Hatte mic wieder dem Gal- 
gen auf einige Schritte genäbert, als der Gchangene plötz⸗ 
lich herunter fiel, (der mürbe Strick mag eben zerrifien 
fein) und mit feinem Körper den Drt bededte, wo ich mein 
Pergament vergraben hatte. — Den Todten meg zu wäl- 
sen, um die Verſchreibung wieder zu befommen, war mir 
unmöglıh. In diefem Augenblide hörte id) alle Hunde des 
entfernten Dorfes gräglih Heulen, und drei Naben flogen 
ſchreiend dem Hochgerichte vorbei Ein paniſcher Schreden 
mich, die Haare ſtanden mir zu Berge und ich entfloh. 

Nach Florenz fam ic) nicht wieder. Ich hatte da nichts 
zu fuchen, ih wollte Antonia nicht wieder fehen, und fürd« 
tete, Andrea Druzzi werde mir da, wenn id mid fehen 
fiege, einen noch ärgeren Streich fpielen. Id pilgerte nach 
Pifa, mo id nur mit einem einzigen Goldlüde in der Ta 
ſche aukam. 

Id ging ins Spielhaus. Ich hatte nur das eine 
Goldſtũc zu verlieren, und doch fürchtete ich beinabe zu ger 
winnen. Ich fehte das Goldſtück auf eine Karte, und ge 
wann. IA) ſpielte gluͤcklich; als ih wegging, Hatte ich die 
Zaſche voll Gold. — Hat der Teufel das gethan, dadıte 
id), fo bat er es gut gemacht. Mir mar wieder luſtig zu 
Wuthe; id) ap und trank tüchtig, und fühlte mid, von der 
Melandyolie befreit. 

In Livorno machte ich die Bekanntfhaft eines Freibeu⸗ 
ters, ging mit ihm auf die See, er Ichrte mid die Navi⸗ 
gation und wir machten große Beute. Viele Graufamtei- 
sen begingen wir, die von diefem Geſchäfte unzertrennlich 
find, und wogegen die sollen Streiche, die id) vorher ge- 
mat, wahre Keinigleiten waren. " 

Plotzlich begegnete une einmal eine Fregatte. Bir 





48 $ortfepung von Lemelies Lebensgeſchichte. 


Aufrührer wurden ergriffen und auf die Fregatte gebradt, 
mo man mit uns furzen Prozeß machte, denn wir murden 
alle gehangen. 

Ich auch? Verſteht ſich, ich auch. Die ganze Galgen 
leiter der Todesangſt mußte ich erklettern, und beichten mit 
dem Strick um den Hals. Als ich aber fo, mie Neinede 
Fuchs, auf der Himmelsleiter fand, dachte ih: Sollte der 
Teufel Dir doch diesmal nicht mieder davon helfen? In 
der Verfäpreibung hatte ich den Fehler begangen, mir feine 
beftimmte Xebenszeit zu bedingen. Dielen Schler, dachte ic, 
madıte er ſich jeßt zu Nuge. Bei ihm findeft du feine 
Hülfe mehr. Weil er nun alfo nicht mebr helfen wollte, 
tehrte ich mein Gemüth zu Gott, weinte fehr, zeigte aufs 
richt ge Neue, und wurde von einem katholiſchen Geiftlihen 
abfolvirt, Das hat mid, wahrſcheinlich gerettet, Denn 
weil ich dieemal gar zu fromm aus der Welt gegangen 
märe, bat der Böfe wohl gefürchtet, mid) zu verlieren. Er 
rettete mid nur, damit id mieder fündigen follte. Kaum 
mar ich auf dem Bugfpriet in die offene Eee hinausge 
bängt, fo zerriß der Strid mit mir wie mit dem Gehäng- 
ten auf dem Felde. Ich fiel in’s Meer, und das Schiff 
fegelte fort. 

Ein mitleidiger Matrofe hat mir ein Ruder zugewor ⸗ 
fen. Darauf ſchwamm ih fo lang umber, bis ein fremdes 
Saiff vorbei kam, das einen andern Weg nahm, und fang- 
fam gegen den Wind lavirte. — Ih war nur darauf be- 
dacht, mir den Strid vom Halfe zu haften, welches mir 
viele Mühe machte, fo daß ich beinahe unter der Arbeit er» 
trunten wäre. Ich konnte aber unmöglig, mit diefem Dr» 
densbande um den Hals, das fremde Schiff befteigen; denn- 
mas würden die Leute wohl von mir gedacht habın? — 


Fortſehung won Lemelies Lebenogeſchichte. 49 


Endlid gelang es mir, und ic kam als verwngläßter fran- 
söhfer Seemann, der über Bard gefallen war, nad Hapıe 
de Grace 

Ich hatte wieder nicht mehr als eine einzige Goldmünze, 
die der mitleidige fremde Kapitain mir beim Abſchied ge 
geben. — Es mar ein italienifger Dulaten — und — fo 
Tann die Phantafle mit einem fpielen — es ſchien mir der» 
ſelbe zu fein, den ich in Piſa gehabt,” ale ich fo viel im 
Spiele gewann. 

Ic) ging wieder in’s Spielhaus. Ein Mulatte in ro» 
ther Offiziersuniform ſpielte unglüdtih. Ich hörte, es fei 
der Sohn eines reihen weſtindiſchen Pflanzers, der in Eu- 
ropa des feligen Vaters Geld vertrödelte. Ich ſpielte mit 
ihm, und gemann mehrere Abende nad einander fehr große 
Summen. Immer lächelte er dabei fo hämiſch, daß ich 
beinabe toll darüber wurde; denn dies verfluchte Hohnge- 
laͤchter kam mir wieder ganz fatanifh vor, und ich konnte 
mid) des Gedantens nicht entſchlagen, daß der Teufel in 
eigener Perfon mit mir Pharao fpice. 

Ich gewann fo viel, daß ich mid) bald wieder efablir 
ven konnte; id) rüftete ein Schiff aus, machte einige Fahr⸗ 
ten wie andere ehrliche Schiffer, und Rand mid gut dabei. 
Einige Handelsverbindungen brachten mid nad Kopenha- 
gen, wo id des Herrn van Leuven Bekanntſchaft machte. 
Hier war aber der Teufel wieder los, und es abnete mir 
gleich etwas Schlimmes, als ich die ſchwarze Negerin fah, 
die mir die fhöne Frau aufs Schiff hinaus bradte. Denn 
ein ſchwarzes Menfhengefiht erſchrett mid immer in Eu⸗ 
ropa unter den Weißen; und id) glaube aud gang gewiß — 


Oehlenſ. Schriften. XVIII. 4 





50 Fortſetzung von Lemelies Lebensgeſchichte. 


Beiter halte der Elende nicht geſchrieben. Geht bin- 
ein, lieber Albert, rief Concordia, und laßt ihn Euch den 
Reſt erzählen, che er ſtirbt. 

Ich wollte fie nit bitten, mitzugehen, denn es ahnete 
mir, dag ich etwas Graͤßliches zu hören bekommen würde, 
das ich Concordien verbergen mußte. 

Id ging allein und fand ihn bei feiner Pfeife, ruhiger 
als ich vermutet hatte. Der Palmenfaft ift mir jet zu 
ſtart, ſprach er; bringt mir ein Glas kuͤhles Waffer, dann 
will ich weiter erzählen, denn Ihr follt alles willen. — Ich 
that, was er verlangte, und er fprad: 

Der Palmenfaft ekelt mid an. Dies fhlehte Getränk 
hat mid) immer berauſcht, ohne mid zu erheitern, in fol» 
hen Augenbliden that ih, was ic) vieleicht fonft nicht ge» 
than hätte. So tödtete ich den Meinen Beautiful, und id, 
muß gefichen, dieſer Mord und der Mord meines Kindes 
haben die unangenchmften Erinnerungen in mir binterlaf 
fen. Denn die Erwachſenen, fo ich hinrichtete, Hatten mich 
alle vorher mehr oder weniger beleidigt; das neugeborne 
Kind und der Beine Hund hatten mir aber nichts gethan. 
Darum geftalteten fid) eben auch oft diefe zwei Miffethaten 
dor meiner Phantafie; und in der Nacht, wenn ich zu viel 
Palmenfaft getrunken, babe ich oft das blutige Kind auf 
dem Gerippe des Hundes über die Ehene binreiten fehen, 
beide wie Johanniewürmer leuchtend 

Doch nit blos der Palmenfaft, au Concordia hat 
mid zu der Sünde verführt. — Concordia — Lügner! fiel 
ich ihm in’s Wort, die tugendhaftefte der Frauen, in deren 
Seele kein fÄmwarzer Fleck it! — Was half cs mir, vers 
ſehte der Boͤſewicht, daß ihre Seele tugendhaft war, wenn 
ihr Körper immer meine Begierde erregte? Es ging mir 


Fortſehung von Lemelies Lebensgefhichte. 51 


mie König David in der Bibel, als er Bathſeba geſehen 
hatte. Urias mußte Reißaus nehmen. 

Graufamer! rief ic, fo haft Du ihn dod) ermordet? — 

Als der düftre Komet am Himmel erfdien — verfehte 
Lemelie — war es mir, als folte das ein Zeichen der Höle 
bedeuten. Es war mir aber viel darum zu thun, dag 
Eoncordia gegen’ mid, feinen Verdacht fhönfe Ich ftellte 
mich alfo krank an, und fei cs nun, dag mid der Vorfag 
ängftigte, genug, ich zitterte mie ein frierender Hund un» 
ter der Decke; und wäre felbft ein Arzt auf der Infel ger 
iwefen, — er hätte mich für einen Kranfen anfehen müffen. 

In jener verhängnigvollen Nacht ſchlich ih mid aus 


. dem Bette, zog mid) ſchnell an, und eilte nad der Stern 


warte hinauf. Der Aitronom faß bei feinen Berechnungen 
Als er mic fah, erblagte er und griff nach feinem Hirſch⸗ 
fänger. Ic, löfte meinen Degen von der Seite, reichte ibm 
diefen, und ſprach demüthig: Mein Herr! tödtet mic, gleich 
auf der Etelle, oder laßt Euren böfen Verdacht gegen mich 
fahren! Denn was nügt mir ein Leben auf diefer mens 
ſchenleeren Infel ohne Fteundſcaft? — Ban Leuven reichte 
mir drauf freundlich die Hand, und frug, was id fo ſpaͤt 
bei ihm wolle? — Darf id) aud nicht einmal den Komet 
durd Euren Tubus fehen? fragte ih. Eure Frau und 
Herr Albert haben mic zum Beſten gehabt, weil ich mich 
vor diefem Sternbilde fürdtetes ich war aber krank. Icgt 
befinte id) mich beſſer, und ich dachte wohl, daß Ihr noch 
nicht zu Bette wäret. 

Als ich ihm auf diefe Weiſe beruhigt hatte, mar er 
ſehr dienftfertig, pußte die Gläfer des Tubus, und lieg 
mid hineinfhauen. Die Haare ftanden mir zu Berge, als 
ich das bimmliſche Ungeheuer durch das Ber: fab, wo⸗ 


32 Jortſehaung von Zemelies Lebenszeſchichte. 


durch ſich alles vergrößerte und deutlicher wurde. Die 
runde Dunſttugel mit dem langen Schweife ſchien mir ein 
Furien geſicht mit aufgelöften Haaren zu fein. Es kam mir 
To vor, als ob das Fernrohr von meinen Augen bis zu ih⸗ 
rem Munde hinaufreihte, ale ob fie mir badard, wir 
durch ein Sprachrohr, fage: Tödte ihn jeht, den Verhaß. 
ten und genieße des fügen Lohnes. 

Ich zitterte, und legte den Tubus ans der Hand, ans 
Furt, van Leuven Habe diefe Worte auch gehört. Er 
merkte meine Gemüthsbenegung, und Re ſchien ihm nicht 
du befremden, weil die Nachterſcheinung, auch ganz natier- 
lich gmemmen, für ungewohnte Augen etwas Schredliches 
on ſich hat. 

Ich ließ ihn jept fein-Etedenpferd reiten, und mir et- 
was von der Aftronomie vortragen. Was er fagte, verftand 
ich gleich, weil ih Matpematit gelernt Habe. Das freute 
ihn. Mit Euch, rief er, kann man dod über ſolche Dinge 
ein vernünftiges Wort ſprechen. Der gute Albert und meine 
Concordia Hphantaßren immer poetiſch. Ueberbaupt, Herr 
Lemelie, verfegte er ernft, feid Ihr ein Mann von vielen 
Fähigkeiten, wenn nur — cr ſchwieg. 

I verftehe Euch, antwortete id; menn nur das Herz 
beſſer wäre. Ich ſchwoͤre Guc zu, Ihr font künftig mit 
mir zufrieden fein. Ih babe eine Kamaͤleonenatur, febt 
Ihr, die immer von den nächften Umgebungen ihre Farbe 
leiht. Schlechte Gefeifhaft Hatte mic verdorben, mit Guch 
guten, tubigen Menfhen will id) künftig auf dieſer aller« 
liebſten Infel ein tugendhaftes Leben führen. 

Nun war der ebrliche Holländer vollends mit mir ver- 
grägt, zumal als id, wie ein wißhegieriges Kind, mit ge 
falteten Händen vor ibm Rand, und ihm cine moralifche 


Fortſehung von Lemelies Sebensuefhiäse. 53 


Vorleſung halten ließ. Zum Adſchied drüdte er Ink die 
Hand und fagte: Ich bege jetzt von Euch die befte Hoff 
nung. — Ah, rief ih. als mir auf den Altan herausger 
femmen waren, laßt mich doch nod) einmal durd's Fern. 
rohr fehen. — Er reichte wir es. Das Gefpenfterkild war 
jeßt röther, zorniger geworden, in feinem Gefihte glaubte 
ich Trampfhafte Zulungen wahrzunehmen. Es ſchüttelte 


- das Haar wie eine ungeheure Mäpne, und drunten ſchäum · 


ten die Bogen des Meeres, vol Ungeduld, ihr Opfer zu 
verſchlingen. 

Der Komet hat fein Geſicht verzogen, rief id; es ber 
west fich etwas drin. — Phantafirt Ihr nun auch, Leme⸗ 
hie, rief van Leuven lachend;z es wird eine Beine Wolte 
fein, die eben vorbei ſchwebt. — Er nahm den Tubus, 
und fhaute hinauf; id ſtieß ihn mit aller Gewalt in den 
Nüden. und er ftürzte über das niedrige Bollwerk in den 
Yogrand hinunter. 

Daun verließ ich den Fels, und nahm meine Flinte 
wit, die ich drunten hatte ſteben Laffen, um van Leuven 
nit zu erſchrecken. — Obngefahr eine Viertelftunde von 
diefer Höhle entdedte ih etwas Schwarzes, das in's Ge 
büſch hineinſchlüpfte. Ich zielte mit der Flinte in den 
Buſch binein, als eine Stimme rief: Drüde nicht los! Ich 
bins. — Welcher IH? frug id; komm heraus oder ich 
ſchieße. — Die ſchwarze Minga trat hervor. — Was machſt 
Du fo foät bier? frug ich. — Das frag’ ih Euch, ant- 
wortete fie fed. Ihr feid fleberkrank, und kauft doch in die 
Nachtluft hinaus? Ich wollte Euch zu trinten geben, da 
fand ich das Neft leer und den Vogel ausgeflogen. — Du 
ſchleichſt mir auf den Ferſen nad, um meine Wege ausäu« 
ſpahen, Unverſchaͤmte? rief ih. Weißt Du, wo ih gewe 


54 Fortſetzung von Lemelies Sebensgeſchichte. 


fen bin? — Auf der Sternwarte: da habt Ihr in die 
Höhe und in die Tiefe gefehen. — Verfluchte! rief ich, fie 
am Halfe greifend und zu Boden werfend, Du mußt auch 
fterben, Du Haft den Mord gefehen. — Tödtet Ihr mid, 
ſprach fie, fo verliert Ihr eine unentbehrliche Dienerin. 
Ber fol Euch fünftig aufwarten, Beuer fhlagen, Wafler 
holen und kochen, die Höhle ehren, Eure Leinewand wa - 
fen, Concordia bei ihrer Niederfunft helfen? Stirbt fie 
in Bogen, mas nügt Euch dann der Mord? 

Ih fühlte, fie hatte Recht, und dag ic) fie nicht ent 
behren konnte. Ih mußte, daß fie bigott und abergläu- 
biſch ift, ich ließ fie einen gräglihen Eid auf das feine 
Kruzifix fhmören, das fie am Halfe trug, mid) mit kinem 
Borte, mit feinem Zeichen jemals zu verrathen. Sie ſchwur, 
und konnte faum ſprechen, denn ic hatte fie ziemlich uns 
ſanft an die Kehle gefaßt. 

Eie Hat ehrlich Wort gehalten. Geſchwatzt aus der 
Schule hat fie nicht. An meinem Geburtstage hat fie mei⸗ 
nen Namen mit Diftelblumen umkraͤnzt und mir das Meſ⸗ 
fer in die Bruft geflogen. Das war nicht gegen den Eid. 
Der Teufel ift wißig, ich verftehe fhon alles. Die Stunde 
ift gefommen. Ich muß binunter. Der Schwarze hat mit 
mir fein Spiel zu Ende getrieben. Hütet Euch vor ihm — 
in der haͤßlichen, fo wie in der fhönen Frauengeftalt! Das 
iſt der feibbafte Teufel felber. Ic kenne ihn. Er madıt 
immer den Poffenreiger im Nachfpiele, wenn die Tragödie 
zu Ende if. Bald kommt er als ein alter weißbärtiger 
Mann, mit dem Pferdefuge ehrbar unter dem langen Rode 
verftet, und erbittet fid die Gefälligfeit, mit einem allein zu 
forehen. Steht man dann alein mit ihm im einfamen 
Sclafzimmerlein, fo hält er einem das Pergament vor die 





Ah que l’amour est chosejolie. 55 


Nafe, und verlangt prompte Bezahlung. Dann greift er 
uns beim Genid, zerfhmettert den Gehirnkaften gegen den 
Senfterpfoften, verfhmindet mit der verdammten Seele, 
und die Stube ftinft vol Schwefel und Teufelsdred. Bald 
kommt er als Negerin. Id riehe ſchon den Schwefel- 
dampf. Ih ſchwanke über dem Abgrund. Drunten ftehen 
die Folterbänfe bereit. — D Web! O Web! Ih kann 
nicht beten! Albert Julius! Concordia! zu-Hütfel au Hülfel 


Ah que l’amour est chose jolie, 





In Rillem Kummer verfloflen die erften Monate nad) 
diefen tragiſchen Begebenheiten. Die Trauer über den fee- 
Ligen Gatten, die Sorge für ipre baldige Niederkunft, ließ 
Goncordia an nichts anders denken, und ihr Zuftand hatte 
fie fo verändert, daß man das fhöne reizende Weib in ihr 
kaum wieder erkannte. Dadurch, und durd) die vorherger 
enden gräßlihen Erfdütterungen, kühlte ſich meine Leiden« 
ſchaft für fie ganz ab. 

Als aber die Stunde ihrer Entbindung heranrüdte, er- 
wachte wieder ganz die alte Freundſchaft in mir. Ich flocht 
von Weiden eine Wiege, half der Schwarzen das Kinder- 
zeug nähen; und während Minga der Woͤchnerin in der 
Noth beiftand, lag id) draugen knieend im Grafe, und bes 
tete für fie mit großer Inbrunft. — Es dauerte nicht lange, 
fo bradte Minga ein gefundes, kraͤftiges Kindlein in Win⸗ 


56 kh que l’amoar est chose jelie. 


dein aus der Höhle beraus — Jett Maren wir wieder vier 
Freunde anf der Iufel; jeht war alles Zur! Die vorige 
Vetlegendeit war ganz verſchwunden. Ich beſuchte Sencor- 
dien als Bruder, ale Arzt, als Handınerfer, ats Geitn⸗ 
der; am den vorigen heimlichen Liebhaber wurde gar miht 
mehr gedacht. Sie gedachte aber au ihres Kunmmers 
mie mehr. Seit dem fie das liebe And Hatte, ſchlen fie 
der Bat, der Hoffnung mieder anzugehören. 

Ih war von Herzen froh, als ic) einmal wieder den 
Brediger machen konnte. in fhönes antites Gefäg von 
braunem Porbhyr, das wir in der Höhle gefunden, und 
worin die Mönche vermutlich ihr Weihwaſſer gehabt, diente 
mir zum Tauffteine. Ich gab dem kleinen Mädchen, ohne 
Goncordien zu fragen, den Namen Carolina Sranzista, 
wobei die gute Mutter fo gerührt wurde, daß es mir um 
fie bange ward. Sie faßte ſich aber bald. 

NRachher fuchte ich fie anf jede mögliche Weile zu er- 
beitern. Einige Kißen waren in den Tagen aus einemge- 
ſtrandeten Schiffe auf die Kiſte geworfen wurden, worin 
ich Kleider volauf fand, befenders vide Pazenlioreem, 
welche ſich wabrſcheinlich ein oſtindiſcher Nabob oder weft 
indifcper Bicetönig für feine Dienerihaft hatte machen laſ⸗ 
fen. Nun batte ich eben vier Affen in der Sommerlaube 
eine Seit lang abgerichtet, damit fie Goncordien, nad) ihrer 
Genefung, als Meine Bedienten aufmarten möchten. Dielen 
vaßte ich mit Mingas Hülfe die Kleider an, die ihnen fehr 
gut fanden, aachdem fie ein wenig kleiner gemadt waren; 
und mie munderte ſich die liebe Frau, als ic) fie endlich 
zu einem Schmaufe in der Laube einlud, und fie von vier 
präntig gefleideten Pagen, mit Treffenhäten und galonirten 
Nöden aufgermartet wurde? 


Ah que l’amonp est chose jelie. 57 


Diefe Arten waren uns fehr nirplich, fie tonnten Waſ⸗ 
fer Hoten, Holz ſpalten und die Zimmer kehren. Einmal . 
aber jagte einer diefer loſen Dienkboten der guten Mutter 
einen großen Schrecken ein. Sie war bei der Wiege einge⸗ 
ſclafen, als fie erwachte, fand fie das Kind nicht mehr da. 
Sie ffürzte mir mit einem Angftgefchrei entgegen, und rief: 
Bo ift mein Kind? Mir träumte vom Lemelie, dag er aus 
der Gruft gefiegen, mein Kind ermorden wollte. — Ich 
warf die Augen verzweifelt umher, amd mußte weder aus 
noch ein, als id, giüclicherweiſe glei einen Affen droben 
im Heubaufen, zärtlich mit dem Kinde in den Armen figen 
ſah. Kaum merkte er, daß wir ihm auf der Spur waren, 
fo. nahm er das Kind, rutfhte damit hinunter, und warf 
es wieder in die Wiege. Ich erſchratz das Kind hatte aber 
gar feinen Schaden genommen, und der Dieb entwiſchte 
leid in den Bald binein, 

Von dem Tage an mußten wir mehr Achtung geben. 

Sp verflofen zwei Jahre. Eobald Concordia das 
Kind von der Bruſt entwöhnt hatte, blühete fie wieder wie 
eine Jungfrau, nur war fie etwas ftärfer geworden, was 
fie aber noch reijender machte. 

Jetzt fing id wieder am verlegen und zerſtreut zu wer« 
den. Ich fühlte wieder, dag meine Freumdin ein fchönes 
Weib fei. — Einen Morgen ermachte id in Thraͤnen geba- 
det. Johanna Klein war mir im Traume erſchienen, hatte 
ſich mit ihrem kindlich⸗ roſigen Geſichte über mich gebüdt 
und gefragt: Leictfinwiger Albert! fo bald kannft Du 
Deine arme Johanna vergeflen? 

Allein in einer folgenden Nacht offendarte ſie ſich wie⸗ 
der, und obſchon das Geſicht nichts von feiner Schönheit 
verleren, fondern vielmehr gewonnen hatte, ſah fie dom 





58 Ah que l’amoar est chose Jolie. 


nicht mehr wie ein Menfch aus. Sie hatte Flügelein an 
den Schultern, war halb durchſichtig. und glich einem über 
irdiſchen Weſen. Sie hielt Goncordien bei der Hand, welche 
fie mir zuführte, leutfelig ſprechend: Was irdiſch iſt, gebört 
dem Irdiſchen, was felig it, dem Himmel, Liebt Euch! 
dort werden wir uns Ale Sieben. — Liebt Euch! dort wer⸗ 
den wir uns Alle lieben, wiederholte eine weiße Geftalt in 
der Ferne, und ich erkannte deutlich den feligen Franz van 
Leuven auf dem Hügel im Morgenroth, ohne Blut und 
Bunden. 

Ic erwachte fehr frob; als ih die Augen aufſchlug 
blictte mir noch ein blühendes Engelsbild in’s Geſicht, Tür 
chelnd über mic bingehogen. Es mar die Meine drittehalb⸗ 
jährige Garolina, meine vertrautefte Freundin, und, wenn 
ich nicht zu weit ging, tägliche Begleiterin. Ich drädte das 
Kind ans Herz, und fühlte mid von ihren Liebtofungen 
entzüdt. 


Mit der Mutter wagte id) aber Erin zärtlihes Wort, 


zu reden. 

Ein Gedanke, der mich Hefonders peinigte, war: Wenn 
fie Dich vieleicht auch jegt ein Bischen lieb hat, wie fann 
das dir ſchmeicheln, hier auf einer unbewohnten Infel, wo 
fein anderer Mann da ift, als du? 

Ich hatte einen fhönen Raſenplatz entdedt, droben am 
Felſen, mo man nicht fo hoch binauf zu feigen brauchte, 
um eine freie Ausfiht Über das Meer zu haben. Hier war 
eine eine Vertiefung in den Zelfen, von Sträudern ums 
tingt, wo man in Schuß vor Sonne, Wind und Negen, 
fipen konnte. Das war jept mein liebfter Aufenthalt. Hier 
ſaß id) mit der einzigen Erbſchaft Lemelies, die mir lieb 
mar — feiner Laute. IA hatte mic ſelbſt gelehrt, Weiſen 


Ab que l’amour est chose jolie, 59 


darauf zu klimpern, und ſang dazu, was mir einfiel, wenn 
ich allein war. Concordia ſpielte die Laute ganz vorzüg- 
lich, fie hatte verfproden, mir naͤchſtens Unterricht zu ge» 
ben. Ich zifterte aber dafür. Schon wenn id) ihre lieb⸗ 
line Etimme hörte, die himmliſchen Blide der Augen fah, 
wenn fi der herrlich gebildete Arm und die Hände über 
die Saiten bewegten, zudte es mir durd alle Nerven, wie 
follte es aber erft werden, wenn fie meine Singer mit den 
übrigen anfaßte? Nein, mit dem Feuer muß man nicht 
ſpielen, dachte ih. Es munderte mich, daß mic die kluge 
Frau in eine ſolche Verſuchung führen wollte, und ich Dachte: 
Sollte fie did doch nicht vielleicht auch lieben? — Nein, fagte 
ich dann wieder: das ift nur ihre gewöhnliche Outherzigkeit. 

Carolinchen ward mir alle Tage lieber. Wie ein nied- 
licher Lofer Vogel, der einige Worte plaudern fann, flate 
terte fie immer um mich her, küßte mid und fah mic mit 
Mugen Augen an. Die Mutter fprad nur immer deutſch 
mit ihr, denn in den letzten zwei Jahren hatte fie, im Um⸗ 
gange mit mir, volfommen gut Deutſch gelernt. Als ih 
mid) darüber munderte, fagte fie: Man fol die erften Ler 
Densjahre der Kinder nicht in Unterrictsftunden verwan⸗ 
dein, blos um das Gedaͤchtniß zu fhärfen. Das Gedaͤcht⸗ 
niß ift bei den Kindern fo ftart genung Das Gemüth ift 
aber eine fo zarte Blume, der Charakter ein fo feiner Keim, 
dag beide gleich eine gewiſſe Richtung nehmen müſſen, um 
nicht flach und fhief zu werden. Das Gigenthümlihe will 
gleih ausgebildet fein, der Sinn für das Heimathlige; das 
Närtt Treue, Gefühl, Character, Liebe. Und das ift weit 
mehr, als ob ein Feines Kind zwei, drei Sprachen ſchwatzen 
fünn, che es zu denfen gelernt, und ſchon im fünften Jabre 
nicht weiß, welcher Nation es eigentlich angehöre. 


60 Ah que l'am our est chose jolia, 


Ich gebe End völlig Recht, liche Concordia, — erwit⸗ 
derte ih — nur wundert es mid. daß Ihr gegen Eure eis 
gene Theorie handelt, indem Ihr dem Kinde Deutſch und 
nicht Engliſch lebrt. — Sie errikhete ein wenig, flug die 
Augen wieder, faßte ſich aber gleich, ſab mich ruhig am, 
und ſprach: Wir find jetzt eine kleine Nation aus vier Men 
ſchen beftehend auf diefer Infel. Ihr feid der Mann, ein 
Deutſcher, und die Weider mällen fih nah den Männern 
richten. Mein Cart Franz mar ein Niederländer, deutſchen 
Stamms; vwir-Engländer waren vormals Sachſen. Das 
Schicſal bat uns Bier bier von der übrigen Weit gefrennt, 
fo Dürfen verſchiedene Sprachen uns nicht voch mehr von 
einander trennen. Wenn Carolinchen fieben, acht Jahre alt 
geworden iſt, umd Ihr, Hieber Albert, auch Eugliſch wie 
Deutſch ſprecht, wollen wir Engliſch mit ihr ſpre den. 

Ich küßte der ſchönen Fran ehrerbietig die Hand; fie 
verließ mic, und id dachte: Sollte das dad, nicht Liebe 
fein? — Thor! rief ih dann, fie hat dir ja den Grund 
deutlich auseinander gefept, hat dir heiter und klar in’s 
Auge geblidt — das thut Liebe nicht. 

Einſt, als ich droben anf dem Felfenzafen mit Karo» 
linden allein faß, und in einem Buche las, tief die Kleine: 
Bater! Bater! (denn fo nannte fie mich immer) — Ein 
großer Bogel mit weißen Flügeln ſchwimmt draußen. — 
Ich ſchlug die Augen auf und entdedte fern ein Schiff un 
ter vollen Segeln. Ohne mic zu bedenken, ob man mic 
aud) bören und fehen konnte, ſchrie und lärmte ich fo Laut 
als ich es vermochte, und winkte mit dem Taſchentuche. 
Bald aber war der große Dreimafter wieder aus dem Ge⸗ 
fichtstraiſe verſchwunden. 

Ich kann nicht ſagen, daß ich darüber betrüht wurde, 


Ah gue l’amour est chose jolie. 6 


obſchon ich mic, beträgt — fhellte, als ich mit Concordien 
darüber ſprach. Es freate fie, dag uns das Schiff nicht 
entdedt hatte. Wer weiß — fagte fie — mas das wieder 
für ruchloſe Menſchen waren. Bielleicht noch ein Lemelie. 
Ein Vogel in der Hand, lieber Albert, iſt beſſer, als zehn 
in der Luft. — Ja, dachte ich, wer nur den Bogel in der 
Hand hätte! ich würde nit na allen möglihen Bögeln 
in der Luft fragen, 

Den Tag darauf, als ich wieder auf dem Zelfen mit 
Garolinden ſaß, die ich auf einem von mir felbftigefhnit- 
tenen Fibelbrette Buchſtaben kennen lehrte, fiel es mir ein⸗ 
mal ein, wieder den Poeten zw malen. Ic) fieß das Kind 
im Grafe fpielen, und als id, meine Neime fertig hatte, 
fang ich fie folgendermaßen zur Laute: 


Ach haͤtt ich nur Fein Schiff erblickt 
Bon diefen fchroffen Telſenhusein; 
Das Echicfal hat es bergefchidt, 
um meine Cchnfucht zu beflügehn. 


Sou meine Zugendfraft vergeh'n, 
Mich feine Freude mehr beglüden? 
Son überal ich Blumen feh'n, 
und keine füße Mofe pflüden. 


Die Tulpe gtüpt, das ſchneue Thier 

In Hödlen findet feinen Gatten, 

Der Schmetterling, des Frühlings Zier, 
Gefreut fich auf den Siumenmatten. 


Der Fiſch im Bach, hoc dat im Baum 
Ber Bovrel feine Braut gefmmden; 


62 Ah que l’amour est chose jolie. 


Mir iR dab Beben mar ein Traum, 
Doc ift nicht Birftichteit verfenunden. 


ls Adam ging fo ganz allein, 
Da war nicht Goa noch am Beben; 
@ie wandelt hier im nahen Hain, 
Und doch ift fie mir nicht gegeben. 


Ic liebe fie und fag’ es nicht, 

Gin Heilgee Eidfchwur Heipt mich ſchweigen. 
Der Liche tiefverborg'nes Licht. 

Darf feine kühne Flamme zeigen. 


So bleib in Deiner ſtillen Ruh, 

I ſuche ſolche nicht zu Nören, 

Wein einy'ged Bey und Wodl did Du, 
Auein ich will der Sehnſucht wehren, 


Richt ganı geraubt if mie die Luft: 
Ich liebe Dich in Deinem Kinde. 
Drüct’ ich den Engel an die Brut, 
Das, weiß ich, iſt doch feine Sünde. 


Als ich das Lied gefungen, hörte ich ein leiſes Ge⸗ 
raͤuſch im Gefträuh hinter mir. Mein Herz fagte mir, daß 
Eoncordia, die gekommen war, das Kind abzuholen, ger 
lauft babe; ich wagte aber feine Unterfuhungen anzuftel- 
len, und that, als ob ich nichts gemerkt hätte, Eine Bier 
telftunde darauf Fam die fhöne Frau, ganz roth im Ger 
fit, mit dem Schnupftuche vor dem Munde, und gab vor, 
daß fie an Sahnfhmerzen leide. Weil ih nun mußte, dag 


Ah que l’amour est chose jolie. 63 


feine von diefen fhönen Perlen durchbohtt war, und- fie 
fonft nie an Zahnſchmerzen litt, konnte ic) diefen plötlichen 
Rheumatismus nicht recht begreifen, ließ es aber dahin ger 
fiellt fein. Sie ging mit dem Kinde, um es zu Bett zw 
bringen. 

Es giebt keine Liebe ohne Seldftquälerei, und fo konnte 
ich mic des Gedantens nicht entfhlagen: Sie liebt did nur 
jet, weil fein anderer da ift; das Mitleid hat ſich in ein 
färferes Gefühl verwandelt; das ift aber nicht wahre Liebe. 

Eines Tages begab ich mid) durd den unterirdiſchen 
Felſengang nad) dem Strande hinunter, ohne zu willen, 
mas ich da wollte. Unverſehens harte ih mich in die Fels 
fenböhfe gefeßt, wo Goncordia in den erfien Tagen nach 
dem Scyifbrude ihre Wohnung hatte. Iept fiel cs mir 
ein, wie Lemelie einſt darüber gefpottet habe, dag fie an 
ihrem Geburtstage, als fie mic verloren waͤhnte, Verſe 
über mid) gedichtet, und wieder entzwei geriffen habe. Auch 
van Leuven hatte mir ein ähnliches erzählt. Ih unterfuchte 
die Höhle, und fand, daß ein großer Block mit glatter 
Fläche da einen natürlichen Tiſch bildete. Zwiſchen dieſem 
Block und der Zelfenwand war ein tiefer, fhmaler Rig. — 
Da wird fie vieleicht Das zerriffene Papier hinunter gewor⸗ 
fen haben! dachte id. Ih ſah binunter; der Riß war aber 
fo tief und dunfel, dag ic nidyts entdeden konnte. — Ach 
das Geheimnig ift in den Abgrund gefallen! feufzte ih, gab 
aber noch die Hoffnung nicht auf, fondern eilte auf die In⸗ 
fel hinauf, und holte Feuerzeug und ein Stück Wachelicht. 
Drunten wieder fhlug ic Feuer, zündete das Licht an, und 
da fah ich deutlich kieine Papierftüde unbeſchädigt auf dem 
trodenen Boden liegen. Die Kluft war indeß zu eng und 
tief, um einen Arm durchzuſtecen. Dafür mußte ih auch 


64 Ah que l'amour est chose jolie. 


Rath. Ich Fichte ein wenig Badıs an meinen Stab, und 
fo langte ih gemaͤchlich alle Papierfragmente herauf. Jetzt 
ging «6 drauf los, Die Stüde auf dem fleinernen Tiſch in 
Ordnung zu bringen Endlich wer die Sammlung vell- 
fändig; die fhöne Mofait paßte ganz in einander, und 
denft Euch mein Entjüten, als ih folgendes Lied engliſch 
leſen konnte, das ih Euch Wer in der Ueberfegung mir 
teile: 


Er it wicht mehr! Ich ſehe Ihn mic! 

Bas edle, trexe Mngefiht! — 

Er weilt mit und nicht Freud und Same. 
Zerborſten iR das beſte Herz. 


Er ſtieg hinanf dem ſchmalen Steig, 
Der fühst zu Gottes Oimmelreich. 
Ein Engel feine Seele nahm, 
Deshalb er micht herunter kam. 


Jegt, Aibert, Ief‘ ich mit Dir nicht 
Des edlen Ahnherrn fhön Gedicht. 
Mh Wie daſt Du tief gefühlt! 
Der Tod Hat Med weggefpült. 


Nein, auſer Ufer war nicht todt, 
In Mondfärein, Morgen + Abendroth⸗ 
Denn wareft Du nur heiter nah, 
Damm war auch gleich die Freude da. 


3 Fed" ih aoa. mit Locken Erand,” 
Ir ſad ſo tec und xehlih and. 


Ah que l’amour est chose jolie. 65 


Schön war er auch und tugendhaft, 4 
Drum has der Tod. ihn meggeraf. 


Ich liebt’ ihn ſehr und ſaat es nicht. 
Barum denn nicht? Die Liebe fpricht! 
Mein Garl hat ihn ja auch geliebt, 
Und if, wie ich, fo tief betrübt. 


Me! Du Holder Jängling fein! 
Mir ala ein Engel füß.erfheim, 
In meiner legten Todesfund”, 
Dann werd ich wieder erft gefund! 


Jetzt war mein Entzüden unendlich, und ic zweifelte 
nicht daß fie mich liebe. Das Näthfel mußte fih bald lö— 
fen. Doc wollte ih mich nicht übereilen. 

Ich beſuchte alfo Concordien heute wie gemöhnlid, tu⸗ 
big und beſcheiden, fprad nur von Hausfachen, und fragte 
erſt beim Weggehen, ob fie mir nit bald, nad Berfpre- 
den, Unterricht auf. der Zaute geben wolle? — Ich habe 
nur auf Euren wiederholten Wunfd gewartet, lieber Als 
dert! antwortete fie; es ſchien mir, als ob Ihr in der letz⸗ 
ten Zeit feine ſonderliche Luſt dazu hätten. Ihr habt Euch 
ja ſelbſt ſpielen gelehrt; es geht fehr gut, Ihr könnt aus 
dem Stegreife friſch weg alle Melodien fpielen, die Ihr ein 
Paar mal gehört habt. — Ach — antwortete ih, das it 
doch alles nichts, wenn man die Singer nicht recht zu brau⸗ 
Sen verſteht. Die Applicatur if fehr nothmendig, und 
wenn Ihr nur ein wenig helfen wolltet — Die Noten fenne 
ich fon, weil id die Orgel frielen kann. — Von Herzen 
gern, ſprach fie — morgen wollen wir gleich enfeigen. _ 

Sehlenf, Schriften. XVIIL. 


6 Ab quo l’amonr est chase jelie.. 


Da droben auf dem Nafenplape im Felſenſchatten ift es 
fo fhön, verfegte ih. — Ich weiß, es iſt Euer Lieblinge 
ort, fagte Goncordia; gut, id) will Eud da Morgen früh 
eine Unterrichteftunde geben. 

Kaum war die Sonne aus dem Meere in ihrem Pur- 
pur geftiegen, fo faß ih ſchon mit der Laute da. Lemelie . 
batte uns aud) einige Noten binterlaffen, da war ein eis 
nes Lied, das er oft gefielt und gefungen, und das mir 
in feinem Munde widtig geflungen; jept aber behagte mir - 
das unfduldige Volkslied fehr, das au einer fhönen Mer 
lodie gefegt, leicht zu fielen mar. Der Refrain lautete 
alfe: 


Ah que l’amour est chose jolie! 
Avec l'amour 

Toute la vie 

Passe comme un jour! 


Ich hatte mid nit lange feld geübt, fo hörte ih 
Concordia kommen. Das Herz Mopfte mir laut im Bufen, 
und das Saitenfpiel fiel mir aus den Händen in’s Gras. — 
Db fie allein fommt? dachte ih. Hat fie das Kind mit, fo 
hebt fie mih nit. — Sie fam allein. — 

34 babe mein Carolinchen heute bei Minga drunten 

‚ gelaflen, fagte fie; denn das füge Kind würde ung nur ſtö— 
ren; nicht weil es unartig ift, fondern weil man es fo lieb 
haben muß, wenn man es fieht, dag man an gar nichts 
anders denken kann. — Das ift-fehr vernünftig, liche Gon« 
cordia! — Sie war in ein großes Tuch eingehült, und ich 
fonnte noch nicht fehen, ob fie kurze oder lange Aermel 
träge. Traͤgt fie ange Aermel, fo liebt fie mich nicht. Cie 





Ah que l’amaur ent chose jolie. 02 


ſchlug das Tuch zurück. Ich fat ein Paar der befannten 
dänifhen Handſchuhe fih wie feine Häute um die (hönften 
Schlangen fhmiegen. Der angenehme Geruch des Leders 
verbreitete ſich und feine Hofe Hätte mir füger geduftet.— 
Ir fpielt ja da ſchon nad) Noten. fagte fie; — und fingt 
— von der Liebe glaub? ih! Franzoͤſiſch! Das iR recht 
ehrlich. Statt von Liebe zu veden, follten die Männer im⸗ 
mer Franzöfifk fingen. — Das ift em recht Herzlihhes Hei- 
nes Lied, Concordia! Lemelie hat es freilich ehemals pro⸗ 
fanirt, dadurch verliert es aber nichts von feinem Werthe, 
das Schlechte kann das. Gute nicht entehren. — Spieit mir 
doc) einmal die Melodie vor, nad Enrer eigenen Art, Als 
bert! ih will Eud) nachher corrigtren. — Mit der erften 
Seile, fagte ich, geht es reif gut: Ah que lamour est 
chose jolie, mit den andern drei Zeilen müßt Ihr mir 
aber helfen, wenn etwas daraus werden fol. — Sie zog 
die Handſchuhe ab, nahm die Laute, und ein überfeliges 
Gefühl durchſtromte mich, als ich das f&öne, junge Weib 
fo ſihen ſah, und ihre liebliche Stimme hörte. Sie wollte 
luſtig und guter Dinge fein, es gelang ihr aber ſchlecht, 
ihre Stimme zitterte, und fie kam aus dem Takte. 

Ih Habe mic erfältet, ſprach fie, und bin Heute nicht 
‚bei Stimme, Kommt! id will Eu den Fingerfag lebren, 
For ſollt fingen. Gut, antwortete ih, nahm die Laute, 
fielte und fang: Ah que l’amour est chose jolie! 

Schön, ſprach fie; nur weiter! 

Avee Pamour — verfeßte ih. — Nein, nein, fiel fie 
mir in's Wort. das muß ganz anders gemacht fein — Sie 
ging mir jegt gerade auf den Leib, faßte meine Zinger mit 
den beiden ·ſchoͤnen Händen und feßte fie zurecht auf die 
Saiten. Ihr Geſicht war dem meinigen ganz nabe, ihr 

5 


68 Ah que l’amonr est chose jolie, 


Athena beihaute meine Wange. Da war es um mid ge 
ſchehen; ich drüdte meine-heißen Lippen in den Schnee’ ih 
ver Hände. Goncordia! liebe, füge Concordia! — Die 
Laute ‚fiel wieder in’s Gras, ich zog fie an mid. Sie tes 
trachtete mich mit einem unendlichen Liebesblid, ich drüdte 
meinen Mund auf den ihrigen. Gin herrliher Geſangvo⸗ 
gel war von den Klängen der Laute zu uns binauf auf den 
Zelfen gelodt, und während wir nur ſchweigen und Lüffen 
onnten, fang er für uns: 


Ah que ’amour eat chose jolie! 
Ayec lamour 

Toute la vie 

Passe comme un jonr. 


Von diefem Tage an war ich glädlih, wie Adam im 
Patadieſe, als er feine Eva gefunden. Was fage ih? Wie 
Adam? D weit glüdliher, denn die Schlange war ſelbſt 
aus Eden verjagt, und hatte uns niht daraus verdrängt. 
In füger idylliſcher Ruhe babe ic) Hier. als Patriarch, mein 
langes Leben genoffen. Auch glüdliher als Abraham bin 
ih; denn meine Concordia war mir Sara und Hagar zu 
glei, und kein neidiſcher Feind beleidigte mid. Auch war 
ih) glüdlicer als Jatob; denn Gott Hat midy, wie ihn, mit 
vielen Kindern gefegnet, allein meine Kinder waren alle 
fromm, und feines von ihnen hätte feinen Bruder verkauft. 
Auch babe ich noch als hundertjähriger Greis mein ſchar⸗ 
fes Geſicht, deſſen Ad Iſaak nicht rühmen fonnte. Mein 
Gedägtnig hat auch nur wenig von feiner Kraft verloren; 
kein Zug alter Zeit it daraus verfhmunden; obſchon — 
das muß ich gefteben. ich mic, bei weitem nicht fo gut er« 


Ah que l’amour est chose jolie. 6 


innere, was in den letzten zwei Dritteln meines Lebens ges 
ſchehen it. Das kömmt wohl aber auch daher, weil ſich 
in diefen Jahren nicht viel Abenteuerliches zugetragen hat. 
Und fo will id) denn jept fliegen, und wie der felige Trauts 
mann in der Zräuleinsfapelle eine Ballade vorlas, um mid) 
für fein Gefühl zu ſtimmen, will ih meinen Sohn Eder- 
bard Euch ein Lied vorlefen laflen, das ih am Tage meie 
ner Hochzeit dichtete, (wo ic) ſelbſt Hodhzeitebitter, Predi⸗ 
ger, Küfter und Bräutigam war) und daraus mögt Ihr 
mein damaliges Gefühl abnehmen. — 

Der Greis reichte Eberharden ein altes Blatt, und der 
Züngling las:  " 


Aned verwandelt; — 

Todt nicht und traurig; — Es lebt und es handelt. 
Wo ich bejaubert die Augen hinwende, 

Aoſen und Lieben, ber Frtude fein Ende. 


Mite Bafalten, 

Treffliche Pfeiler der ſtärtſten Gewalten. 
@pielen bemooft mit den ſchaumenden Wellen. 

Wollen auch gern ſich der Liebe gefelen. 


Schwimmende Fifhe * 
Zaumeln ich neciſch und ſchneu in der Friſche 
Grerlich gefteidet, wie fllserne Puppen, 

Kommen zur Hochzeit mit blintenden Schuppen. 


Scevögel ſchreien 

Oumnen der Siebe, den tändelnden Haien, 
Selbſt Leviathan und Behemot fpielen. 
Kälte des Meeres kann Liede nicht fühlen. 


70 


Ah que l’amour est chose julie, 


Mdier dort oben 

MRüften im Forſte die Zierlichteit loben, 
Sinken aus Bolten in Dämmernde Reſter 
Blätter und Blumen umfchlingen fich feiter. 


Nofen im Zanıe, 

Tanje des Windes, ſich (hlingen zum Kranic, 
Kranı; um bie Blüpende Freundin zu fhmäcen, 
Kranz; um den fröhlichflen Mann ju beglücen. 


Erhnſucht nicht länger . 
Ettahlet dee Mond, macıt den Bufen nicht enger; 
Schalfpeit nur lächelt in feinem @efichte, 

e qaltheit nur tönet in meinem Gedichte, 


Grendig und bei, 

Bald als ein Sicht in der Gachteitätapene, 
Bird er die (hüchterne Schonheit entſchleiern. 
Wenn wir die füßen Bigilien feiern, 


Dann Deine Wöthe, 

Yurpurner Morgen, erwecket die Fote. 
Gingende Vögel im Walde dann wagen, 
Nacht, dein @eheimniß der Sonne zu fagen. 


Sprung in der Geſchichte. a 


7. 
Eprung in der Geſchichte. 





Hier hören die Erzählungen des Alwaters auf. — Und 
fe foringen wir jeßt 76 Jahre über, und befinden uns mit , 
ten im Kreife der Felſenburgiſchen Zuhörer, zwei Jahre nah 
Eberhards Ankunft auf der Infel; denn fo lange mögen 
wohl die Mittheilungen des Greifes gedauert haben, welche 
der Juͤngling nachher aufgefäprieben, zufemmengezogen, aus 
gefüllt, vieleiht auch bie und da ein wenig aufgefrifcht 
bat, mo ihm die Farbe zu blaß ſchien. 

Radıdem ſich Albert alfo ſelbſt mit der, ſchönen Con ⸗ 
cordia getraut hatte, lebte er glüclih mit ihr, und zeugte 
im Laufe der Jahre mit ihr vice Söhne und Töchter. Als 
diefe erwachſen waren, ward es den guten Aeltern um ihre 
Kinder Hang, wie fie auch verheiratet werden follten. Es 
ſchien aber, als ob die Borfehung beſchloſſen hatte, die vor- 
ber unbewohnte Infel, bald moͤglichſt zu beuölfern; denn 
immer zur rechten Seit geſchah ein glädliher Schiffbruch 
an der Küfte, fo daß die Kinder Alberts bald Bräufigame 
bald Bräute fanden; wie fie es brauchten. Ginmal weite 
es dod auf diefe Beife nicht recht gelingen; und auf einem 
Heinen gedrechlichen Fahrzeuge wagten ſich einige junge Fel⸗ 
ſenburger nach St. Helena. Hier teilten die Zelfenburger 
einigen Jünglingen und Mädchen ihr Geheimnig mit, und 
überredeten fie mitzufahren, die Gtüdfeligkeit der Infel mit 
ühmen zu theilen. Nachher verheiratheten fih die Familien, 





72 Sprung in der Geſchichte. 


unter einander, und als Wolfgang auf die Infel kam, fand 
er ſchon felbige aum Theil bewohnt und bebaut. 

Die Höhlen des ehrlichen Alberts fülten fih aber nah 
den vielen Schiffbrüchen (auch fpanifhe Silberflotten waren 
da geſcheitert) immer mit Echäßen, und er fehnte ſich da- 
nach ein Schiff auezuräften, das ihm einige europäifde Ger 
rätbfpaften. Bücher, Waffen, Kleider, befonders aber einen 
Prediger und mehrere gute Künftler bringen könnte. Auch 
wunſchte er fehr, vor feinem Ende, einen Blutsverwandten 
aus Europa bei fih zu fehen, dem er einen Theil feines 
Scyages zuwenden könnte. 

Wolfgang, dem er feinen Wunſch mittheilte, war gleich 
bereit, wieder nach Europa zu gehen, um dem Altvater als 
les zu verfhaffen. Einige Felſenburger brachten ihn glück- 
lich nach St. Helena, und verliegen ihn wieder, ohne geſe⸗ 
ben zu werden, denn es war dieſem Infelvolke von größter 
Bicptigkeit, inter ihren Bafaltmauern von der übrigen 
Belt unentdedt zu bleiben. Der Altvater hatte Wolfgang 
große Kleinode mitgegeben, die er leicht verwahren konnte. 
Er kam glüdlid nad Europa, rüftete in Amſterdam ein 
Schiff aus, und erfundigte fid nach des Greiſes Verwand⸗ 
ten. Er hörte bald, dag ein Kaufmann Julius in Bre⸗ 
men wohne, der eben fallirt hatte, ſchrieb an ihn, umd 
ſchikte ihm Geld, ohne ihm noch das Geheimnig zu ent⸗ 
deden. Er bekam den wunderlihen Brief zurüd, den wir 
im erfien Theile gelefen haben, diefer Brief war nicht dazu 
geeignet, Herrn Wolfgang große Gedanken von dem Geiſte 
des Herrn Martin Iulius einzuflögen. Diefer Mann würde 
ſchwerlich die Erwartungen des poetiſchen Greifes auf der 
Infel im Südmeere erfüllt haben. Wolfgang ſchrieb alfo 
feinem Sohne in Leipzig, von dem er ſich größere Hoffnun⸗ 


Sprung in der Geſchichte. 73 


gen machte, und wir haben gefehen, daß er ſich in diefen 
Hoffnungen nicht betrogen fand. 

Der Altvater liebte Eherharden ganz außerordentlich, 
und diefer ihn. Albert glaubte ſich ſelbſt als Jüngling zu 
fehen, wenn er Eberharden anfah, und Eberhard hatte keir 
nen beißeren Wunſch, als dereinft ſolch ein Greis zu wer« 
den. Während der Alte feine Geſchichte erzählte, bezog 
Eberhard alles darin auf ſich, ſich felber fragend: Würdeſt 
du aud To gehandelt haben? Und meiftens mußte. er mit 
Ja antworten. Als nun der Alte in feiner Erzählung zur 
fbönen Tabulefträmerin gekommen war, ſputete ih Eder 
bard, ihm aud hierin ähnlih zu werden; denn unter den 
Zuhörerinnen haften feine Augen fon die reizende Cor⸗ 
dula gefunden, die, wenn aud nur vierzehn Jahr alt 
ſchon völlig ausgewachſen war; und unter der Erzählung 
begegneten ſich ihre Augen mehr als gewöhnlich. 

Er begleitete fie diefen Abend nad Haufe, und als fie 
am Eingange von des Vaters Garten fanden, dadıten fle 
wahrſcheinlich: Sollte nicht ein dunkler Gattengang eben 
fo brauchbar fein, als cin dunkler Gang in der Ritterburg 
des alten Knaufdegens? Sollte der Mond am Himmel 
nicht noch beſſer, als eine düftere Lampe fein? So fielen 
fie einander in die Arme, und weil keine alte Burgvögtin 

‚ aus der Enarrenden Thüre heraus Fam, mögen die Zaͤrtlich⸗ 
keiten Eberharde und Cordulas wohl länger als Albertse 
und Johannas gedauert haben. Kein Mädchen hatte ſchö⸗ 
nere Züge, einen reichlichern Haarwuchs, eine weißere Haut, 
als die ſchlanke, leichte Cordula; die mit ihrer Jugendheir 
terfeit einen gewiflen tiefen gefühlvollen Ernft verband, der 
Eberharden entzückte. Wie alle Eingeborne, ſprach fie ſehr 
gut Deutſch und Engliſch. Ihre Unkenntniß von der Ührie 


274 Sprung in der Geſchichte. 


gen Belt gab ihr nur einen Neiz mehr. Auch freute es 
Eherharden, aus des Greifes eigenem Munde zu hören, daß 
Cordula ihrer Stammutter Gancordia außerordentlich ähn- 
lich fei. nur daß fie lichtes Haar hätte. 


Auch Wolfgang hatte für fih eine ſchöne Sophia ge- 
funden. Und auch Magifter Schmelzer trat, als proteftan- 
tiſcher Prediger, in Luthers Fußtapfen, und hatte ſich eine 
blühende Catharina von Bora auserkoren. Nur Liberg und 
Lademann dachten an feine Liebe. Vermutblich hatten fle 
den Kopf zu voll von ihren Kunftwerfen, um das Herz mit 
zaͤrtlichen Gedanken zu fülen. Die Kirhe war beinahe fer⸗ 
tig, die große Orgel auch trefflich gelungen. 


Iept, mad; zwei Jahren, fand die Kirche fertig da 
und die fhöne Glocke von Felſenburgiſchem Metall gegoſ⸗ 
fen, mozu-der Altvater viel Silber aus feine Schatzkam ⸗ 
mer gegeben batte, Ind zum erften Male mit hellem Ger 
läute die Einwohner der Infel zum Gottesdienfte ein. Was 
das für ein Gefühl für den ehrwürdigen Greis war, als 
er. die Gloce zum erften Male läuten, die Orgel fpielen 
börte. Es wurde an diefem Tage ein Kind getauft und 
ein Paar Eheleute getraut. Der Altvater wollte auch ei» 
nen alten Mann, der eben geftorben war, begraben iaflen; 
damit dadurch die drei merkwürdigen Augenblide des Men. 
ſchenlebens bezeichnet würden: Das Lepte ließ er ſich aber 
von den jungen Zeuten wieder ausreden, die nicht mollten, 
daß etwas Trauriges dem heiten Gindrud Röre. — Mein 


Gott, Kinder, iſt das denn traurig? fragte der gottesfürch , 


tige Greis; glaubt Ihr, daß ic meinen nahe bevorſiehen - 
den Tod fürte? — Davon wollte Niemand etwas hören; 
und um ben Alten von dem erhabenen Gefühle wieder herah 


Die glüdlihen und unglüdtihen Liebhaber. 
zu ſtimmen, Tieß ſich Lißberg dazu beivegen, den Abend nach 


dem Kirchenfefte, feine und Lademanns unglüdlihe Liebes 
seibichten zu erzählen. 


> 8 
Die glällihen und unglädlien Liebhaber. - 





36) bin — fagte Lipberg — als Kind in Wien erzo- 
gen, in Nürnberg aber geboren, wo mein Bater, ein Pas 
trizier von Geburt, meine bürgerliche Mutter geheirathet 
batte. Nad meiner eltern Tode, nahm mid ein DBer- 
wandter meiner Mutter ih Wien zu ſich; er wollte mic) er« 

‚ leben und für mi) forgen, wenn ich meinen verjährten 
Adelsbrief verbrennen, zur katholiſchen Religion übergehen 
und ein bürgerliches Gefhäft treiben wolle. Zum erften 
und letzten bequemte ich mich gleih; meinen evangeliſch⸗ lu⸗ 
theriſchen Glauben wollte id) aber niht abfhiwören. Der. 
Vetter, der ein vorzügliger Inſtrumentenmacher war, hatte 
anf feinen Reifen aud etwas Toleranz gelernt, gab nach. 
und ließ mich Mathematik und Latein lehren. 

As id zwanzig Jahre alt war, farb mein Better, 
und ih mußte auf allerlei Weiſe felbft mein Brod verdie⸗ 
ven. Da war ein Edelmann in der Steiermark, der ftir 
nen Kindern in der Zeichenkunſt gern Unterricht geben laſ⸗ 
fen wollte, id übernahm das Geſchäft, weil es mir gefiel, 
im Sommer auf dem Lande fein zu köͤnnen. Da waren 
mehre Kinder verfhiedenen Alters; das ältefte, ein erwach- 


N 


*6 Die gluͤklichen und 


ſenes Mädchen, nicht eigentlich hubſch, aber in der Blü⸗ 
thenzeit, wo man jedes Mädchen huͤbſch findet. Sie war 
fon eine auegelernte Kokette, fo weit es fi mit der 
Ehrbarkeit vertrug. Wenn ich fie im Zeichnen unterrichtete, 
wußte fie immer die weißen Hände und Arme fo zu bewe⸗ 
gen, und mic fo au berühren, dag es mir durch Mark und 
Bein fuhr. Ich lief in den Wald hinaus, fing an mit dem 
Baͤchlein poetiſch zu ſprechen, mit den Böglein zu fingen 
und in die Baumrinde zu ſchneiden. Sprechen konnte ich 
aber nicht, wenn id bei ihr allein war. Sie war dann 
immer ganz gelaffen. Sobald id einen Schritt vorwärts 
thun wolte, 309 fie ſich ſtolz und kalt zurück, wenn id) böfe 
darüber wurde ‚und mid zurüdziehen wollte, war fle wies 
der zuvorfummend; und fo ſplelte fie ein ganzes Jahr mit 
mir, wie die Rage mit der Maus,. che fie felbige verſchlingt. 
— Endlid) wollte ih doc) etwas wagen. Daß ih aus ei⸗ 
ner Vatrizier- Familie, ſtamme, wußte fie fon, und ſchien 
an meiner Ebenbürtigfeit keinen Zweifel zu hegen. 

Zu meinem Unglüde — oder beſſer gefagt — zu mel 
nem Glüde, ward aber eben in der Zeit ein Offizier bei 
uns einquartirt. Kaum hatte fie ihn zum erfien Male ger 
feben, fo war fie bis zum Sterben verliebt, und brauchte 
alle Künfte gegen ihn, die fie fonft auf mid, verſchwendet 
hatte. Mein Stolz erwachte, Zorn und Verachtung gegen 
ihr Benehmen vertilgten ganz meine Liebe, und id hatte 
Kälte genug, ihm rubig Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen; 
denn es war wirklih ein fhöner Menſch, nur etwas ein- 
fältig, und ganz unwiffend. Mid dagegen hatten die hose 
haften Blattern fo zugerichtet, daß, wenn ih mid in dem 

‚Spiegel ſah, id ſelbſt geſtehen mußte: ein foldes Geſicht 
fei nicht dazu geeignet, jungen Mäddyen Liebe einzuflögen. 





unglüdligen Liebhaber. om 


Indeß war +8 ja doch geſchehen. Das verdanfte ih aber - 
wohl nur der Einfameit auf dem Lande, weil fein Andes 
rer da war. Denn die Kofetterie war meiner Schönen 
aur Gewohnheit geworden; und man verficerte, daß wenn 
ich nicht zu Haufe fei, kokettire fie mit dem alten ſechzig⸗ 
säbrigen Verwalter. 

Ich packte jept Bleiftift, Belinpapier, Farbenlade und 
Pinfel zufammen, und ärgerte midy darüber, daß ich felbft 
ein armer Einfalts-Pinfel geweſen. Ich reifte andersmo« 
bin, die Liebe war verdunftet. id) trieb wieder Mathema- 
tie, und ftatt Blumen, zeichnete ich Grundriffe, und Pro⸗ 
file maͤchtiger Gebäude. 

Den folgenden Sommer, als ih eine Heine Reife 
machte, kam ich auf dem Wege in ein Wirthshaus, wo ein 
aroßer Auflauf von Menſchen war. Ein junger Offizier, 
ein unglüdliyer Liebhaber, hatte ſich ſelbſt eine Kugel durch 
den Kopf geſcoſſen, weil feine Gelichte ihm untreu gewvor« 
den. Ic) lich mir den Leichnam zeigen, und fhauderte zu⸗ 
rüd, als ich einen gluclichen Nebenbuhler, todt und blu 
tig auf dem Tiſche unter dem Leihentuh endete. Sie 


- batte alfo aud) ihr Spiel mit ihm getrieben, er war aber 


ein ſchlechterer Phitofoph als ich, und hatte fid) in der Bir 
derwärtigteit nicht zu benehmen gewußt. Id, bedauerte den 
armen Zeufel, konnte aber mit einem Menſchen nicht viel 
Mitleid Haben, der einfältig genug war, ſich einer ſolchen 
Dame wegen zu tödten. 

Zwei Jahre nad diefem Ereignifle kam ich "wieder auf 
der Reife, in cin Städtchen fpät Abende, mo in einem 


„Haufe viel Lärm binter den geſchloſſenen Benfterladen zu 


bören war. Es mar ein Mann, der feine Frau abprüs 
gelte. Ich frug nad) den Namen und hörte zu meinem 


rs Die glüädlihen und 


Srflannen, daß es wieder mein Sränlein war, die ſich end» 
lich mit einem Manne verheirathet hatte, der fie mit 
liebte. Um ihn zu gewimen, hatte fie ihm genommen, was 
wohl ſonſt ſchwerlich geſchehen wäre. Cr batte fie des 
Geldes wegen gebeirathet, und nun prügelte. er fie, weil fie 
mit andern Männern ſchon that, welches er nicht leiden 
konnte. — Das ift die Nemefis, dachte ih, ging dem Haufe 
vorbei, und wollte fie nicht ſehen. 


Sie Hatte aber meine Antunft entdedt, fürieb mir ei⸗ 
nen artigen Brief und bat mich. alter Freundſchaft einges 
dent, in der Abweſenheit ihres Mannes einen Augenblick 
au ihr zu Bommen, und ihr cinen guten Rath zu geben. 
36 ſchlug die Bitte ab. Den Sonntag darauf ging id in 
die Kirche. Sie faß in einem Stuhle, war huͤbſcher ale 
vorber; bafte rothe Baden befommen, und mar etwas ſtaͤr⸗ 
ter geworden. Sie grüßte mic freundlich, ich machte ihr 
eine kalte Berbeugung. Als der Prediger die Kanzel be⸗ 
flieg, ging das alte Spiel wieder los, mit dem Hinftarren 
der Augen. Ich wußte, was das zu bedeuten halte, konnte 
aber dod die Augen von ihr nidt wegkehren. Bon der 
predigt hörte ich fein Wort. Als ih nach Haufe Fam, lag 
wieder eine Einladungstarte auf dem Tifh. Der Mann 
mar auf einige Tage verreit. Ich wollte wieder Nein far 
gen, fand aber bei reiferer Ucberlegung, daß es gar zu 
grob fei. — Ich kam. Eie empfing mih, wie einen alten 
Bertrauten. IA wollte ihr eine Strafpredigt halten. Ihr. 
Biß, ihre Heiterkeit, ihr freundliches Laͤheln band mir aber 
die Zunge. Ich tröftete fie, fo gut als ich Eonnte. Beim 
Abſchiede bat fie mid, bald wieder zu tommen. Ic vers 
ſprach es, feßte mich aber Morgens früh auf den Poſtwa⸗ 


unglädlihen Liebhaber. 70 
sen, und fahr ab. Ich habe fie ſeitdem nicht wieder ges 
for 


m. 

Kurz darauf lernte id Lademann kennen, Er fell Euch 
aber ſelbſt feine Jugendgeſchichte erzählen, damit Ihr ihn 
doch einmal ſprechen hört. Denn ih verfihere Euch, er 
Bann ſprechen und denfen, wie ein anderer Menſch, wenn 
er nur die verfluchte Blödigkeit bezwingt, womit er behaf- 
tet it — 

Ich fühle felbft, ſprach Yademann, dag diefe Blödig- 
feit eine fehr ſchlinme Gewohnheit ift, die mir mande 
Freude raubt; beute will ich mid aber‘ überwinden, und 
meine Jugendgefcichte erzählen, weil zum Theil darin die 
Urſache meiner fhücternen Blödigfeit zu finden ift. 

Mein Bater war ein armer Dorfipielmann, der mit 
der Geige, Schalmei und befonders dem Hachrette fein 
Brot fümmerlid verdiente. Auf meine Erziehung hatte er 
nichts zu verwenden, fobald id; groß genug dazu war, 
mußte ich ihm zu den Hochzeiten, Kindtaufen und auf den 
Zanzboden folgen, und ihm die Sadpfeife blafen helfen. — 
Ein Kind will gern früh ſchlafen gehen, ich mußte aber 
ganze Nächte da figen und geigen, während die tofen Men - 
ſchen fid) in ewigen Kreifen herumdreheten, und mir oft 
wie Kobolde der Nacht vorkamen. Hatten wir auf folhe 
Beife die Nähte zugebracht, fo mußte ih meinen armen 
berauſchten Bater nach unferer jämmerlihen Wohnung ber 
gleiten. Er war dann gemeiniglid) aufgebracht, und Hrüs 
gelte mid oft um gar nichts: dann erft konnte ih armes 
Kind in's faule Bett Frieden, das mid gegen die Kälte 
nur wenig fhüpte. 

Wenn mein Bater in diefem Zuftande war, (und das 
war er leider oft), magte ich fein Wort zu ſprechen, ich 


I 


8° Die glücklichen und 


ſchwieg, ‘um feine Schläge au bekommen, und fo babe ih 
mir von Kindesbein das Schweigen angemöhnt. — In um 
ferer Nähe wohnte ein Schulmeifter, er erbarmte ſich mei- 
ner, und gab mir im Lefen und Schreiben Unterricht, auf 
verehrte er mir das neue Teſtament; und da fand ich mei⸗ 
nen vollen Zroft; denn wenn ic) darüber befräbt war, dag 
ich in dem faulen Bette liegen mußte, dachte ich daran, 
mie der Meine Jeſus nur in ciner Krippe im Stalle auf 
Stroh geſchlafen, und da ſchlief ich getroft ein. Id glaubte 
auch immer, daß wenn ih nur fieißig und fromm wäre, fo 
würden die geflägelten Engelein mic) fhügen und überall 
unfihtbar begleiten. 

Einmal wäre es mir dod beinahe fehr (hlimm ger 
sangen, und meinem armen unglädlicen Vater noch ſchlim⸗ 
mer. Er war darüber entrüftet, dag ich zum Schulmeifter 
ging, und weil ich nit mehr bei Trintgelagen die Zoten⸗ 
lieder fingen wollte, die man mir vorlegte. Als wir eines 
Abends fo allein fagen, und er ganz berauſcht war, ſchentkte 
er mir ein großes Glas Branntwein ein, und wollte, .dag 
ich es ausleeren follte. Ich rief ängftlih: Bater ich kann 
nicht! Es ift Gift für mid, willſt Du Dein armes Kind 
vergiften? — Hund! rief er raſend, wagft Du mir zu wir 
derſprechen? Und one ſich zu bedenken, ſchlug er mich mit 
dem Etod auf den Kopf, fo dag id betäubt zur Erde 
fiel. — Glüdtihyerweife kam ich. wieder zur Beſinnung; er 
war in der größten Angſt gewefen, und der Rauſch war 
ibm, als ich fiel, gleich vergangen. — Ad, wie war ich 
froh, als ich wieder zurüd in's Leben kehrte. Ich Tügte 
feine Hand vielmals und rief weinend: Gottlob, lieber 
Bater, daß Du fein Mörder bift, dag Du Deinen Heinen 
Gottlieb nicht getödtet haft; fonft wärdeft Du ja auf dem 





“ib vor dem noch nie gehört hatte; ich hin ein Böfewiht, . 


unglüdligen Lichhaber. 81 


Dochgerichte haben ſterben müſſen; mich wärden die klei⸗ 
wen Herzengelein in Abrahams Schooß hinauf getragen 
baben 

Gottlieb, ſprach der arne Mann, in einem Tone, den 


und verdiene den Vaternamen nit. Komm, armes Kind, 
ich will Dich vor dem grimmigen Thiere meiner feldft in 
Sicherheit bringen. 

Drauf brachte er mid) in die Stadf zu meinem Obeim, 
einem armen wunderlichen Leinweber, der verſprach, für 
mid) zu forgen. Mein Bater war von dem Zage an ein 
anderer Menſch; das Zrinfen konnte er freilich nicht laſſen. 
und foielen und geigen mußte er auch, allein er wallte nie 
mehr in Zorn auf, . fondern weinte ftill vor fih bin, wenn 
er in diefem unglüdlichen Zuftande war, und fagte: Ich 
babe mein Kind ermordet; den armen unfhuldigen Gott- 
lieb, der mir nie etwas. zu Leide gethan. Id babe ihm 
etwas im Kopfe entzwei gefhlagen; wenn er es auch jept 
nicht fpürt, es wird doch mit der Zeit ſchlimme Folgen ha- 
ben, und er wird nicht alt werden. — So grämte er ih 
ab, und ftarb zulept. 

Mein Obeim gab mid, bei einem Tiſchler in die Lehre. 
Ein glückliches Greigniß ſetzte mich in Stand dazu, nicht 
bios felbft mehr auf meine Erziehung zu verwenden, fon« 
dern meinen armen Oheim zu unterftügen. Wunderbar 
genug war diefe Begebenheit. — Ich las gern alles, was 
ich in die Hände bekommen konnte, und fo hatte ih auch 
die Geſchichte des heiligen Bonifacius gelefen, wie er das 
Chriſtenthum zuerft in Norddeutihland predigte. Einmal 
ſchien es mir, als Ründe er vor meinem Bette, und fagte: 


36 mag Did feiden, Gottliebl Die Heiden re ich zum 
Oehlenſ. Schriften. XVIII. 


82 Die glüdlihen und 


Chriſtenthum bekehrt, für Dich will ich auch forgen, daß 
Du eine chriſtliche Erziehung befömmft. und die ſchöne 
Mufit, die zum Gotteedienfte fo nothiwendig ift, gründlich 
lerneſt. 

Es waren fon drei Jahre ſeit dieſem Traume ver 
floffen, und ih war, wie gefagt, bei dem Tiſchler in der 
Lehre, als mein Meifter mic eines Tages in das Haus 
eines berüchtigten Geizhalſes fhidte, der, wie Harpagon in 
der Komödie, ein junges Mädchen beirathen wollte, und 
deshalb darauf bedacht war, fein baufälliges Haus zu res 
pariren, um die junge Braut darin würdig zu empfangen. 
Da mußte ich in einem Saale das Täfelmerk abreigen, dar 
mit der Saal aufs neue mit Nußbaumholz hübſch ausge 
täfelt werde. Hier fand cin ſchlecht gefhnigtes wurmſtichi⸗ 
ges Bild von einem Heiligen; denn die Stadt war katho— 
üſch ich war aber lutheriſch. Der Hausherr hatte mir ber 
fohlen, mit feinem Schutzbeiligen glimpflich zu verfahren, 
weil’er auf ſchwachen Beinen ftehe. Ich war in dem gro- 
gen alten Zimmer allein, und folte nun das alles Kerun« 
terbrechen. 

Ich war ziemlich in meiner Arbeit fortgerüdt; da aber 
der Rüden des wurmſtichigen Schugheiligen an die Band 
genagelt war, wo id das Holz herunter Heben follte, fo 
ging er mir unter den Händen entzwei, und ſchüͤttelte plotz⸗ 
lich aus feinem ausgebölten Leibe eine Menge Goldſtücke 
über meinen Kopf. Ic fammelte fie forgfältig in meiner 
Müge, und bradfe dem reihen Wirthe 632 Kremniger 
Dufaten mit den Worten: Geht mal, Herr! Iept merke ' 
ich doch, daß die verftorbenen Heiligen den nachlebenden 
Menſchen einige Woblthaten erzeigen können. — Statt mir 
aber zu danken oder cin gutes Trinkgeld zu geben, ſprach 


unglüdlihen Liebhaber. 83 


er: Bartet, mein Sohn, ih muß doch meiner jungen 
Braut diefen Fund zeigen; Tief drauf zur Obrigkeit und 
"lieg mic als einen Dieb und Heiligenläfterer verhaften. 
Ohne weiteres wurde ich in ein ſchwarzes Loch geworfen, 
und Gott weiß, wie lange id) da Hätte ſihen müflen, wenn 
nicht mein väterliher Freund, Herr Lipberg, der eben den 
Tag auf dem Rathshauſe den Nathsherren einen Plan zur 
Ausbefferung einiger Gebäude vorzulegen batte, mir au 
Hälfe gefommen wäre. 

Als er hörte, der Geizhals behaupte, «6 wären 1000 
Dulaten im Heiligenbauche gewefen, weil fein Bater auf 
dem Eterbebette einige geheimmigvole Worte gefprocen, 
deren Sinn er jegt erft begriffe; fo ließ Lißzberg den Heilie 
gen wieder zufammen leimen. Als das geſchehen war, mur« 
den die 632 Dufaten in die große Sparbüchſe geworfen, 
durch eine Meine Nige oben am Scheitel; und da ergab es 
fi, dag der leere Raum ganz gefüllt war. Jetzt murde 
die Summe in drei Theile getheilt. Das erfte Drittel bes 
kam der Schutzheilige, wie billig, weil er fo lange in ge⸗ 
faͤhrlichen KAriegeszeiten den Schap in feinem Leibe verwahrt 
batte. Das zweite Drittel bekam der Hausberr, und id, 
als Finder das legte. — Das darf id aber nicht vergeflen, 
daß dies Bild den heiligen Bonifazius vorftellen follte, 
und alfo hatte er wirklich, fein Verſprechen an mir erfüht. 

Durd die Vermittelung Herrn Litzbergs kam ih nach⸗ 
ber zwei Jahre in's Haus des großen Kapellmeifters Seba- 
ſtian Bad in Köthen. Er lehtte mid das Pedal gut 
.fbielen, und gab mir im Kontrapunft gründlichen Un- 
terricht. 

Herr Litzberg verſprach, mich gelegentlich gut anzuſtel⸗ 
len; jetzt ſchlug er mir vor, erſt mit ihm eine Reiſe zu 

6° - 


& Die'glädtinen und unglätlihen 


maden, um alte Orgeln in den vielen altın Etädten zu 
verbeffern; dadurd konnten wir viel Geld verdienen, und 
zugleich die Welt eim wenig fennen lernen. Ich war fehr 
mit diefem Vorſchlag zufrieden, und der Himmel kat mid 
durd meinen theuern Sreund glüdlid gemacht. Unſer Ruf 
als gute Mechaniker verbreitete fi; wir befamen eine Eine 
ladung nad) der andern, zuleßt eine vom Herrn Wolfgang, 
nad) Amfterdam zu kommen, und mit ihm nah Oftindien 
au gehen, wo wir reihe Leute werden follten. Auf diefem 
Bege Iernten wir Herrn Eberhard Julius und Madame 
Hanna Helfraft kennen; und was weiter geſchehen ift, wiſ⸗ 
fen Sie Alle. 


Hier ſchwieg Zademann, und Lißberg rief lachend nach 
einer Meinen Paufe, die aus getäufgter Erwartung ent» 
fand: Nun, meine Herren und Damen, war das nicht 
eine ſchoͤne Geſchichte? vom wurmſtichigen Heiligm? Da 
figen nun die Heben Mädchen, und die guten Mütter, has 
ben auf eine unterhaltende Liebesgeſchichte die Ohren und 
den Mund gefbigt, und mäflen mit abgedrofhenen Anekdo- 
ten vorlich nehmen. Nein, Freund. das geht nicht. Wollt 
Ihr nicht beichten, fo muß ich e6 thun. Ich fhiele freilich 
aud darin eine Rolle fo gut wie er; ich babe mich aber 
ſchon preisgegeben; an mir, glaubt er, iſt nichts zu verder⸗ 
ben. Boblan, id) erzähle; aber. beim heiligen Bonifa- 
alus, Lademann, ich fhone Eud nicht. Ich nehme Euch 
mit im Fallen; und es wird mir beſſer gelingen, als dem 
toßen Kerl, der ſich mit Kaifer Karl dem Fünften vom 
Ahurm herab ſtürzen wollte, um dadurd einen ewigen Na- 
men zu befommen. 


Liebhaber. Fortfegung. 8 


Dir glüdliden und unglüdliden Liebhaber. 
Sortfegung. 





Bir reiften alfo ab, wie ſchon erwähnt worden ift, 
um alte Orgeln in alten, deutſchen Städten zu verbeflern. 
So kamen wir denn einmal zu einem Nonnenflofter, wo 
die Orgel auch nicht recht Mlingen wollte, die große Ubr 
wollte nicht gehen, undrobendrein hatte der Bliß einge: 
ſchlagen, und eine Ede des Altars zertrümmert. Da war 
nun alfo vieles auszubellern. Die Aebtiffin war ftrenges 
fie betrachtete die Iepten Unglüdsfälle ald Strafe des Him- 


> meis, weil ein Paar ihrer Nonnen heimliche Liebſchaften 


gehabt, Die armen Kinder waren vor Shreden in eine 
Krankpeit gefallen, geftorben und auf dem Kirchhofe ber 
graben. Da fehe man die Gerechtigkeit des Himmels! 
Seitdem war im Klofter eine noch firengere Zucht einge» 
führt, und die Mannsperfonen, die nothwendig dahin kom⸗ 
men mußten, wurden der firengften Duarantaine unterwor« - 
fen, damit ſich die Liebespen nicht wieder in Die Seen und 
Herzen der Nonnen einſqleiche. 

Lange ftand der Altar verfallen, die Uhr ging wicht, 
die Orgel brummte ärger als die Aebtiffin, blos weil die . 
fer noch fein Baumeifter, Uhrmacher sder Orgelbauer wor 
Augen gelommen, der nicht gefährlich ausfehe. Kaum aber 
hatte ſie mich und Lademann erblidt, fo geflelen wir ihr, 
und fie fand uns beide zu den Arbeiten bequem und gut, 
Bas mid, betrifft, fo begreife ih, dag mein derbes Weſen 


86 Die glüdlihen und unglüdlihen 


und viele Vockennarben ihr eben fo viele Beweiſe meiner 
Unfdädlicpfeit waren. Lademann war aber ein hübſches 
junges Blut mit glattem Milchbartgeſicht; Freilich hatte er 
ſich in der Kindheit ein wenig verblafen; er war aber 
fromm wie ein Zamm und fanft wie ein Engel, mas chen 
die Beiber fo gern haben. Die Aebtiffin aber, die eine 
große Menfhen« urd befonders Männerkermerin zu fein 
ſchien, hat ihm vermuthrih gleich die erftaunliche Blodigkeit 
abgemerkt, die nichts Kühnes auf eigne Hand wagte. Kurz 
wir befamen die Arbeit auf die Bedingung, Feine Gefellen 
sder Lehrjungen mitzunehmen. Obſchon nur wenig dabei 
zu verdienen war, gingen wir dod den Kontrakt ein, weil 
das einfame Arbeiten in einem Nonnenklofter für uns etwas 
Abentenerliches Hatte. Und nad) des feligen Seiferts Abeo· 
rie ſuchen ja alle Menſchen Abenteuer. 

In den erſten Tagen geſchah doch nicht viel Atenteuer⸗ 
liches, denn die Kirche ſtand ganz leer. Als wir aber eines 
Abends ziemlich fpät über den Kirchhof gingen, ſahen wir 
zwei junge Leute weinend auf Gräbern liegen, ſich mit. wei⸗ 
dem Tüchern die Thränen eifrig von den Wangen trodnend, 
und fehr Eläglihe Geberden und Armbewegungen gegen 
den Hinmel anftellend, als wollten fie die Geifter der Ders 
ſtorbenen wieder herunter mahnen. — Ich redete den Ael · 
tefien an, der mir der Vernünftigfte zu fein ſchien, und er 
anttoortete, nachdem er ſich von feinem Schreden, von uns 
entdedt zu (ein, erholt hatte: Ad, lieber Herr, verrathet 
uns nicht. Mit Lebensgefahr find wir über die hohe Klo» 
Rermauer geflettert, blos um das fraurige Vergnügen zu 
baben, auf den Gräbern unferer feligen Geliebten zu wei 
nen. Wenn Ihr je geliebt habt, — (mie es denn wohl 

nicht anders möglich ift), fo mißt Ihr, was das fagen 


Liedpaber: Fortfegung. 87 


will, fein geliebtes Leben in der Schönheitshläthe zu ver- 
lieren. Ich bitte Euch, verraihet ung nit an die Aebtiſ⸗ 
fin, die eine hartherzige, kalte, alte Iungfer ift, daß fie 
uns gemiß ſelbſt diefen armfeligen Troſt rauben würde, 
wenn fie es wüßte, daß zmei Zünglinge, bei Nacht allein, 
die Gräber ihrer verftorbenen Nonnen beſuchen. 

Da' war nun, natürliherweife, nichts zu verrathen. 
Es that uns um die armen Jungen leid, und mir fuchten 
ale die Gemeinplaͤße auf, die wir auswendig mußten, um 
fie zu tröften. 

. Einen wahren Dienft könnt Ihr uns erzeigen, wenn 
Ihr wollt, ſprach einer der Betrübten. — Und welchen? — 
Die Schweſtern unferer feligen Geliebten leben noh als 
Nonnen im Klofter, wo Ihr arbeitet. Die eine ift Orgel- 
foielerin, die andere erfte Sängerin, und meil fie ſich beide 
auf Orgeln und Inftrumente fehr gut verftehen, fo wird 
die Aebtiffin, die ſelbſt nicht Kapengefhrei von Nadıtigal« 
lengeſang unterfepeiden Tann, genöthigt fein, dieſe zwei 
Nonnen zu Euch Hinauf zu ſchiden, um die Arbeit zu un« 
terſuchen. Thut uns dann den Gefallen, und gebt einer 
der Nonnen heimlich diefen Brief! Wir wiflen, dag fie von 
ihren feligen Schweſtern abgeſchnittene Haarlocken befiken; 
und, wenn Ihr geliebt habt, fo wißt Ihr, welcher Schat 
eine ſolche abgefhnittene Haarlode einem unglädligen Lieb» 
baber ift. Das ift alles,. was wir von Euch begehren. 

Bir konnten ihnen diefen Beinen Dienft nicht abſchla⸗ 
gen, und verfpraden, der Orgelſpielerin das Billet heim ⸗ 
üch zuzuſtellen. Schon den Tag darauf kamen zwei junge 
Nonnen zu uns uf die Orgel hinauf, von einer alten be» 
gleitet, die ſich gleich auf eine Bank niederlieg, eine Brille 
auf die Nafe fepte, und in einem Bude, das fie verftedt 


88 " Die glüdlihen und unglädlihen 


in der Taſche gehabt, zu leſen anfing, wäßeend die Jungen 
mit uns Orgelpfeifen und Regifter unterfuchten. Cie bat- 
tem ihre Schleier abgelegt, ihre Kapuzen zurückgeſchlagen 
und warten von außerordentliher Schönheit. Ih gab der 
erften den Brief, den ge hurtig in den Bufen ftedte. Die 
armen Unglädlihen, feufzte fe — und Thränen füllten 

. ihre ſchoͤnen Augen, fie lieben noch unfere verftorbene Schwer 
fern, nach Iahres Friſt, fo treu und zärtlih. Sünde wäre 
es. ihnen diefe unſchuldige Bitte abzuſchlagen. Morgen 
ſollt Ihr die Haarloden befommen, meine Herrn! 

Jetzt fing die Orgelſpielerin mit den ſchneeweihen. wohl 
gebildeten Händen auf den fhwarzen Tangenten herum zu 
flanfiren, während die andere mit Harer Stimme eine Arie 
fang, wobei die volle Bruft in ihrer ganzen Pracht aufe 
ſchwoll. Lademann war im dritten Himmel; er glaubte die 
Beilige Gäcilia bei der Orgel zu feben; und weil die Sän- 
gerin wie eine Nachtigall trillerte, und das Kirchengewoͤlbe 
mit ihrem herrlichen Sopran erfüllte, wurde es mir auch 
ziemlich eng um’ Herz Kaum merkten "die fhönen Ron- 
nen die Wirkung ihrer Kunft und ihrer Anmuth, ſo fingen 
fie an, die Batterien ihrer Augen auf uns ſpielen au laſ⸗ 
fen, fo daß mir uns ganz befiegt, auf Gnade und Ungnade 
ergeben mußten. — Sie wären gern länger geblieben, und 
wir hätten ihnen gern bis Morgen zugehört, ohne zu eſſen 
und zu trinken. Die alte Nonne mahnte fie aber, wieder 
weg au geben, und die Aelteſte kehrte fi zu uns, und 
ſprach lachelnd: Ja, meine lieben Herrn! da ift noch wiel 
am diefem Juſtrumente zu machen, ehe es fertig wird, umd 
gut Hingt. Das Prinzipal ift ganz verfäumt. Die Flöte 

muß lieblicher tönen. Die Mirtur ſchreit noch adfhenlich, 
weil Ale wicht in Harmonie gebracht ift. Mit dem Pedale 


Liebhaber. Fortſehung. m. 


werden wir ſchon leichter fertig werden. — Dabei trat fie 
mir leife auf den Fuß, ſah mid, mit verliebten Blicken an, 
und verſchwand mit der Freundin. 

Als wir zwei glüdlihen Liebhaber allein in der Kirche 
maren, fiel mir Lademann um den Hals, und ich lieg mir 
zum erſten Male feine zaͤrtlichen Narrentheidungen gefallen. 

Den Tag darauf hatten wir wieder einen Befud von 
unferen Echönen. Die Alte nahm ibren vorigen Pag ein, 
und fing an, da im Bude zu leſen, wo fie geftern aufge» 
hört hatte. Es ſchien fein geiſtliches Bud zu fein, denn 
fie lachte oft verſchmißt und fhüstelte den Kopf, und bee 
nutte fo auf ihre Weiſe aud) die Abweſenheit der Aeb ⸗ 
tiſſin. — Die Sängerin wollte mir jeht etwas Unrichtiges 
am Bentil zeigen, mährend Lademanns Schöne ihm ein 
Adagio vorfpielte; fie ging mit mir hinter die Orgel, Da 
gab fie mir in ein Papier eingewidelt die Haarloden der 
verftorbenen Schweftern, für die beiden Unglüclichen, und 
fagte mit himmliſcher Stimme: Lieber Ligbergl . Guter 
Mann, rettet mid, und weine Freundin. Laßt ung enifliee 
ben. Alles ward in ter Schnelle verabredet. Wir gingen 
wieder zu den andern zuräd. Die heilige Cäcilia faß bei 

der Orgel, fbielte aber nicht. — Die Alte war, mit dem 
Buche in der Hand, eingefhlafen. 

Jetzt machten wir eine ordentlihe Abrede. Die Kite 
chenſchluͤſſel hatte uns die Aebtiffin nie vertraut, wir muß 
tem uns von einer alten Pförtnerin hinein und Hinausfchlie- 
gen Laffen. Die Nonnen Hatten ſich aber einen Abdrud in 
Bas verſchafft, den fie mir gab. Ich verſprach ſelbſt einen 
Schlüfſel danad zu fhmieden. und die Racht unferer Flucht 
wurde beftimmt. 

Auf dem Kirchdofe trafen wir wieder die umglädlihen 


oo Die glüdlihen und unglädlihen ° 


iebhaber auf den Gräbern. Wenn man ſelbſt glädtic, it. 
will man gern feinen traurigen Mitmenſchen ihr Schicſal 
erleihtern. Diesmal hatten wir doch etwas mehr als Ne 
densarten zu bringen. Ich reichte ihnen die Haarloden, 
und kaum ſaden fie diefe, fo waren fie außer ſich vor Freude. 
Wir teilten ihnen unfer Gcheimnig mit, in der Hoffnung, 
daß fie uns beiftehen follten. Denn um fein Auffehen zu 
machen, mußten wir den ganzen Tag wie gewöhnlich in 
der Kirche arbeiten, und wer folte indep Poftpferde und 
Kleider zu der Vermummung ſchaffen? Allein die dankba- 
ren Iänglinge verſprachen, alles für uns zu feiften. Ja fie 
wollten ung fogar eine Etrede Weges auf der Reiſe fol- 
gen, um mit ihren lieben Schwaͤgerinnen, wie fie fie nann- 
ten, von den feligen Schweftern zu ſprechen; und um noch 
eınige Reliquien, ale Bänder, Btumen u. f. w. zu be⸗ 
fommen. 

Die zwei jungen Nonnen defamen Mannskleider, und 
fo kamen wir glüclich aus dem Kiofter heraus; der Wagen 
bielt nit weit entfernt. Die zwei unglüdtihen Liebhaber 
waren auch fhon da, und umarmten die Schweltern ihrer 
Gelichten zärtlich, was ihnen kein Menſch verdenten konnte, 
und fo fuhren wir ab. 

Als wir Über die Grenze in Sicherheit gekommen, nah ⸗ 
men wir in einem guten Wirthshaufe unfer "Abendmahl 
ein. Lademann und ic, hätten gern eine zaͤrtlichere Unter» 
baltung gebflogen, die Höflichkeit erforderte aber, die zwei 
Unglücklichen mit zur Tafel zu laden. Hier mar die game 
Seit.nur die Nede von den zwei verftorbenen Schweitern, 

Nun wänfhten Lademann und ih aud) die Haarlocen 
der verftorbenen Schweſtern zu fehen, fie hatten mit den 
Haaren unferer Schönen große Aehnlichteit. 


Liebhaber. Fortfegung j 9 


Unfere Schönen waren aber von der vorhergehenden 
Angf, entdedt zu werden, und von der Reife fehr erihönft, 
umd der Ruhe bedürftig, Bir andern, außer Lademann 
und feine Schöne, waren aud) fihläfrig, und fo gingen wir 
alle zu Bett, um Morgen früh die Reife in aller Eile forte 
zuſetzen. ” 

Ich erwachte ziemlich fyät, Lademann ſchlief noch, weil 
er die halbe Nacht mit fügen Echmärmereien zugebradt 
batte; ih rief- den Keliner, beftellte vier Poftpferde und 
Srüpftäd für ſechs Verfonen. — Ganz wohl, ſprach er, laͤ⸗ 
Gelte aber dabei. — Barum lacht er? — Die Herrihaften 
baben zu befehlen, und für uns ift es ja immer ein Vor⸗ 
theil, wenn vieles verlangt wird; es wundert mid aber, 
dag der Herr vier Pferde und ſechs Portionen Frühſtüc— 
für zwei Perfonen beftellt. — Lieber Freund, erwiederte ich, 
wir find ſechs in allem; wißt Ihr nicht, dag ſechs Gaͤſte 
geſtern angefommen find? — Das weiß ic) fehr wohl, ale 
lein die vier find ja ſchon heute um drei Uhr wieder abge» 
fahren. — Sind fie fort? rief jet Lademann, der fih im 
Bette aufrichtete und die Augen rieb. — Ad), das ift wahr, 
verfepte der Kellner, da Liegt ja ein Brief auf vem Zifc, 
den haben die Herrn wahrſcheinlich noch nicht geleſen. — 
Er reichte mir den Brief und ging feines Weges. Der 
Brief lautete alfo: 

„Die unglücklichen Liebhaber meinen nicht mehr troft- 
106 auf den Gräbern, fie haben ihre Freundinnen wieder 
gefunden, die fie drei Jahre treu geliebt; die armen Mäder 
wen find nicht mehr hinter den Kloſtermauern lebendig bes 
graben. Herr Ligberg und Herr Lademann werden uns 
diefe Meine Lit gütigft verzeihen. Zum Andenken und zum 
Dante für Ihre gütige Hülfe bitten wir Sie, beiliegende 


2 Die glädlihen und unglüclichen 


Brillantringe nicht zu verſchmaͤhen. Auch diefe Haarlocen 
nicht, die Sie ſeit geſtern tennen, und die von feinen Leichen, , 
fondern von unfern eigenen Häubtern geſchnitten find. 2er 
ben Sie recht wohl, liebe Herrn! Der Himntel ſchenke Ih ⸗ 
nen Geliebte, die Eie jo treu und aufrichtig lieben, als 
wir unfere Liebhaber.“ - 

Zwei Brillantringe von ziemlihem Werthe lagen in 
Papier gewidelt bei den Haarloden. Der verzweifelnde 
Kademann ergrüf die blonde Lode, die feiner Schönen ans 
gehörte, wollte aber die Ninge zum Fenſter hinauswerfen. 
Nicht doch, ſprach ich, ‚der id) nad) meiner Art gleich wies 
der geheilt war. Bir find ein wenig am Rarrenfeile herr 
umgeführt worden. haben es aber verdient. Warum wutz⸗ 
ten mir nicht beſſer, Täufhung von Wirklichkeit zu untere 
ſcheiden? Hätten die Nonnen uns diefen Streich .gefpickt, 
um uns zum Beften zu baben, bei Gott! ich wollte nicht 
ruhen. bevor ich fie aufgeſucht und mid gerät hätte. Sie 
thaten es aber aus Noth, aus Liebe zu den Andern, weil 
fie fürdteten, uns fonft nicht in ihr Intereffe zu ziehen, 
was .mobl auch ſchwerlich gelungen wäre. Freilich haben 
Re uns zu einem Klofterraube verführt, und fo it es denn 
billig, dag mir "dafür bügen. Die Orgel Klingt jept recht 
ſchon, der Altar fteht edel gebaut, die Uhr geht wieder, 
wir haben feinen Heller dafür bekommen. Das mag det 
Aebtiſſin ein Erfag für ihre entflohenen Nonnen fein. Und 
diefe Ringe mögen uns ein Erfaß fein, dag wir der Schde 
nen wegen unfern Lohn aufgegeben. 

Lademann ſchwieg und ſuchte die Ginfamfeit. Ich 
mertte wohl, daß er oft heimlich weine. Seine mufitafie 
ſchen Bhantafien wurden immer f&höner und berzergreifen. 
der. So athmete er in wohlklingenden Weiſen feine Sehn⸗ 


Liebhaber. Fortletzung Kö) 


ſucht und feine Wehmuth aus; id ließ meinen Zom an 
Steinen und Balten aus, deren rohe Klumpen ich in ſchöne 
Formen zwang. Nachher haben wir ganz der Kunft ger 
lebt, bis wir unfere lieben Freunde, Herrn Wolfgang und 
‚Herrn Eberhard Julius, kennen lernten. — 


Als Lademann nad Litzbergs Erzählung allein mit 
Eberhard nach Haufe ging, und fie durch den Wald kamen, 
mo der Mond. fhien, fing er herzlich an zu weinen, und 
drüdte Eberhards Hand feſt an feine Bruft. — Großer 
Gott, rief Eberhard, lichen Sie denn immer noch die Or⸗ 
ganiftin, mein Freund? — Ach ich weiß nicht, antwortete 
Lademann, id) Habe lange nicht an fie gedadıt. Als ih 
krank war, fah ic) fie oft im Traume wieder, und jeht ſtellt 
ſich ihr Bild nach Herrn Litzbergs Erzählung meiner Seele 
lebendig dar. Cie follten fie nur bei der Drgel gefehen 
haben, lieber Julius! Und mie fie ſpielte, und das herr» 
liche zurüd gekehrte blühende Geſicht, und die fhönen Fin- 
ger auf den fhmwarzen Tangenten! Und dann gab fie mir _ 
einen fügen, fügen Kug. den id nie vergeffe, denn er 
brannte mir tief in die Seele hinein. Das war alles wie 
ein Traum, und ich fühlte wohl, eine ſolche Freude follte 

. I nicht wehr im Lehen genießen. Und doc, hoffte ih fo 
gewiß, fie folle meine Gelichte für mein ganzes Leben wer» 
den. Mit Herrn Litßberg war es anders — er ift fo fhöte 
tiſch — nicht zart genug, und dann ift er aud) fo Hoden» 
narbig; — aber, allein — ich will mich tröften. Er ſchwieg. 

Sherbard betrachtete ihm mit einem mitleidigen Lä- 
Gen, und fagte: Ich begreife nicht, wie ein edler Mann 
eine Unwürdige noch lichen kann. 


9% Die glädlihen und unglüdligen 


Ach — fagte Lademann, fo ſeh ich denn wohl. dag ich 
Ihnen mein Geheimnig beiten muß, damit Sie mid) nicht 
verachten mögen. 

Hier nahm er eine Meine ſilberne Kapſel hervor, die er 
auf der Bruft an einer goldenen Kette trug. — Herr Liße 
berg, ſprach er, glaubt, ic verwahre nur hierin die Lode 
und den Ring: da ift aber noch ein Meiner Brief, den mır 
der Kellner heimlich zuftedte, als Herr Litzberg den ſchon 
betannten befommen hatte. Leſen Eie dieſen. — Eberhard 
öffnete den Zettel und las: 


Tbeurer Lademann! Beklagen Sie mid und verge- 
ben Sie mir! Im Kloſter feufzend, mo ich von harten 
Aeltern gezwungen das Gelübde thun mußte, Ternte id, vor 
drei Jahren her, meinen Bräutigam fennen, einen braven 
jungen Mann von Geift und Bildung. Er liebte mic; es 
freute mid, von ihm geliebt zu werden; ih nahm dies 
dankbare Gefühl für’ Liebe, gab ihm mein Jawort, und 
ſchwur ihm meine Treue. Diefen freiwilligen Eid darf 
id) nicht brechen. IA lernte Sie — zu fpät kennen! Ich 
bänge von meiner thätigeren Schweſter ab, mie Sie von 
Ihrem Freunde Ligberg, und wir müffen, wie zwei abge» 
tiffene Blumen, dem Etrome folgen. Leben Sie wohl, 
holder Freund! In den Tönen wollen wir ewig zufammen 
teben, und in den unfihtbaren Harmonien werden ſich un« 
fere Herzen täglich vereinigen. 

Cãcilia.“ 


Ach fie hietßz Cäcikia, rief Lademann — dem fein Freund 
Eberhard jegt meinend um den Hals fiel, und um Verzei⸗ 
bung bat. Da if ein (hönes Bid von Raphael oder Guido 
Neni, wo die heilige Caͤcilia mit Roſen bekrängt bei der 


Liebhaber. Fortfehung. % 
Drgel Apt und nach der Seite (haut. Ehen fo betrachtete 
fie mi! Nur hatte fie feine Roſen um’s Haupt, und für 
mich blüht in diefem Leben feine Roſe mehr. 
10. r 
Klein» Felfenburg. 





Der Altvater wollte einmal mit den europäifden Freun · 
den, auf einem Meinen Fahrzeuge, das in tiefer Felſenkluft. 
von Geftein und Gefträud) verborgen lag, eine Fahrt nach 
Klein⸗ Felſenburg machen. — Ib muß nod vor meinem 
Tode ein wenig von der übrigen Belt fehen, fagte er. — 
Die Luftfahrt nach der Meinen Klippeninfel wurde alfo une 
ternommen, und des Altvaters Cohn, Albert Julius der 
Zweite, mußte fo lange im Nathe der Alten des Greiſes 
Platz einnehmen. Albert Julius der Zweite, des Altvaters 
dritter Sohn, (die beiden erften waren ſchon geftorben), 
war ein Mann von 70 Jahren, recht gefund und rüftig, 
aber nicht von vorzügliden Geiftesträften. Das jugendliche 
Gemüth feines Vaters mangelte ihm ganz, umd gegen ihn 
ſah der Alte in blühenden Augenbliden wie ein junger 
Menſch aus. Der alte Herr Sohn war, ohneradtet er nie 
in Europa gemwefen, und immer in der einfachen Natur ges 
lebt hatte, etwas pedantiſch, und Eberhard entdedte zu 
feinem Staunen eine auffallende Aehnlichteit zwifchen ihm 
und feinem eigenen Bater, Martin Julius, Vieles erin« 
nerte ihn aud an die felige Muh Urſula. an Harn Sa⸗ 
muel Plürs und an Vetter Anton. 


% Klein« Felfenpurg. 


Die Juſel Alein-Fehfendurg war nicht wie die große, 
ein Blumenforb von Zelfen. Sie befand meit aus ſchrof- 
fen unfruchtbaren Bergen. Einige ſchöne Thäler Aredien 
Ad freilich durch die Bergketten, und ein Paar Duzend 
Familien hätten hier trefflich Icben fünnen. Weil aber das 
meifte von Groß-Selfenburg noch unbewohnt war, fo fand 
diefe kleinere Infel einfam und verlaffen. Es war auch 
nod ein Grund da, warum Niemand da wohnen durfte. 

„ Klein» Zelfenburg war den Seefahrern nicht unbekannt; 
"denn die Thäler und Wälder ftredten fih gerade bis zum 
Strande hinunter. Oftmals ankerte da ein Schiff, um frie 
ſches Waſſer zu holen. Hier hätte man alfo die Verbor. 
genheit aufgeben müflen. 

Die Luftfahrt wurde nit ohne Furcht und Sorgfalt 
unternommen. Man hatte erft durch Zernröbre von den 
hoͤchſten Berggipfeln die Fläche des Meeres ausgeſpaͤht. Ale 
bert Julius der Zweite hatte feinem Vater mit vielen Grüne 
den die Reife abgerathen. Er gewinne nichts dabei, hatte 
er gefagt, denn frühſtücken könne man überall; dagegen 
feße er die ganze Infel und fein eigenes Leben dabei im 
Gefahr. — Mein lieber Sohn, antwortete der Altvater, 
wenn id immer fo vorſichtig und vernünftig geweſen wäre, 
wie Du es von mir verlangft, fo märe die Infel nie ente 
dedt, nie bevälfert und Du nie geboren worden. Ganz 
als Gefangener mag ich nicht, ſelbſt im weiten Kreife, le⸗ 
ben; fo wäre ic lieber noch Küfter beim feligen Trautmann 
seblieben. denn bei ihm konnte id doc herum laufen, mo 
id) wohte. Mit der Entdecung hat «6 feine Notb; wie 
werden die Außerfte Vorſicht brauden. Ein großes Schi 
ficbt man. im weiter Faͤue. ehe es unſern kleinen Nachen 
entdeden kann. 


Klein Felfenburg, 97 


Der vernünftige Sohn wollte ſich von ſolchen poeti⸗ 
ſchen Gleichniſſen nicht überzeugen laſſen; man fichtete indeg 
die Anker, machte eine ſehr angenehme Fahrt, und früh ⸗ 
ftädte in einer großen Hüfte, von engliſchen Seeleuten dort 
in der Gefhmindigfeit aus rohen Stämmen des Waldes 
erbaut. 

Eberhard und Cordula fagen dem lieben Altvater zur 
Seite, Becher guten Weines kreiſten herum, der Scherz 
blüpete auf den gefprädigen Lippen, und der Altvater 
brauchte fein ganzes Anfehen, um die Laune Lipbergs und - 
Bolfgangs im Zaum zu halten, die fi immer über den 
väterlichen vorfihtigen Herrn Sohn, Albert Julius den 
Zweiten, hermachen wollte, 

Aber plöglich wurde die Froͤblichkeit durch eine Hiobs⸗ 
voſt geftört; ein junger Felſenburger, der auf dem hohen 
Berge Wache gehalten hatte, trat ganz bla herein, und 
meldete: ein großes Schiff nahe fi mit vollen Segeln der 
Inſel. 

Alle ſchwiegen einen Augenblick, und ſahen einander 
beftürgt an. — Da bat der bejahrte Sohn doch Recht und 
der jugendliche Greis Unrecht gehabt, fagte der Altvater. 

Hat nichts zu fagen, rief Wolfgang, als er mit dem 
Fernrohr das Schiff betrachtet hatte; wir können in Große 
Zelfenburg fein, bevor wir ihnen in den Geſichtskreis 
kommen. 

Nun fhiffte man ſich ſchleunig ein, und ſchon mar als 
les fertig und das Anker gelichtet, als das Ruder brach! 

" — Diefer Unfall fegte alle in die größte Unrube, und es 
warde in aller Eile Rath gehalten, was zu thun wäre? 
An Begfegeln war jet nit mehr zu u und bald 

Oaiesf. Eatriften. XVIIL, 


% Klein» Felfenburg. 
sin das Schiff den Nachen bier im kleinen Hafen ent 


in, rief der Altvater, deflen noch jugendliche Kraft 
in diefem Augenblicke wieder hoch aufflammte, das darf 
nicht fein; dann wird das Gebeimnig meiner Infel entdedt, 
eine fremde Macht bemächtiget ſich ihrer, fremde Sitten 
werden eingeführt, ſchlechte habſuchtige Menſchen unterdrüt- 
ten und verderben meine Kinder; ihre Schäge werden wege 
geſchleppt, und fie ſelbſt zu Sklaven der despotiihen Will- 
für eines tüdifhen Statthaltere gemacht. Bohrt das 
Fahrzeug in Grund, Kinder, id befehle es Euch, Kraft 
meiner Herrſchaft. Bir wollen uns in den Felſenklüften 
verbergen, und fönnen nachher die Hütten ausbeflern und 
bewohnen, bis einmal Kapitän Horn von Europa mwicder« 
kehrt. Trifft er uns nicht auf Groß-Selfenburg, fo wird er 
uns bier fuhen. Vielleicht bauen fie mittlerweile ſelbſt drü- 
ben ein Boot und holen uns ab; denn, leider haben wir 
nicht Werkzeuge mitgebracht, fonft Fönnten wir es felber 
thun. — Bir andern, lieber Großvater, rief Eberhard, 
tönnten uns das allenfalls gefalen laſſen; allein Sie — in 
Ihren Jahren! Soll ein hunvdertjähriger Greis wieder von 
vorne anfangen? Ach es geht nicht mehr fo leicht mit dem 
Klettern wie zu Zeiten van Leuvens und Lemelies. — Ei, 
mein liebes Kind, rief der Alte. ic bin der Bergluft ge« 
wohnt; ic) kann noch recht gut in einer Zelfenhöhfe fhla- 
fen. Und ftärbe ih auch? Was ift es denn mehr? Ein 
Jahr früher oder ſpaͤter — bald müßte es doc) fein. Dann 
mird noch das leßte Kapitel meines Lebens poetiſch: ich 
ferbe als ein berumfireifender Abenteurer, mie ih ange- 
fangen babe. Du Eherhard, folte mir meine eigene Iur 
gend, die kleine Cordula die Jugend meiner Concordia zu⸗ 


Klein» Felfenburg. {u 


rüd mabnen. Unfere europäjfchen Freunde, die im Beſit 
fo vieler fhönen Sertigkeiten find, werden uns das Lehen 
erträglid machen, und fo verſchwindet ein halbes Jahr leicht. 

Ale bewunderten den Muth, die unerſchütterliche Hei- 
terlkeit und Entſchloſſenhrit des Greifes; es konnte fie aber 
nicht tröften, denn fie ſahen voraus, daß diefe Lebensart 
bald den Alten, aufreiben würde. , 

Bäprend fie nun fo! fhmeigend und Meinmüthig da 
Randen, fam Kapitän Wolfgang mit dem Zernrohre wie 
der vom Fels zurüd, und rief luſtig: Hurrah! Aengſtiget 
Euch nicht, lieben Freunde! Wir brauchen unfer Fadrzeug 
nicht in Grund zu bohren; fein Wageftüd bedroht des theu⸗ 
ren Altvaters eben. Ich habe die Flagge des fernen Schif⸗ 
fes deutlich erfannt. Dreifach weht fie: blau, gelb und 
roth, mit den Hauptfarben des Negenbogens, der Abrede 
mit Ferdinand Horn gemäß, wenn er nach der Infel wie- 
der käme. Es it unfer eignes Schi, weit früher von Eu- 
ropa zurüd gekehrt, als wir es erwarten konnten. 

Diefe Bauberworte verwandelten gleid die ängftliche 
Stimmung wieder in Freude und Entzüden. Wolfgang 
batte nämlich mit Herrn Horn abgeredet, daß er das naͤchſte 
Dal nicht bei Groß-, fondern bei Klein-Zelfenburg ankern 
foßlte, und da die mifgebrachte Mannfhaft und Saden 
ausſchiffen, damit das Geheimniß der großen Infel nicht in 
Gefahr ſchwebe, entdedt zu werden, menn gar zu viele 
Menſchen Kenntnig davon hätten. 

Diele Vorfiht machte aber auch jeht, dag ſich das 
Stift nicht gleich der kleinen Infel näherte, als man das 
Boot im Hafen entdedte. Die Felſenburgiſche Flagge ward 
gleih mit einer hollaͤndiſchen umgetauſcht, und Kapitän 
Horn lavirte auf dem Meere, ohne fih der Sin nahen, 


10 Rein« Felfenburg. 


weil er meinte, dag, wo ein Boot war, müffe auch ein 
Schiff in der Nähe fein, und vom Walde verborgen, vor 
Anker liegen. 

Das war nun vet ein fhlimmer Umfayd. Auf dem 
Boote wagten fie fid nicht dem Schiffe zu nahen; es märe 
ja möglich), dag man auf fie feuern Fönne, weil man Ber- 
rath fürdtete. Glüclicherweiſe hatte Lißberg Nateten mite 
genommen. Ihm, der fi mit allen mechaniſchen Künften 
abgab, machte es in der letztern Seit Vergnügen, Schießz⸗ 
pulver und Feuerwert zu maden. Cr batte etmas mitge- 
nommen, theils um die @efelfhaft damit in der Dimme · 
zung zu erluftigen, theils um den Groß-Felfenburgern ein 
Zeichen zu geben, wenn die Luftfahrer etwa diefe Nacht 
ausbleiben follten; damit man fi) drüben nicht Angftigen 
möge. 

Nun konnte alfo aud Wolfgang feinem Freunde Horn 
das verabredete Zeichen geben; und kaum fliegen auf ein« 
mal drei Raketen vom Strande Binauf, ſo murden fie vom 
awei aͤhnlichen auf dem Schiffe begrüßt. Die Schaluppe 
mahte ſich kurz darauf der Infel; Horn fand felhnt mit 
dem Spradirohre am Ruder, und kaum konnte er gehört 
werben, fo rief er: Lebt Alwater noch! — Er lebt! ant 
wortete ihm Wolfgang durd das feinige, das er, wie ein 
alter Birtuofe fein geliebtes Waldhorn, mitgebracht hatte, 
obſchon er es nicht mehr zu fpielen dachte 

Als fi die beiden Kapitäne derzlidh begrüßt hatten, 
bradıte Wolfgang Herrn Horn zum Altvater in die Hütte. 
Wie gern hätte der Alte das Schiff beftiegen, um noch einmal 
in feinem Lehen in einer Kajüte zu fhlafen; das ging aber 
nicht, des Geheimnifles, auch des Hinauf- und Hinunter- 
ſteigens sorgen. Herr Horn erfreute den Altvater mit der 

. 





Klein- Felfensurg. 101 


Nachricht. dag er diesmal Herrn Martin Julius mitbringe, 
der aber noch feine Toilette madye, um vor dem Negenten 
fandesmäpig zu erſcheinen. Albert und Eberhard faben 
einander an bei diefen Worten und lachelten gutmütbig. 

Kurz darauf flieg der neu angekommene eurobäiſche 
Bluts- Verwandte an’s Land, in feifen Gallakleidern, mie 
einer großen gebuderten Perüde, einem Degen an der Seite 
und Chapcau bas unter dem Arm. Altvater wollte ihn umar- 
men, flug aber die Hände über Herrn Martins Rüden 
aufammen, fo tief büdte er fid) vor feinem Ahnherrn, den 
er: Eure fürftlihe Durchlaucht nannte. 

Altvater hatte alle Mühe, ihn von diefer unterthäs 
‚nigen Förmlichkeit abzubringen. — Ih bin nur ein 
falihter, alter Dann, mein Sohn, fprad er, und werde 
bald dabin gehen, wo fein Unterfhied des Ranges mehr 
it. — Was darf man denn Euer Ehrwürden nennen, frug . 
Herr Martin; wenn nicht Hobelt, Durchlaucht, doch wenig 
ftens Excellenz? — Ich heiße Albert Julius, mein Sohn, 
ſprach der Alte, und da fteht Dein Eberhard. — Ein na- 
türliches Gefügl bemeifterte ſich bei diefem Anblick Heren 
Martins, fo daß er für einen Augenblick den Pedanten zur 
Seite fepte und feinen Sohn herzlich) umarmte. 

Habt Ihr die Uhr mitgebracht, frug der Alte gleich 
— Ich babe gehört, gnädiger Herr Erzvater, Sie wuͤnſch⸗ 
ten, ich möchte eine Upr aus Europa mitbringen, und hier 
iſt fie — Gr reichte ihm eine foftbare goldene Upr mit 
Brillanten. — Lieber Gott, mein Sopn, da habt Ihr mid 
migverftanden, id) meinte die alte, ſilberne Uhr meines Ba- 
ters, meines Bruders, Eures Grogvaters. — Die habe ich 
auch mit, magte aber nicht gleich Euer Ehrwürden bei der 

erften Audienz mit einer ſoichen Kleinigkeit beſchwerlich zu 


102 Verſchiedener Gefümad. 


fallen. — Wo iſt fie, lieber Sopn, Habt Ihr fle in der Ta- 
ſche bei Euch? — Herr Martin reichte dem Greife die Uhr; 
Albert fab fie lange an, befühlte fie, kehrte ſie nach allen 
Seiten, öffnete fie, machte fie wieder zu, drüdte fie an feine 
Lippen, und rief, indem eine große Thraͤne ihm über die 
rothe Wange in den filbernen Bart Hinunter rollte: Ih 
kenne fie wieder! 

"Herr Martin Julius fab feinen Sohn verwundert an, 
und konnte nicht begreifen, wie man eine alte f&hlichte fil- 
berne Uhr einer vergoldeten mit Brilanten vorziehen könne 


11. 
Verſchiedener Gefhmad. 





Kapitän Horn hatte viele fhöne Sachen mitgebracht; 
befonders Gemälde, theils flamändifhe, für die Gemächer 
auf Albertsburg, tbeils ein Paar italieniſche Meifterftüde, 
für die Kirche. Da waren au gut gemalte Portraits der 
zwei unfterblihen Stammväter der Selfenburger, Luthers 
und Shatefpeares, welche im Wohnzimmer des Altvaters 
Über dem Kanapee aufgehängt wurden, und den Alten über- 
raſchten, als er eines Morgens aus dem Schlafjimmer in 
die Stube trat. Noch war ein vorzügliher Maler mitge- 
kommen, befonders um den Alten zu malen, damit man 
doch ein gutes,. ähnliches Bild von ihm habe, ehe er ftärbe. 

Biele andere nuͤhliche Sachen, welche die Felſenburger 
nicht ſelbſt fo gut machen konnten, wurden von den euro⸗ 





Verſchiedener Geſchnac. 103 


väifchen Sreunden unter die Landleute verteilt. Eberhard 
hatte felbft die Mühe übernommen, den jungen Maͤdchen 
niedliche, in London genähete Schuhe zu ſchenken. Sie 
mußten alle an einem Tage zur beftimmten Stunde kom⸗ 
men, um die Schuhe bei ihm in der großen Sommerlaube 
anzupaffen. — Allein machte das nit die Meine Cordula 
eiferfühtig? Im mindeften nigtl denn, wie fie auf der 
Infel das fhönfte Mädchen mar, fo hatte fie auch den 
ſchonſten Fuß, wovon ſich Eberhard bei der Gelegenheit 
völlig überzeugte 

Auch viele deutſche Bibeln und Gefangbüher waren 
angetommen, und wurden vom Herrn Magiſter Schmelzer 
unter die Hausväter vertheilt. Als aber Eberhard einige 
Kiſten auffhlug, worin eingebundene Eremplare von Sha- 
tefpeares Werken waren, um diefe aud zu verteilen, fing 
der gewöhnliche Zank an, zwiſchen Ligberg und Eberhard, 
oder eigentlich das Gedanken», Gefühle und Meinungswech ⸗ 


ſelſpiel. worin ihre Gefeligkeit und Unterhaltung beftand. 


In den erften Tagen nad) ihrer Ankunft wurden meh ⸗ 


* rere Meine ländliche Feſte nach Felſenburgiſcher Art veran- 


ftaltet, um Herrn Martin ein Vergnügen zu machen. Er 
ſtellte ſich auch aus Höflichkeit, als ob er fehr damit zu⸗ 
frieden wäre; im Grunde langweilte es ihn aber ſehr, und 
weil er immer ein Stündden vor dem Schlafengehen, wäh- 
rend des Auskleidens mit feinem Sohne Eberhard allein 
ſprach, fo mußte der gute Jüngling aud) immer herhalten. 
Das muß id geßchen — fhnaubte Herr Martin, — 
id babe mic) fehr geirrt. Ich meinte Hier ein Meines Rd 
nigreich, wenigſtens ein Fürftenthum zu finden, ein hübſches 
Hauptftädten wenigftens mit einer ſchnurgeraden Straße, 
mit einem großen Palafte- Als naher Blutsverwandter 


% Die glüdlihen und unglädligen 


Ach — fagte Lademann, fo feh ich denn mohl, dag ih 
Ionen mein Geheimniß beihten muß, damit Sie mid nicht 
verachten mögen. 

Hier nahm er eine Heine filderne Kapſel bervor, die er 
auf der Bruſt an einer goldenen Kette trug. — Herr Litz⸗ 
berg, fhra er, glaubt, ih verwahre nur hierin die Lode 
und den Ring; da ift aber noch ein Meiner Brief, den mır 
der Kellner heimlich, zuftedte, als Herr Lipberg den ſchon 
befannten befommen hatte. Leſen Eie diefen. — Eberhard 
öffnete den Zettel und las: . 


„Zheurer Lademann! Beklagen Sie mid und verger 
ben Sie mir! Im Kloſter feufzend, mo id von harten 
Aeltern gezwungen das Gelübde thun mußte, lernte ich, vor 
drei Jahren her, meinen Bräutigam kennen, einen braven 
jungen Mann von Geift und Bildung. Er liebte mid; es 
freute mid, von ibm geliebt zu werden; id nahm dies 
dantbare Gefühl für’ Liebe, gab ihm mein Iamort, und 
ſchwur ihm meine Treue. Diefen freiwilligen Eid darf 
ich nicht brechen. Ich lernte Sie — zu fpät kennen! Ich 
bänge von meiner thätigeren Schwefter ab, wie Sie von 
Ihrem Freunde Ligberg, und mir müſſen, mie zwei abge⸗ 
riſſene Blumen, dem Strome folgen. Leben Sie wohl, 
holder Freund! In den Tönen wollen wir ewig zuſammen 
leben, und in den unfihtbaren Harmonien werden ſich un« 
fere Herzen taͤglich vereinigen. 

j Cãcilia.“ 

Ad) fie hieß Cäcitia, rief Lademann — dem fein Freund 
Eberhard jept weinend um den Hals fiel, und um Verzei⸗ 
hung bat. Da ift ein fhönes Bild von Raphael oder Guido 
Reni, wo die, heilige Caͤcilia mit Nofen bekrängt bei der 


Liebhaber. Fortſetzung. % 
Drgel gt und nach der Seite fhaut. Eben fo betrachtete 
fie mi! Nur hatte fie keine Roſen um’s Haupt, und für 
mic) blüht in diefem Leben feine Roſe mehr. 
10. ‚ 
Klein +» Felfenburg. 





Der Altvater wollte einmal mit den europäifhen Freun- 
den, auf einem Meinen Fahrzeuge, das in tiefer Felſenkluft. 
von Geftein und Gefträud verborgen lag, eine Fahrt nach 
Klein Zelfenburg machen. — Ih muß noch vor meinem 
Tode ein wenig von der übrigen Welt fehen, fagte er. — 
Die Luftfahrt nad) der Meinen Klippeninfel wurde alfo un⸗ 
ternommen, und des Altvaters Cohn, Albert Julius der 
Zweite, mußte fo lange im Nathe der Alten des Greiſes 
P lag einnehmen. Albert Iulius der Zweite. des Altvaters 
dritter Sohn, (die beiden erften waren fhon geftorhem, 
mar ein Mann von 70 Jahren, recht gefund und räftig, 
aber nicht von vorzüglicen Geiftesfräften. Das jugendliche 
Gemüth feines Vaters mangelte ihm ganz, und gegen ihn 
fah der Alte in blühenden Augenbliden wie ein junger 
Menſch aus. Der alte Herr Sohn war, ohnerachtet er nie 
in Europa gewefen, und immer in der einfachen Natur ges 
lebt hatte, etwas pedantiſch, und Eberhard entdedte zu 
feinem Staunen eine auffallende Aehnlichteit zwiſchen ihm 
und feinem eigenen Bater, Martin Julius. Bieles erin« 
werte ihn auch am die felige Muh Urſula. an Herrn Sa- 
muel Plürs und an Better Anton. . “ 


% Klein» Felfenburg. 


Die Juſel Klein · Felſenburg war nicht wie die große, 
ein Blumenkorb von Felſen. Sie beſtand meiſt aus ſchrof⸗ 
fen unfruchtbaren Bergen. Einige ſchoͤne Thälcr ſtreckten 
Ai freilich dutch die Bergketten, und ein Paar Duzend 
Familien hätten bier treflich leben Können. Weil aber das 
meifte von Groß-Zelfendurg noch unbewohnt war, fo fand 
diefe Kleinere Infel einfam und verlaflen. Es war auch 
nod ein Grund da, warum Niemand da wohnen durfte. 
Klein» Zelfenburg war den Seefahrern nicht unbekannt; 
denn die Thaͤler und-Mälder ftredten ſich gerade bis zum 
Strande hinunter. Oftmals ankerte da ein Schiff, um frie 
ſches Waſſer zu holen. Hier hätte man alfo die Verbor⸗ 
genheit aufgeben müſſen. 

Die Luſtfahrt wurde nicht ohne Furcht und Sorgfalt 
unternommen. Man hatte erſt durch Fernröhre von den 
hoͤchſten Berggipfeln die Fläche des Meeres ausgefpäht. Al 
bert Julius der Zweite hatte feinem Bater mit vielen Grän« 
den die Neife abgerathen. Er gewinne nichts dabei, hatte 
er gefagt, denn fräbftäden könne man Überall; dagegen 
feße er die ganze Infel und fein eigenes Leben dabei im 
Gefahr. — Mein lieber Sohn, antwortete der Altvater, 
wenn id immer fo vorfihtig und vernünftig geweſen wäre, 
wie Du es von mir verlangft, fo wäre die Infel nie ente 
dedt, mie bevälfert und Du nie geboren worden. Ganz 
als Gefangener mag ic) nicht, felbft im weiten Kreife, ler 
ben; fo wäre ich lieber noch Küfter beim feligen Trautmann 
sehlieben, denn bei ihm konnte id doc herum laufen, mo 
ich wollte. Dit der Gntdedung hat es feine Noth; wir 
werden die äußerfte Vorfiht brauden. Ein großes Schiff 
fiebt' man. im weiter Fäne, che es unfern kleincn Nachen 
entdeden kann. 


Klein Felfendburg 97 


Der vernünftige Sopn wollte ſich von folden portie 
fen Gleichniſſen nicht überzeugen laffen; man lichtete indet 
die Anker, machte eine ſehr angenehme Fahrt, und frübs 
fädte in einer großen Hätte, von englifhen Seeleuten dort 
in der Gefhmwindigkeit aus rohen Stämmen des Waldes 
erbaut. 

Eberhard und Cordula fagen dem lieben Altvater zur 
Seite, Becher guten Weines freiften herum, der Scherz 
blühete auf den geſpraͤchigen Lippen, und der Altvater 
brauchte fein ganzes Anfeben, um die Laune Lipbergs und - 
Bolfgangs im Zaum zu halten, die fih immer über den 
väterlichen vorſichtigen Herrn Sohn, Albert Julius den 
Zweiten, hermachen wollte. 

Aber plötzlich wurde die Froͤhlichkeit durch eine Hiobs⸗ 
voſt geftört; ein junger Felſenburger, der auf dem hohen 
Berge Bade gehalten hatte, trat ganz blaß herein, und 
meldete: ein großes Schiff nahe ſich mit vollen Segeln der 
Infel. 

Alle ſchwiegen einen Augenblid, und fahen einander 
beftürgt an. — Da bat der bejahrte Sohn dod Recht und 
der jugendliche Greis Unrecht gehabt, fagte der Altvater. 

Hat nichts zu fagen, rief Wolfgang, als er mit dem 
Fernrobt das Schiff betrachtet hatte; wir können in Große 
Zelfenburg fein, bevor mir ihnen in den Geſichtskreis 
tommen. 

Nun ſchiffte man ſich ſchleunig ein, und ſchon war als 
les fertig und das Anker gelichtet, als das Ruder brach! 
— Diefer Unfall fepte alle in die größte Unruhe, und es 
wurde in aller Eile Rath gehalten, mas zu thun wäre? 
An Besfegein war jeßt nit mehr zu U und bald 

Oasenf. Extriften. XVLIL, 


% Klein» Felfenburg. 


würde das Schiff den Nachen bier im Meinen Hafen ent- 
deden. j . 

Nein, rief der Altwater, deſſen noch jugendliche Kraft 
in diefem Augenblicke wieder hoch aufflammte, das darf 
nicht fein; dann wird das Geheimnig meiner Infel entdedt, 
eine fremde Macht bemächtiget ſich ihrer, fremde Sitten 
werden eingeführt, ſchlechte habſüchtige Menſchen unterdrüt- 
ten und verderben meine Kinder; ihre Schäge werden wege 
geſchleppt, und fie felbft zu Sklaven der despotifchen Wil. 
für eines tüciſchen Statthalters gemacht. Bohtt das 
Fahrzeug in Grund, Kinder, ich befehle es Euch, Kraft 
meiner Herrſchaft. Bir wollen uns in den Felſenklüften 

. verbergen, und können nachber die Hütten ausbeflern und 
bewohnen, bis einmal Kapitän Horn von Europa mwieder« 
kehrt. Trifft er ung nicht auf Groß-Selfenburg, fo wird er 
uns bier ſuchen. Vielleicht bauen fie mittlerweile ſelbſt drü- 
ben ein Boot und holen uns ab; denn leider haben wir 
nicht Wertzeuge mitgebracht, fonft Fönnten wir es felber 
thun. — Bir andern, lieber Großvater, rief Eberhard, 
könnten uns das allenfalls gefallen laſſen; allein Sie — in 
Ihren Jahren! Soll ein Hundertjähriger Greis wieder vom 
vorne anfangen? Ach es gebt nicht mehr fo leicht mit dem 
Klettern wie zu Zeiten van Leuvens und Lemeliee. — Ei, 
mein liebes Kind, rief der Alte. ic bin der Bergluft ge- 
wohnt; ich kann noch recht gut in einer Selfenhöhle fhla- 
fen. Und Mürbe ih auch? Was it es denn mehr? Ein 
Jahr früher oder fpäter — bald müßte es doch fein. Dann 
wird noch das lehßte Kapitel meines Lebens poetiſch: ich 
ſterbe als ein berumftreifender Abenteurer, wie ih ange» 
fangen babe. Du Eberhard, ſollteſt mir meine eigene Iu- 
gend, die Meine Cordula die Jugend meiner Concordia zu ⸗ 


Klein» Felfenburg. 9 


ru mahnen. Unfere euronäifchen Freunde, die im Berg 
fo vieler fdhönen Zertigkeiten find, werden uns das Lehen 
ertraͤglich machen, und fo verſchwindet ein halbes Jahr leicht. 

Alle bewunderten den Muth, die unerfhütterlihe Hei» 
terfeit und Entſchloſſenheit des Greifes; es Konnte fie aber 
nicht tröften, denn fie faben voraus, dag dieſe Lebensart 
bald den Alten aufreiben würde. . 

Bäprend fie nun fo’ ſchweigend und Meinmüthig da 
Manden, fam Kapitän Wolfgang mit dem Fernrohre wies 
der vom Fels zurüd, und rief luftig: Hurrah! Aengftiget 
Sud nit, lieben Freunde! Bir brauden unfer Fahrzeug 
nicht in Grund zu bohren; Fein Wageftüd bedroht des theu⸗ 
ren Altvaters Lehen. Ic babe die Flagge des fernen Schife 
fes deutlich ertannt. Dreifah weht fie: blau, gelb und 
rotb, mit den Hauptfarben des Negenbogens, der Abrede 
mit Ferdinand Horn gemäß, wenn er nad) der Infel wie- 
der fäme. Es it unfer eignes Schiff, weit früher von Eu- 
ropa zuräd gekehtt, als wir es erwarten konnten. 

Diefe Zauberworte verwandelten gleich die ängftlihe 
Stimmung wieder in Freude und Entzüden. Wolfgang 
batte naͤmlich mit Herrn Horn abgeredet, daß er das naͤchſte 
Mal nicht bei Große, fondern bei Alein-Zelfenburg anfern 
folte, und da die mitgebrahte Mannfhaft und Sachen 
ausſchiffen, damit das Geheimniß der grogen Infel nicht in 
Gefahr ſchwebe, emtdert zu werden, wenn gar zu viele 
Menſchen Kenntnig davon hätten. 

Diefe Vorſicht machte aber auch jept, dag fih das 
Shift nicht gleich der Meinen Infel näherte, als man das 
Boot im Hafen entdedte. Die Felfenburgifhe Zlagge ward 
gleich mit einer boländifden umgetaufht, und Kapitän 
Horn lavirte auf dem Meere, ohne ſich der Sure, nahen, 

. 


10° Rein Felfenburg. 


weil er meinte, dag, wo cin Boot war, müfle aud ein 
Schiff in der Nähe fein, und vom Walde verborgen, vor 
Anfer liegen. 

Das war nun reiht ein fhlimmer Umfaud. Auf dem 
Boote wagten fie ſich nicht dem Schiffe zu nahen; es wäre 
ja möglich, dag man auf fie feuern fönne, weil man Ber- 
rath fürdtete. Gluͤclicherweiſe hatte Lißberg Raketen mite 
genommen. Ihm, der ſich mit allen mechaniſchen Künften 
abgab, machte es in der letztern Seit Vergnügen, Schieße 
puboer umd Feuerwert zu machen. Gr hatte etmas mitge⸗ 
nommen, tbeils um die Geſellſchaft damit in der Dimme " 
zung zu erluftigen, thels um den Großz⸗ Felſenburgern ein 
Zeichen zu geben, wenn die Luftfahrer etwa diefe Nacht . 
ausbleiben follten; damit man fi drüben nicht ängftigen 
"möge. 

Nun tonnte alfo auch Wolfgang feinem Freunde Horn 
das verabredete Zeichen geben; und kaum fliegen auf eine 
mal drei Rafeten vom Strande hinauf, fo wurden fie von 
zwei Ähnlichen auf dem Schiffe begrüßt. Die Schaluppe 
nabte fi furz darauf der Infel;- Horn ftand felhft mit 
dem Spradirohre am Nuder, und kaum konnte er gehärt 
werden, fo rief er: Lebt Alwater noh! — Er lebt! ank 
wortete ihm Wolfgang durch das feinige, das er, wie ein 
alter Virtuoſe fein geliebtes Waldhorn, mitgebracht hatte, 
obſchon er es nicht mehr zu fpielen Date. 

Als ſich die beiden Kapitäne derzlich begrüßt hatten, 
brachte Wolfgang Herrn Horn zum Wltvater in die Hütte. 
Wie gern Hätte der Alte das Schiff beftiegen, um noch einmaf 
in feinem Lehen in einer Kajüte zu ſchlafen; das ging aber 
nicht, des Gebeimnifles, aud des Hinauf- und Hinunter 
fteigens wegen. Herr Horn erfreuete den Alwater mıs der 

. 


Klein- Felfendurg. 101 


Nachricht, dag er diesmal Herrn Martin Julius mitbringe, 
der aber noch feine Toilette made, um vor dem Negenten 
fandesmäpig zu. erfheinen. Albert und Eberhard faben 
einander an bei diefen Worten und laͤchelten gutmüthig. 

Kurz darauf flieg der neu angefommene europäifhe 
Blut» Verwandte an’s Land, in fteifen Gallakleidern, mit 
einer großen gepuderten Peräde, einem Degen an der Seite 
und Chabeau bas unter dem Arın. Altvater wollte ihn umar- 
men, flug aber die Hände über Herrn Martins Rüden 
zuſammen, fo tief büdte er fi, vor feinem Ahnherrn, den 
er: Eure fürflihe Durchlaucht nannte. 

Altvater hatte alle Mühe, ihn von diefer unterthäs 


‚nigen Förmlichkeit abzubringen. — Ih bin nur ein 


ſchlichter, alter Mann, mein Sohn, ſprach er, und werde 
bald dahin geben, wo fein Unterſchied des Ranges mebr 
it. — Was darf man denn Euer Ehrwürden nennen, frug . 
Herr Martin; wenn nicht Hohelt, Durchlaucht, doch wenige 
ftens Ercellenz? — Ich beige Albert Julius, mein Sohn, 
ſprach der Alte, und da ſteht Dein Eberhard. — Ein na 
türliches Gefühl bemeifterte ſich bei diefem Anblick Herm 
Martins, fo daß er für einen Augenblid den Pedanten zur 
Seite fepte und feinen Sohn herzlich umarmte. 

Habt Ihr die Uhr mitgebracht, frug der Alte gleich. 
— Ich babe gehört, gnädiger Herr Erzuater, Sie wuͤnſch⸗ 
ten, ich möchte eine Uhr aus Europa mitbringen, und bier 
iſt fie. — Er reichte ihm eine koſtbare goldene Uhr mit 
Brillanten. — Lieber Gott, mein Sopn, da habt Ihr mid 
migverftanden, id) meinte die alte, füberne Uhr meines Va⸗ 
ters, meines Bruders, Eures Großvaters. — Die habe ih 
auch mit, wagte aber nicht gleich Euer Ehrwürden bei der 


erſten Audienz mit einer ſolchen Kleinigkeit beſchwerlich zu 


102 Verſchiedener Gefümad. 


fallen. — Bo ift fie, lieber Sohn, Habt Ihr fie in der Ta- 
ſche bei Euch? — Herr Martin reichte dem Greiſe die Uhr; 
Albert fab fie lange an, befühlte fie, kehrte fie mac allen 
Seiten, öffnete fie, machte fie wieder zu, drüdte fie an feine 
Lippen, und rief, indem eine große Thraͤne ihm über die 
rothe Wange in den filbernen Bart hinunter rollte: Ih 
tenne fie wieder! 

"Herr Martin Julius fab feinen Sogn verwundert an, 
und konnte nicht begreifen, wie man eine alte ſchlichte fil- 
berne Uhr einer vergofdeten mit Brillanten vorziehen könne 


11. 
Verſchiedener Geſchmack 





Kapitän Horn hatte viele fhöne Sachen mitgebracht; 
befonders Gemälde, theils flamändifhe, für die Gemaͤcher 
auf Athertsburg, tbeils ein Paar italieniihe Meifterftüde, 
für die Kire. Da waren au gut gemalte Portraits der 
zwei unfterblichen Stammväter der Selfenburger, Luthers 
und Shatefpeares, melde im Wohmimmer des Altvaters 
Über dem Kanapee aufgehängt wurden, und den Alten über- 
raſchten, als er eines Morgens aus dem Schlafjimmer in 
die Stube trat. Noch war ein vorzügliher Maler mitge⸗ 
fommen, befonders um den Alten zu malen, damit man 
doch ein gutes, ähnliches Bild von ihm habe, che er ftürbe. 

Viele andere nuͤßliche Sachen, welche die Felfenburger 
nicht ſelbſt fo gut machen konnten, wurden von den euro⸗ 


. 


Verſchiedener Geſchmac. 108 


päifyen Freunden unter die Landleute verteilt. Ederhard 
batte felbft die Mühe übernommen, den jungen Mädchen 
niedliche, in London genähete Schuhe zu ſchenken. Sie 
mußten alle an einem Tage zur beftimmten Stunde kom⸗ 
men, um die Schuhe bei ihm in der großen Sommerlaube 
anzupaffen. — Allein machte das nit die Eleine Cordula 
eiferfühtig? Im mindeften nicht! denn, wie fie auf der 
Infel das (hönfte Mädchen war, fo hatte fie aud den 
fhönften Zug, wovon ſich Eberhard bei der Gelegenheit 
völlig überzeugte 
Auch viele deutſche Bibeln und Gefangbücher waren 
angefommen, und wurden vom Herrn Magifter Schmelzer 
unter die Hausväter verteilt. Als aber Eberhard einige 
Kitten auffhlug, worin eingebundene Eremplare von Sha- 
keſpeares Werken waren, um dieſe aud zu vertheilen, fing 
der gewoöbnliche Zant an, zwiſchen Lißberg und Eberhard, 
oder eigentlich das Gedanken», Befühl- und Meinungswech⸗ 
ſelſpiel, worin ihre Gefelligkeit und Unterhaltung beftand. 
In den erften Tagen nad) ihrer Ankunft wurden mehr 
* rere Meine Ländliche Feſte nach Felſenburgiſcher Art veran- 
ftaltet, um Herrn Martin ein Vergnügen zu maden. Er 
fiellte fih auch aus Höflichkeit, als ob er fehr damit zur 
frieden wäre; im Grunde langweilte es ihm aber fehr, und 
weil er immer ein Stündden vor dem Schlafengehen, wäh- 
rend des Yuskleidens mit feinem Sohne Eberhard allein 
fora, fo mußte der gute Jüngling aud immer herhalten. 
Das muß ich gefichen — ſchnaubte Herr Martin, — 
ih babe mid) fehr geirrt. Ich meinte Hier ein Meines Rö- 
nigreich, wenigftens.ein Fürftentpum zu finden, cin bübſches 
Hauptftädthen wenigftens mit einer fhnurgeraden Straße, 
mit einem großen Palafte- Als naher Blutsverwandter 


104 Berſchiedener Gefhmal. 


des Dberhaupts hatte ich auf eine ausgezeichnete Ehrerdie- 
tung gerechnet, dag die Soldaten vor mir präfentiren, we⸗ 
nigfiens ſchultern foltten, wenn id) vorbei ginge. Allein bier 
find ja gar feine Soldaten. Jeder Kleine deutſche Fuͤrſt bat 
doch wenigſtens ihrer zwanzig, oder dreigig Stüd. Auch 
batte ich auf einige Ordensbänder, wenigftens einch Kam⸗ 
merherrnfcplüffel den. Mund gefpit. Das find aber lauter 
Früchte, die in diefem berben Klima nicht reifen. Jeder 
Bauerndengel, dem id) begegne, drüdt mir die Hand, fo 
dag mir die Finger weh thun, duzt mid, und nennt mid 
Vetter und Freund. — Aber das ift er ja aud, lieber Ba» 
ter! Vergeſſen Sie denn, daß alle Einwohner hier, wenige 
ausgenommen, von Albert Julius abftammen? — Bir ftam- 
men alle ab von Adam und Eva, mein Sobn! das madıt 
aber nichts. Verſchiedenbeit muß fein, und aud Standes 
verſchiedenheit. Und wie die Menfchen hier gekleidet ‚gehen! 
Altdeutſch! mit Jädhen und Kragen, und ungepuderten 
Haaren, fo daß einem das wenige Haar unter der Perüde 
darüber zu Berge Reht. — So war die Mode, als Altva- 
ter vor hundert Jahren hierher kam; feine Kinder kleideten 
ſich wie er, die Enkel thun ee ebenfalle. Und aufrichtig 
lieber Vater, ich finde, diefe Mode weit fhöner, als die 
heutige in Europa! I haſſe Peruͤden, Puder, dreiedige 
Treſſenhüte, Haarbeutel und fteife Rocſchoͤße aufs Blut. 
— Beiß wohl, Gherhard! das fömmt daher, weil Du noch 
in den unreifen Jahren bift, und Dein Gefchmad nicht ges 
börig gebildet it. Wenn Du älter wirft, wenn Dir die 
Haare grau werden, und Du eine Glape bekömmit, wirft 
Du fon die Finger nad) der Perüde, nah Puder und 
Vomade Ieden, dann ift’s aber zu fpät. — Ales bier. if 
wild und verworren! Keine ordentliche Gärten in Winkel, 





Berſchiedener Geſchhmac. 105 


Quadrate, Rhombuſſe und Nhomboiden eingetheilt; man 
glaubt noch im Walde, unter dem lieben Vieh zu wan ⸗ 
deln. Er verſteht es wohl nicht beſſer, der arme Greis! 
folte ſich aber von Eugen Leuten, die ein beſſeres Einfe- 
ben ‚in dergleihen Dingen haben, belehren laffen. Sein 
Sohn, Herr Albert Julius der weite, ſcheint mir weit 
mehr Verftand und pratktiſchen Sinn zu befiken. “ 
Eberhard mußte läheln und frug: Lieber Bater! ha- 
ben Sie denn in Europa wirklich fo viel Gutes. verlaffen, 
daß Sie fi) darnach fehnen können? — Ob ich viel Gutes 
verlafien habe, mein Sohn? Weißt Du denn nicht, dag ih 
mich in Leipzig ganz prachtig etablirt Hatte, ein großes Haus 
neu gefauft und fhön meublirt mit Kronleuchtern und Fuße 
tepppihen? Gin Graf konnte nicht beffer wohnen. Beißt 
Du nit, daß mir. acht Bedienten in prächtigen Livreen täge 
lich aufwarteten? Daß ich zwei Mal woͤchentlich ein großes 
Diner gab, wobei Deine Gönner und Iugendlehrer, Herr 
Profeſſor Schwefellies und Here Kaufmann Nierenftein 
auch zugegen waren, nebſt vielen andern Donoratioren? 
Nierenftein und Schwefelties, find meine Bufenfreunde ge- 
worden; umd mo finde ic folhe Männer wieder? Mit 
Herrn Litzberg und Wolfgang läßt ſich ja fein vernünftiges 
Wort reden, fie railliren immer, und find fogar mitunter 
nafeweis und unverfhämt. Den guten Schmelzer kenne ich 
fhon; das ift ein lieber Menfch. er fiht aber über feinen 
Büchern, tauft Kinder, ſchreibt Predigten, mag nicht L’hom- 
bre fielen, und hat es auch nie ordentlich gelernt. — Alſo 
Nierenftein und Scwefelties, das find gegenwärtig die 
Lichter in Leipzig, lieber Vater? — Wahre Biederleute, 
mein Sohn! Der eine giebt eben fo große Diners wie ih; 
der Profeffor hat freilich die Mittel dazu nicht; Aber dann 





106 Verſchiedener Geſchmack 


fpeit er wieder fo gutherzig, mit einem ſolchen Appetit . 
und böfliher Dankharkiit, dag man ihm durchaus gut fein 
muß. Und dann ift er auch erflaunlic gelehrt. Nicht wahr, 
Du verdankft ihm Deine ganze Bildung? — Gewiß, licher 
Bater. Und bei dem andern bin ic) alle Boden zu Tiſche 
geladen; nicht wahr? — Ja wohl! Das hat er wir ſelbſt 
erzählt, und das hat mid als Vater gefreut; denn Du 
weißt wohl, Eberhard, dag id, Did, aller Deiner Sonder- 
barfeiten ohnerachtrt, herzlich liebe. — Das weiß ih, mein 
Vater, ſprach Eberhard, und fügte ihm die Hand: Haben 
die Herren Nierenftein und Schwefellies Ihnen aber nicht 
auch erzaͤhlt. wie ih einmal an der Pleiſſe ihr Lehen vet- 
tete? — -Sie haben mir gefagt, dag Du ihnen einmal in 
jugendlichen Ucbermuthe mit einem herunter geriſſenen 
Baume leicht die Schädel häzteft einfhlagen Lünnen, als 
ihre Pferde ein wenig ſcheu wurden; allein diefen Jugend» 
ſtreich haben fle Dir Beide von Herzen vergeben. — Nun, 
das iſt (hön, ſprach Eberhard. Es iſt aber fpät, lieber” 
Vater! Sie find jetzt zu Bette gegangen, und ich will, mit 
‚Ihrer gütigen Erlaubnig, daſſelbe thun. 


12. 


Albert Julius zum leptenmal. 





Der Maler hatte ein ſchones, ähnliches Bild vom Alt 
vater ‚gemacht. Der ſilberne Greis fa im Lehnſtuhle in 
feinem Sömmer; durchs große offene Fenſter konnte man die 





Aldert Julius zum letzten mal. 107 


füdfiche Vegetation der.Infel und die fernen Felſen fehen. 
Der Alte legte feine gerunzelte Hand auf das Faftanien- 
braune Haupt eines fdhönen Knabens, der vor ihm Mniete. 
Hiemit wolte der Maler den Segen andeuten, den der _ 
Stammvater feinen Enkeln gab. Das Bild in Lehensgröße 
wurde den Bruftbildern Luthers und Shakeſpeares gegen» 


-über in der Wohnſtube aufgehängt; erſt aber einige Tage 


oͤffentlich zur Schau ausgeftellt. — Ad, wenn Ihr mir nur 
auch meine Concordia malen Lönntet, fagte der Altvater. 
Aber wißt Ihr was? Malet die kleine Cordula; die gleicht 
ihrer Stammmutter ſehr, nur dag fie blond If. — Herr‘ 
Martin, der zugegen war, meinte, man Lünne ja ſchlecht⸗ 
weg Cordula ſchwarzes Haar geben; aber davon wollte we⸗ 
der Altvater, noch Eberhard, uoch der Maler etwaͤs wil- 
fen; und Litzberg rief: Da haben wir wieder ein Unglück 
des eigenen Haartragens; hätten nun, Concordia und Cor⸗ 
dula hübſch gepuderte Perüden getragen, fo wären wir der 
Sorge 108, und die Aehnlichteit waͤre auf ein Haar ger 
troffen. . 
Nach der Iepten Luftfahrt uach Klein» Felfenburg war 
der Altvater etwas unpag, und er: beſchloß von jept an eine 
andre Lebensweiſe bei fidy einzuführen. Er gab keine Gaſt⸗ 
mahle mehr, ging fräh zu Bett, nahm nicht Beſuche an, 
und beſuchte Niemanden. Dazu hatte ihm befonders eine 
Freundin überredet, die jet täglich um ihn war, die ihn 
pflegte und hegte, feinem Haufe vorftand, und ohne deren 
Einroilligung er nichts mehr that, was feine Gefundpeit 
anging. Diefe Freundin war Hanna Helltraft, deren Ge⸗ 
nie zur Hausbälterin und Pflegerin er bald entdedte, und 
nad) Berdienft würdigte. Noch behielt er in feinem geräu- 
migen Haufe drei ſchoͤne, geiſtreiche Knaben und Mädchen, 


108 Albert Iulius zum leptenmal. 


die er im Lefen und Schreiben felbft unterrichtete, die zu 
Mittag mit ihm ſpeiſten, und die im Kreife um ihn täglich 
Morgen und Abend mit gefalteten Händen beten mußten, 
um Danklicder fangen. Mitunter agen auch, ftatt ührer, 
Eberbard und Cordula, oder Schmelzer und Wolfgang, 
oder Litzberg und Lademann beim Alten. 

Sein Sohn Albert Julius der Zweite machte jet ein 
großes Haus, kam aber alle Morgen pünktlich um zchn 
Uhr, feines Vaters Hand zu küſſen, und zu hören, wie er 
geſchlafen habe? Dies that der fiebzigiährige Mann ganz 
kindlich, wie er es von Jugend auf gewohnt war, und der 
Anblid hatte etwas wunderbar Nührendes, — Bei Albert 
dem Zweiten war Martin Julius einquartirt. Sie ſchienen 
für einander geboren zu fein. Herr Martin hielt dem als 
ten Felſenburger täglich) Vorlefungen über euroväiſche Sit» 
ten und Einridtungen, und fie fanden im ‚Gemüthe des 
Zubörers freundliche Aufnahme. 

Noch ein anderer Fremder, von dem wir nicht gefbro« 
hen haben, der mit Kapitain Horn das letzte Mal auf die 
Infel kam, hatte in Robert Hulter, Gordulas Vater, einen 
Freund gefunden, und wohnte hei ifm. Es war ein ger 
wefener Ingenieur» Offizier, Herr von Birting, der dem 
wadern Wolfgang damit beifen follte, die Tortification der 
Infel nach beſten Kräften zu vollenden, damit keine fremde 
Macht fie je erobern könne. Das fing er denn auch gleich 
ſehr gefjidt an, denn cs war ein Mann von Talenten. 

In feinem Aeußern hatte er aber viel Unangenehmes, Ab- 
ftogendes. Er war lang und Hager, fein ſchmales Geſicht 
ſah ernft und migvergnügt aus; nie Fam ein Lächeln da, 
rauf Wenn man mit ihm ſprach, mußte man feine Be 
vebfamfeit bewundern; es war aber gar nichts Gemäthli- 





Albert Julius zum leptenmal. | 109 


es an ihm; auch merkte man, des Zwanges ohnerachtet. 
den er ſich anthat, daß er fehr ahnenftolz war. Er war 
aus einer altın deutſchen Familie; unglädtider Umftände 
megen hatte er fein Rittergut verfaufen müflen, und nur 
die Noth hatte ihn dazu gezwungen, Kapitain Horn nad 
Zelfenburg zu begleiten. Alle die Freunde ſahen bald, dag 


- er fein Mann für fie war; fie hatten bei feinem Anblide 


das Gefühl, als ob ſich, allen guten Duarantaine-Anftal- 
ten ohnerachtet, eine anftedende Seelenſeuche auf die Infel 
eingeſchlichen habe. Nun. war es aber zu ſpaͤt, etwas da⸗ 
gegen zu wirken, Der gute Eberhard hatte befonders Ur: 
ſache ihn nicht zu Teiden, denn faum wohnte Herr von Bir⸗ 
ting bei Robert Hulter, fo verliebte er fi in feine Toch⸗ 
ter. Als cr nun börte, daß Robert von Carolina Ftan ⸗ 
esta, der Tochter Soncordiens und van Lrunens, ftamme, 
die mit einem fhiffbrädyigen Iünglinge von adeliher Ge⸗ 
burt verheirathet gewwefen, machte er Robert Hultern aufs 
merffam darauf, daß fein ganzer Stamm von adelihem 
Gebfüte auf der Infel_der Vornehmſte fei, dem es nicht 
zieme, einem bürgerlihen Nebenzweige in Anfehen und 
Hürde nachzuſtehen. — Diefe Infpirationen geſchahen freis 
lich noch ‚ganz heimlich; "hatten aber auf den ehrgeizigen, 
düftern, befchränkten Robert großen Einflug; es that ihm 
jest leid, daß er feine Tochter Eberharden verſprochen habe, 
und Eberhard konnte nicht begreifen, woher die Kälte jetzt 
gegen ihn käme, tröftete fih aber damit, dag ihn die treue 
Cordula immer zärtliher und feuriger liebe. 

Eberhard betrieb nun die Hochzeit, weil aber Altvater- 
immer kraͤnklicher wurde (als Kapitain Horn wegreifte, hatte 
er ſich auch beim Abſchiede etwas erfältet); fo hatte Robert 
Hulter Anlap genug, die Bermäblung aufzufgieben, und 


110 Albert Iulins zum Ieptenmal. 


Eherhard war auch jeht zu beforgt, um an fein eigenes 
Glůck zu denten. 

Es wurde mit dem Greife alle Tage bedenklicher: der 
Arzt Cramer wollte ihm Medicamente geben, er ſprach 
aber: Mein Sohn! für den Tod waͤchſt kein Kraut! Ich 
lebe fhon ein Paar Jahre in das zweite Seculum hinein, 
das mag die Zeit nicht leiden; fie läßt fi von den Men« 
ſchen nicht fo auf die Finger feben, und ihre Kunft abler- 
nen. Das alte geizige Weib will mir fein Lebensöl mehr 
in meine Lampe giegen. darum frodnet mir die Haut, die. 
Glieder werden fteif, die Augen dumm und das Obr hört 
nicht länger fharf, wie zuvor. Allein ich habe mich ſchon 
lange auf diefen Augenblick vorbereitet, und mo ich bingehe, 
wartet ein großer Haufen Freunde meiner. 

Man wollte ibm die Todesgedanken verſcheuchen, er 
ließ fid) aber nicht irre machen, und verfepte! Diesmal, 
lieben Kinder, läßt fih Freund Hain durch ſchöne Worte 
nicht wegweifen, er bat ſchon ein paarmal mit der Senfe 
angeflopft, hat fid aber von- den Thränen meiner Kinder 
rüßren laſſen, und ift wieder fortgegangen. 

Die ganze Infel trauerte, und alle waren fehr beforgt, 
als Altvater nod "einmal in die Kirhe wollte, denn fie 
fürchteten, er werde fi) da noch mehr erfälten und gar zu 
gerührt werden. — Ic fterbe noch nicht, ſagte der reis, 
einige Tage habe ih noch zu leben; vergönnt mir diefe kurze 
Friſt nad Luft zu genießen. Das Meine zarte Kind wird 
ja in die Kirche gebracht, wenn das Leben hier auf Erden 
anfangen foll; warum darf das alte Kind fid nicht auch 
im Gotteshaufe zum künftigen Leben vorbereiten? 

Wolfgang und Eberhard baten M. Schmelzer die Pre» 
digt ja nicht zu rührend zu machen. — Fürchtet nichts, 


Albert Julius zum legtenmal. 111 


Freunde! ſprach der trefflihe Mann; eine ſelige Flamme 
brauche ich nicht da. anzufachen, wo fie ſchon klar in Liebe 
rennt. Ich will nicht mit dem Finger nach dem Himmel 
binauf zeigen, wohin ſchon die alten Augen ununterbrochen 
binaufftarren; id mil fie wieder eine Weile auf die Erde 
berunterloden. Es trifft ſich eben fo fhön, daß mir näc« 
ftens das Evangelium vom Sämanne haben; Ihr wer- 
det ſchon mit mir zufrieden fein. 

Lademann war ganz in Schmelzers Idee eingegangen; 
er, der auf feiner ſchönen Orgel phantafirend das Herz 
ſtimmen fonnte, wie er wollte, präludirte heute ſtil erhaben 
in tiefen. heitern feften Tönen, und brauchte das Pedal 
wunderſchon, als ob er damit das ehrwürdige Greifesalter, 
die tiefe kräftige Gottesfurcht des Altvaters andeuten wolle. 


"Mitunter drüdten einige hohe Töne Sehnſucht und Ver⸗ 


langen nach der Ewigkeit aus; dann tönte wicder.der herr⸗ 
liche Bag geduldig und beruhigend in großen Harmonien, 
und die fonderbarften Diſſonanzen Löften fid leicht auf, in 
Klarheit und Zufriedenheit. 
Schmelzer hielt eine treflihe Predigt über den Tert: 
Etliches fiel auf ein gut Land, und trug Frucht 
Dunderrfältig, etliches ſechszigfältig, etliches dreigi ig. 
Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er. die Fülle 
babe; mer aber nicht hat, dem wird genommen, das er 
hat.” — Diefes Nichthaben und Haben, womit Chriſtus 
nur einen kräftigen Willen zum Guten, ein fromm empfäng« 
lich liebevolles Gemäth gemeint hat, wandte Schmelzer ohne 
Schmeichelei auf den Altvater an, dem ein blühendes, glüd« 
liches Geſchlecht, naͤchſt Bolt im Himmel, alles verdantte. — 
Ale Hände falteten fi, alle feuchten Augen richteten ſich 
binauf nad dem Greife, der in feinem Stuhle verfhämt 








112 Albert Julins zum Ieptenmal. 


und beſcheiden ſaß, die Augen niederflug, und fanft laͤ⸗ 
chelnd mitunter feife den Kopf ſchüttelte Schmelzer wußte 
recht wohl, daß diefe Wendung nicht nad) des Alten Ger 
ſchinack fe, der in die Kirche gefommen war, feine Seele 
zu Gott zu erheben, nicht üm Dankſagungen zu hören; er 
mußte, daß es den Alten fogar ein wenig verdriegen würde; 
aber auf diefe Mißbilligung, diefe kleine Verftimmung hatte 
der Prediger chen gerechnet, weil er dadurch hoffte, den 
ſchwachen Alten von einer gar zu angreifenden Begeifterung 
zu zerſtreuen. Es half aber nicht viel; denn nad geendig- 
tem Gottesdienft lieg Altvater zu Schmelzer hinunterſchicen: 
er wunſchte das heilige Abendmahl nod vor dem Altar zu 
empfangen, die Chorfnaben möchten das Lied: „Icfus meine 
Zuverſichtl“ fingen. Raum war das gemeldet, fo erfdien 
der Greis fon drunten in der Kirche, von Eberhard und 
Wolfgang geleitet. Er ging mit rubigen feſten Schritten 
durch die Kirche, man merkte ihm feine Schwachteit an, 
nur einige fanfte Thfänen liefen ihm Aber die abgebleihten 
Wangen, als er das Satrament zum lettenmale genoß. 
Als die Anaben das Lied anftimmten, woran die Ermad- 
fenen vor Schluchzen nicht theilnehmen konnten, fang Ale 
bert Julius laut mit, und fein fhöner Bag, der neue 
Kräfte gewonnen zu haben fdien, tönte herrlich, und freu- 
dig vereint mit den zorten hoben Kinderftimmen. 

An der Kirhenthür blich er ftehen, ließ feine Entel 
vorbeigeben, drüfte allen die Hand, und ließ ſich von vie 
len die Hand küfen. Drauf ward er in feinem Tragſeſſel 
nad) Haufe gebracht, und bereitete fid auf feinen Tod vor. 
Nur Hanna Helkraft, Eberhard, Lademann und die Chor- 
knaben blichen im Haufe bei ihm. Zu Lademann fagte er: 
Mein Sohn, Ihr habt mir fon auf Diefer Infel viel 


Albert Julius zum Teptenmal, 113 


Nutzen geftiftet, allein ich habe doch noch eine Bitte an 
Eu, daß Ihr mir nämlid mein Nuhefämmerlein oder 
meinen Sarg fo eilig als möglic) verfertigen möget; denn 
ich habe nicht lange Zeit mehr bier zu bleiben, fondern 
Gott wird mid) nächftens zu ſich rufen, ich möchte aber 
gern vorher mein Ruhekämmerlein fehen. 


Der ehrliche Lademann fing bitterli an zu weinen, 
fügte dem Altvater die Hand, und fagte: er hoffe noch viele 
Jahre von diefer Arbeit verſchont zu bleiben; allein der Alte 
fagte: Mein Sohn, day viele Reden kömmt mir ſauer! Er- 
füllt meinen Willen fo eilig, als möglich, und gebt mir 
Eure Hand drauf. 


Dan willfahrete. ihm jet in allem, und bald ftand 
der Earg fertig da, ganz ſchlicht und einfady gebeigt, von 
Fichtenholz, nad) des Altvaters Verlangen: „Vier Dielen 
und zwei Brethen.“ Lademann wollte einen Sarg von 
Mahagony mit fübernen Handhaben gemacht haben, allen 
der Alte ſprach: Meine edlen Vorgänger Don Cyrillo de 
Valaro und Herr Earl Franz van Leuven wurden nur in 
ein grobes Segeltuch eingewidelt! Als meine Concordia 
ftarb, habe ih und meine Söhne ihr einen ſchlichten Sarg 
von Dielen aus dem Walde gejimmert; ih will es nicht 
beffer haben, 

Die Heine Handorgel war nad) Albertsburg gebradt 


> worden, die fpielte Lademann jept fleißig und die Chorfna- 


ben fangen vor dem Sterbenden, und draußen im Haine 
fanden viele Felſenburger, Qäter, Mütter, Iünglinge, 
Mädden und Kinder, und weinten, wenn fie die ſchönen 
Töne dur die offenftehenden Zenfter hörten. Denn .der 


Sterbende, der die friſche Luft immer geliebt hute, wollte 
Dedlenſ· Sarifien. XVIIL. 


‚114 Aldert Jalius zum legtenmal. 


auch jetzt nicht, daß man im fdönen warmen Better feine 
Fenſter verſchließe. 

Jetzt lag er und träumte vor ſich bin, und wenn er 
erwachte, erzählte er den Umherſtehenden den Traum; der 
oft ein ſchöner Zurüdblid auf fein buntes abenteuerlihes 
Leben war. Erft fand Freund Hain da mit der Hippe 
und zeigte ihm das ausgeronnene Stundenglas.; Albert 
fang: 


mut bin ich zwar, doc münfcht' ich gern 
Gin wenig noch zu leben. 


Der Tod antwortete: 


Und lebteſt hundert Jahr Du noch, 
Zu früh kaͤm ich DIE immer doch, 
Drum fei mir gleich ergeben; 


Dann erſchien Alberts Bater an der Hand des heili⸗ 
‚gen gefteinigten Stephanus, er befühlte das Eifen der To— 
desfenfe, und ſprach: Die Schneide ift (darf! es ſchmerzt 
nicht, mein Cohn! Ih habe das Eifen in früheren Jah⸗ 
ten als Du, gefoftet. Nun hörte Albert einen fhönen Ges 
fang, es waren die Geifter feiner Mutter und feines Bru⸗ 
ders. Der Bruder zeigte ihm die Uhr und rief: die Zeit 
in vorüber. Die Mutter Hob die Bibel gegen den Him ⸗ 
mel auf und rief: Dort winkt die Ewigkeit. — Dann 
ſchnurrte ein Rocken dem Träumenden nahe in’s Ohr; das 
bei ſaß die alte Parze Lacheſis, fie war bald über ihrer. 
Arbeit eingefdlafen, und Alberts Lebensfaden zerriß ihr 
unter den Händen; fie glich der Muhme Urfula, und ſprach 
leiſe: Ich Grabe ſchlaͤft ſich's gut und ungekört.— Run 


Albert Iulius zum letztenmal. 115 


kam eine Meine Höllenfrage im Scharlachrocke und langer 
Kuotenperüde, die Hörner flachen ihr närrifd aus dem Tou- 
dee heraus, fie wollte den Sterbenden flören und ärgern. 
Albert‘ erkannte fehr gut den Salvator Veildenblau; als 
die Grablieder wieder ertönten, verſchwand der Kobold. — 
Pöplih hörte er den Anal einer Kanone, und durch die 
Kanone fuhr Seiferts Geift, und verſchwand in die Bol- 
fen, felbft eine dichtere Wolfe, von der beruntergehenden 
Sonne ſchön gefärbt. Dann flieg der Mond kalt empor 
und beleuchtete die Flußwellen. Trautmanns Kopf tauchte 
empor mit naffen Haaren und gebrochenen Augen, aber der 
Abendwind fänfelte im Schilfe: Gott hat ihm vergeben, 
Du wirft ihn wieder fehen. Jetzt ſchwirrte ein ſchoöner Che⸗ 
rubtopf mit ſchneeweigen Schwingen an den Nofenwangen 
zum Fenſter herein, blidte felig-lächelnd auf ihn; und flog 
mieder hinaus. Ad Iohanna, liche Johanna, feufzte Ale 
bert, und erwachte, ſchlief aber glei wieder. Hanna Hell 
kraft tro@nete ihm den Todesſchweiß von der Stirn. — 
Dank, Sara! treue Sara! feufzte der Träumende. Lader 
mann wollte ihn erheitern und fpielte wieder auf der Hand» 
orgel. — Da, ſprach der Sterbende, höre ih Paul Flem⸗ 
mings Harfe, er- fingt jetzt die Ode auf die Auferftehung, 
die Unſterblichleit. — Nachher ſchien es Alberten, als 06 
der Himmel ganz dunfel würde. Ein lichter Kreis breitete 
fi) darauf aus, von einem runden Regenbogen wie von 
einem Rahmen eingefaßt, und darin fand cine Rieſenge⸗ 
ftalt im gelben Lederwamms, behelmt, wie ein Ritter. Es 
mar Guſtav Molf. — Einen ähnlichen Lihtkreis entdedte 
Albert grade gegenüber auf dem ſchwarzen Firmamente, 
mit zwei Riefengeftalten. Es waren die Ahnberren der Fel⸗ 
fenburger, Luther und Shakeſpeare die Hand in Hand brüs 
! ng: 


116 Albert Julius zum Ichtenmal. 


derlich fanden und einander freudig anfahen. Nun ertön- 
ten ſtarke Hammerfchläge; cine lichte Werkſtatt öffnete ſich 
im Dunteln, und unter der Anmeifung des wadern Map 
Hanfen, der wie ein gutherziger Cyclop ausfah, wurde der 
große Hoffnungsanfer von Eifen gefhmiedet. Der treffliche 
Schmid war nit berauſcht, -fondern nur brgeiftert ‘von 
dem Zranfe der ewigen Lebensquelle. Da fuhr Albert auf 
dem Schiffe des Glaubens fort, und Columbus ftand ſelbſt 
am Steuerruder. Nach kurzer Fahrt erreichten fie bald den 
Fels der Gnade. — Hier wartete Carl Franz van Leuven 


auf dem Strande und reichte Alberten fein Fernroßr. Der 


Sterbende fhaute hinein, und entdecte Jeſus Chriftus dro⸗ 
den auf der hoͤchſten Kippe, mit ſtrablendem Haupte. 
Ehriftus wminkte ihm durch den Todesſchlund zu geben, um 
das Paradies zu befteigen. Vor die Schlucht aber trat der 
Teufel in Lemelies Geſtalt, fletſchte mit den Zähnen, und 
wollte ihm den Durdgang fperren. Da kam Concordia, 
wie ein ſchdner Engel, vom Himmel herunter geflogen. Bei 
ihrem Anblick heute der Böfe, flog durch die Luft, wie ein 
brennender Komet, ftürzte ſich ins Meer und erloſch. — 
Eoncordia, meine Eoncordia! reihe mir Deine Hand, das 
mit ih mit Dir hinaufſteige, und eingebe in die Laube der 
ewigen Liche! 

Das waren die legten Worte des Greifes, mit einem 
leichten Seufzer entfloh feine unfterblihe Seele dem Kür 
der, und Hanna Hellfraft drüdte ihm die Augen zu. 


Die Bortugiefen. 117 


13. 
Die Portugiefen. 





Ein halbes Jahr mar nach des Altvaters Tode ver» 
gangen: und Vieies hatte ſich ſchon auf der Infel verän- 
dert. Albert Julius der Zweite war Altvater geworden, 
und obſchon diefer Ehrenname nichts weiter bedeuten wolte, 
als daß er im Rathe den Borfig und zwei Stimmen hatte, 
fo fing er doch feine Macht nah und nad willfärlih an 
zu erweitern, welches ihm nicht ſchwer wurde, weil das 
Infelvolt bis jegt nicht nach Geſetzen. fendern nur nad) 
Vernunft und Billigfeit als eine große Familie regiert wor« 
den war. Als Haupt der Familie hatte alfo der Altvater, 
weil keine andere Einrihtung da war, nad) Herfommen die 
ausübende Gewalt. Deswegen bildeten fih nun zwei Bar 
teien auf der Infel, und an der Spige der zweiten ſtan⸗ 
den Robert Hulter, und der Ingenieur von Birting, den ſich 
der Altvater zum bitterften Feinde gemacht hatte, weil er 
ihn nicht in den Rath der Alten aufgenommen. Der Re⸗ 
gent fagte aber, wie billig, es ginge nicht an, alle Augen- 
biide antommende Fremdlinge den Landestindern vorzu⸗ 
sieben. . J 

Der Stamm Robert Hulters fing nun an, alle Tage 
mehr auf feinen Adel zu pochen, und äußerte laut, daß es 
ſich für ihn nicht zieme, ſich von andern beherrſchen au laſ⸗ 
fen. Sp lange der wahre Altvater lebte, habe man es, 
aus Achtung gegen ihn, hingehen laſſen; jetzt ſei er aber 
todt, und dem Sohne, der weder des Vaters Kopf noch 


\ J 


118 Die Portugiefen. 


Verdienſte hätte, fei man feinen Gehorfam ſchuldig. Es 

gab in den Verfammlungen heftige Streitigkeiten, woran 
Eberhard auch Tpeil nahm, und es wäre ſchon zum Bruce - 
zwiſchen ihm und Robert Hultern gefommen, bätte nicht 
vöglid) ein neues, von Niemanden erwartetes Abenteuer, 
die Gemüther für kurze Zeit verföpnt und vereinigt. 

Ehe man fid) etwas vermutbete, faben die Wadıen ei 
nes Tages von ihren Zelfen drei große Schiffe fih drehen 
und wenden, als ob fie gefonnen wären, die Straße nach 

“ Dfüindien zu ſuchen. Die Felſenburger, die es nicht rath⸗ 
fam hielten, ihnen mit Höflicfeiten entgegen zu kommen, 
bielten ſich maufeftill hinter ihren Felſen. 

Am dritten Tage thaten die Schiffe drei Kanonenſchüſſe. 
und als man fie nicht beantwortete, ward eim portugiefis 
ſcher Offizier mit weißer Flagge in der Hand, nebft einem 
Trompeter, an’s Land gefcht. 

Bolfgang und von Birting, von allen Einwohnern ein« 
ſtimmig zu Gommandanten und Gouverneuren der Infel er⸗ 
nanat, bieten es nicht rathfam, die Schleufe fallen zu laſ⸗ 
fen und den Fluß zu herren, um den Parlementär durch 
den ausgetrodneten Gang auf die Infel hinauf zu bringen. 
Ein junger, kühner Felfenburger bot ſich freiwillig dazu an, 
den beſchwerlichen Weg hinunter und wieder hinauf: zu klet⸗ 
tern, den Albert Iulius vor 80 Jahren ber gemacht hatte. 
Wolfgang fand es aber nicht nöthig. Bon einer fhroffen, 
ins Meer binaushängenden Zelfenede Fonnte man leicht ei- 
nen Bindfaden mit einem Steine hinunterlaffen, und hät 
ten die Herrn Portugiefen ihnen etwas zu fagen, fo konn⸗ 
tenzfie ja einen Brief an den Faden binden. 

Ein Trompeter der Infel antwortete alfo von oben dem 
vortugieſiſchen Trompeter drunten; der Bindfaden mit dem 


Die Portugiefen. 119 


Eteine wurde herunter gelaflen, der Parlamentär fegelte 
aber unverrichteter Sache wieder zuräd; weil er vermuth- 
lich keine Ordre Hatte, ſich auf ſolche Weife mit den Fel⸗ 
fenburgern einzulaffen. 
> Der Admiral der Eleinen Flotte fand ſich fehr dabei 
beleidigt, daß ein armfeliges Inſelvolk es mage, feinen Par⸗ 
tementär fo hoͤhniſch zu behandeln, ließ die Anfer wieder 
- lichten, und umfegelte die Infel ein Paar mal, um eine 
Deffnung zu finden, wodurd) er hinein kommen könnte. Zu 
feinem Erftaunen entdedte er aber, daß diefe Infel, ob» 
ſchon weit größer im Umfange, eben fo wohl befeftigt war, 
als Gibraltar in Europa. Er mußte alfo in den ſauern 
Apfel beigen, und feinen hochtrabenden Brief an den ſchlech- 
ten Bindfaden neben dem Kiefelftein binden.” 

Der Inhalt des Briefes war: Seine portugiefifhe Ma- 
jetät habe erfahren, daß ſich eine Meine Colonie auf der 
fogenannten Infel Felſenburg angefiedelt habe. Beil der 
König nun feinen Staat in feinem Staate dulden könne 
umd ihm von Rechtewegen alle Infeln in diefen Gewäflern 
gehören, fo verlange er, die Felſenburger follten fih un⸗ 
terthänig unterwerfen, ihn als ihren König erkennen, ihm 
Treue fhwören, und Don Iuan de Silves, den Admiral 
der Flotte, als feinen Statthalter anerkennen. Alsdann 
molle man das Privateigenthum fhonen, und die Felſen⸗ 
burger könnten ibr gensöhntiches idvlliſches Beben ungeftört 
fortfeßen. Wo nicht, würde die Infel bombardirt und mit 
Gewalt genommen werden, und dann habe man nur ſich 
ſelber die fhlimmen Folgen zuzuſchreiben. 

Die Felfenburger antworteten: Sie begten vor Seiner 
Majenät dem Könige von Portugal die tiefſte Ehrfurcht, 
umd ſchaͤmten fih, als ein armes, Meines Infelvolt einem 


120 Die Portugiefen. — 


fo grogmachtigen Monarchen zu widerſprechen. Hier triebe 
ſie aber die Roth dazu, ſolches zu thun. Mit ihrer klei⸗ 
nen, unbedeutenden Inſel ſei Ihro Majeftät wenig gedient; 
mit ihrer Unabbängigfeit würden fie aber Alles verlieren, 
wenn Menfhen von einer fremden Religion, von fremden 
Sitten und einer fremden Sprache fie beherrſchten. Als 
freie Leute und als Lutheraner nad) der Augsburgifchen 
Eonfeffion wollten fie eben und fterben: 

Als Don Iuan de Silves dieſe Nachricht bekam, fing 
er gleich an, die Infel zu bombardiren. Aber die Felfen- 
burger lachten nur darüber, denn von allen feinen Bomben 
fielen nur drei auf die Infel, ohne weitern Schaden zu 
thun, als die Erde ein wenig aufzuwühlen. Im Ratte 
hatte man erft beſchloſſen, feinen Schuß wieder zu thun. 
Es wäre ja ganz Überfläfftg, fagte man; und wenn die 


Yortugiefen erft al ihr Schießpulver und ihre Bomben un -- 


nüg verbraucht hätten, würden fie ſich ſchon genäthigt fer 
ben, unverrichteter Sacht nad) Haufe zu gehen. Wolfgang 
aber war der Meinung, man folle fie wieder bombardiren, 
um ihnen Achtung vor der Feſtung Felſenburg einzuflögen, 
damit fie nicht fo bald wieder fämen. And von Birting 
frug, was man mit Kanonen und Ammunition auf der 
Infel fole, wenn man fie nicht brauchen wolle? Man 
Rinne nicht, ſprach er, von tapfern Eoldaten verlangen, 
daß fie mit den Händen im Schooße fihen, und ſich unge 
ſtraft verhöhnen laſſen follten 
So befamen fie denn Erlaubnig; wieder zu ſchieten, 
und faum war diefe gegeben, fo warf von Birting von feie 
ner Baftion, (dem aftronomifhen Thurme van Leuvens), 
zwei Bomben fo glücklich, daß fie gerade in die Pulverton» 
nen der zwei größten Schiffe fielen, und folde mit entfeg- 


Die Portugiefen. _ m. 


lihem Knall in die Luft forennten. Der Befehlshaber des 
dritten Schiffes, von paniſchem Echreden ergriffen, ließ gleich 
die Anker lichten, ſtach in die meite Eee, und der Krieg 
batte ein Ende. 


Hierüber freuten fi nun die Felfenburger außeror- 
dentlich Siegesfeſte wurden angerichtet, Eiegeslieder von 
vielen Jünglingen (nur nicht von Eberhard) gedichtet, alle un« 
bedeutende Variationen des wohlbefannten Themas. Bon Bir 

‚ting wurde darin ein Leonidas, ein Hermann genannt, der 
ihnen Selbftftändigfeit und Freiheit gerettet habe, er wurde 
mit Zorbern befränzt und unmaͤßig geehrt. Die Vernünf- 
tigen und Erfahrneren fhwiegen, konnten aber diefen fal⸗ 
ſchen Enthufiasmus in ihren Herzen nit billigen; denn 
was hatte ron Birting eigentlich gethan? Nichts weiter, als 


— ein Paar mal glüdlih, als guter Ehüge, ins Schwarze 


getroffen. Das dritte Schiff war geflüchtet; konnte bald 


die Nachricht nach Portugal bringen, und der mächtige aufe 


gebrachte König würde gewiß dann alles aufbieten, um ſich 
zu rächen. Dann wäre man nicht weiter als vorher. Doc 
daran dachte die Jugend nit. In ihrer Geſchichte war 
diefer Sieg der glänzendfte, weil er der einzige war. Bon Bir- 
fing, vorher ſtolz und hochfahrend, wurde es jet noch mehr; 
fein düfteres Weſen fuchte ſich weniger zu verbergen, dab 
ſchmeichelte er der männlichen Jugend, und affectirte in ihe 
tem Kreife ein erſtaunlich populäres Weſen. Alle feine Re 
den gingen darauf les, dem jungen Volke zu bemeifen, nur 
in der Tapferkeit beftehe das wahre Verdienſt, und dag 
alle bürgerlihen Einrichtungen im Zrieden eigentlich nur 
die Menſchen erfchlaiiten und verdärben. So ftand der 
Infel jest eine meit größere Gefabr bevor, eine Fehde in. 


1m Die Portugiefen. 


nerbalb der Zelfen, mo feine Bafaltpfeiler Länger Frie⸗ 
den und Eintracht gebieten fonnten. 

Daß Eberhard den von Birting, der ihm noch oben ⸗ 
drein feine Braut rauben wollte, haßte, war -natürlih. Er 
glaubte einen zweiten. Lemelie in ihm zu ſehen. Lemelie, 
fagte er zu Wolfgang, hat auch einft einen glüdlihen Schuß 
gethan, und rettete dadurch wirklich die Stammältern die 
ſes Geſchlechts; allein mas bat von Birfing gerettet? Er 
wird noch auf der Infel Aufruhr malen, und ſich der Al- 
leinherrſchaft bemeiftern. — Bei Gott! rief Wolfgang, das 
foll er nicht, fo Lange dies Herz fhlägt. — Eberhard drüdte 
feine Hand, und fagte mehmüthig: IA pflege auch ſonſt 
nicht den Kopf hängen zu laſſen, allein jetzt liebe ich, liebe 
unglädlih. Der Dummdreifte hat auch das Herz des Ba- 
ters meiner Cordula erobert. Der Alte wird fein Wort 
brechen, wird die Taube dem Geier vermäblen. — Das 
ſoll er nicht, rief Wolfgang. Ich traue ihn ihr nicht 
an, ſprach M. Echmelzer mehr als gewöhnlich eifrig; und 
Litzberg, der aud) zugegen und Tehr übler Laune war, rief: 
Das kümmt alles von dem Shafefpearlefen. Icpt bilden 
ſich die Parteien, und werden ſich bald, wie die weiße 
und rothe Roſe, aufreiben. Den Hamlet, der unter der 
Laſt feines Schicſals feufzt, haben wir fon, und Richard 
der Dritte wird auch nicht mangeln, 


Innere Unruhen, 13 


14. 


Innere Unruhen. 





Es mangelte nicht viel daran, fo mar der Meine Bür- 
gerfrieg im irdischen Paradieſe ſchon ausgebrochen. Bon Bir 
ting hatte den ganzen Stamm Robert Hulters auf feiner 
Seite. Wolfgang und Eberhard Ienkten die zweite größere 
Hälfte, Der kindiſche Altvater war unwirkſam. Litzberg 
ärgerte fi, der Krieg war feine Sade nit. Lademann. 
der im Anfange ſchöne Melodien zu den ſchlechten Kriegs» 
liedern gefeßt hatte, grämte ſich jeßt, weil alles eine fo 
ſchiefe Richtung nahm. Hanna Heilkraft wohnte wieder bei 
Eberhard. Sie hatte einen guftn Einfall, der, fo einfach 


- er war, doch wichtigen Nutzen bringen konnte. Sie bat 


Eherbarden, dem Altvater zu rathen, je eher je lieber bei 
Nacht die großen Schaͤße aus den Kellern megbringen zu 
laſſen, und in unbekannte Felſenhöhlen zu verwahren. 

Die Parteien entzweiten fi immer mehr, und es war 


um fo gefährlicher, weil alle Etreitfähige während des 


Bombardements Flinten und Degen befommen hatten, wo⸗ 
mit fie jegt noch bewaffnet einher gingen. Des Altvaters, 
freundlicher Bitte: die Waffen miederzulegen und nad Als 
bertsburg zu bringen, wollte die Gegenpartei nicht gehor- 
ſamen, und alfo mußten auch die Andern Waffen tragen. 
Hiezu fam, dag von Birting immer noch die Baftion von 
feinen, Anhängern beſetzen ließ, und von da aus konnte 
man Albertsburg bomdardiren. ” 

Eberhard war untröftlih, Nobert Hufter hatte ganz 


124 Innere Unruben. 


mit ihm gebrodden, die Verlobung feiner Toter mit ihm 
aufgehoben, und fle, ohnerachtet ihrer Verzweiflung und 
Weigerung, dem von Birting zur Braut beftimmt. So war 
denn alles aufs Höhfte gefvannt. Wolfgang befeftigte 
Albertsburg fo gut, als es fid in der Eile tun ließ. Er 
hatte aud eine Baftion auf den hohen Felſen, und da mar 
immer noch ein Zufluchtsort für den Altvater, wenn es zum 
Aeugerften kommen folte. 

Wobrſcheinlich wäre aud die Fehde ausgebrohen, wenn , 
nicht ein Tag dazwifhen gekommen, den beide Parthien 
fämmtlicy verehrten und erft vorübergehen laſſen wollten: es 
war des feligen Alberts Geburtstag. Freilich konnte das 
Feſt unter diefen Berhältnifen nicht ordentlich gefeiert wer⸗ 
den! Das fromme Glodengeläute, Lademanns Orgel, Ma 
sifter Echmelzers ſchoͤne Predigt, vermochten nit, die Ein 
mohner in der Kirhe bruderlich zu verfammeln. Allein 
eine große Stile hertſchte; ſelbſt auf den Stirnen der 
teogigften Jünglinge ſchwebte eine dunfle Wolke, das Herz 
Mlopfte ihnen ſchwerer, umd, die Inrubeftifter ausgenom« 
men, litten fie alle vom böfen Gewiſſen. So gingen fie 
alle fill und in ſich gekehrt zu Bette, und wagten kaum 
daran zu denen, was vielleicht Morgen geſchehen werde. 

B Kaum lagen fie im-erften Schlummer, fo wurden fie 
wieder von einem entſetlichen Getöfe erweckt. Der Sturm 
heulte üser die Infel, als wolle er die Bafaltpfeiler ums 
blafen; der Regen goß unaufgörlih herunter. Ploͤtlich 
börten Sturm und Negen auf, und die Luft war drüdend 
ſchwul. Die Eufen heulten im Balde, die Hunde wim- 
merten in den Höfen. Ale Halbſchlafenden richteten ſich 
ängftlid auf, und griffen nad) den Bettpfoften. Ein flar- 
tes Erdbeben Tieß ſich vernehmen, fo, daß Stühle und Ti- 








Innere Unruhen. 1% 


fee in den Zimmern umfielen, und viele Fenſterſcheiben zer⸗ 
forangen. Plotzlich ertönte ein ungeheurer Knall, und die 
Felſenburger glaubten, in die ewige Nadıt, in die uner- 
meßliche Tiefe des Meeres zu verfinken. 

In größter Angft erwarteten fie alle Augenblide neue 
Gröftöge, allein die Natur ward wieder ganz ruhig. Die 
Luft war nicht Sänger ſchwül, die Morgenkälte dagegen fo . 
empfindlich, daß fie fih unter den Bettdecken nicht warın 
balten konnten. Kaum glaubten fie ihren eigenen Augen, 
als die Morgenröthe wieder lieblih und warm durchs Fen⸗ 
fter hereinſchien, und die Vögel draußen im Haine fangen. 

Iept eilte alles hinaus, was Beine hatte. In den klei⸗ 
nen Höfen und Gärten fanden fie nichts zerftört, als fie 
aber ihre Augen auf die Felſen richteten, entdedten fie, zu 
ihrem größten Entfeßen, dag ein großer Fels, (eben die 
Sternwarte, von Birting’s gefähtliche Baftion) in's Meer 


hinaus geftärzt war, und eine große Deffnung hinterlaffen, 


modurd man das weite Meer fehen konnte. Der unterir ⸗ 
diſche Flußweg war geſperrt worden; bei der Schleufe hatte 
fi) ein Meiner See gebildet, und das Waſſer fuchte jetzt 
durch unzählige Spalten einen Weg in's Meer hinaus. 

So war denn, — fonderbar genug — in der Nacht, 
nad dem Geburtstage des feligen Altvaters, die äußere 
Selbftftändigfeit der Infel aufgehoben, um eine innere, weit 
gefährlihere Spaltung zu verhüten, welches auch geſchah. 
Dem kaum fab ſich das Beine Infelvolt der Wiltür und . 
dem Ueberfalle fremder Mächte bloßgeftellt, fo war an kei⸗ 
nen Swiefpalt mehr zu denfen. Es war, als ob der Hod« 
muth mit dem hochragenden Felſen ins Meer geftärzt fei, 
als ob der Orkan alle fade Citelteit von der Infelflähe 
weggeblafen hatte. So wohlthuend Fönnen mitunter wů⸗ 


126 Innere Unruhen. 


tbende Elemente auf die Menſchenſeelen wirken, wo mora⸗ 
lifche Spannkraft ihre Stärke verloren bat, Niemand, 
ſelbſt der Vorurtheilsfreiefte, konnte fih des Gedankens ent. 
ſchlagen, daß der felige Geift Alberts hier nod nad feinem 
Tode väterlih und mohlthätig gewirkt Hätte. Durch eine 
derbe Züchtigung hatte er feine Kinder von dem Frevel ge- 
rettet. Und wie Adam und Eva aus dem Paradiefe ver» 
wiefen wurden, weil fie Gottes Gebot nicht gehorfamten, 
fo geſchah es bier wieder. Die Sünde zog die Strafe nach 
fidy. die Felſenburger waren nicht länger in ihrem Eden 
freie Herren der Natur, denen alles zu Gebote fand! Bald 
würden fi fremde Herrſcher eindrängen, und in dem 
Schweige ihres Angefihts mußten fie dann, mie andere 
Menſchen, ihr Brot verdienen. 

Sogar von Birting ſchien ſich verändert zu haben, er 
ging nachdenklich umher, und war befcheidener geworden. 
Robert, Gordulas Vater, war nicht länger gegen Eberhard 
aufgebracht. Die Liebenden Tonnten ſich mitunter mieder 
fehen und ſprechen, obſchon immer nur in.des Vaters Ger 
genwart. Von den vorigen Streitigkeiten war die Rede 
gar nicht mehr, und der Aitvater ſchien durch diefe gewal⸗ 
tigen Vorfälle nachgiebiger und fanfter geworden zu fein. 
Zu feiner größten Freude hörte Eberhard kurz darauf, dag 
von Birting feinen Vorſatz, Cordula zu beirathen, aufgege- 
ben habe. — Ich will nit mehr den unglüdticy feufgenden 
Schäfer ſpielen, hatte er gefagt, will aud auf diefer klei⸗ 
nen Juſel feine Feindſchaft anrichten. Ih Habe die Fel- 
fendurger ein Mal gerettet, und werde es zum zweiten 
Male thun. Ich weiß, die Machthaber bier verwahren 
große Schaͤte an heimlichen Dertern. Giebt man mir fo 
viel, dag id mein verpfändetes Niktergut wieder Laufen - 


Innere.Unruden. 127 


kann, fo gehe ich für die Sehfenburger nad) England oder 
Holland, wie fie es wollen, und verlange Schug und Beir 
fand. Denn ohne Schup eines europäifhen Staates kann 
ſich diefe Handvoll Leute bier nicht länger balten, und zehn 
Mal defler iſt es doch, den freien proteftantiihen Englän- 
dern oder Niederländern einverleibt zu werden, als unter 
dem eifernen Zepter eines katholiſchen Defpoten zu ſeufzen. 

Das nannten alle gut und vernünftig geſprochen; von 
Birting ſchien cin ganz anderer Menſch geworden zu fein. 
Ohne Eiferfucht ſah er Eberhard und Cordula zufammen, 
und 309 fogar oft den Vater mit Aid fort, damit die Lies 
benden ein wenig allein fein konnten. B 

Nun geſchah es chen in den Tagen, daß ein dänifdes 
Schif, das im lepten Sturme feinen Unter verloren hatte, 
dei Kleinfelſenburg den Hafen ſuchen mußte; denn Groß⸗ 
felfenburg hatte befanntlic feinen. 

Mag Hanfens gewaltiger Anfer lag noch troden in 
einer Feiſentluft aufbewahrt; von den Zelfenburgern in den 
erften Jahren mit unfäglier Diühe als ein Heiligthum da» 
hin gebracht. Den Noft hatte man abgefeilt, und das Eis 
fen drauf mit einem guten Firniffe überzogen, um es fer- 
ner gegen die Luft zu bewahren. Nach einigen Berathe . 
flagungen fand man, dag man den Nothleidenden diefe 
Hülfe nicht verfagen könne, wenn auch der Anker für die 
Einwohner etwas fehr Ehrwürdiges ‘und beinahe Heiliges 
batte, weil fie ihn, wie der felige Alwater weiland, als 
ein Zeichen ihrer Hoffnung betrachteten, das fie nicht gern 
verlieren wollten. Litzberg wußte aber diefes Gefühl zu ber 
außen, indem er vorfdlug, von Birting auf demfelden Schiffe 
nad Europa zu fenden, um ihre Beidäfte bald moͤglichſt 


abzumachen; und wenn er den Anker mit hätte, meinte 


188 Innere Unruben. 


Lihberg, dann würde die Hoffnung nicht trügen. Man 
Rönne ja immer den Anker einmal wieder befommen. Es 
freute die Dänen fehr, mitten im Südmeere einen Kopens 
bagener Anter wieder zu finden, und fie waren willig, den 
Major mit nad) Europa zu nehmen. Bon Birting hatte 
auch gar nichts dagegen, ſchnell abzufahren, wollte aber 
erft Gordulas und Eberhards Hochzeitsfeier abwarten, da» 
mit die Liebenden feben folten, wie ganz der Iehte Hauch 
von Groll aus feinem Herzen verfümunden fei. Im Rathe 
ward freilih die Frage aufgeworfen, ob es nicht vorſichti⸗ 
ger wäre, noch Iemanden mit dem Major von Birting 
nad) Holland zu fhiden? Man hatte nämlich Holland ge⸗ 
mählt; von den Holländern konnte man hoffen, als Brüder 
behandelt zu werden; die Engländer waren ftolzer, machten 
großen Unterfhied zwifhen Engländern und Ausländern, 
und nicht alle ihre Bundesverwandte Tonnten ſich rühmen, 
die Freiheiten Altenglands.zu geniegen. Es war aber Nies 
mand, der Luft hatte, mitzugehen; die jungen Ehemänner 
wollten ihre. Weiber nicht verlaffen, und Ligberg hatte ſei⸗ 
nen Biderwillen gegen das Meer nur auf kurze Zeit bes 
ſchwichtigt. Man lieg alfo von Birting allein reifen, und 
gab ihm bedeutende Summen mit, ie aber den Schatz 
nur um ein, geringes verfleinerten) um die Koften zu ber 
ftreiten, die Gemüther zu gewinnen, und um fi) ſelbſt in 
Europa Randesmäßig zu etabliren. 

Der Hodyzeitstag war befimmt, die fhßne Cordula 
hatte mit ihren Freundinnen in den Tagen vorher vollauf 
mit ihren Brautkleidern zu thun, und Eberhard ſah fie 
nur wenig. Den Abend vor der Hochzeit ging von Birting 
zum Altvater, und fagte: es ginge ihm wie dem. feligen 
Albert weiland, bei der Hochzeit van Leuvens und Goncer» 





Armer Eberhard. . 129 


„diene. Die alte Liebe made wieder auf, und es wäre 
ihm unmöglid), dabei zugegen zu fein. Er wolle in aller 
Stille ohne Abſchied fh auf das Schiff hinaus begeben, 
das Mar zum Abfegeln da liege; Altvater möchte ihm nur 
einen Pag mitgeben, damit er feine Sachen an Bord brin« 
gen laffen fönnte, und der Schiffskapitaͤn fehe, daß er mit 
Urlaub der Regierung wegreife. Altvater, der fehr froh 
war, den ibm mwidrigen Mann los zu werden, gab ibm 
gleidy den Paß, und ſo ſchiffte er ſich heimlich iu aller Eile 
ein; der Anker wurde gelichtet, und das Schiff fegelte feir 
nes Weges. 


18. 


Armer Eberbard! 





Wie ſchildern wir Eherhards Verzweiflung, als_ er 
am Tage feiner beftimmten Hochzeit früh MorgencDie 
ſchone Braut beſuchen wollte, und man ibm mit der Zrauer- 
kunde entgegen am: Robert Hulter fei mit fammt feiner 
Zoßter von der Infel verfhmwunden. Ein Schleier dedte 
das Geheimnig. Wahrſcheinlich war Robert mit von Birting 
nad) Europa, gegangen. Allein, wie hatte ſich die Tochter 
dazu bequemen können, ohne Lärm zu machen? Und wie 
hätte der wackre dänifhe Kapitän ſolches erlauben können? 
— Der Arzt, Herr Gramer, glaubte aber auf die rehte 
Spur gefommen zu fein.” Bor einiger Zeit hatte, Robert 

Oehlenſ. Schriften. XVIII. 9 





130 . Armer Eberhard. 


Hulter einen Schlaftrumf von ihm verlangt, einem Patien- 
ten in feinem Haufe zu geben, der feinen Arm fo ſchlimm 
gebrochen hatte, dag man eine Amputation fürdtete. Durch 
die Geſchiclichteit Cramers ward der Mann wieder herge⸗ 
ftellt; der Schlaftrunk blieb aber bei Robert Hulter ſtehen; 
und nun fand man das Glas leer in einem Fenſter. Wahr- 
ſcheinlich hatte man alfo der armen Cordula den Schlaf-" 
trunk gegeben, und mit dem Paſſe des Altvaters verfchen, 
fie ſchlafend in einer der großen Kiften auf's Schiff hinaus 
gebracht. 


Was war jetzt die ganze ſchoͤne Inſel für Eberhard, 
ohne Cordula! Ein odes Gefängnigl Wie oft erfülte er 
die Haine und Wälder mit feinen Klagen, wo fonft glüd- 
liche Liebe ihm heiter und froh gefehen. Die Blumen ſchie- 
nen ihm jeßt ein bloßes Unkraut zu fein, eitle Pracht, wo⸗ 
mit ſich die Natur, wie ein altes Weib, vergeblich aus- 
putzte, um feine Neigung zu gewinnen. Die Düellen wa⸗ 
ren ihm langweilige Schwägerinnen, die immer daſſelbe 
afberne Zeug wieder plauderten. Das fhöne Woltkenſpiel 
Abends und Morgens deuchte ihm nur cine beigende Ca» 
tingaauf die Nichtigkeit des Menfhenglüds zu fein. Nur 
in Aot ſchlechtem Wetter war er zufrieden; und der Sturm 
vermochte dod oft nicht feine brennenden Wangen zu küh⸗ 
ten, die im Sonnenſcheine wieder ganz blaß ausfaben; der 
Bind konnte ihm nicht die Thränen von den Wangen trod- 
nen, denn er weinte fie eben fo ſchnell wieder. 


Alle Menſchen Hatten ein inniges Mitleid mit dem ar- 
men Eberhard. Hanna Heilkraft kounte ihn nicht berubi- 
sen, Litzberg nicht zerftreuen, Wolfgang nicht erheitern, 
Schmelzer nit tröften. Nur mit Lademann ging er um, 


Armer Eberhard. 131 


der mußte ihm fchöne Melodien zu feinen ſchwermüthigen 
Liedern ſetzen. 

Das Haus, wo Nubert Hulter, oder richtiger die 
Stube, wo Cordula gewohnt hatte, war jetzt Eherhards 
Aufenthalt. Sein Bett ftand, wo das ihrige geftanden. 
In den Zenfterfheiben fand er feinen Namen von ihrer 
Hand eingeſchnitten. Einiger ihrer Kleidungsflüde batte er 
ſich bemeiftert. Cine Haarlode verwahrte er in dem alten 
Shrant, mit den Reliquien, die er von Albert Julius ge 
erbt hatte. — Einige Briefe des holden Mädchens, worin 
fie ihm ihre Liebe verfiherte, hatte er auch; des Paares 
Schuhe nicht zu vergeflen, welches er ihr felbft in der Som- 
merlaube angepaßt hatte, und die jept noch ſchoͤner waren, 
weil fi) die reizenden Formen ihrer Füge darin abgedrädt 
hatten, 


Litzberg konnte die „Anmännliteit" Eberhards — wie 
er es nannte — nicht leiden, Wolfgang dagegen, der jept 
glüklic, mit feiner Sophia lebte, hielt es mit Eberharden 
und rief ſcherzend: Lieber Ligberg! follte id) etwas „uns 
männlich" Heigen, fo würde ich lieber einem grämlihen Ha- 
peftolz, als einem ſchwärmeriſchen Zünglinge, diefen Namen 
geben. Glaubt mir! wäre Eberhard fein Mann, fo würde 
er gewiß über den Verluſt der fhönen Cordula nicht fo 
beftig weinen. 

Kapitän Horns unerwartete Wiederkunft tröftete den 
gebeugten Jüngling etwas. Er hatte erft nad) drei Jah⸗ 
ren wieder fommen follen; zufälligerweife hatte er aber 
auf den azorifhen Inſeln von der portugiefifhen Grpedition 
Nachricht erhalten, und eilte jept fhleunig nad der ber 
drängten Infel zurüd, die er nicht wieder gefannt hätte, fo 

* 


132 Armer Eherhard. 


fehr hatte ſich ihr Ausiehen verändert, wenn ihm nicht 
Kleinfelfenburg als Leitfaden gedient ‚hätte. 

Kaum lag das Schiff da, fo fühlte ſich Eberhard als ein 
ganz andrer Menſch. Wehmuth, Trauer und Berzweife- 
lung entflohen aus feinem Herzen; Hoffnung und Muth kehrten 
wieder zurüd, Die gewaltige Begebenheit hatte ihn plotz⸗ 
lich zum Manne gereift. — Bas ift mein Schmerz? rief 
er. Sie lebt noch, athmet noch für mic, liebt mid. Nie 

- wird man fle dazu zwingen, den Böfewicht zu beirathen. 
Wäre fie todt, hätte das Zieber fie vor einigen Monaten 
hinweggerafft — dann ftünde ich verzweifelungenol und 
händeringend an ihrer Gruft. Oder, wäre id) an diefe 
Klippe gefeflelt! Allein das Schiff liegt fegelfertig da. Wie 
ein mächtiger Hippogryph, wie meine Wünſche ftarkbeflügelt, 
wird es mich fehnell nad) Europa bringen. Doc) erft, liebe 
Vettern und Verwandte! werde ih eure Sache in Holland 
betreiben. Denn cs leidet feinen Zweifel, der Böfewicht 
bat ſich gegen Euch eben fo falfdy als gegen mid benom⸗ 
men. Er kümmert fi) wenig um Eure Wohlfahrt, und mit 
Eurem Golde bereichert, eilt er nur, feine eignen nieder» 
träditigen Wünfche zu befriedigen. Doc, ic werde ihn 
entdeden, ich werde ihn treffen, und er foll feinen Lohn 
von meiner Hand bekommen. 

Und fo folgen wir denn ſchnell unferm Freunde nad) 
Europa, feine Braut ſuchend. 

‚Here Martin folgte feinem Sohne nach Europa. Nadı- 
dem er da feine Beredtſamkeit vergeblich erſchöpft hatte, 
Eberharden von dem tollen Vorſatze abzubringen, mit Les 
bensgefahr ein Mädchen wieder zu gewinnen, während doch 
taufend andere da wären, die er ganz bequem heirathen 
Pönnte, trennten fie ſich 





Armer Eherbard. 133 


Im Holand richtete Eberhard, als treuer Felſenbur⸗ 
ger, alles aus. Die Generalftaaten waren von dem Sid 
fale der-Infel nicht ganz unterrichtet; von Birting hatte 
ihnen geſchrieben: einige deutfche Familien auf einer Kleinen 
Inſel, unweit von St. Helena, würden von den Portugie⸗ 
fen bedrohet, und wünſchten von den Generalftaaten in 
Schuß genommen zu werden. Das war alles, und damit 
glaubte der Major wahrſcheinlich die grogen Reihtbümer 
verdient zu haben, die er nad) Europa mitbrachte. 

Eberhard wendete ſich ſchnell und wirkſam an die Aus 
toritäten. Es freuete die Regierung, dag eine Infel im 
Südmeere, von Bedeutung, ſich an Holland fliegen wolle. 
Schutz und Beiſtand wurde ihr verſprochen; eine Meine 
Flotte folte fonleih abfegeln, um der Inſel beizuftchen. 
Die Felfenburger follten ihr Eigenthum, ihren Rath, ihren 
Altvater behalten, nur jährlich eine mäßige Abgabe ent 
richten, um die nothwendigen Koften zu beftreiten. Auch 
eine Feſtung folte auf Selfenburg angelegt werden, mo 
Pi Kommandant eine bolandiſche Beſahung befehligen 
ſollte 


16. 


Das Haus im Balde. 





Es war ein fhöner Sommerabend, als ein junger * 
hollandiſcher Offizier auf feinem prächtigen Schimmel in 


134 Das Haus im Walde. 


Deutſchland durd einen Bald ritt. Sein Bedienter hatte 
im näcften Städtchen das Fieber bekommen; Ungedufd, 
und Furcht entdect zu werden, erlaubten aber nicht dem 
reifenden Kriegemann zu warten, bis der Bediente genefe. 
Er wußte, daß er hödftens noch vier Meilen zu des reis 
chen Gutsbeſttzers ſchͤnem Landfige hätte. Um ſich aber in 
der felfigen Gegend nicht zu verirren, hatte er einen Bauer» 
Jungen mitgenommen, der ihm eine Strede Weges auf ir _ 
nem Meinen Kiepper folgte, 

Iept find wir beim Holzförfter, rief der Junge, da 
halten fie auch Wirthehaus, da könnt Ihr übernahten. 
Der Mann ift nicht zu Hauſe, die Frau ſiht aber da au» 
sen vor der Thüre und fpinnt; fie mag die jungen, reichen 
Dffiztere gut leiden. — Damit zog der Burſch ſchelmiſch 
feine Müpe ab, und ritt zuräd, denn der Holländer hatte 
ihm ein gutes Trinkgeld gegeben. 

Der Offizter fab vor ſich Hin, und enfdedte ein recht 
ſchones Häuschen; das heißt, maleriſch ſchön, eben weil 
es In der Birflihfeit fo fehr verfallen war. Denn ein 
neu gebautes Haus nimmt fi in einem Gemälde nur 
ſchlecht aus. Hier aber wuchs Gras auf dem Dache, fo 
dag gern eine Kuh da hätte weiden können. Der graue 
Kalk war an vielen Stellen von der Wand gefallen, und 
es zeigten ſich die dunkelrothen Mauerfteine. Ein wunder» 
licher Taubenſchlag, von geflöhtenen Beiden, mit Lehm 
beſtrichen, ſtand auf dem Date. Daraus flogen die Tau« 
ben, kreisten hoch in der Luft über dem Walde, und ihre 
weißen Flügel glänzten bald hell in der untergehenden 
Sonne, bald wurden fie vom Schatten verdunfelt. Im 
Teiche daneben ſchnatterten Enten und Gänfe. Der alte 
Hofbund, der wie eln abgeſchliffener Koffer ausfah, bellte 





Das Haus im Walde. 135 


verdrieglih in feinem noch verfalineren Haufe. Ein danc- 
ben ftehender Zaun, faul und ſchwarz, war Halb herunter 
sefallen, mit Zatten wieder zufammengefhlagen, und durch 
die vielen Locher fah man in einen Garten hinein voll ver- 
dorrter Fruchtbäume, nur einige Kohlſtrünke fanden noch 
grün da. Die übergroßen Johannis- und Stahelbeer- 
Sträuge hatten lange aufgehört Früchte, ja fogar Blätter 
zu tragen, und trugen jeßt nur gewafchene Strümpfe und 
Hemden. Das Einzige nicht Berfallene in der nächften Um- 
gebung — (denn rund umher blühete der Wald lieblich — 
war die Wirthin felber, cin junges, rothbackiges Weib mit 
feuerrotpen Haaren und vielen Sommerfleden, aber fehr 
meiger Haut. Mit dem Noden faß fie draußen auf der 
Bank, und fpann, indem fie ein Boltslied dazu fang. 

Obſchon der Kopf des jungen Kriegers voll ernfter 
Gedanken war, fand er doc die Holzförfterin hübſch, und 
den Kontraft ihrer Iugendbläthe zu der verfallenen Umge⸗ 
bung allerliebſt. 

Sie fam ihm doflich entgegen, entfhuldigte, daß ibr 
Mann in der. Stadt, und der Hausknecht im Felde fei, fie 
wolle ihm aber ſchon vom Pferde helfen und das Thier in 
den Stall führen, . 

Im Herunterfteigen kam er ihrer Wange mit feinem 
Munde ziemlich nabe, und als chen ihr Halstuc herunter 
fiel, grub er die Nafe in ihren Bufen, opne fi doch im 
windeſten zu Roßen, obſchon der Widerſtand ſtark genug 
war. - 
Der Nitter ließ ſich von nichts anfechten, fondern trat 
ernft gravitaͤtiſch in die Stube binein und frug: ob er ein 
Abendeſſen und cin Nachtlager haben könne? — Und das 
mag zum ftärkiten Beweiſe dienen, daß feine Seele mit 


136 Das Hans im Balde. 


weit wichtigern Sachen befhäftigt war, fonft wäre er ges 
wiß nicht gegen die Reize der Holzförfterin fo kalt geblie⸗ 
ben. — Dies ſchien fie ſelbſt zu fühlen; denn als fie noch 
einige mißlungene Verſuche gemacht hatte, den Gefühllofen 
zu gewinnen, was ihn nur fälter und beinahe unhöflich) 
machte, änderte fie plöplich den Ton, ging mürrifh zur 
Stube hinaus, und murmelte zwiſchen den Zähnen: Ieht 
mögen fie meinetwegen mit ihm thun, was fie wollen. 

Der junge Offizier ſuchte fie wieder mit freundlichen 
Borten zu befänftigen, und es gelang ihm zum Theil. 
Das töte & töte wurde aber geftört, denn vier wohl ges 
tleidete Bediente, nebft einem jungen Reitburſchen, traten 
in's gemeinfhaftliche Zimmer, wo zwei lange Tiſche mit 
Bänten ftanden, und mo im Hintergrunde das Küchenfeuer 
angenehm die dunkle Halle erleuchtete, während ein Meines 
Mädden an dem Spiege den Schöpfenbraten drehete, wo⸗ 
von fid) jeder Gaſt bald ein autes Stüd wünfchte. 

Der Offizier hatte fi an den Heinen Tiſch gefeßt: 
die Bedienten nahmen den größern ein, nachdem fie ihn 
ehrerbietig gegrüßt hatten. Wenn er es nicht merkte, ware 
fen fie verftohlene Blide auf ihn. Erſt ſprachen fie leife 
unter fi), als aber der Wein die Zungen gelöft, ſchienen 
fie des vornehmen Herrn Gegenwart zu vergeffen, ſprachen 
lauter,-Tachten und tranten. Der Ritter vernahm aus ih ⸗ 
tem Gefpräche, daß fie dem reihen Gutsbeſther dienten, 
und daß er übermorgen feine Braut beirathen wolle — 
Allein fie fol ſich ja ſehr gefträubt und gemeint haben, 
fagte die Wirthin. — Hohl der Henfer die Weiber, ant- 
wortete Veit, — um Vergebung, Frau Holsförfterin, mit 
Euch gilt es immer eine Ausnahme; aber ih meine die 
Andern. Das ift ein leihtfinnig Bolt, Die Gegenwart 





- Das Haus im Walde. 137 


iſt ihnen alles! Ein entfernter Liebhaber. und ein todter, 
das gilt ihnen eins, 

Der fremde Offizier füchte feine Gemüthsbemegung bei 
diefen Worten beſtmoͤglichſt zu verbergen. Der Heine Reit 
dube faß im Winkel, und fah den Fremden unvermandt 
an. Der junge hatte etwas Auffaflendes in feinem Ge 
fichte; der Fremde folte ihn kennen, mußte aber nicht wo⸗ 
ber? Auf diefer Reife hatte er ihn gewiß nicht vorher ges 
fehen, und der Knabe fhien zu jung, um ein alter Bes 
tannter zu fein. 

Die Bedienten ſprachen wieder heimlich unter fid. 
Der Fremde ftand auf und wollte zu Bette gehen. Der 
Neithube pußte ihm das Lit. und raunte ihm heimlich in’s 
Dhr: Thun Sie fhön mit der Wirthin, wenn Sie auf 
dem Simmer allein mit ihr find, das wird Ihnen Geliebte 
und Leben retten. Ich will fie au rechter Zeit wieder her⸗ 
unter rufen. 

Der Fremde wußte nicht, was er zu diefen Worten 
denken follte. Das ehrliche Geſicht des Knaben, dem fonft 
die Verſchmißtheit aus den Augen blipte, ermwedte in ihm 
das Gefühl der Ueberzeugung, eine ſolche Lift fei bier noth⸗ 
wendig. Als die Wirthin mit ihm nad einem entlegenen 
Zimmer im Erdgefhoße gegangen war, das Lit auf den 
Diſch geſetzt hatte, und binging, um au fehen, ob das Bett 
gut gemacht fei, ſchlich er ſich Hinter fe, umfagte ihren 
Leib mit feinem Arm, und bat fie mit bebender Stimme: 
Schöne Frau, gebt mir einen Kuß. Die Holzförfterin 
ſchien verwundert, fie fühlte ſich auf eine angenehme Beife 
überraſcht, kehrte ihm laͤchelnd das Geſicht zu und ſprach: 
Ei, Ste loſer Vogel! wie haben Sie doch in Anderer Ge⸗ 
genwart fo ehrhar thun Lönnen? Damit faßte fie ihn in 


138 Das Haus im Balde. 


die Arme und fügte ihn Herzlih. Dem armen Holländer 
ward dabei ganz elend zu Muthe; er fühlte fi ganz im 
der Verfaſſung des feligen Joſepyhs mit der Fran Potie 
phars. ja noch Ärger, weil er ſelbſt das Spiel begonnen 
hatte. Glücklicherweiſe rief der Reitbube zur Thür hinein: 
Frau Holzförfterin, feid fo gut, und kommt herunter, die 
Säfte wollen mehr Bein haben. — Ei, zum Henker, kün- 
nen fie denn nicht einen Yugenblid warten, rief die Frau 

verdrießlich, und folgte dem Anaben, der nicht weggeben 
wollte, nachdem fie dem Fremden zärtlich eine gute Nacht 
gewünſcht hatte. — IA komme wieder,, ſprach der Bube 
leiſe im Weggehen. 

‚Der Fremde legte ſich augekleidet auf's Bett, mit den 
Piſtolen und den gezogenen Säbel vor fi. — Bin ih in 
einer Mörderhöhle? dachte er. Haben ſich die -Banditen 
wie Lataien verkleidet? Wollen fie mic) ermorden? Allein 
die Wirthin, den Buben habe ih auf meiner Seite. Ih 
kann noch gerettet werden. So nah am Biele, werde id 
nicht in die Grube fallen. Fallen werde id vieleicht — 
übermorgen! aber hier nicht. 

So ſuchte er ſich ſelbſt Troſt einzuſprechen; es erhei⸗ 
terte ihm aber nicht, eine Falthüre im Fußboden zu ent- 
deden. Noch obendrein batte er das Ungläd, fein Licht 
auszulöfden, als er es pußen wollte. Freilich ſchien der 
Mond del genug durch's Fenſter hinein, umd das tröftete 
ihn etwas. — So lag er ziemlich lange; er-war fehr müde 
von der Reife, mitunter war er nahe daran, einzufälafen ; 
die Furt vor Ueberfall ſcheuchte aber den Schlaf von fei- 
nen Augen wieder weg. So halb wahend, halb ſchlafend, 
wurde er von einer feltfamen Erſcheinung hoͤchſt erfhättert. 
Er glaubte die Falthäre im Fuhboden geöffnet zu feben- 





Das Haus im Walde. 139 


und das Gefpenft des längft gebenkten Dbadias Skient 
ftiege herauf, im befannten weißen Kittel, mit der rothen 
Bandſchleife an der Bruft, und einer Laterne in der Hand. 

Der entfeßte Fremde griff unwillkührlich nach feinen 
Viſtolen, und zielte auf die Erſcheinung, die ängſtlich bat: 
Um Gottes Willen, Herr Eberhard Julius, drüden ie 
nicht 106! Ich bin der Reitbube, Ihr Freund und Befreier. 
34 komme, eine alte Schuld abzutragen! Cie haben ſich 
gegen meine Mutter, gegen meinen armen Vater fo menſch⸗ 
lich gezeigt, haben ihr Geld in der Noth, ihm erit dag Le- 
‚ben gerettet, nachher ein chriſtliches Begräbniß gegeben, als 
fe ihm nicht mehr retten Tonnten. Die Borfehung erlaubt 
mir nun, Sie wieder zu reiten, und vieleicht zu Ihrer fhö- 
nen Braut, Fräulein Cordula, zu verhelfen. 

Du bin? — frug Eberhard verwundert. Der Heine 
Heinrich Schlenk, vier Jahre Älter geworden, der auf dem 
Schoße feiner Mutter lag, am Grabe feines Vaters, als 
Sie am Kirchhof vorbei fuhren. Und hier! Kennen Sie 
nicht den Kittel meines feligen Vaters und diefe rothe 
Schleife, die er fi aus Ihrem Uhrbande gemacht? 

Jeßt begriff Eberhard das Wunder. Der Knabe er- 
zählte ihm, wie ihn der Zufall in des Major von Birtings 
Dienfte gebracht; wie er gleich, als er den Namen Eber- , 
Bard Julius nennen hörte, beſchloſſen habe, feiner Eltern 
Bohltpäter, wo möglid), zu retten. Deshalb hatte er ſich 
in das Vertrauen des Majors vor Birting eingeſchlichen 
der ihm gut leiden mochte, weil er ein raſcher, ſchlauer 
Burſche war, der ihm zu Vielem behälftih fein konnte. — 
Die fine Cordula, erzählte Heinrich, ſei noch Eherharden 
getreu und bold, und weine oft in der Stille. lebermor- 
gen wolle man fie zwingen, dem Verhaßten ihre Hand zu 


10 Das Haus im Walde. 


geben. Da hatte aber von Birting Eherhards Ankunft 
ausgefpähet, und vier feiner. Leute hinaus gefhidt, ihn bei 
der Nacht zu fangen, und in’s Gefängnig zu werfen, bis 
die Hochzeit vorüber, fei. Heinrich habe ſich aber ausgehes 
ten, mit zugeben. Die vier Bedienten. die gar nicht 
glaubten, dag Eberhard Verdacht ſchöpfe, eben weil fie 
ſich den Anſtrich gaben, als ob fie gar nichts zu verheime 
lichen fuchten, hatten ſich zur Ruhe gelegt, weil fie noch 
immer, bis zur Mitternacht, Bagen auf der Heerfiraße zu 
begegnen fürchteten, wodurch ihr Raub entdedt werden 
tonnte. Um drei Uhr Morgens, wenn alles im. tiefften 
Schlafe läge, wollten fie aber auffiehen, Eberhard im 
Bette greifen, Inebein und wegführen. Diefe Friſt müfle 
er nun benügen. Sein Pferd hatte Heinrich beimlich ges 
fattelt,_ er konne durch's Benfter- binausfteigen, und zu 
Heinrichs Mutter reiten, die in einer kleinen Felfenpütte, 
zwei Meilen von bier entfernt wohne. Heinrich müfle au» 
rüd bleiben, um feinen Verdacht zu erregen. Das Ganze 
müſſe ausfehen, als ob Eberhard aus freien Stüden ſelbſt 
die Flucht ergriffen habe, Nachher wolle Heinrih Eber- 
bard bei feiner Mutter aufſuchen, und ihm in Allem 
dienen. 


Das Hochzeltsfeſt. 1a 


17. 
Das Hodzeitsfeft. 





Es mar wieder ein fhöner Abend. tie Zuft lan und 
heiter. Die Gänge des großen Gartens waren wie ein 
Sefellfpaftssimmer fauber gekehrt, und die Heden glatt ber, 
ſchnitten; alles falbe Herbftlaub war aus dem Garten ge 
bracht. Der Gärtner hatte zu der Hochzeitsfeier forgfäftig 
feine Spätblumen gepflegt, und neben den Aftern, Ranun⸗ 
teln und Nefeden, blüheten noch häufig Leufoien und Gold» 
lad. Hinter den Treibhausfenftern fanden Nofentöpfe in 
Nahen. Die vielen Springbrunnen, welche der vorige Ber 
figer nad) franzoöſiſcher Art hatte einrichten laſſen, ſprangen 
alle mit ftarten Strahlen. Dies thaten fle täglich; denn 
der Harz mit feinen Bergauellen in der Nähe, verforgte die 
Rohren mit reihliher Flut. Ueberall hörte man ein lieb⸗ 
lies Gefumme aus den Brüften der Dreaden, aus den 
Münden der Delphine, aus den umgemwälzten Krügen alter 
Fiußgätter. Das Schloß war ſchön erleuchtet. Die Ein- 
wohner der Gegend ftreiften im Garten herum, liebende 
Daarc gingen Arm in Arm, und verftohlene Liebe wußte 
fi) auch zu finden. Aller Augen fahen binauf zu dem 
Transparent im großen-Fenfter über der Hauptthüre, wo 
bunte Wappenfhilder den Namen Hans von Birting 
und Cordula von Hulter in der Abenddämmerung 
loderten. Die Mondfihel ftand am Himmel, hell genug, 
um ein angenehmes Licht zu gewähren, mo die Fadeln des 


142 Das Hochzeitsfeſt. 


Schloſſes nicht hinreichten, fhmah genug, um das Fcuer- 
wert nicht zu lören, welches der Herr Major feiner Braut 
zu Ehren. und dem Volke zum Vergnügen, neh der 
Trauung abbrennen laſſen wollte. Vielmehr würde das 
ſtille Himmelsliht in feiner ungeftörten Ruhe einen ſchönen 
Gegenfag zum hoch auflodernden rothen Erdenfeuer machen, 
das fih Über den Mond zu erheben wähnte, indem es in 
feiner Nichtigkeit verſchwand. 

Der einzige Menſch, der allein ging, war Eberhard. 
In den weiten blauen Mantel gehüllt, den Degen an der 
Seite, erwartete er ungedäldig in einem entlegenen, dun⸗ 
kein Zarusgange feinen Feind, den ihm Heinrih Schlenk 
berunterfiden wollte. Eberhard flug im Mondfcheine 
feinen Mantel zurück und Heß das bleiche Nachtlicht die 
goldnen Epauletten und das hüͤbſche Degenband beſcheinen. 
— So mar es mir doch zumNußen, fagte er, daß id) mid) 
von den Generalſtaaten gleih zum Kapitän der Felſenbur⸗ 
giſchen Garnifon ernennen ließ; obfhon die Uniform. mich 
nicht vor den Späheraugen meines Gegners ſchüßte, wie 
ich gehofft hatte. Hier fol fie mir aber wirklich nügen. 
Mit dem bürgerlichen Studenten flüge ſich vermuthlich fo 
wenig Herr von Birting ale Herr von Sod. Kein Iederner 
Knopf darf aber heute die Bruft eines Boſewichts beſchir⸗ 
men, bei dem nicht Treue und Chrlihteit zu finden iſt. 
Das Gefep kann mic hier nicht ſchützen. Nur mit dem 
Degen fann id) mein armes Diädchen retten, oder ich will 
ſelbſt Rerben. Gegen diefen Smeifampf‘ würden weder 
Guftav Adolph noch Albert Iulins etwas einzumenden haben. 

So mit ſich felber ſprechend ſah er eine lange fhmarze 
Gehalt, durch den dunfeln Zarusgang auf fih los kommen. 
Es war der Prediger im Ornate, mit weißgepuderter Per 





Das Hohzeitsfen. \ 183 


rüde, das Baret mit einem Schnupftuche unter dem Arm, 
und ein Gebetbuch in der Hand. 

Eberhard, der gleid) begriff, wohin der Prediger wollte, 
grüßte ihn höflich, trat ihm aber in den Weg. und bat ihn 
einen Augenblick zu verweilen. — Nicht möglich, lieber 
Herr, antwortete der Paftor; ich babe fhon das Brautpaar 
eine halbe Stunde auf mid warten laſſen, weil ih die 
üble Gewohnheit habe, mic immer erft im Ichten Augen» 
blide anzuziehen Da habe ich ein Loch in meinen linken 
feidenen Strumpf geriffen, und während meine Frau das 
wieder ausbefferte, ift mir die Zeit verlaufen. Der Bräus 
tigam iſt ungeduldig, und könnte cs mir leicht übel neh» 
men, wenn ich ihn zu lange warten ließe; id) darf meinen 
Patron und Gönner nicht vor den Kopf ftoßen. 

Sehnt ſich denn die Braut eben fo ſehr? fragte Eher 
bard — ihn mit durchbohrendem Blide, und mit der Hand 
noch zurüdhaltend. — Sie feinen etwas von den Famir 
lien⸗Verhaͤltniſſen zu fennen, ſprach der Pfarrer; wenn dem 
fo ift, fo willen Sie wohl auch, daß ſich die Braut nad 
dem Tode ihres erften Liebhabers geträftet hat; und obſchon 
fie den Major von Birting nicht eigentlich liebt, gehorfamt 
fie doch ihrem Vater, und reicht diefem Chrenmanne heute 
ihre Hand, weil er ohne fie nicht leben ann. — Alfo ift 
der vorige Liebhaber todt? fragte Eberhard; da fagen Sie 
mir etwas ganz Neues. Freilich bin id, wie Sie fagen, in 
Die Familien» Verhältniffe eingeweiht, aber das wußte ich 
noch nicht. — Mein Goft,-rief der Prediger erfhroden, 
Sie faſſen mid fo wild und ungerüm an. — Es Sollte 
doch wohl feine Nichtigkeit haben? Sie fehen mir felhft 
aus, wie — wie das Gefpenft des vorigen Liebhabers? Ia, 
bei Gott, das glaube ih gern, Gram, Schnfuht und Er- 


14 Das Hohzeitsfer. 


bitterung haben meine Lebensgeifter ziemlich angegriffen; 
doch fühle ich noch Kraft genug, mich an einem Böfewicht 
zu rächen. 

So will ih in Gottes Namen wieder nad Haufe ger 
ben, fo ift für mid) nichts hier zu thun — fagte der Dre» 
diger bang. — Thun Cie das, ehrmärdiger Herr; und 
danken Sie Gott, dag Sie mid, noch zu rechter Zeit auf 
diefem Dunkeln entlegenen Wege trafen, ehe Cie, binters 
Licht geführt, ein heiliges Sakrament mißbrauchten. um 

- einem lafterhaften Menſchen beizuftehen, und um ein armes 

unſchuldiges Mäddyen in Verzweifelung zu fürzen. — Das 
find Harte Worte — ſprach der Prediger — können Sie 
beweiſen, was Sie fagen? Da kümmt der Herr Major 
von Birting. — So entfernen Sie ſich ſchnell, Herr Pa ⸗ 
ftor, und laſſen Cie mic mit diefem Heren allein. — Das 
will ih, fagte der Prediger furchtſam, kehrte Eberbarden 
den Rüden und eilte wieder nah Haufe. 

Mein Neitbube fagt mir, ein guter Freund wünſche 
mic) in einer angelegenen Sache vor der Trauung noch zu 
forehen, ſagte von Birting, Eberharden höflich) grügend; 
ich habe Sie nicht warten laſſen wollen, mein Herr; ob⸗ 
fon, ich geftehe, der Augenblick ift mir nicht der gele- 
genfte. — Der allergeiegenfte — antworfete Eherbard, ohne 
den Gruß zu erwiedern, ein Augenblid fpäter, wäre zu 
frät geweſen. Furchteſt Du Dich auch vor Geſpenſtern 
von Birting? — Ha, rief der Major, den Degen ziehend, 
ich kenne diefe Stimme. — Eberhard ftand ſchon zum Kam- 
pfe bereit: Lügner, Betrüger und Mädcenräuber, ſprach 
er, vertheidige Did! “Einer von uns muß ſterben. — So 
ſtirb denn Du. Elender! rief der Ritter, und ging in äu- 
Herfter Erbitterung auf ihn los Allein Eberhard von der 





Das Leienbegängniß. 185 


Befonnenheit und Stärke begeiftert,. die edle Seelen in wid. 
tigen Augenblicken nie verläßt, durchbohrte die Bruft feines 
Feindes, der zu Boden fiel, ohne einen Laut von fih zu 
‚geben. 

Pfeilſchnell eilte Eberhard zum Garten hinaus, ſchwang 
AG auf fein Pferd, das an einen Baum gebunden ftand, 
und ritt in_die Gebirge. Die Hütte, wo Heinrichs Mutter 
mobnte, fand er nicht, wurde aber von einer Köhlerfamilie 
gutherzig aufgenommen, die ihn gern zw verbergen ver⸗ 
ſprach, als fie hörten, er fei ein fremder Offizier, der im 
notbgedrungenen Duell feinen Gegner erſtochen Habe. 


18. 
Das Leienbegängnig. 





Lange konnte Eberhard fi fo nicht ruhig halten. 
Vierzehn Tage nach jenem merkwürdigen Abend begab er 
fich, als Köhler verkleidet, auf den Weg, um, mo möglich, 
feinen treuen Heinrich Schlent, oder wenigſtens die Hütte 
feiner Mutter zu finden. Die Hütte fand er endlich, erfuhr 
aber leider, dag die Mutter mit ihrem Sohne aus dem 
Lande geflüchtet ſei, weil man gegen fie, wegen des Mor- 
des des Major von Birting, Verdacht geſchöpfe habe. Ob⸗ 
ſchon Eberhard hörte, daß man eifrig dem Mörder nach⸗ 
ſuche, trieb ihn die Liebe doch dazu, ſich in der Verkleidung 
mit Ruß im Gefihte in den Schloßgarten ſpaͤt Abende 
wieder hineinzumagen, um, wo möglid, von Cordula Nach⸗ 
richt zu bekommen. Er fand an dem Orte, wo er von 

Oedlenſ. Schriften. XVII, 10 


146 Das Leihenbegängnig. 


Birting erſtochen Hatte, ohne Gewiſſensbiſſe fühlte er doch 
ein heimliches Grauen, und ging weiter. Das Schloß fand 
in der Nacht dunkelſchwarz da, wie ein. großer Sarg; die 
Springbrunnen brauften noch immer fort, fie ſchienen ihm 
aber lauter Trauerlieder zu fummen. Der dunkle Himmel 
mar von Eternen Überfäet. Plöglih fab Eberhard mieder 
Badelfyein und hörte Muft. Die Fackeln bewegten ſich 
laugſam, und ein Trauerlied ward gelungen. Gr eilte in 

> den dunfeln Tarusgang hinein. Das war eben der Bea 
zum Kirchhofe. Er trat ins Gebüſch, fein Herz klopfte 
laut. — Ber fann das fein, dachte er, Birting muß ja 
ſchon begraben fein. Vieleicht haben fie ihn einbalfamirt, 
und feiern jegt feine Erequien. 

Am verhaͤngnißvollen Drte ſehten die Leichentraͤger den 
Sarg nieder, um ein wenig augzuruhen. Eberhard ent ⸗ 
dedte einen Iungfernfranz von weißen Nofen und Mprten 
auf dem Sarge; Gordulas Bater ging ihm am nähften. 
Bei näherer Anſchauung fand der Jüngling, dag der Sarg 
für eine Mannesteihe zu Bein ſei. In diefem Augenblide 
(Gien es ihm, als breitete ſich ein dider Dampf von den 
Fackeln aus, der ihn ſchwindlich made, und er ſank bes 
wußtlos dahin. 

Als er ſich von feiner Ohnmacht erbolte, war es Mor- 
gendämmerung und er lag in der Hecke. Er lief na dem 
Kirchbofe: auf dem frifhen Grabe rubete der Iungfern« 
franz. Ein Zodtengräber hatte auf dem Kirchbofe noch et« 
mas zu thun. — Ben habt Ihr dort begraben? fragte 
Eberhard. — Das fhöne Fräulein Cordula von Hulter, 
war die Antwort. — Darf id bier einen Augenblick ver» 
meilen? fragte Eberhard wieder, mit fterbender Stimme. — 
O ja! ſchlagt nur die Pforte binter Euch au, menn Ihr 


Das Leihenbegängniß. 7 


weggeht, damit mir die Schulbuben nicht gleich die Blu- 
men vom Grabe wieder wegftehlen. — IA will die Blus” 
men hüten, ſeufzte Eberhard, und der Todtengräber ging. 

Eine Stunde lag er troftlos wimmernd auf dem Grabe; 
dann fand ihm der Todtengräber wieder zur Seite. — So 
weint fein Köhler, ſprach er; fo weint ein verkleideter 
Liebhaber. Allein Ir dauert mid. Hütet Euchl man hat 
Euch hier eine Fallgrude gemacht. Man wird Euch ergrei⸗ 
fen, ins Gefängnig werfen und kurzen Prozeß mit Euch 
machen. Ihr habt den Major ermordet. — Es find Zeu—⸗ 
gen da; mahre oder falſche. Eure Behauptungen werden 
nicht geachtet, und auf dem Blutgerüfte müßt Ihr Euer Le- - 
ben verlieren; denn des Getödteten Familie ift groß und 
mächtig in diefer Gegend. Flieht, während es nod Zeit iſt. 

- Den Tod Eurer Gelichten könnt Ihr überall beweinen. 

Nur der Screden vor dem Hochgerichte, worauf die 
Raͤcher feines Feindes ihn leicht bringen konnten, vermochte 
Eberharden vom Grabe feiner Cordula zu verſcheuchen. Er 
verließ die Gegend, wuſch ſich den Ruß, aber nicht die 
Bläffe vom Geſichte, legte ein fauberes ſchlichtes dunkeles 
Kleid an, und irrte ohne Ziel umher. Mitunter verſuchte 
er in Gedichten feinen Schmerz auszuſprechen, weil er kei 
nen Freundes ·Buſen hatte, worein er ihn ausfchätten konnte. 
Nach einigen graͤßlichen Wochen verwandelte ſich feine Ver⸗ 
aweifelung in mildere Wehmuth, und in diefer elegiſchen 
Stimmung machte er folgendes Lied: 


Adam hatte fich verfündigt, aus dem Paradied getrieben, 
Doc noch fern in der Berbannung konnt' er feine Eva lieben; 
80 er auch auf Grden weilte, wo ihn hin die Strafe wich, 
Fand er, in Des Arm der Siebe, wieder gleich ein Paradies. 

10° 


148 Das Leihendegängniß. 


Doch, dies Hera, dab bitter bintet, mad hat ed Dean dort ver- 
brachen? 
Barum ha, erdürnter Wichter! Du bas firenge Wort geſprochen? 
Gern geh‘ ıch in Die Verbannung, wäre nur die Eva da, 
ber, mit dem Paradiefe (cmwand auch meine Gorduln. 


Richt im Schweiß des Ungefichtes win ich in der Erde wählen, 
Cine Gruft mur will ich machen; die fol meine Flamme kühlen. 
Kleine Blumen will ich pflanzen auf den Hügel, blau und heil, 
Schön find fe, wie meine Freundin, und verwelten auch fo ſchnell. 


Jedt, 0 Mond! jept erft verfleh' ich Beine bleiche Schufuchte- 
. wonne, 
Deine falte Rachterfchelnung wechſelt mit der Sreudenfonne. 
Barum fecut fi doch die iebe, wenn du dämmerft Durch den Pain?, 
Deine beſte Uugenmeide ift der weiße Leichenſtein. 


Wirkt und ſtrebt nur fort, ihr Männer! doch ihr folt mich nicht 
„bedauern, 
Vaſcht nach Gold und GEhrenfränzen! ich will an dem Grabe trauern. 
Eine Freud’ if mir geblieben: Durch die dunkle Nacht der Zeit 
Binkt mir meine füge Siebe, ald ein Stern der Ewigkeit. 


: 19. 
Eberhard auf der Wartburg. 





Wenn uns eine liebe Menſchenſcele verlägt, um nad 
jenen unſichtbaren Reichen zu gehen, ‚findet das betrubte 





Eberbard auf der Wartburg. 149 


‚Herz in der erften Scämerzenszeit feinen Troſt darin, eine 
‚Weile am Grabe des.theuern Staubes zu verweilen. Es 
iſt und, als liege der Echag da verborgen, als müßten wir 
ibn bewachen, als genieße der liebe Freund oder die Freun« 
din eines fanften Schlummers, und werde bald aufmachen, 
unfere Seufzer und Kummerworte hören, und wieder aufs 
ſtehen, um uns zu tröften. Wenn aber nichts daraus wird, 
wenn wir ung vergeblid) matt geweint, den geliebten Nas 
men vergebens gerufen haben, ohne Antwort zu bekommen, 
dann entdeden wir erft mit Staunen, dag zwiſchen Schlaf 
und Tod ein gewaltiger Unterſchied ift, dann feben wir den 
Irrtyum ein, daß wir bei einer Handvoll Staubes verweilt 
baben, woraus der Beift längft entflohen ift, der die ges 
liebte Form längft verlaffen bat. Dann verlaſſen wir auch 
das Grad, und entweder fehren wir beruhigt zum Leben, 
zur Thaͤtigkeit zuräd, oder in füge Schwärmereien verfun- 
ten, ſuchen wir uns zu zerfireuen. Dunn wird une ehen 
das Fremde lich, und befommt etwas Heimathliches, weil 
der geliebte Gegenftand die Seimath verlaſſen, und in die 
Fremde gegangen iſt. 

Bar es Zufall, oder Liebe zum ſeligen Altvaer Ar 
bert, mit der Leidenfhaft für Cordula innig vereint, die 
unfern Eberhard kurz nad jenem Unglüd nad) der Bart- 
burg brachte? Gern verweilte er hier einige Tage, ging 
den fteinernen hohlweg hinauf, wo Albert und Eherharde 
Stammvater Rudolf fo oft zufammen gegangen waren; 
ſetzte ſich auf den fleinernen Blo®, wie fe, und ſchaute in 
die Gegend hinaus. Der verfteinerte Mönd und die Nonne 
ſtanden nod da. und neigten ſich gegen einander. Eberhard 
konnte auch ftundenlang droben in Luthers Zimmer verweis 
em. Das war ihm ein gar zu lieber Aufenthalt. Der 


150 Eberhard auf der-Barthurg. 


alte Tiſch von Eichenholz ſtand nod da, wo Luther, wo 
Albert und Rudolf fo oft gegelen. Das herrliche Bild 
bing an der Band, fo frifd und fräftig, als ob es geftern 
gemalt fei. Im tiefen Gefühl verfunfen, fand cr eines 
Tages vor dem Bilde, als es plöglih vom Nagel herum⸗ 
ter fiel, und an der gefhiwärzten Wand, wo das Bild ge 
bangen hatte, las er auf dem Kalk geſchrieben: Eber⸗ 
bard! Deine Cordula lebt und liebt Dil. - 

Die heftigſte Freude entzüte ihn bei diefen Worten; 
allein plöglihe Angft überfiel ihm mieder, meil er nicht 
mußte, wann dies gefhrieben fei. Er kehrte fi zu dem 
alten Burgvogte, der immer zugegen war, und dem er für 
fein Iäftiges Dabelfein bezahlen mußte. Eberhard verlangte 
mit Ungeftüm zu wiflen, wann ein ſchoͤnes, ſchlankes, Deuts 
fees Mädchen mit etwas fremder Ausfprade, mit griechi⸗ 
ſcher Nafe, großen, blauen Augen und blonden Haaren da 
orsofen? — Der ale Mann Mar ader nur mit Dem Bude 
beſchaͤftigt, das glüdlichermeife feinen Schaden gelitten hatte. 
Er war fehr böfe, und fagte: Das Lömmt daher, wenn fo 
viele Fremde Grlaubnig bekommen, bier zu verweilen und 
au wirthſchaften. Ich wollte, daß ich die Mamfell zu pat⸗ 
fen Eriegen könnte, die ſich unterftanden hat, das Bild von 
der Band zu heben, um Buchſtaben dahinter zu fragen. 
Dadurch iſt der Nagel Iofe geworden. Und ich ſehe nun, 
das Bild wäre entzwwei gegangen? Ganz Deutſchiand könnte 
es nicht bezahlen: und ich alter Mann wäre um mein Brod 
gekommen. . 

Eberhard flarrte, von den verſchiedenſten Gefühlen 
Durhdrungen, zum Fenſter binaus, da entdedte er in einer 
alten, grünen Senfterfiheibe wieder mit einem Diamantringe 
ganz Hein gefhrieben: Eberhard, Deine Gordula Iebt. 


- Sherhard auf der Wartburg. 151 


Alter, rief er, und faßte des Greifes Hand, — um 
Gottes Willen fage mir, — ich will Dein Glüd machen 
ich will Dir taufend Thaler geben, — wann, wann ift 
fle bier gewefen? 

Mein lieber Herr, ſprach der Alte etwas freundlicher, 
— ih merke wohl an allem, dag Sie ein glädlicher oder 
unglüdlicher Liebhaber find; denn dergleichen Leute vflegen 
ſich immer fo zu betragen, und große Worte, Eidfhmwüre 
und Geldfummen im Munde zu führen. Ein Studiofus 
aus Jena bat mir aber verfiert, Juniter, wie der Here 
Gott im Griechiſchen heißt, höre ſolche Berforehungen der 
Liebenden nicht, und fo mag es wohl mit den Geldverfpree 
ungen diefelbe Bewandnig haben. Sie fehen mir nicht 
darnad) aus, viele taufend Thaler weggeben zu fönnen, 
Und was follte ich alter Mann mit einer folhen Summe. 
Benn ich's wüßte, wollte id es Ihnen herzlich gern grafis 
Tagen. I bin ohnedem ſchon gewohnt, mil, jungen verlieh» 
ten Leuten umzugehen, denn fie ſprechen gern hier oben bei 
mir ein, und leben von der Ausfiht, den alten Harnifden, 
und den Erinnerungen der Vorzeit, während ſich die Ane 
dern, Unverliebten drunten in den Wirtbehäufern etwas au 
Gute tyun. Ich kann Ihnen aber nicht dienen. Alles, was 
von fünfzig Jahren her geſchehen ift, das Fann ich Ihnen 
baarfiein erzählen; ob aber ein Mädchen mit einer hübfhen 
Naſe bier vorgeftern oder vor einem halben Jahre gewefen 
iſt, das weiß ich nicht. . Hier in Sachſen find viele dübſche 
Madchen mit blauen Augen und blonden Haaren. Ich fehe 
aber nicht mehr darnach; denn was würde das mir altem 
Manne in meinen Jahren mebr helfen, nad) den hübſchen 


Dirnen zu fielen? 


Bas wollt Ihr für die Scheibe? fragte Eberhard — . 


152 Eberhard auf der Bartdurg. 


. Belpe Scheide? — Die Mleine, grüne, mit Blei eingefaßte 
Eenferfcjeibe dar — Sie gehört der Burg, mein Herr, fie 
fißt da vom Luthers Zeiten ber, die darf ic Ihnen nicht 
verfaufen. Hier in diefem Zimmer ift Alles heilig. — Sr 
gar den Fleck da, mo der felige Doftor im billigen Zorne 
mit dem Dintenfale nach dem Teufel (hmiß, bewahren wir 
als ein Heiligehum — und friſchen ihm alle Jahre wieder 
adf, damit die ſchwarze Farbe nicht gar zu fehr verbleiche. 
— Ich gebe Euch zwei Golöttüde für diefe Scheibe. — 


Haben Sie das Geld Hei ih? — Da! — Bie wollen Sie 


aber die Scheibe heraus kriegen, ohne das Fenſter zu zer- 
brechen? Wir müflen den Glafer von Eiſenach kommen 
laſſen; und das gebt nit. Dann ſchwaßt der Lenmund, 
ich alter Mann verkaufe die Feufterfbeiben der Burg an 
fremde Neifende, und wie foll ich dann meine Unſchuld be⸗ 
meifen? — Ic babe felbft einen Diamantring, Alter! ich 
will das Stüd herausfhneiden. — Das gebt! Dann kann 
id) fagen, der Sturm babe die Fenſterſcheibe entzwei gebla- 
fen, und fo bewahre id alter Mann meinen- guten Ruf 
unbeſcholten. 

Eberhard ſchnitt bebend das kleine Stück Glas heraus. 
Drunten bei der Burguogtin ſuchte er mehr au erfabren, 
denn der Eindifhe Greis konnte ihm gar nichts ſagen. Wie 
betrübt ward aber Eberhard. als die Burgvogtin ſich febr 
genau erihnerte, vor einem halben Jahre her, eben ein fol- 
ches Maͤdchen hier geſehen zu haben, wie Eberhard Cor⸗ 
dula befcrieb. Die Beſchreibung des Vaters paßte ganz 
auf Robert Hufter, auch von Birting war mit geivefen. 

ad, wie fonnte das auch anders fein, rief der Un⸗ 

” gtüdlige, als er wieder allein war. Sie ift ja todt und 
- begraben! Wobin- hat mic meine gereizte Phantafie verirrt? 


Die Spielleute. 153 


Er ließ das Glasſtüc in Silber einfaflen, mit Bril- 
-Ianten, und trug es in einer Kapfel von-Goldbled un einer 
goldenen Kette hangend, bei ſich als feinen beften Schap. 

Ah Du füge, liebe Cordula, rief er, wie drüdt ſich 
noch in diefen lehten Zeilen Deine ſchüchterne Maͤdchenſcheu 
aus, im Kampf mit Deiner feurigen Liebe. „Eberhard, 
Deine Cordula lebt und liebt Did." — Das wagte fie nur 
der Berborgenbeit anzuvertrauen. Dies Geheimnig mußte 
der Schatten des feligen Luthers vor profanen Augen ber 
wahren. Allein es follte doch nicht ganz verborgen bleiben. 
Vielleicht kommt er doc einmal ber, dachte fie, wird die 
Worte Iefen, und ſich darüber freuen. Dann ſchrieb fie mit 

. ‚dem Ringe, den ich ihr gegeben habe, ganz Hein: Eber⸗ 
hard, Deine Cordula lebt; wagte aber nit, „und liebt 
Dich" hinzu zu feßen. Es liegt ja aber fhon in „Dei« 
ner Cordula!“ 


20. 


Die Spielleute 





In wehmüthigen Schwärmercien ftreifte er jept umber 
als Spielmann mit einer Laute; und es zerftreute ihn, mit 
unter bei Hochzeiten, Kindtaufen, Bällen und Mahlzeiten 
für die Leute zu ſpielen und fingen. J 
Da Eberhard reich war, fo ſehte er ſich nicht der Ges 
fabr aus, von dummem Hochmuthe beleidigt zu werden, 
Ale merkten wohl, daß es ihm nicht um Geld zu thnn war. 


154 "Die Spiellente. 


So war er, ohne es ſelbſt zu willen, .in die Gegend 
von Leipzig hingerathen, wo fein Vater jegt wohnte, und 
er wünſchte den Alten einmal wieder zu fehen. Mit ipm 
ſprechen, dazu hatte Eberhard aber feine Luft, weil er 
mußte, daß eine vernünftige, herzliche Unterredung mit 
Herm Martin unmöglich war. 

Im Birthehaufe, unmeit der Stadt, traf er auf einen 
Haufen berumziehender muficirender Bergleute, in ſchwarzen 
Kitteln, mit Iedernen Schurzfellen um die Lenden. Diefe 
Menſchen gefielen ihm, fie fpielten gut, und — was er ber 
fonders leiden mochte — aud im Marfhe brauchten fie 
Bapgeigen und Bioline, nicht nur Blasinftrumente. Die 
blogen Blasinftrumente, fagte Eberhard, gehören dem Krieg 
an, nicht dem Srieden. Der fanfte Eindrud der Mufit 
entiteht erſt, wenn ſich Hörner, Oboen, Klarinetten und 
Fagotten mit Saitenfpiel und Geigen freundlich vereinigen. 

Die Bergleute waren ganz feiner Meinung, er tral 
titte fe im Wirthsbauſe, und fie mußten ihm zum Dante 
das alte Lied vom großen Bergbau der Welt vorfingen, 
welches fo anfängt: 


„Ruf! richtet Augen, Heri und Ein 
Zu jenen blauen Bergen din, 
Da Gott, der Breghere, thronet - 


Eberhard freuete fih fehr diefes Liedes. Das war 
eben fo herrlich in alten Tagen — fagte er — daß die 
Handwerke fi durch Gottesfurcht zur Kunft aufſchwangen. 
Es Hat mich immer gerührt, daß ein ganzes Menſchenge ⸗ 
ſchlet. aus Liebe zur Arbeit, aus Treue am Geſchaͤft übe 
rer Wäter, auf das bimmlifhe Licht der Sonne Verzicht 


Die Spiellente, 155 


thuend, in den traurigen Tiefen der Erde wohnen, und 
mit abgebleihten Wangen und gelben Antligen nur Sonn- 
tags friſche Luft Ihöpfen. mag, wenn das Glodengeläute 
zur Kirche ruft. Red arbeiten fie fh drunten dem frähen 
Tode entgegen, wo die Unvermäftitäleit der Erze und 
Steine einen tragiſchen Gegenfag zu ihrem kränklichen Da» 
binmwelten macht. Fürwahr, id kann ein ſolches Leben wer 
der bewundern noch beneiden; poetii und rährend ift es 
aber, wie jede freiwillige Aufopferung für Andre rührend 
iſt. Ibt feht mir aber fo frifh und gefund aus, Lieben 
Leute! auf Eud hat die ſchlechte Luft der Gruben feinen 
ſchaͤdlichen Einfluß gehabt. 

Der Borfteher antwortete Lähelnd: Das kommt daher, 
Heber Herr, weil wir nie in den Gruben gewefen find. — 
Bie denn? Seid Ihr feine Bergkute? — Bir find Spiel- 
leute, die ſich oft hei den Bergleuten im Harze aufgehalten - 
baden, ihre Lieder und ihren Vortrag gelernt, und jetzt 
ziehen wir herum und fingen Berg» und Thallieder, wie es 
ſich trifft, im diefen Kleidern, weil es ung mehr Vorteil 
bringt, als wenn wir wie alltägliche Mufltanten daher kä⸗ 
men. Es geht den meiften Zuhörern, wie Ihnen, mein gur 
ter Freund! Sie werden über uns gerührt, und wollen un, 
fern Zuftand erleihtern. Und wir können es nöthig haben, 
denn mir find alle arme Teufel, wie die Bergleute, Das 
ſteht uns aber nicht auf der Stirne geſchtieben; fobald wir 
aber das Schurzfell binten anlegen, maden wir die Leute 
weich um's Herz. So bekommen wir immer neue Kunden, 
and jeßt find wir zum Beifpiel nad) Leipzig binbeftellt, um 
bei dem reihen Baron, Herrn von Lönenmähne, in-großer 
Abendgeſellſchaft zu fingen und zu geigen. 

Eherhard, der erſt ein wenig böfe auf den Spielmann 


156 Die Spielleute. 


werden wollte, weil er ihn binters Licht geführt Hatte, und 
nun obendrein ſpottete, ließ bei diefer Nachricht feinen Uns 
willen fahren. Diefe Gelegenheit ſchien ihm die allerbefte, 
um Herrn Martin wieder zu fehen, ohne von ihm erfannt 
zu werden. Es leidet feinen Biweifel, dachte er, daß mein 
Vater, der in Leipzig ein großes Haus macht, und alle 
Vornehme der Gegend einladet; aud zu dieſet Abendgeſel⸗ 
ſchaft des Herrn von Lömenmäßne eingeladen iſt. 

Nun — ferad er wieder heiter zu den Spielleuten — 
dae ift ganz klug von Eud, und id fönnte wohl felbit 
Luſt bekommen. als verkleideter Bergmann mitzugeben, und 
Euch mit meiner Laute beizufteben. Nicht des Geldes wer 
gen; denn ich bin nicht arm, wie Ihr ſchon bemerkt Habt; 
allein, id bin ein wunderlicher Kauz. und möchte gern ein» 
mal um Spaß, incognito, die ganze Maskerade mitmas 
den. — Das kann gern geihehen, mein Lieber Herr, ſprach 
der Spielmann; wir führen immer ein Paar Bergmannse 
traten noch mit, um, wenn es Noth thut, ankommende 
Gehälfen damit au verfehen. — So will ih aud heute 
Adend Bergmann, fein, rief Eberhard aus, beim reihen 
Baron von Löwenmähne fpielen, ja vielleicht gar ein Lied 
fingen. — Ei, das ift fhön, antwortete der Spielmann; 
das wird unfer Conceit noch angenehmer machen. 

In Leipzig kamen fie zu einem großen Palafte, der ſehr 
ausgebaut-und verändert fein mußte, denn Eberhard Tannte 
das Gebäude gar nicht wieder. Der Thorweg ftand offen, 
von zwei großen Laternen erhellt. Es fehlte nicht viel, daß 
die foftbaren Teppiche der Treppe aufs Steinpflafter hin- 
ausreihten. Ein Schweizer ftand da in Livree, mit Treſ⸗ 
fenhut, und auf feinem fpanifhen Rohre glänzte ein großer 
filderner Knopf. Die Bergleute mußten erſt forgfältig ihre 


Die Spielleute. 157 


Füge abwilhen, che fie Erfaubnig befamen, den Teppich” 
zu betreten. Dann ftiegen fie hinauf, wo ein feiner Wohle 
geruch von Raudmerk und Hyazinthen ihnen begegnete. Im 
Vorzimmer mußten fie ih mit ihren Inftrumenten in Reis 
ben ftellen, und bier hatte Eberhard Gelegenheit, alle vor» 
beigehenden Herrſchaften in Augenſchein zu nehmen. indem 
fie ſich in den, von Wachskerzen fhön erbeuchteten, gefhmad- 
vol decorirten Saal hinein begaben. 

Es mar eine Männergefellihaft, und Eberhard kannte 
Niemanden. Es war der ganze Adel der Gegend. Eine 
gewiſſe vornehme herablaſſende Miene ruhete auf den mei- 
ften Gefihtern. Einige alte Herren in grünen Iagdröden 
mit birſchledernen Hofen und in Stiefeln fahen rauh und 
gutherzig genug aus. Der Schweizer hatte ſich niht un- - 
terftanden, ihre großen Hunde wegujagen, fle liefen auch 
mit hinein, und beſchmutzten einigen Stußern die feidenen 
Strümpfe. Die Befudelten wagten nicht lauf zu Klagen, 
nur wurde bie und‘ da etwas zwiſchen den Zähnen, von 


ungehobelten Zandjunfern gemurmelt. 


I werde meinen Vater in diefer Geſellſchaft nicht zu 
feben bekommen, dachte Eberhard, als chen die Erſcheinung 
aweier wohlbefannter Masten ihm wieder Hoffnung gab. 
Bir nennen fie Masten, denn ihre Garicaturgefihter ſahen 
wirtli fo aus, als ob es Männer mit Larven feien, Die 
auf die Redoute gehen wollten. Es waren der Profeſſor 
Schwefelties und der Kaufmann Rierenftein ; der Erfte dop- 
velt fo mager, der Leßtere doppelt fo fett, als fie Eber- 
bard vor Jahren gefehen hatte. Schwefelties fah mahrhaf- 
tig jeßt ganz fo aus, wie ein Stück gelber Schwefel; und 
Rierenſtein follte billig jeßt Nierenftük heigen, denn große 
Fettmaſſen hingen ihm glänzend und blübend ume feifte 


158 Die Spiellente. 


Geſicht und hatten beinahe alle menſchliche Züge daraus 
verwifcht. 

Dies komiſche Paar hielt ſich fer an, und lehnte ſich 
zu einander, um beim Hineintreten aus Berlegenheit und 
Blodigkeit nicht umzufallen. Rechts und lines machten fie 
baͤueriſche Komplimente, die wicht fonderlih erwiedert wur- 
den, und fliegen ſic dabei bald mit den Beinen, weil fie 
einander in der Noth nicht verlaffen wollten; wobei ſich 
denn die jungen Laffen des lauten Ladens kaum enthalten 
Eonnten, und das Kichern fein Ende hatte. 

Bas follen diefe Bürger in unſerm Gercle? hörte Eber- 
bard einen nicht weit Entfernten einen Andern fragen. — 
Vergeſſen Sie denn, mon cher, antwortete der Gefragte, 
dag unfer Wirth ſelbſt ein bourgeois gentilkomme ift? 
Aus der gepuderten Lömenmähne feiner Perüde fleden die 
bürgerlihen Eſelsobren noch weit Heraus; er mag fo vor- 
nehm thun, wie er will. Es ift ja billig, daß Monsieur 
Jourdain auch feinen Maitre de Philosophie habe; und 
diefen Poften befleidet Profeſſor Schwefelties. Uebrigens 
iſt diefer Mann fchr fubwiß und beſcheiden, und manquirt 
nie, Leuten von Stande die fhuldige Ehrfurcht zu zollen. 
Er ift ein fehr guter Poet, und erſtaunlich gelehrt. Auch 
der franzöfifhe duldet ja mitunter Dichter und Gelehrte 
bei fih, in feinen parties ſines. Wenn er etwas getrun⸗ 
len hat, macht er auch zugleich den Hofnarren. Alfo mag 
er immer tafelfäbig fein,- befonders in einer Dännergefehs 
ſchaft, wo fogar Hunden der Zutritt erfaubt if. Mit dem 
Kaufmanne hat es eine andre Bewandniß: er ift außergr- 
dentlich reich); die Meiften von.uns ſtehen in feinem Schuld» 





buche, und Sie willen: Dorante muß dem Jourdain immer 


die Cour machen, um noch mehr Geld zu bekommen. 


Die Spiellente. 159 


In diefem Augenblide kam der Wirth den Redenden 
febr Teutfelig entgegen. Aber wie erfhrat Eberhard, als 
er in dem Wirthe feinen eigenen Vater Herrn Martin Ju⸗ 
lius entdedte; der, während der Sohn umberftreifte, eine 


- verlorene Braut beweinend, ſich bier einen großen Palaft 


gelauft Hatte, und fi baronifiren laſſen. 


Alſo bin ich obendrein,. damit mein Unglüd volltoms 
men werde, ein für Geld neugebadener Baron von Löwen» 
mäbne geworden? dachte der arme Juͤngling, kratzte ſich 
weinerlich hinterm Ohr, und verkroch fi, damit ihn fein 
Bater nicht entdede. Diefer war aber viel zu fehr mit ſei⸗ 
nen vornehmen Gäften beihäftigt, als daß er auf einen 
armen Spielmann Achtung häfte geben Sollen. Es dauerte 
nicht Lange, fo ging die Geſellſchaft zu Tiſch. Die Spiel- 
leute mußten ſich auf eine Gallerie begeben, und von diefer 
Anhoöhe konnte nun- Eberhard die ganze Tiſchgenoſſenſchaft 
überfjauen, und feine Betrachtungen anftellen. Oben an 
fagen die alten Jagdherren; um fie herum liefen die Hunde 
und die Bedienten. Der Baron von Löwenmäßne war ein 
trefflicher Birth, bewegte ſich wie ein Planet um die Sonne 
feiner Gefelfhaft, und wußte jedem Gafte etwas Verbind⸗ 
liches zu fagen, welches doch vermuthlich meiftens darauf 
binauslief, daß er ihnen aärtlihe Vorwürfe machte, weil 
fie nicht genug tranten. Die Meiften zeigten aber mit dem 
Finger auf die Bouteillen, um mit der Ebbe der Flaſche 
ihre Unſchuld zu beweifen, worauf der Herr Baron mit 
vergnägtem Kopfniden weiter ging. — Unten am Tiſche 
fagen die Plebejer Nierenftein und Schwefellies wie tri- 
buni plebis an der Thuͤrſchwelle im Senate. -Diefe Bier 
batten aber kein Veto, und würden es vermuthlich auch 


160 - Die Spielleute. 


nicht gebraucht Haben, denn fie bejahten alles Gefagte und 
Gerufene, mit großen Verbeugungen. 

Ohnerachtet feines tiefen Kummers und feiner Unzu- 
feiedenheit, mußte Eberhard doc Über die zwei großen Pup- 
ven Herzlich lachen, die ihm auch in diefer Stellung fehr 
aracteriftifc vorkamen, obſchon er nur ihre Kehrfeite fab, 
mo ſchon Ieder feinen Haarbeutel bekommen hatte. 

Erſt, während noch die Flaſchen fo ziemlich gefüllt da 
ftanden, ging alles fehr fteif und gravitätif) zu. Ein Lied 
des Herrn Profeſſor Schwefellies wurde von einem fchelmir 
ſchen jungen Laufer auf flbernem Teller herumpräfentirt. 
Das Lied wurde fehr Tangfam patheliſch, faſt mie ein 
Trauerlied, gefungen, und enthielt ein Lob des Adels, als 
Stüge des Throns, und als Repräfentant der edleren 
Menfchheit. — Nachher wurden die Lieder immer Iuftiger, 
wie mehr getrunken wurde; und Baus, der vom Haufe 
aus ein Liberafer it, obſchon ein Prinz vom Geblüt, öͤff ⸗ 
nete die Herzen immer mehr; die Steifbeit und das Bors 
nehmthun verſchwand; fie fühlten ;jeßt, dag fie alle Zecher 
waren, die eben gut betrunken werden fonnten, und Pro- 
feſſor Schwefelties fing jegt an als mipigfter Kopf in der 
Geſellſchaft, zu glänzen und eine gtoße Rolle zu fbielen. 
Er wurde dazu aufgefordert, Impromtus zu maden; und 
ſchon fah Eberhard ihn einen Teller über'm Licht ſchwaͤr- 
zen, und eine Gabel als Griffel greifen, als plößli die 
lange Manſchette des Profeffors zu brennen anfing, weil 
er etwas unverfihtig mit dem gefährlihen Elemente um« 
ging, als er, wie Prometheus, den göttlichen Funken vom 
Himmel herunter holen wollte. Der Nachbar des Dichters, 
ein junger Offizier, griff nad) eine? Waſſerkarafe und fing 
an, das Feuer zu löfchen, und den armen Poeten mit kal⸗ 


Die ‚Spielleute. 


161 


tem Bafler zu begtegen. Hieräber erſcholl ein unmägiges 
Gelächter, das den Dichter verflimmte; mit dem irdiſchen 
Teuer war aud feine poetiſche Flamme selöfdt,, und er 


konnte nichts mehr machen. 


Nun mußten die Bergleute ſpielen und. nam. Die 
Reihe kam aud an Eberhard, und unmutgig wie er war, 


wagte er folgendes Lied: 


Städtich, wer ih am dem Tiſch 


Unter fröhlichen Befehlen 
Heiter, feet und jmgenbfeifch 
Sabet an den Srdendqurilen. 
Bein im Blafe, 

Salz im Epape, 


Wohlgemuß im vollen Mafe! 


Teintt, Ipe Brüder! trinkt und Mlingt, 
Denkt nicht am der 2idern Kammer, 


Wo die vole Mebe winkt 


Biegt fir Euch in füßen Sclammer. 


Laßt vhantaſten 
Rimmer vaften, 
Mit Beträbmiß fich betaften. 


Gar zu gemlich ſcheint Dee Mond, 


Bir erwählen und die Scune; 
So in Echatien Baus thront 


Eprudeit unfee befie Wonne. 
Bicheöjunder . 
Bird jegunder ” 


Aingefachet durch Burgunder. 


Dehlenſ. Schriften. XVIIL 


162 


Die Spieltgutt. 


Aber feufaen woh'n wir nicht, 
2aflen und nicht unteriochen. 
Hält ex nicht, maß ex verfpricht, 
© wird Mord Pfeik jerbrochen. 
Hat die Braune 
Ihre Saune, 

So verlaffen wir Die Braune. 


M die Blonde ſtolj und hart, 
BR Ge nicht den Ruß verſtatten? 
Das ift nicht in unfcer Met, 
Sehnfuct fol und nicht ermatten. 
Nichts von henten! 

Freude ſchenken 
Andre bald, die beffer denten. 


Irdiſch aur iſt dieſe Welt, 
Was is Geiſtes⸗ Herzenagrobe? - 
Alte Sappen, aues Geld, 

Die bededen unſre Blote. 
Feisendlatter, 

Ehrenretter, 

ac) des Cherude Donnerwetter. 


Belet und auch der Gebenddaum, 
Son er nicht mehr lang begläden, 
IN das Leben mar ein Traum, — 


Seid! ein Traum kaun auch entiüden. ” 


Laßt und Inden, 
Bis wir wachen 
Ernſter einft in Charons Radıen. 


Die Spielleute. 163 


Die Gäfte, die fhon viel getrunken hatten, und nicht 
fonderlid auf die Worte Achtung gaben, merkten nicht die 
Ironie dee Liedes, nahmen alles für baare Münze, und 
den Inhalt für die gewöhnliche Philoſophie der Trinklieder. 
— Als Eherhard gefungen hatte, ftand er auf und mollte 
feines Weges gehen. Drunten im Thorwege aber, bat ihn 
der Schweizer in’s @erfte Stodwert hinauf zu geben, in 
des jungen Läuferd‘ Zimmer, der ihm gern zu ſprechen 
münfchte, und ihm etwas Angenehmes zu fagen habe. — 
Bir haben fon diefen jungen Menſchen ermähnt, den 
Eberhard zu kennen glaubte; weil ihm aber die Laufer- 
müße fo tief ins Geſicht gedrückt war, und er ihm meiſtens 
den Rüden getehrt hatte, mußte er nicht, wo er ihn hin- 
bringen follte. J 

Er ging hinauf, wo ihn der Schweizer hingewieſen 
hatte, und befand ſich auf einem langen ſchmalen Gange, 
von einer einzigen Laterne ſchwach erleuchtet. Kaum war 
er da, fo fiel ihm das Abenteuer des Altvaters und der 
ſchönen Tabuletkrämerin ein. Der Gang fah ebenfo aus; 
die Laterne brannte eben fo trübe, wie es der felige Albert 
befchrieben hatte. — Gott im Himmel, dadıte Eberhard, 
wenn meine Cordula jept noch lebte, mir mit Sylphentrit- 
ten entgegen ſchwebte, und mic an den Bufen drüdte, — 
Er blieb einige Augenblide bei der Lampe eben, und 
horchte auf, ob Niemand käme? — Ach, nein! Einfam 
fand cr auf dem dunfeln Gange. Iept trat er in das ihm 
angewiefene Zimmer, und fuhr, als er die Thüre öffnete, 
erfhroden zurüd; denn das bleiche Melpomenengefiht des 
Vollmondes, fand gerade vor dem Zenfter, und blidte ihn 
kalt an, mie damals, als er in’s öde Zimmer trat, und 
die Leiche des gebängten Dbadias Schlenk auf dem Tiſche 

11° 


164 Die Spiellente. 


entdecktte. Diefer fhaurige Eindrud ward aber bald von 
angenehmeren vertrieben. Es mar ein fhöner Herbftabend, 
obſchon mitten im November. Bom hohen Edfenfter hatte 
Eberdard freie Ausſicht Über die Gegend. Die Pleiſſe lag 
mie ein heller Eilderfpiegel im Mondfceine da, und das 
fböne Nofenthal, mo er fo viele herrlihe Jugendftunden 
genoffen hatte, breitete ſich daneben, ein ſchwarzer Schat · 
ten. Auch das Meine rothe Dad, wo Hanna Hellfraft ger 
mohnt hatte, fonnte er feben: und der Kirdthurm, mo er 
die Lieder: „Iefus, meine Zuverſicht.“ und: „Wie ſchön 
leucht· uns der Morgenftern,“ in wichtigen Stunden des 
Lebens, Hatte blafen hören, ſtand wie ein Rieſe da im 
Mondfcheine, zeigte mit dem blinkenden Zeiger auf Zwoölfe, 
und eben wie Eberhard hereintrat. tönten die tiefen Schläge 
des mohlklingenden Erzes über die Gegend. 

Jeht öffnete ſich bie Thür, und er fuhr wieder zufam» 
men; allein das Gefpenft war nicht fuͤrchterlicher als die 
Umgebung. Der junge Läufer ftand Lähelnd da. Das 
Mondlicht beleuchtete feine prächtige Federmüge, feine Treſ⸗ 
fen an ber Jade, und den großen Gilberteller, worauf er 
Frůchte, Backwert, eine Flaſche Bein und zwei Gläfer 
harte. — Kaum fah er Eberhard, fo fang er: 


Biebedzunder 
Wird jegunder 
Angefüchet durch Burgunder. 


Kommt, lieber Spielmann! Ihr follt aud etwas Gu- 
tes genießen, und nicht der Einzige fein, der mit frodenem 
Munde davon geht. — IA danke Euch, licher Läufer, ich 
bin aber meder hungrig noch durſtig. — Bacwerk und 





Die Spielleute, 165 


Früchte genießt man nicht, um-den Hunger zu ftillen, ſon⸗ 
dern zur Luſt. Ir feht fo traurig aus; vielleicht hat der 
Viond Euch melancholiſch gemant! Das ift ein wunderlis 
Wer Kauz, diefer Mond: er kann die Leute luftig und traue 
rig maden, wie er wil. Jetzt fdeint er Eud wie ein 
Todtenkopf: ich wette, es koſtei mich nur ein Wort, fo lär 
welt er Euch ſchelmiſch in's Auge, wie ein allerliebſtes 
Maͤdchengeſicht. — Das würde wohl ſchwer halten, lieber 
Freund, diefen Zauber hervorzubringen. — Nicht im min- 
deften, mein Herr; denn der Mond it aud ein Laufer, wie 
ich, und gute Kameraden, migt Ihr, halten zufammen und 
thun einander gern etwas zu Dienften. Verſprecht Ihr mir, 
ein Glas Burgunder zu trinfen, wenn ic mein Verſprechen 
halte? — Gern! antwortete Eberhard in der höͤchſten Span- 
mung. Mein Gott, wer feid Ihr? Heinrich Schlenk! biſt 
Du 16? Ja, Du bift, ich kenne Did) jept — Nun, mein 
lieber Herr Baron von Lömenmähne, fo trinken Cie denn 
aud) gleich dies Glas Burgunder auf die Gefundpeit Ihrer 
Cordula, die noch lebt und Sie treu liebht. — Heinrich! 
willſt Du mid) in meiner Noth verfpotten? Willſt Du mid) 
toll machen? — Bei Gott, das hat der Mann nicht an 
mir verdient, der erft meines unglüdlihen Vaters Leben 
rettete, und ihm nachher ehrlich begrub, als er ihn nicht 
mehr retten konnte. Das Raͤthſel ift mit wenigen Worten 
gelöft. — Robert Huiter hatte es ſich nun einmal in feinen 
vieredigen Kopf gefept, daß Cie feine Tochter nicht heira- 
then follten. Um ſich zu rähen, als Eie Ihren Nebenbup- 
ler im Zweikampfe erftodhen hatten, ſpielte er Ihnen diefen 
verwänfhten Streich. Ein Kammermädden der fhönen 
Cordula war eben in den Tagen fo gefällig, mit Tode abs 
zugeben; dieſe ließ er begraben, als ob es feine eigene Toch⸗ 


166 Die Spiellente. 


ter wäre, weil er wohl denken konnte, daß Sie heimlich in 
- der Gegend Iauerten, und daß diefe Kunde Sie in Ber- 
zweiflung flürzen würde. Die Verwandten dee Herrn von 
Birting gingen gern in diefen Plan ein, weil man hoffte, 
Sie nad) dem Grabe hinzulocken, und da gefangen zu neh⸗ 
men. Robert Hulter ift heimlich mit feiner Tochter nah 
London gereift. Ich habe Innen leider feine Nachricht von 
allem dieſen geben können, weil ic felber fliehen mußte, 
als man anfing, Verdacht gegen mich zu ſchöpfen. — Bo 
Sie waren, mußte ih nicht. — Da hörte ih, Ihr Vater 
wohne bier, und ic) ging in feine Dienfte, weil ich vermus 
thete, dag Sie-dodh früh oder fpät einmal bier eintreffen 
märden. So hängt alles zufammen. Die (höne Cordula 
lebt. — Und liebt mid, rief Eberhard. Ad, jeht verfteh' 
ic) das Seien auf der Wartburg. — Nun, fo trinken Sie 
jegt aud des Mondes und der fhönen Cordula Gefund- 
beit, rief Heinrich, ihm das Glas reichend, wie Sie ver- 
forogen haben. — Eberhard Ieerte das Glas entzüdt. In 
diefem Augenblide fingen die Mufltanten drunten im Saale 
an ein Siegeslied zu blafen; ein fhönes Feuerwerk, das 
Baron Lömenmähne, feinen Gäften zu Ehren, veranftaltet 
batte, fing an zu fnallen, und hohe Raketen, mit römifchen 
‚ Litern, bildeten einen Triumphbogen über dem Mond. 








Der Maulbeerbaum. - 167 


21. 


Der Maulbeerbaum. 





Der Binter war mit feinem Schnee und Eiſe fehr 
ſchnell auf den fhönen Herbſt gefolgt, und ſchnitt Eberhard 
auf dem feften Lande ganz von feiner Cordula ab. Er 
mußte feine Reife nach London einige Monate ausfehen. 
Aber kaum ſchmolz das Eis, faum keimten die Märzviolen 
durchs junge Gras wieder hervor, und trillerte die Lerche 
fo finden wir ihn in Etratford fpät Abends, bei einem jun» 
gen Tiſchler, wo er ein immer gemiethet hat. 

Mit Beafſteat und Ale hat er ſchon feinen Hunger und 
Durft gefillt, Die hübſche, junge Frau bat gute Naht 
gefagt, und ift in's Schlafzimmer gegangen, wo das nied⸗ 
liche Kind in der Wiege liegt. Der junge Tiſchler John 
Brown fann mit feinen Lobeserbebungen über die fhöne 
Mit Cordula Hulter nicht fertig werden, und Eberhard 
muntert ihn immer auf, mehr zu erzählen. 

Sie ift mein Nettungsengel, rief der Tifhler, Bor 
einem halben Jahre war ic) in größter Noth nd jetzt ver- 
danfe ich der fhönen Mig, dag ic ein mohlhabender Mann 
bin, und fogar ein nettes Stübhen für einen Fremden 
übrig habe. Jung mie ih war, dachte ih nicht an die 
Zukunft, nahm meine gute Harriet zur Frau, und fie ſchenkte 
mir einen herrlichen, gefunden Knaben. Ein niedertraͤchti⸗ 
ner Menſch, mein heimlicher Nebenbubler und Feind, hatte 
mir 50 Pfund geliehen, blos um mid in feine Gewalt zu 
betommen. Er wollte fein Geld wieder haben.) ich konnte 


168 Der Maulbeerdaum. 


ihm nichts geben. Mit einem Writ fieri facias verfehen, 
ging er zum Sherif, und ließ bei mir Erecution vollftreden. 
Ich hätte meine Thüre zuſchließen können, denn bier zu 
Lande wagt feloft die Obrigkeit nicht, mit Gewalt die Thür 
eines Bürgers aufzubrechen, dann hätte id mich aber ſelbſt 
mit Frau und Kind in einen Hungerthurm verſchloſſen. Ih 
Heß den Gläubiger machen. Als fie Alles genommen hats 
ten, mas zu nehmen mar, ging Mafter Piety im die 
Kücye hinaus, wo meine Frau im irdenen Topfe Grütze 
kochte. Er nahm den Topf vom Feuerheerd, brachte ihn 
in die Stube, und ihn auf den Tiſch ftellend, befahl er 
dem Schreiber, den Grügtopf mit auf die Lifte der Übris 
gen Saden zu fepen. Drauf ging er zu der Wiege, wo 
mein Eleiner Tom mit den runden Aermiein über dem Kif 
fen ſchlummerte. — Er nahm das Kind lieblofend aus 
der Wiege, ftreihelte es, umd ſprach: Du Heiner Schelm 
ſchlafſt wohl chen fo gut auf Stroh, wie auf Flaumen? — 
nahm drauf eine Handvoll Stroh aus der Wiege, legte fol« 
bes in der Stubenece zurecht, warf das Kind darauf, und 
ließ den Schreiber Wiege und Kiffen gleihfals in die Lite 
einf&reiben. 

Das war mehr als id dulden konnte, und meine Frau 
mußte mid zurachalten, damit ih mid an dem Unmen ⸗ 
ſchen nicht vergriff. 

Jetzt waren wir wieder allein; in der nadten Stube, 
meine Frau mit dem armen Burm im Scooge, um ihr 

mit ihren Kleidern vor der Kälte zu ſchüßen. — Bas ift 
jegt für ums zu tbun, rief ih, nachden ih eine Zeitlang 
düfter über mein Sciefal gebrätet hatte. — Tod und Ber- 
nichtung drohen uns Unglädlihen allen. — Noch nicht! 
ſprach Harriet heiter. Alles haben fie uns doch nicht ge 





Der Maulberrbaum. 169 


raubt. Siehft Du nicht die hübſche grüne Fenftergardine, 
wie fie uns Hoffnung zuminkt, während die Frühlingeſonne 
durch ihre Franzen ſcheint? — IC ſchlug die Augen auf, 
und fah nur den großen Maulbeerbaum, der, wie gewoͤhr⸗ 
lich, mit feinem Blätterbange über das Fenſter hinſchattete. 
— Verzage nicht, güter John, — verfeßte Harriet; — läßt 
der liebe Gott einen fo herrlichen Baum für einen kleinen 
Burm wachen, deffen Leib er mit der köſtlichſten Seide 
fhmädt, folte er uns, feine Menſchen, nicht nähren und 
Heiden? — Dies Haus war, wie Du weißt, in alten Ta- 
gen die Wohnung des trefflihen Shake peares Diefen 
Maulbeerbaum fol er mit eigener Hand gepflanzt haben, 
In London denft die große Welt nicht viel mehr an ihren 
guten Dichter, alles fol jegt franzöffe; fein; aber das Volt 

“ kiebt noch feinen Shakeſpeare. Es thut mir leid um den 
fhönen Maulbeerbaum; allein er muß fallen, damit wir 
ſtehen bleiben. Du folft allerhand’ Shnigwert, Schnupfta« 
batsdofen, Threbühfen, Schreibzeuge, Tabaksftopfer, u. f. w. 
daraus verfertigen: wir fepen in die Zeitungen, daß ein 
armer Tiſchler, um ſich mit Weib und Kind von Hungers⸗ 
noth zu reiten, aus Shakefpeares Maulbeerbaum niedliche 
Sachen zum Verkauf verfertigt habe; vielleicht maht ung 
ein Gelehrter ein Meines Gedicht darauf, und unfer Glüd 
iſt gemacht. 

Dieſer Vorſchlag war fo herrlich, als wenn er vom 
Himmel gekommen wäre; ich fiel meiner Harriet um den. 
Hals, und ging gleich binaus, um den Maulbeerbaum zu 
fällen. Allein, als ich mit dem Belle da ſtand, war es 
mir unmoglich. Es war mir, als ob id einem Menſchen 
ims Fleiſch hineinhauen und ihn vermunden, als ob ih, 
um mic) zu retten, einen Mord begehen follte. — Man 


170 \ Der Maulbeerbaum. 


bat ja alte Fabeln, wie Menſchen in den älteſten Zeiten zu 
Bäumen verwandelt find; und in den Kindermären kommt 
auch viel von Druidenbäumen vor, worin freundliche Geis 
fter haufen. Es ſchien mir, als ob Shatefprares. Geift in 
diefem Maulbeerbaum wohne. Nein, ich fann es nit! 
beute wenigftens nicht. Wir wollen diefen Borfab beſchla⸗ 
fen. Vieleicht ſcheint die Sonne nicht morgen! Wenn der 
Himmel grau ift, will id es thun. Die Sonne darf den 
Baum nicht fallen ſehen; auch Mond und Sterne nicht. 
Benn es regnet und ftürmt, will ic den Maulbeerbaum 
fällen. — Aber dann wird das Holz zur Arbeit zu naß 
tief Harriet; und da ift feine Zeit zum Zaudern; wenn der 
Meine Tom erwacht, will er Brei Haben, und Mafter Piew 
bat den Topf vom Feuerheerd genommen. — Heute, liebe 
Harriet, erwiederte id, werden chriſtlihe Nachbarn uns 
beiftehen; morgen will ic in Gottes Namen den Baum 
fällen. 


Ich erwachte den kommenden Morgen ziemlich ſpät. 
weil id febr ſpaͤt eingefhlafen war; Frau und Kind fühlie- 
fen nod neben mir, auf dem Stroh. Die Sonne ſchien 
wieder heiter zum Fenſter herein, allein ich dachte: Sei dem 
alfo. Shafefpeares Geift wohnt nicht in diefem einzelnen 
Maulbeerbaume, fondern im ganzen großen Fruchtgarten 
feiner herrlichen Werke; und die werde id nit mit mei- 
nem Beile fällen. — I hatte kürzlich Harriet feinen Som. 
mernachtstraum vorgelefen; es kommen fo niedlihe Elfen 
darin vor, und ih dachte: Der gute William ift gewiß 
auch ein großer Kinderfreund gewefen;; fonft könnte er un. 
möglich den Beinen Senffamen, Bobnenblüte, Motte und 
Spinnweb, fo allerliehft gefhjildert haben. Er wird es mir 


| 





Der Maulbeerbaum. ‚m 


nicht übel nehmen, dag ich mid, meines Toms wegen, an 
feinem Baum vergreife. 

Bie ich fo ehe, und ſchüchternen Blides den Baum 
anfebe, der heut zum Ieptenmal feinen angenehmen grünen 
Schatten ins Zimmer werfen foll, deſſen fhöne Blüte ich 
mit meinem tüdifen Eiſen vernichten will; Lömmt es mir 
wahrhaftig vor, als ſtecke Titania, die Königin der Elfen, 
felbft ihr liebliches blondgelodtes Gefiht mit den Roſen⸗ 
wangen durd) die Zweige des Baumes, zum Fenſter herein; 
menigftens fehe ich ein außerordenrlich ſchönes Mädden- 
veſicht. 

Als fie mic, fieht, ‚grüßt fie freundlich nickend mit dem 
Kopfe, und fragt beſcheiden: Wohnt nicht der Tiſchlermei 
fter John Brown bier? 

Ich Taufe gleich hinaus, und finde die ſchöne Miß Cor- 
dula Hulter mit ihrer Zofe bei dem Poſtwagen. — Mit 
wenigen Worten erzäbft fie mir, daß fie vorigen Sommer 
mit ihrem Vater von Dftindien gekommen fei, ib dieſen 
Binter in London aufgehalten habe, dag der alte Herr, an 
die leichte Luft der Südfeeinfeln gewöhnt, am Sieinkoblen- 
dampf von London geftorben ſei; und daß fle, ihrer eige- 
nen Gefundeit wegen, um das Schicſal des Vaters nicht 
zu theilen, aufs Land binausgejogen, zugleich aber auch 
münfde, mitunter aud einige Wochen in Stratford zu woh⸗ 
nen, weil fie von William Chatefpeare abſtamme. Cie 
wiſſe, daß id fein vormaliges Haus bewohne, und das 
wolle fie nun gern von mir wieder miethen, ich möchte den 
Preis fo hoch feßen als ich wollte. — Kaum habe id) ihr 
meine Noth geklagt, fo reiht fie mir einen Beutel voll 
Gold, und id bin auf einmal ein wohlhabender Mann. 

Seitdem ift die fhöne Miß in meine vorige Wohnung 


172 Der Maulbeerbaum. 


eingegogen, und id babe mir Diefe wieder gemiethet, treibe 
mein Handwerk ohne Sorge, und bin ein glüdliher Menſch. 
Die fhöne Mig iſt jept eine Freundin meiner rau, und 
mag meinen kleinen Tom aud) fehr gut Teiden. Sie ift von 
der ganzen Gegend. geliebt. Junge Landmädchen kommen 
wöchentlich zu ihr, da müflen fle mit ihr in einer großen 
Spinnftube arbeiten, und Maͤrchen erzählen, und alte Lie 
der fingen. Sie bat ſchon mandes junge Paar verheira- 
tet und ausgefteuert, denn fie ſcheint ſeht reich zu fein. 
Noch Morgen wird fie die Hochzeit eines duͤbſchen Mäd- 
chens ausrichten; und da fönnen Sie die Miß Cordula in 
der Kirche feben, einer gewiſſen Eenemonie heiwohnend, die 
nie vergeflen wird: das Brautpaar muß nämlich das ſtei⸗ 
nerne Bild ihres Stammvaters, Wiliam Shalefpeares, in 
der Kirche mit Blumen kränzen. 


Bird fie denn ſelbſt nicht beirathen, und ift die fhöne 
Mig nicht verſprochen? fragte Eherhard. — Damit kann 
ich ‚nicht dienen, ſprach der Tiſchler abbrechend. Jetzt wi 
ich noch ein Licht holen, und Ihnen zu Bette leuchten, weil 
Ihr Bedienter heute Nacht im Wirthshauſe ſchläft. Auch 
einen Stiefelknecht will ih bringen. 


John Browr ſchlich ſich leiſe in's Schlafiimmer. Kaum 
war Eberhard in der Etube allein, wo das woblgetroffene 
Bildniß feiner Cordula an der Wand ding. fo trieb ih 
feine Liche dazu, auf einen Stuhl zu fleigen, und den 
Mund an die (höngemalten Lippen zu drüden, die feinen 
Kuß nicht erwiederten. 

John Brown fam gleich zurüd mit dem Stiefeltnecht. 
und munderte fih über die Maßen, feinen Gaft auf dem 
Stuhle im eifrigen töte & tete mit dem Bilde zu finden. 





Das Blumenmädden und der Mind. 173 


— Eberhard, der die Zurückunft des Wirthes nicht fo bald 
vermuthet hatte, wäre vor Schaam beinahe vom Stuble 
gefallen. Adein der junge Tiſchler fprad ihm Muth ein. 
— Schamen Sie fih nicht, mein Herr, rief er; ih weiß 
auch, was Liebe it. Habe ich doch die Vantoffeln und 
Handſchuhe meiner Harriet in den Feiertagen gefüt, wenn 
ich fie nicht feloft hatte. Ih merfe wohl an allen,. der 
heimliche Liebhaber iſt angekommen, und ich habe die Ehre, 
‚Herrn Eherhard Julius in meinem Haufe aufzuwarten. An 
Ihrer Ausſprache hörte ich gleih, dag Sie ein Deutſcher 
find. Es wundert mid, wie ich nicht früher Verdacht ger 
ſchopft babe. 


22. 
Das Blumenmädhen und der Mönd.- 





Eberhard konnte beinahe die ganze Nacht‘ nicht fchla- 


“ fer, und daran war Jchn Brown allein Schuld, denn wa⸗- 


rum erlaubte er dem ſchwaͤrmeriſchen Liebhaber, Cordulas 


» Bild aus der Wohnftube mit ins Schlafzimmer zu neh- 


men? — Eberhard hoffte von feiner Geliebten zu träumen. 
Allein hier verrechnete er fih! Man träumt felten von 
dem, wovon die Seele beim Schlafengehen voll ift; und fo 
batte denn der gute Eberhard nur mit lauter Erbſen zu 
tbun, die er aus einem Scheffel in den andern zaͤhlen 
mußte, wobei fi) die Zahl zulept fo ungeheuer vermehrte, 
dag er-die Summe nicht länger behalten konnte und ibm 


174 Das Blumenmädden und der Mönd. 


die Haare vor Angſt zu Berge fanden, weil Todesftrafe 
darauf gefegt war, wenn das Facit nicht richtig würde 

Bon diefer Noth befreitete ion John Brown, der ihn 
erwedte. 

Das Frühftüd wartete auf ihn, und er eilte ſich an« 
zuziehen, denn um zehn Uhr follte die Hochzeit vor ſich ge 
ben. — Mufifanten feßten ſich fon in Bewegung, und 
fingen an zu blafen. In Broceffion ging das junge Braut⸗ 
paar zur Kirche, von Cordula und mehreren [hönen Jung⸗ 
frauen gefolgt. — Eberhard hatte ſich in einen Wintel ge⸗ 
drüdt, dem Bruftbilde Shakefheares gegenüber. Man bes 

2 hauptete, dies Bild folle fehr äͤhnlich fein, nad einem Ab⸗ 
guſſe nach der Natur. Hände und Gefiht waren fehr fleiſch⸗ 
farb, die Augen hellbraun, Haar und Bart blond; das 
Wamms fdarlahfarbig, mit einem leichten ſchwarzen Um« 
wurf, der obere Theil des Kiffens grün, der untere far» 
moifin, die Franzen goldig. 

Allein Eberhard hatte nur Augen für Cordula. Eie 
war höher und vielleicht ein wenig magerer geworden, ſchien 
ihm aber jegt noch reigender zu-fein. Denn Würde hatte 
ſich mit der Jugendlichkeit verbunden, und das Kindliche, 
das vorher mitunter an das Kindiſche gränzte, war zurüd- 
gedrängt, ohne.verftwunden zu fein. Das weile, ernfte, 
etwas blafe, regelmäßig onale Geſicht, würde ihn an die 
Antike erinnert haben, wären die Augen nicht fo gefühlvoll 
geweſen. 

Bor dem Bruſtbilde des Dichters hielt die Reihe Nil; 

Körbe vol Narciffen, Hyacinthen, Nofen und Immergrün, 

die aus Treibhäufern geholt waren, weil der Falte Früg- 
ling noch nicht in freier Natur ſolche fpendete, wurden vor 
das Bild bingeftellt; und während ein ſchönes Lied leiſe 


"Das Blumenmädhen und der Mind. 175 


vierftimmig gefungen wurde; befränzten die Mädchen Sha- 
tefpeares Bild, wobei Cordula die eifrigfte war, umd ihren 
Liebhaber Gelegenheit gab, die holde Geftalt in den an- 
muthigften Stellungen zu fehen, wenn fie bald Hände und 
Arme mit Purpurhlumen und-grünen Blättern in die Höhe 
reichte, um folde auf die Nägel zu hängen, bald das herr- 
liche Profil zu dem Bilde erhob, um zu fehen, wie der 
Schmuck ſich ausnehme; bald den ſchlanken Leib zurüd bog, 
und fi, büdte, um mehr Blumen aus dem Korbe zu neh» 
men. In den Ohren hatte fie Shafefpeares Ohrringe, eine 
Erbſchaft ihrer Stammutter Concordia. 

Des begeifterten Eberhards Thränen floſſen unaufhörs 
lich, theils aus füger Liebeswonne des Wiederfehens, theils 
waren es Wehmuthsthränen beiliger Ahnung dem verftor- 
benen Dichter geweiht. 

Bald umringte ein großer, dider, bunter Blumenkranz 
die Büfte; der Zug begab fih zum Traualtare hin, und 
Eberhard eilte jet fort, um aud bei diefer „Gelegenheit 
thätig zu fein. Er hatte alles mit John Brown und fei- 
ner Frau, die mit im Gefolge waren, abgeredet. Sobald 
das Paar eingefegnet wäre, fagten fie, würde Cordula 
ſchnell voran nad Haufe eilen, um die nötbigen Anftalten 
zum Empfange der jungen Eheleute zu machen, die heute 
bei ihr zu Mittag fpeifen follten. John Brown und feine 
Frau wollten fie daun durd ein altes‘ gothiſches Gebäude, 
ein ehemaliges Kiofter, führen, wo man durch einen langen 
gemwölbten Bang einen Lürzern Weg nad) Gordulas Woh- 
nung machen Lönnte, Hier folte ihr Eberhard dann in fei- 
ner Vermummung begegnen. 

‘Schon kam die ſchoͤne Miß mit ihren Zreunden den 
langen Kioftergang eilig herauf, als fie auf einmal vermun“ 


176 Das Blumenmädchen und der Mönch. 


dert Me Mand, und rief: Mein Gott! Harcket, Acht Du | 
aut den alten Monch dort, in brauner Kutte, mit einem 
Strick um den Leib, mit dem Blumentorbe in der Hand, 
der uns enfgegentömmt? Gr fieht ja leibhaftig aus, wie 
der Zrater Lorenzo in Romeo und Julia. Träume in 
oder wach’ ih? — 'Iopn Brown Hat die junge Big, fih 

nicht zu entfeßen, und. mar näher zu treien, das Näthfel 
werde ſich Bald löfen. — Eberhard ging ihr, Tangfamen 
Schrittes entgegen. Bei einem Fenſter, wo die Geſchichte 
Nebeftas dei der Quelle mit bunten Farben ins Glas ger 
brannt war, und wo eben die Sonne herein fhien, und 
ein warmes Farbenlicht in den fühlen Gang warf, begeg- 
neten fie Sch. — Der Möndy reichte ihr feinen Korb vol | 
frifher Veilchen und ſprach · 


Die derche fingt, der feifche Morgen lacht 
Der frühe Wärı Hat feinen Eemnd gebracht. 
In jungen Gräfern Nand das Seilchen blau, 
Und zittert eben, blaß in Morgenthau. 
Lorenzo, den die Blumen ſtets entzückt, 
Zrägt fie in feinem Korb hier abgepflädt. 
Im Kioftergarten ſtedt er, veicht ſie dar 
Dem deſten MRäbien, wie nicht eine war. 
Die fhönen Rinder Hat er aenn geliebt, 
Und Zutiens Serickjal dat ihn Gef betrübt. 
Doch Heute fpielt mit Wlumengift er wicht, 
Wie in des Stammdsren trefichen Gedicht ; 
- Mein Betten iſt unfchuldig, bläulich votß, 
Im feinem Reiche lauert micht dee Tod; 
Die Hoffnung duftet freudig aur deraus, 
Und frifche Siebe Rärkt den Blamenſtraud. 





Ende gut, alles gut. 177 


Richt Eiſengitter heut, nicht Marmorfarg 
Dad Glaͤck des Lebens meuchlerifch verbarg. 
Geſund und offen weit die Kirche glänat. 
Die Liebe feat, der Dichter if befränt; 
Durchs alte Rlofgigpnfter, bunt und lang, 
Echeint Sonne, tönt der Bögelein Gefang; 
Und wieder felig, feinem GBlüde nah, 

Küßt Momeo feine füge Julia. 


Oben auf den Veilchen lag das in Diamanten gefaßte 
grüne Glas, die Scherbe der Wartburg. mit den Worten: 
Eherhard, Deine Cordula Icht. Kaum hatte er zu ſpre⸗ 
hen angefangen, fo erkannte fie ihn, und der von Liebe glü⸗ 
bende Jüngling drüdte das vor Freude zitternde Mädchen 
an feine Bruſt. 


23. 
"Ende gut, alles gut. 


Sobald Eberhard feine Cordula Frau nannte, dachte 
er nur daran, nad Zelfenburg zurüdzutehren, weil die 
Schöne, ihrer blühenden Jugend odnerachtet, nicht gut das 
Clima in England vertragen konnte. Kapitain Horn hatte 
ihm vor feiner Abreife mit der hollaͤndiſchen Garnifon ges 
ſchrieben, dag er ihm ein gutes Schiff mit einem braven 
Eifer fenden würde, um ibn und feine Frau nad Fels 
fenburg zu bringen. " 

Seplenf. Scheiften. xXVIII. 12 


178 Ende gut, alles gut. 


Sobald das Schiff auf der Themſe las, ſchifften ſich 
die jungen Eheleute ein, ihre Freunde auf der Infel im 
Südmeere nad) Verſprechen bald wieder zu fehen; und mir. 
eilen, eben fo fhne wie fie, dieſe Gefchichte zu endigen, 
die ohnedem fen der Leſer zu ag finden mag. 


Ibre Reife war glüdlih, und fie litten beinahe nichts 
von Sturm und Gewitter. Schon waren fie in den ge⸗ 
wunſchten Gewaͤſſern, und hofften alle Tag? die Infel zw 
feben, als Eberbard zu feinem Schreden eine Entdedung 
machte, die ihn gleich, dazu trieb, ohne Zaudern die Scha⸗ 
Iuppe mit Bettlleidern, Lchensmitteln und andern Noth- 
wendigfeiten zu verfchen, und ſich mit feiner Cordula nebſt 
Henri Schlent in Gottes Namen von zwei theuer bezahle 
ten Ruderknechten nach der nächſten hoben Kippe rudern 
zu laffen, die fih in der Ferne zeigte, in der Hoffnung, 
dag diefe Steinmafle zu den Felfenburgifhen gehöre. Wenn 
fie aber au ganz fremd wäre, wollte Eberhard dod He 
ber auf Gerathewohl dahin Meuern, als auf dem Schiffe 
bleiben. 


Bas konnte nun den zaͤrtlichen Ehemann dazu treiben, 
feine geliebte Cordula diefer Gefahr auszufegen? Denn 
der. Weg dahin war ziemlich lang, die See ging hoch und 
der Abend graute. — Bar das Ehiff leck geworden? 
Mein. Bar eine Meuterei wieder zu befürchten? Auch 
nicht. Aber ein weit ärgeres Ungeheuer als der Scharbod 
und die Geefrantpeit hatte fi diesmal am Bord einge- 
ſchlichen. Eberhard entdedte nämlich, dag ein Matrofe an 
den — Kinderblattern Trank Siege! Cordula hatte diefe 
abſcheuliche Krankheit noch wicht gehabt; die wohlthätige 
Entdetung, die jeht fo vielen Menſchen Leben und Geſund⸗ 


Ende gut, alles gut. 179 


heit rettet, war noch gicht gemacht; und mir verſtehen alfo 
Ebethards Eile und Verwegenheit ſehr gut. 


Der Weg dahin war nicht ohne Gefahr, allein die 
Nudertnechte, Eherhard und Heinrid) Tirengten fih an. Es 
war duukle Nat geworden, als fie in eine Bucht einlier 
fen, die tief in eine Felfengrotte führte. Der Mond ſchien 
nur fo ſchwach durch eine Nige, daß fie mit genauer Noth 
einen trodenen Fed zum Nachtlager auffinden konnten. 
Sie hüllten ſich in ihre Betten, und ermüdet von der Ans 
firengang und der Gemüthsbewegung ſchliefen fie gleich ein; 
denn Erfrifhungen hatten fie ſchon im Boote genoffen. 


Eberhard erwachte früh, ſah Ab um im großgewolb⸗ 
ten unbefannten Raum, und glaubte noch zu träumen. Es 
ſchien ihm, als befände er fih in einem runden Tempel, 
wo zwölf toloſſale Statuen und Gruppen umher ftänden, 
von der Mergenfonne fhön erleuchtet. Sie waren ziemlich) 
gut gemacht. Das Steife und Bizarre einer darbariſchen 
Beit verband fi) charakteriſtiſch mit einem Anſtriche griechi⸗ 
ſcher Formfcöndeit, und Attribute, als Schwerter, Ham- 
mer, Spieße, Harfen, Blumen und ehren zeigten, dag 
diefe Bildfäufen mythiſche Allegorien vorftellen follten. Das 
Bett Eherhards und Gordulas, im füdlihen Theile des 
Tempels, dien ihm gerade unter einer folden weiblichen 
nadten Figur gemacht zw fein, der fhönften der ganzen 
Reihe. Cie faß in cinem Meinen zweirädrigen Wagen, mit 
Zigerkagen beipannt, und bielt eine Roſe in der Hand, als 
Mieder Hatte fie ein leichtes Federkleid, das dech weder 
Brut noch Schulter, fondern nur einen Meinen Theil des , 
Nüdens und des Leibes bedecte. Ihr zur Linken in We⸗ 
fien faß ein gemüthlicher bärtiger Mann, dur die Harfe 


180, Ende gut, alles gut. 


flug, ihm zur Seite ftand eine hübſche junge verſchämte 
Frau, mit nicdergefhlagenen Augen, und mit einer file 
bernen Schaale voll goldener Aepfel in der Hand, In 
Dften faß auf einem etwas erhöhten Sie ein fchr ver- 
ſchißter vierfrötiger Greis mit langem Barte; auf fei- 
nen reiten Schultern flatterten zwei Naben, die ihm et⸗ 
was in die Ohren zu raunen fhienen. Er hatte neun Nar- 
ben an der kablen Stirn, und einen langen Spieß in der 
Hand. Ihm zur Rechten fland eine Figur, die am fleißig« 
fen und mit der größten Liebe ausgearbeitet f&ien. Ein 
fräftiger Krieger, mit zornigem, vermegenem Geſichte?? In 
feiner Rechte, woran er einen Handſchuh trug. hatte er ei» 
nen großen Streithpammer, und um den Leib war ihm ein 
ſchones Mieder geſchnallt, font war er nadt; mur daß er 
einen Helm trug. Zwiſchen diefen vier Hauptfiguren waren 
immer zwei andre, die Eberhard nicht reiht erkennen konnte, 
denn der Traum verſchwand, und er fhlief wieder ruhig. 
Als er aber die Augen aufs neue aufſchlug, hatte er den» 
felbigen Traum, und hörte zu feinem größten Erftaunen 
folgenden Gefang, der ibm von der Gegend des Tempels 
zu kommen ſchien, wo der Gort mit der Harfe faß: 


68 lieget fern von Norden eine weitberühmte Stadt, 
Auwo die fchönfte Kaiferin dem Wolf geboten hat. 
In Dänemark und Rormeg wol Muflegard genannt, 
Sonft als Gonflantinopel der ganien Welt befannt. 





Die Stadt if voler Pracht, voler Kunft und Genuß, 
Die Männer gehn in Purpur, im hoͤchlten Meberfluß : 
Doch wol ein großed Kieinod befügen fe dort nicht. 

An Ghrlicgfeit und Treu’ cd den Griechen febe gericht. 


D 








Ende gut, alles gut. 


Gar meuchleeifch fle wüthen, in Yalaft und Haus, 

Es gechen ſich Die Brüder die Augen immer aus. 

Sie trauen fich nicht felber: von Norden kamen her 

Die Heldenfchnar der Wäringer, Dei freuten fe fich ſede. 


Denn Harald Haarderande, ein wunderfamer Held, 
In Borden hodhgepriefen, wie in der ganzen Belt, 

Sin Königfohn von Drontheim. ihm folgten wir fo gern; 
Und wo die Schrotrter blintten, da waren wir ‘die Derr'n. 


Doch Harald und Georgius vertrugen ſich nur fchlecht: 
Der Degen der Rormannen war dem Griechen nicht recht; 
Gr forte mit ihm theilen die Che’ und auch dad Gut: 

Da ward dem Muftegarde gar fchlecht au Muth. 


E trennten ſich Die Meten. Rachher es gefchah, 
Achtsig große Städte im heißen Afrika 

Gewannen wir mit Beute; die Feinde lagen todt. 
Da färbten wir mit Blute die Schübesränder roth. 


Doch einige der Degene die fegelten zur Stund 

Auf langen goldnen Drachen, durch fhmalen Ridrvafund *) 
Da Hat dir harte Megie und hingeworlen fern; 

Bir kannien feine Küfe, iulept auch feinen Stern. 


Un biefen hohlen Felſen wir landeten zulebt 

Da Haben in der Ginfamfeit wir feit und geſebi. 

Was hatten in den Schluchten bie Schwerter mehr zu hun? 
Da brauchen wir Die Hämmer, dad Schwert fonnte ruhn. 


*) Die Straße bei Gibraltar. 


181 


182 Ende gut. alles gut. 


Gigil unfer Führer, er Aammt vom großen Schmid 
Baulandur dem viel Zrefflichen, er brachte Zangen mit; 
Die Zeit und in vertreiben, zu freuen unfer Gert, 
Bir Hämmerten die Götter aus heüblanfen Erz. 


Wir Yalfen ihm gewallig; nach vieler Jahre Zeit 
Entftanden die zwölf Mien, in liter Herrlichkeit ; 
Recht wie die Marmorbäder im Gircud dort in Kom, 
Und die Hiefengötter von Eri im Hipyodrom. 


Noch find wir feine Heiden; wir beten ie nicht an; 
Gedenten nur, mas fonft im der Borjeit fie gethan: 
Da fanden fie den Bütern mit ihrem Schnpe bei, 
Des danken wir noch Odin, noch Thor und noch Frei. 


Sonft Haben wir befländig zu letter Lebenäfrifl, 
Imbrünftig angebetet den weißen Jeſus Chriſt. 

Er ſchent· und nach der Heimat die bald’ge MWicderfedr. 
Alle wir @lenden, wir fehnen uns fo fehr. 


Pod) follen wir verſchmachten. fol modern das Gebein 

Der tremen Rorden ſohne auf fernem Fefenfein, 

&o fage dieſes Denkmal dem Fremden, der ſich naht: 
„Bier haufen auch Rormannen, und da 6 war ihre Apat!“ 


Eherbard hatte fi während des Liedes völlig über 
zeugt, daß er nicht träume, fondern dag alles reine Birf- 
lichteit fei. Jeßt faunte er aber noch mehr, denn er glaubte 
deutlich, Lademanns fhöne Tenorftimme zu erkennen. Cor» 
dula mar indeß erwacht, und madte große Augen. Der 
Tempel war nun ganz erhellt, und droben in einem Gange, 





Ende gut, alles gut. 183 


der wie eine Gallerie den Tempel umgab, ſahen fie Schnüre 
in die Kreuz und Quer gezogen, worüber eine ziemlich cor« 
pulente Frau reine Waͤſche zum Trocknen aufbing. 

Bei Gott, das iſt Hanna Heilkraft! rief Eberhard. — 
Ia fürwabr, fagte Cordula, und Lademann hilft ihr bei 
der Arbeit. — So find wir dod nad Felſenburg gekom⸗ 
men, meine Cordula! Aber, wie ift diefer Tempel bier 
entftanden? den wir vorher gar nicht kannten? Die Nor⸗ 
mannen fönnen doc in unferer Abweſenheit nicht bier ge» 
landet fein, und alle die Erzbilder gemacht haben. 

Sieh, Hannal — rief Lademann droben auf der Gal- 
lerie; — fo wahr id) lebe, liegen nicht drei Menſchen auf 
Matragen, drunten im Tempel, und im Boote, am Pfahle 
gebunden, find zwei Matrofen. — So haben fie denn auch 
noch diefen Winkel aufgeftöbert, fagte Hanna Hellkraft ver 
drießlich. Man kann ſich doch nirgends vor dem neugieri⸗ 
gen Menfhengefindel verbergen! Ueberalt wollen fie ihre 
Nafe haben. — So wahr id Ihe, Hanna das find Eber- 
bard und Cordula. — Ei warum nicht gar? Träumt Ihr 
nun wieder, Lademann? — Nein, nein Hanna, er träumt 
nicht. rief Eberhard, und ſtrectte die Arme gegen fie aus; 
Cordula und Eberhard find wirtlich da, 

Nun, feid Ihr endlich da! verfepte Hanna ganz gelaf- 
fen, und es klang beinahe wie ein Vorwurf: Warum feid 
Ihr nicht früher gelommen? Aber die Freude leuchtete ihr 
aus den Augen. — Wartet nur, fo wollen wir gleid) au 
Euch hinunter kommen. 

Nach einem herzlichen Gruße erzählte ihr Eberhard 
alles, was ihm in der Abweſenheit begegnet war, und fie 
wollte ihm auch gleich alles fagen; allein Lademann, in dem 
eine Künftierfeele lebte, konnte nicht zugeben, dag die ſchöne 


184 Ende gut, alles gut. 


Ueberraſchung auf ſolche Weiſe unpoetiſch geſchwächt werde, 
und gebot Stillſchweigen. So folgten die jungen Eheleute 
ihm und Hanna einen ziemlich langen Hohlweg, den Berg 
binunter, durch den grünen Wald, nad einer ſchönen, 
fruchtbaren Ebene, wo fie zwei allerliebſte Häufer mit Gaͤr⸗ 
ten und einigen hohen Bäumen vor fid) fahen. 

Augen, vor der einen Hausthüre ſaß Wolfgang auf 
der Bank, und ſpielte mit einem fhönen Knaben auf dem 
Stpooge, der ifm mit den Meinen Händen immer den Bat- 
Fenbart zaufen wollte. Ihm gerade gegenüber. faß Litberg 
am Fiſche, und war mit der Zeichnung eines alten Runen» 
feines beſchaͤftigt, der vor ihm aufgefellt ftand. 

Und jept, licher. Eberhard, ſprach Lademann ſchnell. 
als fie einige Bäume wieder verbargen, will ich mit weni⸗ 
gen Worten das Näthfel löfen, damit mir Herr Litzberg 
nicht nach Gewohnheit das Wort aus dem Munde reißt, 
fobald er uns ſieht. Und von ihm erfahren Sie doch in 
der erten halben Stunde nichts Gefeidtes; denn je neu- 
gteriger Sie werden, je mehr wird er Sie mit Nedereien 
und launenbaften Einfällen aufhalten. 

Bir find nicht bier auf Groß» fondern auf Klein« 
Felſenburg. Als die Große Infel ihre Selbſtſtändigkeit 
verloren hatte, und die Gährung der Gemüther nicht auf 
bören wollte, mochten wir nicht länger da bleiben. Bolf- 
gang, Ligderg, Hanna Hellfraft und id, find nach diefen 
ſchoͤnen abgelegenen Thälern gezogen, wo mir wieder als 


glüctihe Einfiedler leben, ohne an den Eitelfeiten und _ 


Streitigkeiten der Welt Teil zu nehmen. Magifter Shmel- 
zer mußte drüben bei den Einwohnern bleiben, um ihnen 
das Wort zu predigen; und fie Finnen cs nöthig haben. 
Diele der Landestinder werden vermuthlich mit ihrem Gelde 


Ende gut, alles gut. 185 


Wenn die Schäge find jegt alle vertheilt) nach Europa oder 
Nordamerita ziehen, fobald die Holländer Grop- Felſenburg 
in Befig nehmen, 

Hier hat Herr Ligberg in Ihrer Abweſenheit zwei fehr 
gute Häufer gebaut! das eine für Herrn Wolfgang und 
feine Frau, das zweite für Sie, wenn Sie einmal glücklich 
wieder zurüdfehren follten. Lißberg wohnt bei Wolfgang. 
Hanna Helltraft und ih bewohnen ein Paar Stübchen in 
Ihrem Haufe, die (hönften Simmer ftehen aber immer be- 
teit, um, wenn cs fein foll, Eberhard und feine liebe Er 
dula zu empfangen. 

Die Häufer waren fon gebaut, und wir hatten diefe 
Infel eine Weile bewohnt, ehe mir noch den nahen Tem- 
pel im hohlen Felſen entdedten. Weitläufige Gänge füh- 
ren dazu durch den Berg, von der Landfeite, und fein 
Stift naht fi der Küfte dort von der Serfeite, weil der 
Grund vol gefährlicher Scheeren it. Cie, licher Eber- 
hard, find ohne es zu wiffen auf ihrem Boote glüdlih, al- 
len diefen Gefahren vorbei, gleich ins Heiligthum bineinges 
fegelt. Und wir Andern können es einem alten Freunde 
von Ihnen danken, dag wir das Geheimnig auf dem Trod- 
nen fanden. — Bie fo? fragte Eherhard, — Erinnern Sie 
ſich nicht, dag Cie mir beim Abſchiede, als Sie nichts über 
den Verluſt Ihrer Cordula tröften konnte, Ihren Pudel, 
den treuen Sucverloren anvertrauten, bis Sie wieder fir 
men? Einem unglüdlihen Liebhaber muß man etwas zu 
gute Halten; cs war aber nicht Net von Ihnen, Fieber 
Eberhard! Denn das treue Thier war nahe daran, vor 
Sehnſucht zu fterben; und ich hatte ihm ſchon ein ſchlichtes 
Grabmal unter dem Baume zugedacht, wo der felige Al- 
bert Julius, der Sage nad), den Meinen Beautiful begrud. 


186 Ende gut, alles gut. 


Such verloren erholte ſich aber, nahm mit meiner ſchlechten 
Fürſorge vorlieb, ſchloß ſich an mich an, und ſchien beſſere 
Tage in der Zukunft zu hoffen. Er hat hier den Heiden- 
tempel, eben wie vormals die Guanchenhoöͤhle auf Teneriffa, 
enidegt. 

Einige ſilberne Platten, die wir im ſteinernen Zimmer 
fanden, gaben Aufſchluß, daß bier mehrere Nordenhelden 
ſchon im eilften Jahrhundert gewohnt haben. Naher da« 
ben wir, drunten im Thale, ihre Runenſteine und Grab» 
mäler gefunden. Ein isländifher Matroſe, eigentlich ein 
verunglüdter Stüdent, der das Ichtemal als Kapitain Horn 
bier war, Erlaubnig befam, auf Groß-Zelfenburg jurädzus 
beiden, hat Herrn Lißberg trefflich geholfen, das alte Lied 
und die Sage, wie fle auf den Silberplatten geſchrieben 
ſtehen, zu überfeen. Nachher haben wir Ale dazu gebole 
fen, das Lied im deutfhe Reime zu bringen. Der Isländer 
hat mid eine alte nordiſche Melodie dazu gelehrt, umd ich 
finge es gern drunten im Tempel, wo der heidniſche Dich-⸗ 
tergott Bragi bei der Harfe figt, und feine Frau Idun, 
mit den Aepfeln der Unſterblichkeit bei ihm ſteht; weil das 

Echo da fo ſchoͤn ift- 

Allein, liebe Hanna, fragte Cordula neugierig, wie 
fömmft denn Du dazu, in diefem alten Heidentempel zu 
waſchen, und Zeug aufzuhängen? 

Weil da eine warme Duelle fließt, antwortete Hanna, 
die mir die Arbeit fehr erleichtert. Der Ort ift auch bes 
quem als Obdach gegen Regen und Hitze, obſchon etwas 
fhaurig. Lademann geht aber immer mit; er ift jeßt mein 
Kind, und bei der Arbeit fpielt er mir meiſtens etwas vor 
auf der Harfe. Ich mag, während der Arbeit, wohl die 
alten Göpenbilder betrachten, die mid mit ihren Bär 


— — — — 


Ende gut, alles gut. 187 


ten und Hämmern gar wunderbar anfehen. Ih muß da- 
bei am den Todtentanz in der Kirchhofhalle bei Leipzig den- 
ken, wo id) aud oft faß und ſpaun, während Eberhard bei 
mir war, und etwas erzählte. Ieht it Lademann mein 
Eberhard geworden, denn der andre bat ſich eine ſchöne 
Junge rau genommen, und kehrt ſich den Henker mehr an 
die alte Hanna Hellfraft. 

Dui Hanna, mie fannft Du dod fo reden! rief Eher 
bard fie umarmend, licht man denn feine Mutter weniger, 
meil man ihr @ ſchoͤnes Schwiegertöchterchen zuführt? 

Jetzt hatte fie Lipderg mit feinen Falkenaugen in der 
Gerne entdedt. — Bei Gott, rief er, da kommen fie. — 
Ber? fragte Wolfgang, das Kind hinunterfegend. — Eber- 
bard und feine Braut. — D mein Gott, Sopbie.., liebe 
Sophie, rief Wolfgang, komm' heraus! Sie find da, un 
fere langerfehnten Freunde, 

Stille! gebot Litzberg laͤchelnd, wir wollen ihm einen 
Schabernack anthun. Bir wollen den guten Eberhard ein 
klein wenig foppen. — Gleid wieder foppen! ſprach Wolfe 
gang, unzufrieden. Nur einen Augenblick, Herr Kapitain,, 
damit das Vergnügen nod größer werde. J 

Wolfgang mußte das Kind wieder auf den Schooß 
nehmen, und den Kommenden den Rüden zu kehren, Lipe 
berg faß in feine Arbeit fo vertieft, dag Eberhard ſich ihm 
leiſe nähern und auf die Schulter Mopfen konnte. — Lip- 
berg blidte auf, fab Eberhard an, und ohne eine Miene 
zu verändern, noch aufzuftchen, fagte er, ibn phlegmatiſch 
anftarrend und beim Uhrbande faffend: Ei, mein lieber 
Eberhard, da haben Sie ja ein neues Signet in Ihrem 
Uprbande bekommen! — Eberhard ftaunte ihn an — in 
diefem Augenblide fprang aber der Pudel, der feinen alten 


188 Ende gut, alles gut. 


Herrn gerochen hatte, aus der Hausihüre ſchnell heraus auf 
den Tiſch, wälzte die Schaale mit Tuſch über Litzbergs 

Zeichnungen, feßte die Pfoten auf die Schultern feines 
Herrn, und ledte ihm Hände und Stirn, während er in 
einsfort Kipberg mit dem Wedel ins Geſicht flug. 

. Das fhadet Euch nicht! rief Wolfgang. Der Hund 
beſchamt Eud, er empfängt feinen alten Freund herzliger 
als Ihr. — Bas kehr' ich mic am die Zeihnung. die kann 
ich wieder machen; rief Lißberg, ungeduldig Wolfgangs 
Umarmung abwartend, damit er feinen Men Neifegefähr- 
ten auch umbalfe. Gott fei Lob, ih habe ihn wieder! Wic- 
der Iemanden, mit dem ich ic alle Tage zanten und aus- 
gleichen kann. Hier gaben die langweiligen Menſchen mir 
im Disputiren immer Recht. Ich will aber nicht Recht ba- 
ben, und fie follen es aud nicht haben, denn kin Menſch 
bat ganz Recht, nod ganz Unrecht. Hätte das länger ge- 
"dauert, ih wäre crepiert wie eine Karauſche, die man aus 
dem Schlammteiche herausnimmt, und-in ein Glas Mares 
Bafler feßt. 

Lieder, lieber Eberhard, rief Wolfgang, fehen Eie 
doch! Da ift noch ein Albert Iulius! Er gebt mit Fall- 
but im Slügelkteide, und id) habe ihm; eben ein Eteden« 
pferd geſchnitten. Sophie, komm’ doch heraus! Eberhard 
und Cordula find da. Eine fhöne Frau dffnete die Haus- 
thür und flog der unerwarteten Freundin in die Arme. 

Heinrich Schlenk hatte ſich indeß Teife nachgeſchlichen 
und machte im Hintergrunde wit dem treuen Rudolph 
Wr rgangs Diener, Belanntihaft, den wir aus feiner Le⸗ 
bensbefcpreibung kennen. 

Iept brachten die Klein» Zelfenburger die Neuantom- 
menden in ihr fhönes Haus, wo Eberhard in der Wohn ⸗ 


Ende gut, alles gut. 189 


ſtube Luthers, Shatkeſpeares und: Alberts Bilder an der 
Band hängend fand. Das gelbe plüſchene Canapre aus 
Leipzig, und das Bild feiner Mutter waren aud da. — 
Im wohlbetannten Schrank lagen die Upr, die verblichene 
Styleife, nebft andern Reliquien. 

Eberhard und Cordula fnieten vor dem Bilde des ehr⸗ 
würdigen Altvaters nieder: O mein licher guter Stamm« 
vater Albrecht Julius, rief er, Dein Enkel ift jest fo glüd- 
lich, mie Du es warft. Nach vielen Widermärtigteiten hat 
er feine Cordula, wie Du Deine Concordia, gewonnen. Ein 
unſchuldiges, freiss, idylliſches Lehen, das befte Zoos des 
Menſchen fängt wieder an. Möge Dein Geift, mit den 
Geiftern meiner Mutter, Luthers und Shafefpeares uns 
umfAweben! damit wir, wie Du, das Leben geniegen, mit 
Shatefpeares Auge in die Welt fehen, und mit Luthers 
Herz den Himmel ahnen.