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WIENER ERANOS
ZUR FÜNFZIGSTEN VERSAMMLUNG
DEUTSCHER PHILOLOGEN UND SCHULMÄNNER
IN GRAZ 1909
WIEN
ALFRED HOLDER
1909.
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641272
Alle Rechte vorbehalten.
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rPAMMATIKHA HAfAßN TE AIAASKAAIIIN SOa>()l AMPE2
ASHASIOI XAOEPAS ASTf TOAE SirPIAS
HAÖET' A0HNAIH2 AE BIENNAIHS EPANISTAI
XAIPEIN nOAA' rJVIIN TQIAE AEPOrS' EPANQI
Q2 Ea>' OMO<I>POSrNHI 6' OMOE0NEIHI T'ArAnHTOIS
KAI nEPl KAAAIXTÜN SrMMAXIHI nOAEMOr.
iMiAi/r.
Seite
I. Th. Gomperz, Philodem und die aristotelische Poetik 1
II. H. V. Arnim, Pindars Päan für die Abderiten 8
III. S.M ekler, Zur Farce von Oxyrhynchos 20
IV. A. Kappe 1 mach er. Zu den Kretern des Euripides 26
V. A. R. V. Kleemann, Piaton und Prodikos 38
\1. M.Ni stier, Die Gedankenabfolge in der pseudoxenophontischen lli9'?;»'a«(>j'
Tcolneia und die UmsteUungsversuche 55,
VII. K. Mras, Lueian und die ..Neue Komödie" 77
VIII. K, Burkhard, Johannes von Damaskus' Auszüge aus Nemesius .... 89
IX. .T.Keil, Meter Hipta 102
X. R. Weißhäupl, Die Brunneninschrift von Lusoi . 104
XI. J. Weiß, Eine Brunneninschrift aus Adamklissi (Dobrudscha) 114
XII. P. Kret Schmer, Zur griechischen Wortkunde 118
XIII. A.Wilhelm, Parerga 125
XIV. W. Weinberge r, Die griechischen Handschriften des Prinzen Eugen von
Savoyen 137
XV. R. Kauer, Textkritisches zu Terenz 145
XVI. A. Engelbrecht, Zu Catulls Passer 150
XVII. E. Kaiinka, Catulls LI. Gedicht und sein Sapphisches Vorbild .... 157
XVIII. K. Prinz, Zu Properz 1G4
XIX. H. Jurenka, Horatiana 175
XX. R, C. Kukula, Die sechzehnte Epode des Horaz 179
XXI. F. Ladek, Die römische Tragödie Ociavia und die Elektra des Sophokles 189
XXII. A. Scheindler, Eine noch unbenutzte Sallusthandschrift 200
XXIII. E.H auler, Zum Sendschreiben des Catulus und über die Consilia des Asinius
PoUio 213
XXIV. J. Kromayer, Heirkte. (Mit 5 Abbild, u. 1 Karte) 225
XXV. J. Mesk, Der mauretanische Feldti^ug unter Antoninus Pius 246
a
— VI —
Seite
XXVI. E. Groag, Alexander in einer Inschrift des 3. Jahrhunderts n. Ch. . . . 251
XXVII. A. V. Premerstein, Die Dreiteilung der Provinz Dacia 256
XXVIII. L. "VVenger, Zu den neuen Oxyrhynchus Papyri 270
XXIX. St. Braßloff, Der Amtstitel der städtischen Quaestoren 277
XXX. .1. Scholz, Ein Beitrag zu den Münzen von Grimenothyrae-Phrygiae . . . 283
XXXI. L Radermacher, Der Knäuel Ariadnes 285
XXXII. E. Reise h. Zu den Friesen der delphischen Schatzhäuser. (Mit 1 Abbild.) . 293
XXXIII. P. BieükoAvski, De ephebi Attici capite Cracoviensi. (Cum 8 üg. et 1 tab.) 302
XXXIV. H.Sitte, Zur Niobide der Banca Commerciale 307
XXXV. E. Bormann, Aus Pompeji 309
Register 317
Erklärung der Titel vi gn et te ^4
Philodem und die aristotelische Poetik.
Von
THEODOR GOMPERZ.
Die Wahrnehmung, daß in des Epikureers Philodem Werk „Über
Gedichte" eine Polemik gegen einige Grundlehren der aristotelischen
Poetik enthalten ist, habe ich einst in einem Bericht über die herkula-
nischen Rollen (Zeitschr. für die österr. Gymnasien , 1865 , Heft 10,
S. 719 f.) verzeichnet. War es die Schuld meiner allzu zaghaften An-
deutungen oder des Mangels an breiterer Ausführung meiner Ergebnisse
— jedenfalls sind diese, so viel ich sehen kann, vollständig unbemerkt
und unbeachtet geblieben. Ich glaube daher, auf die nicht aller Wich-
tigkeit entbehrende Tatsache noch einmal in etwas größerer Ausführ-
lichkeit zurückkommen zu sollen. Inwieweit der betriebsame epikureische
Literat mit dieser Bestreitung aristotelischer Theorien auf eigenen Füßen
stand, inmeweit er einer Schultradition gefolgt ist, das wird sich mit
den uns zu Gebote stehenden Mitteln schwerlich entscheiden lassen ;
daß aber seine polemischen Äußerungen auf Aristoteles gemünzt sind,
das läßt sich, wie ich meine, mit voller Sicherheit erweisen, nicht
minder, daß sie wirkliche Schwächen und Einseitigkeiten der aristo-
telischen Kunsttheorie mit sicherer Hand aufdecken.
Es handelt sich um die Trümmer eines Bestandteils des obge-
nannten Werkes, die Voll. Hercul. Collectio Altera II. Fol. 148 bis
158 nachgebildet sind. Das mir vorliegende Faksimile des Oxforder Apo-
graphon dieses Papyrus, Nr. 207, enthält dieselben Blätter mit Ausnahme
der Kol.II. Wie gewöhnlich ergänzen sich beide Abschriften, doch ist die
Überlegenheit von 0 diesmal weniger offenkundig als in den meisten Fällen.
Sogleich im Titelblatt kompensieren sich Vorzüge und Mängel der beiden
Abschriften. Die in N erhaltenen Reste der Buch zahl (J mit einem
Wiener Eranos. 1
— 2 —
darüber geschriebenen ^, d. h. wohl: vierte Abteilung des ersten
Buches) fehlen in 0, während in diesem die Zeilenzahl durch den
erhaltenen Oberstrich des 77 vor J (d.h. 50) nach dem gleichmäßig
erhaltenen . . . XX = 2000 deutlicher bestimmt wird. Die Anordnun«:
und der Bestand der Blättchen weist Abweichungen auf, indem K II
in 0 fehlt, NIY = OIL X V = 0 IV, X VI = OV, X YII = 0 VI,
X VIII = 0 VII, X IX = 0 VIII und X X = 0 IX ist. Dieses scheint
das letzte Blatt des Buches gewesen zu sein, da das stets am Schluß
befindliche Titelblatt in 0 mit 10 bezeichnet ist. Da zwar jedesmal
der Oberrand, in keinem einzigen Falle aber der Unterrand und wohl
kaum jemals mehr als die Hälfte der Kolumne erhalten ist, so wäre
es ein vergebliches Bemühen, den Fortgang der Erörterung ermitteln
zu wollen.
Es war vor allem die nicht ohne eristische Beflissenheit durch-
geführte Vergleich ung von Epos und Tragödie im Schlußkapitel der
Poetik, die den Widerspruch des Epikureers herausgefordert hat. Ich
hebe zunächst die entscheidende Stelle hervor und setze ihr die ent-
sprechende aristotelische Äußerung gegenüber.
Kol. VI X = VO Mitte
12 ovdt 7tdv(r)a
13 iv T:i]i rqa(y)widiai (a) zal
14 iv i'/c(el)vijL^ ToivavTiov
15 d^ oi'x vTtaQyuv^ dXXä tä(f.i-
16 7caXiv df^wd-r^fd-f oaa neQi-
17 kaf.ißdveiv (fvaewg eqya
18 y>a(l) tv/rig yial d^ewv ymI tcuv
19 r)o(Sa)7tcov Ccüto(v) a
20 od övvad-^ fj rQaycüL(dlJa^
21 7th)p e(7z d)/dy(ov . . .
Aristot. Poet. c. 5 fin: a uiv
yaQ tTtoTtOLia iyßi^ vTtaQxei tij tqcc-
yoßdlcc^ a de avti]^ od Ttdvta iv r[]
STtoTtoua und c. 26 (1462a, 14 f.)
eTieira diön (1. ian d^ ijtel rä)
Ttdvr^ i'xei oaa tieq i] iTCOTtoila
(nämlich die Tragödie steht höher
als das Epos, wenn gewisse, ihr
im Vorangehenden vorgeworfene
Fehler ihr nicht mit Xotwendig-
keit anhaften und sie überdies die
nachfolgenden Vorzüge besitzt).
Ich hcibe in diesem wie in den später mitzuteilenden Textes-
stücken die Lesarten von X und 0 kombiniert, die Ergänzungen von
Lücken und an einer Stelle auch die Berichtigung einer, wie ich
annehmen muß, irrtümlichen Schreibung in runde Klammern ein-
geschlossen. Mein a in Z. 13 nämlich beruht auf Konjektur, da nur
X eine Lücke, 0 hingegen ein T mit darauffolgendem leeren, für
einen Buchstaben ausreichenden Raum darbietet. Liegt hier nicht ein
Fehler Hayters oder meines Kopisten (Cohen) vor, so stand im
Papyrus wenig sinngemäß: ovdi Ttdvta | iv rf^i xqaycodiai %e xal iv
iyMvrii. Buchstabenreste, die nur eine Deutung gestatten, habe ich
durch die entsprechenden unverstümmelten Buchstaben ersetzt. Hier
ist die Entscheidung freilich nicht immer eine unbedingt sichere. Das
zweifellos richtige TtavtodaTtdjv Z. 18/9 habe ich aus Resten gewonnen,
die in N wie folgt aussehen: Tl^N \ . NO . . uiE^JSy in 0 hingegen:
n^N I . . NommiN.
Um zunächst den Zweifel zu beschwichtigen, ob hier in Wahr-
heit die von mir vorausgesetzte Polemik vorliegt, will ich denselben
Parallelismus zwischen dem Inhalt des unmittelbar vorangehenden
Bruchstückes mit einem anderen Teil jener aristotelischen Erörterung
nachweisen.
Kol.YX = IVO
13 ä'llä fiir^v zal tö) Xe-
14 yeiv xbv ri(Q)wiov o(TL)yov (dv-
15 %i Tcöv TQCcyr/.cüv i(x£0^'-) (o^'^-
16 y.)ei(a)9^aL yaQ ex 7zävT(o)v ^le-
17 rQco(i' T)t)p TQaya)td(la)v . . .
18 .... dL(8)xpevoiai ....
19 (oci)xoLS xrii xa-
20 Taöxe(v)r^L Ttaqä Tolg 87to(7toi-
21 olg zdv) Talg TQayv)(iöiaig
Aristoteles 1.1.1462 a 15
xal yäo tu) fievQci) e'^eoTi xqUiöS^cci
und c. 5, 1449b 10
TU) de Tb fisTQOv ärckovv e%£iv xal
aTtayyeUav eivai^ TavTt] dtacpeQOvoLV
Mit der Bestreitung der These, daß die erzählende Darstellung
für das Heldengedicht charakteristisch sei, indem hier nur ein Unter-
schied des Grades obwalte — man denke an die Botenberichte im
antiken Trauerspiel und an die von Aristoteles (Poetik c. 24) so
warm befürwortete dramatische Gestaltung auch des Epos — damit
beschäftigt sich der Oberteil der Kolumne, in deren ersten Zeilen ich
leider nur einzelne Worte, wie uTioxQiTal .... (ä)Tceq avtög . . . (djuet-
ßö/.ie(voL?) . . . 7t(Q)dTve(iv zu erkennen vermag. Dann folgt:
6 xdv (uTjO £7i(o7toii)a xdv Ta(lg
7 TQayioöiaig^ (ä)oTe ov tfig
8 /.dv TQaycoö(i)ag t6 te d-
9 7tayye(Xl)eiv dyy(e
10 loig (x)ai tö tv
11 Tolg älloig (e)v i'-
12 7te(aL) TÖ (.i()(vov d7tayy)kX-
13 Xuv dXX xal
14 daipiXtaceQov tö (d7z)ayyeX-
15 Xtiv. d'kkd (.irjv xrk.
1*
— 4 —
Zur Textgestaltung sei das Folgende bemerkt. Z. 6 führt das in
beiden Kopien erhaltene ol auf zäv zolg tTteGi. aber das gleichfalls
hier und dort erscheinende a vor zäv valg auf xdv ttil eTioTtoiia.
Z. 9 widerspricht das i am Schluß der Zeile in 0 dem von uns ver-
muteten äyye^.oig. Ebenso Z. 12 teX am Schluß der Zeile in 0 unserem
vom Zusammenhang, wie es scheint, geforderten d7tayye?.keLV. Z, 13 folgt
auf «/r in N OBIOIC . . PQK^I, in 0 OMOIC^ . . onK^I. Endlich
habe ich Z. 14 f. rö o.Tcayykk'kEiv geschrieben, während N TOT ATTEA \
AEIN und 0 TO . TArrEyl \ ylElN darbietet. So zweifelhaft hier
das Einzelne ist, der Widerspruch gegen die aristotelische Behauptung,
die aTvayyeXia bilde ein das Epos von der Tragödie unterscheidendes
Merkmal, liegt klar zutage; am deutlichsten spricht ()"aT//iAf(jr£^oj' dafür,
daß nur das Vorhandensein eines quantitativen Unterschiedes behauptet
wurde. Im übrigen verweise ich auf meine am angegebenen Orte mit-
geteilten Restitutionsversuche zu den übrigen Kolumnen. Zur Polemik
gegen die aristotelische These, daß die Tragödie sich auch des heroischen
Versmaßes bediene, gehören fast sicherlich die Worte (Kol. VII N =
VI 0, Z. 10) ycal h^af-dx^w y,(al \ TtavTL (.ie(TQ)cüt xQco(.iiv(7] 'Aa)td töv
TovTOv Xoyov xal (7tQoo\eLkri(pvla (.leXoTCo'iav (£l-\'/A)tü)g av vof.ii'QoLto . . .
(Ich hatte damals in genauerer Übereinstimmung mit den erhaltenen
Zeichen, aber weniger sinngemäß und überdies mit einem schweren Hiat
xatTOL eiXifjcpula geschrieben.) Gegen die auch dem modernen Leser
so auffällige Vernachlässigung des schauspielerischen Elementes in der
aristotelischen Poetik wenden sich wahrscheinlich die von mir dort
mitgeteilten Stücke aus Kol. VIII und IX.
Ich kehre zum Ausgangspunkt dieser Erörterung zurück. Um
das Verständnis nicht eher zu verwirren als zu fördern, habe ich den
zerrütteten Oberteil der wichtigen Kol. VI N ==: V 0 vorerst zurück-
behalten. Ich vermag sie nur in unsicherer und unvollkommener
Weise zu restituieren; mögen andere darin erfolgreicher sein! Ich
setze das Wenige hierher, was trotz des unvollständigen Zusammen-
hanges wenigstens durch einige Schlagworte auf Sinn und Grehalt der
Stelle ein wenngleich mattes Licht wirft.
1 ev)deyou(iv)aLg eb-
2 QLO )yx(T)aL TQay(wdia
3 ([Jö TToXv
4
5 (^^Os T^(d
6 f.i(x(XLöTa) ov ^(6-
7 vrj (TQayü))idla juerä T(fig
- 5 —
8 älX(rig 'ÄOLvJovrjrog (?)
9 7tQooS-)eTeov ti)v d-
10 7cayy(elia)v log ih6qi(ov
11 Ttjg (dywvOaTixfjg (?)^ dlX' d(v-
12 TiaTQ(ö)(pa)g oöds 7iäv(T)a xtL
Die Hauptsache ist diese. Philodem widerspricht der aristotelischen
Behauptung: die Tragödie besitzt alles, was dem Epos eigen ist, und
übertrifft es durch ein Mehr an Kunstmitteln — ein Mehr, das in den
„Würzen" der Darstellung, in dem von Musik begleiteten Gresang und
im szenischen Apparat, außerdem aber auch in der Verwendung
mannigfacher Versmaße bestehe ; könne doch der Tragödiendichter
sogar das dem Epos eigene Versmaß, den Hexameter, verwenden. Die
letzte dieser Aufstellungen, die ein äußerst selten begegnendes Vor-
kommnis ungebührlich verallgemeinert, ist vom Epikureer, wie wir
sahen, mit der ihm eigentümlichen Schärfe zurückgewiesen worden.
In dem eingangs mitgeteilten Unterteil der jetzt besprochenen Kolumne
aber spielt Philodem seinen Haupttrumpf aus. Es stehe gerade um-
gekehrt, als Aristoteles behauptet. Der Stoff kreis des Epos sei ein
umfassenderer als jener der Tragödie. Jenem stehe es frei, Natur-
vorgänge und zufällige Geschehnisse, ferner aber auch das Tun der
Götter und Handlungen der Tiere darzustellen. Damit trifft der Vertreter
der epikureischen Ästhetik ein wirkliches Gebrechen nicht nur der
aristotelischen, den Vorrang der Tragödie verfechtenden Beweisführung,
sondern der Kunstlehre des Stagiriten selbst. Freilich ist dieses
Gebrechen nur die Übertreibung einer Wahrheit. Menschliches Tun —
zu dem allerdings auch der von Aristoteles vernachlässigte Ausdruck
menschlichen Empfindens, der Gegenstand der von ihm hintangesetzten
Lyrik gehört — bildet sicherlich das Großteil poetischer StofPe über-
haupt. Die bloß deskriptive Poesie, die Tierfabel und die rein
mythologischen Dichtungen treten daneben zurück und durften füglich
an die zweite Stelle gerückt werden. Allein Aristoteles geht weiter.
Er bezeichnet schon nahe am Anfang der Poetik „Handelnde" als das
Objekt der Dichtung; und daß er dabei ausschließlich an handelnde
Menschen denkt, das zeigt die anläßlich der Spaltung der verschiedenen
Dichtungsarten daran geknüpfte Scheidung der Handelnden in edle
und gemeine (vgl. Poetik c. 2 in. 1448a Iff. und c. 4, 1448b 24ff.).
Gegen diese Einseitigkeit Einsprache erhoben zu haben, darf als ein
wirkliches Verdienst des Epikureers gelten.
Zum Schluß noch eine Vermutung. Aus Kol. IV N = II 0 habe
ich, was mir damals verständlich war, in meinem alten Aufsatz
— 6 —
hervorgehoben. Doch möchte ich diesen Anlaß zu einem vielleicht
nicht bedeutungslosen Nachtrag benützen. Die soeben erwähnte, gewiß
anfechtbare aristotelische These, daß der Betrieb der Poesie sich nach
der moralischen Sinnesart ihrer Pfleger gespalten habe, scheint dort
gleichfalls von Philodem bestritten zu werden. Die Worte der Poetik
lauten, wie folgt: ÖLeoTtdad^r^ di %aTa tcl oHela r^drj i) Ttolriaig' ol ^liv
yaQ GE(.ivÖTeqoL rag xakäg e(.nf.iovvTO Ttgä^eig ymI rag twv tolovtwv^
ol de tvTeXeoTEQOi tag tmv q^avhov, wobei auf den Gegensatz zuerst
zwischen Jamben- und Hymnendichtern, dann vornehmlich von Tragödien-
und Komödiendichtern hingewiesen wird. Dazu stimmt es sehr wohl^
wenn hier der Jambendichter par excellence, Archilochos, und der
vornehmste Komödiendichter miteinander verbunden erscheinen und
einem Vertreter jener aristotelischen Ansicht, der behauptet hatte,
5 ävd-Q(ix)7t)iVÄo(T)iQag M(Q)y(i-
6 Ao[t]xov ('/.al) 34Qi(JTOff(d-
7 vjriv iLt£f.i(€c)!iifio^aL 7iQä'^ei(g'
entgegnet wird:
8 wv (6) (.itv 34QyJ?^oy/())g ov-
9 d^ dv ^lef^ieififiG^ai ....
10 ... (()) ö^ 34(Q)iazorfid-
11 vrig (d)u(O^rix) ev rä Ttdvua^ ((pav-
12 X6(T£Qa) (?) YMT avihv llavoix)-
13 vog fiejULfiTj^ievov^ Tcghg
14 Ttoi (.iriv ercog elvai (.liire
15 TQ(xy(ßidia(v) ttjv ziouco-
16 diav 'jial T(o)vg idfußorg^ v-
17 TTSQ wv fj (CtjJzT^aig ('^v. S(fi-
18 Xov ovv zara
19 TU (G)e{.iv6TE(Q0v {.ief.i)i(.n]a-
20 d-)a(i (.i)ad^i]Tr)g (?)
21 (^o(p)oy.Xea ...
(Z.9/10 möchte man etwa liyoiTo oder öoy.oi einsetzen, doch wider-
sprechen dem die erhaltenen Zeichen JIEC\TOI^ ... in 0, JIE\nE
in N. Z. 11 habe ich öied^rf/ aus XIE in 0, A^ . . . in N gewonnen,
Z. 20 entspricht mein Anfangsbuchstabe -^ einem T der Apographa.)
Geradezu entscheidend scheinen mir hier die in 0 erhaltenen Reste
von öe(.iv6teqov. Auch der Einwand, daß bei Archilochos von i^d^riGig
im aristotelischen Sinne (nämlich von einem Darstellen irgendwelcher
Handlungen) überhaupt nicht die Rede sein könne, paßt aufs trefflichste
in den von mir vermuteten Zusammenhang. Der Gegensatz des Rhy-
— 7 —
parographen Pauson zu Aristophanes (und seinem lyrischen Schwung?)
ist wohl verständlich, zumal die zwei Zeitgenossen in der Poetik als
Vertreter des niedrigen Stiles erscheinen (c. 2). Nicht minder die Her-
vorhebung des spezifischen, nicht bloß in den Objekten der Darstellung
beschlossenen Unterschiedes zwischen den einander gegenübergestellten
Dichtungsarten. Was wohl der Name des Sophokles am Schluß des
Bruchstückes besagen soll? Vielleicht hat Philodem im folgenden vom
Satyrspiel gehandelt und davon, daß dieselben Dichter, darunter auch
der Musterdichter Sophokles (vgl. Arist. Poet. c. 3, 1448a 26), im hohen
Stil der Tragödie und in dem der Komödie so nahe verwandten Satyr-
spiel heimisch waren und dadurch vollends die Haltbarkeit der aristo-
telischen These widerlegt haben. Ist das in N erhaltene (iJ.)ad^r(rrig
richtig, so ward wohl auf eine Lehre Theophrasts angespielt, der für
Philodem der „Jünger" des Stagiriten zar e^oxrjv ist (vgl. Zeitsch. f. öst.
Gymn., 1865, Heft 11, S. 816).
Die oben erörterte Polemik Philodems gegen die aristotelische
„Poetik" habe ich jetzt in wenige Sätze zusammengefaßt in „Griechische
Denker" III, 328.
Piiidars Päari für die Abderiten.
H. V. ARNIM.
Unter den Päanen Pindars, die von B. P. Grenfell und A. S. Hunt
1908 im 5. Bande der „Oxyrhynchus Papyri" herausgegeben wurden
und auch bereits in Otto Schroeders Pindari Carmina cum fragmentis
selectis Teubn. bibl. 1908, p. 273 f. Aufnahme gefunden haben, erweckt
neben dem sechsten (der durch seine Beziehung zum siebenten neme-
ischen Gedicht interessiert) der zweite, den Abderiten gewidmete,
durch seinen geschichtlichen Gehalt das größte Interesse. Es soll hier
der Versuch gemacht werden, Lesung und Erklärung des Gedichtes
durch ein paar Einzelbeobachtungen zu fördern.
Das aus drei Triaden bestehende Gedicht ist in der Weise
verstümmelt , daß von der ersten Triade die zweite Hälfte der
Strophe samt der ganzen Antistrophe verloren ist , von der dritten
Triade ebenfalls der Schluß der Strophe samt der ganzen Antistrophe,
während in der zweiten Triade von der Strophe sämtliche Zeilenan-
fänge fehlen, aber durch Kombination der erhaltenen Zeilenenden mit
den Marginalscholien der Gedankengang (wenn auch nicht der Wort-
laut) rekonstruiert werden kann.
Die geschichtlichen Anspielungen des Gedichtes beziehen sich
teils auf die zur Zeit der Vorfahren bei der Gründung von Abdera
und später geschehenen Kämpfe, teils auf einen zur Abfassungszeit
des Päans den Abderiten bevorstehenden schweren Kampf, für welchen
die Hilfe des Heilgottes anzurufen und den Abderiten Mut und Hoff-
nung einzusprechen Hauptzweck des Gedichtes ist.
In erster Linie richtet sich das Flehen des Chors an den in
Abdera mit dem Kultbeinamen Derainos verehrten Apollon, der gleich
im Anfang der ersten Strophe genannt wird. Ihm gilt das TtaiavLKÖv
eTtiQQTjt^ia^ das am Schlüsse jeder Triade wiederkehrt. Die dritte Epode
— 9 -
sclieint zu beweisen, daß der Dichter diesen Apollon mit dem pythischen
Apollon von Delphoi gleichsetzte. Doch lassen die erhaltenen Worte
•der ersten Strophe
Idovi tÖvöe law Ttaiäva diio^o)
Jr^QaLvov 247i6X)M)va jtccQ x 24cpQo(^diTav
deinem Zweifel Raum, daß der Päan zur Aufführung nicht in Delphoi,
sondern in Abdera selbst, im Heiligtum des Apollon Derainos (vgl. Ttaq)
bestimmt war. Neben Apollon , dem das Lied vorzüglich gilt , wird
aber auch Abderos, der ^i]QO)g 'ATiarrjg von Abdera, als Sohn des Poseidon
und der Quellnymphe Thronia angerufen ; und zwar beginnt und schließt
der Päan mit der Anrufung des Abderos. Der Anfang des Gedichtes :
NatSog Qooviag ^^ßdr^oe yaly.od^vjoa^
Ilooeiöävög ts tcol,
(^oe&yev ^IdovL rövde Xmo 7taiäva öuo^o)
z/tJQan'ov ^Tto'kXLova tzuq t 2dcpQodLTav
beweist, da olO^ev als sichere Ergänzung der englischen Herausgeber
anerkannt werden muß , daß Abderos nicht als Heilgott angerufen,
sondern nur honoris causa mitgenannt wurde.
Vielfach begegnet in dem Päan die erste Person des Singularis.
Diese muß m. E. überall, wo sie vorkommt, auf dieselbe Person, und
zwar auf die durch den Bürgerchor dem Gotte gegenüber repräsentierte
Bürgerschaft von Abdera bezogen werden. Da vaito Yers 24, t.ioL Yers 26,
vEÖrroXig eiui Vers 28, ^/«ro5g — e/iiäg Vers 29, /naQvauaL Vers 39 nur auf die
Abderiten bezogen werden kann, muß duo^co Vers 4 und iuol Vers 102
ebenso gedeutet werden. Unmöglich kann man annehmen, daß an einzelnen
Stellen der Dichter mit „ich" von sich redet. Der Bürgerchor von
Abdera, der bei einer städtischen öffentlichen Festfeier die Schutz-
göttin der Stadt um Beistand anruft, konnte von Pindar nicht, wie
ein Chor bezahlter Berufssänger, als bloßes Sprachrohr benutzt werden.
Er mußte im eigenen Namen reden, freilich nicht im Namen der ein-
zelnen Choreuten , aus denen sich der Chor zusammensetzte , sondern
im Namen der nöhg^ die er dem Gotte gegenüber vertritt.
Nach der großen Lücke, die nebst der zweiten Hälfte der ersten
Strophe die ganze erste Antistrophe verschlungen hat, folgt vom An-
fang der ersten Epode an eine gut erhaltene Partie :
TLva (^rdvöey vaUo
Qqr^'i'/Äav y^^aiyav äf-i7teX6(^eo')0(xv xe v.al
ehiaoTrov • urj f.ioi /ueyag I'qtvwv yM/noi e^OTtiow xqövog eiuvedog.
veoTto/Jg eluL • /.iccTgög de (.lareQ ifiäg er(^acpyov etiTtav
7toXefil<i) Ttvql 7cXayelGav ' ei de xig dq^eojv (piXoLg
— 10 —
5 eyßQolGi rqaxhg vTcavnä^ei,
fAÖyßog fjGvyJav (fSQSL ymlqw VMtaßaivwv.
Ir^'ie TtaidVf Irjie Tzaiav d^. f^irjTzoTS XeiTtoi.
Der Text ist vortrefflich erhalten und bedurfte nirgends einer
Nachbesserung, außer in dem dritten der ausgeschriebenen Verse , wo
ich statt des sinnlosen überlieferten ere%ov nicht mit den englischen
Herausgebern , denen auch 0. Schröder folgt , htidiw , sondern STaq)ov
geschrieben habe. „Ich bewohne diese thrakische Erde , die reich an
Weinstöcken ist und trefflichen Feldfrüchten. 0 möchte mir unermüd-
lich in Zukunft die gewaltige Zeit heranschreiten immerdar! Ich bin
noch eine junge Stadt; aber meiner Mutter Mutter hab' ich dennoch
(schon) mit staunendem Schrecken von feindlichem Feuer zerschmettert
gesehen. Doch wenn einer schützend die Seinen den Feinden trotzig
entgegengeht, das ist eine Mühsal, die zum Frieden führt, wenn sie
rechtzeitig den Kampfplatz betritt."
Passend schließt sich an das Lob der Heimat, ihrer Weinstöcke
und Fruchtfelder der innige Wunsch, sich diesen schönen Besitz auch
für alle Zukunft erhalten zu sehen, dessen Äußerung hier um so be-
greiflicher erscheint, weil wir aus dem weiteren Verlauf des Liedes
wissen , daß Abdera damals gerade einem schweren Kampfe entgegen-
sah. Die folgenden Worte, die, wie schon die englischen Herausgeber
erkannt haben, auf die Zerstörung Athens durch Xerxes 480 zu be-
ziehen sind (Teos die Mutter von Abdera, Athen die Mutter von Teos),
hängen mit dem vorausgehenden Wunsche dadurch zusammen, daß die
Zerstörung Athens , der um soviel größeren und mächtigeren Stadt,
den Abderiten bei der bevorstehenden Kriegsgefahr Besorgnisse einflößen
könnte. Das Schicksal, das Abdera, obgleich damals kaum siebzig Jahre
alt (gegründet von den durch Harpagos' Zug gegen die Jonier um
545 vertriebenen Teiern), schon über das ihm verwandtschaftlich nahe-
stehende, mächtige Athen hat hereinbrechen sehen, könnte auch Abdera
selbst ereilen. Die Größe der Gefahr gibt der Dichter zu , aber nur
um im folgenden um so entschiedener den Abderiten die Zuversicht
einzuflößen, daß sie durch Eintracht im Innern und durch energische
Abwehr der feindlichen Angriffe die Gefahr überwinden können.
Bevor wir die Frage stellen, auf welche Zeit diese Anspielungen
für die Entstehung des Gedichtes führen, müssen wir über die Lesart
handeln. Nach dem überlieferten Wortlaut :
f-iaTQog öi f-iareQ if-iäg svETiOv e/nTtav
Ttoleiiiq) jcvQi TtXayeLGav
würde sich Abdera rühmen, die Stadt Athen, die Mutter seiner Mutter,,
als sie von den Persern eingeäschert war, neugeboren zu haben. Den
— 11 —
Gelehrten, die sich bisher über diese Stelle geäußert haben, ist m.'E,
mit vollem Recht, auch ganz abgesehen von allen sachlichen Bedenken,
diese bildliche Wendung vom Standpunkte des poetischen Stils als
absurd und unmöglich erschienen. Daß Abdera seine Großmutter ge-
boren habe, ist eine so abgeschmackte Vorstellung, daß wir sie selbst
als Witz Pindar nicht zutrauen können. (Vgl. Fraccaroli in seiner
Anzeige der englischen Ausgabe Rivista di Filol. e d'Istr. class. XXXVII, 1).
Noch größer aber sind die sachlichen Bedenken. Unmöglich können
wir annehmen, daß Abdera bei dem 479 erfolgten Wiederaufbau des
zerstörten Athen eine so erhebliche Hilfe geleistet habe , daß ihm
Pindar, ohne sich und es lächerlich zu machen, die Rolle einer Mutter-
stadt des wiedergeborenen Athen hätte zuschreiben können. Man kann
weiter gehen und behaupten , daß eine Athen bei dieser Gelegenheit
von Abdera geleistete Beihilfe auch nur der bescheidensten Art ganz
unwahrscheinlich ist. Denn nach Herodot VIII, 120 stand Abdera noch
nach Salamis treu zu den Persern , nahm den auf der Flucht befind-
lichen Xerxes gastlich in seinen Mauern auf und erhielt von ihm als
Gastgeschenk einen goldenen Ehrensäbel und eine vergoldete Tiara.
Die Abderiten erzählten dem Herodot, bei ihnen habe Xerxes auf seiner
Flucht zum erstenmal Station gemacht cog ev ädeirj hov. Daß schon
gleich nach der Schlacht von Plataiai Abdera seine politische Stellung
geändert und sich eng an Athen sollte angeschlossen haben , ist ganz
unwahrscheinlich. Noch lange blieb in diesen Gegenden der persische
Einfluß vorherrschend und wurde erst durch den thrakischen Feldzug
Kimons 476/5 gebrochen. Nicht gleich bei der Gründung des delisch-
attischen Seebundes sind wohl Abdera und die anderen thrakischen
Städte dem Bunde beigetreten, sondern erst nach der Eroberung von
Ei'on. Diese Erwägungen machen es ganz unwahrscheinlich, daß Ab-
dera überhaupt bei der Wiedergeburt Athens Beihilfe leistete. Wenn
wir also evexov wegen seiner Absurdität für verderbt halten , werden
wir als Ersatz dafür nicht einen Ausdruck für „ich unterstützte"
suchen (Fraccaroli sagt: bisognerebbe che invece di etevMv si potesse
trovare un altro verbo del senso di soccorrere, risarcire), sondern mit
den englischen Herausgebern einen Ausdruck, der besagt, daß Abdera
die Zerstörung Athens „erlebt" hat. Wenn ich statt eTcidov lieber
eiacpov schreiben möchte, so ist es nicht nur, um den überlieferten Schrift-
zeichen etwas näher zu bleiben und die Verderbnis durch Lesefehler
begreiflich zu machen , sondern auch weil Abdera m. E. nicht sagen
kann, daß es die Einäscherung Athens mit eigenen Augen mitangesehen
hat. Einige Abderiten mochten sich ja in dem Heere des Xerxes be-
finden, hier aber muß ein Ausdruck stehen, der auf Abdera als Ttöhg
— 12 —
paßi:. Den Aorist eracpov verwendet Pindar auch Pyth. IV, 95 = ,.ich
erschrak'', wenn er von Pelias, der den Jason erblickt, sagt:
idcpe ö^ auTixa TzaTtTrivag dQLyvojTOv TteöiXov
SE^iveoit) fiövov djLKpl Tcodi . %Xe7tvcov de d^vfiq)
detua 7rQ0GrjveTce usw.
Mit öeliia wird hier zäcpe aufgenommen. Dadurch ist die Bedeutung
„erschrecken"' gesichert. Den Objektsakkusativ TteöUov wird man hier
von 7ta7CTrivaig abhängen lassen; daß aber auch zacpelv^ ced^rirchat einen
Objekts akkusativ zu sich nehmen kann, zeigt Hom. Od. L, 168.
In welche Zeit führt uns nun diese Anspielung? Um welche
Kämpfe Abderas kann es sich handeln ? Mir scheint die Art, wde Athen
erwähnt wird, auf eine Zeit zu deuten , wo Abdera zw^ar schon Sym-
pathien für Athen, die Befreierin der Jonier, empfand, aber noch nicht
als Mitglied des delisch-attischen Seebundes unter dem Schutze Athens
und dieses Bundes stand. Aus der Wendung (.icciQog Sa (.laveQ ijnäg
fühlt man heraus, daß, als Pindar die Abderiten so singen ließ, Abdera
sich nicht mehr als Untertanenstadt des Großkönigs fühlte, daß also
die Schlacht von Plataiai sicher bereits geschlagen war. Man erblickte
bereits in Athen die Vormacht des Jonertums und war stolz auf seine
Abkunft von der Mutter stadt Joniens. Andrerseits war man doch,
wie aus dem w^eiteren Verlauf des Gedichtes hervorgeht, für die Ver-
teidigung der Stadt noch ganz auf die eigene Kraft angewiesen. Das
führt auf die Jahre vor Kimons thrakischem Feldzug und der Eroberung
von Eion , auf die Jahre 478 — 476 , die für die Griechenstädte der
thrakischen Küste als Übergangsjahre anzusehen sind. Die Bedrohung
der Stadt kann entweder von den umwohnenden Thrakern ausgegangen
sein oder von den Persern in Eion und anderen Plätzen der thrakischen
Küste. Es konnten auch die Perser mit den Thrakern gemeinsame
Sache machen, wie es nach Plut. Kimon cp. 7 während der Belagerung
von Eion tatsächlich geschah. Als Ursache für Kimons thrakischen
Feldzug erwähnt Plutarch a. a. 0. ausdrücklich: Tti'v&avöjuevog IleQOcdv
ävÖQag ivöö^ovg — "Hwva — yMiexorzag evo^Xelv Toig Tteql tov tÖtcov
6y,Elvov "Ellrioi. So unbestimmt dieser Ausdruck ist, zeigt er doch,
daß die Perser sich keineswegs darauf beschränkten, Eion, Doriskos
und andere feste Plätze Thrakiens besetzt zu halten, sondern noch
immer eine Art von Herrschaft über die Griechenstädte Thrakiens aus-
zuüben suchten , wodurch mit den Städten , w^elche national gesinnt
waren und die Fremdherrschaft nicht mehr dulden wollten , Konflikte
entstanden. In diese Zeit und in diesen Zusammenhang scheint mir
unser Päan zu gehören. Wenn wir annehmen , daß es sich um einen
Kampf gegen die Perser handelt, gewinnt die besprochene Anspielung
— 13 —
auf Athen an Bedeutung. Es lag näher, den Kampf der x4.bderiten
mit dem Athens in Parallele zu stellen, wenn es sich um denselben
Feind, den Erbfeind der griechischen Nation handelte. Vorzüglich paßt
zu dieser Annahme, daß nach den Schollen zur Strophe der zweiten
Triade die Feinde über ein besonders gutes Reiterkorps verfügten.
Auch die in der Epode der dritten Triade ausgesprochene Hoffnung
der Abderiten, der jetzt bevorstehende Krieg werde der letzte sein und
endgültig Glück und Frieden herbeiführen:
'Aal OTQaTÖP \7i7tox(iqf.iav
evSyia TeXevTaiii) TtoXsixii) TtQoßißd^oLg
paßt gut dazu. Es handelte sich eben um die Abschüttelung des letzten
Restes der Perserherrschaft. Handelte es sich um Konflikte mit den
Thrakern, so könnte ein definitiver Abschluß der Kämpfe nicht so be-
stimmt in Aussicht genommen werden. Auch die Erwähnung innerer
Zwistigkeiten der Bürgerschaft von Abdera in dem Scholion zur zweiten
Antistrophe mrd verständlicher, wenn wir das Gedicht auf einen Kampf
gegen die Perser beziehen. Wir werden annehmen dürfen, daß auch
in Abdera , wie in so vielen anderen Städten, die konservative Adels-
partei perserfreundlich, die demokratische Partei athenerfreundlich und
national gesinnt war. Dann hatte der Dichter um so mehr Veranlassung,
das Volk von Abdera zur Zurückstellung der inneren Zwistigkeiten
und zu einmütigem Zusammenstehen in der Stunde der Gefahr durch
sein Lied zu mahnen.
Es folgt nun die Strophe der zweiten Triade^ von der, wie schon
bemerkt, nur die Versenden erhalten sind. Mit Hilfe der Marginal-
scholien kann man ihren Gedankengang ungefähr so rekonstruieren :
[„Stark ist zwar der Feind] , aber durch tapfere Gegenwehr wird ja
die Mauer des Volkes erhöht gegen gewalttätigen Angriff (äh/M öe
Telxog dvÖQcov { T^at (^tvotI xa y.aQveqd}) , ich kämpfe mit
guter Zuversicht gegen die Feinde (iLidQvajuat f.idv (^O-aQaeojv (pqhay
ödoig)^ das neptunische Geschlecht der Rosse bildet meine Stärke
((lo^vg To) UoGELÖdvLOv yevog (JiTtTtcov etiioiy). Denn den Gegnern in dem,
was ihre Stärke ist , es zuvorzutun , das verspricht des Sieges Glanz
(Schol. : TÖ voTjua toiovto ' iv oig yaQ diacpeQeiv öo'äovolv ol dvTiTtaXoL
vMTä 7TA')XeLiov, TüvTa EY.TtovEiv dya^ccg vTcovi^erai vr/.rig elTtidag = riov
yäo ävtouei'iov (^rd So/Jovray (peQEGd-ai (^vr/,rjg SfcoQevy ötXag).
Weiter scheint dann von dem Xeide eines Gottes die Rede zu
sein (f.iavi€L , schol. = cp^ovel) , den Abdera nicht zu fürchten braucht.
Der fehlende Anfang der zweiten Antistrophe enthielt, wie das ver-
derbte Scholion zeigt, den Gedanken: „Möge nicht Übermut die Bürger
unserer Stadt entzweien, möge Hader und Zwietracht lieber unter den
— 14 —
Eeinden, die uns angreifen, ausbrechen (Xa<^> e^'^ vßQLOai zovg ev zij
TtöXu \j=:'kaov affTcSv], GTaatd^owag di xal (^dtayTtoXirevovTag tcoXXoj f.iäXlov
Tovg eTCYjlvdag eTtiTideod^aL)." Und nun folgt gut erhaltener zusammen-
hängender Text:
Antistr. B Tb d'evßovkia te y.al alöol
eyy.eluevov aiel &dlXEi f.iaXay.alg evcUaig.
/ML tö fxev ölSötw d-eog ' o S'ixO^Qcc vo7]Gaig
rjÖTj (pd-ovog oYxerai riov TtdXat TCQod-avovvwv '
yorj d ävdqa xoy.evöiv (ptQetv ßccd-vdo^ov aioav '
Epod. B Tol GVV 7toktjU(l) 'if'1^fl(^CCjU€V0C /i^OVCT TtoXvÖcOQOV oXßoV
eyyMuiS^rj/MV, jciqav 34<^d-6cüy Uaiövcov
aix/itaräv (^Xaobg eXdoavTe)g t^aS^iag TQOCpov' äXXa (^d* äyoiaa
STteTceae /uolQa -zXdvTwv ^ eTtEiza ^eol ovveteXeaoav.
6 Si yaXüv tl Tcovrioaig eöayoQiaiGiv cpXeyei.
XELvoig S' VTctQTaTov 9jXd^E cpeyyog
aVTa SvGflEVSWV MEXafXCpvXXoV TtQOTtcÜQOLd-EV.
h'JLE Ttaidv, ir/iE Tzaiäv de ^nqTtovE Xeltcol.
Str. r. äXXd VLV Ttoraini) g/eSöv fAoXövice (pvQGE ( — gei pap J
ßaiolg GVV evEEGLV
TioTi TcoXvv GCQavöv ' EV Öe fiTjvbg TtQioTOv TvyEv diiaq.
ayyEXkE öe (foivL/MTCE^a Xoyov TvaQ&Evog
Ev/LiEvrjg '^E/Mva t6v hd^eXovTa yEVEGd^at.
(^v^vv 6* av yXü/.vfiaxdvwv — ^— ' — ^^^ ^^ (^MoiGävy
Nachdem er die Abderiten, die ja im Bürgerzwist lebten, zur
■EvßovXla und aldcog, denen der schönste Lohn Mdnke, ermahnt hat,
schließt der Dichter mit den Worten xal tö juev diSovco ^Eog diesen
Teil des Liedes ab, um sich einem neuen Thema, dem Lob der Vor-
fahren zuzuwenden. Sie zu loben ist ganz unbedenklich. Denn der
feindselige Neid verfolgt sie nicht mehr , die längst im Grabe ruhen.
Auch ziemt es sich für den Menschen, seinen Eltern reichen Ruhmes
geziemenden Teil darzubringen. Jene haben einst mit kriegerischer
Hand dies gabenreiche Land erobert und sich in ihm einen Wohlstand
gegründet, indem sie bis jenseits des Athos der speerbewaifneten Paioner
Scharen forttrieben von ihrer hochheiligen Ernährerin, minderes zwar
ließ dann das Schicksal über sie hereinbrechen. Als sie das aber auf
sich genommen hatten, führten hernach die Götter ihr Unternehmen
^um Ziel.
— 15 —
Ich habe in Text und Übersetzung der zweiten Epode eine von
der englischen Ausgabe, der auch 0. Schröder unbedenklich folgt, ab-
weichende Ergänzung zugrunde gelegt. Bei jenen Herausgebern lautet
der Text:
Tol övv 7coXeu(o Y^Tr^öduevoi xd-ova TtoXvdayQOv^ oXßov
ey'Kazed^ri'Aav TtsQav d(^yQUov)^ Ilaiovcov
aly^fÄGTäv <(r£ ^tqvfxoviag ya)g ^a&eag TQOcpov,
lind die Übersetzung lautet in der englischen Ausgabe: ;,They gained
hy war a bountiful land and stored up wealth beyond the borders of
Strymon, the hallowed nurse of wild Paeonian warriors/' Es soll also
von Tteqav zunächst der Genetiv ^iQU/Liovlag yäq abhängen , zu diesem
der Genetiv L^a^lag TQOcpov in Apposition stehen und dieser wieder
durch den Genitivus objectivus Ilaiövwv alxuaväv näher bestimmt sein.
Das nach aixiiaräv ergänzte re ist bei dieser Erklärung nicht berück-
sichtigt. Wie soll man ferner die Ortsbestimmung „jenseits des stry-
monischen Landes" verstehen? Zur Bezeichnung der Lage Abderas sind
diese Worte vom Standpunkt der Abderiten, die den Päan singen,
und der Vorfahren, die von Klazomenä herüberkamen , gleich unge-
eignet. Ferner ist die Wortstellung dieser Erklärung nicht günstig.
Wer die Worte unbefangen hörte, mußte verstehen: ;, jenseits der
wilden Paionen und der Speerkämpfer des strymonischen Landes, der
hochheiligen Ernährerin." Aber die Wildheit und kriegerische Tapfer-
keit der Paionen, jenseits deren Gebietes sich die Gründer von Abdera
ansiedelten, hätten doch nur dann zu ihrem Ruhme hervorgehoben
werden können, wenn sie sich durch die Paioner und das strymonische
Land hätten durchschlagen müssen, um zu der Stätte von Abdera zu
gelangen. Das war aber nicht der Fall, weder bei den klazomenischen
noch bei den teischen Colonisten. Nun lesen wir am Rande das Scho-
lion: VTTeQ tov ''Jdd^co e'ußlri&avrEg oi ivocxovvzEg STtriXS^ov d^vvov^evoi Tovg
mßalövrag %al hUr^oav. Dieses Scholion stimmt vortrefflich zu der
Nachricht Herodots I, 168 tcöXlv 'Jdßdrioa, vtjv TtQozsQog rovrcov (seil, tiüv
TriiCüv) KXa^ofisviog Tijui^aiog %Tioag ovx dTtcovriTo^ dl?J v/rö QQYi't-Awv
^§£?.ad^Elg TL^dg vvv VTtö Tri'iwv nov ev MßötJQoig cog fJQCog eyßi. Die Ein-
geborenen (Thraker), die zunächst „über den Athos hinaus" von den
Klazomeniern unter Timesios vertrieben worden waren, kehrten zurück,
um sich gegen die Eindringlinge zur Wehre zu setzen, und schlugen
.sie. In diesem Scholion enthält offenbar der Ausdruck ;,über den Athos
hinaus" (vTceQ töv 'Jdd-co) eine dichterische Übertreibung, deren sich nicht
ein nüchterner Interpret, sondern nur der Dichter selbst bedient haben
kann. Da nun das überlieferte iti^av offenbar dem VTthq des Scholiasten
entspricht und auf Jtkqav im Text ein mit A anlautendes Wort folgte,
— Io-
was liegt näher, als daß wir statt Tzkqctv d^yQuop} lieber Ttsoav 34{^%ü)y
schreiben? Denn so lautet auch IL B 229 s^ ^d-oco 6* etzI tcövtov sßvj-
GEvo der Genetiv dieses Bergnamens. In die Lücke nach UaLOvwv aix-
jLiaräv müssen wir dann ein dem s/.ßalovreg des Scholiasten entspre-
chendes Partizipium hineinbringen. So gelangte ich zu der vorge-
schlagenen Ergänzung:
TtEQCcv 24(^d-(')(j)y IJaiovcov
aix^aräv ^Xaovg eldaavieyg tad-iag rgocpov
= , .bis jenseits des Athos der speerbewafFneten Paioner Scharen hinweg-
treibend von der hochheiligen Ernährerin." Der bloße ablativische
Genitiv bei iXavvco steht in demselben Sinne z. B. Eur. Med. 70 rovg-
de Ttaidag yrig eläv KoQivd-iag. Daß das bisher von den Paionern be-
wohnte Land als ihre ^ad^ea TQOcpög (ohne den Zusatz //j) bezeichnet
wird , ist nicht viel kühner als Pyth. II, 1 Co ^voccxoGat — dvögcov
iTtTvwv TS OLÖaqoxaQuäv SaijuovicfL iQocpoi. Leicht wird aus dem voraus-
gehenden yßöva TCoXvöcoQov der Ausdruck verstanden. Den Ausdruck
Tteqav Jd&oo) fasse ich als eine poetische Hyperbel auf. Es ist gemeint^
daß die Paioner ihren Anspruch auf ihre früheren Wohnsitze end-
gültig aufzugeben schienen und weit hinweg zogen, um sich andere
zu suchen , jenseits des Strymon. Man darf dem Dichter hier nicht
mit der Karte kommen. Auch finde ich keine Schwierigkeit darin, daß
die von den Abderiten vertriebenen Thraker als IlaiovEg bezeichnet
werden, während man sich die Päoner sonst viel weiter nordwestlich
wohnend denkt und in der Nähe von Abdera andere thrakische Stämme
lokalisiert findet. Es kann entweder ein von der Hauptmasse abge-
splitterter Teil der Päoner wirklich hier gewohnt oder auch Pindar
den Namen ethnographisch ungenau gebraucht haben.
Über die Mißerfolge, von denen die ersten Ansiedler in Abdera
nach anfänglichen großen Erfolgen betroffen wurden, mit der euphe-
mistischen Wendung: älla (^6* ayoLoa f.itvy IntTCEOE ^loioa schnell hin-
weggleitend , eilt Pindar weiter zu den ruhmvollen und mit Hilfe der
Götter erfolgreichen Kämpfen der Teier, unter denen er die uns bisher
unbekannte Schlacht bei Melamphyllon verweilend hervorhebt. „Ihnen
erschien der höchste, leuchtendste Ehrentag im Angesicht der Eeinde
vor Melamphyllon. Freilich hat er sie, die nur über wenig Streitkräfte
verfügten, ins Handgemenge mit dem nah zum Flusse herangerückten
zahlreichen Heere gebracht. Aber es war ja des Monats erster Tag
und gemeldet hatte purpurfüßig die freundliche Jungfrau Hekate eine
Botschaft, die in Erfüllung gehen sollte."
Ich habe mit Fraccaroli a. a. 0. statt des überlieferten (pvqOELf
das der Scholiast unsinnig mit ccttoxteveI erklärt, cßvQOE hergestellt.
— 17 —
Der Versuch von Blaß, das Futurum durch die Annahme zu erklären,,
daß hier der Wortlaut eines Orakels wiedergegeben werde, scheitert
meines Erachtens daran, daß in einem zum Gesangsvortrag bestimmten
Liede direkte Rede, die in die Erzählung eingeschaltet wird, um ver-
standen zu werden, sei es durch Einführungsworte, sei es auf andere
Weise als solche gekennzeichnet werden muß. Hier ist aber kein aus-
reichendes Kennzeichen für den Hörer angebracht. Nur für den Leser
könnte graphisch, durch Anführungsstrichelchen, die direkte Rede als
solche kenntlich gemacht werden. Die Fortsetzung der Erzählung wird
mit Ss koordinierend angeschlossen (ev öi fir^vög tiqmtov %vyßv a/naQ), also
muß auch der vorausgehende Satz Erzählung sein. Überdies würde das
Orakel für die Abderiten wenig rühmlich gewesen sein, wenn es gelautet
hätte: ,.but they shall put him to confusion, when he has come near the
river , matched with a small array against a great host" = er (d. h.
der abderitische Heerbann) wird den Feind in Verwirrung bringen, wenn
er nahe zum Flusse kommt mit geringen Streitkräften gegen ein großes
Heer.*' Denn so würde die Übermacht auf Seiten der Abderiten gewesen
sein und es wäre der ihnen verheißene Sieg über den soviel schwächeren
Feind nicht sehr rühmlich gewesen. Auch würde die Anknüpfung dieser
Verheißung mit dlXd an den vorausgehenden Satz: /.elvoig VTtiQtaxov
^Id^e cpeyyog unpassend gewesen sein : Sie erlebten den schönsten Ehren-
tag vor Melamphyllon; aber, sagt das Orakel, sie werden vermöge
ihrer Übermacht den schwachen Feind besiegen. Es scheint mir ganz
sicher, daß die Abderiten eine feindliche Übermacht besiegt haben, die
überdies durch ihre Aufstellung längs des Flußufers unangreifbar schien,
daß also TcoTaiKn GyeSöv (.lolowa mit ttotl tcoLvv azQazov zu verbinden
ist und sich das Hyperbaton aus dem Wunsche erklärt, den besonders
wichtigen und für die Abderiten gefährlichen Umstand durch Stellung
nahe dem Satzanfang hervorzuheben. Es muß dann vlv = eos erklärt
(vgl. Nem. IV , 3) und auf die vorher erwähnten /.elvoi, die Vorfahren
der Abderiten, bezogen werden. Subjekt zu (pvqae ist der am Schlüsse
der vorausgehenden Epode erwähnte Tag (cpeyyog). Auch wir können
den Tag als Urheber aller der Dinge ansehen und bezeichnen, die er
gebracht hat. „Jenen erschien der höchste Ehrentag im Angesicht der
Feinde vor Melamphyllon. Freilich führte er sie gegen den am Flußufer
(scheinbar unangreifbar) aufgestellten und, mit nur geringen Streitkräften,
gegen den an Zahl überlegenen Feind. Aber sie hatten doch günstige
Verheißungen, die sich auch erfüllten." Wvqelv ist mit nqog konstruiert,
wie Plat. Hipp. mai. 291 A l^ol oiSiv Ttgäyiiia (pvQead^ai yrqbg rbv äv&QO)-
710V. Es bezeichnet hier das Handgemeinwerden. Die vEO{.ir(via wird hier
offenbar als ein Tag günstiger Vorbedeutung für die Abderiten genannt
Wiener Eranos. 2
- 18 —
und unter der Jungfrau Hekate kann, im Anschluß an die Erwähnung
der vEo^riviay nur die Mondgöttin verstanden werden. (DoLVLAOTteL^a
scheint mir darauf hinzudeuten, daß die Röte des Mondes bei seinem
Aufgang an diesem Tage als günstige Vorbedeutung aufgefaßt wurde.
Mit Thv iS^ekovza yeraa-S-ac hat der Dichter für die Abderiten deutlich
genug daran erinnert, daß der Tag der Vorbedeutung entsprechend ein
siegreicher war und kann nun zu etwas anderem übergehen, d. h. zur Gegen-
wartzurückkehren. Ich möchte daher, statt des von den englischen Heraus-
gebern vorgeschlagenen und von Schröder unbedenklich übernommenen
oijv lieber vvv ergänzen: (^vyOv d'at yXv'/,v/Liaxccva)v usw. Denn unter den
yXv'/^vf-idyavoL kann ich nur die Musen verstehen. Auf sie paßt der Ausdruck
einzig, da y)^v%vg im übertragenen Sinne von Pindar stets auf die Gaben der
Poesie und der Musik angewendet wird. Wer ersinnt denn sonst und
wirkt kunstreich etwas „Süßes" außer den Musen? Da nun eine Er-
wähnung der Musen schwerlich mit ovv d'av an die vorausgehende
Erzählung angeschlossen werden kann, möchte ich vvv d'av vorziehen,
eine Verbindung , die ganz am Platze ist, wo die Gegenwart mit der
Vergangenheit parallelisiert wird. So wie damals werden auch jetzt
wieder die Musen Stoff zum Gesänge bekommen; oder: und auch jetzt
wieder — darum flehen wir mit dem von den Musen geschenkten Liede —
möge uns durch deine Hilfe, Apollon, der Sieg zuteil werden.
So ging der Dichter vielleicht zu Apollon über, dem ja der Päan
hauptsächlich galt. Nach der großen Lücke, die hier folgt, in der die
dritte Triade und das ganze Gedicht abschließenden Epode, steht der
Dichter noch immer bei Apollon und schildert die Verehrung, die ihm
in Delphi zuteil wird. Denn auch in den ersten erhaltenen Worten
handelt es sich schon um Delphi und ohne Grund scheinen mir die
englischen Herausgeber, denen O.Schröder folgt, den Pindos hinein-
gebracht zu haben, der für die Lücke von 3 — 4 Buchstaben und für
das Beiwort £voöj.iog zu groß ist. Ich erwarte statt dessen yßqov, vabv,
ol/.ov (wie mein Schüler Kampas vermutete), kurz ein Wort, das den
weihrauchduftigen Tempel in Delphi bezeichnet. Das Rufen des Gottes
findet im Tempel selbst statt, der Reigentanz und Gesang der Mädchen-
ohöre im Freien, in dem nach den Felswänden zu gelegenen Teile des
heiligen Bezirkes (d^cpl JJaQvaooiaLQ TteT^aig viprjkatg).
Da ich, wie oben ausgeführt, in den wieder an Abderos gerichteten
Schlußworten des Päans das euol mit den englischen Herausgebern auf
Abdera, nicht mit 0. Schröder (B. Ph. W. 1908, pag. 164) und Fraccaroli
auf den Dichter beziehen zu müssen glaube , bin ich genötigt , statt
des Partizipiums XQalvwv einen Imperativ Aoristi zu ergänzen. Denn
sonst würde die Bitte für den Sieg des Heeres, die naturgemäß die
~ 19 —
Hauptsache ist, durch das xal im folgenden Verse zur Nebensache
gemacht. Ich möchte daher den Schluß so schreiben:
(^JdßSyrjge, /ml OT(^Qazbvy \7t7toxdQf.iav
(^evdyla Ttolef-ici) TeXevvaui) TtqoßißaQoig.
Irji'e Txaidv, itjie Tzaiäv di f.irj7ioTE Xelttoi.
Die Ergänzung d^STcitov statt des de sytcov der englischen Heraus-
geber stammt von meinem Schüler stud. phil. Drechsel. Der Chor verlangt
als Dank für die salä e^tea, d. h. für sein schönes Lied von Abderos
«inen Dank, der ihm Ruhm bringen würde. Worin dieser Dank bestehen
soll, sagt der mit xal im etwas bescheideneren Optativ angeschlossene
Satz: der Schutzheilige der Stadt soll bewirken, daß dieser Krieg gegen
die Perser der letzte sei und die reisige Bürgerschaft zu dauerndem
Glück und Frieden führe. Evölcc ist eine auch von Fraccaroli gebilligte
sehr naheliegende Ergänzung; es ist Zieldativ, Ttolefui) dagegen Instru-
mentalis. Der Scholiast, der zu eudla beischrieb: l'awg tt] vl-jct], verstand
es nicht richtig. Das TelevTalci) bei Ttolef^Kpy das auch zu dem Inhalt
des Wunsches gehört, zeigt, daß der Dichter an das auf den Krieg
folgende friedliche Grlück denkt.
Zur Farce von Oxyrhynclios.
Von
SIEGFRIED MEKLER.
Auf die Worte, mit denen der Orestes der „skurrilen Ipliigenie^^)
am Schluß der zweiten Szene (S. 104 Cr., Y, 56 f.) das Erscheinen des
Barbarenkönigs und seines Gefolges ankündigt, airol de oizoi leXov-
l-ievoL fievä rcov Ttagayehovrai, folgt die zweimalige Bühnen-
anweisung des Tympanismos und auf diese wieder eine Reihe zum
größeren Teil unsicherer Buchstaben, SeovT oaakk . . . Crusius
läßt die Wahl, diese letzteren als vox barbara oder als Bestandteil einer
weiteren szenischen Note, etwa TV^Ttaviaf-iol (f iovtojv Ttqhg älXri'kovg^
anzusprechen; das zwischen den beiden f stehende ävaTceG dagegen
deutet er, wenn auch zweifelnd, mit den englischen Herausgebern 2)
als TVfiTtavLGubg ävaTtaiGTi'Aog. Der Zweifel scheint mir in Anbetracht
der Art, wie überhaupt in dem Stück die Trommelzeichen auftreten,
durchaus berechtigt. Mit Einrechnung von Z. 211, welche Variante
sich mit der Doppelanweisung in Z. 39 nach Inhalt und Stellung an-
näherungsweise deckt, weist die Farce 10 (11?) einfache neben 8
qualifizierten Tympanismoi auf, und zwar Z. 10 (gleichfalls nach otvoi
TtaQayeivovTaL und unmittelbar, ehe das fremde Idiom einsetzt: also
neue Szene), 39 (hinter aQjiuvd^l = 2^2 /uivet), 59 (?), 61, 65. 67, 68,
72, 75, 77, 80; t TtoXvg 69, t uolvg^ %QOvotg 92, dasselbe mit zaraffroAri
95 ; T 6 (nach Cr. fünffacher Schlag) 87 ; mit TtegSeTai 22, mit tvoqÖ)]
39, 93, 211.
So natürlich nun als Zeichen des neuen Auftritts das wieder-
holte Signal erscheinen mag, so auffällig wiche gerade diese eine
1) Sudhaus, Hermes 41, 270, dazu Crusius S. 109 zu V. 226 (lies daselbst 1015)
und Schroeder, Berl. phil. Wochenschr. 1903, 1448.
^) Oxyrhyneh. Pap. edd. Grenfell-Hunt, III, 54. Ebenso G. AYinter in der Leipziger
Dissertation de mimis Oxvrh. 1906, S. 40.
— 21 —
Stelle von allen übrigen ab, wenn der Ehythmus des Wirbels notiert
wäre, der es nicht einmal dort ist, wo man es allenfalls erwarten
könnte, vor und nach den Sotadeen des Tanzcouplets. Ist aber eine
andere Deutung der drei fraglichen Silben, die jenes allem Anschein
nach einheitliche Doppelzeichen einschließt, überhaupt möglich? Ich
glaube wohl, doch bedarf es, um meiner abweichenden Erklärung den
Boden zu bereiten, eines kleinen Umweges über ein paar überlieferungs-
und literargeschichtliche Fragen.
So mancher Leser unseres Possenfragments wird es wunderlich
gefunden haben, daß mit alleiniger Ausnahme der Heldin Charition
alle diese Griechen, Barbaren und Halbbarbaren namenlos bleiben,
auch Charit ions Bruder, der augenscheinliche Spiritus rector der Be-
freiungsaktion. Daß ein König an der „Handlung" beteiligt ist, würden
wir ohne das als Spitzmarke wiederkehrende Appellati vum nicht wissen.
Die Anonymität des Sannio und der Bootsleute unterliegt allerdings
keinen weiteren Bedenken; dagegen ist es seltsam genug, daß zu den
sieben oder acht durch Ziffern unterschiedenen Personen auch Cha-
rition zählt, die allemal mit A bezeichnet ist. Wer diese Umstände
im Verein mit der Menge der Bühnenanweisungen , einschließlich der
zwischen Z. 71 und 87 stark gehäuften Pausenzeichen, unbefangen
erwägt, wird der von H. Reich ^) geäußerten Annahme, daß sich ein
Liebhaber das Stück nach der Vorstellung aus dem Gedächtnis
niederschrieb, schwerlich beipflichten. Viel mehr Wahrscheinlichkeit
möchte seiner zweiten, auch von Horovitz^) geteilten Vermutung
beizumessen sein, daß auf den Papyrusblättern von Oxyrhynchos nur
der Rahmen für das Szenenbild vorliege, die Gußform, der erst die
Kunst des Schauspielers Inhalt zu geben bestimmt war. Die abrupte
Kürze der wenigen wirklichen Dialogstellen, die mehrfach auch da,
wo durchwegs griechisch geredet wird, ans Epigrammatische grenzende
Wortknappheit verbunden mit der erwähnten Reichhaltigkeit des Textes
an TtaQETtLyQmpai aller Arten, läßt in der Tat an ein Theaterexemplar,
ein Inspizientenbuch mit allem für die mise en scene nötigen Detail
denken. Dafür spricht auch noch die Analogie der MoixevvQia, für die
z. B. Sudhaus das gleiche postuliert. 3)
') Deutsche Lit.-Ztg. 1903, 2685.
^) Spuren griechischer Mimen im Orient, S, 11. — Im A^orübergehen sei bemerkt, daß
ebd. S. 61, Note 2 das syrische Menandros qömiqos be-Tais zu Recht bestehen muß und nicht
in b-Atenas zu ändern war, wenn anders das von H. Etienne zu Korinth. 1, 15, 33 bei-
geschrieben gefundene Scholion Mevavdgov tov xcof-uxov yvco^it] iv Oadia richtig auf die
Thais bezogen wird, s. Fragm. 218 K.
«) a. 0. 264.
— 22 —
Und nun frage ich, was das wohl für ein Publikum sein mochte,
das an dem „mimischen Drama", wie Reich die Farce einmal nennt ^),
Gefallen fand, und halte die beiden uns gemeinsam überlieferten Probe-
stücke der mimischen Muse, die uns Gren felis und seines Mitarbeiters
rinderglück und Arbeitseifer vor nun sechs Jahren geschenkt hat,
gegeneinander. Ich denke, es könne kaum ernstlichen Zweifeln unter-
liegen, welchem von beiden der höhere Wert und Belang zukommt.
Wird auch die ästhetisch-literarische Bedeutung der „Ehebrecherin" von
ihrer soziologisch-sittengeschichtlichen um ein beträchtliches überwogen,
vermag auch das „sonderbare" Spezimen einer dekadenten Zeit den Ver-
gleich mit Herondas' künstlerisch geschlossener Zrikövinog nach keiner
Richtung zu bestehen, so geschähe doch dem Miniaturdrama sicherlich
Unrecht, wollte man es als grobschlächtige Dutzendware, als gering-
wertige Ausgeburt einer konventionellen Mache schonungslos verwerfen.
Auf den ungenannten Verfasser des provinzialen Giftmischerdramolets
mag füglich das von Henri Weil auf den Meister des Mimiambus ge-
münzte Wort vom realiste Anwendung finden, qui ne recule devant
aucune crudite de langage^); stellt doch auch er ein Bild von erschreckend
unbefangener Wiedergabe der dovyywQTjTa (um mit Theophrast zu reden s)
des Geschlechts- und Gesellschaftslebens, in dessen verhohlenste Winkel
er mit unerhört dreister Fackel hineinleuchtet. Hier geht es noch um
einige Grade krasser zu als bei Gastron und Bitinna, leidenschaftliche
Ausbrüche und brutale Effekte brechen wie Sturzwellen über uns herein ;
durch die skizzenhaft geführte Szenenreihe blickt dramatisch bewegtes
Leben, und es fehlt nicht an tragischen Akzenten, wenn auch Madames
ruchlose Pläne durch die Machenschaften des Gegenspielerkleeblatts
vereitelt werden, derart daß die blutrünstige Geschichte am Ende ins
Heitere umschlägt.
Dagegen das Recto des Papyrus, dessen Kehrseite die MoixevtQia
trägt! Man mag dem Umstand, daß wir nichts als^ einen Canevas in
Händen haben und das vielleicht beste, Gestus und Improvisation, ver-
loren ist, noch so viel Gewicht beimessen, die Schnurre, an der sich
im zweiten Jahrhundert unserer Ära die guten Oxyrhjnchiten faute de
mieux erbaut haben, erfährt zu viel Ehre, wenn man mit Horovitz*)
von einer literarisch nicht hoch stehenden Hypothese spricht. Besser
^) a. 0. 2681 , ebenso im Jahrb. d. deutschen Shakespeare-Gesellschaft, 40. Jahrg.,
S. 12 des Sep.-Abdr. (Der Mann mit dem Eselskopf.)
-) Journ. d. sav. Nov. 1891, 18.
^) Diomedes, Leo in Kaibels Comic. Fragm. 61, 232.
') a. 0.
— 23 —
trifft Sudhaiis' „klägliche Farce" zu^); auch Körtes Urteil 2) sei an-
geführt: um das, wie er mit nur zu gutem Grunde sagt, fade Gericht
schmackhaft zu machen, würzt der zu seinem Heil namenlos bleibende
„Dichter" die herzlich magere szenische Kost mit allerlei Zutaten, hüllt
das Minimum von Handlung — Befreiung einer, jungen Griechin aus
der Gewalt eines unbekannt wo gebietenden Maharadscha durch ihren
den Bedränger samt den Seinen trunken machenden Bruder — in das
geräuschvolle Brimborium einer Boulevardrevue mit Clown und Ama-
zonencorps, Gesangsnummern, Trommelwirbel und TanzdivertissementSy
bringt ein angebliches Indisch^) und zwischendurch ein kauderwelsches
Barbarengriechisch zu Gehör und verwendet überdies in psychologischen
Momenten einen Knalleifekt eigener Art, den der erwähnte, im übrigen
von allem Witz verlassene Clown, ein Meister der — sagen wir Bdeo-
technik, zu apotropäischem Behuf produziert.*) Reich hat der Posse
eine, von der wunderlichen Heiligen UoQÖt] abgesehen, nicht zu ver-
kennende Anständigkeit nachgerühmt^), und wer den Maßstab der an
unbemäntelter Nacktheit das möglichste leistenden MoiyßviQLa anlegt^
wird ihr das Prädikat der Dezenz nicht vorenthalten; doch hat Crusius
nicht unterlassen, auf den redenden Namen des Flusses Wjletxog auf-
merksam zu machen^), den wir vielleicht haplographisch als ipcoXöleixog
zu verstehen haben (vgl. cunnilingus). Entsprechend purifiziert, als
Ballett „Die Touristen in Malabar", würde die Farce zweifellos Figur
machen ; daß sie mit Typen, Motiven und Requisiten arbeitet, die aus
dem Hausrat der Romantik und der älteren szenischen Kunst erborgt
sind, könnte ihrem Erfolg keinen Eintrag tun. Nur soviel möchte ich aus-
gesprochen und zur Evidenz gebracht haben, daß ihr literarischer Gehalt
gleich Null ist. Die Vorgänge — pneumatische Doktrin und Moral
des Buffo in der ersten Szene, folgerechte Praxis, dann Verabredung
über den Berauschungsplan in der zweiten, dessen Gelingen in der
dritten und letzten — mögen für ein Puppenspiel gut genug sein,
und höchstens als Libretto für ein solches lasse ich unseren Text
^) a. 0. 274. jVile et futile' nennt das Stück sein Schüler G. Knoke in der mir
erst während des Drucks bekannt werdenden Kieler Dissertation de ,Charitio' mimo
Oxyrhynchio, 1908.
2) Ehein. Mus. 60, 415. Vgl. Schubert, Das Buch, 79.
') Grierson bei Grenf.-Hunt S. 55, Hultzsch, Herrn. 39, 307 f., hiezu Nöldekes zurück-
haltende Bemerkung bei Knoke 23 f.
*) Dergleichen Scherze im Karagöz, Eeich Mim. 665, Körte a. 0. Auch das Pariser
Cabaret verschmäht die Darbietungen der Petomanen nicht, wie ich mich vor einem Jahr-
zehnt oder länger gelesen zu haben erinnere.
5) D. L. Z. 2684.
«) Zu V. 27.
— 24 —
gelten, dessen Wirkung auf kindliche Gemüter vermutlich nicht gering
war, wenn der König mit yoQßovoQliod-OQßa und ovaiieoaQEövf^npaQaöaqa per-
orierte und B mit ^afwvva luag^a (.laqLd^oviia den Mjstagogen spielte,
einen Text, dessen Harmlosigkeit ihr Höchstes leistet in dem Augen-
blick, da der bis dahin anscheinend nur des Kanaresischen mächtige
Gaicovar zu einem Quatrain mit unterlegtem Griechisch das Tanz-
bein schwingt.
Ich kehre zum Ausgangspunkt dieser Betrachtungen zurück, zu
der 7taQE7ZLyqa(frj^ die in dvaTreo enthalten sein muß. Ich ergänze es
zu äva7tieG(.ia^). Die einzige von diesem Mechanismus handelnde Stelle,
Pollux IV, 127, 132, ist bekanntlich so dürftig und zugleich so wenig
klar gehalten, daß über dessen Anordnung im griechischen Theater
keine Einigung hat erzielt werden können ; 2) soviel freilich ist fest-
zuhalten, daß eine Vorrichtung zu dem Zweck (hg Ttova/ndv ävEkd^elv i)
toiovtÖp TL TCQÖatoTtov uuscreu Versenkungen gleich- oder nahekommt.
Ich erwarte nun den Einwurf, hier sei der Anlaß zu solchem Empor-
tauchen aus der Tiefe nicht gegeben. Für mich, der ich an eine Mario-
nettenbühne denke, ist er es: mochte sie nun für den Handbetrieb
eingerichtet oder automatische Konstruktionen, wie sie Heron be-
schreibt 2) , für die Bewegung der Figuren vorgesehen sein , immer
bedurfte sie eines für die Zuschauer unsichtbaren Manipulationsraums,
der aus klarliegenden Gründen unterhalb des Spielraums angeordnet
zu werden pflegte und noch pflegt. Liest man bei Ernest Maindron*),
welcher in ihrer Art hervorragenden Leistungen im 18. und 19. Jahr-
hundert die Fantoches eines Mourguet und Josserand fähig waren, wie
Pierre Rousset die Weiße Dame, Robert den Teufel, Romeo und Julie
usw. zu humorvollen Parodien umgestaltete, aber dabei se gardait bien
de suivre exactement les textes originaux, mais on retrouve souvent
dans ses livrets, • des lambeaux de phrases, parfois des scenes qui
permettent de les reconnaitre'^), so wird man lebhaft an die am Schluß
unserer Posse vernehmbaren Anklänge an das attische Intrigenstück
*) Lautlich nahe stehen die Schreibungen neTv f. meXv Z. 66 und Mcty. 162. Über
aoj.-iäv ^^ (TuoTiäv handelt Warren im Album grat. für Herwerden, das ich leider nicht ein-
sehen konnte, — Die Alternativerklärung bei Knoke S. 4, avaTieg = dvä nsvie, lasse ich
auf sich beruhen.
2) Schneider, Att. TheaterAV. 103, AVecklein, Phüol. XXXI, 442, Sommerbrodt,
Scaen. 284, A. Müller, Bühnenalt. 149, Oehmichen, Bühnen w. 248, Reisch, Pauly-Wiss.
1, 2, 2061.
2) Prou, Les Theätres d'Automates en Grece, 99; Herons von Alexandria Druck-
werke und Automatentheater, gr, u. dtsch. v. AV. Schmidt, I, 411.
^) Marionettes et Guignols, Paris o. J.
5) ebd. 237.
— 25 —
erinnert. Nur sind hier Personen und fjS-OTtotia auf das Niveau eines
Theaters für kleine und große Kinder herabgezogen, jene zu Inventar-
nummern des Impresario degradiert, der vielleicht die Künste des
gesticularius wie Thomas Holden i) praktizierte, diese nur mehr ein
kümmerliches Dasein fristend in der Symbolik der Namengebung der
Heldin und der „grotesken Unflätigkeit" 2) der lustig sein sollenden
Person. Daß auch der fragliche akustische Effekt sich mit Hilfe
hydraulischer Vorkehrungen unschwer erzielen ließ, steht für jeden,
der die hierhergehörigen Abschnitte der heronischen Pneumatika gegen-
wärtig hat^). außer Frage.
^) ebd. 191 schildert er sich: chantant, parlant, criant selon le besoin du moment
n'ayant pas raeme le temps de respirer, changeant le timbre de ma voix selon le
personnage presente au public, Avomit nicht Bauchrednerei gemeint sein muß.
'') Sudhaus, a. 0. 265.
") Zwitschern des ^ueXayy.ÖQVfpog 88, 300 Schm., xvi^ißäXiov xal rv^uTiävcov xriTvog
388 usw.
Zu den Kretern des Euripides.
Von
ALFRED KAPPELMAGHER.
Daß Euripides ein Drama KqriTeg geschrieben hat, bezeugt der
Scholiast zu Aristophanes ran. 1356 eovi de ex Kqtitcov EiQiTtiöov; über
den Inhalt unterrichtet der Scholiast zu Yers 849 desselben Stückes.
OL fj.ev eig ttjv tov ^Ixdgov luoptpöiav sv Tolg Kgr^ol — Tif^axlSag Se Site
Trjv ev Tolg Kqriol fil^iv IlaaKpdrig Ttqhg tov xavQOv.^) Die Rekonstruk-
tion der verlorenen Tragödie des Euripides ist oft 2) versucht worden,
die geringe Zahl der Fragmente 3) wurde durch die Einbeziehung bild-
licher Darstellung*) erweitert; eine Kritik dieser Forschungsresultate
erscheint jedoch durch die Auffindung eines neuen, größeren Bruch-
stückes, das in den Berliner Klassikertexten V, 2, S. 73 veröffentlicht
wurde, angezeigt.
I.
Ehe wir uns diesem neuen Bruchstücke und seiner Bedeutung
für die Rekonstruktion des Stückes zuwenden, ist es nötig, die mytho-
graphische Überlieferung zu prüfen, zumal sich zeigen wird, daß sie
nicht ohne Bezug auf die Frage der Wiederherstellung des Stückes
ist. Apoll, bibl. II, 1, 3 ff. erzählt: MoteQiwvog de arcaiöog ärtod-avovxog
Mlvcog ßaOLXeveiv d^ekcov Kqi^Trig e/MXvero. (priGag de Tta^a &ed}v ttjv
ßaatAelav eikri(pevai^ xdqiv tov niiarevd^^vaL ecpi]^ el' tl av ev^rjTaL, yeveG&ai.
^) Vgl. noch Job. Malalas p. 86, 10 Tie^l 6s zijg JTaaicpärjg i^e^sro ÖQäf-ia EiüQimörjg
6 noiTjTiqg.
2) Härtung, Eurip. restitutus I, 103 if.; Welcker, Griech. Trag. II, 801 f.; 0. Jahn,
Archaeol. Beitr., 240ff".; G. Körte, Hist.-phil. Aufs. f. E. Curtius, p. 197, I rüievi delle ume
etrusche II; Kuhnert, Suppl. Fleckeisens Jahrb. XY, 192; Wilamowitz, de Trag. Gr.
fragm. S. 17; Eobert, Der Pasiphaesarkophag (14. Winkelmannprogramm) und dazu
Antike Sarkophag-Eel. III, 26. R. Holland, Die Sage von Daedalos und Ikaros, Progr.,
Leipzig 1902, S. 7ft\
8) Vgl. Nauck III, 471, 472 und Wilamowitz a. a. 0. 17.
*) Jahn, Robert, Körte, Holland a. a. 0.
f
— 27 —
v.al UoGEidwvL d-viov r^v^aro ravQov dva(fav7]vai £X tcov ßvd-coVy vrcoaxöjxevog
ytavad-voeiv zbv fpavevua. tov di nooeidcovog ravQOv dvivvog auTuj diaTcqeTcfj
Tijv ßaOiXELav TcaqUaße, rbv de zavQov eig rä ßov'/,öha Tteuipag ed-voev
tiEQOv. (■d-aXaGGO'/.Qarrjoag Se TiQcorog TcaOLov tcov vriaoiv oxedbv VTcriQ^ev).
ÖQyiGd-elg Sa avru) Tlooeidiov ^ du ^irj y^ared^voe rbv xavQov, tovtov jusv
l^riyQiiooey UaaLCfdijv di el&elv Eig S7tid-vfJ.lav avrov TtaqeGvxvaGev. fj ds
BQaGd^eiGa tov ravqov Gvveqyov Xaußdvu z/aiöaXov^ dg fjv dQXirs/,Twv
n:e(pevyiüg i§ ZdLd-rivcov ertl (povip. ovvog ^vXlvriv ßovv ItcI tqoxcov VMta-
Gy.evdGag ytal ravzr^v Xaßtov vmI v.oiXdvag iGwd-ev^ ixdeiQag te ßovv^ ttjv
doQav 7ZEQiEQQaipe, %al d^Eig^ ev i^tieq elS^lgto 6 ravQog Xeijucovl ßaG-nEG-S-ai^
zrjv IlaGLCpdriv svEßißaGEv. iX&tov Se 6 zavQog chg d?^rid'ivfj ßol GvvfjXd^Ev.
i) de 2dGteQL0v syevvriGE rbv y.lrid^evra MLVioravQov. olvog eIxe zavQov
TiQÖGiOTCov^ rä Se Xotrih dvS^og. ISTiviog Se ev Zip XaßvQivd^ci) 'Aard zivag
XQTjGf^ovg 'AazaxXEiGag avibv ecpvXaxzEv. fiv Se 6 XaßvQLV&og, ov JaiSaXog
y.azEGXEvaGEv, oYnrjua yiccjUTzalg n:oXv7rX()y.oig TtXavcov zrjv e^oSov. NacK
dieser Erzählung hat Minos durch seinen Betrug sich den Zorn des
Poseidon zugezogen , die Folge war die unselige Leidenschaft der
Königin, ferner hat Minos auf Grund von Orakelsprüchen, also unter
Beihilfe von Priestern, eine Sühnung des Verbrechens der Königin
vorgenommen, indem er den Minotaurus im Labyrinth einschloß.^) Der
Bericht des Apollodor geht auf Pherekjdes zurück. 2)
Eine davon meines Erachtens wesentlich andere Version der Sage
bietet Hygin fab. 40 = S. 69 Schm; Pasiphae^ Solls filia, uxor Mhiois,
Sacra deae Veneri per aliquos annos non fecerat. oh id Venus
amorem infandum Uli ohiecit, ut tauruni illum amaret. in hoc ^ Dae-
dalus exul cum venisset, petiit ah eo auxilium. is ei vaccam ligneam fecit
et verae vaccae corium induxit, in qua illa cum tauro, quem ipsa amabat^
concuhuit. ex quo compressu Minotaurum peperit capite huhulco parte
inferiore humana. tunc Daedalus Minotauro lahtjrinthum inextri-
cahili exitu fecity in quo est conclusus. Minos re cog^iita Daedalum
in custodiam coniedt. at Pasiphae euni vinculis liheravit. Itaque
Daedalus pennas sibi et Icaro filio suo fecit et accomodavit et inde avo-
larunt. Icarus altius volans a sole cera cah facta decidit in mare, quod ex
eo Icarium pelagus est appellatum. Daedalus pervolavit ad regem Cocalum
in Siciliam. . . .
^) Wenn Zenob. IV, 92 zu Apoll, ep. Vat. II, 56 Wagner sagt: AaiSaXov yciQ avv
'IxaQcp Tcö Tcaidi xad-etQ^e MCvwg, öi' ötibq elQyäaazo /^vaog im tcp zfjg naaiq)ür]g egcori tm
TiQog TOV ravQOv, so stammt dies nicht aus Apollodor; denn es paßt weder hier noch zur
Theseussage, es ist vielmehr dieselbe Quelle, die Hygin ausschreibt, anzuerkennen; anders
urteilt Wagner a. a. 0. p. 131.
2) Vgl. Wagner, a. a. 0., p. 128—130.
— 28 —
Darnach ist Pasiphae dem Zorn der Venus verfallen, die Göttin
treibt sie zur Liebe zum Stier, die Hilfe des Daedalus ist eine doppelte
er verfertigt die Kuh und errichtet das Labyrinth, offenbar damit
Minos die Frucht des sündigen Verhältnisses nicht zu sehen bekomme.
Als aber Minos das Verbrechen doch erfährt, wird Daedalus gefangen
gesetzt, nun befreit ihn Pasiphae, sie kann also von Minos nicht
der Freiheit beraubt sein. Die Unterschiede gegenüber der Erzählung
des Apollodor a. a. 0. sind klar.
Weitere Berichte der Mythographen lassen sich nun mit einer
der beiden Erzählungen vereinen oder geben eine beide Versionen ver-
einigende Darstellung. So kennt Diodor IV, 77 beide Erzählungen. Er
erzählt von der Leidenschaft der Königin zum Stier, von der werk-
tätigen Beihilfe des Daedalus, IV, 77, i) 1, dann 5 rbv ovv Jaidalov
7tvd-6f.ievov TfjV ä7t£L?.rjv tov MIvü) Sid tijv 7,auaay,eurjv rij^ ßoög (paai
q)oßrii>evTa Trjv OQyrjv vov ßaailewg ey, zrjg KQ^iTrig iy,7tlevGai, övveq-
yovoijg TTjg naoupdrig '/,al tcXoIov dovarig TtQog tov e/.Tzloui'. Minos
hat also von der Mithilfe des Daedalos gehört, dem Strafe droht, er
entgeht ihr mit Hilfe der Königin, die also noch nicht bestraft sein
kann oder nicht der Freiheit beraubt wurde. Diese Erzählung deckt
sich ^ wenn sie auch eine rationalistische Ausdeutung 2) gibt — in
einem wesentlichen Punkte, der Mithilfe der Königin bei der Flucht
des Daedalus, mit Hygin. Mit dieser Erzählung des Diodor ist nun zu
vergleichen, was der Scholiast im Ven. A zu Hom. II. II, 145 (=Kalli-
machus Frg. 5 Sehn.) erzählt: . . . fuevä ti)v r^g UaOKfdr^g Ttqbg rbv ravQov
fU^LV^) JaLdaXog eulaßovf^isvog rrjv Mlvcoog dqyt^v TcreQcocbg ovv
iTiccQi^ T(p viel ecplQEVo. '/.avaTteaovcog öe. tov Tzaidbg elg^) to v7zo/,elf.iEvov
7tiKayog ^iKaQwv i-iETWvouda&rj. o ftevrot JaiöaXog StaTttdg elg Kdur/Mv
zr^^ ^ixeliag /ml Tbv vlbv aviov ezöe/juievog eueivE Tcaqh Toig Kco/mIov
d-vyazQaGiv, laroQEl Oiloaveipavog /mI Kal/J/.iaxog h ^irloig.
Wenn Daedalus TtvEQcovbg entflieht, ist ihm jeder andere Weg versperrt,
daher muß der König bereits von seiner Tat wissen; die Worte EvXa-
ßov{.iEvog rrjv Mivcoog OQyrjv decken sich mit dem, was Diodor sagt
<poßri9-evTa tyjv ooyrjv tov ßaatXkog, es liegt also bei Diodor und dem
Scholiasten dieselbe Quelle vor und wir können ^) demnach den Bericht
des Scholiasten durch den des Diodor ergänzen. Die Quelle des
*) IV, 77, 2 — 4 stammen aus Apoll, a. a. 0.
^) Im übrigen kommen die rationalistischen Ausdeutungen der Sage nicht in Betracht,
da, wie sich ergeben wird, auch bei Eurip. die f^ti^tg mit dem Stier vorkam.
^) Vgl. die Worte des Timachides zu Aristoph. ran. 1356.
*) So nach 0. Fiebiger bei E. Dittrich, Suppl. zu Fleckeisens Jahrbücher 23, 187.
5) Vgl. Holland a. a. 0., S. 2.
— 29 —
Scholiasten und somit Diodors an der angeführten Stelle ist Philo-
steplianoS;^) der seinen Bericht den .Aivia seines Lehrers Kallimachus
entnommen hat. Kallimachus hatte also die Mithilfe der Pasiphae
bei der Flucht des Daedalus, wie Diodor zeigt, erwähnt, diese Flucht
war eingetreten, als Minos von der Geburt des Minotaurus gehört hatte,
doch bevor Daedalus vom König zur Verantwortung gezogen war;
ferner mußte Pasiphae beim König durchgekommen sein, sonst wäre
ihre Hilfeleistung bei Daedalus' Flucht unmöglich. Damit enthält
nun die Sagen wendung, die Kallimachus gab, Motive, die sich bei
Hygin a. a. 0. hnden, auch hat Hygin das aXcLov^ ferner erwähnt er die
Flucht zu Kokalos. Doch bei Hygin ist die Sache trotz derselben
Sagenelemente raffiniert verwickelter, indem Daedalus bereits vom
König gefangen gesetzt ist und dann erst befreit wird. Es stellt
also Hygins Quelle unter Benützung der von Kallimachus gegebenen
Sagenwendung ein weiteres Ausgestalten der Erzählung dar. Hygins
letzte Quelle ist, wie auch allgemein angenommen wird, ein Drama.
Dieses benützte also, wenn Philostephanos Richtiges berichtet, die von
Kallimachus in den ^ixia gegebene Version der Sage; es ist demnach
ein Drama der hellenistischen Zeit.
II.
Betrachten wir nun die Fragmente, die wir vor der Publikation
des Berliner Papyrusblattes sicher den Kretern des Euripides zuweisen
konnten, so wird das Fragm. 472 N. durch Porphyr, de abst. IV, 19,
direkt für unser Stück bezeugt. 2) Es treten die Mysten des idäischen
Zeus auf, um Minos, „dem Sohn der Europa und des gewaltigen Zeus''
zu helfen. Der Chor bekennt sich in diesen der Parodos zugehörigen
Versen zu einer asketischen Mystik. Der Minotaurus ist offenbar
aufgefunden worden und der Chor steht dem König bei, die Freveltat
zu sühnen, wozu die Worte des Apoll, a. 0. xar« Tivao, xQri(yf^iovg passen.
Die endgültige Sühnung der Zeugung und Geburt des Minotaurus
bildete gewiß den äußeren Rahmen des Stückes, in dem dann die
asketische Mystik eine wichtige Rolle spielte. 3)
Daß auch das kleine Fragm. 471 N. i^H' w KQrireg^ "löyjg xixva^
zu dem der Scholiast bemerkt xovg KovQr^vag leyei' eon ds ez KQrjTcov
EvQLuidov, auf die Kureten sich bezieht, hat nach Fritsche richtig
Wilamowitz a. a. 0. p. 77, 1 betont.
^) über ihn und seinen Einfluß auf Apoll, spricht Wagner a. a. 0. 137 und sonst.
2) Über den Text handeln neuerdings Wilamowitz, Berl. Klassikertexte Y, 2, S. 77, 1
und Schmidt, W. f. cl. Ph. 1908, Heft XVI, XYII.
») Vgl. Eobert a. a. 0., p. 20if. und Wilamowitz, B. Kl. T. a. a. 0., p. 77/78.
— 30 —
Dadurcli aber ist klar, daß der folgende Vers des Aristophanes
(ran. 1357)
To. T()^a Xaßövieg hca^itvaTE
niclit aus Euripides stammt und die ganze Monodie der Frösche nichts
mit den Kretern ihrem Inhalte nach zu tun hat. Somit fallen aber
auch die Folgerungen, die Kuhnert^) und Holland 2) aus der Monodie
des Aristophanes zogen: wir können hier weder das Klagelied des
Minos noch das der Pasiphae bei der Flucht des Daedalus erkennen.
Zu diesen zwei Fragmenten kommt nun das Berliner Bruch-
stück, 2) das durch Form und Inhalt sich als echt euripideisch erweist
und wegen seines Stoffes gewiß den Kretern angehört. Auf der Szene
befinden sich der Chor, Minos mit einem Gefolge von Speerträgern, Pasi-
phae und ihre Dienerin:
Chor ov yaQ Tiv äXXriv (frif^d ToXf^iiiaat rdde'
ab de (^xa'KOvy sy, ym-äcov äva^
cpQÖvTLöov el TiaXvxpai.
Pasiphae aQVOv/uevri fxev ov'Aer av Ttid^oiuL ge'
TtävTcos ytcQ y]Srj drilovy ojg eyßt tdöe. 5
iy(i<jy yäQ el {.lev dvdqi TZQOvßakov Ssfiag
TOcf,ibv Xad^Qalav e^TtoXwf^ievr] Kij7Cqiv^
oQd-idg dv rjÖTj {.laQ^^yo^g ovoa ifpaivöuriv'
vvi d\ ex ^eov yäq JtQoaßokijg ef^i7jvdfj.riv^
dXyco (.lev, iarl ö^ ovx e'Ko(yoyiov %avMv' 10
exei yaQ oudev einog' eig tl yäg ßoög
ßlexpaoa eöi^yß-rjv d-viihv alGyiorrj vöotp;
log EUTvqeTztjg fxev £P TieTtXoiOiV fjv Idelv,
TzvQOTig ^^ XOLiTrig xal Ttaq öiu/^dtojv oelag
olviOTtbv e^eXaf.L7tE tieq (^/.aiy vwv yevvv. 15
ov fi))v de{.iag y EVQ(^vd-f.i6v eart v^vj-icpiov.
TOUOVÖE XeATQC0(v E%VE'A ELQ^ TtEÖOOTLßri
Qlvöv '/.ad-eq\p^)(^aodv /he jud^yop f^ie^fp^ETai. (? Ergänzung)
0 a. a. 0. 196.
*) a. a. 0. 10.
^) Nebst dem Text haben Schubert und Wilamowitz auf Tafel IV und V im Licht-
druck den Papyrus wiedergegeben. Die dadurch ermöglichte Nachvergleichung nahm Schmid
a. a. 0. vor ; ich nehme seine Lesungen auf, soweit ich sie durch eine neuerliche Yergleichung
■des Lichtdruckes bestätigt finde.
*) So liest Schmid richtig, doch seine Ergänzung ist zweifelhaft; ^ä^Kpeiai
hat kein entsprechendes Subjekt, denn von IVIinos, der Subjekt sein soll, ist noch nicht die
Hede gewesen. Wilamowitz liest qlvov y.ad-eia(j] adna KvuQig äyßeyiai; aber KvTiQig ist
üer ohne jedwede Begründung, offenbar aus Hygin, eingeführt.
— 31 —
«A^ ovde Ttaidiov XQ(r\v exarl- viv} Ttooiv^)
S^ead^ai- tL driTa rf] (^ö* ij^icayvouriv vöaqj; 20
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Chor noXXolGi dfilov, <(ihg d-ErjlaTovy '/mkov
TÖd^ EGTiv oQyfi <^ut) llav ei^yjjg dva§.
Minos aQ EGTÖf-iiOTai ^{ ) ßoai
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IdLuG&E Trjv 7Tavo(yQyov w)^ xakcog d-dvvj
Aal TTjv ^vvEQyov (^Tr^vÖE, dycojiidvcüv S^ SGCO
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(^ihg (^lyriKET EiGiS^^wGiv 7]Xiov '/S)vy.Xov.
Chor <(«)v«^ E7tiG%(Eg' (pqoyvTiidogy yäq d^iov 50
To Tigäyina' vrilrjg d ovTig Evßovlog ßqoTMV.
z{ ). <( ) (,ifj dvaßdX'kEGdal SiAiqv.
Die Worte der Königin Vers 4 zeigen, daß die Klärung über den
Frevel und seinen Urheber soweit gediehen ist, daß die Schuld der
^) So Schmid, der xq sah, Wil. : äXX' oüös Tiaiöojv (pfvio^' eixog tjv) Tiöaiv.
^) Es beginnt die Rückseite des Papyrusblattes.
^) Wilamowitz vermutet einen Schreibfehler und liest qijitelp . . . qcttts.
*) So ergänzt Schmid a. a. 0. richtig.
~ 32 —
Königin feststellt, es muß also schon der Minotaurus aufgefunden sein
(das ist bereits vor dem Auftreten des Chores der Fall, vgl. oben),
ferner bekannt geworden sein, wie er gezeugt Avurde. Auch daß eine
Dienerin der Pasiphae geholfen und sie beraten hat — man denke an
die Amme im Hippolytos — geht aus Vers 1 klar hervor. Wenn
Pasiphae 29 ff. es besonders beklagt, daß Minos ihre Schande aller
Welt preisgibt, so ist dies wieder eine Parallele zum Hippolytos; man
vergleiche die schöne Analyse des Charakters der Phaedra bei
Wilamowitz: „Was sie (Phaedra) fürchtet, ist nicht die Sünde;
bewahre, sie meint ja, nichts dafür zu können, daß sie liebt; was sie
fürchtet ist die Schande. Repräsentation war ihr Leben . . . .i)
Auch für das Verständnis des Aufbaues des Stückes ist das
Fragment nicht ohne Wert. Wie steht es mit der Mitschuld des
Daedalus? Daß er im Stücke eine Rolle spielte, geht aus der Monodie
des Ikarus sicher hervor. Meines Erachtens weist aber auch der
Ausdruck TteSooTißrjg qivog auf ein Kunstwerk hin; auch ist nach
der Überlieferung der Mythographen die hölzerne, auf Rädern
ruhende Kuh mit einer Rindshaut überzogen worden. Also ist
doch kein Grund, die Mithilfe des Daedalus in Frage zu stellen, wie
Wilamowitz es tut 2) ; daß der Ausdruck ungenau ist, ist freilich zuzugeben ;
die Erklärung liegt wohl darin, daß die Mitschuld des Daedalus bisher
noch nicht erwiesen ist; die Vorführung und Bestrafung des schuldigen
Daedalus erfolgen später.
Wenn man ferner bisher wegen der verschiedenen Überlieferung
der Mythographen über den Urheber 3) der Schuld der Pasiphae im
Zweifel sein konnte, so zeigen die Verse 21 ff., daß Poseidon und nicht
Aphrodite die unselige Leidenschaft in der Königin erregt hat; daß
auch Vers 18 nicht von der KvftQig die Rede war, haben wir bereits
in der Texteskonstitution zu diesem Verse gezeigt. So fällt aber auch
wenigstens in diesem wesentlichen Punkte die Beziehung zu Hygin fab. 40
und es ergibt sich sicher, wie wir schon oben vermuteten, daß es einvon
Euripides' Kretern verschiedenes Drama gab, das dieselbe
Fabel behandelte. — Pasiphae klärt hier den König auf, daß Poseidon
an Minos Rache nimmt wegen des unterlassenen Opfers. Nun ist es
unmöglich, daß Minos als gemeiner Betrüger gehandelt hat, aus bloßer
Grewinnsucht, wie bei Apollodor a. a. 0., der nach Pherekydes die vor-
') Euripides Hipp. S. 48.
^) „Nun drückt sich aber Pasiphae über ihren Verkehr mit dem Stier so aus, daß
die hölzerne Kuh kaum vorgekommen sein kann; oder darf man den Tteöoanßrjg Qivög
(Vers 18) so deuten?"
^) Für Aphrodite traten Härtung, Jahn, Kürte a. a. 0. ein.
— 33 —
euripideische Sagenversion erzählt; Minos wäre sich sonst seiner Schuldbe-
wußt. Diese Verse ergeben somit eine Bestätigung der Vermutung
C.Roberts,!) daß Minos, der Sohn des idäischen Zeus, sich auch später
zu dessen Religion, die im Stücke die Mysten vertreten, bekannt hat
und deshalb aus religiösen Bedenken das blutige Stieropfer unterlassen
hat. Daß nur diese Verse die Robertsche Hypothese stützen, wird
sich noch zeigen.
Die Szene schließt damit, daß Minos den Befehl gibt, Pasiphae
und ihre Dienerin ins Gefängnis zu führen. Es fragt sich nun, ob nicht
ein Aufschub, ja eine Versöhnung eingetreten ist, wie Körte annahm -)
und wie sie die Quelle Hygins wiegen der Teilnahme der Königin an
der Flucht des Daedalus voraussetzt. Bedenken wir jedoch, daß die
Königin rücksichtslos mit dem König abrechnet, daß sie vollkommen
die Brücken abbricht, so werden wir die Möglichkeit einer Versöhnung
bezweifeln. Auch ist das gewichtigste Argument für die Frei-
sprechung der Königin bereits von ihr aufgezeigt worden, die Rache des
Poseidon; und was sonst sich sagen ließ, brachte der Chor vor. An ein
Dazwischentreten irgend einer Person, die hier eine Freilassung der
Pasiphae erwirken könnte, ist demnach nicht zu denken; sie kann
daher dem Daedalus bei seiner Flucht nicht geholfen haben und es
fällt eine w^eitere Beziehung zu Hygins fab. 40.
Daß am Schlüsse des Stückes ein deus ex machina eine für
Pasiphae günstige Wendung herbeiführte , ist nicht ohneweiters aus-
geschlossen, doch auch dann konnte Pasiphae dem Daedalus nichts mehr
nützen. Suchen wir nach gleichen Situationen bei Euripides, so gehört
hieher Andromache 490 ff. Andromache und Molossos sind auf des
Menelaus' Befehl gefesselt worden und sollen getötet werden, da er-
scheint 531 plötzlich Peleus und führt eine glückliche Wendung für
Andromache und ihr Kind herbei; doch dieser plötzliche Situations-
wechsel ist in der Schuldlosigkeit der Andromache wohl begründet.
Nicht überraschend, sondern wohl vorbereitet ist dagegen in
der durch Oxyrhynchus papyri VI, 59 ff nunmehr z.T. bekannten
Hypsipyle das Auftreten des Sehers Amphiaraos, der die schuldige
Hypsipyle rettet, vgl. Fragm. 60 Vers. 10 — 24.
III.
Zur Rekonstruktion des Dramas sind endlich bildliche Darstel-
lungen herangezogen worden. Aus der Menge der Denkmäler heben
') a. a. 0. 22.
-) Hist. phil. Untersuch, f. E. Curtius S. 207.
Wiener Eranos.
— 34 —
sicli zwei Gruppen ab , erstens der sogenannte Pasiphaesarkophag ^)
und zweitens die etruskischen Aschenurnen, die zuletzt Körte in
Rilievi delle urne etrusche II, 1 auf Tafel 28,3 bis 29,6 publiziert hat.
Der Sarkophag stammt aus der ersten Hälfte des zweiten Jahr-
hunderts n. Chr. 2j Daß die Vorderseite — jetzt im Louvre — die in
der Kaiserzeit besonders im Ballett ^) viel behandelte Geschichte von
der Verfertigung der hölzernen Kuh und das Einsteigen der Pasiphae
darstellt, hat Robert bereits richtig erkannt, desgleichen, daß hier
keineswegs eine direkte Benützung einer literarischen Quelle ange-
nommen werden muß. Daß auch die Schmalseiten, von denen die eine *)
sich jetzt gleichfalls im Louvre , die andere ^) in der Villa Borghese
befindet, demselben Mythenkreis (also dem kretischen) angehören, ist, wie
Robert darlegt, ebenfalls anzunehmen; denn Ausnahmen von dieser
Regel sind selten und auch dann wohl motiviert. ^)
Auf der in der Villa Borghese befindlichen Schmalseite erblicken
wir einen Tempel, der im Giebelfeld einen jugendlichen Triton zeigt;
der Triton stößt ins Muschelhorn und trägt in der rechten Hand ein
Ruder. Vor zwei Säulen stehen auf Sockeln zwei Eroten, der eine
mit einer Fackel, der andere wohl^) mit dem Bogen, zwei Attribute,
die seit der hellenistischen Zeit besonders beliebt^) sind. Vor dem
Tempel steht adorierend ein greiser Mann mit der Königsbinde, hinter
ihm eine Frau, — Robert nennt sie ältlich, richtiger ist trauernd —
gleichfalls mit einem Diadem, ein Fruchtopfer in der Hand. Robert
erkennt darin Minos, der vor dem Tempel des Poseidon in Gegenwart
der Europe ein unblutiges Opfer darbringt. Es ist das Opfer, das der
^) Vgl. die Tafeln bei Robert , der auch die früheren Deutungs versuche behandelt.
') Robert a. a. 0. S. 18.
^) Vgl. Suet. Nero 12 Inter pyrricharum argumenta taurus Pasiphaam ligneo iuvencae
simulacro abditam iniit, ut multi spectantium crediderant ; Icarus primo statim conatu iuxta
cubiculum eins decidit ipsumque craore respersit, und Liban. vtt. oq-/. IY, 467 F Xeyoi
Selv xai — xexXeia&ai xolq VTtoxQiidig t6 ^kaxQOv , Iva fxrj t^aycoSog elgeX&ojv Ilaai-
<pdrjv fjn^iiiaetai rijv i^oxsilaaav eig dlXöxoTOV eQOixa und in ap. Socr. III, 64 R o^i ÖQäxe
zov Mivcü öecva Tiäa/ovra im Ttjg axr]vrjg xai zijv oixiav avrov dca zov zfjg Uaüicpär^g
eQOjTog iv alayvvr^ ysyevi]fievt]v; ravra fdvzoi noXXovg äv dvd^Qwnovg eXad-ev, ei fii] jiavzaxoü
zov Xöyov ai zQaycpdtat dieujieiQav. Daß die oxy^vrj des Libanius das Ballett ist, bemerkt
"Wilamowitz a. a. 0. 79, 1.
*) Vgl. sg. Cod. Berol. (des Berliner Kupferstichkabinetts) fol. 28.
•^) Vgl. sg. Cod. Beiol. fol. 4. Über den Kodex, vgl. Robert, Antike Sarkophag-Rel., S. XI.
^) Ausnahmen bespricht C. Robert, a. a. 0. 19, 20.
"') „Das Attribut . . sieht bei Ferrari wie ein Tympanon oder wie ein Kranz aus,
jetzt ist es als Palmzweig ergänzt, aber nach der Form des antiken Stückes und der Art,
Avie es getragen Avird, möchte man lieber an einen Bogen denken" Robert a. a. 0. p. 20.
^) Vgl. Furtwängler in Roschers Lexikon s. v. Eros p. 1365. „Seine ständigen Attri-
bute sind nunmehr der Bogen und die Fackel in Poesie und Kunst.''
— 35 —
König darbringt, um nicht den aus den Fluten aufgestiegenen Stier opfern
zu müssen. Die zweite Schmalseite bringt drei Jünglinge, die aufmerksam
nach rechts blicken. Ihre Aufmerksamkeit konzentriert sich auf den be-
kränzten und mit Früchten bedeckten Altar vor ihnen ; der Altar stellt
offenbar die Verbindung mit der anderen Schmalseite dar. In ihnen
erblickt Robert die drei Söhne des Minos, die der neuen vom Yater
angenommenen Religion feindlich gegenüberstehen.
Sicherlich ist Robert zuzugeben, daß wir hier Minos ein unblutiges
Opfer darbringen sehen. Doch daß der Gott, dem das Opfer gilt , Posei-
don ist, ergibt sich Robert bloß aus dem Giebelschmuck; der ist aber
doch nicht für einen Poseidontempel ein zwingendes Charakteristikum, so
z.B. befanden sich blasende Tritonen auf dem Giebel des Saturntempels
in Rom, vgl. Macrob. Sat. 1, 8 : illud non omiserim Tritonas cum bucinis fasti-
gio Saturni aedis superpositos. Ferner sind Tritonartige Wesen, die
s. g. iyJ)-vo}i€vTauQOL (vgl. Tzetzes, Lykophr. 34), seit der hellenistischen Zeit
der übliche Schmuck der Giebelfelder jedweder Tempel.^) Die Eroten
erklärt Robert für eine dekorative Zugabe, natürlich gilt dasselbe zu-
nächst auch für den Giebelschmuck. Eine Interpretation kann weder
vom Giebelschmuck noch von den Eroten ausgehen; denn nur das
Opfer ist klar zu erkennen. Der Schluß Roberts wäre ferner dann
2:wingend, wenn das Opfer für Poseidon überhaupt bezeugt wäre, und
zwar dann als das einzige unblutige Opfer des Königs. Xun wissen
wir aber von anderen unblutigen Opfern des Minos: Wilamowitz hat
die bei Porphyr, de abst. IV, 19 für Sophokles' Polyidos 2) bezeugten
Verse (=366N):*
rjv jLiev ytiQ oiög iiaXlog^ ^v S df,i7V6?MV
OTtovdrj TB xal qä^ ev TEd-rjaavQiaiievri'
Ivriv öe 7tay%dq7LELa ovf.ifiiyrjg olaig
XiTcog TeXaiag xal xb Tvor/ulcoTavov
^ovd^rig jueXiaarig %riq67tXaoTov oQyavov
für Minos in Anspruch genommen. Näheres ist nicht bekannt; doch
jedenfalls bringt hier Minos, falls die Vermutung von Wilamowitz
richtig ist, daß Minos der Sprecher der zitierten Verse ist, ein un-
blutiges Opfer dar. — Nun wird aber noch ein unblutiges Opfer für Minos
unzweifelhaft bezeugt: Apoll, bibl. III, 15, 7 erzählt, daß Minos den
Charitinnen») auf Paros opferte und während des Opfers den Tod seines
^) Vgl. z. B. die Tafeln 34, 37, 40 in Schreiber, Hellenistische Reliefbilder.
2) De Trag. Gr. fr. S. 17. Über die Sage vgl. Hygin f. 13G und ApoU. bibl. in, 1, 2,
femer den Artikel Glaukos in Roschers Lexikon.
') Den Charitinnen wurde überhaupt unblutig geopfert ; vgl. das Material in Pauly-
Wissowa R. E. III, 2, 2158, wo auch die einzige scheinbare Ausnahme besprochen ist.
3===
— 36 —
Sohnes Androgeos erfuhr: 31ivcog de dyyeld-evzog auru) tov ^avccTOv
(seil, des Androgeos) S-vcov iv IldQO) ralg Xägtoi zbv iiev Gxecpavov
uttö TYig y,E(paXrig egQLipe ymI top aulhv zorrfa/e 'Aal Tip' d^ioiav
ouöiv fjTTov s-n^eTeleaev. oS-ev evi 'Aal öevQo x^^Q^S avkiov y,al örerfdvov
iv ndQO) d-vovGL Talg XaQcGi. Diese Geschichte war ferner noch in
der Kaiserzeit, aus der der Sarkophag stammt, wohl bekannt,
denn Sueton Ti. 70 berichtet: Et quo primum die post excessum
Augusti curiam intravit (seil. Ti.), quasi pietati simul ac religioni satis-
facturus Minois exemplo ture quidem ac vino sine tibicine supplicavit,
ut olim in morte filii. Daß wir nun diesen Vorgang auf den Schmalseiten
dargestellt haben^ läßt sich damit stützen, daß bei dieser Deutung die ganze
Darstellung auch in ihren Details erklärlich wird. Die Eroten passen
nämlich zu einem Tempel der Charitinnen und sind nicht mehr bloß
dekorativer Schmuck. Pausanius VI , 24 erzählt z. B. , daß das Bild
des Eros in Elis auf demselben Bathron stand wie das Kultbild der
Charitinnen. ^) Die Frau ist natürlich die mit Minos trauernde Pasiphae,
die Mutter des Androgeos. Daß die zweite Schmalseite die Söhne dar-
stellt, gilt auch für diese Deutung; ihre Zahl aber ergibt sich aus
Apoll, bibl. III, 1, 2 Tlalöag /uiv eTezvcoae (mit Pasiphae) KaTQea^ Jei-
%aXuova^ rXav/.ov^ ^divSQcoyecov. Androgeos ist tot, so bleiben eben drei
Söhne und diese blicken erstaunt auf den Vater, der sich trotz der
Todesnachricht in der Opferhandlung nicht stören läßt ; dazu paßt, daß
sie, wie Eobert sagt, „befremdend und zögernd auf das Fruchtopfer
blicken ..." Diod. IV, 60, dem Robert folgt, gibt, wie die Zahl der
Töchter zeigt — er kennt nur eine , nicht vier — nicht die vollstän-
dige Liste ; er führt mit Androgeos nur drei Söhne des Minos an.
Ist diese Deutung richtig, so fällt natürlich auch die Hypothese
Roberts, daß Europe, die Mutter des Minos, als Ahnfrau im Stücke des
Euripides eine ähnliche Rolle gespielt hat wie Kadmos in den Bakchen. ^)
Die zweite Gruppe bildlicher Darstellungen ist in mehreren Re-
pliken erhalten ; als Vertreter sei hier die von Körte a. a. 0. Tafel
XXIX, 3) 4 abgebildete xlschenurne aus Volterra (Museum n 435 L 0.55m)
betrachtet. Die Kuh und das Kind mit dem Stierkopf weisen deut-
lich auf die Pasiphaesage. Wir erkennen den König, der in der Linken
ein Szepter führt, die erhobene Rechte droht den Gestalten vor ihm.
Zu seinen Füßen kniet eine jugendliche Frauengestalt, die offenbar die
^) Ein gemeinsamer Kult scheint auch in Thespiai vorhanden gewesen zu sein
CJGI 3207, vgl. noch Eurip. Bakch. 412, Aristoph. Av. 1320.
2) a. a. 0. p. 23.
«) Hist. phil. Untersuch, f. E. Curtius, S. 201.
— 37 -
links Stehenden vor der Wut des Königs zu schützen sucht. Die eine
dieser Frauen trägt schützend den Minotaur, die andere ist durch ein
Halsband als höher stehend gekennzeichnet. Es ist Pasiphae mit ihrer
Dienerin. Der Mann mit auf dem Rücken gebundenen Händen ist, wie
seine Kleidung — es ist die Tracht des Handwerkers — und die Kuh
zeigen , Daedalus. Hinter dem König steht ein Doryphoros , der ihn
gleichfalls zu beruhigen sucht, dann eine Furie mit Fackel. Körte
erblickt nun in der jugendlichen Frauengestalt eine Fürbitterin für
Pasiphae; er meint, es sei Ariadne, und da an der dramatischen Grund-
lage der Szene kein Zweifel ist , so nimmt er i) für Euripides' Kreter
eine Szene an, in der „im Augenblicke der höchsten Gefahr sich
Ariadne dem Vater zu Füßen wirft und durch flehende Bitte das Leben
der Mutter und des kleinen Minotaurus rettet."
Die oben dargelegten Folgerungen aus dem Berliner Papyrus
schließen das Dazwischentreten einer Fürbitterin bei Euripides aus; da-
gegen ergänzt dieses Relief treff'lich die Darstellung Hygins; für das
dem Hygin in letzter Quelle zugrunde liegende, natürlich von dem
euripideischen Stücke beeinflußte Drama hellenistischer Zeit ergibt
sich notwendig, daß Pasiphae vom König nicht verurteilt wird, sonst
könnte sie dem Daedalus nicht beistehen. ^)
^) So auch rilievi delle ume etrusche S. 84.
2) A'ergil. Ecl. VI, 46-60 und Ovid Art. am. I, 289—326 bieten Klagelieder der Pas.;
die Königin ist von furchtbarer Liebesglut nach dem Stier erfaßt und sucht eine Vereinigung
mit ihm. Wie wir wissen, ist es Daedalus, der (auf Veranlassung der Amme bei Euripides ?)
ihr die Befriedigung ihrer Leidenschaft endlich ermöglicht. Daß für die römischen Dichter
Euripides die Quelle ist, ist unwahrscheinlich; denn bei ihm beginnt die Handlung sofort
mit der Auffindung des Minotaurus, also war kein Platz für lange Klagen der liebeskranken
Pas. ; auch ein Chorlied solchen Inhaltes im Munde der Mysten ist undenkbar. Dagegen
kann ganz gut das Drama der hellenistischen Zeit, das überhaupt Pas. in den Vorder-
grund stellte und, wie Hygin zeigt, nicht mit der Auffindung des Minotaurus begann, die
Quelle für Vergil und Ovid sein.
Piaton und Prodikos,
Von
AUGUST R. V. KLEEMANN.
Jedem, der auch nur einmal den platonischen Dialog „Protagoras^*"
gelesen hat, wird die ebenso feine als unwiderstehliche Komik in der
Zeichnung der drei großen Sophisten Protagoras, Hippias und Prodikos
wie in der Schilderung des ganzen bildungsdurstigen Treibens im Hause
des Kallias unvergeßlich sein. Der ängstliche Respekt, der z. B. den
um Protagoras versammelten Chor begeisterter Jünger erfüllt, ist von
Piaton aufs glänzendste karikiert. Wie die Jünger, die hinter
Protagoras aufmerksam lauschend einherschreiten, im Augenblick, da
dieser sich wendet, auseinanderstieben, um dem Geistesheros nicht im
Wege zu stehn, und dann sich Avdeder hinter ihm zusammenschließen,
bis er abermals das Gemach durchmessen hat, das ist hochergötzlich
geschildert. Piaton war boshaft genug, die Erlebnisse des Sokrates
im Hause des Kallias nach dem Vorbild von Odysseus' Hadesfahrt zu
schildern.!) Das Haas des KalKas, welches nicht nur den großen
Sophisten und ihren begeisterten Anhängern offenstand, sondern ver-
mutlich auch manch unwürdigem Schmarotzer, der die gute Gelegen-
heit zu nutzen wußte, ist dem alles aufnehmenden Hades gleichgesetzt.
Auch der grimme Höllenhund Kerberos fehlt nicht: er erscheint in der
Gestalt des mürrischen Türhüters, dem die Sophisten und das ganze
Treiben im Hause seines Herrn ein Dorn im Auge sind (314 d ff.).
Nur einen vermissen wir und darin zeigt sich Piatons Meisterschaft
in der Satire: es ist Teiresias, von dem zwar Odysseus die gewünschte
Auskunft erhielt, der aber im Hause des Kallias keine Repräsentanten
zu finden vermochte. 2) Denn Protagoras, dem eigentlich diese Aufgabe
^) Wie schon Welcker , Prodikos von Keos , Vorgänger des Sokrates , Kleine
Schriften II, 396, gezeigt hat.
^) Dieser Vergleich begegnet uns noch einmal im „Menon'' p. 100 a, wo der wahr-
haft Avissende ein Teiresias unter den Schatten genannt wird.
— 39 —
obgelegen hätte, tritt uns in der Rolle des Sisyphos, des vergebens
sich Mühenden,^) entgegen, was ja auch durch den Verlauf seiner
Unterredung mit Sokrates als vollauf berechtigt sich erweist. Hippias,
stets bereit, jeder Frage Rede und Antwort zu stehen, ist Herakles
gleichgesetzt, der den stets gespannten Bogen in Händen hält, indes
die Toten mit lautem Geschrei ihn umdrängen. ^j Prodikos von Keos
endlich erscheint als Tantalos'*), und zwar heißt es von ihm p. 315 c:
„Kai (.dv öi) y.al Tdvvalov ye eloeldov'^y ähnlich wie an der zitierten
Stelle der Odyssee vmI jurjv TdviaXov eloeldov vaX. Jedermann, meint
nun Welcker*), setzte zu Piatons Worten in Gedanken die andere
Hälfte des Verses hinzu ^,'AQaieQ äkye Eyovva^' y so daß also die Gleich-
setzung von Tantalos und Prodikos auf den schmerzensreichen Zustand
zurückzuführen wäre, in dem sich beide befanden. Indessen gedenkt
Welcker noch der Möglichkeit, Prodikos könnte auch deshalb mit
Tantalos verglichen sein, weil der kranke Mann am Tische des reichen
Kallias „ Tantalusqualen'^ ausgestanden und überhaupt infolge seines
leidenden Zustandes auf jeden Lebensgenuß habe verzichten müssen.^)
Daß aber diese Auffassung des Vergleiches ;, Prodikos -Tantalos '^ aus-
geschlossen ist, geht wohl schon daraus zur Genüge hervor, daß Piaton
den Prodikos in der ausgeräumten Vorratskammer untergebracht
sein läßt (s7tsöi]f.ieL yaq ä^a UgoörAog 6 KeTog^ rjv de iv ol'/.rjixaTi tlvl,
^> TCQO Tov fisv (hg TauLeiti) ey^rixo'^lTCTcovi/.og, vvv de VTtb tov rcXrjS'Ovg
Tcov vMTaXvövTwv 6 Kalllag vmI tovto b/./,evd)Gag ^evoig YMrdXvoiv
7CETcoirf/.Ev p. 315d). Hätte Piaton beabsichtigt. Prodikos dadurch
lächerlich zu machen, daß er ihn verlangend nach Speise und Trank
bKcken ließ, deren ausgiebigen Genuß sein leidender Zustand ihm ver-
wehrte, so hätte er vermutlich die Vorratskammer gefüllt gelassen.
Und es wäre gewiß für einen Meister der Satire wie Piaton ein sehr
dankbarer Vorwurf gewesen, den „weisen Prodikos '^ß) in verzweifeltem
Kampf mit seiner Eß- und Trinklust darzustellen. Die leere Vor-
ratskammer aber zeigt deutlich, daß Piaton den Vergleich „Prodikos-
Tantalos^' nicht also verstanden wissen wollte. Warum er die Aus-
räumung der Vorratskammer überhaupt erwähnt, liegt übrigens so
ziemlich auf der Hand: Kallias, ganz anders geartet als sein spar-
^) Welcker a. a. 0., p. 397.
2) Odyss. XI, 601 if.
') Nach Odyss. XI, 582.
*) A. a. 0., p. 396.
^) p. 416 meint Welcker übrigens , auch des Prodikos großer Eeichtum möge es
Piaton nahe gelegt haben, ihn mit Tantalos zu vergleichen.
^) Ein geflügeltes Wort im Altertum lautete: „Weiser als Prodikos".
— 40 —
samer Yater Hipponikos, konnte die Vorratskammer um so unbedenk-
licher ausräumen, als er nicht zweifeln durfte, daß die große Schar
der Sophisten und Sophistenjünger, unter denen sich gewiß so mancher
berufsmäßige Schmarotzer befand, seine Vorräte ohnehin in kürzester
Frist aufzehren würde. So paradox es zunächst auch klingen mag,
Piaton spielt hier auf den Gegensatz der alten und der neuen Zeit
an, verkörpert in Hipponikos und Kallias. Ein helles Licht auf diesen
Gegensatz wirft noch das sophistenfeindliche Verhalten des Tür-
hüters, der vermutlich schon unter Hipponikos seine Stellung bekleidete
und darum mit der Wirtschaft seines neuen Herrn so gar nicht ein-
verstanden ist.
Müssen wir also schon nach dem bisherigen es ablehnen, in der
Gleichsetzung von Prodikos und Tantalos eine Anspielung auf die
„Tantalusqualen" des Keers am Tische des reichen Kallias zu sehen,
so dürfen wir doch noch das folgende gewichtige Moment nicht außer
acht lassen : niemals hat Piaton die großen Sophisten, wie Protagoras,
Prodikos, Gorgias, Hippias, in so possenhaften Zügen geschildert.
Wenn er sie auch bis aufs Messer bekämpfte, er hat sie doch niemals
persönlich angegriffen. ^j Dies ist am deutlichsten aus dem „Gorgias"
zu ersehen, in welchem er - — trotz der unverkennbar grimmigen
Grundstimmung des Werkes — doch scharf zwischen Gorgias und
jenen Männern unterscheidet, die skrupellos die letzten unsittlichen
Konsequenzen aus des Leontiners Lehre zogen. Er macht wohl Gorgias
verantwortlich für jene Philosophie der Sittenlosigkeit, aber er erkennt
gleichzeitig an, daß er für seine Person ein rechtschaffener Mann
gewesen sei und die Konsequenzen seiner eigenen Lehre nicht gebilligt
habe. Wie immer, greift er also in dem Sophisten den Denker an,
aber seine Persönlichkeit läßt er völlig unangetastet. Nicht anders
verfährt er mit Protagoras und Hippias, denen er stets nur die Un-
zulänglichkeit ihrer Weisheit nachzuweisen sucht, deren Moralität er
aber nicht im entferntesten in Zweifel zieht. Daß nun aber Piaton
den Prodikos, den er ja, wie aus zahlreichen Stellen in seinen Schriften
hervorgeht, zwar stets mit mehr oder minder unverhüllter Ironie,
jedoch zum Unterschied von den übrigen Sophisten mit sichtlicher
Sympathie behandelt hat, darum mit Tantalus vergleicht, weil er etwa
sagen will, er leide ;, Tantalusqualen '^ wenn ihn sein kränklicher
Zustand daran verhindere, sich den Freuden einer wohlbesetzten Tafel
nach Herzenslust hinzugeben, ist undenkbar, schon darum, weil wir
keinen Augenblick zweifeln könnten, daß Piaton ihn gar keines Blickes
1) Vgl. Th. Gomperz, Griech. Denker I, 336 ff. ; auch die von E. Horneffer, Piaton
gegen Sokrates p. 50, mitgeteilte Äußerung v. Wilamowitz' über Piatons Verhältnis zu Gorgias.
— 41 —
gewürdigt hätte, wenn er in ihm einen ganz gewöhnlichen Schmarotzer
an den Tischen der Reichen gesehen hatte. Es ist also als gänzlich
ausgeschlossen zu betrachten, daß Piaton solches mit dem Vergleich
,,Prodikos-Tantalos^^ ausdrücken wollte. Auch Welcker selbst meint
ja, es sei bei dem Vergleich in erster Linie an den leidenden Zustand
des Prodikos zu denken. Mir scheint indessen auch dies nicht das
Richtige zu treffen. Wenn Welcker, wie oben erwähnt, der xlnsicht
ist, daß jeder Leser bei den Worten y-al f^iiv örj xal Tävialöv ye eloeldov
in Gedanken noch die Worte y.QazsQ äXye s/ovra hinzugesetzt habe,
so könnte man auch umgekehrt den Standpunkt vertreten, gerade da-
durch, daß Piaton die erwähnten drei Worte nicht zitiert habe, sei
angedeutet, daß er auf den leidenden Zustand des Prodikos hier nicht
den Hauptton lege.
Wir werden also nach einer andern Begründung jenes Vergleiches
suchen müssen, um so mehr, wenn wir erwägen, in welcher Absicht
Protagoras mit Sisyphos, Hippias mit Herakles gleichgesetzt ist. Es
gilt, ihre geistige Beschaffenheit, ihre philosophischen Fähigkeiten zu
•charakterisieren: vergeblich wie Sisyphos müht Protagoras sich um
die Weisheit ; und schlagfertig gleich Herakles, dessen allzeit gespannter
Bogen die Gegner bedroht, weiß Hippias jeder Frage Rede und Ant-
wort zu stehen. Sollte da wirklich Prodikos nur deshalb mit Tantalos
verglichen sein, weil er nicht essen und trinken darf oder weil er Schmerzen
■erdulden muß? Essoll ja nicht geleugnet werden, daß dies alles zur Tanta-
losrolle des Prodikos ganz vortrefflich paßt, aber es sind nur leise mit-
klingende Untertöne, das tertium comparationis dürfen wir darin nicht er-
blicken. Denn Piaton wollte doch wohl wie bei Protagoras und Hippias so
auch bei Prodikos vornehmlich die geistige Physiognomie kenn-
zeichnen. Hätte er aber den Vergleich „Prodikps-Tantalos^^ so gemeint,
wie Welcker ihn deutet, so hätte er ihm jede geistige Physiognomie
überhaupt abgesprochen. Davon aber kann natürlich gar keine Rede
sein. Vielmehr müssen wir es als gewiß annehmen, daß Piaton, als
er Prodikos dem Tantalos gleichsetzte, des Keers Philosophieren
charakterisieren wollte. Einen Fingerzeig zur Beantwortung der Frage,
w^as Piaton mit jenem Vergleich andeuten wollte, erhalten wir nun,
wenn wir die Natur der Schmerzen bedenken, die Tantalus im Hades
erduldete. Tantalus leidet die schrecklichsten Qualen des Hungers
und des Durstes, da sich ihm das Wasser und die Früchte, nach
denen er greift, im Augenblick, da er sie schon erfaßt zu haben
glaubt, entziehen. Es handelt sich hier also um ein erfolgloses
Haschen, um ein Greifen nach Dingen, die den haschenden Händen
im letzten Moment doch noch entgehen. Auf das geistige Gebiet über-
— 42 —
tragen und auf Prodikos angewendet, würde dies besagen, Prodikos.
habe stets vergeblich nach Erkenntnissen gehascht, so oft er sie auch
gefunden zu haben glaubte, seien sie ihm gleichsam unter den Händen
zerronnen. Ist diese Vermutung richtig, so muß sich die Bestätigung
im ;,Protagoras" selbst finden; denn es ist nicht anzunehmen, daß-
Piaton die Erklärung für den Vergleich Prodikos -Tantalos erst in
einem späteren Werke zu geben beabsichtigte. Jedes Werk soll ja-
für sich allein verständlich sein. Auch hat es Piaton mit den beiden
anderen Vergleichen „Protagoras-Sisyphos" und „Hippias- Herakles"
tatsächlich so gehalten. Die Erklärung des letzteren gibt er sofort
an Ort und Stelle, die des ersteren im Laufe des Gesprächs, während
dessen es sich herausstellt, daß Protagoras' Mühen vergeblich sind.
Daher ist es nun an uns, die Rolle, die Prodikos im „Protagoras "'^
spielt, schärfer ins Auge zu fassen und darauf zu prüfen, ob sie wirk-
lich eine „Tantalusrolle" ist. Prodikos tritt erst hervor, als das
Gespräch zwischen Protagoras und Sokrates mit einem Mißklang zu
enden droht (337 a ff. j, und gibt bei diesem Anlasse eine Probe seiner
besonderen Kunstfertigkeit, seiner Synonymik. Damit findet er zwar
den lauten Beifall der Zuhörer, die selbstverständlich jede Leistung der
fremden Wundermänner beklatschen, in uns aber ruft seiiie Leistung-
einen läppischen Eindruck hervor und es kann auch gar kein Zweifel
sein, daß Piaton gar nichts anderes damit beabsichtigte. Was soll z. B. die
alberne Unterscheidung von eödoxifuelv und eTtaLvelad^ai oder die von
EvcpQaLveod-aL und fjöeod-aL? Jedenfalls ruht sich der Leser bei den Geistes-
erzeugnissen des Prodikos von den Strapazen der vorausgegangenen
Untersuchung gründlich aus; und wenn diese Stelle auch von Piaton
als eine Art Ruhepunkt gedacht war, so ist dies doch alles eher denn
ein Kompliment für die Weisheit des Prodikos. Die Fragen, die zwischen
Protagoras und Sokrates schweben, auch nur einen Schritt ihrer Lösung
zu nähern, erweist sich die Synonymik des Prodikos als völlig unver-
mögend. Es ist wohl mehr als Zufall, daß die Spielereien des Prodikos
in einem Zeitpunkt einsetzen , da Sokrates erst aus dem gemeinsamen
Gegensatz der dcpqoGvvri die Identität der Begriffe aocpia und owcpQoovvri
gefolgert hat. Sonst würde Prodikos über ihre Diversität wohl auch
so manches zu faseln wissen. Wie gering Piaton im Protagoras über
die Weisheit des Prodikos denkt, geht noch aus mehreren anderen
Stellen deutlich hervor. Zunächst aus der Stelle 339 e, wo Sokrates,
durch Protagoras' Frage bezüglich des Widerspruches im simonideischen
Gedicht überrascht, sich an die Synonymik des Prodikos wendet,
indessen, wie er selber eingesteht, nicht etwa, um sich wirklich Be-
lehrung zu holen , sondern um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen (sTceiraj
— 43 —
log ye n-gög oe eigfjoS^at rdlrj&ri, %va jlioi xqövog iyyivrjTai vf^ oytsxpet
Ti leyoL b TtOLTirrig, rqeTto^ai Ttqbg xbv nqüör/jov %tI.)\ Sehr sonderbar
berührt uns auch die weitere Stelle o41 c, wo Sokrates den Prodikos
fragt, ob Simonides unter xalsTtöv nicht xazov verstanden habe, was
dieser bejaht mit der Bemerkung, Simonides habe dem Pittakos vor-
werfen wollen, er wisse als Lesbier die Worte nicht zu unterscheiden,
während sich dann doch ganz im Gegenteil Simonides einer Vermengung
der Worte schuldig gemacht hätte und durchaus nicht Pittakos ! Freilich
sagt Sokrates, durch den energischen Widerspruch des Protagoras ver-
anlaßt. Prodikos habe dies nicht ernst gemeint, dies ist aber nichts
anderes als Höflichkeit (und Ironie zugleich), da er sogleich aus dem
folgenden Vers
d-ebg av /uövog tovt eyoi ysQag
beweist, daß Simonides unter xaleTtöv unmöglich y.a/Mv verstanden haben
könne, er demnach den Prodikos nicht allzusehr bloßstellen wollte. Den
schlagendsten Beweis für Piatons abfällige Beurteilung der prodikeischen
Synonymik aber liefert die Stelle 358 a, wo Sokrates, nachdem er die
Frage nach der Einheit der Tugend — noch abgesehen von der Stellung der
Tapferkeit zur Gesamttugend — einer gedeihlichen Lösung zugeführt
hat, sich die Synonymik des Prodikos ausdrücklich verbittet,
offenbar, da sie nur geeignet wäre, die bereits sicher gestellten Resultate
neuerdings in Verwirrung zu bringen. In ihrer ganzen ünersprießlichkeit
zeigt sie sich endlich noch 358 e, wo Prodikos wieder einmal zwischen
diog und (päßag, zwischen Angst und Furcht unterscheidet, worauf
Sokrates mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit erwidert: „ovdiv
dl affSQSL " , und zwar durchaus mit Recht, da Prodikos den springenden Punkt,
nämlich ob es möglich sei, dem Furcht einflößenden Gegenstand nachzu-
gehen, wenn es einem freisteht, das zu verfolgen, was man nicht zu
fürchten hat, gar nicht erfaßt hat. Man sieht also, den Prodikos
hindert seine Synonymik wiederholt, der wahren Erkenntnis teilhaftig
zu werden; er verschwendet Zeit, Mühe und Geist an völlig frucht-
lose Spielereien, während die sokratische Begriffsethik Triumphe feiert.
Tatsächlich erscheint neben der zielbewußten begrifflichen Untersuchung
des Sokrates, wie sie sich insbesondere bei der Zurückführung auch
der Tapferkeit auf das . Wissen glänzend bewährt,^) die Synonymik
des Prodikos direkt als Karikatur. Und doch kann nicht geleugnet
werden, daß die Synonymik als solche durchaus nicht ungeeignet wäre,
die strittigen Probleme zu fördern , wie sie ja auch im „Laches" bei der
Unterscheidung der Begriffe ^Qaovg und dvögelog 196 d ff. und schließlich
') 359 a ff.
— 44 —
schon im Protagoras 350 b. fF. (bezeichnenderweise allerdings nicht durch
Prodikos, sondern durch Protagoras) wirklich zur Geltung gelangt ist.
Es liegt ihr eben ein völlig gesundes Prinzip zugrunde, das einer
scharfen, logischen Definition und Distinktion. Dazu scheint vortrefflich
zu passen, daß Sokrates sich sowohl im ,.Protagoras" 341a als auch
im „Charmides" 163d und im „Menon" 96d als Schüler des Prodikos
bezeichnet. Und mag dies auch bis zu einem gewissen und wahrscheinlich
ziemlich hohen^) Grade ironisch gemeint sein, es beweist doch, daß
Sokrates' BegriiFsethik von der Sj^nonymik des Prodikos beeinflußt war
oder wenigstens sich mit ihr berührte. 2) Oder mit anderen Worten:
Sokrates stimmte mit Prodikos darin überein, daß es notwendig sei,
den Inhalt und Umfang der einzelnen Worte und Begrifl'e festzustellen,
ehe an ein ersprießliches Philosophieren gedacht werden könne. Während
aber Prodikos diese Kunstfertigkeit auf die Spitze trieb und sich in
unfruchtbare^) Grübeleien verlor, war es Sokrates um nutzbringende
Definitionen vor allem der ethischen Begriffe zu tun. Der charakte-
ristische Unterschied, der Sokrates von den Sophisten trennt, machte
sich eben auch hier geltend. Prodikos ist es, wie allen anderen Sophisten,
nur darum zu tun, seinen Geist leuchten zu lassen, und darüber ver-
liert er die Sache aus dem Auge, w^ahrend es Sokrates einzig und
allein um die Sache zu tun war und ganz und gar nicht um seine
Person.*) So gingen Prodikos und Sokrates wohl ein Stück Weges
zusammen; dort aber, wo sie sich trennten, begann für Sokrates wie
für Piaton erst die wahre Wissenschaft. Durch das Tor, das zur echten
Wissenschaft und Erkenntnis zu führen schien, trat Prodikos nicht ein,
er wählte statt dessen einen Seitenpfad, wohl einen recht steinigen und
mühevollen, der aber nichtsdestoweniger nicht zum Ziele führte. Es war
demnach in gewisser Hinsicht ganz wohl begründet, wenn ihn Welcker
einen Vorläufer des Sokrates nannte. Aber er ist dies nicht so sehr
aus den von Welcker p. 402 ff. angeführten Gründen (Sokrates habe
mit besonderer Teilnahme bemerkt, was der keische Weise über die
Tugend, die Erziehung der Jugend , das Heilsame des Landlebens (?),
^) Worüber noch im folgenden gesprochen werden soll.
2) Schon Welcker a. a. 0. p. 438 hat auf Xenophons Meni. III, 14, 2 u. 7; IV,
5, 12; IV, 6, 1 hingewiesen, woraus hervorgehe, daß Sokrates die Methode des Prodikos
befolgte. Dies wurde von Joel, D. echten, d. xenophont. Sokrates I, 351, allerdings bestritten.
^) „unschuldige" sagt Hermann, Plat. Philos. I, 213.
*) Sehr schön hat Piaton dies im Gorgias 459a ausgedrückt: 'Ey(o 6s xlvov eifAl;
xCiv r]bE(}ig f.iev av sXsy/&svrcov, sl jui] xi u?.f]'&eg Myco, rjöeoig d'äv sXey^dvxcov, sl' reg rt
fj,i] dXrj'd'eg Isyoi, oüh urjÖEoxsQOv ftsvx' av iksyx'd'svxMV ^ sXey^ävxcov ftelCov yäg avxo
dya&ov ijyovfiai, ö'acojieg f^ieT^ov äya&ov eaxiv adxov djiaXXayfjvat y.axov xov fisytaxov
i] äXXov dTtaXXd^ai.
— 45 —
die Geringschätzung der irdischen Güter und des Lebens selbst im Auf-
blick zu einem himmlischen Dasein, über Gottheit und Götter in
Reden oder in Gesprächen mit Jünglingen oder mit ihm selbst vortrugt);
denn vor kurzem erst hat Robert Pöhlmann treffend gezeigt^), wie
wenig wir eigentlich noch immer vom historischen Sokrates wissen und
wie zahlreiche unsokratische Züge unser Sokratesbild auch heute noch
aufweist. Daß aber Welcker unrecht hat, wenn er dem Prodikos eine
Methode, von der Sprache auszugehen und den Begriff ethischer
Ausdrücke zu bestimmen, zuschrieb^), hat Zeller mit Recht betont, der
dem Prodikos den Ehrennamen eines Vorgängers des Sokrates geradezu
abspricht, weil ,,von dem großen Prinzip der Selbsterkenntnis, dem Zu-
rückgehen auf allgemeine Begriffe, der Lehre, daß die Tugend ein
Wissen sei, bei ihm sich keine Spur finde*'*). Es ist jedenfalls kein
Zweifel, daß die Wortkunde des Prodikos und seine Tugendlehre in
einem inneren Zusammenhange nicht standen. Die Begriffsethik ist ja
eben erst des Sokrates bahnbrechendes Verdienst! Auch Brandis-"^) hat
mit Recht gefragt: „Ob aber Prodikos verdient, als Vorgänger des
Sokrates bezeichnet zu werden? ob zu natürlichem sittlichen Sinn auch
hinzukam eine bestimmte Erkenntnis dessen, was vor allem Not tat,
um den sophistischen Trug von Grund aus zu zerstören?" In dieser
Streitfrage aber scheint mir K. F. Hermann den Nagel auf den Kopf
getroffen zu haben, wenn er Piaton. Philos. I, 230 erklärt, daß „Prodikos
durch die Schärfe seiner Synonymik, wodurch er einen mächtigen Schritt
zu einer gesunden Logik tat, noch bei weitem mehr den Ehrennamen
einesVorgängers von Sokrates verdiene, als dieser ihm neuerdings (nämlich
eben durch Welcker) um seiner übrigen Lehr- und Lebensweisheit willen
erteilt worden sei"; und in einem Briefe an Welcker, welchen dieser
a. a. 0. p. 538 f. zitiert, bezeichnet er Prodikos als den „Vorläufer der
echtlogischen Begriffsbestimmung, in welche Aristoteles eben des
Sokrates wissenschaftliche Bedeutung setzt". ^) Da aber demgegenüber
Welcker p. 539 mit der gleichen Berechtigung erklärt, „daß dieses Ver-
dienst zufällig scheine, da Prodikos damit einem anderen Bedürfnis
*) Vgl. auch p. 531 II. 535.
-) Sokratische Studien, Sitzungsberichte d. bayr. Akad. d. Wissensch. 1906, p. 49 ff.
") A. a. 0. p. 447.
*) Schon von AVelcker selbst zitiert im Zusatz zu seiner prodikeischen Abhandlung
a. a. 0. p. 529.
^) Geschichte der griech.-röm. Philosophie I, p. 547.
^) Vgl. auch, was Hermann bei Welcker p. 536, Z. 5. v. u. und noch an anderen
Stellen über Prodikos sagt.
~ 46 —
der Zeit, dem der Sprachkunde und Redekunst, des richtig und genau
bestimmten Ausdrucks über alle Dinge des Lebens und der Erfahrung
gründlich zu Hilfe zu kommen suchte", so wird uns Piatons eigentüm-
liche und gleichsam schillernde Haltung dem Weisen von Keos gegen-
über verständlich. Insoferne er durch seine Forderung nach Definitionen
und genauer Unterscheidung der Worte ein Gesinnungsgenosse des
Sokrates ist, gibt ihm Piaton vor allen anderen Sophisten von Puf
unbedingt den Vorzug. Da es aber Prodikos nicht verstand, sich zu
den Höhen der sokratischen Begriff*sethik emporzuschwingen, vielmehr
Mühe, Zeit und Geist darauf verschwendete, seine vielverheißende Syno-
nymik zu einer läppischen Spielerei ausarten zu lassen, behandelt ihn
Piaton wiederum mit einer spöttischen Höflichkeit und mitleidigen
Ironie, wie er sie z. B. Protagoras oder Gorgias gegenüber niemals an-
gewendet hat. ,.ndvG(Kpog y.al d-elog'^ nennt er ihn im „Protagoras" 315 e,
„0 ßelriOTog ÜQüöizog^^ lesen wir im Gastmahl 177 b. Es liegt jedenfalls
in all diesen Urteilen eine merkwürdige, aber uns nun recht wohl
verständliche Mischung von Hochachtung und Geringschätzung. Sehr
richtig sagte schon Bayle^): Piaton parle de lui assez souvent et
meme avec eloge, mais non pas sans se souvenir quelquefois deTironie".
Und es läßt sich ja unter solchen Umständen auch tatsächlich nicht
leugnen, daß Prodikos eine komische Figur war. All die Fülle, welche
ihm eine richtig angewandte Synonymik zu bescheren vermöchte, vor
Augen, weiß er doch trotz heißen Bemühens keine Erkenntnis zu gemnnen,
die irgend welchen Wert oder Nutzen hätte. Und ich glaube, es ist
nun klar genug geworden, was der Vergleich „Prodikos-Tantalos" besagen
will: Piaton nennt den Prodikos darum Tantalos, weil er trotz der
vielen Anstrengung und Mühe, die ihm seine Sj-iionymik und Wort-
kunde bereitet, doch niemals die herrlichen Früchte der auf den
gleichen Prinzipien fußenden sokratischen Begriffsethik zu fassen
vermag. Dies scheint mir die geistige Physiognomie des Weisen von
Keos weit treffender zu charakterisieren, als eine Anspielung auf
seinen leidenden Zustand oder seinen großen Reichtum.
Je herrlichere Früchte aber die sokratische Begriff'sethik Piaton
zu tragen schien, d. h. je mehr die Ideenlehre in des Dichterphilosophen
Geiste erstarkte, desto mehr mußte natürlich die Geringschätzung des
Prodikos über die einstige Achtung und Anerkennung für diesen Sophisten
das Übergewicht erlangen. So tadelt Sokrates im ,Menon' 96 d den
Unterricht des Prodikos, der ihn nicht gelehrt habe, daß es neben dem
Wissen (sTCLGTrjuri) noch eine richtige Meinung (dXrid-rjg do^a) gebe, die
1) Bei AVelcker a. a. 0. p. 407, Aiim. 38.
— 47 —
in der Praxis nicht Geringeres als das Wissen zu leisten vermöge, i)
Noch viel schroffer aber ist die Ablehnung von Prodikos' Kunst im
Euthydem und im Theätet, in den Gesprächen aus der späteren Zeit
Piatons, da die Ideenlehre längst ihre volle Entfaltung gefunden hatte ;
im Euthydem p. 277 e ff. erscheint die Wortkunde des Prodikos in sehr
zweifelhaftem Licht: sie dient wohl den beiden eristischen Klopffechtern
Euthydemos und Dionysodoros als Grundlage ihrer „Kunst" , den
Gegner durch plumpe Fangschlüsse zu übertölpeln 2), sie ist aber, wie
Sokrates ausdrücklich erklärt , durchaus nicht imstande , Einsicht in
das Wesen der Dinge zu verleihen (ei Y.al TzolXd tk^ 5y y.al Tcdvra tä
roiaira udd-otj rä f,iiv 7CQccyjuaTa ovöiv av (.läXXov eldeiri tvt] i'x^t 278 b),
noch auch ein Streben nach Weisheit und Tugend zu erwecken (278 d);
und im Theätet sagt Sokrates 151 b, er habe Prodikos viele Jünglinge
abgegeben, die er nicht mit Ideen schwanger gefunden habe (ivloze
di^ 10 OeahriTE , ot äv f,ioc fifj do^coal Ttcog syzvjuovEg eivai , yvovg ort
ovöiv sf^ov Seovrac, Ttävv €Vf.i€vcdg TCQOiivcoiiaL ymI, ohv d-eco eiTceXv, Tcdvv
\yLav(7ig tOTraLco otg av GvyyevouEvoi ovaivro' lov jcoXXovg juiv örj e^söar/.a
noodi/jo -jiTk.). Sonderbarerweise faßt Welcker p. 400 dies als ein Lob
des Prodikos, er sieht darin eine Auszeichnung , daß Sokrates die un-
brauchbaren Schüler gerade dem Prodikos übergeben habe. Xach den
Msherigen Erwägungen aber ist es klar, daß diese Stelle eine Miß-
achtung der prodikeischen Weisheit enthält und zum Ausdruck bringen
Avill, daß Prodikos mit seiner Wortkunde sich zur Höhe der Ideenlehre
nicht zu erheben vermochte; die an jener Stelle des Theätet neben
Prodikos noch erwähnten aocpol re %al d-eOTteaioi ävöqeg sind zweifellos
die übrigen Sophisten, so daß Prodikos auch auf den ihm einstens vor
•diesen eingeräumten Vorzug schließlich verzichten mußte.
Man könnte nun vielleicht die Frage aufwerfen, ob denn auch
alles, was Piaton von Prodikos erwähnt, tatsächlich Avörtlich zu nehmen
ist, ob nicht vielmehr in manchen Fällen — und dies gilt insbesondere
von den Schriften aus der späteren Zeit — das über Prodikos Gesagte
eigentlich auf einen anderen zielt, der nur die Maske des Prodikos
trägt. Wir müssen dabei bedenken, um wieviel wahrscheinlicher es schon
a priori ist, daß Piaton, was er von den großen Sophisten, den Zeit-
genossen des Sokrates, sagt, in Wahrheit auf eigene Zeitgenossen
*) Welcker hat diese Stelle nicht richtig verstanden, wenn er p. 427 Sokrates auf
■Grund derselben als Schüler des Tugendlehrers Prodikos faßt. Die gleichzeitige Erwähnung
■des Gorgias besagt nichts, da Gorgias ja schon früher als Lehrer des Menon bezeichnet
Avurde und es an der erwähnten SteUe nicht mehr als eine faQon de parier ist, wenn Sokrates
auch des Lehrers seines Mitunterredners gedenkt. Meine Auffassung teilt auch Joel a.a. 0. II, 140.
2) A'gl. auch p. 288 a.
— 48 —
gemünzt hat, da er erstens eine dringendere Notwendigkeit empfinden
mußte, sich mit den letzteren auseinanderzusetzen, und zweitens keine
Möglichkeit hatte ^j, die eigenen Gegner anders auftreten zu lassen, als
in den Masken von Zeitgenossen seines Meisters Sokrates. in dessen Maske
er selber seine eigenen Gedanken verkündete. So scheint in der Tat die Er-
wägung gerechtfertigt, ob denn wirklich der platonische Prodikos auch
immer der historische sei? Ob wir nicht befürchten müssen , von dem
Keer ein falsches Bild zu bekommen, wenn wir ohne Bedenken alle Züge,
die ihm Piaton zuschreibt, auf ihn übertragen? Man denke nur an den
platonischen ,Theätet'! Die Lehre, die Piaton dort als protagoreisch
vorträgt, hat man teils (z. B. Joel a. a. 0. II, 842) Antisthenes, teils (fast
alle anderen Forscher) Aristipp zugeschrieben, jedenfalls in allen ihren
Details und Konsequenzen dem Protagoras unbedingt abgesprochen.
Wäre es nun nicht denkbar, daß es sich mit der Rolle, die Prodikos
bei Piaton spielt, ähnlich verhält?
Ohne indessen dieses prinzipielle Bedenken zu mißachten, meine
ich doch, daß hier eine Analogie nicht vorliegt. Abgesehen davon, daß die
im „Theätet" mitgeteilte Lehre des Protagoras von Piaton ausdrücklich
als eine Geheimlehre bezeichnet (152 d), also dem verständigen Leser
recht nahe gelegt wird, sie nicht dem historischen Protagoras zuzuteilen,
handelt es sich beim ,. Theätet" um eine detaillierte und ins einzelne
gehende Theorie des Abderiten, in deren Darstellung Piaton sehr leicht
erst von Späteren gezogene Konsequenzen hinein verweben konnte, während
wir nirgends in seinen Schriften einer in gleicher Weise bis ins kleinste
ausgeführten Darlegung einer prodikeischen Lehre begegnen. Aus-
führlicher spricht Piaton von Prodikos ja nur im „Protagoras" und
dort ist der Keer, was er ja wirklich war, als Synonymiker und Meister
der Wortkunde geschildert, richtiger gesagt, karikiert. Daß die Schilderung
Karikatur ist, kann ja kein Zweifel sein; niemandem wird es einfallen,
alle Beispiele der prodikeischen Synonymik aus dem „Protagoras" auch
wirklich mit peinlicher Genauigkeit dem historischen Prodikos zuzu-
schreiben. Was aber Piaton sonst noch in seinen Schriften über Prodikos
berichtet , ergänzt nur das Bild, welches uns schon der ,. Protagoras"
bietet, und ist meistens ernster gemeint, als was im „Protagoras" über
Prodikos steht. Wir haben sonach keinen Anlaß, Piatons Schilderung
des Prodikos und seine Anspielungen auf den Keer anders als wörtlich
zu nehmen; aber eine Möglichkeit besteht freilich noch. Wenn auch
alles, was Piaton über Prodikos mitteilt, buchstäblich von diesem gilt,
so wäre es doch gar wohl denkbar, daß so mancher Hieb, der gegen
^) Sehr richtig betont Joel a. a. 0. II, 140 u. 149 diesen Punkt.
— 49 —
Prodikos geführt wird, zugleich noch einen andern treffen soll, der
Piaton in den Bahnen des Prodikos zu wandeln schien. Ich habe oben
dargelegt, was Sokrates von Prodikos unterschied, w^odurch der Athener
den Keer übertraf. Wenn wir dies bedenken, so erscheint es zweifellos,
daß für eine Identihkation mit Prodikos namentlich solche Denker
aus dem Kreise der Sokratiker sich eigneten, welche dem w^esentlichen
Verdienste des Sokrates, seiner Begriffsethik, nicht die gebührende An-
erkennung entgegenbrachten, insonderheit deren Kind, die platonische
Ideenlehre, nicht akzeptieren zu können glaubten. Ein solcher Denker
aber war in erster Linie der überzeugte Nominalist Antisthenes. Nun
ist gerade dieses Mannes Verbindung mit Prodikos schon durch das
Gastmahl des Xenophon bezeugt. ^ ) Bereits Welcker hat darauf hinge-
wiesen 2)^ daß Antisthenes in seinen Grundsätzen manche Beziehung zu
Prodikos hatte und nach Diogenes Laertius VI 17 Schriften vom Sterben
und vom Tod und Leben verfaßt hat (:n:€Qi tov aTcod-avelv, TteQi ?w^g /.al
^avdxov), Antisthenes hat aber auch fünf Bücher tteqI 7caideLag rj ovoudzcüv^)
geschrieben und ferner ist uns ein Ausspruch des ersten Kynikers erhalten,
der lautet: ccQxrj TtaiSevaecog fj twv ovoaaTcov STtiö'/.eipLg.^) Im platonischen
„Euthydem'* 277 e aber heißt es von den antisthenischen Sophisten
Euthydem und Dionysodor, daß sie der Methode des Prodikos folgen,
der da sage: tiqmvov TteQi dvof^idtcov ogS-örriTog fuaS-elv del^). Zum Über-
fluß ward im „Charmides" 163 d „des Kritias streng antisthenische Auf-
fassung des dyad-ov = ol/xlov und des TtQdrreLv = tcolelv des dyad-ov auf
die diaiQEGig ovo/udrojv des Prodikos zurückgeführt".®) Aus all dem
folgert Joel'), wie mir scheint, durchaus mit Recht, daß hinter dem
Onomatologen Prodikos bei Piaton stets der Onomatologe Antisthenes
stecke. Richtig scheint mir auch die Behauptung Joels (II, 139 f.),
Antisthenes habe in seinen Schriften Sokrates von Prodikos lernen
lassen. Diesen Prodikosschüler Sokrates aber habe Piaton in seinen
Schriften bestritten, einmal ernsthaft im „Laches" 186 c — eine Stelle, auf
die Joel p. 141 mit Nachdruck hinweist — und zu wiederholten Malen
ironisch an andern Stellen, an denen Sokrates sich auf seinen „Lehrer"
Prodikos beruft und die sämtlich im Vorausgehenden erwähnt wurden.
Wir haben oben gesehen, daß dieses Schülerverhältnis des Sokrates zu
') IV, 62.
2) A. a. 0. p. 510 u. 536.
') Diog. Laert. ibid.
*) Arrian. Epictet. Diss. I, 17.
5) Joel, a. a. 0. II, 140.
«) Joel ibid.
') Ibid.
Wiener Eranos.
— 50 —
Prodikos von Platon stets mit der gleichen Ironie behandelt wurde wie
der Meister Prodikos selbst. Hauptsächlich kommt hier ja der ,.Protagoras''
in Betracht und da glaube ich gezeigt zu haben, inwiefern auf Grund
dieses Dialoges Prodikos als „Lehrer" des Sokrates verstanden werden
konnte und welch klägliche Rolle dortselbst der berühmte Keer neben
seinem „Schüler" spielt. Es scheint mir daher sehr wohl denkbar, daß
Platon durch den „Protagoras" u. a. zeigen wollte, was an jenem von
Antisthenes behaupteten Schülerverhältnis in Wirklichkeit war. Und
wie Piatons Urteil über Prodikos desto geringschätziger werden mußte,
je herrlichere Früchte ihm die sokratische Begriffsethik in der Ideen-
lehre zu bescheren schien, so eignete sich Prodikos immer mehr als
Maske für den hartgesottenen Nominalisten Antisthenes, der die Ideen-
lehre unbedingt und mit derbem Spott zurückwies. So gelten jedenfalls
die betreffenden Stellen in den späteren Werken, wie im „Kratylos",
„Theätet", „Euthydem" , wohl hauptsächlich dem Antisthenes. Aber
schon jene oben zitierte „Menon "-Stelle 96 d, wo Sokrates spottet,
Prodikos habe ihn nicht darüber aufgeklärt, daß es neben der STtiGvrifxij
noch eine dö^a oq^i] gebe , scheint mir ein Hieb auf Antisthenes zu
sein, der zwar vier Bücher Ttegl döBrig xal smorrju^g geschrieben i),
aber keinen tieferen Unterschied zwischen öö^a ogS-rj und eTtiOTriui]
gemacht hat. 2) Zweifellos hat Joel ferner Recht, wenn er II, 143 A. 2
die „Theätet"-Stelle 151 b, an der Sokrates erklärt, er weise die Un-
begabten an Prodikos xal äXloig oofpolg re y,al S^eGTrEGioig dvdQaoiVy
gegen Antisthenes gerichtet sein läßt , der demnach von Platon jene
Schüler zugewiesen erhielt, welche die Ideenlehre nicht zu fassen ver-
mochten. Es ist Joel auch zuzustimmen , wenn er II, 141 A. 3 die
homerische Einführung der drei Sophisten im „Protagoras" als spöttische
Anspielung auf die homerische Traidela des Antisthenes auffaßt; des-
gleichen, wenn er II, 487 Platon über die fiaXazla des Prodikos 3) spotten
läßt, mit einem ironischen Seitenblick auf dessen kynischen Verehrer
Antisthenes , dessen Idol kein anderer als Herakles war. Auch mag
die Sympathie, die Platon trotz allem gegen Prodikos zeigt, teilweise
dem Sokratiker Antisthenes gelten, ebenso wie die Ironie und der
Spott über seine geistige Kurzsichtigkeit ; oder mit anderen Worten :
nicht so sehr der historische Prodikos wird von Platon mit jener
sonderbaren Mischung von Sympathie und Ironie behandelt, als Prodikos,
der Held des Antisthenes.
1) Diog. Laert. VI, 17.
2) F. Dümmler, Akad. p. 197
«) Vgl. Protag. 315 d.
— 51 —
Jene Entdeckung Joels , daß hinter dem Onomatologen Prodikos
bei Piaton gewöhnlich der Onomatologe Antisthenes stecke , scheint
mir aber auch das Verständnis der platonischen Dialoge „Laches" und
„Charmides*' sehr bedeutend gefördert zu haben. Es hat schon manchen
sonderbar berührt, daß Piaton in diesen beiden Dialogen durch den Mund
des Sokrates Ansichten bekämpfte, die wir eigentlich als sokratisch be-
zeichnen müssen. So wird z. B. im ,,Laches" jene Definition der Tapfer-
keit, welche Sokrates im „Protagoras" 360 d als die Kenntnis des
Furchtbaren und Nichtfurchtbaren erarbeitet hat, als unzulänglich zu-
rückgewiesen, da sie den Unterschied zwischen der Gesamttugend
((XQeTi]) und der Einzeltugend der Tapferkeit (dvÖQela) aufhebe. ^) Es
scheint mir besser, dies einzugestehen, als sich durch erkünstelte Deu-
tungen über die Schwierigkeiten der Sache hinweghelfen zu wollen.
Auch der neueste , von Heinrich Gomperz ^) unternommene Versuch,
die Schwierigkeiten hinwegzudeuten, kann nicht als geglückt bezeichnet
werden. Gomperz meint, die Definition des Nikias (welche mit der
aus dem „Protagoras" übereinstimmt) werde im „Laches" nicht be-
kämpft, sondern nur berichtigt. Der „Laches" habe durchaus ein posi-
tives Resultat, und des Sokrates Schlußargument besage nur, wegen
der Einheit des Tugend wissens sei die Tapferkeit besser denn als
iTtLOxrjfxri künftiger Güter und Übel, vielmehr als eTCiarri^ri von Gütern
und Übeln überhaupt (also als ägExr]) in ihrer Anwendung auf künf-
tige Güter und Übel zu definieren. Damit scheint mir aber der Schwierig-
keit durchaus nicht ausgewichen zu sein. Denn abgesehen davon, daß
nicht einzusehen wäre, warum Piaton dies nicht einfach und deutlich
sagt, 3) kann man doch nicht in der Anwendung des Wissens auf Künf-
tiges das Charakteristische der Tapferkeit erblicken. Denn die Anwen-
dung des Wissens auf Künftiges ist nichts anderes als die Betätigung
der Tugend, d. h. jeder Tugend, nicht etwa bloß der Tapferkeit. Wenn
ich gerecht handle, weil ich von der Überzeugung ausgehe, daß jede
Übeltat ihre Strafe findet , bin ich da tapfer? Heinrich Gomperz scheint
mir ebenso wie sein Vater, der den „Laches" (und den „Charmides")
*) Lach. p. 199 d.
2) Archiv f. Geschichte d. Philosophie XIX, 527.
') Man komme mir nicht mit der Fabel, Piaton habe ursprünglich die sokratische
Methode befolgt, welche die Gespräche gewöhnlich mit dem Eingeständnis des Nichtwissens
endete. Denn resultatlos , d. h, ohne daß die Hauptfrage eine entschiedene Beantwortung
erführe, verlaufen meines Wissens nur der ,.Laches'' und der „Charmides", eben weil sie
vorwiegend polemischen, d. i. negativen Charakters sind. In den anderen Schriften vermag
eine aufmerksame und scharfsinnige Erklärung ohne Künstelei ein Ergebnis fest-
zustellen.
4*
— 52 —
dem „Protagoras*' vorausgehen läßt ^) , die Tragweite der Polemik im
„Ladies" entschieden zu unterschätzen. Man darf auch nicht übersehen,
daß die Bedenken gegen die Auffassung der Tapferkeit als des Wissens
vom Furchtbaren und Nichtfurchtbaren sehr gegründet sind. Ist denn
derjenige überhaupt tapfer zu nennen, der etwas Furchtbar-Erscheinen-
des auf sich nimmt, weil er weiß, daß es in Wahrheit gar nicht furcht-
bar ist? Wir mögen ihn weise, klug u. ä. nennen; aber tapfer? Und
dieses Bedenken soll Piaton dann später, als er den „Protagoras"
schrieb, ignoriert haben? Ich glaube kaum; auch sehe ich nicht, was,
wenn wirklich zwischen dem ,.Protagoras*' und dem „Laches" in dieser
Frage kein Widerspruch vorliegt, Piaton veranlaßt haben kann, die-
selbe Frage zweimal im gleichen Sinne zu behandeln. Daß, wie Zeller 2)
vermutet, der Satz von der Einheitlichkeit der Tugend als das Ergebnis
des „Laches" anzusehen sei, ist auch nicht glaublich: denn es wäre
doch sehr sonderbar, wenn die Definition der Tapferkeit gesucht und
die Einheitlichkeit der Tugend, also etwas völlig Verschiedenes, gefunden
würde; auch ist die Polemik gegen die Definition der dvögeia aus dem
„Protagoras" viel zu nachdrücklich , als daß ihr weiter keine Beach-
tung zukäme. Ich setze mich also ruhig dem Vorwurf der Oberflächlich-
keit aus, den Bonitz ^) zunächst gegen Schaarschmidt geschleudert hat,
weil dieser auf den Widerspruch zwischen dem „Laches" und dem
letzten Teil des „Protagoras" hinwies. Es fällt mir freilich nicht ein,
aus diesem Widerspruch mit Schaarschmidt die Unechtheit des „Laches''
folgern zu wollen; ebensowenig allerdings mit Ernst Horneffer*) darin
eine von Piaton versuchte Widerlegung der sokratischen Tugend-
wissenslehre (!) zu erblicken. Ich sehe vielmehr darin nur den Beweis,
daß Piaton mit dem Problem, in welchem Verhältnis die Einzeltugen-
den zur Gesamttugend stehen, anhaltend und schwer gerungen hat.
Dieses Problem bestand für ihn noch nicht, da er den „Protagoras"
schrieb; im „Charmides" und „Laches" ist es ihm in seiner ganzen
Schärfe zum Bewußtsein gekommen, doch ringt er mit den Schwierig-
keiten noch vergebens: er hält zwar an der Tugendwissenslehre fest
— darauf muß Horneffer gegenüber nachdrücklichst hingewiesen
werden — , aber die Form, die ihr von Sokrates gegeben wurde und
die noch im „Protagoras" vorzuliegen scheint, befriedigt ihn nicht
mehr; gelöst ist das Problem erst im „Gorgias", und zwar mit Hilfe
der pythagoreischen Psychologie und der auf ihr fußenden Lehre von
^) Gr. Denker IT, 250; desgleichen H. Eaecler, Piatons philosophische Entwicklung.
'') Philos. der Griechen II *, p. 598* und 5991.
ä) Piaton. Studien 3, p. 219, A. 2.
*) Piaton gegen Sokrates, Leipzig 1904.
— 53 —
der Dreiteilung der Seele , wie ich bereits in meinem Aufsatz „Das
Problem des platonischen Symposion" ^) p. 12 kurz bemerkt und in einer
im Archiv für Geschichte der Philosophie demnächst erscheinenden
Abhandlung über den platonischen „Gorgias" ausführlich auseinander-
gesetzt habe.
Wenn es nun immerhin befremden konnte, Piaton in den beiden
Dialogen „Laches*' und ,.Charmides*' gegen Sokrates polemisieren zu
sehen, so gebührt Joel das Verdienst, diese Bedenken entkräftet zu
haben. Es gelang ihm zu zeigen , daß jene Partien , in denen Piaton
den historischen Sokrates zu bekämpfen schien, in Wahrheit gegen
Antisthenes gerichtet sind. Dies geht aus folgendem hervor: Sokrates
sagt im „Laches*' 197 d , Mkias habe seine feine Unterscheidung der
Begriffe S-gaoig und dvÖQeiog von Dämon, der seinerseits wieder sehr
genau mit Prodikos, dem berühmten Sjnonymiker, bekannt sei.
Diesen Dämon hat nun Sokrates dem Mkias als Lehrer seiner Kinder
empfohlen (180 d). Gegen Schluß der Unterredung (200 a) spottet
Laches darüber, daß die Weisheit des Dämon sie nicht zu dem er-
sehnten Ziel, zu der Erkenntnis des Wesens der Tapferkeit geführt
habe, wogegen Xikias den Dämon verteidigt und erklärt, er glaube,
die Sache bereits hinlänglich aufgeklärt zu haben, doch werde er,
falls noch Bedenken bestünden, mit der Hilfe Dämons und anderer
seine Auffassung berichtigen (200 b). Die geheimnisvolle Rolle, die da
der Musiker Dämon spielt, wird mit einem Schlage klar, wenn wir
Tins vor Augen halten , daß Dämon Lach. 197 d in Verbindung mit
Prodikos und dieser wieder von Xenophon Conv. IV, 62 in enge Be-
ziehung mit Antisthenes gebracht wird, und wenn wir ferner bedenken,
was Joel über den Onomatologen Prodikos bei Piaton sagt: die An-
sicht, welche Xikias im „Laches" mit Zuhilfenahme der prodikeischen
Synonymik verficht und die, obwohl sie im „Protagoras" als sokratisch
auftritt, von Piaton bekämpft wird, gehört keinem anderen als Anti-
sthenes; 2) und sollte dieser selbst mit der im Laches bekämpften An-
sicht nur an der Meinung des historischen Sokrates festgehalten haben
— eine Annahme, die ja der „Protagoras" nahe legt — , so konnte
Piaton dem immerhin in der Person des Sokrates entgegentreten, da
er eben als Fortbildner der sokratischen Lehre viel mehr im Geiste
des Sokrates zu verfahren glaubte als Antisthenes, der der Lehre des
Meisters wortwörtlich treu blieb. Darauf scheinen auch die Worte 201 a
hinzuweisen, wo Sokrates verlangt, man müsse in der allgemeinen
*) Im Jahresbericht des k. k, Sophiengymnasiums zu Wien 1906.
«) Joel, a. a. 0. II, 141, A. 4.
— 54 —
Verlegenheit den besten Lehrer, SidaoKaXov (hg agiarov^ suchen. Sollte
damit ein anderer gemeint sein, als Piaton selbst? i)
Das gleiche Licht wie über den „Laches" hat Joel auch über
den „Charmides" gebreitet. Wie in jenem die ävÖQela, so wird in diesem
die acücpQoavvrj erfolglos gesucht, da sich jene Definition, die wir als
sokratisch ansprechen müssen, owg)QOGvvri = zä eavTov TtQdtteiv^ als un-
zulänglich erweist. Auch hier hat Joel gezeigt, daß jene scheinbar
sokratische Definition in Wahrheit dem Antisthenes gehört hat. 2) Die
Rolle des Nikias im „Laches" spielt im „Charmides" Kritias. Er ver-
tritt die antisthenische Auffassung des äyad-öv = ol^elov und des tzqüct-
TEiv = /coielv des dyad-ov, ^) zeigt sich also als Synonymiker, wodurch
sich Sokrates an Prodikos erinnert fühlt (163 d). Es wird also
auch im „Charmides" nicht der historische Sokrates bekämpft, sondern
der antisthenische. Natürlich bleibt auch hier die bereits bezüglich des
„Laches" erwähnte Möglichkeit bestehen, daß die von Piaton bekämpfte
antisthenische Ansicht zugleich die des historischen Sokrates gewesen
ist; aber jedenfalls spricht schon vom psychologischen Standpunkt die
größere Wahrscheinlichkeit dafür, daß Piatons Polemik mehr als dem
toten Sokrates dem lebenden Antisthenes gilt. Für die Entwicklung
der platonischen Philosophie ist es allerdings im Grunde ziemlich gleich-
gültig, ob die Polemik sich mehr gegen den antisthenischen oder gegen
den historischen Sokrates gerichtet hat.
^) DesAvegen wurde der „Laches" natürlich noch nicht die Akademiegründung vor-
aussetzen.
*) A. a.O. II, 140.
8) Außer der eben zitierten Stelle vgl. noch I, 356, A. 1 u. II, 1134.
Die Geclankenabfolge Inder pseudoxenophontischen
'Ad-fivaim ^oXcTcia und die Umstellungsversuche.
Von
M. NISTLER.
Von den vielen Problemen, welche die unter Xenoplions Namen
überlieferte Schrift vom Staate der Athener brachte, war das meist-
umstrittene die Frage, ob die von den Handschriften gegebene Reihen-
folge der einzelnen Paragraphen auch der vom Autor getroffenen Anord-
nung entspreche. Da bei der Untersuchung der Frage sich ergab, daß
den Forderungen nach streng logischer Deduktion, die von den ein-
zelnen Gelehrten an den Aufbau des Werkes gestellt wurden, nicht
entsprochen sei, wenn die Überlieferung beibehalten werde , so suchte
man diesem Mangel durch verschiedene Umstellungsversuche abzu-
helfen. Erst Kaiinka (Prolegomena zur pseudoxenoph. J4ürivalwv Ttoh-
xeia, Wien. Stud. XVIII, 1896, S. 27 ff.) hat diese Umstellungsversuche
entschieden abgelehnt und den Wert der überlieferten Anordnung
endgültig bewiesen.
Wenn ich trotzdem dieses Problem in breiter Ausführlichkeit
wieder aufnehme, so hat mich dazu die Überzeugung bestimmt, daß
Kalinkas Ansicht von der Richtigkeit der Überlieferung durch Klar-
legung der Ideenassoziation zwischen den einzelnen Paragraphen und
den einzelnen Kapiteln besser gestützt werden kann als durch seine
Annahme, daß wir in dem Werkchen ein „lockeres Aggregat einzelner
nebeneinander gestellter Argumente zu gewärtigen haben". Dazu kommt
die Tatsache, daß ich an mehreren Stellen in der Einzelinterpretation
zu einem anderen Resultate kam als Kaiinka, eine Stellungnahme aber
deswegen für nötig hielt, weil zwischen der Ansicht Kalinkas, die er
in den Prolegomena niederlegte , und der in der Editio durch die
Texteskonstruktion zum Ausdruck gekommenen mehrfach Differenzen
— 56 —
bestehen. Schließlich ergab sich mir eine völlig andere Auffassung
der Stellung der einzelnen Kapitel zum Thema.
Die ältere Literatur, auf die zurückzugreifen ich wenig Anlaß
hatte, habe ich hier nicht angeführt, weil sie Kaiinka in der Praefatio
zu seiner Ausgabe p. 8 ff. vollständig gegeben hat. Nach Kalinkas
Prolegomena erschienen 1907 von Gustav Hofmann „Beiträge zur
Kritik und Erklärung der pseudoxenophon tischen Athen, polit." [= zweiter
Teil des Programms des kgl. Maximilians-Gymnasiums (in München)
für das Schuljahr 1906/07] , die sich mit der Interpretation einzelner
Stellen befassen. ^)
Über die ersten 10 Paragraphen ist es leicht, sich zu einigen. Der
Autor bringt als ersten Beleg für seine Behauptung cog el) diaac^^avTai
TTjv Ttohreiav die Tatsache, daß in Athen der Demos und die Armen
vor den Edlen und Reichen bevorzugt werden. Da jene es seien, welche
dem Staate seine Macht verschaffen, so sei es nur billig, daß sie An-
spruch hätten auf die Rechte eines Bürgers, damit Zutritt zu allen
Ämtern, unbeschränkte Betätigungsfreiheit in Rat und Volksversamm-
lung. Daß aber der Demos in Wirklichkeit nicht zu allen Ämtern
Zutritt habe, sei keine Verletzung des Gleichheitsprinzipes , sondern
nur ebenfalls ein Mittel, den demokratischen Staat in seiner Macht
zu erhalten. Denn würde jeder auch jene Ämter bekleiden dürfen,
zu denen eine gewisse Befähigung notwendig ist, so würde aus einem
solchen Zustande bei ungeeigneter Besetzung der Stellen dem Staate
bald der schwerste Nachteil erwachsen. Der Demos verlangt für sich nur
jene Ämter, die ihm materiellen Nutzen bringen. Die Bevorzugung des
Demos vor den Edlen zur Stärkung der Demokratie erfolgt aber nicht
bloß in der Ämterfrage, sondern überhaupt in allen Stücken; 2) das
tun die Athener mit Überlegung, denn der natürliche Gegensatz
zwischen arm und reich, vornehm und gering verlangt in einer Demo-
kratie zu deren Sicherung die durchgängige Bevorzugung des Demos.
In §§ 6 — 10 gibt dann der Verfasser in Form einer Widerlegung
eines Einwurfes die Begründung, warum in einer Demokratie allge-
meine Redefreiheit herrschen müsse.
Kaiinka (a. a; 0. 36) mißt den Worten von I, 2, eine zu große Bedeu-
tung zu. Schon durch diesen Paragraphen würden wir darauf vorbereitet,
daß wir statt einer wissenschaftlich gegliederten und abgerundeten
*) Der Vollständigkeit halber sei noch verwiesen auf den Bericht von E. Ullrich
über Xenophon in dem Jahresber. d. philol. Vereins zu Berlin 1904, S. 63—224.
^) Kaiinka hat im Anschlüsse an Rettig überzeugend die Übersetzung von vcavTayov
„in allen Stücken" als die an unserer Stelle einzig mögliche erwiesen.
fr
— 57 —
Studie ein lockeres Aggregat einzelner, nebeneinander gestellter Ar-
gumente zu gewärtigen hätten. Insbesondere seien aber die Worte
deshalb bedeutungsvoll, weil der damit eingeleitete Gredanke nicht ein-
mal ein Argument der angekündigten Beweisführung sei, sondern eher
eine auf den Anfang der Einleitung zurückgreifende Vorfrage er-
ledige, nämlich die . ob denn überhaupt und warum die Bevorzugung
der großen Masse vor dem Adel, wie sie im Wesen der athenischen
Demokratie liege, berechtigt sei. Beide Behauptungen scheinen mir
unberechtigt. Das von Kaiinka bemerkte Vorausempfinden der lockeren
Aneinanderreihung der i^rgumente ist durch tvqcütov (.lev ovv absolut
nicht gegeben, es könnte jede wissenschaftliche Untersuchung damit
beginnen. Die Bevorzugung der großen Masse vor dem Adel ist gewiß
ein Argument der angekündigten Beweisführung, der Gedankengang
ist höchst einfach: die Behauptung, wg ed diaai^l^ovvai rrjv Ttohreiav
( = demokrat. Verfassung) wird trefflich gestützt durch den Satz : daher
begünstigen sie auch die große Masse vor dem Adel. Also die Be-
günstigung der großen Masse ist eine konsequente Folgerung aus dem
demokratischen Prinzipe. Kalinkas Auffassung geht aus seiner an
dieser Stelle gemachten Texteskonstruktion ^) hervor : on dixaUog avvoS-i
y,al (^cpahoviaiy ol 7iev}jTeg xal 6 dfjfiog TtXeov ex^iv tcov yevvalcov '/mI tcov
Ttkovoicov. d. h. nach Kalinkas eigenen Worten : „daß es auch wirklich
den Anschein habe (nicht bloß eine grundlose Einbildung des attischen
Demos ist) , daß in Athen mit Recht die Armen und überhaupt die
Masse den Vorzug haben vor den Vornehmen und den Reichen.*'
Dem Autor kommt es ja gar nicht an auf die Konstatierung
eines berechtigten oder unberechtigten Anscheines, sondern vielmehr
auf die Konstatierung der Tatsache , und daß diese berechtigt ist als
notwendige Folge des demokratischen Prinzips. Die einfachste Kon-
jektur ist doch, das überlieferte ex^iv in s'xei zu ändern, das uns von
M geboten wird. ^) Die anstößige Koordinierung der TtevTjTeg und des
6ri(.iog wird gedeckt durch I, 4, 2 (vml TtevTqGi y.ai drif.wTr/.o'ig) und II,
18, 6 (oXiyoi ÖS TLveg twv TievrJTcov xal driuoTLy.cdv). Vielleicht ging diese
Koordinierung der Begriffe hervor aus dem Streben des Autors nach
Deutlichkeit und Vollständigkeit; denn Tatsache ist, daß unter dri/nog
die Tttvr^ieg nicht ganz subsumiert werden können, ebensowenig wie
die "/evvaioL unter TtlovaioL. Bei der Annahme der Konjektur exet
bekommt die Stelle erst ihre richtige Bedeutung : die Armen und der
*) Er hat sie aber in der ein Jahr später erschienenen Ausgabe wieder fallen gelassen.
2) Zu dem eklektischen Prinzipe sind wir durch das Wertverhältnis der codd. A, (B),
C, M zueinander berechtigt.
— 58 —
Demos genießen mit vollem Rechte ihre Begünstigungen, denn sie sind
es, die dem Staate seine Macht, sein Leben erhalten.
Nach den freien Bürgern kommen naturgemäß die Sklaven und
Metöken an die Reihe : I, 10 tcov dovXcov d^ av ^) y,al tcov f.iexoi'Kwv
TtleiGTTi eartv Jdd-i^vriotv duokaaia. Der Gedankenfortschritt und Zusammen-
hang ist hier zu fast allgemeiner Übereinstimmung klargestellt. Dagegen
hat der in der Überlieferung folgende Abschnitt I, 13, welcher vor
die Behandlung der Bundesgenossen eingeschoben ist, seit jeher große
Schwierigkeiten gemacht. Sie liegen einerseits in der Erklärung des
yv^vaCöuevoL und tyjv juovaiy,rjv STtirrjSevovTeg, nach deren Fixierung erst
die Frage, ob das in der Überlieferung hier stehende Stück auch die
ursprüngliche, ihm vom Autor gegebene Stelle inne hat, beantwortet
werden kann, anderseits in der Gestaltung und Interpretation des
partizipialen Beisatzes. Dazu kommt noch als erschwerend, daß über
die im Text erwähnten Vorgänge uns die antiken Quellen im Stiche
lassen. Ausnahmslos wurde versucht, die Klärung des ersten Satzes
im § 13 losgelöst aus seiner Umgebung, manchmal noch mit Rücksicht
auf das Vorangehende, aber immer ohne Berücksichtigung des Nach-
folgenden zu geben. Da aber weder Text noch Inhalt gesichert sind —
nur soviel ist klar, daß es sich um eine der Ausübung musisch-
gymnastischer Künste feindliche Aktion des athenischen Demos
handelt — halte ich einen derartigen Versuch für aussichtslos. Der darauf-
folgende Satz aber ,Jv Talg x^Q^y'^^'-S • • • bis ylyvcuvTar^ bezeichnet
sich schon sprachlich als Gegensatz des ersten Satzes, und da hier
Text 2) und Inhalt gesichert sind, muß hier die Untersuchung einsetzen
und das erste Glied des Gegensatzes aus dem zweiten Glied rekon-
struieren. Nun steht im 2. Satze nichts anderes, als daß der Demos
seine feindselige Haltung nicht betätigt bei Choregien etc., da er sieht,
daß er hier selbst herangezogen wird und materielle Vorteile davon
hat. Es bleibt also für den Gegensatz : der athenische Demos be-
tätigt seine feindliche Haltung dort, wo er nicht herangezogen wird und
keine materiellen Vorteile davon hat, wo er einer Konkurrenz ausgesetzt
ist. der er nicht die Spitze bieten kann. Diese Konkurrenten können
aber weder die 3f^r?(7zrot und tcXovölol sein , denn der Autor gibt ja
selbst an, daß (II, 10) die Reichen nicht in der Ausübung musisch-
gymnastischer Künste gehindert werden, noch dem Hauptteile nach
^) Die aus dem av von Kirchhoff gezogenen Schlüsse auf das Vorhandensein einer
Lücke vor § 6 sind als nichtig erwiesen von Eettig 246.
^) Daß es heißen muß xal yvfxvaaiaQXOvaiv oi nXovaioi xal xQirjQaQXOvatv, 6 6s öfjfiog
etc. ist ganz klar; daß TQirjQaQxovaLv in A und M ausfallen konnte, ist leicht erklärlich.
— 59 —
der Demos, denn damit wäre ja der in I, 13 ausgesprochene Gegen-
satz zwischen Siiuog als dem verfügenden Teil und dem nicht zum dfjfxog
gehörigen als von der Verfügung betroffenen Teil wieder aufgehoben.
Die Konkurrenten müssen also Nichtathener sein (das ist Metöken und
Sklaven), und zwar solche, die die Ausübung der angegebenen Künste
als Profession betreiben. Die Auffassung der yvuvaLÖiievoL. als pro-
fessionell Ausübender wird gestützt durch die Bedeutung der Parti-
cipia praesentis und durch die Interpretation des partizipialen Bei-
satzes, in welchem der Grund, resp. die Gründe für das Verhalten des
Demos angegeben werden. Ich will zuerst den mit yvovg on einge-
leiteten vornehmen. Überliefert ist sowohl öwarog (C) als dwazd (A, M).
Wie oben bemerkt wurde, hat der Sfif^og den musisch-gymnastischen
Künsten gegenüber ein anderes Verhalten bei den Choregien etc., weil
er erkennt, daß er hier selbst herangezogen wird und materielle Vor-
teile hat ; Konkurrenten aber gegenüber, welche die Künste professions-
mäßig betreiben, geht der Demos feindlich vor. Der Grund dafür in
den mit yvovg oti eingeleiteten Worten kann eben nur sein : weil der
Sfiiuog erkennt, daß er diese Künste nicht professionsmäßig betreiben
kann, nicht etwa wegen geistiger oder körperlicher Unfähigkeit, sondern
einfach der gegebenen Verhältnisse wegen, meist natürlich, weil der
größte Teil des Demos gezwungen ist, sich in der Zeit, da er derartige
Übungen vornehmen sollte, sich seinen Lebensunterhalt zu verschaffen.
Die Wenigen aber, die es sich gestatten könnten, die Kosten für die
Erlernung auszugeben und auch genug Zeit und Muße zur Übung
hätten, würden eben dadurch, daß es nur wenige, nicht aber alle sind,
das demokratische Prinzip durchbrechen. Damit scheint mir die Lesart
dvvarog gesichert zu sein. Kaiinka, der meint (a. a. 0. 39), daß eine so
absprechende Selbstkritik des Volkes hier nicht enthalten sein könne,
weil unmittelbar danach die aktive Beteiligung desselben Volkes an
den choregischen und gymnasiarchischen Aufführungen betont wird,
hat die Lesart Sward verteidigt. Er hat aber das övvaTog eben
auf die Befähigung, nicht aber auf die durch die Umstände bedingte
Unmöglichkeit, resp. Möglichkeit bezogen, i) Eine weitere Schwierigkeit
bot der erste Partizipialsatz wegen des zaAoV. Durchwegs wurde hier
'/,ak6v als „geziemend, schön'' aufgefaßt; man geriet damit aber in eine
heikle Situation. Sollte diese Begründung ernst genommen werden,
so mußte man annehmen, der Autor habe hier dem athenischen Demos
ethische Gründe unterschoben, dies widerspricht aber dem Tenor und
*) Kaiinka hat übrigens in seiner Ausgabe die in den Prolegomena vertretene Lesart
aufgegeben und övvaTÖg aufgenommen.
— 60 —
Charakter der Schrift, in der ja alle Entscheidungen des Demos als
rein materiellen Interessen entsprungen dargestellt werden. Man suchte
sich daher zu helfen, indem man ein ov vor vo(.iilwv einschob. Das ist
sicher verfehlt. Wollte man aber die Begründung als nicht ernst ge-
meint, sondern als Ironie nehmen, so entstand wieder eine Schwierig-
keit: es ließen sich die beiden Partizipien syntaktisch nicht recht
miteinander vereinigen.
Ich glaube, man muß hier TiaXov nicht mit ,, geziemend", ,. schön",
übersetzen, sondern mit der anderen Bedeutung, die vmIov ebenfalls
hat, nämlich „nützlich, praktisch", ^j Die oben angegebenen Schwierig-
keiten fallen dadurch weg und der Sinn der Stelle ist dann: Der
Demos von Athen hat die Verbände ^) derjenigen, die in Athen musisch-
gymnastische Künste professionsmäßig betrieben , aufgelöst , weil er
glaubte, daß diese Art des .Kunstbetriebes für den Demos nicht nütz-
lich sei, da er erkannt hat, daß er selbst zu derartigem Betriebe nicht
die äußere Möglichkeit habe. Der Zusammenhang zwischen 10 — 12 und
13 ist also gesichert. Hofmann (a. a. 0. S. 14 ff.) schließt sich der von
Lange vorgeschlagenen Emendation an, nämlich statt des überlieferten
ov ein avTÖg einzusetzen, und verbindet damit die Erklärung des yvjuva-
^of^svovg, wie sie Kaiinka und Wilamowitz gegeben haben. Abgesehen
davon, daß durch seine Annahme der Sinn der Stelle banal genug
bleibt, widerspricht die Textesänderung dem von Hofmann sonst stets
aufs eifrigste betonten Grundsatze des strengen Konservativismus.
Der Autor fährt nach den beiden Sätzen des § 13 fort: ev ze
Tolg SiycaGTriQLOLg ov tov diytaiov avvolg fiällov ^leXei ^ tov amolg ovu-
(pÖQov. Auch hier besteht ein enger Zusammenhang. Der Autor em-
pfindet das Vorgehen der Athener als eine Ungerechtigkeit und er-
klärt es zugleich als höchsten Egoismus, wenn der athenische Demos
bei den Choregien nur Geld nehmen ^^dll, damit er bekomme, die
B;eichen aber ärmer würden. Das sei zwar praktisch, aber nicht ge-
recht. Doch man dürfe sich nicht wundern, selbst im Gerichtshofe
siege dieses Streben nach materiellen Vorteilen über das allgemeine
Rechtsbewußtsein.
') Für diese Bedeutung von xaköv haben wir auch aus der Zeit, in der die Schrift abge-
faßt wurde, Beispiele: So Thuk. III, 94 Ar] uoad-ev}]g d' ävajrsidevai .... vtio Meaar]vuov wg
xakov aviw cTTQauäg Tooamrjg ^vveiXsyfievtjg AhoiXoig ijiideo&at; Soph. Phil. 1155 vvv
xaXov ävTL(povov xoQeaat atöfia; Soph. El. 384 Nvv ya.Q iv xaXco rpQovelv; Thuk. V, 59
äyX EV y.aXcp iSoy.ei f] ftdxf] eaead-ai, wozu der Scholiast bemerkt iTii av^cpeQOvxi. Xen.
Hell. IV, 3, 5 vofiiaavTsg odx iv xaXco elvat TiQog rovg ÖTcXCiag iJtTio/iiaxeTv.
^) Das xttTaXveiv lovg yvf^vaCof^epovg setzt organisierte Verbände voraus.
— 61 —
Mit § 14 beginnt ein neuer Abschnitt , den man Ttegl ovfAf-idywv
überschreiben könnte. Der Autor bespricht in 14 und 15 die Stellung-
nahme Athens zwischen den beiden großen politischen Parteien in den
einzelnen Bundesstädten, den Demokraten und Aristokraten, und er-
klärt die Parteinahme des athenischen Demos für die demokratischen
Parteien in den Bundesstädten als ganz konsequent; denn im gegen-
seitigen Falle dUyiGTOv ;f^oror ^ ccQxrj saxat xov örn-iov tov Md-rjvriGL.
Für ebenso konsequent erklärt er auch die Unterdrückung und mate-
rielle Schädigung der Aristokratie in den Bundesstädten, eine Konse-
quenz, die auch gegen den etwaigen Einwand völlig geschützt werde,
es müsse doch Athen daran gelegen sein, die Bündner möglichst steuer-
kräftig zu erhalten.
Von § 16 an ist die Ausführung dem Verhältnis zwischen Athen
und den Bundesstädten überhaupt gewidmet, es findet allerdings nur
der Gerichtszwang seine Behandlung.
Punkt für Punkt, sprachlich deutlich gekennzeichnet (t^cqcotov uiv^
eira, Ttgbg öi rovjoLg , ^Qbg de Tovroig) werden die Vorteile, die der
athenische Demos aus dieser Einrichtung zieht, aufgezählt. Das Volk
erzielt durch den Gerichtszwang nach Athen viel größere Unterwürfigkeit
jedes einzelnen Bundesgenossen gegenüber jedem Angehörigen des
attischen Demos, während sonst nur denjenigen, die in amtlicher
Stellung als Vertreter Athens zu den Bundesgenossen kommen . diese
Ehrerbietung gezollt werde.
Die anschließenden Worte des § 19 ^Qog de rovroig Sid zrjv
y,T7iöiv bis Kap. II gaben vorerst Anstoß zu Bedenken über den Zu-
sammenhang und damit zugleich zu Texteskonjekturen. Man fand es
auffällig, daß der Autor, der in den unmittelbar vorangehenden §§ 16
bis 18 von dem Gerichtszwange gesprochen, auf einmal ohne jeden
Übergang die aus den überseeischen Besitzungen hervorgehenden Vor-
teile erwähnt. Bezüglich des Inhaltes wurde schon von Eettig darauf
aufmerksam gemacht, daß der Autor diese ZTijdftg ev rölg vTreQOQioig
schon § 14 erwähne und dort gegen etwaige Kritik schütze. Bezüglich
der sprachlichen Form der Anknüpfung hat zuerst Kaiinka darauf
aufmerksam gemacht, daß diese unverkennbare Art der Aufzählung
von 16 — 20 TiQtoTOv fiev, eira, Ttqhg de Tovroig, Ttqog de Tovroig , Ttobg
de TovToig die Zusammengehörigkeit aller dieser Glieder sichere. Es
ist allerdings nicht zu leugnen, daß I, 19 inhaltlich sich nicht direkt an
die unmittelbar vorhergehende Erörterung über die Gerichtshoheit
Athens anschließt; es ist aber leicht begreiflich, daß der Autor in
freierer Bezugnahme auf das in Rede stehende Thema /reQl zcov aviuLid-
/wv den Vorteil nautischer iVusbildung anreiht, der sich infolge des
— 62 —
schon I, 15 beiläufig erwähnten Besitzes von Kleruchien und der Not-
wendigkeit, wiederholt staatliche Funktionäre zu den Bundesgenossen
zu entsenden (I, 18), von selbst als erfreuliche Nebenwirkung einstellte.
Bei dieser Annahme ist also der Zusammenhang und zugleich die über-
lieferte Lesart yaTjOiv gesichert. Die versuchte Textesänderung in yJS]aiv
ist von Kaiinka als aus sachlichen Grründen unmöglich abgetan worden.
— Eine für die Komposition der Schrift wichtige Tatsache können
wir erkennen in den §§ 16 — 18, an deren Reihenfolge aufeinander und
innigen Zusammengehörigkeit noch von keiner Seite gerüttelt wurde
und die daher sich am besten zur Demonstration eignen. Die Art der
Aufzählung der Vorteile des Gerichtszwanges zeigt uns, daß der Ver-
fasser die einzelnen Glieder der Darlegung einfach nebeneinander stellt,
sowie sie sich ihm gerade bieten, ohne sich ihre logische Verknüpfung
und Anordnung stets angelegen sein zu lassen. Diese Tatsache allein
hätte genügen können, von der Forderung nach streng logischem Auf-
bau der Schrift abzustehen, wodurch auch die meisten Umstellungs-
versuche vermieden worden wären.
Es ist ganz begreiflich, daß dem Autor bei Behandlung der aus
dem Verkehr mit den überseeischen Besitzungen sich ergebenden Aus-
bildung und Tüchtigkeit zum Seedienst, bei dem Gedanken an die Vor-
trefflichkeit der athenischen Marine (I, 19, 20) zugleich auch der Ge-
danke an die Landmacht Athens, an das Hoplitenheer kommt; damit,
daß dies die schwächste Seite der Athener zu sein scheint, ist es nun
in der Tat so bestellt. Doch wenn sie auch gewissen Landmächten
nicht gewachsen sind, ihren Bundesgenossen — und darauf kommt es
ihnen vor allem an — sind sie gewachsen und w^erden noch durch
einen günstigen Umstand unterstützt, daß nämlich die Bundesstädte
durch ihre Lage entweder als Inselstädte oder Festlandsstädte ge-
zwungen sind, sich den Athenern unterzuordnen. Der Zusammenhang
ist völlig klar. Belots und Kalinkas Ansicht von der versuchten
logischen Gliederung der Bündneruntertanen in ogol vriaicoTal elölv und
OTtooai ev TJj rjTVEiQU) eiol TtoXeig und letztere meder in große und
kleine ist ganz zutreffend. Wenn aber Kaiinka meint, daß in dem Auf-
geben dieser logischen Gliederung im weiteren Verlaufe etwas von
einer Sophistik darinliege, die. um den formellen Eindruck einer rein-
lichen und scharfen Einteilung hervorzurufen, lieber die sachliche Treue
opfere , so ist diese Ansicht nur eine Folge von seiner Anschauung
über die Form des Werkes. Das Aufgeben der logischen Gliederung
ist vielmehr der Ungeübtheit des Autors zuzuschreiben.
Die Erwägung, daß Athen seinen Bundesgenossen genugsam über-
legen ist durch seine Seemacht, führen den Autor zu einem neuen
— 63 —
Abschnitt, der von den Vorteilen einer Seemacht handelt, i) Die ein-
zelnen Punkte reihen sich deutlich aneinander: 1. Leichtere Möglich-
lichkeit, im feindlichen Gebiete zu landen. 2. Möglichkeit, auf längere
Zeit und größere Strecken sich von der Heimat zu entfernen. 3. Mög-
lichkeit, im Falle eines Mißwachses den Schaden durch die überseeischen
Handelsverbindungen zu ersetzen. ^)
Es ist ganz begreiflich und psychologisch sehr gut erklärbar,
daß mit dem Gedanken an die überseeische Einfuhr, welche die Gefahr
eines Mißwachses in Attika aufheben kann, sich zugleich die Vor-
stellung von anderen Einfuhrartikeln, von Luxus- und Genußartikeln,
welche ebenfalls mit dem Getreide über See kamen, verband. Der
Autor kann daher nicht umhin, sie anzuführen, und tut dies mit
den entschuldigenden Worten el ds Sei xal o/niyiQOTSQcov uvrjad-rivaL Siä
Tjyr (XQXrjv TtQCOTOv jitev TQimovg euwxuov e^iqvqov . . . eTteiTa g)a}vrjv
näoav d^ovovieg e^eXi^awo tovto uev i/. r»]g tovto di ey. rfig. Daß der
Autor damit die Aufeinanderfolge der Hauptpunkte unterbrochen hat,
ist gewiß nicht zu leugnen, deswegen aber auf eine Lücke oder irgend
einen Mangel in der überlieferten Anordnung der einzelnen Paragraphen
schließen zu wollen, ist unstatthaft.
Die beiden nächsten Paragraphen II, 9 und 10 waren neben I, 13,
IL 17 und dem Schlüsse der ganzen Schrift die meist umstrittenen
Stellen, die mit Ausnahme von MüUer-Strübing , Rettig und Kaiinka
von allen anderen Gelehrten als nicht an der gehörigen Stelle stehend
bezeichnet und irgendwo andershin versetzt wurden. 3) Das Sonderbare
an all den Umstellungsversuchen ist aber, daß sich diese zwei Paragraphen
dann doch nicht hineinfügen wollten in den Zusammenhang, in den man
sie brachte.
Was zunächst Inhalt und Tendenz der beiden Paragraphen an-
langt, so hat Kaiinka mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß sie,
^) Bei Kaiinka vermisse ich sowohl II, 1 als auch hier die psychologische Erklärung
für den Gedankenzusammenhang. Denn mit den Worten (a. a. 0. S. 44): „die folgende Dar-
legung II. 4 ft". ... nimmt ihren Ausgangspunkt davon, daß eine Seemacht sich eben so gut
und noch besser als eine Landmacht für ge^visse strategische Operationen zu Lande eigne",
ist doch der Zusammenhang mit dem Vorangehenden gewiß nicht gegeben.
^) Es ist durchaus nicht notwendig, zwischen den Beispielen, welche zur Bekräftigung
eines Behauptungssatzes (in unserem Falle: die Seemacht hat mehr Vorteile als die Land-
macht) dienen, einen logischen Zusammenhang zu suchen. Der Autor gibt ja nicht alle Bei-
spiele und zweitens gibt er sie so, vne sie ihm gerade zur Hand kommen, was sich in
dem Abschnit II, 4—14 recht deutlich zeigt. Es ist daher Langes Ansicht (Leipz. Stud. V,
402), der zwischen 4, 5, 6 als Bindeglied die Hungersnot (in 4 und 5 erzeugt durch Ver-
wüstungen, in 6 durch Mißwachs) annimmt, zu gekünstelt.
") So von Kirchhoft" zwischen I, 5 und I, 13, Schmidt zwischen I, 13 und II, 17,
Helot zwischen I, 12 und I, 13, Lange zwischen I, 19 und 20.
— 64 —
obwohl eingangs nur Sakrales zur Sprache kommt (d-voiag y,al Ugä ymI
eoQräg y.al Te^evrj)^ doch im wesentlichen die öffentlichen Unterhaltungs-
vorkehrungen und Erholungsanstalten zum Gegenstand haben, denen
die sakralen Zwecke sozusagen zum Vorwand dienen. Dies geht schon
hervor aus der Art, wie nach dem Verfasser das Volk jene Objekte
und Zeremonien des Kultus auffaßt (S-velv xal evwyelGd-ai %al XaxaGd-ai
lega ymI tvoIlv oixeZv Tiakrjv y,al f^eydlriv), und wird dann direkt aus-
gesprochen in den Worten S^vouglv ovv d^uooia uiv r] TtoXig legeta
noXXa. eorl di. ö dfifxog 6 eöwxovjtievog y,al dialayxdvMv rä le^ela. Über-
dies kommt ja der Autor in weiterer Ausführung des 7C()hv olxelv
ytalrjv y,al fieyd?^rjv am Schlüsse auf die Profanbauten der yvuvdoia,
kovTQa und aTtodvTT^Qia zu sprechen.
Wie und wieweit haben aber diese beiden Paragraphen nach
vorne eine Verbindung? Daß sie mit den Vorteilen einer Seemacht nichts
zu tun haben, ist einleuchtend. Also bleiben nur mehr § 7 und § 8 zur
Verknüpfung übrig. Wenn man nun bedenkt, daß der Autor in § 7
erzählt hat, daß die Athener vermöge ihrer Seeherrschaft sich alle
Gattungen des Wohllebens ausfindig gemacht haben, ferner beachtet,
daß diejenigen, welche die Genüsse kennen lernen, der athenische
Demos sind, der zum größten Teil aus den Tievrjveg bestand, ist da die
Frage nicht naheliegend, ja wie kann denn der athenische Demos, der
meist Arme zu seinen Mitgliedern zählt, wie kann der, wenn er auch
wirklich alle Gattungen des Wohllebens kennen lernt und ausfindig
macht, sich auch den Genuß des Wohllebens verschaffen? x^Luf diesen
Einwurf gibt der Autor die mit Si eingeleitete Entgegnung: bei den
d-vGiac und iegd, koQTal und Tefj.ev7]^ bei dem olxelv ttöXlv ycaXrjv '/,at
ILieydlriv^ da kann der Einzelne sich wohl nichts leisten, da muß eben
der Staatssäckel herhalten.
Kalinkas Ansicht (a. a. 0. S. 45) von der Verbindung zwischen
9/10 und 7, daß nämlich in 9/10 in einer kleinen Digression dargestellt
werde, wie die Masse der Athener sich auch zu Hause mit den alt-
hergebrachten Einrichtungen ein angenehmes Dasein zu sichern ver-
stehe, scheint mir nicht das Richtige zu treffen. Er konstruiert da
einen Gegensatz zwischen Wohlleben in der Fremde mit neuen
Einrichtungen und Wohlleben zu Hause mit den alten Einrich-
tungen , einen Gegensatz , von dem in 9/10 keine Spur zu finden ist
und von dem übrigens auch Kaiinka nur das zweite Glied zu finden
wußte. Dagegen stimme ich Kaiinka und Rettig vollkommen bei. wenn
sie auf die Zusammengehörigkeit von § 7 und § 9 schließen aus den
in beiden Paragraphen gebrauchten Ausdrücken evcoxlcc — evcoxelGd^ai,
e^svQLG'/ico—TQÖTTog, indem sie diese Wiederkehr zurückführen auf die
— 65 —
sprachpsychologische Erscheinung, daß markante Wörter, wenn sie
einmal zur Verwendung gekommen sind, sich bald darauf wieder dem
Sprecher oder Schreiber aufzudrängen pflegen.
Mit § 11 kehrt der Autor wieder zu dem durch §§ 7 — 10 unter-
brochenen Thema von der Aufzählung der Vorteile einer Seemacht
zurück und fügt einen neuen hinzu, daß nämlich eine Seemacht allein
imstande sei, Reichtum zu erwerben, denn alle anderen Städte seien
gezwungen, ihre Produkte in den Häfen der Seemacht in den Handel
und zum Verkaufe zu bringen. Da die Aufmerksamkeit durch den
Exkurs von 9/10 abgelenkt worden war, fügt der Autor den § 11 mit
Si an: röv Se jckovrov udvoi oioi t elolv exeiv tcov '^EXkr^viov y.al tu)v
ßaqßctQOJv. Die Schwierigkeiten, die man in dem Umstände fand, daß
rcloiTov ohne nähere Bestimmung gesetzt und zu oloi Teialv das Sub-
jekt nicht ausdrücklich erwähnt ist, haben bereits Rettig und Kaiinka
behoben. Bezüglich der Aufnahme der Lesart ^QÖg (C) statt /velorj
(A. B) hat Kaiinka so gewichtige Argumente vorgebracht, daß ein
weiterer Zweifel nicht möglich ist. Ebenso hat Kaiinka den folgenden
Satz (II, 12) richtig erklärt : Tcgbg Ss Tovtoig äXloae ayetv ovk idoov-
oiv o'iTiveg dvTiTtaXoi fj^uv eIglv rj od %Qi]GovTai zfj d-aXccGoy]. Der Per-
sonen- und Subjektswechsel ist gewiß störend, doch müssen wir uns
stets vor Augen halten, daß wir es ja in dieser Schrift mit dem ältesten
Produkte attischer Prosaliteratur zu tun haben. Erst durch Kalinkas
Übersetzung und Interpretation wurde die Stelle verständlich und ent-
sprechend eingereiht. Besprach der Autor in § 11 die Tatsache, daß
die Städte freiwillig ihre Produkte nach Athen einführen, weil sie
dieselben dort am besten absetzen können, so fügt er in § 12 eben den
Fall an, was geschieht, wenn eine Stadt sich dem Einfluß Athens ent-
ziehen und sich ein anderes Absatzgebiet suchen wollte. Der Sinn der
Stelle ist: naturgemäß wird jede exportierende Stadt ihre Pro-
dukte nach Athen als dem Vororte der größten Seemacht bringen;
sollte sie ab^r aus Feindschaft gegen Athen ein anderes Absatzgebiet
suchen wollen, so werden die Athener sie daran verhindern.
Hofmann (a. a. 0. S. 27) wendet sich gegen diese Auffassung und
kehrt wieder zurück zur Ansicht Böckhs und Müller-Strübings, welche
annehmen, daß in dem Relativsatze oirtveg ävTiTtaXot fjf.uv eIolv die
Explikation zu äkloae, also die Bezeichnung des neu gewählten Ab-
satzgebietes zu sehen sei. Nach ihnen lautet die Erklärung der Stelle :
„Außerdem wird man nicht gestatten, diese Erzeugnisse anderswohin
zu führen, zu denen, die unsere Gegner sind, oder man wird jenen
den Gebrauch des Meeres nehmen, falls sie dorthin ausführen." Doch
ist die von diesen Gelehrten durchgeführte Verbindung von alXooe und
Wiener Eranos. 5
— 66 —
dem Relativsatze grammatiscli einfach unmöglich. Hofmann sieht dies
ein, sucht sich aber zu helfen, indem er den Text nach seinem Sinn
konstruiert und vor o'invEg ein Tzooq rovvovg einfügt, ein Aufgeben des
Textes, das dem von ihm an mehreren Stellen immer als ungemein
notwendig bezeichneten Konservativismus direkt widerspricht.
Für den ersten Moment scheint in II, 13 die Gedankenabfolge
gestört und der Paragraph nicht an der ihm zugedachten Stelle zu
sein. Während nämlich in §§ II. 4 — 6 von den militärischen Vorteilen
der Seemacht gesprochen wird . in §§ 7 — 10 von den kulturellen und
finanziellen, kehrt der Autor in II. 13 plötzlich wieder zurück zu
militärischen Dingen, um dann in §^ 14 — 16 den strategischen Mangel
in der Lage Athens zu besprechen.
Es ist klar, daß hier die Gedankenfolge etwas unregelmäßig und
auffallend ist, doch läßt sich die plötzliche Umkehr in II, 13 psycho-
logisch erklären und rechtfertigen. Nachdem nämlich der Autor in
§§4^12 die Vorteile einer Seemacht dargelegt hat, soll er den stra-
tegischen Mangel in der I^age Athens behandeln, ein Mangel, der Athen
nicht die höchste Vollkommenheit einer Seemacht erreichen läßt. Bei
dem Gedanken an diesen Mangel aber treten wieder mit voller Inten-
sität die Argumente der §§ 4 — 6 (milit. Vorteile einer Seemacht) in
sein Bewußtsein ein und verdrängen das in §§ 7 — 12 Behandelte. Mit
dem Gedanken an die Nachteile der Lage Athens verbindet sich aber
unmittelbar als natürlicher Gegensatz noch einmal der Gedanke an die
militärischen Vorteile einer Seemacht, von denen die früher über-
gangenen nachgetragen werden. Auch die sprachliche Form (eTc de
TtQÖg TovToig). zeigt schon den Nachtrag an . der mit dem unmittelbar
Vorhergehenden nicht in direktem Zusammenhange steht (vgl. 1 , 19).
In § 14 gibt der Autor endlich die Ausführung des einzigen, was
der athenischen Seemacht zur Vollkommenheit fehlt. Kaiinka hat mit
Recht darauf hingewiesen, daß die hier ausgesprochenen Gedanken
sich .so nahe mit II, 13 berühren, daß diese inhaltliche Verwandtschaft
eine nachdrückliche Bestätigung für die ursprüngliche Nachbarschaft
beider Stellen bietet. Kalinkas (a. a. 0. S. 49) Auffassung aber von dem
Satze vüv de ol yecoQyovvieg v.ai oi TcXovaiOi Md-r^va'nßv vTrlQyovvai vovg
TtoXeuiovg fndklov, 6 Ss Sfijuog^ are ei eiötog ovi oidev tcov öcpcov sjutvqt]-
aovoiv ovSi reuoiaiv , ddecog ^jj xal ovy VTteQxo/nevog duTOvg kann ich
nicht beistimmen. Kaiinka paraphrasiert folgendermaßen : ,.Der Mangel
einer insularen Lage ist dem Verfasser zufolge in doppelter Hinsicht
nachteilig: erstens gewärtigen jetzt die Athener stets feindliche Ein-
fälle und Verwüstungen, was allerdings weder den Großgrundbesitzern
noch dem Stadtvolk sehr nahe geht, weil jene in diesem Falle lieber
— 67 —
dem Feinde huldigen, dieser aber von der Verwüstung der Ländereien
gar nicht betroffen wdrd." Ich glaube vielmehr, daß der Autor das
gerade Gegenteil von dem sagt, was Kaiinka ihn sagen läßt. Nämlich
eben dadurch, daß den yecoQyovpveg und Ttlovaioi die Einfälle so nahe
gehen, sind sie eher geneigt, mit dem Feinde übereinzukommen, ihm
nachzugeben — das heißt das vTtiqyovrai Tovg TvolEuiovg, — während
das Stadtvolk . das ja nichts zu verlieren hat bei Verwüstungen des
flachen Landes, sich nicht um den Feind kümmert.
Ebensowenig kann ich Kaiinka beistimmen in der Erklärung von
II, 16, besonders aber der Worte ezegcov dyad^cov /nsi'^övcov GTeQt](Jovvai.
Kaiinka gibt folgendermaßen den Inhalt wieder: ..deshalb bringen sie
Hab und Gut unter Preisgebung des heimatlichen Bodens auf die
Inseln, womit sie sich in das eine , für sie belanglose Übel freiwillig
ergeben, einem größeren aber entgehen, nämlich dem Verrate und der
offenen Empörung der Gegenpartei und weiterhin dem Sturze der
demokratischen Verfassung.*'
Doch das Übersetzen von Hab und Gut auf die Inseln, das Preis-
geben des heimatlichen Bodens geschieht ja nur in Kriegszeiten und
zu dem Zwecke, sich in die Stadt zu flüchten und so mit dem Feinde
sich in keine offene Schlacht einzulassen. Sie wäre aber unvermeidlich,
wollte man nicht ruhig zusehen, wie die Feinde das Land verwüsten.
Diese Feinde sind aber jene Feinde zu Lande, denen Athen sich nicht
gewachsen fühlt. Daß also eine offene Feldschlacht mit einer
Niederlage , vielleicht einer so entscheidenden enden würde , daß
durch den Machtspruch der siegreichen Feinde auch die Ver-
fassung verloren gehen könnte, mußte als sehr wahrscheinlich
gelten. Ich verstehe unter den f-'reQa dyad-ä /nel^ova eine eventuelle
Niederlage im offenen Felde mit allen daraus resultierenden Folgen,
halte daher Kalinkas Erklärung für zu eng gefaßt. Überdies ist bei
Kalinkas Definition nicht recht gut einzusehen, warum dann der Ver-
rat und die Empörung der Gegenpartei erschwert sein soll, wenn Hab
und Gut auf die Inseln gebracht und das flache Land verlassen ist.
Nachdem in 11, 4 — 16 die Vorteile einer Seemacht behandelt
sind, beginnt der Autor mit II, IT eine Betrachtung, in der er dar-
legt, wie sich der athenische Demos den Verpflichtungen gegenüber
verhält, welche ihm Bundes vertrage und eidliche Abkommen auferlegen :
hier sei ein demokratisch regierter Staat besser daran als eine Olig-
archie. Die Verantwortlichkeit des Einzelnen bei Vertragsbrüchen sei
geradezu Null, da er einfach sagen könne, er sei bei Abschluß des
Vertrages nicht mit dabeigewesen , also auch nicht verpflichtet. Ein
demokratisch regiertes Staatswesen lasse sich also nicht durch Ver-
5*
— 68 —
träge und eidliche Vereinbarungen in seiner Bewegungsfreiheit in der
äußeren Politik hemmen. Die Behandlung dieser Frage war durch die
Fälle der Wirklichkeit für den Autor in nächste Nähe gerückt. Daß
er sie hier anschließt, ist vielleicht zu erklären durch die Ideenver-
wandtschaft zwischen II, 14 — 16 und 17. Es wurden zwar in §§ 14 — 16
unmittelbar nur strategische Fragen erörtert; da diese aber immer
mit Fragen der äußeren Politik zusammenhängen , konnte der Ver-
fasser leicht veranlaßt werden § 17 hier anzuschließen. Im Anschlüsse
daran macht nun der Autor noch einige Bemerkungen über die kin-
dische Rechthaberei des athenischen Volkes, das bei Unglücksfällen
die Schuld stets von sich abzuwälzen sucht, während bei günstigen Er-
folgen jeder der Urheber, der geniale Förderer sein will. Dies fordert
in der Tat zum Spott heraus , daher ist es begreiflich , daß der Ver-
fasser jetzt auf die Empfindlichkeit der Athener gegenüber öffentlicher
Verspottung gerät (II, 18) , deren Organ die Bühne der Komödie ist.
Hier halten die Athener es so, daß sie eine öffentliche Verspottung
der Demokratie nicht zugeben , aber zur Verspottung einzelner durch
ihren Beifall aufmuntern , da sie wissen . daß darunter nur irgendwie
hervorragende Männer zu leiden haben , ihresgleichen aber nur unter
gewissen, vom Demos genehmigten Bedingungen. Ich schließe mich der
zuerst von Römer (Abh. d. Bayer. Ak. d. Wiss. I. KL, XXII. Bd., III. Abt.,
1904, p. 643) vertretenen Ansicht an, die dann von Faulmüller (Pro-
gramm des Ludwigsgymn. in München 1906, p. 23 ff.) und Hofmann
(a. a. 0. p. 37 ff.) verteidigt wurde , daß dfiJLiog an unserer Stelle die
Bedeutung von öruLWUQaTia habe. Sprachlich liegt gegen diese Auf-
fassung gar nichts vor, wie die von den genannten Verfassern gebrachten
Belege zeigen; sachlich aber werden durch diese Annahme ohne jede
Textesänderung alle Schwierigkeiten behoben, während bei der engeren
Interpretation von örifxog als Volk in seiner Einheit es einfach un-
möglich ist, die Angriffe des Aristophanes in seinen Komödien auf
den Demos nicht als solche darzustellen. Wenn der Autor hier gerade
den Ausdruck S^juog genommen hat , statt örjiLioxQaTia , so scheint mir
mitgewirkt zu haben der beabsichtigte Gegensatz zwischen dem
Verhalten gegenüber der Verspottung des Einzelnen und der (xesamt-
heit als Vertreterin der Macht. Jeder Athener verspürte sofort bei
dem Worte Sfjinog das Mitklingen von driiLioy.QaTia.
Den schon in ev eiSozeg on etc. entsprechend der partizipialen
Form und Unterordnung ausgesprochenen Gedanken wiederholt der
Verfasser in II, 19 in selbständiger Form: „ich sage also, daß der
Demos zu Athen erkennt, wer von den Mitbürgern ein edler, wer ein
gemeiner Mann ist; den gemeinen Mann aber, der ihm gesinnungs-
-- 69 —
verwandt und nützlicli ist, liebt er, den edlen aber haßt er." An den
Grund dafür, den er im nächsten Satze gibt, schließt sich sofort ein
Einwand: ivavviov ye tovtov enoL ovveg ihg äkriS-iog tov drj^ov tyjv cpvöiv
od dri^OTi'/,oi eioLv, der nichts anderes heißen kann, als daß dennoch
einige, die man in Wahrheit unter die Männer des Demos zählen
muß, ihrer Geburt nach nicht dem Volke angehören, sondern der
Klasse der xqtjgtoi.
Kaiinka hat zwischen II, 18 und 19 einen Zusammenhang kon-
struiert, den ich nicht für richtig halte. Nach ihm ist die Angabe
in II, 19, der Demos hasse den Edlen, liebe den Gemeinen, eine vom
Autor gezogene Schlußfolgerung aus II, 18, daß nämlich der Demos
die Verspottung einzelner gestatte, im Bewußtsein, daß die Verspotteten
nicht zu ihm gehören. Kaiinka fühlt selbst, daß die von ihm gewollte
Gedankenverbindung sich nur herstellen läßt mit grammatischen An-
stößigkeiten. Abgesehen davon können wir doch unmöglich annehmen,
daß der Autor erst das Verhalten des Demos gegenüber der Spottlust
der Komödie kennen mußte, um die Behauptung von dem Hasse des
Demos gegen die xQrjOTol aufzustellen.
In § 20 endlich wendet sich der Autor mit vollster Schärfe
gegen jene, die, obwohl geborene xQ^OToi^ sich doch für ein demokratisch
regiertes Gemeinwesen entscheiden.
Der Inhalt dieser beiden Paragraphen konnte erst in den Zu-
sammenhang richtig eingereiht werden, nachdem Kaiinka die ent-
sprechende Einzelinterpretation von lov tov dri(.iov^ dXrid^iog („durch
seine politische Tätigkeit'') und tyjv cpvöLv („der Abstammung nach")
gegeben hatte.
In III, 1 schließt der Autor sein Thema fast mit denselben
Worten wie in I, 1. Die eingehende Besprechung dieser Stelle soll
weiter unten folgen.
Ausführlich wird dann in III, 1 Mitte bis 9 über die umläng-
liche Gerichtstätigkeit der Athener und die daraus sich ergebenden
Mängel in der Verwaltung gesprochen. Daß der Inhalt mit dem voran-
gehenden Teile der Abhandlung in keinem engeren Zusammenhange
steht, wird weiter unten besprochen. Die Reihenfolge der einzelnen
Paragraphen und der Gedankenfortschritt innerhalb dieses Abschnittes
w^urden gegen die Angriffe von Kirchhoff, Faltin, Moritz Schmidt
entschieden und mit Erfolg verteidigt von Rettig, Lange und Kaiinka.
Die beiden letzten Abschnitte des dritten Kapitels behandeln die
äußere Politik der Athener bei Parteistreitigkeiten in anderen Staaten
(in, 10, 11) und die Zahl und das Verhältnis der Atimen (III, 12, 13).
— 70 —
Die Abschnitte von III, 1 Mitte bis III. 13 stehen weder unter-
einander noch mit dem Vorangehenden in einem engeren Zusammen-
hange. Ich habe diesen Umstand, ebenso den Inhalt in dem an-
schließenden Teile der Untersuchung erörtert bei der Frage nach dem
Verhältnisse der einzelnen Teile zum Thema, weil ja gerade die drei
Abschnitte des letzten Kapitels in dieser Hinsicht den meisten Anstoß
erregt haben und mit der Grund waren zu den verschiedenen Hypo-
thesen, welche über die Anordnung der Schrift aufgestellt wurden.
Ich will daher bei einem Überblick über den Zusammenhang und
Fortschritt der einzelnen Gedanken der Schrift hauptsächlich nur auf
die beiden ersten Kapitel Rücksicht nehmen und da, glaube ich, hat
sich ergeben, daß die Abfolge der einzelnen Paragraphen keinem An-
stand unterliegt, vielmehr psychologisch gut erklärlich ist, so daß
wir überall nocl» der Ideenassoziation nachgehen können. Die Schrift
ist ein in sich abgeschlossenes Ganzes, dessen Mängel nicht der Un-
fähigkeit des Autors oder schlechter ÜberKeferung zuzuschreiben sind,
sondern der geringen Übung der Zeit, aus der sie als erstes Prosa-
werk stammt, an das man keineswegs noch die Anforderung einer
strengen Komposition und systematischen Deduktion stellen darf.
Nach der Untersuchung der einzelnen Paragraphen bezüglich
ihres Zusammenhanges untereinander stellt sich die Frage ein, inwie-
weit die einzelnen Paragraphen mit dem in I, 1 ausgesprochenen
Thema in Beziehung stehen: eTrel Se xama edo^ev ovriog auvoig, ojg ev
dtaöipCovTat rrjv TtokiTeiav '/,al xaXXa SLaTZQccTTOvTaL a doYMvaiv äfxaQTavEtv
rolg älXoig "Ellriat , tovt ccTtodel^cj. Das nächste Problem ist nun, ob
in diesen Worten eine Zweiteilung des Themas ausgesprochen ist
oder nicht.
Vom grammatischen Standpunkte aus spricht nichts dafür, alles
dagegen: es steht am Schlüsse der Sätze nicht ravva sondern tovto^
es sind ferner die beiden Glieder durch das einmalig gesetzte ev zu
einer Einheit zusammengefaßt und nicht, wie man bei angenommener
Zweiteilung erwarten sollte, das eu zweimal gesetzt, das zweitemal
vor diarcQdTTovTai, oder bei einmaligem ev ein re-YMc verwendet.
Um nun die Frage auch vom inhaltlichen Standpunkte aus zu beant-
worten, muß zuerst die Bedeutung des läXXa vorgenommen werden;
aus der folgenden Darlegung ergibt sich, daß unter xakXa durchwegs
Einrichtungen zu verstehen sind, welche sich als Folgen der demo-
kratischen Verfassung ergeben und auf den Bestand der Demokratie
mit größerer oder geringerer Stärke zurückwirken.
Es empfiehlt sich also auch vom inhaltlichen Standpunkte nicht
eine Zweiteilung in dem Sinne, daß beide Teilungsglieder gleichwertig
— 71 —
sind, sondern nur insoferne, als Ursache nnd Wirkung berücksichtigt
werden sollen. Daß aber der Autor beim Niederschreiben der
Stelle die Anschauung und Empfindung gehabt hat, daß er in den
Worten I, 1 eine logische Zweiteilung ausgesprochen habe, möchte ich
glauben.
Verhält es sich aber mit der Dispositionsangabe so, wie ich
gesagt habe, daß nämlich die Zweiteilung bloß Ursache und Folge
enthält, so ist von vornherein zu erwarten, daß sie auch nicht scharf
..Glied für Glied" getrennt, eingehalten wird, sondern daß wir beide
Belege oft miteinander verbunden sehen werden.
Die ersten neun Paragraphen können wir in der Hauptsache dem
Xachweis (hg sc diaaw^ovrai vrjv noIiTeiav zuschreiben. § 10 können
wir nur mit etwas Zwang noch zu vjg ev diaG<iß^ovTaL rrjv TtoXitelav in
Beziehung bringen, während die weiteren Ausführungen in §§ 11 und 12
ohne Zweifel als Beleg für das ev diciTCQdtuea&aL rälla dienen. § 13
bringt wieder eine wenn auch gewaltsame Kombination der Liturgien
mit dem demokratischen Prinzip : es sei ihr Zweck , die Gegen-
partei finanziell zu schwächen, um dadurch die eigene Kraft zu heben.
Mit voller Deutlichkeit tritt das Motiv, die Yolksherrschaft zu halten,
wieder in der Politik gegenüber den Bundesgenossen, welche einen
wesentlichen Teil des attischen Reiches bilden, hervor in §§ 14^16.
(I, 14 yr/vibo'/.ovveq an. . . ., el . . . ioxvGovinv o'i tvXovgiol y,al xQ^^^t^oI
tv Talg TcöleoLV, oXlyiGTOv xQO'^^ov fj aQyJ] eGuat rov 6/juov tov 31d-rjvrjGi;
I, 15 . . . do'jisl f-iei^ov dyaiybv eivai . . . ixelvoug de ogov ^fjv /mI iQydCeG^-ac
döivdvovg oviag STtißovleveLv.) I. 16 ist trotz der sprachlichen Ein-
kleidung ebenfalls als Beleg für die Wahrung der Yolksherrschaft zu
betrachten (ei de oiy.oi eiyov t'/MGTOi zag 6r/,ag, ace d%3-6^evoi Jld-rjvaloig
TOVTOvg dv Gcpwv avciöv aTicbXXvGav o'iCLveg cpiloi (.idXiGva fjGav ^dl^^r^vaitov
TW öi]Li(i)) und weist wieder zurück auf I. 14 (el de Igxvgovglv . . . ij
dQyi) eGzaL tov ökjUov tov 2dd-i]vriGi). I, 17, welches die Vorteile auf-
zählt, welche den verschiedenen Menschenklassen aus dem Gerichts-
zwang der Bundesgenossen erwachsen, gehört dagegen zum ev öia-
TtQdTTeG&ai, während I, 18 wieder ein Beitrag für das ev SiaGi^l^eGd-ai
Tt)v TToltTelav ist. I, 19 und 20 betrachtet Kaiinka (a. a. 0. S. oO) als
bloß durch natürliche Ideenassoziation entstandene Exkurse, die mit
keinem der beiden Programmpunkte in ersichtlichem Zusammenhange
stünden. Ich glaube aber, daß sie die in II, 15 als Beleg für die
Erhaltung der Volksherrschaft angeführte Tatsache der Erwerbung
von Besitz in bundesgenössischem Gebiete hier als einen Beleg bringen
für das kluge Vorgehen des Demos. Diese Paragraphen zeigen besonders,
wie schwer, ja unmöglich es dem Autor wurde, die von ihm an-
— 72 —
genommene Zweiteilung wirklicli überall in der Anordnung der Belege
durchzuführen.
Während also das erste Kapitel seinem Hauptteil nach die Vor-
kehrungen zur Erhaltung der Herrschaft und des Ansehens der großen
Men^e bespricht, me es der erste Punkt der Disposition in Aussicht gestellt
hat, kann man in folgenden Partien, soweit sie die Macht und die Vorteile
der Seeherrschaft betreffen, eine solche Beziehung nicht sofort erkennen.
Der Grundgedanke des zweiten Kapitels bis § 14 geht dahin, daß
die Athener ihr Landheer nur in solcher Starke halten, daß sie damit
den Bundesgenossen überlegen sind, während sie ihren Feinden gegen-
über sich auf die Übermacht zur See stützen. Dieser Grrundgedanke
scheint den zweiten Punkt der Disposition zu illustrieren (cog ev %al
TakXa StaTTQccrvovtaL). Wenn nun aber der Autor bei dieser Gelegen-
heit die Vorteile einer Seeherrschaft in verschiedensten Variationen
vorbringt, so darf dies nicht wundernehmen, da ja dieser Gegenstand
einem jeden Athener seinerzeit nahe lag und anderseits schon
vom Themistokles an^ dem Begründer der athenischen Seeherrschaft,
eine stetige Streitfrage bildete zwischen den großen Parteien der
Demokratie und Aristokratie. Daß aber die besprochenen Paragraphen
auch enge mit dem ersten Punkte der Disposition zusammenhängen,
zeigt neben inhaltlichen Beziehungen, die sich leicht herausfinden
lassen, auch eine Stelle im Texte selbst (II, 4), dort, wo die Rede
davon ist, daß die Genüsse, die sich das Volk zu seinem Privat-
vergnügen auf Staatskosten verschafft, mehr der Masse als den oberen
Klassen zugute kommen. Die Schlußwendung Tcleito tovvwv aizoXavEi
ö ox^og ^ Ol dliyoi y,al ol evöaliioveg weist über I, 4 (oi iiiv yäg TtevijTeg
y,al Ol driuoiai '/,al ol yeiQOvg ev TCQctTxovTEg .... tyjv SrifMOXQaTiav
av^ovGtv) zurück auf cog er öiaGcpl^owaL rrjv Ttohzeiav.
§§ 14 — 16 gehören eigentlich nicht mehr zu den Vorteilen der
Seeherrschaft, bringen aber, durch innigsten Gedankenzusammenhang
damit verknüpft, neue Belege für das cog ev diaTCQdzTovTat xäXXa. Die
Schlußworte in II, 16 eTzeiörj ovv i^ ccQxrjg ov% erv^ov ol'/.rjGavieg vfiaov,
vvv Tccde TtoiovOL' ttjv ^sv ovaiav Tolg vrjaoig TtaQazlS^evTat TciövevovTeg
TTj aQxfj Tfj zaror d-dXaGoav^ rrjv dt 3ltTr/J]V yrjv TceQLoqcoGi Te^vo^tvr^v
yiyvtoGAOvreg ovi el avurjv ileiJGOvGiv exiqwv äyad^wv jueL^övcov GTeqrjGovTaL
weisen ebenfalls zurück auf wg ev diaG(p^ovTai rrjv Tzohreiav. Denn
unter dem Verlust der ^eit^co äyad-ä ist jener Verlust zu verstehen, der
sich als Folge einer schweren Niederlage einstellt und auch Vernichtung
der Volksherrschaft bringen kann.
- § 17, der den Vorteil der Demokratie behandelt, sich leicht über
^Verträge und Eide hinwegsetzen zu können, ist doch wohl ein Beleg
— 73 —
für das ev Siaacit^ovrai ttjv TcoliTslav^), während der näcliste Paragraph
mit dem zweiten Satze (og ev öiaTtQaTzovTaL raXXcc zu verbinden ist.
II, 20 kehrt über 19 A\ieder zurück zu dem schon in I, 4 be-
sprochenen scharfen Gegensatz zwischen den TtovriQol und xq^otoI und
dem im demokratischen Prinzipe begründeten Hasse und der Bedrückung,
welchen die xQ'H^^ol von seiten der TtovriQol ausgesetzt sind. Beide
Paragraphen stehen näher dem ev diaöwLOVTai als dem ev diaTtgccTTOvrai.
III, 1 schließt die ganze Abhandlung ab fast mit denselben
Worten, wie sie in I, 1 stehen; es fehlen von I, 1 nur y,al Talka
diangdTTOviai a do-Kovaiv a/^agräveiv zoig äXloig "Ellriöi tovt änoöet^co.
Daß der Autor hier fast dieselben Worte wie in I, 1 gebraucht,
ferner den angegebenen Teil (vmI xakka . . . dLaTZQücTTovrai) ausläßt,
hat zu den verschiedensten Annahmen Anlaß geboten.
Daß ein Ruhepunkt hier anzunehmen sei, ist allgemein anerkannt.
Ob aber damit bloß ein Teil oder die ganze Abhandlung abgeschlossen
sei, darüber konnte keine Einigung erzielt werden.
Wenn war bedenken, daß in der vorangehenden Erörterung Sätze
vorkommen, welche bei der angenommenen Zweiteilung in I, 1 entweder
nur mit ev SiaTtQccTTovraL xaXXa oder doch höchst wahrscheinlich am
besten damit verbunden werden müssen, so kann unmöglich ein weiterer
Zweifel darüber bestehen, ob der Autor hiemit den Schluß für die
ganze Schrift gesetzt oder nur für einen ersten Teil. Es bleibt aber
noch immer die Frage offen, warum der Autor nicht auch die Worte
ev öiaTtoaTTowaL etc. wieder angeführt hat, da doch in III, 1 eine
deutliche Bezugnahme auf I, 1 zu konstatieren ist.
Nach einer genügenden Erklärung habe ich mich vergebens um-
gesehen, auch bei jenen, die III, 1 als Schluß des ganzen Werkes
betrachten. Denn Kalinkas Ansicht, es sei erklärlich, daß der Autor
•bloß den die Erhaltung der Volksherrschaft berührenden Satz aus
der Einleitung herübergenommen habe, weil der letzte der Belege
gerade die Wahrung der Demokratie betreife, scheint mir dem Autor
doch zu große Ungeschicklichkeit zuzumuten. Kaiinka gibt ja un-
mittelbar vorher an, daß der Autor sehr breit und mit absichtlicher
Liebe die Darstellung der Vorteile einer unbestrittenen Seeherrschaft
ausgemalt habe, welche sich zunächst als Illustration des Satzes chg
*j Daß hier der Bestand der Demokratie für den Verfasser gar nicht in Frage
komme, wie Kaiinka meint, muß ich bezweifeln ; denn unter den Verträgen, welche man
am ersten brach , waren eben jene , welche durch ihre Erfüllung der Demokratie Schaden
gebracht hätten. — Was oben bei I, 13 von den Gerichtshöfen gesagt wurde, das hat
auch hier wieder seine Gültigkeit: oö tov dtxaiov amöTg fmkXov f^isXei rj zov adzoTg
av^cpÖQov.
— 74 —
ev '/mI xälka öiaTCQccTTOvvai einführe. Da wäre es doch auffallend^
daß der Autor durch die kurzen Paragraphen II, 18 — 20 wieder ganz
von diesem Gedanken des ev öiaTtQaTTead-at zäkla abgekommen sei und
nur mehr an das ev öiaoc(j(^eGd-ai tyjv TtohTelav gedacht habe.
Bedenken wir aber, daß dem Autor während seiner Darstellung
zum Bewußtsein gekommen sein muß, daß die in I, 1 ausgesprochene
Zweiteilung eigentlich nicht zwei gleichwertige Glieder enthält, sondern
sich vielmehr wie Ursache und Folge verhalten, daß mit der Setzung
des ev diaotpteod^ai ttjv TcoXixeiav und der Beweisführung dafür implizite
letztere auch mitgegeben werde für das ev diaTtQävTeod^ai tälla —
eine Tatsache, die sich sehr deutlich zeigt in II, 16 — 18 — und
nehmen wir dann noch den von Kaiinka betonten Umstand hinzu, daß
der Autor mit einem Belege schloß, der unmittelbar die Wahrung der
Demokratie betrifft, i) dann, glaube ich, können wir es erklärlich finden»
daß der i^utor in dem Schlußsatz bloß den die Erhaltung der Yolks-
herrschaft berührenden Satz aus der Einleitung her übergenommen hat.
Den größten Teil des dritten Kapitels bildet der Abschnitt
§ 1™ — 9, in welchem ein sehr empfindlicher Mangel der öffentlichen
Verwaltung in Athen, nämlich die Verschleppung aller Agenden, bloß-
gelegt und gezeigt wird, daß er in tatsächlich gegebenen Verhältnissen
seinen Grund habe; eine Milderung entweder durch Bestechung
(III, 3) oder durch Verringerung der Anzahl der Richter bei einem
Gerichtshofe (III, 7) sei nur in unzureichendem Maße möglich. Daß
die Schlußworte in III, 8 tovto)v tolvvv ovvcov ov (prjiui olÖv t eivai ä)j.o)g
exetv rä Tzgayiiara 31&/jvriGiv }) ügTteQ vvv exet TtXrjv rj /.arä uly.qüv tl
oTöv re TÖ iiiv dcpeXelvy rb de nqoöd-elvai %iX. nur auf diesen Abschnitt
sich beziehen, auf den Übelstand der unabsehbaren Verschleppungen
aller Agenden, hat Lange bewiesen.
Der nächste Abschnitt III, 10 handelt über die äußere Politik
Athens.
Der an den Athenern gerügte Brauch, sich bei auswärtigen
Händeln in der Regel für die niedrige Bevölkerungsklasse zu ent-
scheiden, wird auf bewußte Absicht zurückgeführt, da die ße/.riovg
nicht dieselben Interessen wie die Demokraten verfolgen. Der Ge-
dankengang ist folgender: Wenn sich die Athener für die ßelriovg
entschieden, würden sie sich damit für Andersdenkende entscheiden»
denn in jedem Staatswesen hält es nicht der brave Teil der Bevöl-
^) Ein Beleg, der übrigens mit dem vorangehenden Beleg für das ev öiajiQdTreadac
läXXa gedanklich auf das innigste zusammenhängt und nur wiederum die Unmöglichkeit
einer scharfen Trennung zeigt.
— 75 —
kerung mit dem Demos, sondern der Pöbel, weil gleich und gleich zu-
sammenhält. Im weiteren Verlaufe wird dann an drei aus etwa der-
selben Zeit entnommenen Beispielen gezeigt, welche Folgen sich für
die Athener ergaben, so oft sie ihr gewohntes und in der demokra-
tischen Verfassung begründetes Prinzip aufgaben. Kaiinka (a. a. 0.
S. o3) hat behauptet, daß dieser Abschnitt gleichfalls aus dem Rahmen
der angekündigten Untersuchung herausfalle. Denn es werde hier im
Gegensatz zu sämtlichen Erörterungen der zwei ersten Kapitel nicht
mit dem UtiKtätsprinzipe, sondern mit der natürlichen Anziehungskraft
der politischen Massen argumentiert. Diese Behauptung wird aber so-
fort widerlegt durch den Hinweis auf die drei von dem Autor ange-
führten Beispiele, welche ganz deutlich auf das Utilitätsprinzip Bezug
nehmen. Daß Kaiinka den Abschnitt als aus dem Rahmen der ange-
kündigten Darstellung herausfallend beweisen wollte, hat seinen Grund
darin, daß er auf diese Weise dartun wollte, daß dieser Abschnitt
seinen Platz mit vollem Rechte hinter III, 1 habe.
Ich glaube aber, daß auch bei der Annahme, daß der Ab-
schnitt III. 10 mit dem zweiten Punkte von I, 1 (ojl: ev xal ÖLaTtQdv-
Tovrai Tä?da) in Beziehung steht, es möglich ist, die Stellung von
m, 10 an seinem jetzigen Platze als Nachtrag zu begründen. In dem
ganzen großen Abschnitt von I, 2 — II, 20 hat der Autor seine in
I, 1 ausgesprochene Behauptung auf den 3 großen Gebieten (der Bürger,
Sklaven und Metöken, Bundesgenossen) zu beweisen gesucht und dann
in III. 1 die Untersuchung geschlossen. Er mußte aber auch zu der in
III. 10 behandelten Frage bezüglich des Verhaltens der Athener in
der rein äußeren Politik Stellung nehmen und konnte diesen Abschnitt
nicht in der vorhergehenden Untersuchung unterbringen oder wollte
es nicht, weshalb er ihn hier als Nachtrag gab.
Um die Stellung der letzten zwei Paragraphen zum Thema prä-
zisieren zu können, hat Kaiinka die wichtigste Anregung gegeben, in-
dem er die Bedeutung des ccQa untersuchte und zu dem sicheren Re-
sultate kam, äga könne hier nicht konklusiv aufgefaßt werden, sondern
müsse vielmehr zu cog bezogen und der ganze Satz cog oudelg ccqcc
äÖLAwg }jTLf.uüTai Md-rjvriaiv dürfe nur als rhetorische Frage angesehen
werden. Ich glaube Kalinkas Auffassung noch durch folgende Über-
legung fester begründen zu können:
Wäre äga konklusiv zu fassen, das heißt, würde der Einwand
lauten , es gebe in Athen keinen ungerechterweise mit Atimie Be-
straften, so wäre doch die Aufgabe des Verfassers, diesen Einwurf zu
widerlegen durch den Nachweis, daß es solche Menschen in nicht ge-
ringer Zahl geben müsse. Ist aber der Satz tag ovöelg äga . . . ^d-rjvriöi
— 76 —
rhetorische Frage, die in die Form des Aussagesatzes umgesetzt an-
gibt, daß es in Athen viele gibt, die ungerechtfertigt mit Atimie be-
legt wurden , dann muß der Autor beweisen , daß es in Athen aller-
dings Leute gibt, welche ungerecht mit dieser Strafe heimgesucht
wurden, daß es aber nur wenige sein können. Diesen Nachweis liefert
nun der Verfasser, welcher mit dem Satze schließt, daß der athenischen
Demokratie kein Umsturz drohe, ein Gedanke, der sehr wohl geeignet
ist, den befriedigenden Abschluß der ganzen Abhandlung zu bilden.
Daß diese Erörterung über die Atimen hinausgreife über den Kreis
der geplanten Untersuchung, darin stimme ich Kaiinka bei.
Betrachten wir nun das Verhältnis der 8 Abschnitte des dritten
Kapitels zu den vorangegangenen, so unterscheiden sich der erste und
dritte dadurch, daß nicht mehr die Rede davon ist, chg ev Siaffüj^owaL
TTjv TTokiTEiav 'A,al TalXa diaTTQavTovvat , .und daß sie daher streng ge-
nommen außerhalb des Bereiches der Diskusion liegen. Dessen scheint
sich auch der Verfasser bewußt gewesen zu sein.
Der zweite Abschnitt hat zwar eine engere Beziehung zum Thema,
konnte aber schwer in den Kapiteln I und II ein Unterkommen finden.
Da aber die 3 Abschnitte doch wichtige Fragen enthielten, die
wie in III, 1™— 9 und 12 und 13 allerdings in freierer, in § 10 und 11
in ganz naher Weise mit dem Hauptthema in Beziehung standen, so
hat sie der Autor als Anhang aufgenommen und als Nachtrag hinter
den Schluß der eigentlichen Abhandlung gestellt.
Lucian und die ^^Neue Komödie^*
Von
KARL MRAS.
Verse von Komikern mit Angabe des Dichters werden bei Lucian
selten zitiert; es ist gewiß sehr bemerkenswert, daß er aus dem ihm
(wie die Anspielungen lehren) wohlbekannten Aristophanes (freilich
finden sich direkte Hinweise bloß auf die Wolken und auf die Vögel)
nicht einmal einen halben Vers anführt. In meiner Untersuchung will
ich bloß die „Neue Komödie" berücksichtigen, wobei ich bemerke, daß
ich unter diesem Namen die fxioTj und via verstehe. Alexis wird ein-
mal (De lapsu 6) zitiert (frg. incert. 297 Kock), ein nur durch Lucian
erhaltener Vers. In demselben Kapitel derselben Schrift werden zwei
ebenfalls nur durch ihn bekannte Verse des Philemon (frg. incert.
163 K) angeführt , in den Amores K. 43 zehn (sonst nicht erhaltene)
Verse des Menander (frg. incert. 535 K). Dies sind alle Zitate mit
ausdrücklicher Angabe des Autors. Daß Lucian bestimmte Figuren
des Menander und Antiphanes im Gedächtnis hatte, beweist Rhetor,
praecept. 12, wo er von dem Rednerlehrer höhnisch bemerkt, er ahme
durch den Liebreiz seiner Stimme die leibhaftige Thais der Komödie
oder Malthake oder Glykera nach, i) Wegen der ausdrücklichen Be-
merkung „die Thais der Komödie^' kann es sich nicht um die Per-
sönlichkeit dieser bekannten Hetäre, sondern nur um ihre Rolle in
einer Komödie handeln. Zwei Lustspiele dieses Namens sind uns
bekannt, von denen bloß das von Menander verfaßte (das andere rührte
von einem ziemlich unbedeutenden Dichter Hipparch her) in Betracht
kommt. 2) Eine Mal^duri (ebenfalls die Figur einer Hetäre) schrieb
^) A^Tod^atSa trjv xojfuxtjv ?j Ma)3dxt]v rj FXvxs^av nvä f^tifi7]adfisvos reo TZQOorj'
veT Tov (fd-E'/ftazog.
^) Es war auch bei den Römern beliebt, vgl. Propert. II, 6, 3 f. Turba Menandreae
fuerat nee Thaidos olim | Tanta, in qua populus lusit Erichthonius und Ovid. Rem. 383 f.
Quis feret Andromaches peragentem Thaida partes? | Peceat, in Andromache Thaida quis-
quis agat.
— 78 —
niemand außer Antiphanes. Und die dritte, Glykera? Wir kennen sie
jetzt, es ist die Geliebte des Polemon in der vielbewunderten UeQixEL-
QOfxivri des Menander. ^) Pseudolog. 4 beruft er einen von Menanders
Prologen, den ^'Ekeyyog 2), worüber wir uns nicht mehr wundern dürfen,
seitdem wir die 'Jdyvoia im Prolog der ITeQixELQ. finden. Fugitivi 19
macht er den Philosophen den Vorwurf, daß sie zwar die Schmeichelei,
wie sie sagen, hassen , daß sie aber doch in dieser Hinsicht den Gna-
thonides oder den Struthias zu übertreffen imstande sind. ^) ^Tgoud-iag
hieß in Menanders Kola^ der Schmeichler und Parasit (vgl. frg. 293,
2 K und Plutarch, Mor. 57a), den Terenz unter dem Namen Gnatho
in seinen Eunuchus übernahm. Außerdem führt Lucian mehrere Verse
mit der Bezeichnung 6 /.M/nr/iog (cprjatv) an. Daß in jener Zeit der
Komiker zar e^oyj]v Menander war . geradeso wie der" Tragiker xar
e^oyrjv Euripides, ist bekannt. Es ist also von vornherein wahrschein-
lich, daß unter diesen Versen viele jenem Autor angehören; in einem
Falle können wir es beweisen, Jupp. trag. 53: oqd-cog ey,Eiv6 f.ioi ö vm^il-
xbg eiQTixevaL öozel' ovöiv Ttenovd-ag deivov av (xrj TZQOGTtoifj (es ist das
bekannte Menanderbruchstück 179K, das wahrscheinlich den ^EjtiTQe-
Tvovreg zuzuweisen ist. *) Über die anonymen Verse brauche ich hier
nicht zu sprechen , da P. Schulze ^) und Dr. J. G. Brambs ^) über sie
bereits gehandelt haben. Merkwürdig ist die Erwähnung eines sonst
ganz, unbekannten Komödiendichters, Lysimachus, der zwar aus Böotien
stammte, aber der Sprache nach für einen echten x^ttiker gelten wollte
und daher das Tav gegenüber dem öly^a überwiegen ließ. '^) Aber ander-
seits darf man bei Lucian durchaus nicht eine solche Kenntnis der
Komödie wie z. B. bei Athenaeus voraussetzen. Ich will hier auf eine
interessante Tatsache hinweisen. In der nach unserem Geschmack recht
frostigen — aber doch echten — Schrift IleQi Ttagaalrov behandelt Lucian
in scherzhaft rhetorischer Weise das Thema, daß der Beruf des Para-
siten eine Kunst sei (ovi Teyvi] f] TtaQaaiCLV.rj). Zum ;; Beweise" werden
^) V. 24 evjiQEJif] xai vsav.
2) IlaQaxXrjrsog f^^iuv tcov MevävÖQOV jiQoköycov slg 6 "Eleyxog.
^) KoXaneiav fiiasTv cpaai aoXaxeiag evexa tov Frad'ojviöf^v r] tov SvQOvd'iav vjtsq-
ßaXsaß^ac dvväfisvoi.
^) Die Zeugnisse bei Kock C A P III, p. 52.
^) Quae ratio intercedat inter Lucianum et comicos Graecorum poetas (Berol. 1883)
p. 10 sqq.
^) Über Zitate und Reminiszenzen bei Lucian und einigen späteren SchriftsteDern
(Eichstätt 1888), S. 54.
') Judic. vocal. c. 7: das Sigma spricht: xatt]y6fit]7' ös jiaQa xoi^icoöuov rivi jioirjifj,
Avaif^a/og ixaXsTro, Boiojviog /iisv (bg ecpalvexo t6 ysvog avsxa&ev , dno i-ieor^g dh d^iMV
Xeyea^ai rfjg 'Axxixfjg ' JtaQa rovrco öt] zcp ^evco xtjv tov xav xovxov jxXeovs^i'av icptögaoa .
— 79 —
Stellen aus Euripides (c. 4) und wiederholt aus Homer angeführt. Da-
gegen fehlen einige höchst bezeichnende (durch Athenaeus und Stobaeus
erhaltene) Komödienverse, denen ganz dasselbe Thema wie Lucian zu-
grunde liegt. Der Komödiendichtcr Diodoros führt im 2. Fragment
seiner „Erbtochter" Kock CAF II, p. 420 f, ^) das Parasitenwesen auf
Zeus und Herakles zurück und bezeichnet es in den Eingangsversen
ausdrücklich als Kunst: Vers 1 ff . ßovlof.iai del^at oacptog \ chg aeiivöv
eaxL TovTo . . . ymI tcov ^ecüv evqriua, Thg S* alkag Teyvag j ovödg dscov
'/MTeSei^ev x. r. l. Timokles im 8. Fragm. des (oder der?) Jqay.ovnov
Kock II , 454 f. -) preist die unentbehrlichen Helfersdienste der Para-
siten und ihr Ansehen (natürlich ironisch!). Nikolaos frg. incert. 1 K,
III. 383 f. 3) nennt Tantalos den ersten Parasiten und hält einen Vor-
trag über die Eigenschaften, welche die Elemente dieser Kunst bilden
(Vers 30 aror/ela fiiv Tavr eötl Tr^g okrjg Texvrjg). Von all dem finden
mr bei Lucian nicht nur kein Zitat, sondern auch nicht die geringste
Gedankenähnlichkeit. Ihm waren also diese Komiker gänzlich unbekannt.
Wir haben somit in unserer Untersuchung von folgender Grund-
lage auszugehen : Zitate von Versen der Komödie unter Angabe des
Autors sind bei Lucian äußerst spärlich. Zahlreicher sind die ano-
nymen Anführungen von Stellen ; übrigens stehen auch sie an Zahl
hinter den Zitaten aus Euripides (von Homer gar nicht zu reden!)
weit zurück. Wichtig ist die Beobachtung , daß Lucian die zitierten
Stellen meist nicht nachschlug, sondern aus dem Gedächtnisse an-
führte.-^) Auch gelegentliche Anspielungen (aber ja nicht Nachahmungen)
lassen auf die Bekanntschaft mit mehreren Komödien schließen , so
(ich sehe von der ;, Alten" Komödie ab) mit Antiphanes' MaXd-ayiri
und Menanders Sdig^ Kola^ und neQiy.eiQOf.i£vri^ wozu nach Jupp. trag.
53 vielleicht auch die ^ETtiTQenovTeg kommen. Anderseits war er in der
Komödie weit weniger als Athenäus bewandert.
Von dieser Grundlage aus wollen wir an die Untersuchung jener
lucianischen Schrift herantreten , für die am meisten eine ausgiebige
Benützung der Mittleren und Neuen Komödie behauptet wird. Es sind
die Hetärengespräche.
Dial. mer. ], 1: Ein Soldat, der früher die Habrotonon zur Ge-
liebten hatte, ist seiner neuen Maitresse Glykera untreu geworden. Wir
werden an Menanders neQiy.eLQ0U£vii erinnert. Aber nur einen Augen-
blick. Zwar stimmen die weiblichen Namen , auch der Soldat fehlt
1) Athen. YI, 239 b.
2) Athen. VI, 237 d.
3) Stobaeus Floril. 14, 7.
^) S. die Untersuchungen von Brambs a. a. 0., S. 37 iF.
— 80 —
nicht; allein er ist bei Menander ein Korinther (Vers 10), bei Lucian
ein Akarnane. Auch nimmt der Korinther die Habrotonon erst nach
dem Zerwürfnis mit der Glykera — die durchaus keine gewöhnliche
Buhlerin ist — in sein Haus. Im übrigen gibt Lucian ein Gespräch
zwischen zwei Hetären, die über eine dritte losziehen. Hier hört natür-
lich jede Ähnlichkeit auf. Eine andere Anspielung auf die neQty.£iQ0Li6vrj
werden wir noch finden.
Dial. mer. 7, 4: Eine Mutter macht ihrer Tochter Musarion
Vorwürfe, daß sie nur den Chaereas liebe. „Du mllst anständig sein.
als ob du keine Hetäre, sondern eine Priesterin der Demeter (QeojLio-
(fÖQOv) wärest!" i) Derartige Witze scheinen in der Komödie vorge-
kommen zu sein; sie waren übrigens naheliegend genug. Die Lauten-
schlägerin Habrotonon beklagt sich in Menanders ^ETttTQSTtovTEg über
die Vernachlässigung durch Charisius (Vers 251 ff.): „Wenn es auf
diesen ankäme, könnte ich jetzt den Korb der Göttin tragen," 2) sie
meint offenbar, als Jungfrau (ytogri y.avriq)6qoQ) im Festzuge der Pana-
thenäen. In demselben Kapitel tadelt die Mutter, daß der junge Mann der
einzige sei, der keinen Ausweg finde, sich Geld zu beschaffen, der einzige,
der nicht durch einen Sklaven einen Betrug ins Werk setze, nicht von
der Mutter durch die Drohung, er werde als Soldat in die Fremde
ziehen, es erpresse. Die verschlagenen Sklaven, die den jungen Herrn
helfen und die alten prellen , sind aus Plautus und Terenz bekannt.
Ins Ausland als Söldner zu gehen, war bei unzufriedenen jungen Leuten
zur Zeit der Neuen Komödie beliebt. In Menanders ^a/ula will Moschion
auf seinen Vater Demeas durch diese Drohung Eindruck machen :
Vers 362 ff. el . . . jurj TOöavr -^v ifiTioSiüv^ . . . (XTtocpd^aQelg \ iy, Trjg
Tcokecog av satcoöcov eig BdytTQa ttol \ ^ Kaglav öteTQißov alxj^id^cüv i'/,el.
In Plautus' Trinummus (nach dem QriGavqog des Philemon) 596 ff. sieht
der Sklave Stasimus des ruinierten Lesbonicus dieses Los voraus (ibit . . .
latrocinatum aut in Asiam aut in Ciliciam ^j.
Im Heaut. des Terenz quält sich Menedem mit Gewissensbissen,
daß er seinen Sohn Clinia(s) durch schlechte Behandlung dahin ge-
^) Reinheit war für das Fest der Demeter erforderlich ; so heißt es in dem wichtigen
Scholion zu D. mer. II, 1, H.Rabe (Scholia in Lucian., Lips. 1906) S. 276, 3 ff . rä de
oajievra rojv Ef.ißXr)d-evroiv — d. h. der an den Thesmophorien in Erdschlünde geworfenen
Ferkel — ... dvatpsgovoiv m>xXrirQLai xaXovfievai yvvdiHEs xai^uQEvoaoai (d. i. ohne ge-
schlechtlichen Verkehr) xqiüv iiue^cov, und zu unserer SteUe bemerkt der Scholiast R. a.
a. 0. S. 279, 21 : r^g 0ea[xo(pÖQOv ai isgecai ijiagd^evevovro diä ßiov 'A'O'tjvrjaiv. —
^) sjiel TÖ y' im lovrcp ro xfjg ■&eov (psQeiv \ xavovv sjuoiy' olov rs vvv ior'.
^) Mercator 851 ff. (der von Liebesleid gequälte Charinus will in die Fremde ziehen)
gehört nicht hieher trotz Egomet mihi . . . agaso sum, armiger (852): denn der junge
Mann will seine Geliebte in der Fremde suchen (858 ff.).
— 81 —
bracht habe . in Asien Kriegsdienste zu nehmen (96 ff.) ; übrigens war
auch der Vater in seiner Jugend Söldner gewesen (Vers 111 f.).
Dial. mer. 8, 1 : „Wer weder eifersüchtig ist" — sagt Ampelis
zu Chrysis — „noch aufbraust noch seine Geliebte je geprügelt oder
ihr die Haare gestutzt oder ihr die Kleider zerrissen hat, ist das noch
ein Liebhaber?" Die Äußerungen des Zornes sind alle zu natürlich,
als daß wir an ein Vorbild zu denken hätten — bis auf TceQLs/.eiQEv.
Daß ein Liebhaber sein Mädchen so grausam und dauernd bestrafte,
war doch gewiß etwas Außergewöhnliches. Wir werden also nicht fehl-
gehen, wenn ^\iv annehmen, daß sich Lucian an Menanders TleQiXEiQo-
jusvri erinnerte; dieser Dichter hat übrigens auch eine ^PanLC^oiitvri ge-
schrieben (Bruchstücke bei Kock CAF, III, p. 123 ff.), und weil es nun
bei Lucian heißt eöqaTtLOs noxe lij TreQiexeiQev ^ könnte man vielleicht
meinen, er habe an beide Komödien gedacht. Allein um das QaTtlKeiv zu
erwähnen, braucht man keine Komödie im Sinne zu haben.
Dial. mer. 12, 3: Lysias wird von seinem Vater wegen seiner
Liebschaft mit einer Hetäre im Hause eingesperrt. Ähnliches mochte
ich im Alltagsleben nicht selten ereignen. Auch die Komödie nahm
davon Notiz; in der 2af.iia Menanders passiert es dem jungen Moschion
wegen seines Verhältnisses mit Plangon (Vers 20 — 31 , nach Roberts
Rekonstruktion ) .
Dial. mer. 9, 5: der abgewiesene Soldat Polemon — Athener, ^tei-
Qievg Tlavdiovidog (pvlr^g (K. 4) , nicht Korinther wie in der UeQixei-
QOuh'Ti, aber Chiliarch wie in dieser i) — droht mit der Erstürmung
des Hauses , in das sich seine einstige Freundin geflüchtet hat ;
er kommandiert: „die Thraker sollen gewappnet kommen und mit
ihrer Phalanx die Gasse absperren. An die Front das Hopliten-
kontingent, an die beiden Flügel die Schleuderer und Bogenschützen,
die übrigen rückwärts!" Ähnliche Szenen kamen in der Komödie vor.
In Menanders UeQiy.eiQoinsvrj droht Sosias, der Sklave des Polemo, das
Haus zu stürmen . in dem Glykera Aufnahme gefunden hat (Vers 273
bis 277): oi-Miov tovt auTty! i^atQiJGOjLiev \ otvXi^e töv jlwixÖv . . . ol
Ttaldeg oi TzeXTagi s'xovreg ^)^ tvqIv Ttxvoai, \ diaqTcdaovxcii Ttdvxa. Am
meisten Ähnlichkeit mit jener Stelle hat Terent. Eunuch. 773 — 782
(der Soldat Thraso ^) spricht) : Primum aedis expugnabo ... In medium
*) Luc. ebenda (zum Kommandanten über 5000 Mann avanciert) und Men. V. 178
11 d-eolg ix^Qcp jiTSQOcpÖQw xi^Xidgxcp.
2) So ist wohl mit Leo zu lesen (cod. UEÄTPAY).
^) Bei Menander, aus dessen Köla^ Terenz außer der Figur des Parasiten (s. oben)
auch die des Soldaten entlehnte (vgl. Prolog 30—33), hieß nach frg. 293 K III, p. 83 der
Bramarbas Bias.
Wiener Eranos. fi
— 82 —
huc agmen cum vecti , Donax ; j Tu. Simalio, in sinistrum cornu ; tu,
Syrisce, in dexterum, | Cedo alios . . . ego ero post principia ; inde Om-
nibus Signum dabo. In Men. KöXa^, frg. Oxyrhynch. Pap. III, Vers 82 f.
(vgl. Leo, Götting. Nachr. 1903, S. 674— 678) fürchtet ein Kuppler,
der Soldat (Blas) werde, wenn er ihm das zweifach umworbene Mädchen
nicht verkaufe, Gewalt gebrauchen: ueTaTtkiil'eS-' ereQovg {ouyozQa-
Tuorag ... \ ovg TiaqacpvXaSeL' Traldeg , ey.TQißo<^Lf.iEd^ aV) , aber Ähn-
liches droht ihm auch von Bias* Nebenbuhler ^ einem jungen Bürgers-
sohn (CDettJ/or^; S. 685), Vers 91 — 95: vjveI^^ 6 yelTtüv äXt kav alöd-r^^ ,
ujLtov I TtQOöeiOLv, l^rj/.ovd-^ IvaiQovg JvaQccXaßtov . . . ßoiov d7tei?.iüv z. t. X.
Lucian hat dieses Thema in einem anderen Dialog (15) variiert.
Während nämlich im 9. Gespräch der Einbruch bloß angedroht wird,
ist er im 15. wirklich erfolgt; die Musikantin Parthenis erzählt ihrer
Freundin Kochlis voller Entsetzen , wie in das Haus einer Hetäre ein
ätolischer Soldat mit acht handfesten Jünglingen eindrang und alles
über den Haufen warf. Die Personen sind übrigens andere als in
jenem Dialog.
Auch im 13. Gespräch behandelt Lucian das Thema Soldaten-
liebe, aber wieder von einer andern Seite. Der Hauptmann Leontichos
erschreckt seine Geliebte durch Erzählungen von seinen angeblichen
Mord- und Heldentaten. Sein Diener Chenidas hilft ihm beim Erdichten,
ja er reizt ihn dazu. Geradeso macht es in Plautus' Miles glor. (nach
dem M.XaC,(J)v eines unbekannten Dichters) der Parasit mit dem Bra-
marbas (Vers 25 — 60) ; der Inhalt der Lügen ist freilich hier und dort
verschieden. Durch seine Schaudermären erregt Leontichus in der
Hetäre Ekel und Abscheu. Dies war das Thema von Menanders Mioov-
fiEvog (K. C A F. III, p. 97—101). Denn Libanius IV, 512, 1 Reisk. sagt:
sxsi^g £>t r^? /.cjuiüölag TcaoaXaßiov, cbg uTteQoyxov tl vmI ooßaqbv y.al
tzoXXtI] Tig äXaCovüa GTQaruoTTjg dvt'^Q ' eY ng vfAiov (paPTCcCeTai töv Mevdv-
ÖQOu QQaacjvLöv^v, oidev^ o Xsyo) ; er spricht nun davon, daß der Mensch
„an militärischer Unleidlichkeit krankte" (aTQatuortxrjv arjölav voGoüvra)
und dadurch seiner Geliebten verhaßt wurde.
In dem erwähnten 15. Gespräch bemerkt K. 3 die Hetäre, nach-
derti ihr die Parthenis ihr Mißgeschick erzählt hat: ^^Diese Genüsse
kann man von diesen Soldatenliebschaften haben, Schläge und Prozesse." ^)
So bedauert in der neQiy.£iQoiLi6vri (Vers 66 — 68) Doris . die Dienerin
der mißhandelten Glykera, eine jede, die einen Soldaten zum Geliebten
hat: dvGTvxrjg \ fjvig arQaTuorrjv sXaßev avöga' JTaQdvof.iOL \ ccTcavzeg, ovdiv
rtiöcöv. Die Hetäre fährt bei Lucian fort: ».Wenn's zum Zahlen kommt.
^) TaDr' eoriv djco?,avaai zcbv otquikotihcov tovtcüv eQcbicov, Tihp/äg y.al öi'y.ag.
— 83 —
dann sagen sie: ,Wart auf meinen Sold (ovvTa^ig) ^ bis ich meine
Löhnimg bekomme, und ich werde dann alles tun!'" Diese Manier der
Söldner und Prahlhänse beleuchtet auch ein ergötzliches Bruchstück aus
einer Komödie (unbekannten Titels) des (DoLvi-Kiörig Frg. 4 K. (III, p. 334) :
Eine Hetäre will ihren Beruf aufgeben ; sie legt einer Genossin (oder
Dienerin?) ihr Mißgeschick dar (Yersöif.): „Gleich zu Anfang bekam
ich einen Soldaten zum Freund ; ununterbrochen erzählte er von den
Schlachten und zeigte dabei seine Wunden . zahlte aber nichts ; er be-
hauptete, eine Pension (dayQedv) vom König zu beziehen, und das sagte
er immer ; wegen dieser Pension, von der ich spreche , hatte mich der
Schelm ein Jahr lang geschenkt (dcoQedv, d. i. gratis).'' Die Zeichnung
des rohen und prahlerischen Söldnerführers ist für Lucians Verhältnis
zur Komödie von Bedeutung. Denn während er alle anderen Figuren
noch in seiner eigenen Zeit finden und von dort entlehnen konnte —
die Hetäre so gut wie ihre Liebhaber waren gewiß zu Lucians Zeit
nicht anders als in der Epoche der Neuen Komödie ! — fehlte einzig
und allein der Bramarbas, seitdem römische Legionen die von Söldner-
heeren gestützten Diadochenstaaten über den Haufen geworfen hatten.
Somit konnte Lucian seine Kenntnis des Bramarbas nur aus literarischen
Quellen , nicht aus eigener Anschauung schöpfen ; hier bot ihm die
Komödie die beste Belehrung.
Wichtig sind die Namen der in den Hetärengesprächen auftreten-
den Personen. Da die eingehende Behandlung dieser Frage zuviel
Raum einnehmen würde — es wären etliche 90 Namen zu besprechen —
so will ich mich hier ganz kurz fassen. Namen, wie sie uns aus Plautus
und Terenz , aus den Bruchstücken der Komiker und jetzt auch aus
Menander bekannt sind, fehlen nicht. Wir finden unter den Männern:
MvvLcptov (Dial. mer. 7.3). Jr^umg (2, 2: ein „Alter" wie bei Menander
[2a^ulaJ und Terenz [Eunuch und Adelphoe] !), KXeiviag (10: ein ,,adu-
lescens'' wie bei Terenz He au t. und Andr. 86!), Accy^riq (7, 2), Mooxlcov
(11, 3, Jüngling wie in Menanders UeQi/XiQ. und 2ajula) ^ ITcciLKpilog
(2, Jüngling wie in Terenz' Andria und Hecyra), llole^cüv (s. oben!),
(Davlag (4,4), (Dillvog (6,1), XaiQsag (7), XaQivog (A, ein „adulescens",
wie in Plautus* Mercator und Pseudolus sowie in Terenz' Andria!),
XaQ^idrig (2, 4 und 11). Aber die Figur des Jcoqlcdv (14, ein armer
Ruderknecht) hat mit dem Kuppler Dorio im Phormio gar keine Ver-
wandtschaft. Hingegen stoßen wir auf die durch die Komödie typisch
gewordenen Sklavennamen Jqouwp (10, 2 und 12, 3, bei Plautus, Terenz
und in den Komikerfragmenten) und UaQi^evcov (9, 1, es gilt dasselbe
wie von JqolimvI)-^ den TißLog (9,5) kennen wir jetzt als TlßEiog aus
Menanders Heros Vers 21.
6*
— 84 —
Wie frei Lucian verfuhr, beweist er durch seine Verwendung des
Namens Ggdacov (D. mer. 12, 1). In der Komödie ist es eine Bezeichnung
des Bramarbas: Terenz, Eunuch i); ein Stück des Alexis hatte diesen
Titel (Kock frg. 92. II, p. 326); ein Bramarbas QQaavlkov kam in
Menanders gleichnamiger Komödie vor (K. III, p. 69 f.), ein Ogacjovidrig
(ebenfalls miles gloriosus) im Mioovjuevog. Bei Lucian hingegen ist
Ggdocüv ein Zechbruder des Lysias, also athenischer Jüngling. In der
Tat kommt dieser Name in allen drei Bänden des CIA vor, war also
gut attisch. Hätte sich Lucian an den Brauch der Komödie gehalten^
so hätte er den yleövTtxog (13) so nennen müssen.
Von diesen eben besprochenen Namen abgesehen, bleiben noch
etwa dreißig übrig, die den typischen Personennamen der Komödie
ferne stehen.
Unter den Fraueniiamen finden wir gleichfalls manche aus der
Komödie bekannte; Hetären: MßQÖiovov (D. mer. 1, Men. ^^/rtir^. und
neQL-aeiQ.^)), J4u7teUg (8, Plaut. Rud. Ampelisca, Mädchen des Kupplers
Labrax), Bay,yig (4, Plaut. Bacch., Terent. Heaut., Hec, Adelph. II, 1),
rivAeqa (1, Men. iZe^r/. [Maitresse] , Ter. Andr. [Glycerium, angebliche
Schwester der Hetäre Chrysisj), Jelcplg (14, 4, Plaut. Mosteil. [Del-
phium]), Qatg (1; 3, 2; Ter. Eun., auch sonst in der Komödie, so schrieb
bekanntlich Men. eine Gatg)^ yteaiva (5, Plaut. Cure. [Türhüterin des
Kupplers]), MeXiTza (4; Antiphanes, Titel einer Komödie [K. II, p. 73]),
MvQTcilri (14; nicht in der Komödie, aber bei Herondas I, 89^) und II. 65
und 79 [Hetäre]), üavwxlg (9, Titel einiger Komödien [Fest oder
Hetäre?]), ^Yf.ivlg (13, Titel eines Stückes des Men.*)), QiXaivlg (6, 1;
Plaut. Asin. [Philaenium]) , WLlrj/uäTLOv (11, 2; Plaut. Most:), Olhwa
(3, Men. FecoQyog [Vertraute, vielleicht Amme der Myrrhine]), Xgco/g
(8, Terent. Andr. 69 ff. ; Antiphanes, TiteP); Men. -5"«^/« [Konkubine],
Plaut. Pseud. 659 [alte Wirtin]); fraglichen Standes yieaßla (2, 3;
Terent. Andr. [Hebamme] ) ; Dienerinnen der Hetären: JwQig (2,3;
Men. IleQiiiELQ. [Dienerin der Grlyk.], Ter. Eun. [Dorias ancilla, aber im
Kod. A IV, 3 Doris], Diphilus 56 K [Sklavin]), nv^idg (12, Terent. Eun.,
(DoLVixLörig frg. 4, 2 [die Person, mit der die Hetäre spricht; s. oben]);
die Witwe eines athenischen Schmiedes hat D. mer. 6 den bezeichnenden
Namen KQwßvXn] (von KQwßvAog)^ wie bei Men. frg. incert. 929 gleich-
falls eine Mutter und frg. 402 {niövAOv) eine reiche Erbtochter heißt.
^) Allerdings hieß im Original der Soldat anders; s. oben.
^) Wenn ich nichts bemerke, sind ebenfalls Hetären gemeint.
^) Eine der Frauen aus dem Volke, bei denen die Kupplerin ihr Glück versucht.
^) K. III, p. 135ff'. ; es wird aber zweimal mit h Tcp"Yf4viSi zitiert.
5) K. II, p. 110.
— 85 —
Auch unter den Frauennamen bleiben etliche dreißig — ebenfalls
die überwiegende Mehrzahl — die wir — bisher wenigstens — aus
der Komödie nicht belegen können; einige sind ihr überhaupt von
vornherein abzusprechen, so Jeivo/^dxri (1, 2), Jri^iovaaoa (5), ^Egaal-KleLa
(10, 3), Meyilla (5).
Als Attizist war Lucian ein guter Kenner des Wortschatzes der
Komiker. Ich will also zum Schlüsse auf einige solche Ausdrücke ver-
weisen, mit besonderer Berücksichtigung der neugefundenen Menander-
stücke.
Dia], mer. 1, 1 nennt FAr/tf'^or den akarnanischen Soldaten £^7ra^f^og.
Das war eine bei den Komikern beliebte Bezeichnung, wie Pollux und
Plutarch bezeugen, ersterer VII, § 46: i^ ^^ (%^(^f-i^s) ^ccQ^fpiQ y^ccl Ttaqa-
7t()Q(pvQog lij cbg rj vsa y^wuojdia, euTtaQucpog, letzterer Quaest. conviv.
615 D ^evog Tig üotisq evTtdovcpog 1% /.co/iuijöiag^)] in der Tat lesen
wir beim Komiker Nikostratos frg. 9, K. II, 222 (aus den BmJilelg)
ipvy,vt]Qiov TJig evTvaQvcpov kejcToceoov (nach Athen., der diese Worte
YI, 230 d zitiert, beziehen sie sich auf einen dXaC,v)v aTQaTuoTrjg).
Weniger besagt Dial. mer. 7, 2 die Erwähnung des Tagavtivldiov
(eines in Tarent verfertigten Festgewandes). 2) Zwar können wir als
Gewährsmänner für dieses Wort, abgesehen von Lucian (nebst seinem
Nachahmer Alkiphron I, 36, 2) und den Lexikographen und Gramma-
tikern, nur Komiker anführen, nämlich Nikostratos ^ ) und jetzt auch
Men. Epitr. 302 (in der Form ra^avTivor, dem Grundwort zu zagavTividiov;
es ist das Kleid, das die naiicpllr^ bei der Nachtfeier trägt);*) allein daß
die feinen Kleider von Tarent allgemein bekannt und geschätzt waren,
lehrt Luc. Rhet. praec. 15, wo das blumige weiße Gewand tarentinischer
Fabrikation ebenso wie die attische Sandale und der sikyonische Schuh
sal Ausstattung dem Zögling der Rhetorik empfohlen wird, und De
calumnia 16, wo er erzählt, daß es dem Platoniker Demetrios am Hofe
des Ptolemaeus Dionysos schlecht ergangen wäre , wenn er nicht , an-
getan mit einem ragavTiviÖLov, am Dionysosfeste teilgenommen hätte.
*) Es ist interessant, daß sowohl Lucian als auch Plutarch dieses Vokabel in ihren
Wortvorrat aufnahmen; das beweisen Stellen, wo beiden die Erinnerung an die Komödie
fernelag: Luc. Somn. 16 (der Flügelwagen nach Fiat. Phaedr. p. 246 e) i\uoi söoxovv evjtaQvqpög
reg enavrjxeiv und Plut. Aem. Paul. 33 veaviaxoi jceQtC(Of4aoiv sdiiaQvcpoig sataXfievoi (die
Jünglinge, die im Triumphzug des Paulus die Rinder zum Festopfer führen) ; dagegen ist
letzterer Moral. 547 e tavxa yaQ od Jigög azQaxioiTag /^ovov ovöe vEOJiXovxovg söJiaQvcpa
xal ooßaoa öirjyrjuaTa JiEQdtvovxeg von dem unmittelbar vorangehenden Menanderfragment
ine. 563 K (beginnt mit acpdxxei fte) beeinflußt.
^) Hesych. sub xaQUvxivov p. 1436 Schm. : ifidxiov yvvaixelov /.e:ix6v, XQOoaovg e/or
£X xov evog ftSQOvg.
^) Suidas sub Ta^arxiviSiov p. 1008 Bekk. : ovxcog NixöaxQaxog.
*) xaQavxlva will Robert auch TleQix. 111 herstellen; doch ist die Lesung unsicher.
— 86 —
Dial. mer. 5, 1: ÜQbg xrig novqoTQÖcpov. Der Ausdruck ist
dichterisch und wird zunächst als Attribut verschiedener Göttinnen
(Ft], Jriut]TriQ^ ^ET-arri, 'JäQTCfxig, KijrcQig [Venus], aber auch von Ländern)
gebraucht; hier aber steht er als Substantivum (Aphrodite) wie beim
Komiker Plato frg. 174, K. I, 648 (aus dem (Ddcov^)), Vers 7 f. TCQÜxa
(A.iv i/nol yäq yiovQOTQÜcpo) TCQo&vExai \ nKa'Aovg svoQxris.
Der Atticismus '/,Ey,Trji.tivri ,,Herrin" (Men. Her. 37, Epitr. 380,
TIeqix. 62, 68, 146. 306) war Lucian geläufig, denn er verwendete ihn
einigemale im neunten Gespräch.
Dial. mer. 10, 3 gebraucht Lucian das bloß dichterische Wort
zdlav in derselben abgeschwächten Bedeutung wie Menander. Denn
Drosis, gekränkt, daß ihr der ungetreue Liebhaber in seinem Brief
nicht einmal einen Gruß entbiete, meint mit aial zdlav nicht „ach,
der Unglückliche!*' (unglücklich ist ja sie selber), sondern „ach, der
arme Narr!''^) Genau so („du armer Narr*', manchmal „du Ver-
blendeter") — beachte auch die Setzung der dritten Person trotz des
Vokativs — bei Menander (unendlich oft!): .2"«^. 95 (w zdXav bezieht
sich auf das kleine Kind, „du armer Wurm!"), 103 („ich Törin!"),
212 („du Verblendeter!"); 'E7citq. 247 („der Narr!" [von Charisius],
daher 249f. rdlag o'^rog; rdlav ist mit ot'x ea [Subj. Charisius] ver-
bunden), 252 (wieder von Char. to räXav), 279, 359 (,,du Trottel, wes-
halb scheine ich dir ein Verlangen nach Kindern zu haben?" erwidert
die Hetäre dem etwas begriifstützigen Sklaven), 449 (me .2'«^/. 95;
xlaviLWQi^eTai trotz des Vokativs), 451 („ich arme Närrin!"; so sagt
Sophrone von sich selbst, denn die Habrotonon wird von ihr erst
Vers 456 x^^Q^) (pi^i^ctiri bemerkt); neQi%eLq.?Al (wie Epitr. 451). In
derselben Bedeutung wird auch dvofxoQog verwendet, 2a{,i. 98 („du
[vorlaute] Törin"), 213 (nom., = w zälav 212; Demeas entgegnet val
„dvGf^oQog^^) imd ^E7tLTQ.2Sl (al^ Svo/hoq\ „du abscheulicher Mensch" 3))^
sowie xaxodaLfiov, ITe^rKEiQ. 243 und 257. Wenn wir von den beiden
letzten Versen, in denen wir uns über die sprechenden Personen noch
nicht recht im klaren sind, absehen, so bedienen sich außer UeotxeiQ. 317
nur Frauen dieser Bezeichnung.*)
*) Dieses Stück, Olymp. 97, 1 (s. Kock a. a. 0., p. 646) aufgeführt, gehörte nach Zeit
und Stoff der mittleren Komödie an.
'^) Es folgt ovös ro ;i^a<()£fr JiQOoeyQaxpe.
") So übersetzt es Prof. v. Arnim.
*) Natürlich kommt TaXag bei Menander auch in der Grundbedeutung (miser, misera)
vor: 2"«/^. 241, 307, 337; 'Ethtq. ?,i2, 408. Unsicher ist UeQix.'^m. Sa^uia 84 hält es
die Mitte zwischen den beiden Bedeutungen : „Ich leider unentbehrliches Hausmöbel (c5
räXaiv' syco) mußte einst den jungen Herrn ammen und jetzt soll ich auch seinen Kleinen
betreuen ! " klagt die alte Amme.
— 87 —
Dial. mer. 12. 4: Lysias erzählt, wie er sich nachts ins Haus
seiner Geliebten Joessa schlich und, in der Dunkelheit herumtastend,
zu ihrem Bett gelangte. Joessa unterbricht ihn lebhaft (Lysias hatte
behauptet, bei ihr einen Jüngling gefunden zu haben): TL egeXg . .
äycovico yccQ (d. h. „ich bin voller Aufregung, Spannung"). Dieselbe
Bedeutung hat dywnäv bei Men. Her. 2: xof>cov ri^ Jäe, (.lot do%tlg
.csTTOTi'KsvaL j Ttaf-tfAtynd-egy elva . . dycoviäv.
Dial. mer. 15, 2: h.cpd^eiqov „troll dich hinaus!'' In dieser Be-
deutung bei Menander drcocpd^eiQEöd'ai^) : ^a/ula 216 ärtoipd-EiQOV xctyv
(der erzürnte Demeas weist seine Konkubine aus dem Haus) und 306
(Worte des Moschion; s. oben); daher elocpd^eiQeöd^ai „sich hineintrollen":
IleQiXEiQ. 119 oi'Z £ioq)0^eQEiGd^e d-ärrov vf^ieig l^rcodiov und Sam. 313
^äZTOV El(J(pd^dQ)]i>i GV.
Dagegen heißt avog Dial. mer. 14, 1 „ausgesogen, arm'' (Dorion
beklagt sich, von seiner Geliebten, ausgebeutet worden zu sein) wie
auch Toxar. 16 (ebenfalls von einem durch seine Freundin ausgebeuteten
Jüngling); aber bei Menander wird das Wort von geängstigten Menschen
gebraucht: Epitr. 497 TtecpQL^ syto iuev, avog elfii ti^ öeei und ITeQrK. 237
(avog eif.1^ sagt Daos, voller Angst, weil er nichts ausgerichtet hat). 2)
Wenn ich nun aus meinen Ausführungen den Schluß ziehe , so
verweise ich auf die Tatsache, daß Lucian die berühmtesten
Stücke nicht bloß der älteren, sondern auch der neuen
Komödie gekannt hat; anderseits waren freilich seine
Kenntnisse auf diesem Gebiete der Literatur nicht so
ausgebreitet wie die des Athenäus. Außer jenen Stellen,
an denen er selber sich auf Komödien oder Figuren derselben
beruft, kommen noch andere in Betracht, wo er Anregungen durch
die Komödie erhalten hat. Hier konnten wir feststellen, daß der Ver-
such , der oft gemacht wurde ^) , aus Lucian Anhaltspunkte für den
Inhalt von Lustspielen oder gar ganze Verse zu gewinnen , verfehlt
ist. Denn es handelt sich nur um Anregungen, nicht um Nachahmungen,
und die Untersuchung kann daher kein anderes Ziel haben als jenes,
*) So auch bei Aristoph. : Wölk. 789 ovji ig xoqaxag djiocpdeQsl und Ritt. 892
(dasselbe); sxcpdeiQeadai: Fried. 72 ix(p&a^€ig ovx oJS'ötioi; ävacp^.: Vögel 916 dxaQ, c5
noirjxä, xaxa xi devo' uvefd-äQrjg ; 7iQoa(p&.: Eccles. 248 i)v Kecpakög aoi loiöogr^xai jxqoo-
(pßaQFAg (falls er sich an dich anhängt). Wie man sieht, gehört diese Bedeutung so recht
dem Sprachgebrauch der Komödie an,
2) Heißt es „steif wie ein dürrer Ast^ oder (was ich eher annehmen möchte) „blut-
leer'*, weil dem Erschreckten das Blut bekanntlich aus dem Gesicht und aus den Gliedern
weicht ?
^) So von Kock im Eh. Mus. 43 (1888) S. 29 ff; von den Hetärengesprächen ist
.'^. 67 ff. die Rede.
den psychologischen Vorgang aufzudecken, der sich in Lucians Geiste
abspielte, als er, durch Erinnerungen an die von ihm gekannten Lust-
spiele angeregt , diese Apperzeptionsmassen mit neuen Phantasievor-
stellungen verband. Von Pedanterie weit entfernt (manchmal mag man
ihn sogar oberflächlich nennen), schlug er seine Autoren nicht einmal,
wenn er sie zitierte, nach, geschweige denn, wenn er ihnen bloß Motive
entlehnte. Mit der Sprache der Komiker war er, wie wir gesehen
haben, so vertraut, daß er aus ihr seinen eigenen Wortschatz bereicherte. i)
Das Wesen Lucians ist lange verkannt worden, obwohl die Kon-
trolle an der Hand der erhaltenen Schriftsteller stets möglich gewesen
v/äre. Erst P. J. Ledergerber hat in seiner vortrefflichen Dissertation
„Lukian und die altattische Komödie*' (Einsiedeln 1905) bezüglich des
Aristophanes gezeigt, daß bei Lucian zwar sehr viele Anklänge an
jenen vorkommen, daß der Samosatener aber die vorgefundenen Motive
durchaus frei und originell umgestaltet hat. Ich verweise auch auf
Plato, dessen Technik er in vielen Dialogen zum Vorbild nimmt, ohne
in ein Plagiat zu verfallen. Wir haben nun in den Hetärengesprächen
dasselbe Verhalten Lucians gegenüber der Neuen Komödie gefunden.
Er hätte übrigens, selbst wenn er wollte, die Stücke der berühmten
Komiker, besonders des Menander , gar nicht ausplündern können , da
sie zu seiner Zeit noch allgemein bekannt waren. Was also der mittel-
alterliche Scholiast, Rabe a.a.O. p. 275, 1—5, zu den Hetärenge-
sprächen bemerkt : ^loziov ibg avrai Ttäoai ai eralgat 7.8710) laodijv rat y,al
Ttäoi f.iti' To7g xcoiLKijöiOTtoioigj udhata Sa MevdvÖQüj, u(p ov yial Ttäoa
avcri rj v?.ij yiovaiavLu tlij 7tQ0'/.eLfj.tvii) evTrÖQYitai, diese Worte, sag' ich,
sind nur mit der von uns vorgenommenen starken Einschränkung zu
verstehen; bleibt uns doch der Scholiast den Nachweis durchaus schul-
dig, indem er in seinem ganzen Kommentar zu den Hetärengesprächen
kein einziges Mal einen Dichter der mittleren oder neuen Komödie
zitiert. Lucian charakterisiert sich selbst so, wie ich ihn eben charak-
terisiert habe ; denn nichts anderes besagen seine Worte im Bis accus.
34 : STtl näai (zu alledem) öe zrjv xwfi(i)diav auTcij (d. i. ntj diaXoyco)
TtaQeCev^a und Prometh. es c. 5: eTteiSrj ovöi to £/ dvöiv xolv y,aX)do€OLv
ovyxelo&ai, diahr/ov %al y.cx)/Liqjdlag^ ovös tovto drröyQii] elg evuoocpiav^ el
f.tr^ /.al i) f^l^ig svaQf^övLog v.al z«rd ro övf.i(xerQOv yr/voiTO.
^) Auf die AnAvendung von attischen Wörtern kam es ihm besonders an: er erklärt
sie (ovofidzMv xofjoiv röjv 'Aztixöjv) Advers. indoct. 26 als unerläßlich für die vollkommene
Bildung.
Johannes von Damaskus' Auszüge aus Nemesius.
Von
KARL BURKHARD.
Wie der Mönch Meletius im 9. Jahrhundert unter dem Titel Ttegl
TYig Tov äv&QO)7tov YMTaGyiEvrig auszugsweise einen großen Teil der
Xemesischen Schrift Ttegl cpvoewg ävd-qcojcov, die gewissenhaft ihre Ge-
währsmänner nennt, meist wörtlich wiedergibt, seine Quelle aber ver-
schweigt, so hat auch schon der Mönch und Priester Johannes Dama-
scenus. etwa hundert Jahre früher, hauptsächlich im zweiten Buche
seiner exS-eaig d/.QLßrjg Tf]g oQd-odiY^ov Tzlöceiog, welche den dritten Teil
seines Sammelwerkes jcriyri yvcoaecog bildet, neben anderen Schriftstellern
unseren Xemesius besonders reichlich benützt, ohne seinen Namen zu
nennen, i) Kommt uns ein solches Verfahren recht befremdend vor, so
ist doch der Umstand selbst, daß uns durch die Tätigkeit jener Männer
i>:rößere Stücke aus Nemesius in alter Überlieferung erhalten sind,
gewiß zu begrüßen.
Was wir durch eine Textvergleichung aus Meletius gewinnen
können, hat Bender am angeführten Orte, S. 83 ff., gezeigt. (Vgl. meine
Anzeige in der Zeitschr. f. d. österr. Gjmn. 1899, S. 59Iff.)^) An einer
*) Vgl. Matthäi in seiner Ausgabe des Nemesius (Hai. Magd, 1802) praef. 5, 13 und
in der adnot. er it.; ferner Bender, Untersuchungen zu Nemesius von Emesa (Heidel-
berger Doktordiss. , Leipz. 1898) S. 8: „Am schärfsten tritt der Undank, welcher in der
schweigenden Benutzung liegt, hervor bei Johannes Damascenus, der einen großen Teil
des zweiten Buches seines um die Mitte des 8. Jahrhunderts verfaßten Werkes ^de ßde
or thodoxa" '^emesiun verdankt, und bei dem Mönche Meletius" und S. 82: „Das II. Buch
v<m dessen [Joh. v. Damasc] Werk de ßde orthodoxa stellt eigentlich, besonders von Ka-
pitel 26—36, in Kapitel 38 und 43 (resp. XII— XXII, XXIY, XXIX Migne, Fatrol. Graeca
tom. 94, col. 917—941, 952, 958)'' — die Zahlenangaben sind, wie man sich leicht über-
zeugen kann, nicht ganz richtig — „nur einen ungenauen Auszug aus Nemesius' Ttegl (pvaecog
dv&oojn:ov dar. Bas zeigt schon ein Vergleich der Kapitelfolge, im allgemeinen ist sogar
die Einteilung beil)ehalten.'' Darüber näheres weiter unten, S. 96.
') Dort ist S. 593, Anm. 1 dahin zu ergänzen, daß die Hs. von Patmos (IT), wie ich
.*ieit<lom fM-mittelt habe, der Urschrift am nächsten steht und als Führerin zu gelten hat.
90
ähnlichen Untersuchung über Johannes' Auszüge gebricht es noch heute.
Denn mag auch schon Matthäi „die von Johannes Damascenus ohne
Namensnennung aus Nemesius entnommenen Stellen in den Varia e
lectiones et animadversiones seiner Ausgabe ausgiebig notiert"
haben (Bender S. 82), erschöpfend tat er es nicht, noch auch in
zweckentsprechender Weise. Varianten sind selten ausgeschrieben, ge-
wöhnlich wird nur ungenau auf eine längere Stelle, die einen Nemesius-
Auszug enthält, verwiesen und so der Wert der an sich verdienstlichen
Arbeit wesentlich verringert. Um diesen Übelständen abzuhelfen, genügt
es aber nicht, sämtliche Parallelstellen einfach zusammenzustellen und die
wichtigeren Abweichungen hervorzuheben, wir müssen auch beachten,
wie die Vorlage benutzt wurde, um die Auszüge für die Nemesius-
Kritik richtiger einschätzen und gelegentlich wieder ihren Wortlaut
nach Nemesius sicherer verbessern zu können.
Von diesem Gesichtspunkte aus will die folgende Übersicht beurteilt
sein. Die Nemesius-Stellen sind nach Matthäi gegeben. Bei den Stellen
aus Johannes von Damaskus weist die erste , niedrigere Zahl oder
Zahlengruppe (nach der Kapitelziffer) auf die Ausgabe von Lequien
(Paris 1712), die zweite, höhere auf Migne (a. a. 0.) hin.
Nemesius
Kap. S.
1, 36, 6 (.og — OiO(.ian
Johannes Damascenus Bemerkung
Kap.
= 11, 12, 179 A, 924 B
/'Anfang des Satzes frei
wiedergegeben , dann
38, 7—39, 2 yvcüQtuov _
bis divauiv
39, 4 — 7 Gvvd7tT€Tat
bis do7ta<6juevog
45, 5 — 8 vc7)v — öcbiiaTi
179D. 925 CD
180 A,
180B, 928 A
wörtlich von aal xoTg
(8) bis d-QETiTLy.riv (12),
Rest freier durch Zu-
sätze, Auslassungen, Um-
stellungen, Wort-
änderungen.
CVD
47, 11 — 13 hxL — Eyvü)
48. 7 — 10 TOf-i^ — %Evov-
xai ycxQ
53 tf. cvD
64. 2 ÖLo — 'Aoa/Liog =
3, 136. 4 — 6 TOTtog — rcegie-
4, 145. 3—5 7täv—xi\utdv cvdII, 12, 179 B, 925 A
180 C, 928 B Anfang frei, von xai (7)
wörtlich.
11, 177A, 913B Vgl. LXX, Gen. 3, 7.
12, 180B, 928A
4, 160A. 877 C
12, 180B, 928 A
I, 13, 149 A, 849 C Zusatz aMfiarixog.
— 91
Nemesius
Kap
5, 151. II — Ib hon— ^TjQov =
157. 1 — 2 7CVQ — e^aegov-
rai und 5 — 6 oßea^iv
bis yLvETai cnj
157. 6—9 eoTiv—d-EQiid —
6, 171. 8—10 Aufschrift
bis evegyotaa
11 — 112,2 (favraaia _
bis yivo/Lievov
1 73; 9 f. OQyava — ytotUai co
174, 1 €OTL — Tcevve oo
176, 7 f. dvvauLV — }!>q-
yavov
7, 182,11— 183,7aZ(T^crV£- _
Tai ^TjQOV
8, 189, 5—6 e-jcaatov _
bis y,ateoy,evaae
1 — 11 y,al yäg — äv
190, 7 XOLVrj UiJfJÜV :=
190. 12—14 TcArjv bis _
TOIOVTIOV
192. 6—193, 8 To &eQ- _
(xbv — dvTiXa^ßdveTai
9, 195, 10—13 ri^v-^av- _
Johannes Dam
Kap.
179C,
7, 168B,
8, 169 B.
r= 17, 183B,
CV)
196, 1 — 9 eovi — 7toLÖ-
TtiTag
10, 197, 14—198, 5 «xoj)
bis coTa
11, 199. 3 — 4 oocpQTiOLQ bis
ascenus Bemerkung
925 A Einige Freiheiten.
897 B
900 C Einige Freiheiten.
9 3 3 B Das folgende frei erweitert.
183B. 933B
183B,
18,1830,
183C.
183D,
184E,
184E,
184C,
184E,
184C,
185 A,
933 C
933 C
(Ende.)
933 C
(Anfang.)
933D
937 A
937 AB
936 C
937 B
Einige Freiheiten.
936D
937 A
937 B
184B, 936B
183E,
184 A,
936 A
936B
Zusatz xal vevQcov nach
oatcüv (12).
Mehrere Auslassungen,
Zusatz ijyovv dgaiov
(193, 3).
Bis ögäv (11) freier.
Zusätze : ijyovv alod-rj-
Ttxii nach dvxiXrjmixri
(2); r)v xaXoval rtveg
odoaviay.ov n^ch imeQcpa
(8), tlyovv aYad-rjatv n2iQ\x
dvTikrjyjiv (5), yhaxQ^-
rrjg nach XiTiagöttjg (8),
Umstellungen, Abwei-
chungen.
Ausgelassen /.idXiara (3)
bis x^^^Q^S (4).
Zusatz dvaTcef^movacov
Toi'g dxf^ovg im tov
lyxE(paXov nach gtvatv
(3), vgl. Nem. 192, 4.
— 92
Ne
mesius
Kap.
12—200, 3Tcovhis
dvowdia
12, 200, 5 Aufschrift
8—201, 9 Tov bis
Ende d. Abschnittes
13, 202, 2—10 Aufschrift
bis XeyevaL
CO
CSD
12-208. 1 ra bis
VOTlTa
203, a— 4 oTi—fie^vi]-
4 T:fig — exof.iEv
5 — 6 ^ — evvoiag
12 — 13 dvdjLivriGig
bis dvccxTriGig
14—15 Aiy6^7^ bis_
(XTtoßollj
204.3 b/6 TÖ TOVTOVOsD
6 — 8 fj — TcveviLia =
14, 208, 2—3 Aufschrift =
5 — 7 ^rega — ttqo
(fOQiytng
7—209, 6 fo-T^ bis _
j/ —
sxei
15, 213,5 — löiaiQel — Xoyovcsct
16, 215,12- — 13 To — llyETai =
14 — 216, 4 XeyeTai
bis XvTti]
CVD
185 AB, 937 C^
Johannes Damascenus Bemerkung
Kap.
Zusatz Ttecp&hxoiv vor,
184 A, 936 B ^^^ ylverai nach (fy)
dvaojöta (200, 3).
19, 185 A, 937 B
Bis ÖQfiai 201 , 2 freier
(ausgelassen yevixüg
f^iEv (1), hinzugesetzt a«^
TT^o^ r?;v Ttgä^iv xal al
a(poQ^aC nach dem um-
gestellten ai ÖQfiaL,
ferner Tfj£ Ttgä^sojc, nach
djtocpvyai 2).
Zusatz ijyovv aia&äve-
zai (8) nach dviikaft-
ßdvezai, Auslassung von
d)g f^iev 'ÜQiysvrjg [lies
'AgiaTOT£X7]g\ (prjoiv (4)
und c5? 8k nXdxcov (6,
dafür ■// eingesetzt).
20, 185 C, 937 CD
940A
Mitte frei.
216, 5—6 Th—de
CVD
185D, 940A
185D, 940A
185D. 940A
185C. 940A
185D, 940 A
185D, 940A
185DE, 940AB
185E, 940B
21, 185E, 940B
185E, 940B
186 A. 940BC ^^^^^^^^T^^t/'^'"
12, 180C, 928B
22, 186B, 940C
186B, 940CD A-g«i----^;(i)b-
' Xoyog (2).
186 C, 940D
Ausgelassen xal Ttag-
eyxQaviöa (7).
93 —
Nemesius
Joh
Kap.
annes Damascenus
Kap.
6—217, 8 ot-x aqa
bis TcdÖ-og
218.
-8 ov — Tzdd-og
17, 218. 17—219. 1 Tä
CSD
jLiev — g)av/M
219, 5 — 7 TtQoadoAio
18, 220. 9—11 Aufsclirift_
bis ^h
13 — 22\.?>cni)iiaTL-
%al — fidovdg
221, 7—9 al—aio^riOLv =
13—222,3 Tiovhh
eig
222, 3—11, ÖLadoz^v
CSD
bis fidovdg
11 — 15 rag — xarof-
dovXoTjöag
19, 229, 8—12 Aufschrift _
bis '/M'Aotg
20, 231, 2—232, 1 Auf- _
scbrift— 7r£7c^a//^6Vf/^
21, 234, 2—235, 4 Auf- _
Schrift — XoyiG^ov ~
186C-E,
940 D
-941 B
Bemerkung
Zusätze: Ijyovv usyannch
elvai (216, 8); 'ij l^dv
ovv v7i6Xt]yjig tov xaXov
TTjv kmd'Vf.nav xiveX' ij 8s
TÖv xaxov vnoXrjipig zov
■&vf.i6v nach xaxov (12),
ilyovv xoivov nach yevt-
xöv (12); cpvaixi] ovaa
nach xivrjoig (217, 8),
äjxeTQog ovaa xal oi
xaxa 9P?5o'fv(aus 217, 14)
nach 7iaXi.iov£ und iazi^
xal o^x ivsQyeta (aus
218, 1) nach Tra^oj (217;
8) ; ausgelassen Srav bis
(fvaiv (217, 3).
= 186E, 941 B
= 12, 181 B, 929B
181B, 929B
13 181 C 929 B H^^^^"^ bi^ V'vzr}? (13)
^ ' "^ freier.
181C, 929BC
181 D, 929 C Zusatz xal &ecoQiav nach
iTiLGzri^rjv (9).
1 ft 1 "n TT Anfang frei, von iiöovüv
^ ^^ 932A (14) wörtlich.
181E, 932AB
182A,
182AB, 932B
14, 182B, 932 B
15, 182C, 932 C
über die Reihenfolge der
Begriffsbestimmungen
siehe Seite 101!
[Darauf bis ans Ende
16, 182DE, 932D ) des Abschnittes (4-6)
183 A, 933 A ] freie, erweiterte Dar-
l Stellung.
94
Nemesius
Kap.
22, 236, 4—7 toC— Ende
des Abschnittes
Johannes Damascenus Bemerkung
Kap.
Ausgelassen (pvaixöv (6,
ebenso 10 q)vaixai), Zu-
i2,i80DE,928D,:rjsz:r6";
dasselbe Wort 38, 12
hinzugesetzt.
23, 2'dQ, 10—11 T()u~d7to- _
'jiQlTl'Kl] '
26, 249, 4—250, 1 rdgbis
CVD
-. 8 1 1 T^g TtOielv CVD
29, 263, 10 Aufschrift =
264, 3—7 e7tel-Tli>ev- _
Tat
8 — lA.TtQä^lgeaTLV
bis y.oXdZovvai
15 — 265, 1 ovv bis
ipoyov
265, 1 — 5 '/Mi — or<^£rag=
CVD
30, 265, 9 Tov — EOTi =
12 — 14 OQog — ßia- _
Gd^lvTog
14 dqxr^ — alxia cvd
31, 271. 7 f. di a>omr bis
TtOLEiV
272,3 — iorav — avveßri
(lies ov(.ißfi)
5 — 6 tv — d7ts'/,TELvev =
15 — 273. 1 Tavxa _
bis jÄOQia
32, 274. 10—12 Tov—yiv6- _
juevov
180E, 928 D
Ausgelassen cpvaixai
(10, wie oben (pvaixöv
qnq \ 6)» in^ übrigen Erwei-
terungen durch das fol-
gende.
181 A, 929 A
I Diese, 181 A (929 A)
180A, 925 D I wiederholte SteUe lehnt
928 A sich hier mehr an den
' Nemesius-Text an.
24, 191 B, 952 B
952 B Anfangsworte frei; Ö€i-
' Q^U A ;ci?^Jffera« — od (5) über-
gangen.
191BC, 953A
191 C, 953 A
191 C, 953 AB Eine beabsichtigte Ab-
weichung.
191 D, 953 B Das folgende freier.
191 D, 953B
192 A.
192 A. 953 B
Anfangsworte frei.
192 A, 953 C
192 A. 953 C
(Anfang.)
192 A, 953 C Umstellung und Aus-
lassung.
192B, 953D
Anfangswort frei. Nach
fWQia freie Zusammen-
fassung des folgenden.
192AB, 953C ^•"!"''': ü»-teUu.gen,
' \\ ortanderungen.
m
95
Nemesius
Kap.
CV2
275, 2 — 3 Sgi^ö/ned-a
bis Ttgä^ig
33, 277. 11—278, i5 za _
TcaiSia — de
37, 299, 6—7 r))v—elvai csd
39, 311, 8—314, 16 Auf- _
Schrift — TTQä^Lv
314, 10 ff. ^riöefiiägK
vgl. 325, 13 f.
40, 317. 6—318. 11 Ttdvia
bis Tt^vai
41, 324, 2—3 Aufschrift
5 — 6 (pauev bis
aVTE^OVOLOV
Johannes Damascenus
Kap.
192 B
,y^ö, ;>
■326. 1 Tov bis
avTe^ovoLOv
326, 2if. u. 324. 7 flP. cxd
42, 331, 4 Aufschrift =
43, 343. 9—10 TtQÖvoia bis _
IrziueleLa
11 — 344. 1 TtQÖvoLa
bis dvdyxri
344,1— 13xard— Ende
des Abschnittes bald =
bald CK)
44, 354. 2 eQ£i — e^fig cv)
362, 7—364, 2 avyxwQsl _
bis uaQTvoojv
192C,
29, 197 C.
25, 192D
-193E. -957C
7, 166C, 893B
26, 194A-C. 957D
— 960B
27, 194 C. 960B
Bemerkung
Anfangsworte frei, zwei
Zusätze.
Viele Auslassungen und
Wortänderungen.
968 A
956 B Mehrere Zusätze, einige
Wortänderungen.
953 C
956 A
Ausgelassen i(p' ^luiv
elvai{^\l,l), xai—iöei-
yßr]{\0-\\), ^5(317,
12) — TiQoXaßovaiv (318,
1), Zusatz öfioicog xal
Icp' olg oi) dei nach fiij
yaiQsiv (8).
Die unmittelbar darauf-
folgenden Worte bis
194D,
960B
TQOTiriv (7) sind in Jo
von Combeficius aus
Nemesius ergänzt.
Zwei Wortänderungen
mit Zusätzen ; näoa (12)
194E.
960 CD
bis ßovlevead-ai (14)
195 A,
übergangen. Schluß
nach TiQd^eoiv (326, 1)
frei verkürzt.
194D.
960 C
29, 196A,
964 A
196 A,
964 A
Nächster Satz frei zu-
sammengezogen.
196 A,
964 A
Wörtliche Stellen 344,
1 — 2 xara — d^eonge-
neaiaia, 4 — 6 dväyxii
196AB,964AB ^j, ,,,,
12, 177 C. 920 AB
^Ausgelassen c5^ etQtjtac
29,197A-C.965Ab"^ J," <2' ^""^ ""■
^ schließendem Zitat
l 363, 3.
— 96 —
Nemesius Johannes Damascenus Bemerkung
Kap. Kap.
364, 11 — 365. 2 on bis ^c^ar^ nail:>r^
. ^ ' CVD 196C, 964 BC Schlußworte Avörtlich.
e7rLjLie/£iTaL
366, 1 — 4 TMV—ädr/MCsD 196 C, 964 C Schlußsatz wörtlich.
Die allen Nemesius-Kapiteln (außer 2, 24, 25, 27, 28, 34—36
und 38) entnommenen Auszüge, von denen der Auszug 136, 4 — 6 dem
ersten, alle anderen dem zweiten Buche angehören, halten je nach
Bedürfnis des Verfassers bald die Reihenfolge seiner Vorlage ein, bald
weichen sie von ihr ab.i) Wir können sie in zwei Gruppen einteilen.
Die eine umfaßt Stellen, an denen Johannes von Damaskus mit dem
Nemesius-Text ganz frei verfährt, indem er ihn, erweitert oder ver-
kürzt, mehr dem Gedanken als der Form nach wiedergibt, die andere,
viel umfangreichere Gruppe solche, die durchaus oder wenigstens zum
größten Teile wörtlich, d. h. nur mit unbedeutenden, teils notwendigen,
teils überflüssigen Änderungen aus Nemesius entlehnt sind. Wir haben
die Stellen der ersten Gruppe durch cnd. die der zweiten durch — ge-
kennzeichnet. Wenn die im allgemeinen wörtlich gehaltenen Stellen
irgendwo auffallendere Abweichungen aufweisen, die sich nur mit
geringer Wahrscheinlichkeit durch die Verschiedenheit der Nemesius-
Texte rechtfertigen lassen, sondern wohl größtenteils auf Johannes von
Damaskus selbst zurückzuführen sind, ist dies in der „Bemerkung"
angedeutet. Daß namentlich die zweite Gruppe für die Nemesius-
Kritik in Betracht kommt, liegt auf der Hand.
Wir geben im folgenden bemerkenswertere Abweichungen vom
Nemesius-Text nach Matthäis Ausgabe mit Berücksichtigung unserer
Nemesius -Handschriften, -Übersetzungen und -Auszüge und heben
die vermutlich richtigen Lesarten bei Johannes v. D. durch den Druck
hervor. Verwendet wurden hiebei unter anderen folgende Abkürzungen :
^4//= Alfanus' lateinische Übersetzung, ^?i = Anastasius' Auszug,
^rm = Armenische Übersetzung, ^^ = Burgundios lateinische Über-
setzung, Jo ^= Johannes Damascenus' Auszug, Ilel = Meletius' Auszug,
^) Dies läßt sich, abgesehen von einzelnen Sätzen, schon bei der Kapitelordnung
beobachten. So entsprechen die Kapp. 13, 14, 15, 16 bei Johannes den Kapp. 18, 19, 20, 21
in den Nemesius-Ausgaben, während die Nemesius-Handschriften die Eeihenfolge 18, 19, 21, 20
bieten, die ich im Philo logus 1909, H. 3 als ursprünglich zu erweisen hoffe. Femer ist
Kap. 17 = 6; 18 unter dem allgemeinen Titel tisqI aiad-riaeoig = 1 , 10, 11, 9, 8: 19—21 =
12—14 ; 22 mit geändertem Titel (neQi jiä&ovg xal iveQyeiag) = 16 ; 24 = 29—33 ; 25 = 39 ;
26 mit geändertem Titel (Tiegi twv yivofzsvcovJ — AO; 27=41; 29=42—44. Ton den
übrigen Kapiteln enthält nur das 12. unter dem Titel tibqI dv&QWTiov ansehnlichere Auszüge
aus verschiedenen Nemesius-Kapiteln.
— 97 -
77 rr Handschrift von Patmos aus dem 10. Jahrhundert. Im übrigen
vergleiche man Wiener Studien X 93—155, XI 143—152. 243—267
und XXVI 212 f.
36, 6 ibgj ojOTteQ, — 38, 9 T^g tiov äXöywv Cqjcov {ÄETsyei Ccorig]
'Jl')(ov fehlt, auch bei PM. — 11 f. rolg Se (pvTolg '/.axd re xavta -Aal tyjv
S^QtTCTL/Jiv xal OTceQ/iiaTixrjv SvvajLiivJ nachd-QercTixi^vZns^tz ytal au^rjTLiitjv und
nach OTiEQLi. Zusatz rjyovv yevvrjrixi^v. Ähnlich findet sich bei Jo 236, 6 rb
av^TjVixbv '/mI vor vb d-geTcrr/MV . Vgl. Nem. 249, Vdiog fj d-QeTrzLytrj yial av^rjCLxrj
zal G7t£Q/iiai;r/.i]. — 39, 4 de fehlt. — 45, 7 t/jv vor dvafpoQav fehlt. — 47, 12
uTL yvjuvbg cov eyvo)] syvco oti yvfxvbg ^v Joy sciens quia nudus esset Alf
(^v auch F Arm Bg, vgl. Wien. Stud. XXVI 214). — 64, 2 dt ä] ötö
wie SPD, ÖL (i An Arm, propterea Alf. — 136, 5 Ttegiex^tJ TCEQiexeTai, —
157, 6 ovvj yovv wie PD. — 157, 8 u. 9 fehlt rä Ttqbg ttj yfj und %ai
Ttqbg TU) TtcQi. — 171, 8 tov fehlt wie in M. — 9 f^ev olv fehlt. —
172. 2 ueoeoLv] a a 51 fehlt mit der allgemeinen Überlieferung. —
173, 9 cci TtQÖöd-LOi X. 6. xoillaij fj efLiTtQoa^iog /.oiXla r. i. (aber Plur. 199, 4),
vgl. P al efxcrtQÖöS^iOi r. e. xotUaL. — 183, 1 tcov xQ^ofiaTcov] tov %Q(x)(.iaTog
und dem entsprechend 181, 1/2 Tt^ xQiouaTL für avTÖlg. — 3 rrjv x^oqav]
TOV tÖtvov. — xb didoTr\iia] SidaTruua Tb fieTa^ij. — 6 vSaTcoöeg eiTe
yeßdeg sgtiv olov vyqbv rj ^tiqÖv] vöaTiodrig sotIv ^ yeiodiqg (vgl. fj yecodtg
Mel) rjyovv vyqä fj ^^qd. — 190. 7 sotl vor 7r«Wwi' gestellt. — 12 — 13 JtXfjv — ■
TOiyßv] TzXrjv daxeov y.al vevQwv ovvimv te xal 'jiEQaTiov Aal TqiXMV ycal
oivÖEGuiov (so!). — 192, 8 TTig vor dcprig fehlt. — 9 — 10 o^v Aal dinßlv
Aal t6 fehlt. — 11 ävcj xal 'AdTcoJ avco te 'Aal xdrco Jo, dvco ndTco P,
vgl. Wien. Stud. XXX 57. — 'Aal yäq 6 TOTtog to te jueyE-d-ogJ nal b
TOTcog Aal Tb f.ieyEd-og, — 193, 5 Sa nach f^ivrjf.irj beigefügt, 6 d/Aof über-
gangen. — övolv] ovo wie M. — 7 — 8 fAälXov — dvTilafißdvETai] tovtcov
06 f-täXlov TTJg äcprig rj ogaaig dvTilaf.ißdv£Tai. — 195, 14 TckiqoidawacJ
TckifiOLaC(x)OL. — 196. 2 Liällov] tzXeov. — 4 — 5 drtayyiXXovTa — f]yE(.iovLAÖv]
aTcayyeXXovTa Tcp fjyE^uovr/jp tyjv yEvojuevrjv dvTiXrjipiv fjyovv al'a&rjGiv. —
5 — 6 Twv Ö6 /t'jt/wv — TzoLOTTiTEg] al ÖE AaXov^EvaL yEVGTixal TtoLOTrireg
Tojv yvf.uov. — 7 d^vTif]g dQLf.ivTr^g umgestellt. — 8 nach /UTtaQOTrjg ist
yXiGyQOTTig beigefügt. (Vgl. Nem. 192, 7 yXioyqov.) — 9 — 10 AUTa TavTag —
XiyETai] TO öe vdog aTtotov Igtl 'Aavä TavTag Tag TcoiOTTizag. — 198,
1 — 2 vmI TavTTß] avrrig. — 2 Ta e^ EyxEfpdXov] zd eyAEcpdXov Lequien,
falsch Toi iyAE(pdXov Migne. — 198, 5 — 6 tcov — auTd fehlt wie in
Ann. Jedenfalls eine Glosse. — 199, 4 tcov TtgoGS-lcov tov ey-AEcpdXov _
'/.olXuovJ tcov Ef.i7tQ0Gd^Lcjjv 'aolXuov tov eyAEcpdXov. Vgl. 173, 9. — 12 öia-
(pOQa eöcoSla te egtl 'Aal duGcoölaJ öiacpoga egtlv Evcoöia xal dvGcoSia Jo,
iE fehlt auch in D. — 200, 2 fj fehlt. — 3 jurjdöXcog öuGcoölaJ inride
'(>Xcog (vgl. f-iTjö' oXcxjg F, firjö^ oXcog P) TtEcp^EVTCxtv fj SvGCüSla ylvExai (^
Wiener Eranos. 7
— 98 —
auch n, rj AD). — 201, 1 a^ vor GuyKaTad-eaeig wie //APD b Mel. —
2 elöixiogj iSiKoig wie AD b. — 3 ovtcov] votitiov wie A 5^; vgl. Wiener
Stud. XXX 53 zu 132, 4. — 4 7cqoaiQEVi/Mv] rb TtQoaLQETixov wie
AFP 51. — 203, 5 ävalrixpig] ävvllTjipLg. — 204, 7 a/;x7f/}/ a^r^ wie M. —
208, 2 — 3 Titel Ttegl rov hdiad-sTOv koyov %al tov TvqofpOQLAov] M,
ähnlich Treql ivöiad^hov löyov ymI 7tQO(poQiy.ov Jo. Allgemein überliefert
ist TüEQL Tof) evÖLad-hov '/ML 7tQO(pOQrAov löyov. — 8 fehlt beidemal to. —
10 Ttaq] iv. — 209, 2 — 3 ou — tovtov fehlt. — 209. 3 y,al oi öiä Ttdd-og
rj voGijiiiaJ ^ ol öid ri vÖGrjfia rj Ttdd-og (zu tl vöorj^a vgl. voa/j/^aTt M,
vÖGrifza TL Ellebod.) — b sv auch vor Talg wie M. — 216, 3 Cf/K/j TtdS-og
umgestellt. — 216, 7 x«/ fehlt. — 9 sötl dem OQog beigefügt. —
14 yiath cpvaiv (D) fehlt wie in den übrigen Handschriften. — 15 oi)v
fehlt. — 17 Töv Oio^avog ijutov Ttavvög] Tcaviög tov Gco/Liarog. — tov
■d-vfiodj tov fehlt. — 217, 2 ilsyoiuev eivat] llyeiai, wohl beabsichtigte
Änderung. — 3 ovav — cpvoLv fehlt. — 5 — 7 zcr^ Aatd tovtov — ETtqov]
Aaih TOVTOV /iiiv ovv tov Xöyov fj Ivegyeia jcdd^og MyeTat, OTav /nrj 7,aTd
cpvöiv /uvriiai, ute «| mviov, eI'te i^ eteqov. — 7 yovv] ovv — Tovg fehlt. —
218, 5 Ttdd-riJ Ttdd-ri eIgl. — t6 auch vor fueyE^og gesetzt. — 6 fehlt
T(). — 8 Ti) vor Ttdd^og beigefügt. — 219, 5 ydqj ^iv ovv Jo, uev
/TFD a % quidem Bg, fehlt in AP. — 6 TzdXiv] 6fj.ouog de Ttdliv,
vgl. das Wahrscheinliche TtdXiv de IT; /.al Ttdhv 51 = et iterum Alf^ et
rursus Bg. — f.iev (51 == quidem Bg) fehlt wie bei ilFAPD a M, Alf. ~
220, 11 yiai vor iIw/l/ml beigesetzt wie in F. — 221, 1 tog al] oGat
wie P (dasselbe in P5r 220, 11); hier und 222, 1 und 2 fehlt bei Jo
überall der Artikel, vor 7tX7iay,ovai (222, 2) auch in AF « 51. —
9 eIglv (FM) fehlt hier wie in /ZAPD a 51, steht aber bei Jo Zeile 8:
a\ fisv eiGiv dlrid-Eig^ al Si ipEvÖEig (Umstellung). — ^14 dvayaalaL und
cpvGLxal umgestellt. Umgekehrt 222, 6, vgl. 222, 1. — 19 '/.al fehlt,
ebenso 235, 2. — 222, 2 y.al ij (pLlaqyvQia (D Mel) fehlt Avie in
/ZFAP b. — 222, 9 juetqov -/al tqotvov] tqÖtvov '/al f^ieTQov Stellung
wie FA a 51 Alf Bg; '/al tÖtcov fehlt wie in 51, übrigens ist die ganze
Stelle freier behandelt. — 12 ff. für fj.y]TE, das letzte Glied ausgenommen,
überall ^ii]dL — Vo ßXdßrig hsQag umgestellt. — /lietqlov TteQavwieJ)^,
fÄETQiov TTEQa FD 2, jusTQOv Ttiqa /TAP. — 14 fiaag egyiov umgestellt wie
in F. — 229, 10 egtl öi dxogj "Jdxog juiv ovv egtl wohl absichtliche
Änderung, vgl. die ähnliche Abweichung 231 , 5 tOTC de o'/vog t.iev]
oKvog fxev ovv egtl. — 7 tovtegtiv] rjyovv, bei Jo beliebt, siehe „Be-
merkung" S. 91 bis 93. — 234, 5 eGTt d^ ote -/al ö d-v^uSg egtiv })QE'§Lg dvTi-
TLf,itoQrjöeo)gJ tGTi de ote b -d-vfAog y.al OQE^lg egtlv dvTLTijLicoQriGEcog. —
234, Sf. Eidrj de tov d-vf.iov (DM, S-vf-ir/ov die übrigen) Tqla' oQyri, ij
'/al — yiijTogJ eldr^ de tov d^v^iov TQia' oQyrj.^ fJTig '/aXelTai yolij '/al %6log
— 99 —
%al fATivig %a.l y,6Tog. Ähnlicli las von oQyj^ — yjhog Bg: oQyi^i, fj xaXelTac
XoXrj xal ;coAog y.al jurivig %ai xovog, 77 hat oQyi]^ fj ymI /oA^ yial yj)log
Y.aXetTai' jurivig' 'KÖrog, die übrigen Handschriften zeigen größere Ab-
weichungen. — 235, 1 yccgj de, — TtaQadedoad-aL] TzagaSlSoad-aL auch P. —
2=221, 19. — 236, 5 re fehlt wie bei FAPD. — 10 tovJ tov fiiv ovv
Jo. TOV de PD. — 249, 5 u. 11 Formen von g)VTix6g für (pvoiytög. —
264, 4 xat aurö übergangen. — 5 TtQa^etJ TrQd^ei tlvl wie IIAlfBg;
Ser/^r^oerai — ov absichtlich übergangen und der Rest des Zwischensatzes
Tvolv mit dem folgenden Tivig ds in tcoXXoI öi nveg umgewandelt. —
9 tTtatvog ^ ipoyog tTcevaiJ i-Tterai eTtaivog lij ipöyog (Umstellung). —
10 al fX8v] al nev avzwv. — 11 zort xiov] tcov de. — 12 de übergangen. —
265. 3 Toi) de ä'AOvoLov yvcouovegj xi^ öe aKovaui).^ dem freien Anfang
264, 15 entsprechend, von Jo geändert. — 265, 9 tovJ tov de. — eOTt
nach jiiev gestellt. — 272, 4 ti]p fehlt. — GvveßriJ Gvaßfj Jo^ Gv/ußccv D. —
274, 10 TOV dnovaiovj TOV ovv dyiovalov. — 275, 3 avTcpJ eauvip wie PD. —
278, 1 de fehlt nach oaa wie in A, steht aber vorher nach /.iriv^ siehe
S. 101. — 4 oi) ju^v de 7rQorjQv^^tvoig] ov (.irjv ytal TCQoaLQOv/uevoig Joy
ov urjv TtQoaLQOVjLievoig 7751, ov firjv TtQorjQTjf^ievotg APM^ ov fiirjv ttqo-
ELQr^uevotg D. — 299, 6 7iQay,TtdvJ TCQayiTewv wie Mw 9Jl. — 311, 7 f. TteQi
TOV aVZE^OVOLOV.^ 0 eöTL TOV eCp l)iUv] m TtEQi TOV e(p^ fllllv, TOVTeOTL TOV
avTE^ovoiov Joj TtEql TOV ecp fyuv, o egtl tov avTE^ovalov 77P, tteqI tov
e(p ^iLilv, o EÖTL TtEQi TOV avTE^ovolov D 51 » tt 3? ^'^^ auch Bg; tceql tov
avTE§ovolov F. — 312, 4 tlJ Tiva. — %al fehlt wie in 77F Alf Bg 51 m. —
312. 5 TidvTCüvJ aTrdvTcov. — 10 %al yäg avTi]J %al yäq /ml avtr] Jo,
zal ydo avxi] 77FamD2. — 813, 2 oItiwv — ixövrwv — drcoTEXovvTOJv]
aiTuov—ixovacov—dTcoTElovatov; die Partizipien ohne Zweifel nach der Lesart
ahudv^ die auch FPDSIm, (causarum) ^Z/" 5^ haben, absichtlich geändert.
— 3 y,al fehlt wie in 77FP b a Alf Bg. — TacpQovJ Tacpov wie 77 PD Alf
Bg. — 4 d-ELg] d-Etg tov d-r]aavQ6v. — 4 — 5 Ted-etxEv] eS-vf/.Ev wie FPDH,
red^EY-Ev m^. Te^ELXEv m'^, richtig wohl xed-riXEv 11. — 5 tovtovJ aXkov tovtov. —
^ 7toorJQT(vro] TCQorjQOvvzo. — 9 Teivr^g] Teyyr\g' ovTcog avToi (paoL. —
10 yLvö/LiEva fehlt wie in 77FP ha. — 314, 2 dll^ ovteJ ovde ydq Jo^
ov ydq las Bg. — 7 avtoudv^)] Tip avToudvii) wie 7TFPD5tm. — 8 r«
ov^TtTCüLiaTa] Td ov(,i7CTib^aza toC avzojuaTOv Jo, GVjUTtzcojnaza 77FPD5I
(Gij/xTtzüjfxa a a). — 12 zat fehlt wie in 77F b aAlfBg. — 13 TiuLWTaTov]
TLjiiuüzazov Tiov. — 317. 7 äv fehlt. — 318, 2 evdExouEvöv egtlv wie
77 F m AlfBg (Umstellung). — 4 '/.al zavzaj zavza tolvvv. — 6 f^irj ytivElGd-aiJ
10 urj -KivElod-ai. — 8 oig] ecp olg. — y,ai f,irj yaiQEivJ /al (xi] xaiQELv
öfiolcüg.^ -/al E(p olg ov dEi. — 9—10 '/a/lag und dgETTjg vertauscht wie
in Bg. — 324. 2 IIeqI tov vor did — yEyovauEv beigesetzt wie in PD. —
325. 10 de] olv. — 343, 10 i^ vor 1% beigefügt. — 344. 5—6 dv.oXovd-ov
— 100 —
und TZQeTtov vertauscht. — 354, 2 IqeI tiT) 'Äega/uEl xat rd t^figj egel zqi
TtkaOTovQyqj' TL fue iTtolrjaag ovriog Jo^ SQel tw TtXdoavTc^ xi f.ie BTtXaoag
ovTwg D^, £qeI (tö 7iXdof.ia für o Ttrjlög^ das dem eQsl bei Nemesius
vorausgeht) tlo TtXdoavTi' xi ^e htoiriGag ovxwg NT. Rom. 9, 20, SQel
allein ilFAPg.' — 362, 8 dvadei^rjj del'^r]. — 10 T7]g vor Soxovorig
fehlt. — 13 -aal fehlt wie in m. — 13 ff. 'iva (xrj Iz tov oq^-ov ovveiöoTog
vmI Trjg öod-Eiorig avc(^ öwd/uecog eig dla^oveiav ixTitarj (c)g stvI rof;
IlauXov. So die allgemeine Überlieferung, nur für ev.Tieorj hat JT eiGTceorj^
D ifXTtsar^, Jo %va fxrj in tov ÖQS^or ovveidÖTog exTveorj fj xal ex T^g^
Sod-eiGrig avTcp dvvd^Etog te vmI xdqiTog Eig dka^ovEiav ijUTteGr] wg etvI
JJavXov. — 16 Elg] TtQog. — 363, 5 h. yEVET^jgJ 1% yEvrjTTjg Jo, h. yEvrivrjg
A w, €z yEvvr^Trig ilFPD. — 364, 1 TtQOGÖoxwuevojvJ ^eXXövtwv wie
iVPD. — 13 oQ&OTaTa oxonifiGELEv (so fiir gxotcijgelv zu lesen)y oQd-oTaTa
GxoTtrjGELEv dv Jo, — 366, 1 — 2 dvE^ETaGTwg' xaküg de Tcdvza aTtodexEGd^ai]
TidvTa dvE^ETdGTCog dTiodexEGd-ai Jo, vgl. avt^ETdonog öe TtdvTa dTtodeyjE-
Gd^ai n^, wo gleichfalls xaAwc; fehlt.
Bei der Beurteilung dieser Varianten muß man sich vor Augen
halten, daß sie nicht einer gewöhnlichen Abschrift eines librarius^
sondern einem x^uszuge eines gelehrten Theologen entnommen sind.
Daher werden gar manche Abweichungen nicht auf Rechnung der
ausgezogenen Nemesius-Vorlage und ihrer Verbesserung zu setzen, son-
dern dem besonderen Geschmacke ihres Benutzers und dem Zwecke,,
den er verfolgte, zuzuschreiben sein und deshalb in einer künftigen
Nemesius-Ausgabe nicht berücksichtigt werden können. Aber sie werden
wenigstens dazu beitragen, das von uns oben über die Tätigkeit des
Damasceners entworfene Bild zu vervollständigen und in dieser Hin-
sicht vielleicht nicht ganz unwillkommen sein. Übrigens bietet uns
Johannes auch eine Reihe guter Lesarten, die er in seiner Nemesius-
Vorlage vorgefunden haben wird. Einige von ihnen hat er uns allein
erhalten, die überlegende Mehrzahl teilt er mit alten Nemesius-Hand-
schriften , unter denen die Handschrift JT durch ihr Alter und ihre
Güte den ersten Rang einnimmt. Mit dieser Handschrift stimmt er am
häufigsten überein und erhöht dadurch noch ihren Wert.
Wie der Nemesius-Text nach dem Johannes-Auszug, so läßt sich auch
umgekehrt dieser — und vielleicht in größerem Umfange — nach Nemesius
verbessern. Manches ist von den Herausgebern schon geschehen, viel mehr
bleibt noch zu tun übrig. Soll aber eine solche Arbeit von erheblichem Erfolge
begleitet sein, dann muß zuvor der Johannes-Text auf sicherere handschrift-
liche Grundlage gebracht werden. Dessen ungeachtet mögen zum Schlüsse
schon heute einige A^erbesserungen hier ihren Platz finden, die der Nemesius-
Text zu empfehlen scheint. Wir führen sie nach Migne und Matthäi an.
— 101 —
Migne Col. 849 C (Matth. S. 136, 5) ist für TveQiexETai wohl TxeQiexei
zu schreiben. Man vgl. auch Plut. De plac. phil. I 884 A MQiGTorelrig
tö eaxdTov tov TteQiixovTOQ ovvccTtTov toj TtsQiexoftevqj. 928 B (45, 7) t^v
vor dvacpoQccv einzusetzen. D (236, 6) cpvGLTtüv für g)vvL'/,6v zu ergänzen. —
29 B (219, 6) vermute ich für 6/uoiwg de Ttdliv entweder öf^oicog Si
öder nach Xemesius ^tahv de. — Ebenda (220, 14) ist die Wortstellung
rot' Gio/.iaTog ymI Tr^g ifJvx^g wahrscheinlich, bald darauf ow/nazt Tcal
Druckfehler für owf.iaTLy.ai. — 932 B (222, 12 ff.) lies überall fnqre für
Lii(]öe. — (231, 5 ff.) ist die Reihenfolge der Satze (Begriffsbestimmungen)
nach dem Nemesius-Texte , mit dem viele Jo- Handschriften überein-
stimmen, herzustellen. — 933 A (234, 7) Ivnovfie&a Druckfehler für d^v-
uovued-a. — B (171, 8) zu schreiben Tiegl <Toi5> (pawaorLnoiK, vgl. die Titel
937 B Tteol TOV SiavoriTiytov und C Ttegl tov jLivriuovEVTr/,ov. — 933 C (173, 9)
erwartet man für ^'Oqyavov de tov (pavTaaTixov fj iuTtQÖo&wg ytoilla tov
ey/,e(fdXov auch nach 936B (199, 4) OQyava . . . al iftTtgoad^iOL ytotXiai
T.e. — 936 A (198, 1) '/mI TQaxvTrjTa nach XewTTiTd te im Druck aus-
gefallen. — 937 AD (193, 1 u. 3) ij für el'ri und (2) Se für te zu lesen. —
B 195, 12—13) wohl oi;re — ovte für ovöe — ovSe zu lesen. — C (201, 1)
vermißt man yEvr/,idg f.iev nach eI(7l(v) ^ dem lÖTucdg (lies Eidr/,cdg) de
gegenübergestellt. D (202, 5) ist für te xal voriGecog, das offenbar aus
der folgenden Zeile hier eingedrungen ist, nur Tf^g zu schreiben. —
940D (216. 3) Uijou vor ndd-ovg zu stellen. — 941 B (218, 5 f.) der
Artikel vor iiayeö-og ist vor xivriGig (6) zu stellen. — 953 A (265, 2)
aiQETOvg Druckfehler für aigeTdg. — 956 A (278, 1) für ou fxrjv de /.al
lies ov f-ir^v '/.al wie weiter unten; de Glosse zu iir\v oder wahrschein-
licher aus dem folgenden (nach &'aa, wo es fehlt und zu ergänzen ist,)
irrtümlich versetzt. — 957 B (314, 1) ixqd^Eiov mit den Jo-Hand-
schriften und Xemes. für Ttga^Ecog zu schreiben; ebenso 965 A (362, 11)
/.aioQd-cüGrj mit einer Jo- Handschrift und Nemes. für ■/aroQd-iodjj. —
957 B (314; 3) ist ov nach ovde {ovte Nemes.) als Druckfehler zu
tilgen. — (314, 13 u. 15) jraaa yäg ßovXr) TCQd^EOjg tvE^/a nach Tt^d^Ecog
(13) und TcäGa yäo ßaulrj Tcgd^Ewg tvE/a ßovkevETai nach ßovlEVETai (15)
Tvohl als Glossen oder Doppelschreibungen zu streichen.
Meter Hipta,
Ton
JOSEF KEIL.
iTtTCav "Ki'AXrjaxo), Bdxxov TQOcpov, evdda /.ovqtiv
(ivOTiTtoXov, TeXerfJGiv dyaX?,0f.itv7]v ^dßov äyvoi)
vvy.TEQiOig TB yOQoloiv £QißQ£fihao ^Idy.xov.
'jilvd-L (.lev Evxo(.i£voVy x^ovItj juriTeg, ßaalleia,
Eive ov y iv (DQvyirj xarex^Lq "iSrig ogog ayvhv
^ Tf.uoXog reQTtEL ge, xaXbv ^vöoIgl d-daai-ia'
6QXE0 TTQÖg TElsTag tEQip yj^d-ovoa TiQoaiÖTtt^.
Die in dem hier wiederholten orphischen Hymnus (XLIX, p. 84 Abel)
angerufene mystische Amme des Dionysos, die sich an den Weihen des
heiligen Sabos=Sabazios ergötzt und deren Beziehungen zu Lydien auch
in dem Hymnus an Sabazios (XLYIII, p. 83 Abel v. 4) hervorgehoben
werden, hat in der orphischen Literatur eine nicht unbedeutende Rolle
gespielt. Proklos berichtet in seinem Kommentar zum Timaios (III,
p. 171 F = p. 2o7 Abel, frgt. 207) von tveql ^'iTZTtag Xöyoi des Orpheus
und teilt II, p. 124 = p. 236 Abel, frgt. 207 daraus einiges mit: "inTta^
die Seele des Alls (i] rov TcavTog it'vxt^J nimmt in der mit der Schlange
umwundenen Futt erschwinge (XUvov), die sie auf ihren Kopf setzt, das
Dionysoskind — den weltdurchwaltenden Geist (EyyA)Of,uog vovg) auf.
Wenn es richtig ist, was A. Dietrich nachzuweisen sich bemüht hat i),
daß die orphischen Hymnen in wirklichen Kulten zum Vortrage ge-
kommen sind, so dürfen wir solche für Hippa nach den deutlichen
Angaben derselben am ehesten in Lydien oder Phrygien voraussetzen.
Nun hat sich in Grjölde bei Kula, d. h. in dem Gebiete des maeonischen
Stammes, dessen ethnische Zugehörigkeit zu den Phrygern oder Lydern
noch nicht ausgemacht ist, eine Votivstele gefunden, deren im Mov-
oeIov ytal ßLßho&t^xri Tijg EuayyEXr/,fig öxoXrig ev ^iivQvrj 1878/80, S. 169,
«p~ T(.iß' veröffentlichte Inschrift lautet:
MyivqI "iTtza xal JleI — a-
fßa^lo)
• ^) De hymnis Orphicis, Marpurgi Cattorum 1891.
t
— 103 —
Es lag nahe, die hier im Vereine mit Zeus Sabazios genannte Meter
Hipta mit der namensverwandten, an den Sabaziosweihen beteiligten
orphischen Hippa in Verbindung zu bringen. F. A. Voigt, der es meines
Wissens zuerst getan hat, half sich dabei mit der Annahme eines Fehlers
bei der Aufzeichnung oder Abschrift der Inschrift. ^) Diese Annahme ist
heute nicht mehr zulässig. Während einer 1908 im Auftrage der
Direktion des österreichischen archäologischen Institutes durchgeführten
Forschungsreise in Lydien haben A. v. Premerstein und ich nicht nur
die richtige Lesung der Stele in Gjölde festgestellt, sondern auch in
dem Dorfe Menje, das den Namen der alten Stadt Maionia bis auf
den heutigen Tag bewahrt hat, eine zweite Weihung an Meter Hipta
gefunden, welche in unserem Reiseberichte veröffentlicht werden wird-
Der Xame der in Maeonien verehrten Göttin ist damit imzweifelhaft
festgestellt; ist sie wirklich mit der orphischen Amme des Dionysos
Hippa identisch, so muß eine Korruptel in unserer literarischen Über-
lieferung vorliegen. Und dies ist in der Tat der Fall. Für die orphischen
Hymnen kann ich es nicht untersuchen, weil wir eine x^usgabe der-
selben mit ausführlicher Adnotatio critica bekanntlich nicht besitzen;
dagegen zeigt die Überlieferung des Prokloskommentars zum Timaios, wie
sie in der Ausgabe von E.Diehl (Bibliotheca Teubneriana) jetzt leicht zu-
gänglich vorliegt, daß an den drei Stellen, wo dort Hippa genannt
wird, die beste oder die besten Handschriften die Schreibung "ijtTa^ die
schlechteren "iTtTta bieten. So haben II, p. 124 C (I, p. 407, 24 Diehl)
die besten Handschriften M(arcianus) und P(arisinus) "iTtra, N(eapoli-
tanus) "/TTTTof ; II, p. 124 D (I, p. 408, 7 Diehl) hat wenigstens die beste
Handschrift M^'/n^ra, P und N "iTtia, an der dritten Stelle III, p. 171 C
(III, p. 106, 1 Diehl) geben die in Betracht kommende Handschriften P u. Q
"iTtva. Diehl hat trotz dieses Befundes der Überlieferung mit Rücksicht
auf die orphischen Hymnen Hippa in seinen Text gesetzt. Ich zweifle
nicht daran, daß nunmehr nach dem Zeugnis der beiden maeonischen
Inschriften auch in den Hymnen "iTiia herzustellen ist. So erwächst
aus ihrer Auffindung oder Verwertung ein doppelter Gewinn : für die
Philologie , indem der Text zweier Autoren berichtigt w^rd , für die
Religionswissenschaft, indem ein bisher nur in der orphischen Literatur
vorkommendes göttliches Wesen als eine in ganz bestimmten klein-
asiatischen Kulten verehrte Göttin nachgewiesen wird.
Athen.
\) Roschers Lexikon der Mythologie I, 1085; vgl. W. Drexler, ebenda, II, 317, und
III, 2866; In K. Bureschs Privatexemplar des MovasTov, das mir vorliegt, findet sich die-
selbe Vermutung. .
Die Brunneniiischrift von Lusoi,
Von
RUDOLF WEISSHÄUPL.
Nachdem Reichel und Wilhelm in ihrem Berichte über die
österreichischen Ausgrabungen in Lusoi (Jahreshefte IV, 4fF.) das von
Isigonos und Vitruv überlieferte und von Preger in seine Inscriptiones
Graecae metricae unter Nr. 215 aufgenommene Brunnenepigramm von
Lusoi zu erklären versucht hatten, unterzog es Robert in derselben
Zeitschrift, VIII, 174 ff., neuerdings einer ausführlichen Besprechung.
Seine weitgehenden Textesänderungen veranlassen mich, mit Gedanken
an die Öffentlichkeit zu treten, die mir vor Jahren bei der Lektüre
des erstgenannten Aufsatzes auftauchten.
Das Gedicht lautet folgendermaßen:
Myqoxa^ ovv Ttoif-ivaig tö f^iearjußQivbv Y^v ge ßaQVVTj
Sixpog dv eaxaTLag KleiTOQog eQyof^ievov,
TT^g (.liv ccTtb Y.QTivrß ägiaac Tcöf-ia y,al Ttaqä Nvf^icpaig
vdfjLctai OTT^Gov Ttäv tI) obv aiTvöXiov
5 dkXä ab fii]T tTtl XovvQa ßdhjg %^ot, (^irj oe y.al avQTj
TtTfif-irivrj TSQTtvfig ewbg eövva jus&rjg'
(pevye d^ ifi^v ^cTjyrjv f^iLöd^TceXoVy svO-a Mekdf^ircovg
Xovadftevog Xvaörig IIooiTidag dgrefisag
Ttdvva YM&aQjiibv e'ytoipev dTtimQvcfov al yccQ aTt ^JdQyoug
10 ovQEa TQTixeirig rfkvd^ov Jlgxadlrjg
3. Tag V. — 5. fii]at]xaiSvQf] V. — 6. 7ii/vt](TVTvg V. — 8. aQyaXer^g J., aQzefieiag \. —
9. oxoxpevETiaxQvxpov V., dessen Gedicht hier schließt; ayaq J., al yctQ EUis und Heringa.
Mehr, aber für unsere Zwecke Unwesentliches bei Preger.
Preger und seine Vorgänger meinten, das Epigramm besage im
allgemeinen: Hirte, trinke aus der Quelle und tränke hier auch deine
Herde; aber hüte dich vor einem Bade, fliehe die rebenfeindliche
— 105 —
Quelle! So stand das Gedicht einerseits in schroffem G-egensatze zur
sonstigen Überlieferung, derzufolge schon ein bloßer Trunk aus der
Quelle gefährlich war, anderseits enthielt es in sich selbst einen unlös-
baren Widerspruch: die Aufforderung, von dem Wasser zu trinken
und den Rat. es zu fliehen. Die erste Schwierigkeit suchte Preger
durch die Annahme aus dem Wege zu räumen. Isigonos und Vitruv
hätten das Gedicht ihrer Quelle, die es noch nicht gekannt habe,
sinnloser Weise hinzugefügt; den zweiten Widerspruch berücksichtigt
er nicht. Gegen diese Erklärung Preger s wenden Reichel und Wilhelm
•ein: „Diese Vorstellung geht deshalb irre, weil die Inschrift, an Ort
und Stelle angebracht, jedenfalls in Übereinstimmung mit dem Glauben,
der an der Quelle haftete, gedacht werden muß," und erklären das
Epigramm folgendermaßen: Vers 1 — 4 beziehen sich auf eine '^Qrivij^
einen Laufbrunnen, Vers 5 — 10 hingegen auf eine ^^//J, eine natürliche
Quelle; „ein Trunk aus der z^^i^i^ ist gestattet, . . . dagegen wird
Waschung mit dem Wasser der Ttriyt] und ihre Benützung überhaupt
verwehrt''. „Xeben der Höhle mit der Quelle muß eine Leitung
anderswoher Wasser gebracht haben, an dem die Nachrede der Ver-
Tinreinigung nicht haftete."
Robert erkennt den Unterschied von y.Qi]vri und Ttrjyri mit Recht
an, bekämpft aber jene Auffassung im übrigen mit folgenden triftigen
Gründen: 1. die y,Qt]vri spricht und bezeichnet in Vers 7 die ttt^/zJ als
„ffirjv 7r^//}v'; sie kann also ihr Wasser nicht aus einer anderen Quelle
heziehen. 2. Vers 5 f., das Verbot der Waschung, kann nur auf die
früher erwähnte xo/Jj^r^, nicht auf die erst in Vers 7 angeführte Ttrjyi^
gehen. Er selbst hält die Überlieferung für sehr verderbt. Er schreibt
in Vers 3 ovag f.iiv für t^^ f/eV; Vers 5flP. lauteten einst nach ihm etwa:
dllä ob utjv eiii Xovtqcc ßdlrjg xQol (.irjc dqvTriQa
/tr^Lirivrjg^ TeoTzvfig svxog eövva fied-rig'
(peiye d^ sfirjv Ttijyrjv jULad/LiTzeÄor^ evd-a l\leXd(.i7tovg
Xovoa(.i8vag Xvaorig ngoiTLÖag dQTe}dag
TtavTi y,ad-aQjiai) svLipev aTtOKQijcpo)^ ai gd t dn 'JdQyovg
ovQ€a TQTjyeLTjg rjXui^ov J4Q'/.adl7jg.
Das hieße mit den Worten Roberts: Durstiger Hirte, mach' Halt,
trinke von der y,Qfjvrj und laß auch deine Herde Halt machen; miß-
brauche aber das Wasser nicht zum Waschen und schone den Becher,
da er das Gerät des lieblichen Trankes ist; fliehe hingegen meine
rebenfeindliche 7rr^//J, wo Melampus die Proitiden, während sie sich
gerade zufällig badeten, mit jedem geheimen Heilmittel vom Wahn-
— 106 ~
sinn frei wusch (oder: mit jedem geheimen Heilmittel des Wahnsinns
freiwusch).
Es ist Roberts Verdienst, die Schwierigkeiten des Epigramms
klar aufgezeigt zu haben. Seinen Rekonstruktionsversuch aber nennt
er selber nur „einen Vorschlag oder richtiger eine Reihe von Vor-
schlägen, die aber doch durch schärfere Formulierung einzelner Fragen
das Problem fördern werden''. Und tatsächlich muß ja die Annahme
einer so weitgehenden Textesverderbnis schon an und für sich nach-
denklich stimmen und das um so mehr, als Isigonos und Vitruv fast
überall die gleichen Lesearten bieten; scheint doch sogar die Haupt-
variante APr^AEH^ und APFEMEIA^ in Vers 8 auf den gleichen
Ursprung zurückzugehen. Es müßte demnach schon Isigonos oder aber
seine und Vitruvs gemeinsame Quelle jene Korruptelen enthalten haben.
Was nun die Einzelheiten betrifft: Den Gegensatz zu uev in
Vers 3 bildet dlXd in Vers 5 ; die beiden Glieder Vers 5 f. und Vers 7 ff.
sind durch (-ii]re — öe verbunden. Das ist alles recht ungeschickt, denn
1. der von Reichel und Wilhelm mit Recht geforderte und durch 'die
Stellung des i^iev in Vers 3 vorbereitete Gegensatz von /.qt^vti und Ttr^yi^
wird durch die eingeschobenen Verse 5 f. vollständig verdunkelt; 2. der
Platz des fuv zwischen r^g und aTtö ytQi^vr^g^ der, wie gesagt, jene
Gegenüberstellung erwarten ließe, paßt schlecht zu der tatsächlichen
Gegenüberstellung von ägvoai . . . ovrioov und //^T£ ßdkrjg . . . <peiye Se;
3. die Verbindung mit f^it^Te . . . de selber ist hier hart, weil das erste
Glied, das Verbot der Waschung, auf die x^/jt^r^, das zweite aber, die
Aufforderung zur Flucht, auf die yrr^/yj geht. Die Sache wäre sofort
in Ordnung, wenn man Vers 5 f. striche; ich schlage das nicht vor,
ich führe es nur an, um das Gesagte zu verdeutlichen. Durch die
Konjektur aväg iuev wird bei der von Robert als möglich anerkannten
Belassung von f^itjve . . Se nur der zweiten, bei Annahme des Schluß-
vorschlages Roberts (f-iriTe . . f^n^ze) nur der zweiten und dritten Härte
abgeholfen. Es ist nicht zu wundern, wenn Roberts sonst so klare
Darstellung in diesem Punkte etwas Unbestimmtes bekommt. Er sagt
S. 175: „daß in dieser Gegenüberstellung von Laufbrunnen /.Qrivrj und
Quelle Ttr^yj^ die Pointe des Epigramms liegt .... haben Reichel und
Wilhelm erkannt," schlägt dann ordg vor und fährt fort: „Also wird
hier der Gegensatz zur 7criyri noch nicht erwähnt, wie man vielleicht
erwartet hätte" . . . nun „ist die Stellung des f.i£v , dem das dXld der
5. Zeile entspricht, ganz in der Ordnung; denn es handelt sich zunächst
noch nicht um den Gegensatz von XQrivri und ^r^y/J, sondern um den
von Erlaubnis und Verbot". Besser entspräche, hielte ich überhaupt
eine Änderung für angezeigt, die Heckersche Konjektur i^r) tvotI
— 107 —
XovTQcc atL; denn dann würde das Epigramm besagen: Aus der XQi^vri
trinke und tränke deine Herde, doch wasche dich nicht an ihr; die
Ttrjyt] aber fliehe. Freilich bleibt auch hiebei ein irrationaler Rest.
Zu i'vrog in Vers 6 erwähnt Robert selber, daß es nur durch
eine Archilochos-Stelle zu belegen sei. Nehmen wir an, es hätte einst
wirklich hier gestanden: würde man nun nicht die Anordnung der
^Gedanken eigentümlich linden? 1. Schöpfe dir einen Trank, 2. Lass'
deine Herde trinken, 3. Wasche dich nicht, 4. Beschädige nicht das
Schöpfgefäß. — Mit lovaaf^isvag (Vers 8) brächte das Epigramm etwas
ganz Zufälliges, eine nebensächliche Bemerkung, es bezeichnete ,.die
Situation, in der sich die Proitiden befanden, als Melampus seine
Zeremonie mit ihnen vornahm" (S. 180). Und könnte das Wort über-
haupt bedeuten: während des Bades? — Zu ol /a^, der leichtesten
Änderung, die bisher für das überlieferte ayag vorgeschlagen \^Tirde,
bemerkt Robert, es sei hier weder die Kausalpartikel an ihrem Platze,
noch sei es stilgerecht , daß eine so nebensächliche Bemerkung in
einem Hauptsatze stehe. Das zweite ist richtig, nur ist, denke ich,
mit Roberts erweiterndem Relativsatz wenig geholfen. FdQ könnte
erklären, wie Melampus in Lusoi die Sühnung vornehmen konnte: die
Proitiden waren nämlich von Argos nach Arkadien gekommen.
Zu all dem tritt aber eine inhaltliche Schwderigkeit, die auch
Robert in seinen Schlußbemerkungen anerkennt. Er identifiziert
nämlich ein in Lusoi aufgedecktes Brunnenhaus mit der XQrivri des
Epigramms und fährt fort: ,.Es bezog also der Brunnen des Tempel-
bezirkes sein Wasser aus dem verhängnisvollen Quell, und es war zu
befürchten, daß sich der an diesem haftende Aberglaube auch auf
jenen übertragen würde. Diesen Aberglauben im Keime zu ersticken,
ist die Tendenz des Epigramms. Indem man die Schädlichkeit des
Quellwassers uneingeschränkt zugibt, verlangt man auch für die in
Form einer Einladung gekleidete Behauptung, daß das Wasser des
Brunnens durchaus zu empfehlen sei, unbedingten Glauben, ohne daß
man sich die Mühe nimmt zu erklären, durch welchen Prozeß das
Wasser auf dem Wege von der Höhle zum Heiligtum seine magische
Kraft verloren habe. Man rechnet eben auf gläubige Gemüter." Wir
wissen nicht, wie weit die XQrivt] von der Ttriyt] entfernt war. Nach
dem Gedichte, das von beiden Punkten spricht, möchte man auf ziem-
liche Nähe schließen, möchte glauben, daß der griechische Leser von
der XQrivri aus die ^riyrj^ vor der er gewarnt wird, wenigstens sehen
konnte. Hiezu würde Vitruv stimmen, der das Epigramm — die
Stelle ist im folgenden ausgeschrieben — in oder bei der Höhle, aus
der das Wasser fließt, also in unmittelbarer Nähe der ttt^^/J eingegraben
— 108 —
sein läßt. Freilich ist diese Angabe, wie Robert bemerkt, nicht un-
bedingt vertrauenswürdig. Mag aber die Distanz auch größer sein,
jener von ihm geforderte Glaube setzt recht naive Gemüter voraus.
Wenden wir uns nun zur Überlieferung.
Steph. Byz. s. V. J^^av/a berichtet: Evdo^og de — der Knidier —
€v ^'xtT] yr^g TCeQioöou q)7jalv' eon XQrivrj zfig ^^aviag^ ^ rohg yevaauevovg
xov vdarog Ttotel ^irjöi rrjv dojiirjv xov oYvov ävexeod-aiy elg f]v
XeyovoL MeldfiTtoda, ots rag IlQOiTidag exäd-ai^ev, ei-ißaXelv xa
äTtozad-dQi-iaTa. Vgl. Plinius n. h. XXXI, 16: Vinum taedio venire
US, qui ex Clitorio lacu hiherint, alt Eiidoxus.
Athen. II, 43 f.: (DvXaQyog de (pr^öiv ev KIeItoql elvai XQi^ivriv^ dcp
rjg Tovg Tiiowag ovx ävex^od-ai tijv tov oYvov oS^t^v.
Isigonos Nie. bei Westermann Paradoxogr. 186: ^Ev KleiTOQioig
df. Trig ^Q'/MÖlag XQi^vrjv cpaalv elvai ^ d(p Jjg tovg Ttivovxag fiioelv
xhv oivov, eTtixexccQdx^ai de eTt aiTrig eTilyQafiua roLÖvöe'
MyQÖra atX.
Vitruv VIII, 3, 21: Arcadia vero civitas est non ignota Clitoriiy
in cuius agris est spelunca profluens aqua, e qua qui biberint fiunt
abstemii. Ad eum autem fontem epigramma est in lapide
inscriptum hac sententia versibus Graecis, eam non esse idoneam ad
lavandum sed etiam inimicam vitibus, quod apud eum fontem Melampus
sacrificiis purgavisset rabiem Froeti filiarum restituissetque
earum virginum mentes in pristinam sanctitatem. Epigramma autem est
id, quod est subscriptum: MyQika xzl. bis Vers 9 d7töxQvq)ov.
Ovid Metam. XV. 321 ff.:
ClitoHo quicumqiie s'itim de fönte levarit,
vina fugit gaudetque meris abstemius undis,
seu vis est in aqua calido contraria vino,
sive, quod indigenae memorant, Amythaone natus,
Proetidas attonitas postquam per Carmen et herbas
eripuit furiiSy purgamina mentis in illas
mersit aquas odiumque meri permansit in undis.
Die inhaltlichen und, wie durch den Druck hervorgehoben ist,
nicht selten auch wörtlichen Übereinstimmungen dieser Stellen erweisen
zwischen ihnen ausgesprochene Quellenverwandtschaft. Engste Zu-
sammengehörigkeit besteht zwischen Eudoxos und Phylarchos, zwischen
Isigonos und Vitruv. Ovid weist starke Berührungspunkte mit Vitruv
und Eudoxos auf. Der Hauptsache nach ist es also eine einzige
primäre Quelle, auf die unsere Nachrichten zurückgehen; diese laß
— 109 —
sich über Theophrast i), der ja auch bei Plinius XXXI, 13 f. erzählt:
In Lusis Ärcadiae quodam fönte mures terrestres vivere et conservari
(ähnlich Theopompos, vgl. Jahreshefte IV, 5), zurückverfolgen bis
Eudoxos von Knidos, also tief ins vierte Jahrhundert hinein. Den
stärksten Gegensatz hiezu bietet das Epigramm des Isigonos und des
Vitruv, das ja direkt zum Trinken auffordert. Aus diesem ist aber
nicht einmal die Inhaltsangabe geschöpft, die Vitruv von ihm gibt,
man müßte denn annehmen ^ daß er einerseits dessen erste vier Verse
vollständig vernachlässigt habe, anderseits seine Übereinstimmung mit
Ovid, der das Epigramm nicht benützt, ein merkwürdiger Zufall sei.
Diesem Sachverhalt steht aber ein anderer entgegen: Zwischen
dem Gedichte und der sonstigen Überlieferung herrschen auch sehr
enge Beziehungen; letztere gibt zum Teil nichts als Entlehnungen
oder direkte Übersetzungen des Epigramms. Das sehen wir schon bei
Eudoxos und Phylarchos. Deren Worte z^/Jv^, fj . . . Ttotel /htjös rrjv
ÖGfir^v Tol ol'vov ävexead-ai und }CQi]vriv^ äcp fjg Tovg Ttiovvag ovz
ävexeod-ai ttjv tov ol'vov ddjiirjv scheinen, wie lange erkannt, eine
Übertragung von Ep. Vers 5 f. firj oe zal avQirj Ttrjinrivrj TeqTtvrig eviög iovra
l-ie^ijg zu sein. Die avQr^ xeQTCvrig f^dd-rig findet an den (.led-rig evtodeeg
avQat des Nonnos, Dionys. XIV, 416, XVI, 111, wie ich gegen Robert
S. 175 f. glaube, eine entsprechende Parallele; auch der metonymische
Gebrauch des Wortes ined^vi bietet keine Schwierigkeit, wie denn auch
Robert selber den Ausdruck in seiner Rekonstruktion mit „erfrischender
Trunk'' übersetzt. Aber allerdings ist dabei evuog eövva ebenso un-
verständlich ^^ie die Konjektur evrög lövia^ und jener Sinn der Phrase
mit dem übrigen Gedichte vollständig unvereinbar.
Eudoxos 'AQrivri . . . eig i]v bis d7to'Aa3-äQ(.iaTa entspricht Ep. Vers 7
bis 9. In beiden Fällen die Sage von Melampus. Er entsühnt die
Proitiden: ey.dd^aiQev sagt Eudoxos wie sacrißciis purgavisset rabiem
Vitruv und ^J>er Carmen et herbas eripuit furiis Ovid. Im Epigramm
lesen wir loidäf-ievog kvaor^g n^oiiidag dQveiieag^ wobei XvoGr^g recht
hart von aQvefieag abhängt, kovodf-ievog singulär etwa in der Bedeutung
gebraucht ist: er ließ sie für seine Zwecke ein Bad nehmen. Man wünschte
lieber /.voä/nevog. Das ungeschickte koi^odfievog könnte seinen Ursprung
späterer Sucht verdanken, unter allen Umständen auf den Namen yiovGoi
anspielen zu wollen, der doch im Epigramm gar nicht erwähnt wird.
Nach der Reinigung wurden die aTioxa^dQ^iara nach alter Sitte
ins Wasser versenkt: einßakelv rä dTtoxad-dQfiara Eudoxos, purgamina
^) Vgl. Rusch, De Posidonio Lucreti Cari auctore S. 23ff., dessen Ausfühningen sieh
zum Teil auf Rose, Aristot. Pseudepigr. lOft'., 280 und Rohde, Acta soc. phil. Lips. I, 25 ff.
gründen.
— 110 —
mentis in illas mersit aquas Ovid. Dasselbe meint das Epigramm mit
Vers 9: Tcdvra '/a&aQiubv e'/.o\pev aTtöxgvcpov; aber sxoipev ist unpassend
und es etwa durch den Hinweis „auf das Sühnopfer, das Ferkel" zu
erklären, ..mit dessen Blut die Proitiden auf einer de Witteschen
Gemme benetzt werden" (Robert, S. 181; Wiener Vorlegeblätter,
B IV, 4), bedenklich; denn dadurch käme ein der Überlieferung
Ovids fremder Zug in das Gedicht. Am ehesten könnte man sich bei
einer der vorgeschlagenen Konjekturen (eßaxpsv, e/.QvxpEv) beruhigen.
Des Isigonos ^iiaelv tov olvov mag auf Ep. Vers 7 LuaduTtelov
zurückgehen. — Vitruv übersetzt angeblich das ganze Epigramm, in
Wirklichkeit aber nur Vers 5 ff., und auch, dabei übergeht er Vers 5 f.
^/?J oe bis f^ie&^]g und Vers 9. MioäiiTteXov ist durch inimicam vitibus
gegeben, in Vers 8 las er äQie(.ieag und vielleicht Ivodiievog.
Und nun Ovid. Daß dieser „einer anderen Version folgt wie das
Epigramm, lehren die Worte carmen et herbas^^ sagt Robert S. 181.
Aber diese sind nur eine Ausmalung der sacrificia Vitruvs und ent-
sprechen hiemit ebenso Ep. Vers 8, wie purgamina bis aquas Ep. Vers 9,
odiumque bis undis Ep. Vers 7 Ttrjyrjv iiiödiiTteXov. — Die Wirkung der
Quelle beruht nach Ovid entweder auf den versenkten dno/Md^dQuaTa
oder aber ,,vis est in aqua calido contraria vino'\ Diese dem calidum
vinum entgegengesetzte vis ist doch nur die Kälte des Wassers, dessen
kalter Hauch, die avQiy. ihr steht die reQTtvr) fied^ri gegenüber. Mit
anderen Worten: Es scheint, als ob Ovid oder dessen Quelle auch die
Elemente von Ep. Vers 5 f. jut^ oe %tX. in irgend einer Verbindung
vorgelegen hätten. So paraphrasiert denn Jacobs, Animadv. in Anth.
Graec. III, 1. 405 die Stelle: cave ne^ cum vini calorem visceribus
conceperis ^ hac aqua laveris, ne te vel sola aura, inde afflans^ male
afficiat/'' nur daß dieser Sinn für unser Epigramm nicht paßt (Robert
S. 176).
Dasselbe Verhältnis der Gegensätzlichkeit und der Überein-
stimmung nun, das zwischen dem Epigramm und den sonstigen Xach-
richten über das heilige Wasser von Lusoi besteht, muß auch zwischen
ihm und deren primärer Quelle herrschen: Eudoxos lag das Gedicht
in einer Form vor, die sich der Fassung Isigonos -Vitruv enge anschloß,
aber auch wieder von ihr wesentlich verschieden war. Es fehlte ihm
vor allem der erste Teil des Isigonos-Epigrammes (Vers 1 — 4j. Das
zeigt nicht nur sein Inhalt, sondern auch ein zeitliches Moment. In
seiner jetzigen Gestalt gehört das Gedicht, wie von Preger aus-
gesprochen, von Reichel -Wilhelm a. a. 0., S. 4 durch den Hinweis auf
Vers 2 dv ea/avidg KlEiTOQog begründet worden ist, im günstigsten
Falle erst dem Anfange des 2. Jahrhunderts an.
— 111 —
Auf die Existenz eines solchen Gedichtes weist unser Epigramm
selber hin. In Vers 1 — 4 ist in schlichter Form ein einfacher Gedanke
ausgesprochen, der in einer größeren Anzahl verwandter Epigramme
wiederkehrt. So dichtet die Arkadierin Anyte Anth. Pal. IX, 313:
"l^ev ccTtag V7tb y.aka Sd(pvag evd-akea cpvlka
lüQaiov T äqvoai vdf^iazog ddu 7t()(.ia^
o(f>Qa TOi dod-uaivovua Ttovoig ^egeog cplka yula
diiTvavatjgy Ttvoia TVTtroueva CecfVQOv.
Ganz ähnlich Nikias von Milet (ibid. 315):
'I^eu VTc aiyelooLGLv, ercel rAueg, svd-dd^ öölva,
'Aal Tzld^ daoov itov Ttlöaxog äf-ieTeqag usw.,
und. das erstere Gedicht nachahmend, Satyros A. P. X, 13. Die z^/jvr^
Hesychie mit ihrem Ttty.gbv vdfia ruft dem Wanderer zu: ^LyriGag
dgiaat (IX, 37); die Salmakis: 'JdQvoai, ^eve, rrig 6^ am) Ttriyrig (IX, 38);
die Kathare: M/J iie d-eoevg TtaQaueißeo' Slipav dXaXycov
äiiTiavoov Ttaq F.iiot '/,al •/M7rov fjöv^ij] (IX, 374).
Die vier letztgenannten Gedichte gehören wahrscheinlich sämtlich
dem Stephanos des Philippos an. Wiederum bei Anyte (IX. 314)
bietet Hermes dem müden Wanderer einen schattigen Ruheplatz und
reines, frisches Wasser an; sie ahmt ein unbekannter Dichter des
philippischen Kranzes nach (X, 12). Wie der Hirte mit seiner Herde
in Lusoi Ttaqä Nvug^aig vdqiäoi halten soll, so auch i^ristokles,
Hermokreon, Damostratos und Timokles in Epigrammen der niele-
agrischen Sammlung an die Mficpai scpvÖQidÖEg und die Nriiddeg^
IX, 326—329.
Entsprechen so Vers 1 — 4 unseres Epigrammes einer ganzen
Menge von Gedichten und darunter auch arkadischen Stücken (Anyte)
in einem Grade, daß sie geradezu auf ein ähnliches Muster zurück-
gehen und für sich eine selbständige Quellinschrift darstellen könnten,
so bietet auch Vers 5 dlld gv f^itJT tTtl lovTqä ßdljjgxQoL nichts irgend-
wie Befremdliches. Den gleichen Gegensatz spricht Nikias A. P. IX,
330 aus :
Kqdvag evvdgov Ttagd vduaöi /ml Ttagd Nvf.i(paig
eoTaoev ue ^iucovj Iläva tov alytTtödriv.
TEv de xdQLv; le^co toi' oaov Txod-eeig d7rb xqdvag
ymI 7t le %al %oiXav xdlTtLv shov ägvoai,
7toGol de firj 7votI viTtTQa cpegeiv novGvdlhva Nvf.i(päv
öiooa, TOV vßQLGThv elg iui öegyMuevog /.tL
— 112 —
Das Baden und Waschen in '/.grivai nahe dem Heiligtum der Demeter
verbietet eine Inschrift aus Keos, I. Gr. XII, 569. Umgekehrt sagt das
auch bei Reichel -Wilhelm a. a. 0., S. 4 angeführte Epigramm Preger 12:
"Ydara ytgavdevTa ßXeTteig^ ^evE, tcov cctto
XovTQa ftiv dv&QWTtoig dßlaßri e'ffTLv i'xetv
riv de ßdXrjg y,oi?,rjg /.arä vrjSvog dyXaöv vScoq
aAQa f-tovov doXiyov xEiXeog dipdfAEvog^
avTTi^iaQ TtQLGzfiQEg ETtl x^ovl öaiTÖg ddowEg
TtiTtTovaiv yEvvwv ogcpavä ^evvEg töri.
Vgl. A. P. IX, 392 'JdSrikov
El' Tig dTvdy^aöd^aL /nev dzm, d-avaTOv ö^ ETtid-vf-iEL^
£^ 'legäg 7t6kE(x)g xpvxghv vdcoQ TCihco.
Ist aber bisher alles verständlich und reichlich belegbar, so tritt
nun plötzlich mit Vers 5 f. fii^ ae ... jus^rjg ein Finalsatz ein, der an
Klarheit alles zu wünschen übrig läßt, der höchstens verständlich wäre,
wenn mit ihm das Epigramm schlösse. Denn dann könnte er bedeuten;
Damit dich nicht schon ,.der kalte Hauch", oder aber ,.ein Lüftchen"
schädige, wenn du im erquickenden Bade bist. Aber wie eigentümlich
wäre auch da der Gebrauch des Wortes f^Ed-rj. Und nun folgt in
Vers 7 die nach dem dXXd harte Anknüpfung mit de-, die Aufforderung:
Fliehe meine rebenfeindliche Quelle, von der y.Qi]V7^ gesprochen, deren
Wasser durchaus nicht rebenfeindlich ist; mythologische Gelehrtheit,
die weder an und für sich, noch auch in der Form, in der sie auf-
tritt — der Gleichklang lovad/nEvog Ivootig mit dem merkwürdigen
XovaduEvog, das harte dgrEjueag mit seinem eigentümlich gestellten
Objekt IvGGTig, das unerklärbare e'yioipEv — zur Einfachheit von
Vers 1 — 5 passen will; endlich in Vers 9 f., mit ai ydg oder ähnlichem
angeknüpft, eine Erläuterung, die wie ein spätes Anhängsel aussieht,
bei Vitruv auch mrklich fehlt.
Das Gedicht besteht also aus zwei verschiedenen Teilen, Vers 1—5
XQol und Vers 5 firj bis Schluß, die nur mit Mühe durch jui^te—öe zu
einer Einheit zusammengeschweißt sind. Der erste Teil stellt eine
wirkliche Inschrift dar, die ursprünglich auf irgend einem Brunnen
im Grenzgebiet von Kleitor stand, möglicherweise, aber durchaus
nicht notwendig, in Lusoi, sicher nicht an der heiligen Quelle. Gegen
letzteres sprechen der Volksglaube, der gerade das Gegenteil vom
Epigramm fordert; und die sonstige Überlieferung, die das Gedicht
nicht kennt. Auffällig wäre auch, daß hier im Gegensatze zu ander-
weitigem Brauche (Jahreshefte VIII, S. 12) direkt zum Tränken des
— 113 —
Viehs an gottgeweihtem Wasser aufgefordert würde. Die Inschrift
kann ebensogut erst dem zweiten Jahrhundert vor Christus angehören
als auch in die Zeit der älteren meleagrischen Epigramme hinauf-
reichen.
Den zweiten Teil des Epigrammes und das Isigonos-Gedicht als
Ganzes kann man sich vielleicht in folgender Weise entstanden denken:
Auf dem Stein in der heiligen Höhle war ein altes Epigramm ein-
gegraben, das mit dem Volksglauben in Übereinstimmung stand. Es
wurde von Eudoxos benützt und als Beweis für seine Überlieferung
von der y,Qiivri angeführt, ohne beigeschrieben zu werden. Mit der Zeit
war es schwer lesbar oder fast unleserlich geworden. Da wurde im
zweiten Jahrhundert mit Benützung der spärlichen noch erkennbaren
Reste und des aus literarischen Quellen bekannten Quellepigramms
Vers 1—4, so gut es ging, ein neues Gedicht hergestellt. Anlaß zur
Verknüpfung dieser beiden Bestandteile gab die geographische Angabe
in Vers 1, die vielleicht erst jetzt auf Lusoi bezogen wurde. Zweck
des Epigramms mag gewesen sein, in einer Epigramm- oder Paradoxen-
sammlung zu prangen. Daß sein Sinn vollständig unklar ist, wird
durch dessen Entstehung verständlich. Dieses Gedicht nun wurde von
Isigonos und Vitruv für das eTtlyQaiiina gehalten, das sie in ihrer
alten Quelle erwähnt fanden, und ohne Rücksicht auf die sonstige
Überlieferung beigeschrieben. Es liegt uns demnach hier, wenn auch
nicht derselbe, so doch ein ähnlicher Fall von Erweiterung vor, wie
sie von Wilamowitz , Gott. Nachr. 1897, 306 und Wilhelm, Jahres-
hefte II, 227 auch für andere Epigramme erwiesen ist.^)
^) Es möge hier eine Yermutuug W. v. Harteis Platz finden, die mir vor Jahnen mitgeteilt
wurde, daß nämlich auch das sprachlich wie inhaltlich höchst eigentümliciie .Koroibos-
Epigramm A. P. VII, 154 die Erneuerung einer alten halb verwischten Inschrift darstelle.
Wiener Eranos.
Eine Brunneninsclirift
aus Adamklissi (Dobrudscha),
Von
JAKOB WEISS.
Die Dobrudscha ist das Land zwischen der untersten Donau etwa
von Rassova an und dem Schwarzen Meere von den Donaumündungen
bis zur Batovabai. Der größere (südliche) Teil dieses Gebietes ist ein
Plateau von 100 bis 200 m Meereshöhe, das zur Donau und dem Pontus
meist steil abfällt. Die Oberfläche bildet eine Lößdecke, unter welcher
die horizontalgelagerten Schichten der bulgarischen Kreidetafel liegen.
Wie im Altertum ist auch heute dieses Land waldlos, da einerseits
der Löß dem Wald abhold ist, andrerseits die höchstens 500 mm
erreichende jährliche Niederschlagsmenge für sein Gedeihen zu gering
ist. Größere rinnende Wässer fehlen, das Wasser sinkt in den Boden
und kommt erst an den tiefen Stellen des Plateauabfalles in größerer
Menge zum Vorschein. Daher ist die Bevölkerung fast ausschließlich
auf den Gebrauch von Schachtbrunnen angewiesen, die oft auf dreißig
und mehr Meter in die Tiefe getrieben werden müssen, bis der tief-
liegende Grundwasserspiegel erreicht wird. Nur wenige Orte in den
fast immer trockenen Tälern haben den Vorzug einer Quelle. Diese
kurze Skizze^) der heutigen Wasserverhältnisse der Süddobrudscha soll
das Milieu kennzeichnen, in welches die Inschrift gehört, deren Be-
sprechung wir uns nun zuwenden.
Sie ist von Prof. Tocilescu in Bukarest der französischen Akademie
im Jahre 1905 mitgeteilt worden und wurde ohne weiteren Kommentar
■') Genaueres über die physische Geographie des Landes in alter und neuer Zeit in
meiner demnächst erscheinenden historischen Landeskunde der Dobrudscha. (Zur Kunde der
Balkanhalbinsel. Reisen und Beobachtungen. Hgb. von C. Patsch.)
#►
— 115 —
publiziert. ^) Herrn Prof. Tocilescu verdanke ich einen Abklatsch, nach
dem ich die untenstehende Kopie mittels Pantograph hergestellt habe.
Die Inschrift stammt aus dem römischen Municipium Tropaeum, unter-
halb des Dorfes Adamklissi im Tal von Urluja gelegen, 18 A-m (Luft-
linie) südlich von Rassova a. D. Auf der Plateaufläche, in die das Tal
eingeschnitten ist, liegt die Ruine des großen Siegesdenkmales, welches
Kaiser Traian nach dem endgültigen Siege über die Daker dem Mars
ültor an jener Stelle geweiht hat, an der — nach den glänzenden
Untersuchungen von Cichorius'^) — die Römer unter der Regierung
Domitians eine vernichtende Niederlage durch jenen Feind erlitten
hatten. Im Jahre 109 n. Chr. war das Denkmal nach der Weihinschrift*)
vollendet und die nach dem Ausweis der in Tropaeum gefundenen
Inschriften lateinische Gemeinde drunten im Tal, wo man dem
Grundwasser näher war, wohl gleichzeitig konstituiert worden. Schon
115/116 n. Chr. setzen die Traianenses Tropaeenses dem Kaiser eine
Ehreninschrift. *)
H PHBACI
AICCHVI
nEPTHCEV
YAATOCHno
AlCTPonPI
CILUNEYXfC
XAPlN
Besonders auffällig ist zunächst, daß die Inschrift, eine offizielle
Kundgebung der sonst lateinischen Gemeinde, in griechischer Sprache
l)gefaßt ist. Ich gebe hier die Umschrift:
^'Hqti ßaai\kiaari v\716q Tf^g Ev\Qi]Oewg tov \ vdavog f) 7t6\hg Tqoti:€i\
olcüv evyT\g \ yccQiv.
In der zweiten Zeile ist nach dem v noch eine Hasta eingehauen.
Der Steinmetz hat wohl den begonnenen Buchstaben 11 nicht aus-
') Comptes rendus de l'academie des insc. et belies lettres, 1905, 565.
") Die röm. Denkmäler in der Dobrudscha. Berlin (Weidmann) 1904.
') CIL III 12467.
*) CIL III 12470; vgl. Arch. epigr. Mitt. XVII, 106 f.
8*
— 116 —
geführt, da der Platz für die ganze Silbe tveq — die Inschrift hat
durchwegs Silbentrennung — nicht gereicht hat. In der ersten Publikation
der Inschrift ist in der vorletzten Zeile die Ligatur von rj und a über-
sehen. Auffällig ist die ¥orm Hgri. Doch gibt es für den Übergang von
or zu r^ auch sonst im späten Griechischen und im Neugriechischen Belege, i)
TQOTiEiGLwv ist eine Mißbildung nach Tropaeensium.
Der Umstand, daß die Inschrift griechisch ist, läßt vermuten^
daß sie nicht den ersten Zeiten dieses als römisches Municipium
gegründeten Gemeinwesens angehört, während der Inhalt gerade das
Gegenteil zu verlangen scheint.
Die Stadt Tropaeum hat der ^'Hgr] ßaoiliaari (die griechische
Übersetzung des lat. Juno Regina ^j eine Weihung gelobt für den Fall,
daß die Suche nach Wasser von Erfolg begleitet wäre; der hat sich auch
eingestellt und diese Weiheinschrift bildet die Erfüllung des Gelöbnisses.
Das Suchen nach Wasser ist aber doch wohl eine Sorge, die nur eine
entstehende Gemeinde drücken kann. Gerade in der Dobrudscha, wa
Quellen und rinnendes Wasser auf Meilen hin fehlen, mußte jederzeit
bei Anlage einer Siedlung zuerst das Hauptaugenmerk auf die Wasser-
beschaffung gerichtet sein.
So kämen wir auf einen Widerspruch : Die Sache, um die es sich
in der Inschrift handelt, gehört aus praktischen Gründen in die Ent-
stehungszeit von Tropaeum, die Inschrift selbst aber infolge des offiziellen
Gebrauches der griechischen Sprache nicht in diese, wofür auch die
späten Buchstabenformen und die Dürftigkeit der Urkunde sprechen.
Aber dieser Widerspruch verschwindet, wenn wir eine andere
Inschrift aus Tropaeum heranziehen, die aus der Zeit zwischen 315
und 317 n. Chr. stammt: CIL III, 13734.
Bomanaesecuritatislihertatisq(ue) vifidicibHs\d(ominis) n(ostris) Fl(avio)
Val(erio) Constantino et Vfal. Licmiano] \ [Licinio] Piis Felicibiis aeternis
Äug(ustis) I quorum virtute et Providentia edomitis uhique barbararum gen-
tium populis \ ad confirmandam limitis tutelam etiam\Tropeen'
sium civitas auspicato afiindamentis \ feliciter opere constructa
est. Petr(onius) Annianm v(ir) cßarissimiis) et Jul(ius) Julianus v(ir) em(inen-
tissimus) praef(ecti) praet(orio) numini eorum semper dicatissimi.
Wir erfahren, daß die Stadt Tropaeum im zweiten Jahrzehnt des
vierten Jahrhunderts a fmidamentis, vom Grund auf, zur Verstärkung
^) Ygl. Hatzidakis, Einleitung i. d. neugriech. Grammatik, S. 86. Dieterich K.,
Untersuchungen zur Gesch. d. griech. Sprache. Byzant. Archiv I, 172 f.
^) Weihungen an diese Gottheit besonders in Verbindung mit Juppiter sind in
der Dobrudscha zahlreich. CIL III 7488. 7533. 12465. 12487 usw. Möglicherweise befand
sich am Brunnen eine zweite Inschrift für Juppiter.
— 117 —
•der Grenzwehr neu gebaut wurde. Der Feind, der seit Anfang des
dritten Jahrhunderts hier an der unteren Donau drohte und sie fast
jährlich verheerend überschritt, waren die Goten i) und einem ihrer
Züge muß, wohl am. Ende des dritten Jahrhunderts, '*) Tropaeum zum
Opfer gefallen sein. Die Zerstörung der festen Stadt war vollständig,
•da der Neubau „von Grund auf vorgenommen werden mußte. Die
Goten hatten allem Anschein nach die Absicht, eine rasche Wieder-
besiedlung des Platzes möglichst zu verhindern, und ein weiteres
wirksames Mittel zur Erreichung dieser Absicht war in der
Dobrudscha die Zuschüttung der Brunnen. Und als die Stadt wieder
erstehen sollte, da werden die herbeigezogenen Kolonisten nach dem
Wasser gesucht haben, das in der Tiefe versteckt war; denn das
spärliche, oft ganz aussetzende Gerinne im Tal von Urluja kam nicht
in Betracht. Als man den Brunnen gefunden und wieder benutzbar
gemacht hatte, setzte man an seinem Rande die Weiheinschrift an Hera.
Die neue Gemeinde hat die griechische Amtssprache eingeführt,
welche sich in jener Zeit in der östlichen Reichshälfte allgemein ein-
bürgerte. Daß sie Gelübde und Weihung an Hera richtet, ist in den
ersten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts nicht auffällig, ja in der Zeit
um 317 n. Chr. gerade zu erwarten, da der Herr des Ostens der
Christenverfolger Licinius war. 3)
*) Über diese Einfälle vorzüglich L. Schmidt, Gesch. der deutschen Stämme bis zum
Ausgang der Völkerwanderung. (In den Quellen u. Forschungen z. alten Gesch. u. Geogr.
hrg. V. Sieglin, VII).
') Eine Inschrift aus Diokletianischer Zeit aus Tropaeum CIL III 12464.
') Ein inschriftlich erhaltener Erlaß des Licinius (er liegt mir in einer Abschrift vor,
die ich Tocilescu verdanke) gebietet in dem LimeskasteU Salsovia (Norddobrudscha) und
wahrscheinlich in allen anderen die Verehrung des Mithras.
Zur griechischen Wortkunde,
Von
PAUL KRETSGHMER.
1. YJKINOO:^.
Das sogenannte Hemerologium Florentinum führt in dem Ver-
zeichnis der kretischen Monatsnamen einen Monat Paßlvd-iog auf, der
vom 24. Mai bis 23. Juni reichte.^) Dieser etwas rätselhafte Name
hat seine Aufklärung erhalten durch das in Delos zu Tage gekommene
Dekret der kretischen Gemeinden Lato und Olus, Bull. corr. hell. XXIX,
1905, S. 204f., in welchem (Z. 2) ein Monat von Lato Ba-Ktvd^Log
genannt wird: die Herausgeber der Inschrift, Dürrbach und Jarde^
haben erkannt, daß PABINQI02 nur eine (paläographisch leicht be-
greifliche) Entstellung von B^KINQIO^ ist. Daß aber letzteres für
fa'Mv&Log steht und mit ^Ya/Jv^iog identisch ist, hat schon M. Nilsson
(Griech. Feste 1392) ohne weiteres angenommen. Dabei ist daran zu
erinnern, daß das lakonische Hj^akinthien-Fest, von dem ein Monat
^YaTiivd^iog seinen Namen habeil müßte, nach der Berechnung von
Ungar, Busolt, Nilsson in die Zeit des attischen Monats Thargelion
(11. Mai bis 11. Juni), also auch ungefähr in die des kretischen Monats
Baxlvd^iog fiel.
Die Form f dytivd^og für ^Yd'/,iv&og, die sich uns so ergibt, ist
nun einer Vermutung von J.H.Voss (Virg. Georg. S. 778 ff.) günstig,
die bis jetzt eigentlich als etwas gewagt gelten mußte: er sah den
lateinischen Pflanzennamen vaccmium für das äolisch ausgesprochene
vdytLvd^og an. Die Identität der Pflanzen geht aus den Zeugnissen von
Dioskorides 2) und dem Vergil-Kommentar des Pseudo-Philargyrius
^) Tgl. Ideler, Handb. d. Chron. I, 426.
^) IV, 62, rec. Vindob. vänivd-os , 'PcofAuToi ßäxxovf^, oi ds ovaxxiviovfA.
[ovXxivovjii HADi].
— 119 —
(Georg. IV, 183 ed. Thilo i) hervor; und Voss beruft sich noch weiter
darauf, daß Vergil Ekl. 10, 39 mit et nigrae violae sunt et vaccinia
nigra den Theokrit-Vers 10, 28 ycal toYov y.eXav eorl nal ä yQaTtxh
vdycivd^og übersetzt, und daß Plinius dieselbe Pflanze n. h. XVI, 18, 31
vaccinia nennt, die er XXI, 26, 97 unter hjacinthus versteht. Natür-
lich von der äolischen Aussprache, die früher für jedes / verant-
wortlich gemacht wurde, schweigen vdv besser, und ohne die Annahme
einer volksetymologischen Anlehnung an vaccmus, wie sie schon
0. Keller, Lat. Volksetym. S. 59 aufgestellt hat, kommen wir auch nicht
durch. Aber es ist klar, daß wohl ein *vacinthus an vaccmus leicht an-
gelehnt werden konnte, aber weniger leicht ein hyacinthus.
So bleibt die Frage: wie verhält sich das mehrfach bezeugte
ßd/,ivd-og lautlich zu dem gewöhnlichen ^Ydyitv-3-og^)? Danielsson (bei
Nilsson, Griech. Feste 139) geht von der Form vamvO-og aus, die im
Kretischen als einer psilotischen Mundart uakinthos ausgesprochen
worden sei: daraus sei /aztj'^og entstanden, dadas vor Vokal stehende w-
leicht „unsilbisch" (konsonantisch) werden konnte, wofür Danielsson
auf G. Meyer. Gr. Gr.^ § 146 if. verweist. 3) Mir scheint diese Erklärung
sehr bedenklich: für einen derartigen Übergang von anlautendem va-
in fcc- gibt es in den griechischen Dialekten keine Parallele. Nach
kret.TLTvfog (Gortyn GDI. 4976), TLTovfsoS^co z=: titevso^o) (Vaxos
GDI. 5128) erwartet man eher eine Aussprache vfa-^ bei der das v
durch den folgenden Übergangslaut / geschützt war. Was G. Meyer
a. a. 0. 222 verzeichnet, sind Synizesen von v, wie sie sich aus der
Metrik ergeben und von denen die wenigsten gesichert sind
(vgl. Kühner-Blass I^ 228). Damit kann man einen dialektischen
Wandel von va in fa^ noch dazu im Wortanlaut, nicht wohl stützen.
Der nächstliegende Weg, die Erscheinung zu erklären, ist doch
wohl der, daß man sie mit den parallelen Fällen eines Nebeneinander
von anlautendem v und / vergleicht. Auf einer Inschrift von Knosos
in ionischem Alphabet GDI. 5072, die f (in e^aOTog, Y^axi) nicht mehr
schreibt, steht zweimal veqyu)v (h 5, 8) für ßeqymv. Also in einer Zeit
und einer Schrift, die den Buchstaben / aufgegeben hatte, wurde v zur
Bezeichnung von u d. i. des konsonantischen u verwendet. Ebenso ist
*) qui enim graece ht/acinthus, latine vaccinium dicitur.
*) Die Vokalisierung von'Iaxvvd-- (in 'A^rdfuri, 'laxvvd-orgöfpojc Knidos GDI. 3502.
3512, 'Iaxv\'^oiQocpioig 3501) beruht auf derselben Umstellung von v — t wie das späte Mirvh'jvr]
für Mviu/]vrj , femer Tvgivdi = TiQvvd-i auf einer attischen rotfigurigen Amphora
(Gr. Vaseninschr. 121, G. Meyer, Griech. Gr.» 154 f.).
^) Dieselbe Ansicht äußert jetzt J. Brause, Lautlehre der kret. Dialekte (Halle 1909)
S. 12f., 38, 43. Er vermutet Ba[xLv&ioi auch auf der Inschrift von Malla GDI. 5101, 40.
— 120 ~
offenbar vQeiyaXsov {cod. vQeLydhov),dieQQO)y6gILesych, d.i.fQriyakeovzu
beurteilen, und vielleicht auch l'cffföToA/j. TldcpLOL, wenn— fsGi,^)v€ordy.a'
If^ariafAog^:: feordxa. Längst festgestellt ist, daß die alte Namensform
der ionischen Gründung Elea, 'FfiA^,^) das einheimische Velia wieder-
gibt. 3) Die lonier haben also gegenüber dem ihnen verloren gegangenen
w;-Laut in Fremdwörtern ein doppeltes Verfahren geübt: sie haben ihn
entweder ganz weggelassen (Elsa, ^EXri Strab. VI, 252) oder mit v
wiedergegeben (*^Yek6a, YeAfi). Man vergleiche das analoge Verfahren in
^IvTa(peQV7]g^ alti^ers. Vi(n)da(h)farnah- and anderseits 'FaraaTTt^g ^
Vütäspa-, ^Yddqvrig^^Vidarna-j 'YQ7,avia z= Varkäna-^ wo v allerdings
«;+ Vokal wiedergibt. Als v wie ü gesprochen wurde, hat man dann
o wie für u auch für w verwendet. Daß sich so das merkwürdige
^'Oa^og hellenistischer Urkunden für das echtkretische fd^og erklärt,
hat Schulze, Kuhns Zeitschr. 33, 395, bemerkt und Beispiele für
0 = lat. V (^OaXeQiog = Valerhis^ ^OdS/Lia)v=^ Vadimo u. a.) hinzugefügt.*)
Später wird bekanntlich ov zu demselben Zweck verwendet (OödQQcov^
OvaksQiog usw.).
Nach diesen Parallelen ist es doch wohl das nächstliegende,
fdKLvd-og neben '^Ydxiv^og als die primäre Form anzusehen, die in einem
Dialekt, dem f schon verloren gegangen war^ also einem ionischen,
durch '^YduLvd'og wiedergegeben wurde. Man wird gegen diese Er-
klärung vielleicht einwenden, daß das v, wenn es Wiedergabe von f
war, nicht vokalisch und nicht aspiriert sein durfte. Allein wir
müssen uns eben den Ersatz des f durch v hier nicht als einen bloß
graphischen, sondern als eine Lautsubstitution denken,^) d. h. / ^ kon-
sonantisches u (wie engl, w) wurde durch vokalisches u ersetzt
(vgl. franz. ouest, span. port. oeste aus engl, west) und entwickelte sich
wie solches weiter, wurde also gleich jedem anlautenden v aspiriert.
^) 0. Hoffmann, Gr. Dial. I, 125, 196, 313, liest veart und erwägt Zusammensetzung
von ij-eoTi mit einer Präposition v- = im.
«) Herodot I, 167. Strab. VI, 252. Steph. Byz. s. ^E'Xm (die Betonung 'YeXi] nach
Schulze, Kuhns Zeitschr. 33, 396). Auf Münzen J^ eX(rjXE(üv) und 'YeXtjt soiv GDI. 5631.
3) Hartel, Hom. Stud.m, 36. Bechtel, Ion. Inschr. n. 172. Kühner -Blass I, 82.
Schulze a. a. 0.
*) Auch daran sei erinnert, daß Herodot IV, 110 mit o^'o'^ = ävÖQU — nach Müllenhoff,
Deutsche Altert. III, 106, richtiger oiqo- — ein skjthisches vlro- oder viro- und mit
016 ßaCog IV, 84 u. ö. ein persisches ^Vayabäzu (Müllenhoff a. a. 0.) mederzugeben scheint.
^) WennSchulze a. a. 0. in bezug auf "Oa^o ^, 'Oitv Xo g ,'OiXev g sagt, es sei das
alles nur Sache der „Schreibung" oder künstliche Anpassung fremder Formen, so hat er
wohl nicht bedacht, daß hom. dreisilbiges 'OiXevg ^^^ Ol'rvXog — -^^ -^^ mit der ersten
Alternative nicht vereinbar sind. Auch die Alexandriner haben "Oa^og, wie das von
ihnen gekünstelte OXa^og lehrt, dreisilbig gesprochen, o also als Vokal, nicht als Zeichen
für f aufgefaßt.
— 121 —
Wir können uns da nieder auf FffradTri^g Hi/staspes = i^ers. Vistäspa,
^YQxavia Hi/rcania=^Varkäna berufen. — Ein gewichtigeres Bedenken
könnte man aber aus dem hohen Alter der Form vanivd-og ableiten,
die ja viel früher ols fdyttvd-og belegt ist, nämlich vdytiv&ov IL H348,
^ay,cv-9-iv(^ äv^ei Od. l 231 = tp 158, wo es sich überall um die Blume
handelt. Der Ausweg, daß ursprünglich der Heros fd'/.Lvd-og und die
Blume id-/,ivi>og geheißen hätte und beide Namen erst später zusammen-
gefallen seien, wird durch lat. vaccinium verlegt, wenn dies in der Tat
auf ein griech. fd%Lvd-og zurückgeht. Allein daß die Wiedergabe von f
durch einen Vokal bis in die Periode des ionischen Epos hinaufreicht,
wird durch einen Fall erwdesen, den Schulze (a. a. 0. 396, A. 2), Bethe
(N. Jahrb. f. d. klass. Alt. 1904, S. 5f.) und Solmsen (K. Z. 42, 208, A. 2),
eigentlich schon Cartius. Etym.^ 574, wohl mit Recht hierherziehen:
"OiXevg ^Oikiddrig in der Ilias neben ^Ilevg bei Hesiod, Stesichoros,
^Iliddrig Zenodots Lesung iV203, ^IXiddag Pindar 01.9, 167, viXag
^iXidö rig auf einer rotfigurigen Amphora des British Museum, Journ. of
Hell. Stud. XVIII, Taf. 15, etrusk. Vilatas auf der Wand des Francois-
Grabes in Vulci, 1 1/ 1 O 5 auf einer praenestinischen Cista, Bethe a. a. 0.
Ein zweiter epischer Fall scheint der Ortsname OYrvlog im SchifFs-
katalog B bSo — Belwlog CIG. 1323, BUvXa Ptol. III, 16, 22, noch
heute in dem Bergnamen BixovXo fortlebend: nur würden wir, nach
''OiXevg, viersilbiges 'O/ry^o ff bei Homer erwarten i); wir müssen wohl
annehmen , daß diese Form in der Zeit des SchifFskataloges schon
dreisilbig geworden war.
War /«'/tv^o ff die ursprüngliche Form des Namens, so sind natür-
lich alle Etymologien hinfällig, die von "^Ydxcvd-og ausgehen, wie die
Zusammenstellung mit lat. iuvencus , skr. yuvagäs „jugendlich", und
wenn meine Ansicht zutrifft, daß der von Apollon verdrängte alte
Lokalgott v(m Amyklai der vorgriechischen Urbevölkerung entstammt
(Einleit. 404) , dann ist der Versuch einer etymologischen Deutung
seines Namens überhaupt aussichtslos,
2. zdöTWQ.
Der griechische Name des Bibers, y.darcüQ, zuerst bei Herodot IV,
109 und Hippokrates I, 476 Kühn belegt, ist etymologisch noch nicht
aufgeklärt.
^) Zwar ließe sich ^d' OhvXov df^cpBvi^ovxo leicht in xal 'OtxvXov afxcpevefAOvxo
ändern, aber es wäre dann nicht einzusehen, warum sich nicht die richtige Überlieferung
hätte halten sollen.
— 122 —
Nach 0. Schrader, Reallexikon der indogerm. Altertumskunde 85,
beruht '/,äöTtoQ auf einer Verwechslung mit skr. kastürJ ,.Moschustier".
Veranlassung dazu habe die Ähnlichkeit des stark duftenden Biber-
geils mit dem aromatischen Beutel des Moschustieres gegeben, von
dessen Bekanntschaft bei den Alten freilich sonst keine Spuren vor-
handen seien. Allein wenn der [Biber den Griechen mindestens seit
dem V. Jahrhundert vor Chr. bekannt war, der Moschus dagegen
zum erstenmal im IV. Jahrhundert nach Chr. von Hieronymus,
und zwar als muscus genannt wird (das Moschustier wird über-
haupt nicht erwähnt) , so sieht man nicht ein , wie der Biber vom
Moschus seinen Namen erhalten konnte. Hat Schrader mit Absicht
ignoriert oder nur übersehen, daß kastürl „Moschus" (denn das
bedeutet das indische Wort) bereits im Petersburger Wörterbuch
umgekehrt als das entlehnte griechische '/.aoTogeiov „Bibergeil" be-
trachtet wirdi)?
Über die Identität des Namens des Tieres mit dem des Dioskuren
pflegt man hinwegzugehen, und doch kann man sie nicht ohne weiteres
für zufällig halten, wenn man sich erinnert, daß den Hellenen, wie
ich in Kuhns Zeitschr. 33, 559 ff. gezeigt habe, die Übertragung von
Personennamen auf Tiere so wenig als anderen Völkern fremd war :
der Hahn ist mit den aus dem Epos bekannten Heroennamen J^Aezrw^
3äXey.TQiiov (Od. d 10 , IL P 602) belegt worden . weil deren Grundbe-
deutung „Kämpfer" zu der kampflustigen Natur des Vogels paßte.
Der Affe wird nach seiner OL^örrig ^ifAiag = lat. simia genannt oder —
Tcar ev^riJLiiOjubv rijg dvzicpQcioecog — KaVJag. Für den Esel ist die Be-
zeichnung Msjiivwv überliefert. 2) In diesen Zusammenhang fügt sich
KdoTOQ =: Biber gut ein , und es bleibt nur zu ermitteln , warum ge-
rade dieser Heroenname auf das Tier übertragen wurde, d. h. das
tertium comparationis zu finden. Ich kann da nur eine Vermutung
geben.
Die Griechen haben den Biber, der in ihrem Lande nicht vorge-
kommen zu sein scheint, nicht zum wenigsten wegen seines Drüsen-
sekrets, des Bibergeils, /MGTOQetov, geschätzt, das im Altertum me
noch heute als Medikament gegen Krämpfe u. a. verwendet \^Tirde.
Schon die ersten Autoren, die den Biber erwähnen, Herodot und Hippo-
krates, sprechen davon. Nach Herodot IV, 109 benutzten die Budinen
(im südlichen Rußland) die Hoden des Tieres, die die Alten irrig für
den Sitz des Bibergeils hielten, zur Heilung der Gebärmutter (ig vove-
^) Ebenso Uhlenbeck, Etym. Wo. d. altind. Sprache 50. Bei Leumann fehlt das Wort.
^) Lycaon für eine äthiopische Wolfsart (Plin., Mela) ist wohl eine gelehrte Benennung.
— 123 —
Qe((jv äxeoiv) , und dieselbe Verwendung kennen Hippokrates, Plinius
und Galen (vgl. Wellmann in Pauly-Wissowas RE. unter Biber). Ander-
seits sind die Dioskuren ihrer Xatur nach in erster Linie owvriQeg,
Retter und Schützer der Bedrängten, und daß sie insbesondere auch
den Frauen sich hilfreich erwiesen, hat man in neuerer Zeit aus
mehreren Anzeichen geschlossen. So hat Fr. Marx (Athen. Mitt. X,
1885, S. 194) in einer Marmorgruppe aus Sparta die beiden Gestalten,
die einer gebärenden Frau zur Seite stehen, auf die Dioskuren ge-
deutet und weiter darauf hingewiesen, daß in Sparta wie in Argos
das Heiligtum der Dioskuren in der Nähe des Tempels der Eileithyia
lag, und daß nach Varro bei Gellius XI, 6 in älterer Zeit der Schwur
bei den Dioskuren , später nur der bei Kastor (mecastor) den Frauen
vorbehalten war. Bethe (Pauly-Wissowas RE. V, 1095) erinnert an eine
Weihinschrift aus Akrai, in der die Geburtsgöttin Kalligenia, Kastor
und Pollux (letzterer ergänzt) zusammen genannt werden. So darf man
wohl wenigstens die Frage aufwerfen, ob in dieser Richtung das Motiv
für die Bezeichnung des Tieres mit dem Namen des hilfreichen Heros
zu suchen ist.
3. J ieazovQidriQ.
Die Erwähnung der Dioskuren mag uns hinüberleiten zu der
Namensform zJLea%OQiddeo) einer thasischen Inschrift, die ich früher
(bei E. Jacobs, Athen. Mitt. XXII, 1897, S. 126 f.) besprochen habe.
Sie ist dadurch merkwürdig, daß sie für das Griechische einen Genitiv
Sing, auf -65, Jtig^^Jiös bezeugt, der dem lateinischen auf -es, -is (alt-
lat. Apolones) entspricht. Jieg : Jiög — Jovis : Diovo(s) (CIL. XIV 2863).
Nun ist aber die thasische Inschrift nur durch Cyriacus von Ancona
überliefert, also ein etwas unsicheres Zeugnis , und ein zweites daher
sehr erwünscht. Ein solches liefern die roTroff-Inschriften des Gym-
nasiums von Priene , Inschr. v. Priene 313, 67: z/ieG'/.ovQidov neben
sonstigem JcoGytovQidov.
Ein weiteres Zeugnis hat Schulze, Quaest. ep. 79, A. 2, erschlossen
aus amorg. Jueivvoog GDI. 5349=^^if(xrt'(J0 5 neben thess. Jcövvvoogy
lesb. Zovvvaog, hom. Jicovvoog (boi. JuovovGog) aus *Ji6Gvvaog. Für
letztere Annahme, daß aus *z/wGvvGog hom., d. i. ion. JicovvGog^ nicht
*Jiovvvaog entstanden ist, kann jetzt das auf einer lesbischen Inschrift
in Delos zutage gekommene owa = lovi] (Bull. corr. hell. XXIX, 1905,
S. 210 f., Z. 17, 21j geltend gemacht werden. Denn dieses aiol. ovvä
macht im Verein mit skr. vasndm ;, Kaufpreis" wahrscheinlich, daß ion.
— 124 —
att. Covri, hom. wvog aus */o(Jva, ^föavog hervorgegangen sind; eine
Grundform ^fcoavoL hätte wenigstens keinen Anhalt. ')
Also in den Götternamen *JieoxovQOL und *JLeavuaog scheint sich
vereinzelt ein alter Genetiv auf -eg erhalten zu haben, der sonst über-
all durch die Ablautsform mit o (-og) verdrängt ist.
^) Man wird vielleicht an ion. att. wfios „Schulter" erinnern, das Solmsen, K. Z. 29,
62, auf *cu jM ö o ^ neben "^öf^aog in aiol. snof^f^adiaigj skr. dmsa-, got. amsa, hii. umerus
Mmhr.onse zurückgeführt hat. Allein es wird mir jetzt zweifelhaft, ob nicht auch w/nog
auf das im Aiolischen und in allen verwandten Sprachen vorliegende ^'ömsos zurückgeht.
Wir müssen dann eben annehmen, daß in jener älteren Periode, in die diese Ersatzdehnungen
hinaufreichen, o auch im Ionischen nicht geschlossen, wie später, sondern noch offen war,
wie in den meisten übrigen Dialekten, und daher zu w, nicht ov gedehnt wurde.
Parerga.
Von
ADOLF WILHELM.
Zwei Stellen des von Th. Wiegand und U. v. Wilamowitz in den
Berliner Sitzungsberichten 1904, 917 veröffentlichten Gesetzes aus
Samos über die Beschaffung von Brotkorn aus öffentlichen
Mitteln scheinen mir, wie ich in meinen Beiträgen zur griechischen
Inschriftenkunde S. 315 andeutete, bisher nicht völlig richtig erklärt.
Es heißt Z. 27 ff. :
TÖ di VTtEQoiQOv äqyvQLOv^ eä(.i f.iiv /tirj S6§rii rcot drp
ucoL oiTcovetv , TriQEiTcoaav avrol {.dxQi otov f'cEQOt aTtoÖEi-
yßüoiv BTcl Tov aiTOv ' elrev ÖLayQacpeTwaav syteivotg. häv 6e
30 dö^TiL OLTwveiv , dnoÖLayqacpeTCjaav rcaQaxQfifia tml 7.e-
XeiQOTOvriuevwi oiTcovrj ' Izuvog Si äyoQa^iTO) rov al-
Tov xhv ex Tfig 34vaielriSog xcoqag ov tqottov av vo/ulCr]
XvöLTeXioraia xaTaaTTJaeLv r^t Ttölei^ iäii f.it] tio&ev äX'ko-
&EV IvaiTEkioTEQOv (paLvritai zcül Srif^icjL gltcoveIv.
Der Satz Z. 31 f. wird folgendermaßen übersetzt : „Der erwählte Korn-
käufer soll das Getreide aus der Landschaft von Anaia einkaufen,
so wie er es der Stadt am billigsten einzurichten glaubt; es sei denn,
Üaß der Demos es irgendwo andersher billiger bekommen zu können
glaubt." Th. Thalheim ist in seiner Erläuterung des Gesetzes, Hermes
XXXTX 604 ff., auf die Worte ov tqottov av vo/hi^t] IvoLTElearaTa xara-
GTi^aeiv Tru tzoXel (nämlich xbv oItov) nicht eingegangen, ebensowenig
H. Francott ein der kurzen Inhaltsangabe in den Melanges Nicole p. 151.
Die Redensart begegnet noch an einer zweiten Stelle, Z. 47 ff. :
yivea^co Si, eäv öo^riL, y.al jLtiad-ioaig tov aQ-
yvQlov TOV i'A TOV TOTLOVy Eccv TLVEg ßovXwvzai VTCO&ijUa-
— 126 —
50 xa öovreg ä^iöxQea y.al diEyyvriaavreg Tcqokaßelv
xal kvoLTekeOTeqov -/.araorrioai rov attov.
„Es soll, wenn es gut scheint, auch eine Ausleihung des aus den
Zinsen erwachsenden Geldes stattfinden, falls Leute gegen Stellung hin-
reichender Hypothek und Bürgschaft das Geld vorwegnehmen und so
das Getreide nutzbringender machen wollen" . S. 928 wird diese Bestimmung
erläutert: ,.Da Zinsen gemeiniglich alle Monate bezahlt werden, die
Ankäufe aber nur einmal im Jahre , lag das Geld monatelang brach ;
daher wird den srcl rov öitov anheimgegeben, es zinstragend anzulegen,
aber auf ihre eigene Gefahr." Auch Th. Thalheim sucht, Hermes XXXIX
608, in dieser Bestimmung nur, daß die Kornverwalter das Geld nach
ihrem Gutdünken gegen die nötige Sicherheit in Unterpfand und Bürg-
schaft ausleihen. Doch scheint mir durch ein solches Vorgehen wohl das
Geld, nicht aber das Getreide nutzbringender gemacht, also der Zweck
nicht erreicht zu werden, den kvGLTeAeaTEQov xaraOTTJoai xbv olrov nach
Meinung des Übersetzers ausdrückt. Richtig hat zuerst J. Bartsch,
Griechisches Bürgschaftsrecht S. 406 Anm. 1 eingewendet, daß das eäv
Sabril auf den unmittelbar vorher genannten Demos geht und diese
Bestimmung ein anderes Verfahren zur Wahl stellt. Er glaubt ferner,
daß juloO-coais i^ov ccQyuQiov rov iy, rov ro'/iov „kaum auf ein Darlehen
gehen kann : anstatt daß diese Beamten die Zinsen eintreiben, soll der
staatliche Zinsanspruch auch wie andere Gefälle verpachtet werden
und die Korn Verwalter diese Verpachtung vornehmen". Aber auch
diese Auffassung der jLiiod-cooig tov äQ/vgiov tov £z xov toxov macht
TtQoXaßelv xal XvoLTeXiovEQOv yaraGiriaai tov oItov nicht verständ-
licher.
Eine befriedigende Lösung der bisher kaum erkannten Schwierig-
keiten hat die Feststellung der Bedeutung des Ausdruckes '/Md^iOTavai
TÖv gItov an den beiden Stellen: ov tqÖtvov av vofA.itrj XvoLTekeGraia
yaraGTriGELv (nämlich rbv gItov) T/jt 7c6XEi und mv tlveq ßovkcovTaL
TCQokaßElv nal /a'GlteIegteqov -/.axaGTr^GaL tov gItov zur Voraussetzung.
An letzterer Stelle wird erklärt: „das Geld vorwegnehmen und so das
Getreide nutzbringender machen", anersterer: „wie der Kornkäufer es am
billigsten einzurichten glaubt." Doch ist ohne Zweifel auch in Z. 33
zu zaTaGTi^GEiv , wie ich andeutete, hinzuzudenken tov gXtov und
xad-LGTavai töv gZtov an der einen Stelle wie an der anderen zu deuten:
von dem Liefern des Getreides. Denselben Ausdruck glaube ich in dem Be-
schlüsse aus Chorsiai IG VII 2383 nachweisen zu können, der von Ditten-
berger für verschollen gehalten und nach unzureichender Abschrift ab-
gedruckt, von mir im Nationalmuseum zu Athen wieder aufgefunden
(s. Jahreshefte II 236, Anm. 43) und sodann von Alex. Gaheis, Wiener
— 127 —
Studien XXIV 279 f.. in vollständigerer Lesung veröffentlicht worden
ist. Es heißt Z. 4ff.:
x/) OTtavoaiTiag yevofxevag tceqI
5 LUV x^oQav xj) täv noXitov Ttaaduyv aTtexpacpiO },ii-
V(x)V TCCV T(d GITW [d^OO]T[oX^v] TtQoixQSlOE TT] 7t6-
ki 7tovQ(dv xoipivüjg öia/.aTuos ytrj xaTeovaae
. . . . To vfi 7ti)h xrl.
Die Lücke füllt [^raQ au]TÖ , wie sonst TtaQ* avTa, tzüq aözovg rovg
xaiQOvg GDI 4568 Z. 5, Tcaga/griua. Und vMxkoxaöE kann nur den Sinn des
Lieferns haben. Nicht anders in dem Gesetze aus Samos. Der gewählte
Kornkäufer soll das Getreide aus der Landschaft von Anaia einkaufen
auf die Weise, auf die er es der Stadt am billigsten liefern zu können
glaubt, und die filaO^cüatg tov äoyuQiov rov sx, rod tÖ'/,ov soll es
denen, die dieses Geld gegen Pfand und Bürgschaft übernehmen,
ermöglichen TtQoXaßElv zort IvGireleGVEQov (als Adverbium) ytataGTrjaai
töv oItov, das Getreide billiger zu beschaffen — nicht es nutzbringender
zu machen; es fiele auch schwer, zu sagen, w^ie das Getreide durch
dieses Vorgehen nutzbringender werden soll. Und TtQoXaßElv ist nicht vom
„Vorwegnehmen des Geldes", d. h. der einzelnen Raten der Zinsen, zu
verstehen — müßte dann nicht der inf. praes. TiQo'kaf.ißdvELv stehen? —
auch nicht mit Thalheim S. 609 zu TtQoxQriGai zu stellen, sondern absolut
in dem Sinne zu fassen, den es auch im Neugriechischen ganz gewöhn-
lich hat, von einem „Zuvorkommen". Worin besteht dieses Zuvorkommen?
Das Gesetz bestimmt zunächst, daß die Ircl tov Gitov XExstQOTovrjfievoi
ävÖQEg von dem Gelde, das ihnen die ^ieIeöcovoI als Ertrag der Zinsen
des ausgeliehenen Kapitals übergeben, das Korn der Göttin, den ihr aus
Anaia gelieferten Zwanzigsten, zu einem festen Preise einkaufen sollen.
Falls der Demos den Überschuß, der, wie vorausgesetzt wird, nach
diesem Kaufe bleibt, nicht für das nächste Jahr aufzuheben, sondern
zum Ankauf weiteren Kornes zu verwenden beschließt, wird ein oiTcovrig
bestellt, der, sei es aus dem Gebiete von Anaia, sei es anderswoher
Getreide, natürlich zu den vorteilhaftesten Bedingungen, zu kaufen hat.
Es ist aber auch gestattet, das Zinsenerträgnis: to aQyvQLov tö ex tov
T()/.ou — also nicht bloß den Überschuß : to vTtEQaiQov dqyvQLOv — in
anderer Weise für den Erwerb von Getreide zu verwenden, durch eine
lUGO^coGig, indem die betreffende Summe gegen Stellung von Pfand und
Bürgschaft an den vergeben wird, der für sie der Stadt Getreide, wie
und wo immer eingekauft, unter den günstigsten Bedingungen zu liefern
übernimmt. Ob der Überschuß, der nach dem Einkauf des Girog drtb
Tf^g EixoGTfjg dTcofiETQOvjLiEvog TT^g l§ ^valiov verbleibt, für das nächste
— 128 —
Jahr aufbewahrt oder noch weiteres Korn anderswoher gekauft werden
soll , hat der Demos im Artemision zu entscheiden (Z. 35 ff.) , „dem
attischen Munichion entsprechend, also sobald der Ausfall der Ernte sich
einigermaßen übersehen läßt, von dem einerseits das Zwanzigstel der
Hera, anderseits der Preis des sonst zu beschaffenden Kornes abhängt",
wie U. V. Wilamowitz erläuternd bemerkt. Indes können Getreidehändler,
namentlich falls die Ernteaussichten für Anaia und andere nächste
Gegenden ungünstig, in entfernteren Gebieten aber günstig sind, die
Lage des Marktes beizeiten , bevor es in Anaia usw. zur Ernte
kommt, ausnutzen (TtQoXaßelv), und dem Demos, der ihnen auf ihr An-
gebot sein Geld zum Ankaufe leiht, für dieses mehr Getreide ver-
schaffen, als er von der Hera zu dem ein für allemal festgesetzten
Preise und aus Anaia oder sonstwoher durch seinen airtüvr^g zu erwerben
erwarten kann. Die Göttin mag dann für ihr Zwanzigstel andere Käufer
suchen. Für ihr Vorgehen, das eine sehr beträchtliche Gefahr in sich
schließt, sind die erwählten Beamten selbstverständlich verantwortlich:
TYjv de ÖLeyyvriaLv Ttoieiod^iaoav o\ ävdqes oi /eiQorovri&ivTeg S7tl tov gItov
XLvövvtoL rioL havTwv.
n.
Es ist seltsam, daß Meisterhans-Schwyzer in ihrer Grammatik
der attischen Inschriften ^ S. 207 den Genetiv bei vizäv in den Aus-
drücken i) (pvXfj ävÖQCüv^ Tcaidojv, iTtTckov usf. evixa „beachtenswert''
finden und ihn als genetivus comparationis erklären. „Daneben auch,
aber seltener oWe ivi/Aüv avöqag. Der Genetiv mochte passender erscheinen,
weil es sich nur um Spiele , also mehr um ein Übertreffen als Über-
wältigen handelt." Und auch K. Meister bemerkt, Indog. Forsch. XVIII
162: „Wie das Iviza TtalScoVj dvögiov in den attischen Staatsurkunden,
die die Siege der Phylen in den öffentlichen Agonen verewigen, zu
erklären ist, muß bei dem Mangel an alten Belegen dahingestellt bleiben."
Die Erklärung ist einfach genug. In den Listen der Sieger an den
städtischen Dionysien IG II 971 (Urk. dram. Auff. 18 ff; E. Reisch, Zeit-
schrift f. d. österr. Gymn. 1907, 290), deren erster Teil lautet: fVl tov
öelva äqxovTog \ fj Selva (pvlr^ Ttalöcov \ ö Selva exoqrjyei \ fj öelva (pvlr^
dvÖQMv I 6 öelva exoQtjyei, und in den sogenannten choregischen Inschriften
ist zu Ttalöwv und dvÖQiov offenbar 70()w hinzuzudenken ; so sagt z. B.
Lysias XXI 1 : vi'Arpag dvögiKiij x^Q^^i IGr II 1248: vL'Ar^oag xoQcot Ttalöcov,
Nicht anders erklärt sich die Fassung des zweiten Teiles jener
Listen : y,cüf.iq)öajv ö öelva exoQriyei \ ö öelva eöiöaGxe und TQayc^öiov 6 öelva
ixoQTjyeL \ ö öelva eöiöaoze; ich hatte nie gezweifelt, daß nach eTtl tov
öelva äqxovTog und 'jicofAcpöwv vor dem Namen des Choregen ivi-na x^Q^S ^^
— 129 —
hinzuzudenken sei; doch muß diese Ergänzung wohl nirgends ausge-
sprochen worden sein , da sie E. Bethe, De scaenicorum certaminum
victoribus p. 6. auf eine Mitteilung H. v. Arnims zurückführt, vgl.
J. H. Lipsius , Leipziger Studien XIX 310M. Mit dieser Ausdrucks-
weise durften Meisterhan s-Schwyzer die der Siegerverzeichnisse von
den Theseien IG II 444 ff. t(7)v htLlmnov evavöqiq (nach o'ide evr/Mv
rbv äycova tcov Oriadtov und den ersten Posten: Tovg öaXTct/accg und vovg
XilQuxag) oder tcüv iTtTrewv euoTtUa nicht zusammenwerfen ; augenschein-
lich handelt es sich da , wie z. B. IG II 446 Z. 63 rij ka/uTtdÖL 6z
T(dv tviov icprißov zeigt, um partitive Genetive; in den Überschriften
rij Xaf.i7rdöc tcov Ttaidwv usw. kann aber nov Ttaldcov auch einfach zu
lau7cddi gehören, zumal in den von mir, Ath. Mitt. XXX 213 fP., ver-
öftentlichten Listen nach meiner Ergänzung rel XaiiycdSt tiov ecpi^ßwv'
i/, Tiov e(prjß<.ov steht. Wie ich schon Jahreshefte VII 108. 113 und
neuerdings in meinen Beiträgen zur griechischen Inschriftenkunde
S. 230 Anm. hervorhob, bedarf das dankenswerte und nützliche, aber
sehr überschätzte Werk Meisterhans-Schwyzers einer durchgreifenden
Erneuerung nicht nur hinsichtlich der Datierungen der Denkmäler und
der aus ihnen für die Spracherscheinungen gewonnenen, meist zu
scharfen Zeitbestimmungen, nicht nur wegen der unzureichenden Be-
rücksichtigung des literarisch überlieferten Sprachgutes, nicht nur
wegen der hie und da auffällig stumpfen Auffassung des Syntaktischen
(s. Beiträge a. a. O.j, sondern auch hinsichtlich des inschriftlichen Mate-
riales selbst, das nicht mit der erforderlichen Zuverlässigkeit ausge-
beutet ist. So heißt es S. 156 ausdrücklich : „für 6, Cov, a, dg trifft man
vereinzelt — nie in Staatsdekreten — to, rm\ rdg^ xd^ . Aber IG II
5, 314 (Sylloge 197) Z. 66 steht doch Iv zölg dycoui röig fj Tiohg
TiO-riGip a.uf dem Steine, freilich nicht unter den Grammatica et Ortho-
graphica der Indices.
IIL
In den Städtebildern des Herakleides, deren Bruchstücke FHG
II 254 ff. und Geogr. gr. min. I 97 ff. abgedruckt sind (E. Fabricius^
Bonner Studien 58 ff. ; G. Kaibel, Strena Helbigiana 143 ff.), heißt es 7
von den Oropiern nach C.Müllers Ausgabe: ol tio'AXoI aurcov TQaxelg
iv lalg buiXiaig xovg ouveTOug iTtavelo^ievoi. dQvovf.ievoL zovg BouoTovg
24i}T^valoL eiol BoitoToi. Die Handschrift hat eTtavel/Mjitevoi, unverständlich
und bisher nicht verbessert. Denn S7taveh)f.ieioi hilft nicht. Schon weil
^) In meinen Beiträgen S. 44 sind Zeile 17 v. u. durch ein mir unerklärliches Ver-
sehen die Citate in Unordnung geraten : es ist nach IG II 1281 b, 1282 b nicht 1283b, 1283c
zu lesen, sondern 1285, 1285 b und in Zeile 11 v. u. nicht IG II 5, 1182 b, Spendern 1280 b.
Wiener Eranos. 9
— 130 —
der Aorist unmöglich ist, den auch Jacobs' Übersetzung: „asperi
homines qui absurdis sermonibus cordatiores enecant" ebensowenig wie
die Müllers: „cordatiores viros de medio tollunf berücksichtigt. Von
einem Umbringen kann in dem Zusammenhange weder im eigentlichen
noch im übertragenen Sinne die Rede sein. Was von den Oropiern
gesagt wird, scheint mit der folgenden abschließenden Charakteristik
in Beziehung zu stehen, deren Sinn nur sein kann, daß sie ,.Boioter''
sind, aber „Athener" sein möchten. Sicherlich ist statt Tovg ovverovg
iTTaveXkofievoL zu lesen e7tayyelh')i.ievoi.
Allerdings vermag ich im Augenblicke die von mir angenommene
Verbindung von eTcayyeklEad-ai mit einem Adiectiv und dem Artikel
sonst nicht aufzuzeigen. Doch genügen, sie vollauf zu rechtfertigen,
die in den Wörterbüchern nachgewiesenen Wendungen wie dQerrjv
iTtayyeXXofxai schon bei Xenophon Mem. 1 2, 7, yvvai^lv i^iayyeXlo/nevaig
■d-eoasßeiav in dem ersten Briefe an Timotheos 2, 10, rovg oaycpQoovvriv
■eTTayyeXXouevovg yeqovvag bei Clem. Alex. Paed. III 80, 3 Stählin einerseits
und der durchaus entsprechende Gebrauch von VTto/.QivEod^ai andrerseits,
z. B. Polybios XV 26, 3 VTrenQLveio töv ov dvvdf.iEvov^ Makk. II 5,
25 Tov £iQrivL7,bv v/roK^i^elg ^ Euagr. h. e. IV p. 454, 31 töv aidovjuevov
v7te^QLVET0\ neugriechisch sagt man z. B. 6%af.ie tbv ^ovtöv. Die aus-
geschriebenen Stellen zeigen, daß IrcayyhXXEO^ai in solcher Verbindung,
dem diskreten v7to%QiveG^ai gegenüber, das aufdringliche unaufgeforderte
Bekennen, das zur Schau tragen von Vorzügen bedeutet, die man
nicht besitzt.
Ungehobelt im Umgange spielen sich die meisten Oropier als
intelligent und gediegen auf, verleugnen die Boioter, die sie sind, wollen
nicht mit ihnen zu tun haben und Athener sein, sind aber doch nur
„boiotische Athener" oder, wie wir auch sagen können, „athenische I
Boioter" , aber nicht „Athenienses in Boeotia" , wie Müller übersetzt,
was ein Lob w^äre , wie es der Schriftsteller dem habgierigen Ge-
sindel sicherlich nicht zu erteilen beabsichtigt. Vielmehr ist in der
Bezeichnung Jld^rivaloL Bouorol der engere Begriff mit dem weiteren
ebenso verbunden wie in anderen entsprechenden Bezeichnungen der
Herkunft , die meines Erachtens immer die Zugehörigkeit zu einem
Koivöv bezeugen , sei es, daß die Angabe der weiteren Heimat vorher-
geht, z. ^.3dyiaQv^v ^YTtojQsa IG II 2765 nach meiner Erklärung
Attische Grabreliefs 1630 (für den Nominativ ohne -g vgl. F. Solmsen,
Rhein. Mus. LIX 494 und meine Beiträge S. 195; iv 'YTztoQeaLg IG IV
1504 Z. 35) oder 24.%cLiog art "Jdqyovg IG II 966 (vgl. W. S. Ferguson,
Klio VIII 350) A Z. 17, sei es, daß umgekehrt die Angabe der engeren
Heimat vorangestellt ist, z. B. JdQyela drc Zdiauag in derselben Liste
- 131 —
IG II 966 A Z. 48 oder EvQcoTtaiog May,edtov Sylloge 917 Z. 3. Ob nun
die Oropier ^d-rivaloL Boicovol oder Bouovol M&rjvalot sind : sie sind und
bleiben „Boioter"".
Die Auffassung der Stelle wird scliließlich durch die Charakteristik
l)estätigt, die der Verfasser der Städtebilder von den Athenern im Gregen-
satz zu den Attikern gegeben hat (G. Kaibel, Strena Helbigiana 144):
iiüv d* ivoixovvrcov iu f.tev avTcov 34vrr/,oi, ol d" ^if^r^valoi ' oi (ä^v 24uTrxol
TtEQieqyoi zalg Xahalg^ \j7tovXoL ^ avy,o(pavrcodeLg^ Tca^aTr^Qr^Tal rcov ^ivcjv
ßiiov ' Ol 6* JlO-rivaloi (.leyaJAnpvxot, ärthu Totg TQÖTioig , cpiXiag yvi]aiOL
<pvXay.eg. Wie W. Dittenberger in der letzten größeren Untersuchung,
die er uns geschenkt hat, der ausgezeichneten Abhandlung über Ethnika
und Verwandtes, Hermes XLII 19, zeigte, bezeichnet dasEthnikon M^O-rivaloi
die vollberechtigten Staatsbürger, das Ktetikon 34rTLy,ot die nichtbürger-
lichen Klassen der attischen Bevölkerung, in der Elemente fremder oder
unfreier Abkunft eine große Rolle spielten. Bemüht, aufdringlich sich
auf die Intelligenz und Gediegenheit der altathenischen Bürger hinauszu-
spielen, die der Verfasser der Städtebilder als ^eyaXöipvxoi und äTtXol xolg
fQo/toig gerühmt hat, sind die meisten Oropier doch nur XQaxElg iv valg
ouüiaLg, echte Boioter.
IV.
Der Friedensvertrag, der zmschen König Prusias und den
Byzantiern im Jahre 220 v. Chr. geschlossen wurde, enthielt nach
Polybios IV 52, 4 ff. unter anderen Bestimmungen die folgende:
drtodovvaL de IlQOvalav BuZavvioig zag re xdi^ag xal rä (pqovqia
y.al Tovg Xaovg -Kai xä TtoXeuLzh acojiiara /Cfi^tg XvtQcov^ ^QÖg de rovroig
T« TzXiua xa '/MV ccQxag XrifpO-evia zov TcoXejuov xal rtt ßsh] zä /.ara-
h](fi>tvTa SV Toig SQVjiiaGiv^ S/^iolcog de y.al xa ^vXa xal xr)p liO-iav
jtal xbv xsQauov xbv i/, xov 'Ieqov ;fo>o/of.
Wie B. Niese in seiner Geschichte der griechischen und make-
donischen Staaten II 387 schreibt, sollten demnach „alle Gefangenen
i)hne Lösegeld" zurückgegeben werden; über die Bedeutung von xovg
Xaovg hat er sich nicht geäußert. Dagegen hat W. Dittenberger zur
Inschrift aus Rosette OGI 90 p. 149 n. 48 Letronnes Bemerkung
wiederholt, daß in dem Satze OTtwg b xe Xaög xal ol älXoL Ttdvxeg sv
ecÜ^r^viai toaiv mit 6 Xaog „volgus Aegyptiorum" gemeint sei und der
Plural ol Xaol in derselben Bedeutung auch in den Papyri und in der
Poh^biosstelle begegne. Mit diesen Xaol ist in dem Vertrage augen-
scheinlich die an die Scholle gefesselte leibeigene Bevölkerung des
byzantinischen Gebietes gemeint, die also ebenso wie die thrakischen
Mariandyner im Gebiete von Herakleia am Pontos für ihre griechischen
Herren die Äcker bestellt und wie jene in Kriegszeiten vielleicht auch im
9*
— 132 —
Heere und auf der Flotte Verwendung gefunden hat. Die ßaaihxot
Xaol, die in den Briefen Antiochos I an Meleagros, OGI 221 Z.46^
ferner in den Urkunden über den Verkauf von Domänen durch Antiochos
Theos an Königin Laodike , OGI 225 Z. 4. 22. 34 und Th. Wiegand,
Sechster vorläufiger Bericht über die Ausgrabungen in Milet und
Didyma S. 35 ff., in dem Beschluß der Pergamener^ Inschriften von
Pergamon I 249 (OGI 338) Z. 21, und bei Athen. XV 697 d erwähnt
werden, sind neuerdings öfter besprochen worden (B. Haussoullier, Etu-
des sur l'histoire de Milet et duDidymeion p. 105; J. Beloch, Gr. G. III 1,
310. 406; M. Rostowzew, Klio I 295). Ich finde aber in diesen Erörtungen
den Vertrag der Byzantier und des Königs Prusias ebensowenig angeführt
wie den Beschluß aus Zeleia, Ath. Mitt. IX 58 und GDI 5533 e, der
einem Wohltäter der Stadt, Kleandros, dem Sohne des Parmenon, zu
dem ihm überwiesenen Besitz auch lecbv avroL'Kov gibt: K/.EdvÖQcoL IJaQjue-
vovTog evsQyhrii yevojuevioi (vgl. meine Beiträge S. 280) Tr^g uöXeißg dovvai
i)liti'/,^Qiov daaeiTß, y.Xi]Qov iv rioi ^ceöicoL^ oixlrjv, yJjTtov^ xega^iov ä^cpoQecov
exaTOv^ lecov avTor/.ov, ccTeleiav äyoQalcüv reXkov y,al TtQoeÖQiriv^ avTcoi
y.al ly.yövoig, %al GTecpavov XQ^^^^^- Nach Gramer Anecd. I 265, beige-
bracht von F. Bechtel, hat Hekataios den Herakles als lEihg des
Eurystheus bezeichnet. yleCog avToi'Kog ist der Leibeigene samt dem
Hause, vermutlich auf dem /.IriQog ev tiol Tceduot ansässig; ebenso gehen
die Xaoi auf der Domäne bei Kyzikos 7cavoi'/.LOi obv Tolg ^vra^^otat*'
avtöig Ttäaiv in den Besitz der Laodike über.
An 7roXe^ii-/.ä otü^iaxa nehme ich Anstoß. Ich glaube, TioXe^iAa
acüf-iava kann weder die Combattanten,noch, wie etwa im Neugriechischen,
militärische Corps bedeuten und erwarte den Nachweis, daß sich der
Ausdruck in dem einen odei: dem anderen Sinne finde. Weder die Her-
vorhebung der kriegerischen Eigenschaft, im Gegensatz zu elQrivrKÖg^
noch die der besonderen kriegerischen Eignung, gleich evTtöXe^og^ hat
bei diesen gefangenen oihf-iaza Sinn. Sicherlich also ist, vermöge der
Schreibung Tcolei%i'/,ä dem überlieferten 7voXeinr/.d besonders naheliegend,.
Ta TtoXiTi'Aa oto^ara zu schreiben. Diese Bezeichnung für Personen
bürgerlichen Standes ist der hellenistischen Sprache geläufig, vgl. z. B.
IG XII 7, 386 (Dittenberger , Sylloge 225) Z. 25: {.ir^ös Siacpwvi^OEL
ocdjiia jiiri&iv tzoIltlaÜv und früher in Z. 5 ff. älovaiov TtaQ^-evcov xe v.al
ywar/Mv xal aXlcov GcojuaTcov Aal elev^sQcov y.al Sov/.cov, 16 aTroXvaat, rd
T eler^s^a acüjnava /mI Tiva tcov i^elev^SQcov %al tcüv dov'Awv, IG II 968 Z. 54
€x TCOV 7to'jLltl/.c7)v^ und besonders Diodor XIX 106, 2: tiov /uev Ttohrixiov
OTQaTuorcüv %tL Also hat Prusias den Byzantiern die gefangenen laol,
die zu ihren yßQ^^ gehören, und die gefangenen Bürger ohne Lösegeld
zurückgegeben, vgl. F. Bender, Beiträge zur Kenntnis des antiken
— 133 —
Völkerrechts, Bonn 1901, S. 23. Als ich. von^ Büttner- Wobsts Ausgabe
auf die Hultschs zurückgrifF, sah ich, daß bereits Emperius, Opuscula
p. 319 — freilich ohne Begründung — 7zoXiTiy.ä otüi.iaza vermutet hatte,
außerdem — an sich unwahrscheinlich — Tohg dovXovg statt Tovg
Aaovg-, mit Unrecht haben die Neueren die Verbesserung unberück-
sichtigt gelassen. Auch daß Büttner- Wobst an der irrigen Schreibung ki^la
statt li^ela festhielt, befremdet ; zu den von Edw. Mayser, Grammatik
der griechischen Papyri S. 418 als Zeugnis für h^ela erwähnten In-
schriften OGI 132 Z. 7, BGH XXVII 75 Z. 90 füge ich noch eine
bisher übersehene Stelle: in dem Beschlüsse von Kyzikos für De-
metrios, den Sohn des Oiniades, den F. W. Hasluck, Journ of hell. stud.
XXIII 89, nach Lollings Abschrift, Ath. Mitt. IX 28 ff., mit Er-
gänzungen und Erläuterungen herausgegeben hat, die sich mit den
von mir einst für meine „Beiträge" vorbereiteten decken, ist in Z. 19 f.
offenbar zu lesen: ävaTe^rivai öe ytal gttjItjv ['le]vxfi[g h-^-]elag ttqo rov
yviivaoiov statt [/e]t'Xj)[i^ h^]eLav, weil es doch wohl äevkov oder tov
XevKov /J^ov oder levKÖh^ov heißen würde und Lollings Abschrift
denn auch ^TII^HN . . YKHZ . . E[A:2 bietet. Für die Entführung
der ^vla und des '/.EQa(.iog mag jetzt an den Bericht des neuen Histo-
rikers, Oxyr. Pap. V p. 175 col. XIII Z. 33 ff., erinnert werden: tyjv e^,
T^^' ^üTi/.riQ 'AaTaöY.evrjv äve TiQÖaxcoQOL xatOLXovvreg aTtaaav {.ieveyMij.iöav
(die Boioter) iog avvovg aTvö tlov ^vlwv ymI tov yieQu/nov rov rcov oIxlcov
aQ^df-lEVOL.
V.
In der sechsten Spalte des Index Stoicorum Herculanensis
liest man von Zenon (H. v. Arnim, Stoicorum veterum fragmenta I
p. 12, 32): . . . Toig ovyioig y.al Tobg 7j.eaaf.tovg Ttgäcog y.al TtQod-vtucog
irpegev. Xach Comparetti steht im Papyrus: H E^ACMOYC: „vedesi
la metä a destra di un II q prima di ^CMOYC un E". Bücheier schrieb
fjXiaoiuovg und berief sich auf Diog, Laert. VII 1 : ExaiQe öe ovytoig
xlcoQolg ymI filLO/Miaig. Aber mit Recht bemerkte H. v. Arnim,
Sitzungsberichte der Wiener Akademie , phil. hist. Gl. GXLIII (1901),
XIV 5, daß zu den fjhaoiLwl in diesem Sinne Ttgacog xal TtgoS-vi^cog
ecpeQe nicht passe; „das Objekt muß etwas Unangenehmes bezeichnet
haben, bei dem sonst die sanftmütige Geduld den Menschen im Stiche
zu lassen pflegt". Er vermutet eHaOfxovg^ von „der im Altertum
beliebten Art der Neckerei" zu verstehen, „die darin besteht, daß
man den Geneckten mit irgend einem Gegenstand vergleicht". Ich glaube
in demselben Sinne passender ein Wort allgemeinerer Bedeutung
ergänzen und der Überlieferung ungleich näher kommen zu können:
xohg [yX^eaofiovg. Die Schreibung [xl]eaGy.ovg statt xXevaafxovg zeigt
— 134 —
den in Inschriften und ^Papyri auch sonst bezeugten Schwund des
zweiten Teiles des Diphthongs ev vor folgendem Vokal (s. Edw.
Mayser, Grammatik der griechischen Papyri 114), und daß Comparetti
den Rest des Anfangsbuchstabens des Wortes für die rechte Hälfte
eines H nahm, wird sich daraus erklären, daß dieser Buchstabe in den
Papyri nicht selten stark geschwungene Linien zeigt (F. G. Kenyon, The
Palaeography of Greek Papyri p. 66).
Den Sinn der zweiten Spalte desselben Index (W. Crönert, Kolotes
und Menedemos 30), hat H. v, Arnim a. a. 0. S. 2 treffend erkannt und
für den ganzen Satz etwa folgenden Wortlaut vermutet: [zoig (.isv yaQ
TtokXolg Toig ^cXovaiovg IvUne Soxelv evdai(.iovag eivaiy '/,aTadaLf.ioveGTä%ovg
ovrag^ nad^aTieQ] 6 KaooavÖQerg M7toXl6do)QOQ , y,al Si'/mi(}v[q] VTtdqxEiVy.
ddfKO)[T](XTOvg ov[Ta\g, y.a[0-d7T\tQ "AQTtaXog^ xcd cpi/.()[vg d-e]()(^iyg doeßeig
V7cdQxov[tag üg 6] Mevicog atX. Statt (fiXo[vg v^]€o<<)g empfehle ich zur
Prüfung am Originale (/f/[o^]6o<t')g. Comparetti hat Oü^lraiQJog ge-
lesen, im Glauben, es folge '.AqTtakog durch Aal angereiht ein zweiter
Name; es müßte also der von Comparetti als e gelesene Buchstabe vor
der Lücke, auch nach H.V.Arnims Vorschlag, o sein und zwischen o
und g ein v eingeschoben werden.
VI.
Eine Stelle der Liebesgeschichte von Metiochos und
Parthenope (Reitzenstein , Hellenistische Wundererzählungen 167)
lautet nach der Lesung von W. Krebs und den Zusätzen von G. Kaibel
und C.Robert, Hermes XXX 146 und 150:
[xal
(paoi\v (.ilv Toig tiov eQiovxwv xpvyalg eyyiyveo\d-aL
25 . . . . ] EQhv Ttveifia . vq oiov ^ r^v . . lod- [ol
TtEiqav] i]Srj toi; TtdO^ovg e}Xricp6T[eg\ . . . q . . . h/to [//fV
yäq ov^mo fxrfie TceiQad^elriv tog .... [dArjO-](üg ös [ö e-
Qwg eGr]iv y.ivriJLta diavoiag V7t\h ^;QV(p7lg^^ yiyv6/iie[vov
TiQcüTOv] zal VTTO owrid^ELag av^öf-ievov.
Dazu gab U. Wilcken , Archiv für Papyrusforschung I 265, folgenden
Nachtrag: „Z. 25 scheint hinter Trvev/iia zu stehen xal olov ^o . . tj . o.
Bleibt mir unverständlich. Dagegen glaube ich das Folgende sicher
erkannt zu haben:
'Y'Gd-[<iüY
Ipav ol\ rjdri tov Ttd-^-ovg eilTjcpoTeg nelqav. ^Eyco [S^ eTca]-
[d-QV ? ov]7tco fiTjös TtELQad-eiriv zog .... ot. "Egcog
[ydQ sGTi]v '/,Elvrif.ia diavoiag vtvo [7t\dd-(wg yivö[xEv\ov y.x'k.
Hinter 'Egcog in Z. 27 braucht nichts zu fehlen."
— 135 —
Ich glaube, wie ich U. Wilcken bereits im September 1901 brief-
lich mitteilte, lesen zu sollen:
[xal
(paGiv] uiv Tolg tcov eqojvtcov xpvyalg 8yyLyve\oO-aL
25 ffhiy^EQhv Tvveiua [^]vQ olov ü^eQuovriTa ' l'o&^ [v-
uelg] i]dri rov Tcd&ovg eikrifforeg JteiQav . J/w [d* e)jx-
ßov ov]7tco f.irjöe TteiQad^elriv rb [stz^ eu]oL
Als ich wenig später in Berlin Gelegenheit hatte, von Herrn
Dr. W. Schubart, der übrigens ein zweites Bruchstück der Liebes-
geschichte in dem Papyrus 9588 der Berliner Sammlung erkannt hat,
freundlichst unterstützt, das Original einzusehen, haben sich diese
Vermutungen lediglich bestätigt. In iyylyvea&ac ist das zum Schluß
erhaltene e hoch gestellt und die Endung findet nur in gedrängter
Schreibung oder mit einem Schnörkel abgetan Raum. Daß die
Spuren nach [^]vQ auf d^eQuözr^Ta führen, hatten schon Kaibel und
Bobert erkannt. Mit to erc iuol vereinigen sich die kenntlichen Beste
vortrefflich. Zum Schlüsse sei bemerkt, daß mir in Z. 20 ff.
el'rj di^ av ycdxelvo rtavveXiog äTci^\avov^ sYttsq
ßQ6^]()g eJTiv 6 ^'Eotog^ TteoivoGTelv au[Tbv ^6vo]v tc[£qI tijv
ol7iov]u6vriv
statt 7t[£Ql Tijv oi-Kovlfievriv erforderUch scheint 7c[äoav Trjv oixov^e]vriv.
vn.
In Plaut US Captivi sagt der Parasit 85 ff.:
prolatis rebus parasiti venatici
sumus: quando res redierunt, molossici
odiosicique et multum incommodestici.
Ist schon bemerkt, daß der Vergleich des prolatis rebus hungernden
Parasiten mit dem Jagdhund, des Parasiten quando res redierunt mit
dem Molotter an den Ausspruch des Kynikers Diogenes anknüpft, den
Diog. Laert. VI 55 und der Papyrus Rainer, von K. Wessely in der
Festschrift für Th. Gomperz 67 ff. herausgegeben (AV. Crönert,
Archiv für Papyrusforschung II 369 ff.), überliefern? Nach Diogenes
lautet das Apophthegma: iocoriri^^eig^ TtoraTtög eiri xicov^ ecprj^ Tteivcov
Liev Mehralog^ /o^ra(j;9-€tg Ss MoXoTTixog; in erweiterter, drei Fälle
berücksichtigender Gestalt teilt es die Spruchsammlung des Papyrus mit:
iocüTtovrcov de tlvcov avibv
Tig eiri^ iyto xvcov. dXÄä TzodaTtög,
— 136 —
eiTcav. sycf), t(fri^ säu jusv Tzeivco,
DlaQüJVi'/j'jg' oiav Ss /u}j^ 31iieli-
ToioQ ' llvav de euTtkuja^tOj BIo-
'loTVi'/,()g.
Wie W. Crönert ausführt, ist „der leicht verständliche Gedanke :
Wenn mich hungert, dann bin ich so lieb wie ein Schoßhündchen,
mit vollem Magen aber bin ich ein grimmiger Molotterhund, hier ganz
verändert; es sind drei Stufen unterschieden, indem zwischen die
TtEivrj und die TtXrfif-wvr) noch eine mittlere tritt," und der hungernde
Kyniker sich mit dem MaQMvr/A)si^)^ der ohne Hunger mit dem
34f.iehTaiog (^) , der gesättigte mit dem MokoTTixög vergleicht. Über
den IlIaQovLxög hat sich Wessely nicht geäußert; dagegen hat W. Crönert,
wie sich nun zeigt, mit Recht vermutet, daß statt 31aQCüny,ög, da
maronische Hunde nicht bekannt sind, y/axcuvLXog zu lesen sei; denn
der lakonische Hund ist, wie 0. Keller in seiner Abhandlung über
Hunderassen im Altertum, Jahreshefte VIII 251, ausführt, als Jagd-
hund berühmt; „man kann sagen, er ist der Jagdhund '/mt e^oxtjv vom
König Lykurgos an bis in die späteste römische Kaiserzeit". Es
leuchtet ein, wie sehr der Vergleich mit dem lakonischen Hund für den
hungrigen Philosophen paßt, und bei Plautus vergleicht der hungernde
Parasit sich denn geradezu mit dem venaticus. Den ZiueliTalog wollte
Wessely, sehr gesucht, durch ein „schwer wiederzugebendes Wortspiel"
erklären: „wenn mich der Hunger nicht treibt, bin ich ein Hündchen
aus Sanssouci". Ich kann, wie Crönert, ^ueXivalog nur für einen Fehler
des Schreibers statt Mehvalog halten.
Die griechischen Handschriften
des Prinzen Eu^en von Savoven.
Von
WILHELM WEINBERGER.
Außer den von Lambeck und (1690) von Nessel (dem Urheber der
jetzigen Aufstellung) katalogisierten griechischen Handschriften besitzt
die Wiener Hofbibliothek ein Supplementum graecum, das
120 Xummern umfaßt und mit wenigen Ausnahmen bei Kollar i) be-
schrieben ist. Es sind Stücke mit den Ex-libris des Bischofs Fabri"^)
und des Grafen Windhag 2) darunter, ferner Hss., die unter Karl YI.
von neapolitanischen Klöstern 3) und von dem Venezianer Apo-
stolo Zeno^), aus der Bibl. Hohendorfiana (im Jahre 1720) und
gegen eine Leibrente von der Erbin des Prinzen Eugen, der Prinzessin
Anna Viktoria von Savoyen, erworben wurden.
Die beiden zuletzt genannten Sammlungen sind berücksichtigt in
dem handschriftlichen Index contentoi'um in Manuscriptis Codicibus ex
Bihliotheca Principis Eugenii et Baronis Hohendorfii, auf den mich Herr
Dr. Bick freundlichst aufmerksam gemacht hat. Der Index enthält
zwar nur wenige von den griechischen Eugeniani, offenbar weil der
Inhalt der meisten damals noch nicht erkannt war, hilft aber doch
beim Nachweis der Zugehörigkeit zur Bibliotheca Eugeniana und bei
der Berichtigung einiger Irrtümer, die in Kopitars gleichfalls hand-
schriftlicher Konkordanz der Bibl. Eugeniana mit den gegenwärtigen
Nummern unterlaufen sind.
*) A. F. Kollarii ad P. Lambecii Commentariomm de aug. bibl. Caes. Vind. libros VIII
Supplementorum liber primus posthumus. Wien 1790. (Die 1. Aufl. der Commentarii erschien
1655—1679, die 2. von Kollar besorgte 1766-1782).
^) Vgl. meine Beiträge zur Handschriftenkunde. I. (Wiener Sitzungsber. CLIX, VI)
S. 33, 62 A. 1, 67 A. 1, 69.
") Vgl. F. Mencik, Die Neapolitaner Hss. der Hofbibl., Mitteil. d. österr. Vereins f.
Bibl. VIII, 183, 170. IX, 31.
— 138 —
14 Hss. tragen auf der Innenseite des Yorderdeckels und mit
wenigen Ausnahmen i) auch auf einem an den Rücken geklebten weißen
Zettel die charakteristische Bezeichnung MS N^ I (usw.). Mit Nr. 1 5
bezeichne ich eine Hs. , die auf dem Rücken einen unbeschriebenen
weißen Zettel und auf der Innenseite des Deckels den Vermerk auf-
weist: Codex hie extra 'numermn exhibet Phüosophiam hodiernam inter
Graecos. Bei Nr. 1 6—1 8 spricht die Konkordanz , bei 1 8 überdies der
Index für die Zugehörigkeit zur Eugeniana.
Die folgende Tabelle gibt Aufschluß über die verschiedenen Signa-
turen der Codices; in der 2. Kolumne stehen die von Kopitar zugrunde
gelegten, den Eugeniani anscheinend bei der Übernahme durch die^of-
bibl. gegebenen Nummern '^) mit der Unterscheidung f(olio) und q(uarto). ^)
Eugen.
Auctarium
II
Forlosia
Kollar
Geo-enwärt.
Signatur :
Suppl. graec.
I
II
ni
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
15
16
17
18
lG5f.*)
166 f.
167 f.
63 q.
64 q.
65 q. ^)
66 q.
67 q^)
68 q.
69 q.
70 q.
71 q.
72 q.
- ')
73 q.
171 f. ^)
172 f.
Iq.
IV
V
XI
IX
XVI
VII
XIII
VIII
XII
XV
XVII
XIV
II
III
VI
2
34
37
7 (aus 6)
22
12 (aus 10)
21
26
40
55
54
25
-')
53
10
11
15
29
46
70
71
31
34
125
68
40
61
53
36
43
62
30
32
2
31
29
85
80
70
72
79
87
90
86
82
89
100
78
34
22
52
*) Bei IV, einem fehr dünnen Bande, sieht man noch Spuren des aufgeklebten Zettels,
tei X ist der Einbandrücken nicht erhalten.
'^) Spuren einer anderen Bezeichnung finden sich bei IV (H 83 : 38 al. 39), VI (H 90 ;
57 al. 58), VIII (EH 121: 42 al. 43), XIII (H 194; 22 al. 23 4«).
^) Beim Oktavformat sind die 'gegenwärtigen Signaturen von Kopitar nicht beige-
setzt worden.
^) Daß Kopitar in der KoUar-Nummer irrte (39 statt 29) und so zu 165 f. 96 K(ollar)
39 setzte, wird durch den Index erwiesen.
^) Kopitar Aviederholte infolge eines nicht seltenen Versehens die eugenianischen
Nummern 65 und 67; da uns der Index im Stiche läßt, bleibt es zweifelhaft, ob nicht 65
— 1B9 —
Nr. 18^ die einzige Pergamentliandschrift, wird von Kollar ins 13.^
von Gregory (Novum Testamentum graece reo. Tischendorf. Editio
octava critica maior. III [1894] 458; vgl. H. von Soden, Die Schriften
des Neuen Testaments. Berlin 1902 [d 253]) richtiger ins 12. Jahrh.
gesetzt. Nach den bei Kollar abgedruckten Eintragungen war sie, als
sie von Erasmus von Rotterdam benützt wurde, im Besitze des
Klosters Corsendonck, das sie von Radulf oder Roland de Rivo
aus Breda erhalten hatte. Im Jahre 1666 wurde sie bei der Verstei-
gerung des Nachlasses des Finanzkommissärs van denWouwere von
Frater Martinus Harney O.'P. erworben; auf der Innenseite des
Deckels trägt sie den Vermerk: Bibliothecae Conventus Bruxel-
lensis FF. Praedicatorum. Schwarzer Lederband; auf dem Rücken :
K0VU3I TESTAM. GRAEC. MS.
Dieser Kodex ist also aus Belgien in den Besitz des Prinzen
Eugen gelangt (der von 1716 — 1724 Greneralgouverneur der Nieder-
lande war); die übrigen 17 Hss. stammen aus der Walachei. Es sind
junge Papierhandschriften meist vulgärgriechischer Texte, i)
mit YIII und 67 mit VI zu identifizieren sei. Sowohl die gej^enwärtigen als die Kollar-
Nummern 65 und 67 (jetzt 12 und 40) sind auch durch anderweitige Provenienz (Jesuiten-
bibl.; Brassican, Windhag; Apostolo Zeno ; Hohendorf) ausgeschlossen. —
Die Eintragungen in 65 (Kollar 33) f. 114 : Jo Giovanne S^^ maura Ci/prioto fo
fede havere copiato ü p(rese)nte libro claW originale di Hieremia Patriarcha Constanti-
nopolitano et sconirato diligentem(enle). In Borna ä di 2 de luglio 1583. Jo Giovanni
santatnaura ho scritto e sottoscriito da mia propria mano. Nos Bibliothecae vaticanae
Custodes fidcm facimus exemplar huius libri asservari in eadem Bibliotheca ad cuius
rei ßdem nostra manu subscripsimus Bomae die 2a Jtdij 1583. Ego Federicus Banaldus
Vaticanae BibJ. Custos. Ego Mariniis Banaldus eiusdem Bibliothecae Custos ergeben eine
Berichtigung zu H. Omont, Le demier des copistes grecs en Italic Jean de Sainte Maure,
Revue et. gr. I (1880) 177, der angibt, Johannes von Santamaura sei von 1585—1612
ständig in Rom gewesen.
^) Im Index steht fälschlich 170 f.
') In der Hs. ist vermerkt : Nullius pretii codex docto Forlosiae judicio scilicet
und Forlosiae non recensitus.
(Die Anmerkungen 6 und 7 gehören zur vorigen Seite.)
^) I. Theophylakts Evangelien-Kommentar von loannes ComnenusMedicus
im Auftrage Brankovans ins Vulgärgriech. übersetzt und diesem 1702 gemdmet. 11. Matthaios
Blastares von Kunalis Kritopulos übersetzt (vgl. Krumbacher, Müllers Handbuch IX 2
S. 607; 1632). Hl, Platin ae Yitae summorum pontificum von Hieremias Kakabelas
aus Kreta aus dem Lat. ins Vulgärgriech. übersetzt (17. Jahrh.). IV, Äthan asios von An-
tiochien, Geschichte des Patriarchats von Antiochien (bis 1702) in vulgärgriech. Sprache,
Brankovan gewidmet. V. Im 15. Jahrh. gefertigte Abschrift von 16: Johannes Kan ta-
kuzen os' Schrift gegen die Mohammedaner (aus dem Jahre 1380) ; bei Krumbacher 106, 1
Avird nur 17: die vulgärgriech., Mai 1700 geschriebene Übersetzung des Meletios Zyrigos
(öl iTiixayfjg xov ixXaf^nQoxdxov xai ■&eoa€ßeaTdxov avd-evxov ndarjg MGlöoßXaxiag hvqCov
'loiävvov Baaileiov ßoeßövöa] Anfang des 17. Jahrh.) erwähnt. VI, (bei Kollar nicht be-
— 140 —
Die Hss. TU, IX, XII, XIII und 17 haben auf der 1. Seite
den Vermerk £Z tcov tov Kiovözaviivov Kavvai^ov'C.rivov, meines Erachtens
nicht von derselben Hand (in XII wurde die verblaßte Eintragung
mit dunklerer Tinte erneuert); sie waren also im Besitze des Truch-
sessen (avolvr/.og) Konstantin Kantakuzen, der 1688 seinen älteren
Bruder Serban II., Fürsten der Walachei, im Verein mit dem Sohne
seiner Schwester Helene, Konstantin Bassarabas Brankovan, vergiftet
zu haben scheint und selbst 1716 mit seinem Sohn Stephan, der seit 1712
Brankovans Nachfolger in der Fürstenwürde war, enthauptet wurde. 0
schrieben). Vulgärgriechische Übersetzung von Isokrates (ad Demonicum , ad Nicoclem,
Nicocles seu Cyprii) mit Kommentar (91 Folia, 2\OXlQ0mm, Ende des 17. Jahrb., f. 10
Bild eines Schreibers). VII. Georgius Coressius, in apocal^'psim usw., 17. /18. Jahrb.
Vi II. Joannes Comnenus Medicus, Leben des Joannes Kantakuzenos (im April 1G99
Konstantin Kantakuzen gewidmet) und die auf Befehl Brankovans im April 1698 (iv Tgiyo-
ßvaicp) verfaßte vulgärgriech. Übersetzung des von Stanislaus Reinhard Axtelmeier (Augs-
burg 1698) in deutscher Sprache herausgegebenen Moscoviticum prognosticum (f. 17) sind wahr-
scheinlich (im Mai 1699) von der gleichen Hand geschrieben worden, von der auch der vul-
gärgriech. (f. 113 beginnende) Dialog zwischen Rom und Tiber herrühren kann. Kollar
hält diesen Dialog, in dem auch Christine von Schweden auftritt, für eine Übersetzung
aus dem Italienischen. IX. A'ulgärgriech. Brankovan im Jahre 1700 gewidmete Übersetzung
des Fürstenspiegels (Krumbacher 456) von Sebastos Trapezuntios Kyminites.
X wird unten besprochen werden. XI, Kommentar zu Aristoteles de anima, nach Kollar
wahrscheinlich von Caesar Cremoninus verfaßt und von Theophilos Korydalleus
ins Griechische übersetzt (17. Jahrb.); die Hs. wird im Ann. de l'assoc. p. l'encour. d. et. gr.
XV, 192 nicht erwähnt. XII besteht aus 2 Codices: a) Nixoläov Kegafieiog sxboaig
avvTO(.iog tov d-eo)Qritixov fisQovg Tfjg iaxQixiig (1680) ; b) Zvvor^ng elaaycoyixcotsQa elg
yeoiyQa(piav oi'yygacpeTaa dbiö (poivfjg tov aocpoitdxov xai Xoyioiräxov xvqiov Qeocp IXov tov
KoQvöaXXecog. XIII. Schriften des [Euthymios Zygabenos], [Gennadios Scholarios],
Thalassios, Hesychios Presbyteros, Diadochos, Niketas Steth atos, Elias
(1646?). XIV. Hermologium (17. Jahrb.). 15. Theophilos Korydalleus (Caesar
Cremoninus?), Kommentar zu Aristoteles negl (pvatxijg dxQodoEOig (1683). 'Avöocviy.ov
TieQinazrjTixov negi Trd&cvg. 16 u. 17 s. V. — Von Schreibern nennen sich : Alexander
von Trikka (XII a), Gregor (olxovöf,iog ryg äyiwrdtrjg dQxtsmaxoTifjg Uoiycoiavfjg (II),
Michael Byzantius (VIII f. llOv und 17), Stephanos von Chios (XIV); vgl. XIII f. 15 v (mit
roter Tinte): MAPKOi:: ZOrPA^ÜS: "ü ES APMENHON: 1646 (die Hs. macht
einen älteren Eindruck).
*) Vgl. A. M. Del Chiaro, Istoria delle moderne rivoluzioni della Valachia. Florenz
1718 (nach S. 192 Tafel mit Brankovans Wappen), Demetrii Procopii i7iaQi{>^ir}aig
TOtv . . XoyioivrQaix&v{Qon?:m^i^ menseJunio a.lVIDCCXX transmissaque Bucuresti in J. A. Fa-
bricius, Bibl. Graeca XI (Hamburg 1808) 533 (Hamburg 1722, 784; Kantakuzen war des Griech.,
Lat. und des Italienischen mächtig), Demetrius Cantimir, Hist. de l'empire Othoman . . .
traduite en Fran^'ais par M. de Joncquieres. Paris 1743, Demetrie Kantemir, Gesch. d.
osmanischen Reiches, aus dem Engl, übersetzt, Hamburg 1745, Michel de Kogalnitchan,
Hist. de la Dacie, des Valaques transdanubiens et de la Valachie. Berlin 1834 (S. 331, 352,
369), Michauds Biographie universelle, endlich, Avorauf mich Herr Skriptor Dr. H. Jarnik
von der Landesbibliothek in Brunn aufmerksam machte, Enciclopedia Rom an a, hgg.
von C. Diaconovich I (Hermannstadt 1898) 565, 700.
— 141 —
XIII muß Konstantin Kantakuzen von seinem Vater, dem gleichnamigen
1663 verstorbenen Ho fmarschall.fTroffreA^'izo^^, ererbt haben. Ob Pana-
giotes, der diese Hs. dem Hofmarschall zum Geschenke machte, mit
dem Panagiotes identisch ist, für den YIII im Jahre 1699 geschrieben
Avurde, kann ich nicht entscheiden;!) jedenfalls haben YIII und 17
den gleichen Einband (rotbrauner Lederband mit radförmigem Silber-
ornament in der Mitte — bei YIII nur des Yorderdeckels) und rühren
von demselben Schreiber her.
I^ lY^) und Y^) waren im Besitze Brankovans. Nr. 15 gehörte
seinem Sohne Stephan *), der mit ihm 1712 in Konstantinopel enthauptet
A\nirde. Xun haben I, lY und die Kantakuzen-Hss. YII, IX^ ferner
III, XI und XIY^) ähnliche Einbände^), für die Mittelbilder aus
^) Auf dem 2. Vorsteckblatt von XIII steht : Tco jTSQKpaveaTdto^ xal evyeveaxdzco
UQ'/iovTi (so) kvqLm KoiVOTavTLvo) TCO Kavza>iov^r)v(p reo ^leyäXq) noaTeXvlxoi /.ivt] f.io(rvvov
XccQiv öoiQeXiat t6 jiaQov navayubrrjg, in VIII auf f. 110"' iyQacprj zo naQov dia xsiQog
Mi/ar]X zov BvCavziov öiä XQV^'^^ ^^^ zif^iicozaTov xal loyicozäzov aQXOvzog f^ieydXov
xafiuQag zfjg aMevzixijg wxvag (supremi salinarum ad principem pertinentium praefecti)
üavaytdizov, iv ezsi a{oizr])Qiq) axc^v ftaico fit]vi iv BovKOVQeazicp.
'^) Zu beiden Seiten des (bei KoUar genau beschriebenen) Wappens (Rabe mit einem
Kreuz im Schnabel; s. oben S. 140 A. 1) stehen die Buchstaben IBEAn\KBeHO, die
Anfangsbuchstaben des Titels 'Io)ävvr]g KoivozavzTvog BaaaaQaßag BoeßövSag 'Elsco Oeov
AvS-svzTjg xal '^Hysfiwv Ildarjg Oi)yyQoß).axiag.
") Auf dem 1. Vorsetzblatt: -\-7iQ6g zov vxprjXozazov xal ivSo^cozazov aQyov (so) ^eya
(so) Xoyoß^szYjv zijg XaiATiQOzdztjg avd-evzeiag (so) syxQwßXaxCag (so) yiVQiov xv xcovazavz'^vov
(so) idioQrj&eL zo TiaQov ßißXlov naQO. Z7\g ^ja^mv zansLvözrjzog. L aynrj (peßQOvaQto) xC
-f 6 TiQCorjv A QvozQag rsvvdöiog (?; auf f. 1 ist nach den Worten ix ziLv zov infolge
einer Korrektur oder Tilgung ÄQvazQag Fewaötov noch fraglicher). Brankovan war Groß-
Logothet, als er 1688 zur Fürsten würde erhoben wurde.
^) F. 1 oben: Kai zöde TCQog xoXg aXXotg Qeoöcoqov zov ix TQajie^ovvzog^
im unteren Teile der Seite ZAvischen dem Texte und dann am Eande: ix ziov Zzecpdvov
MuQ'xyxo ßdvov xal zoöe TiQog zoTg äXXoig icovrjf^ievov ^lexa zrjv davrjv zov ävodev (so)
öeojiözov.
^) Scheint nach f. 65'' im Jahre 1691 dem Vladulas Grammaticus gehört
zu haben.
^) I und III haben in der Mitte des Schlußdeckels Christus mit den Aposteln, in
der des Vorderdeckels Christus am Kreuz [I(r]aovgJ N(aCaQt]v6g) B(aaiXevg) 7(ovöauov)],
darunter Maria und Johannes (l überdies beiderseits in den vier Ecken die Evangelisten
mit den Beischriften: Z lüAN, 2 MATSEH (so), Z MAPRO, 2 AuKA ; die Bilder
der Evangelisten stehen auch in der Hs. am Beginn jedes Evangeliums). Bei YII
stehen unter dem Kreuz beiderseits je zwei Gestalten mit den Beischriften M(rizr])P OfeoJY
und lüAN (über dem Kreuz INBI nnd eine Zeile tiefer Ifr}oov)C X(Qiaz6jC; in der Mitte
des Rückdeckels befindet sich ein Bild der Madonna. Ein solches ist auch dem Vorderdeckel
von IT eingepreßt (MP &Y, IC XC; ein ähnliches Mittelstück bei K. Westendorp, Die
künstlerischen Bucheinbände der Metzer Bibl. vom 14. bis zum 18. Jahrb., Jahrbuch d. Ges.
f. lothring. Gesch. XIX [1907] 425 mit A. 3): der Rückdeckel zeigt ein Bild David.s
— 142 — .
dem Kreise der biblischen Ikongroaphie M charakteristisch sind. Die
wechselnden Beziehungen Kantakuzens zu Brankovan, dessen Spieß-
geselle und Nebenbuhler, Minister und Gegner er nacheinander ge-
wesen ist, bieten verschiedene Möglichkeiten der Erklärung, aber eben
deshalb läßt sich keine besonders wahrscheinlich machen. Wenn KoUar
zu IX bemerkt: pertinuit primo ad Brancovanum j deinde ad Constan-
tinum Cantacuzenum , so hat er sich anscheinend von der Widmung
bestimmen lassen, die sich aber eher auf das Werk als auf das Exem-
plar bezieht. Ähnlich steht es mit Kollars auf dem 2. Teil von XII
beruhender Hypothese, sämtliche 17 Hss. seien von Nikolaus Mauro-
kordato an den Prinzen Eugen gelangt; übrigens starb Alexander
Maurokordato , dem die Widmung gilt, vor Kantakuzen (1709) und
Hss. konnten von ihm an Brankovan (mit dessen Tochter Ilinka einer
seiner Söhne vermählt war) oder Kantakuzen gelangen. Die Möglichkeit,
daß sowohl Brankovans als auch Kantakuzens Hss. in der fürstlichen
Bibl. blieben und erst nach beider Tode einzelne neu gebunden wurden,
ist nicht abzuweisen; auch die Eintragung in II ^j läßt daran denken,
daß dieser Kodex an Serban 11. und von diesem entweder an seinen
Bruder Konstantin oder an seinen Nachfolger in der Fürstenwürde,
Brankovan, kam. 1716 wurde aber Nikolaus Maurokordato Fürst der
Walachei. Hss. seiner Bibl. sind auch in Oxford und Paris zu finden. ^)
Überdies wurde Maurokordato am 25. November 1716 von einem
(IIPÖAABIA). IX hat ein Christusbild (IC XC) vorne in Gold, auf dem Schlußdeckel in
Silber, XI vorne eine an einem Altar kniende Figur, darüber einen aus Wolken segnenden
Christus, XIV ein silbernes Kruzifix. Unter den Verzierungen des roten Lederbandes von
VI ist in der Mitte beiderseits ein kleines Kreuz zu sehen. IVIit Ausnahme von X (dunkler
Papiereinband) haben alle Hss. dunklen Lederband meist mit farbigem Schnitt
(I hat grünen Schnitt mit goldenen Rosetten, III Goldschnitt mit Girlanden, V Goldschnitt,
XI roten Schnitt mit goldenen Rosetten [zum Einbände wurde ein wallachischer Druck
A^erwendet: auf der Innenseite der Deckel von 16 ist ein überklebter griechischer Druck,
anscheinend des 16. Jahrh. zu bemerken]). XIII weist einen orientalischen (portefeuille artigen)
Lederband auf. Die Einbände von VIII und 17 sind oben besprochen worden.
^) Vgl. auch Nr. 483, 484, 487, 506 des Katalogs der Ausstellung von Einbänden
der k. k, Hofbibl. in Wien.
^) Auf der letzten Seite (vgl. Kollar): iyeiQOTOvrjd^^v iyco ö Ila^d-sviog 'ÄÖQiavov-
7ioXhr]g 6 XQvaoxevrrjrrjg (so) UQ/jeQevg Scort] QiovTiöXsfog . . . Sca avvÖQOftrjg xai dvri-
Xrnpeoig tov navevyeveaiärov xal yQ7]aiuoiTäTOV äoxovrog xvqlov xvq SeQßävov Kavxay.ov-
^tjvov xal fxeydXov TiQtoxooTiad-iov Tfjg aii^svTslag OvyxQoß)Mxiag (im Jahre 1670). 'Ex
Tcbv TOV 2 oiTi] QLOvTiöXeoig UaQ'd'evlov tov xQvaoxevTijTOV steht f. 1 und f. 201.
2) G. W. Kitchin, Cat. cod. mss. qui in bibl. Aedis Christi (Christ Church) adservantur,
Oxford 1867: 26. Evang. 12. Jahrh. J5r Dona Maiiri Cordati Princijns Hungaro-Walachiae
A. D. 1726. — H. Omont, Missions archeol. fran^aises en Orient. Collection de documents
inedits sur l'hist. de France 1. Ser. LXX (1902) 385, 683. (Die Hss. haben nach freund-
lichen Mitteilungen von Poole und Omont nicht den oben charakterisierten Einband.)
— 143 —
Untergebenen Eugens, dem Grenzkapitän Dettin, gefangen genommen
vind samt seiner Familie nach Hermannstadt gebracht; die Auswechs-
lung erfolgte im Frieden von Passaro witz (1718). i)
Daß die 17 Hss., mit denen wir uns beschäftigen, über Hermann-
stadt gegangen seien, ist mir auch wegen X nicht unwahrscheinlich.
Auf dem 1. Yorsteckblatt dieser Hs. steht (außer MS Xl! X): Magni
Gregorü DecapoUtae Histona Vitae et Miraculorum. Item Officium in
ejusdem Festo in Ecclesiis Graeco -Valachicis celehrari consuettim. Vixit
ante mille annos. Corpus aiitem integrum et nunc ostenditur in Templo
Monasterii Valachiae Ois-Älutanae de Bißtricza. Die Hs. beginnt mit
dem vom Metropoliten Matthias von Myra verfaßten und zu Beginn
des 17. Jahrh. geschriebenen Officium. Daran schließt sich ein Bericht
des Matthias über die Abfassung dieses Werkes, wobei er auch er-
wähnt, daß er seine Diözese verlassen und in der Walachei bei Serban
(I. mit dem Beinamen Radula) freundliche Aufnahme gefunden habe.
Mit f. 29 (Yitaf) beginnt ein anderer vielleicht etwas älterer Kodex.
Die Eintragung, von der wir ausgegangen sind, rührt meines Erachtens
von derselben Hand her, wie die im Yind. lat. 224: Codex hicce Ms. Catulli
Tihnlli et Propertii . . Carmlna . . continens inssu Matthiae Corvini Regis
Hungariae descriptus e Bibliotheca eiusdem Budens'i tempore Ex-Regis Jo-
hannis de Zapolya in Transilvaniam delatus e Suppellectili subhastata Prin-
cipis Michaelis Apafi [fl713 in Wien] Bihliothecae Serenissimi Ducis
Eugenii de Sabaudia demisse adscriptus a Samuele Köleseri de Keres-
Eer Consil. Guber. Transilv.; sie nimmt ja auch auf Siebenbürgen Bezug.
Daß die Xumerierung (MS Xo. I usw.) von derselben Hand herrührt,
halte ich nicht für unwahrscheinlich, wenn sich dies auch bei einer,
ich möchte sagen, stilisierten Eintragung schwer entscheiden läßt.
Man könnte dann daran denken , daß Köleseri (der am 24. De-
zember 1732 zu Hermannstadt starb, 2 Jahre nach Xikolaus Mauro-
kordato, 4 Jahre vor dem Prinzen Eugen; s. J. Szinnyei, Magyar Irok
VII — Budapest 1900 — .28f) nicht mehr dazu gekommen sei, die
Hss. 15 — 17 mit Nummern zu versehen (daß 16 und 17 auf anderem
Wege in Eugens Besitz gekommen seien, ist wohl nicht anzunehmen).
Vielleicht können die hier gesammelten Anhaltspunkte bei der
Untersuchung über die Bibl. Eugeniana verwertet werden, die erst vor
^) A. Arneth, Prinz Eugen von Savoyen, II (AVien 1858) 411, 453.
2) Das Initium ist das gleiche ^vie bei der in den Paris, gr. 501, (1525, 1549) dem
Ignatios zugeschriebenen. Daß auch die in dem mir unzugänglichen Werke von Theo-
philos Joannu, M^rj/neia dyioXoyiy.ä, Venedig 1884, S. 129 (vgl. Krumbacher, S. 73, 6)
veröffentlichte Vita mit denselben Worten beginnt, ergibt sich aus der Bibl. Hagiographica
Graeca.
— 144 —
Kurzem Boinet i) , als er zwei lateinisclie Eugeniani (2605 ii. 2624)
besprach, die aus der Pariser Bibliothek Sainte-Genevieve
stammen, mit Recht als wünschenswert bezeichnet hat.
Ob nun Eugen selbst auf die Erwerbung der griechischen Codices
bedacht war oder ihm diese von Köleseri, Maurokordato oder einer
wenigstens bisher nicht bekannten Person verehrt wurden, jedenfalls
lassen sie bei Österreichs ruhmgekröntem Feldherrn Interesse nicht nur
für lateinische und französische, sondern auch für griechische Hss.
voraussetzen, ein achtungsvoller Gruß aus vergangenen Zeiten für die
Philologen , die nun schon zum dritten Male ihre regelmäßig wieder-
kehrenden Versammlungen in einer österreichischen Stadt abhalten.
') Revue des bibliotheques XVIII (1908) 142.
Textkritisches zu Terenz.
Von
ROBERT KAUER.
Die Überlieferung des Terenz wird für vortrefflich gegenüber der
des Plautus gehalten; im allgemeinen mit Recht, aber der Kenner weiß,
daß es auch hier noch ungelöste Fragen gibt, die nicht so leicht zu
beantworten sind, sie sind auch bis jetzt ungelöst. Denn wir wissen
zwar, daß dem Bembinus die sogenannte Calliopius-Rezension gegen-
übersteht, aber wir wissen nichts Bestimmtes über diesen Calliopius,
weder was seine Zeit — denn Joviales gibt nur ungefähr die spätere
Grenze — noch was seine Berechtigung als Veranstalter einer Rezen-
sion betriflPt. Ob er metrisches Verständnis besaß, wie es nach Sydows
und Schindlers Arbeiten als feststehend angenommen wurde, ist mit
guten Gründen von Ramain in Frage gezogen worden ; von den Beispielen,
die Sydow hiefür aufgezählt hat, bleibt nur eines zu Recht bestehen.
Alle diese Arbeiten leiden aber darunter, daß sie nur ein eklektisches
Verfahren einschlugen oder sich auf einen kleinen Teil der Komödien
unseres Dichters beschränkten. Aber eine noch viel wichtigere Frage
ist noch ungelöst: die unzweifelhafte Scheidung innerhalb der Callio-
pius-Rezension 1) in eine y- und d- Klasse führte von selbst zum Aufwerfen
der Prioritätsfrage. Da es hiebei nur eine Wahl zwischen zwei Ansichten
gab, stehen sich auch natürlich noch beide Ansichten unversöhnlich
gegenüber. Die Frage wird aber noch komplizierter, wenn man ergründen
will, und man ist doch dazu genötigt, wie die in allen Handschriften
gleichmäßig verdorbenen Stellen, zum Beispiel die bei Umpfenbach mit
einer crux versehenen, zu erklären sind. Soll sich an diesen Stellen
^) Wobei als Kriterien für die Scheidung weder die Personenbezeichnung durch
griechische Buchsta'jcn noch das Vorhandensein von Bildern, noch die Ordnung der Stücke,
sondern die einzelron ^ bv:eichungen im Texte, vor allem die merkwürdigen Änderungen in
der Wortfolge anr. .Sj'ioj sind.
Wiener ErJir.o». 10
— 146 —
Calliopius keinen Rat gewußt haben, so daß er sie in der Verderbnis,
in der sie auch in A erscheinen, übernahm, ohne daß sich sein
angebliches metrisches Gefühl rührte? Bedenklicher wird es, wenn man
sieht, daß z. B. Haut. 818 durch Einsetzung des im Lyoner Fragment
ausradierten, aber noch lesbaren nunc geheilt wird (Wien. Stud. XXVIII,
127 fF.), wo also dieses Wort schon vor A getilgt worden sein muß,
sich aber in dieser einen Handschrift erhalten hat.
Dadurch ergibt sich von selbst die Frage, ob es denn nicht
Gesichtspunkte allgemeiner Art gibt, die aus den einzelnen Fällen
abgeleitet, zu einer klareren Einsicht vordringen lassen, ohne daß man
hiebei durch die Rücksicht auf die Handschriftenklasse und deren
Beurteilung gebunden oder beinflußt zu sein braucht.
Auf einen dieser Gesichtspunkte will ich hier hinweisen und
greife zu diesem Zwecke ein Beispiel heraus, das mir hiefür sehr
instruktiv zu sein scheint, es ist Phorm. 73: Cepisti duram. GE. Mihi
usus nenit, hoc scio.
Überliefert ist: usus (AC^PDi) venit (evenit AD^, derselbe Fehler
Haut. 556 in A, 557 in D; Eindringen des zur Erklärung darüber ge-
schriebenen cuenit) und usu (C [noch m^] tilgt s durch einen Punkt,
FOi)p) venit und schließlich per usum (ELG. tisü uenit der Codex in
Valenciennes (= v) ; per tisum ist als Glosse in CF über usu ge-
schrieben) venit.
Hier spricht zunächst alles für usus venit; denn A und / und der als
bester Vertreter der (J-Klasse geltende Victorianus geben usus. Für
dieses haben sich auch bisher alle Herausgeber entschieden, Hauler
sagt im Krit. Anh. z. d. Vers: „Dazu kommt, daß usu^ venit bei Terenz
die übliche Wendung ist (z. B. Vers 505; vgl. auch P. Langen, Beitr.
S. 163)", nur W. Hayley (Harv. Stud. XI, 159) tritt für usu venit ein,
weil es siebenmal in Ciceros Reden und zum mindesten einmal bei
Cäsar vorkommt. Man sieht auf den ersten Blick, daß beide Begründungen
nicht ausreichen. Hayleys Argument kann für Terenz nichts ent-
scheiden und Haulers Begründung läßt es sonderbar erscheinen, daß
gerade an dieser Stelle der Sprachgebrauch des Terenz von einigen
Abschreibern verletzt ^Aairde. Sachlich läßt sich die Entscheidung nicht
geben (Bentley: utrumque more dicitur, sensu eodem). Hier gibt es aber
m. E. ein Moment der Entscheidung, das bisher gar nicht beachtet
worden ist, nämlich die Berücksichtigung der Glossen. 2)
^) 0 ist der Dunelmensis, p = Par. 10304, ein ausgezeichneter Vertreter der ^-Klasse.
*) Ich habe schon zu wiederholten Malen betont, daß Schlees Sammlung unzureichend
ist. Sein Ansatz des commentarius antiquior ist außerdem zu spät.
— 147 —
Die Phrase usus venu erscheint bei Terenz noch Ad. 895, Phorm. 505,
Haut. 553, 556 und 557, usu venu an keiner anderen Stelle. An allen
diesen Stellen ist nur usus (venu) ohne Variante überliefert. An allen
diesen Stellen (mit Ausnahme von Haut. 557, weil usus mit der Glosse im
vorhergehenden Vers steht) wird usus ganz richtig durch opus (seil, est)
glossiert (so auch Donat zu Phorm. 505: opus fuit auf necesse fuit)^
resp. durch necessitas vel opus in Dv zu Haut. 553. Dagegen lautet die
Glosse nur an unserer Stelle _p6'r usum, w^as selbstverständlich nur dann
einen Sinn hat, wenn im Texte usu steht.
Daraus folgt m. E. mit mathematischer Gewißheit, daß an unserer
Stelle nur usu venW^) die primäre Lesart war, die einerseits durch das
Einsetzen des sonst bei Terenz üblichen usus venu (so in AC^PD^)
beseitigt, anderseits durch die Glosse verdrängt \^airde (so in ELGv),
durch einen Zufall, der in paläographischen Dingen bekanntlich eine
sehr große Rolle spielt, in pOF erhalten blieb. Wäre es erst einem Ab-
schreiber eingefallen, die Phrase ustis venu bewußt durch usu venu zu
ersetzen, so wäre es doch höchst sonderbar, daß er es nur hier getan
hätte. Daß jedoch die nur hier vorkommende Phrase ^isu venu die Ab-
schreiber reizte, die üblichere einzuführen, ist von vorneherein klar.
Das Verdrängen des Textwortes durch die Glosse ist aber eigentlich
mehr ein mechanischer Prozeß. Somit hat Hayley Recht, aber nicht
mit seiner Begründung; er ^^rde zu der richtigen Ansicht durch die
scharfe Interpretation geführt, und sieht man die Stelle genau an, so
paßt für sie usu venu (Hayley: „I have found this out hy experience")
besser als usus ve7iit (Hayley: „There has heen need, opportunity, occasion.")
Daraus ergibt sich, daß diese Glossenerklärung, und es ist dies
■die im sogenannten commentarius antiquior vorliegende, schon vor der
Niederschrift des Bembinus geübt wurde, was übrigens für jeden klar
ist, der es einmal versucht, einen großen Teil des Donat-Kommentars in
Marginal- und Interlinearglossen aufzulösen, wie dies teilweise noch in
P in der Andria zu sehen ist.
Von diesem Gesichtspunkt aus läßt sich nun an einer Anzahl von
Stellen die Entscheidung fällen. Ein schlagendes Beispiel ist Haut. 846 :
A: die qiddvis faciani^ rell.: cedo quid uis faciam; die ist im commen-
tarius antiquior die stehende Glosse für cedo^ sie hat bereits in A
an dieser Stelle das richtige cedo verdrängt. Oder Haut. 1066: A: satis
placet, rell. perplacet; satis placet glossierte die für Terenz typische
*) Der Einwand, daß die Glosse per usum erst durch die willkürliche Änderung von
usus zu usu entstand, ist nicht stichhältig, denn warum sollte dies nur an dieser einen
Stelle geschehen sein und nicht auch an den anderen Stellen in der einen oder anderen
Handschrift ?
10*
— 148 —
Zusammensetzung perplacet. Oder Haut. 321 : A: potes^ rell. potis est usw.
(vgl. Wien. Stud. XXVI, Die sogenannten Neumen im Codex Victorianus,
S. 222, Anm. 1, ebendaXXYIII, Handschriftliclies zu Terenz, S. 134, Anm. 2).
Daraus erwächst für uns die Pflicht, die Überlieferung des Terenz
immer im Zusammenhang mit der Glosse zu prüfen, resp. in zweifel-
haften Fällen die Frage stets zu stellen, ob nicht eine Auswechslung
mit einem als Glosse anzusehenden Worte vorliegen kann. Eine Reihe
von Stellen erfährt hiedurch eine Klärung. Nur ein schlagendes Beispiel,
das eigentlich schon längst damit seine Lösung erfahren hat, führe
ich hier an: Bei Umpfenbach finden wir Eun. 267 Set Parmenonem ante
ostium Thaidis tristem video mit einer Crux versehen. Mit genialem
Scharfblick hat schon Muretus meretricis für Thaidis vorgeschlagen
und damit den Vers geheilt. Thaidis war von den Erklärern über
meretricis geschrieben worden und hatte dann meretricis verdrängt. Wer
aus einer der älteren Terenz-Handschriften einmal die Glossen alle
abgeschrieben hat und gesehen hat, wie mit rührender Unermüdlichkeit
stets die Namen über die gleichen Bezeichnungen darüber geschrieben
werden, wird nicht im mindesten daran zweifeln. Hier war die Ver-
drängung schon so früh erfolgt, daß sich in keiner Handschrift eine
Spur erhalten hat. Derselbe Fall, nur klarer, liegt Andr. 685 vor:
Tuom Pdmphilum: modo tu, anime mi, noli te macerare. So wird der
Vers seit Bentley mit Umstellung des in den Handschriften überlieferten
tu modo geschrieben, was dem Sprachgebrauche und Sinne entschieden
entspräche. Wo steckt aber der Fehler? Aufschluß bringt uns v, in
welchem pamphilum mit amicum glossiert ist. Wer die Art der alten
Erklärer kennt, wird mir ohneweiters zugeben, daß es undenkbar ist,
daß Pamphilus durch amicus glossiert wird, daß es jedoch selbstverständ-
lich ist, daß über amicum als Erklärung Pamphilum geschrieben wird.
Sobald wir aber amicum einsetzen, ist der Vers in Ordnung, ohne daß
die Umstellung von tu modo nötig wäre.
Der den einzelnen Beiträgen dieser Festschrift zugemessene Raum
verbietet mir, auf diesen Punkt weiter einzugehen, ich begnüge mich,
auf diese mir wichtig erscheinende Frage hiemit bloß hingewiesen zu haben.
Auch auf einen zweiten Punkt, der mir von Bedeutung zu sein
scheint, kann ich nur andeutungsweise hier eingehen. Ich habe in
meinem Aufsatze : Die sogenannten Neumen im Codex Victorianus des
Terenz (Wien. Stud., XXVI, S. 222 ff.), auf die Wichtigkeit der
sogenannten Konstruktionshilfen i) für die Textkritik hingewiesen;.
^) Wie sehr diese Zeichen verkannt wurden, zeigt Tafel 49 in der Lateinischen
Paläographie von Dr. Franz Steffens, wo sogar dieser sie noch für Neumen hält; erst in.
den Ergänzungen und Berichtigungen, S. XL, hat er sie erkannt.
— 149 —
damals standen mir nur die Zeichen in E zur Verfügung. Ein ein-
gehendes Studium der Terenz-Handschriften in dieser Hinsicht hat nun
ergeben, daß sich solche Konstruktionshilfen noch an 872 Stellen er-
halten haben, und zwar in A 4mal (durch Joviales), in C 44mal, in
P 125mal, in E 196mal, in F 8mal, in D 16mal, in G 13mal, in
L 11 mal, in p 6 mal, in dem 1. Einsidlensis (rf) 19 mal, in dem 2. Ein-
sidlensis {e) Imal, in v 17 mal, (in B 2mal?), in ^^) Imal.
An derselben Stelle haben diese Zeichen 2 Handschriften 47 mal,
3 Handschriften 12 mal, 4 Handschriften Imal, 5 Handschriften Imal.
Schon diese Zahlen und Übereinstimmungen, anderseits der Zusammen-
hang mit der häufig wiederkehrenden Bemerkung bei Donat: Ordo est:
worauf er dieselbe Ordnung gibt, wie die in den Handschriften durch
Zeichen hergestellte, z. B. Hec./ö81 (und E), zeigen, daß uns nur mehr
spärliche Reste einer einst durchgehenden 2) Behandlung des Textes in
dieser Weise erhalten sind. Ich behalte mir die ausführliche Behand-
lung dieser Zeichen vor und bemerke hier nur, daß sie die Frage
der Unterabteilungen der Calliopischen Rezension, die sich, soweit der
Text in Frage kommt, namentlich durch die verschiedene Wortstellung
unterscheiden, hauptsächlich zu einer paläographischen Frage machen.
^) Es ist dies das Pariser Fragment cod. Par.lat. 12244 (über das Kaiinka Wien.
Stud. XVI, S. 78 ff. gehandelt hat), das zu dem in cod. Par. lat. 12322 erhaltenen Fragmente
gehört. Der handschriftliche Katalog der Nationalbibliothek weist zwar jenes dem IX, dieses
dem XI. Jahrhundert zu, sie sind aber Stücke derselben Handschrift, die im X. Jahrhundert
geschrieben Avurde. Über die Einsiedler-Handschriften vgl. Wien. Stud. XXVIII, S. 115,
Anm. 1.
^) Eine solche zeigt zum Beispiel noch der codex Viechtianus des Vergil, der sich
derzeit in Melk befindet.
Zu Catulls Passer.
Von
AUGUST ENGELBRECHT.
Die wenigen Zeilen des einst in Rom so populären Sperlings-
liedchens, das im catullianischen Liederbuch die Nummer -2 trägt,
bereiten der Erklärung, wie männiglich bekannt, manche Schwierig-
keiten und können heute weniger als je sich einer allgemein anerkannten
Deutung erfreuen. Die mehr geistreiche als wahrscheinliche Auslegung,
die Theodor Birt im Marburger Lektionskatalog für das Sommer-
semester 1895 dem Gedichte zuteil werden ließ und die er im Jahre 1904
gelegentlich einer neuerlichen literarischen Behandlung i) in allem
wesentlichen aufrecht hielt, scheint nicht viele Anhänger gefunden
zu haben, ja der neueste Interpret der Muse Catulls, Gustav Friedrich 2),
kümmert sich um Birts Ausführungen so gut wie gar nicht. Und doch
hat Birt vollste Berücksichtigung auch von selten derjenigen verdient,
die ihm nicht Gefolgschaft leisten können; denn er hat zuerst die
Schwächen der bisherigen Auffassungen allseitig beleuchtet und unter
schonendster Behandlung der Überlieferung seine neue Erklärung vor-
getragen, die bekanntlich darauf hinausläuft, daß die Verse keine
Apostrophe an den passer enthalten, sondern daß CatuU vom Sperling
plaudert, mit dem sein Liebchen spielt, indem es dabei die scherzenden
Worte spricht, die den Inhalt von V. 9 — 13 bilden. Birt zwingt uns
also zu einer radikalen Umdeutung unserer bisherigen Ansicht vom
Thema des Gedichtchens, während Friedrich im großen und ganzen
mit der landläufigen Tradition auszukommen sucht, dabei aber manche
Details unaufgeklärt läßt und einer zusammenhängenden Erklärung
bzw. Paraphrase, die ihm manche Aporie zu stärkerem Bewußtsein
gebracht hätte, aus dem Wege geht.
*) Philologus LXIII (N. F. 17), S. 426.
^) Catulli Veronensis liher (Sammlung wissenschaftlicher Kommentare zu griechischen
und römischen Schriftstellern). Leipzig und Berlin (Teubner) 1908.
— 151 —
Da die folgenden Zeilen das Verständnis des Gedichtes nicht
unwesentlich fördern zu können glauben, sei es gestattet, zunächst
darauf aufmerksam zu machen, daß der erste und letzte deutsche
Kommentator Catulls ebenso wie Birt, so verschieden sie auch
sonst in ihren Auffassungen sind, in gleicher Weise ihrer Ansicht
Ausdruck verleihen, daß die stilistische Form des Gedichtes nicht
einwandfrei, teils wenig gewandt, teils minder korrekt, wenn auch ver-
ständlich sei. So meint A. Riese: „Der Satzbau des Gedichtes ist
wenig gewandt, besonders v. 7 und 8, aber richtig und verständlich"
und Friedrich schreibt S. 88: „V. 1 — 7 ist nur eine lang ausgesponnene
Anrede und V. 8 schließt sich nicht völlig korrekt an. Das ist aber
eine leichte Inkonzinnität, wie sie lebendiger Rede eigen ist." Auch
Birt läßt sich das Geständnis entschlüpfen, i) aus dem er allerdings
nicht die Konsequenzen zieht: yjatendum est hunc versiim 8 si quis pro
spurio delcat, ?iihil propemodum esse quod desideremus ; concinnat enim
minus sententias quam disrumpitJ' Wer würde aber -nicht gern
gerade jenes Gedicht, das CatuU selbst wohl für besonders gelungen
hielt, infolgedessen an die Spitze seiner Sammlung stellte — die
Widmungszeilen an Cornelius Nepos sind ja nur das Vorwort des
Dichters — und das dem ganzen Liederbuch seinen Namen gab (vgl.
z. B. Martial IV. 14, 14), als ein in seiner Art omnibus numeris absolutum
Carmen genießen? Ist nicht anzunehmen, daß dieses zierliche Vers-
getändel auf dem Gebiete subjektiver Gefühlslyrik nach der Intention
des Dichters für jeden Leser leicht verständlich sein sollte? Jene
Erklärung wird daher vor allen anderen den Vorzug beanspruchen
dürfen, die in der Lage ist, von der Annahme jeglicher stilistischer
Inkorrektheit und Inkonzinnität abzusehen und das kleine
Kunstwerk ohne jegliche Einschränkung als solches auf-
zuzeigen.
Der Ausgangspunkt für Birts revolutionäre Umdeutung des
Gedichtes war der Umstand, daß die drei letzten Verse, die nach der
Überlieferung unserem Gedichte eignen, sich nicht so ohneweiters mit
den vorausgehenden 10 Zeilen in inhaltlichen Zusammenhang bringen
lassen, er aber keine Lücke annehmen wollte und die noch radikaleren
Auskunftsmittel, jene drei Verse als Fragment eines verlorenen
Gedichtes oder als irrtümlich hieher geratenen Schluß von 14 b, um
von anderen Hypothesen zu schweigen, anzusehen, verschmähte. Nach
Birt sind die Verse 1 — 10 für sich betrachtet zu inhaltsarm und bilden
erst V. 11 — 13 die eigentliche Pointe des Ganzen; nach ihm bestehen
*) Marburger Lektionskatalog 1895, pag. X.
— 152 —
auch diese 13 Verse aus einer einzigen Satzperiode einschließlich einer
direkten Kede, eine für ein lyrisches Liedchen bedenkliche stilistische
Langatmigkeit. Doch sehen wir uns die ersten zehn Verse an, ob sie
wirklich für sich keinen abgeschlossenen und poetisch befriedigenden
Gedanken geben. Ich setze zuerst ihren Text her:
Passer, deliciae meae puellae,
quicum ludere, quem in sinu teuere ,
quoi primum digitum dare adpetenti
et acris solet incitare morsus,
6 cum desiderio meo nltenti
carum nescio quid lubet iocari,
et solaclolum sui dolor is
(credo, tum gravis acqulescet ardor) : ,
tecum ludere sicut ipsa possem
10 et tristis animi levare curas!
Birt bestreitet, daß V. 9 als Wunschsatz aufgefaßt werden könne,
und es ist zuzugeben, daß die Grammatiken kein zweites Beispiel bieten,
in dem der Optative Conjunctiv Lnperfecti (oder Plusquamperfecti) ohne
beigefügtes utinam sich fände. Dementsprechend lehrt auch die Trivial-
grammatik, daß ein erfüllbarer Wunsch im Lateinischen durch den
Conjunctiv Praesentis oder Perfecti mit oder ohne utinam, ein unerfüllbarer
Wunsch aber durch den Conjunctiv Imperfecti oder Plusquamperfecti
stets in Verbindung mit utinam ausgedrückt werde. Man darf aber
doch füglich sich wundern, warum in dem einen Falle utinam entbehr-
lich, im anderen unentbehrlich sein sollte, wo doch in beiden Fällen
die Wunschform durch den Konjunktiv und die Auffassung des Wunsches
durch die Verschiedenartigkeit der Tempora bestimmt wird. Zum
mindesten für die Umgangssprache dürfen wir ohne Bedenken annehmen,
daß dort, wo die optativische Bedeutung eines Conjunctiv Imperfecti
oder Plusquamperfecti mit der nötigen Deutlichkeit auch ohne utinam
zutage trat, dieses ebenso wie beim Conjunctiv Praesentis (Perfecti)
fehlen konnte. Wer einen literarischen Beleg hiefür wünscht, kann
ihn aus einem Brief des hl. Hieronymus erhalten, demnach aus einem
Dokument, das, wenn auch erst dem 4. christlichen Jahrhundert angehörig,
doch für die Existenz des Gebrauches in der Umgangssprache beweis-
kräftig ist. Es heißt also bei Hieron. epist. 50, 3 (S. 391, 9 der bald
erscheinenden kritischen Ausgabe von I. Hilberg) : si errare nie arhitratus
est.., dehuit vel arguere vel interrogare per litteras . . . imitatus saltim
tuam fuisset verecundiam, qui ea loca, quae scandalum quibusdam faccre
videbantur, excerpta de volumine per ordinem digessisti poscens, ut vel
— 153 —
emendarmn vel exponer em, et non tantac me putasset dementiae, ut in
uno aique eodem lihro et pro nuptiis et contra nuptias scriberem !
Wie demnach das Fehlen von utinam bei Catull für uns kein
Hindernis sein kann, den Satz als Wunsch aufzufassen, sondern viel-
mehr zur Markierung des weniger rigorosen Plaudertones dient, darf
man auch an einer anderen Stelle nicht vergessen, daß Catull in
seinen nugae sich den sermo familiaris erlauben konnte, wenn er wollte.
In V. 7 ist nämlich einstimmig überliefert et solaciolum sui doloris,
was auch eine Anzahl von Herausgebern beibehielt, aber mit dem vor-
ausgehenden Satz verbinden zu müssen glaubte. Infolgedessen wurden
dem Dichter Verbindungen wie ioeari nesclo quid carum et solaciolum
sui dolor Is (carum und solaciolum als Objekte zu ioeari) oder ioeari luhet
et solaciolum, sui doloris (der Infinitiv und solaciolum als Subjekte zu
lubet; so Friedrich) zugemutet, während die weniger Kühnen et in
in oder ut korrigierten: carum ioeari in (ut) solaciolum doloris^) Daß
die richtige Auffassung der Stelle bisher verborgen blieb, hat der zu
große Respekt vor den Hegeln der Normalgrammatik verschuldet: sui
ist hier eben nicht das reflexive Possessivpronomen der dritten Person,
sondern ist Stellvertreter von eius (seil, puellae), wodurch man in die
Lage versetzt wird, solaciolum als Vokativ zu fassen und auf diese
Weise die von so vielen vermißte Konzinnitat des Satzbaues zu ge-
winnen, dessen Hauptgerippe folgendes ist:
passer, deliciae meae puellae
et solaciolum sui doloris,
tecum ludere sicut ipsa passem
et tristis animi levare curas !
Der durch die dazwischenstehenden, gewissermaßen parenthetischen
Zeilen zu noch größerer Deutlichkeit gelangende Gedanke dieser
4 Verse ist: „Vöglein, du Spielzeug meines Mädchens in heiteren
Stunden und Tröster in ihrem Schmerz, könnte ich doch auch wie sie
dich als Spielzeug und Tröster haben!"
Daß im Spätlateinischen suus für eius ganz gewöhnlich ist,
braucht nicht durch Beispiele erhärtet werden; natürlich stammt der
Gebrauch aus der Umgangssprache und deshalb dürfen wir uns nicht
wundern, ihn hier bei Catull zu finden.
Aber nicht bloß die konzinnere Gestaltung des Gedichtes gewinnen
wir durch unsere Auffassung, sondern auch das Deminutiv solaciolum
*) Die vielen anderen Verbesserungsvorschläge zu diesen und anderen Stellen des
Gedichtes glaube ich unberücksichtigt lassen zu können.
— 154 —
kommt erst so zu seiner eigentlichen Geltung. P. de Labriolle, der
zuletzt am eingehendsten über den Gebrauch der Deminutiva bei CatuU
gehandelt hat^) und sie auf ihre Existenzberechtigung prüft, weiß mit
solaciolum nichts Rechtes anzufangen und erwähnt es nur so nebenbei
(S. 285). Ganz anders steht die Sache, wenn wir nicht mehr genötigt
sind, das Wort als Abstractum zu fassen, sondern es direkt als
Concretum mit dem passer identifizieren können. Nicht des zierlichen
Tones wegen, wie Riese will, steht das Deminutiv, sondern diQv passer
ist der „kleine Tröster." 2)
Wir haben oben die bisher nicht besprochenen Verse als paren-
thetisch bezeichnet; denn sie trennen die beiden Vokative von einander
und dem dazugehörigen Verbum, indem die Verse 2 — 6 den Begriff
deliciae dichterisch yeranschaulichen und V. 8 das sonst zu allgemeine
solaciolum doloris determiniert. Die reizende Schilderung des Mädchens,
das mit dem Vögelchen heiter tändelt, bietet in den Versen 2 — 5 dem
Verständnis nicht die geringste Schwierigkeit und ein Maler könnte
ihnen den Stoff zu einem herzigen Genrebildchen entnehmen; dagegen
ist V. 6 noch nicht entsprechend erklärt. Daß iocari hier per iocum
aliquid dicere heißt, hat Birt siegreich erwiesen^) und vergebens
behauptet Friedrich, daß das Verbum nicht bloß „scherzhaft reden",
sondern „Scherz treiben", also iocose aliquid agere bedeute, indem das
iocari die V. 2—4 beschriebenen Handlungen zusammenfasse (was hieße aber
dann nescio quid ?). Auch die weitere Konstatierung Birts, daß das Wort
iocari dem humile dicendi genus angehört habe, werden wir uns dankbar
zu eigen machen, da sie neben dem fehlenden utinam und dem
unklassischen Gebrauch von suus einen weiteren Beleg für den volks-
tümlichen Ton des Gedichtes bietet. Aber auch Birt hat das nescio quid
unerklärt gelassen, und gerade hier liegt der Schlüssel zum richtigen
Verständnis. Das Mädchen spricht scherzend, ich weiß nicht was^
Liebes: zu wem oder für wen spricht es und wem lieb? Da das
poetische Gemälde nur das Mädchen und das Vögelchen berücksichtigt,
ist es offenbar der Sperling, an den seine Herrin heitere Kose w orte
verschwendet (carum iocatur), Koseworte, Gott weiß, welche (carum
nescio quid). Jetzt erst haben wir die Situation in ihrer vollen Lebens-
wahrheit: das Mädchen, das mit dem Sperling spielt, ihn auf ihrem
*) Revue de Philologie XXIX (1905) S. 279 ff.
^) Ob der Verfasser des Pentameters einer afrikanischen Grabinschrift (Renier, Inscr.
Alg. 2017, CIL. Yin. 7472, Bücheier, Carm. epigr. 1288, 3) est autem vitae dulce
solaciolum die Catullstelle gekannt und für die Deminutivbildung mehr Verständnis als
für die Prosodie {solaciolum!) gehabt hat, weiß ich nicht.
') Marburger Lektionskatalog 1895, p. \T[I— VIII.
-rr 155 —
Körper hernmhüpfen läßt und die Fingerspitze hinhält, um ihn zum
Biß zu reizen, bleibt dabei nicht stumm, sondern gibt ihm Kosenamen
und plaudert heiter mit dem befiederten Zimmergenossen. Wer hätte
ähnliches nicht schon selbst getan?
Bei der Gestaltung (nicht Erklärung) des V. 8 bin ich in der
Lage, Friedrich zu folgen, der tum für das überlieferte ut cum
schreibt und den Fehler als in den Text eingedrungene Variante, die
die ursprüngliche Lesart verdrängte, plausibel erklärt: ein über tum
geschriebenes ui(=:uel) cum wurde als ut cum gelesen und in den Text ge-
setzt. Dieses tum gibt jedenfalls den passendsten Sinn, wenn der Yers eine
erklärende Parenthese zur vorausgehenden Zeile sein soll: der Sperling
wird als kleiner Tröster in ihrem (des Mädchens) Schmerz apostrophiert
und durch die Parenthese dieser Schmerz als durch die Liebe verursacht
charakterisiert: „ich glaube, dann wdrd der drückende Liebesdrang
sich beruhigen." Kaum nötig zu sagen, daß die Parenthese mit ihrem
eingeschobenen credo zur sonstigen zwanglos sich gehen lassenden
Diktion des Gredichtes trefPlich paßt.
Ich lasse nunmehr die Übersetzung folgen:
Spätzlein, herziges Spielzeug meiner Liebsten,
Du, mit dem sie auf ihrem Schöße tändelt,
Dem sie, pickt es darnach, des Fingers Spitze
Neckend hinhält, zu scharfem Biß es reizend.
Während meinem holdschönen Schatz es Spaß macht,
Koseworte zu rufen, Grott weiß, welche;
Kleiner Tröster du auch in ihren Schmerzen
(Leichter wird dann ihr liebgequältes Herze):
Könnt ich spielen mit dir doch wie sie selber
Und mein armes gequältes Herz erleichtern!
Das ist der nicht allzu tragisch zu nehmende Stoßseufzer des
liebeskranken Dichters, der niemand hat, der mit ihm seiner Liebe
Lust und Leid teilen würde — „geteilte Freud' ist doppelt' Freude,
geteilter Schmerz ist halber Schmerz" (Tiedge) — , während seine
Geliebte an ihrem Lieblingsvögelchen in ihren heiteren Stunden ein
stets zur Verfügung stehendes Objekt ihrer Freudenbezeugung und
in den Stunden ungestillter Liebessehnsucht ein unschuldiges Beruhigungs-
mittel ihrer Leidenschaft hat. Nicht mehr und nicht weniger besagen
diese Verse: genug, um ihnen die Berechtigung ihrer selbständigen
Existenz zu sichern. Ob aber das Gedichtchen ursprünglich nicht doch
länger war, wie die in der Überlieferung noch folgenden 3 Verse, die
— 156 —
einen der Mythologie entnommenen Vergleich enthalten, anzudeuten
scheinen, wer möchte das sicher zu entscheiden wagen bei einem poeta
doctus, der selbst der reizendsten Gefühlslyrik einen gelehrten Aufputz
zu geben auch sonst kein Bedenken trug? Wenn die drei Verse unserem
Gedichte je angehörten — was ich übrigens trotzdem nicht für wahr-
scheinlich halte — , so klafft jetzt zwischen ihnen und V. 1 — 10 eine
Gedankenlücke. Doch darüber weiter zu sprechen liegt außerhalb des
Zieles dieser Zeilen, die nur zeigen wollten, wie die Erkenntnis, daß
das Liedchen durchwegs den Ton der leichten und die grammatikalischen
Regeln des Hochlatein verschmähenden Umgangssprache festhält, den
Schlüssel zum richtigen Verständnis liefert.
1
Catulls LI. Gedicht
und sein Sapphisches Vorbild,
Von
ERNST KALINKA.
Mit eignem Herzblut hat Sappho das Gedichtchen geschrieben,
das in glühenden Farben das Bild ihrer Leidenschaft malt (Lyrici
Graeci ed. Bergh 2) : wenn sie das geliebte Mädchen auch nur flüchtig
sieht, erstirbt ihr der Laut auf der Zunge; wie Feuer schießt es ihr
durch die Adern, daß die Wangen erglühn, die Augen flimmern, die
Ohren sausen, der Schweiß ihr auf die Stirne tritt; ihre Grlieder
erschauern und Totenblässe überzieht dann ihr Antlitz; vgl. Piaton
Phaidros XXXI, 251 AB. Dieses Übermaß von Liebe soll den Satz
begründen to f^ioi /aar /.agSlav ev arijS-eaiv eTcroaaev^ denn unmittelbar
auf ihn folgen die Worte tog yäq eiaidoj ßQoxscog cre, qcbvag ovdev et*
u'A.u ktL Was ist mit to gemeint ? Man hat geantwortet : ^) das süße
Geplauder und holdselige Lächeln der Geliebten (ädv cpwvevoag . . . ytat
yelaioaq IfXEQoev). Doch das wäre ein übler Zusammenhang: ihr heitres
Geplauder hat mir das Herz erschüttert oder — gnomisch verstanden —
erschüttert mir jedesmal das Herz, weil schon ihr flüchtiger Anblick
mich ganz außer Fassung bringt. Wenn wirklich das Reden und
Lachen, das in der Tat nicht bloß ungeahnten Liebreiz auf weibliche
Züge zu zaubern vermag, sondern auch als verheißungsvolles Geständnis
herzlicher Xeigung gelten kann, dem bloßen Anblick derart gegenüber-
gestellt würde, daß der Eindruck des einen mit dem des andern
erklärt werden sollte, so müßte ganz selbstverständlich die Wirkung
in jenem Falle als die weitaus tiefere und mächtigere gekennzeichnet
^) Z. B. Jurenka, Römische Lyriker, Kommentar S. 12; A. Wilbrandt, Sappha
(Deutsche Rundschau, 1909, S. 44):
„Ja, dein Lachen, das mir im warmen Busen,
Hör ich's kaum ertönen, das Herz erschüttert."
— 158 —
sein. Das nehnien auch alle Vertreter dieser Ansicht an, aber es
stimmt nicht zum Wortlaut ; mit viel mehr Recht könnte man behaupten,
daß ETtvöaGEv kurz und matt klinge neben der überschwenglichen
Schilderung der Gefühle, die der bloße Anblick des Mädchens auslöst.
Es ist somit schlechterdings unvereinbar mit der Überlieferung, Sappho
sagen zu lassen: „Weil schon ein flüchtiger Blick auf die Geliebte
mich außer Fassung bringt, so bin ich vollends nicht imstande, ihr
fröhliches Geplauder zu ertragen."
Überblickt man die ganze vorangehende Strophe
(paivETaL (.lOL XTJwg Tdog d-soiaiv
ef^iftev covr^Q oarig evavvlog toi
KdvEL ytal TtXaolov adv cpwvev-
oag VTcaxovei
'Aal yelalaag ijUEQoev^
so erübrigt nur noch die Beziehung von to auf den ganzen Relativ-
satz: die Tatsache, daß jetzt ein Mann ihr gegenübersitzt und
mit ihr traulich spricht und scherzt, das zerreißt der Dichterin das
Herz; sie will den teuern Besitz mit niemandem teilen. Eifersucht
also ist es, die Sappho mit ihrer Liebe rechtfertigt; und mag auch
selbst ein Welcker (Kleine Schriften, II, 99*^) diese Erklärung
zurückgewiesen haben, sie ist die einzig mögliche.^) Da demnach
nicht ein starker Eindruck mit einem schwächeren verglichen werden
soll, hat man kein Recht, verschiedene Stärke des Ausdrucks zu
erwarten; und die Wortwahl der feinen Seelenkennerin kommt so erst
zu ihrer vollen Geltung: die Eifersucht regt ihr das Herz auf, die
Liebe dringt ihr in alle Sinne und Glieder.
Erst von dieser Grundlage aus kann man an die Deutung der
Eingangsworte schreiten. Welcker, Kleine Schriften, II, 99*^ gibt
folgende Erklärung: ,.Der Mann, der dir nahe sitzen und ruhig ver-
w^ eilend deinem süßen Gespräch und Lachen zuhören kann, scheint
mir wie ein Gott — nicht bloß glücklich, wie Hör. Od. I, 1, PO, sondern
auch eine stärkere Natur als ich Weib." Der Irrtum dieses Großen
wirkt noch im jüngsten Kommentar nach; 2) und doch hatte schon
Neue (Sapphonis Mytilenaeae fragmenta, 1827, S. 29f.) das befreiende
^) Heller, Philol. 1856, XI, 432, zutreffend: „potius i^rj)Mrvmag affectiones Sappho
describat necesse est; quam enim oh rem aliter virum commemoraret sedentem ex
adverso puellae?"
'') Catulli Veronensis Über erklärt von G.Friedrich, 1908, S. 237: „sie preist den
glücklich — er müsse ein Gott sein an Stärke — , der es erträgt, ihrer Geliebten
gegenüber zu sitzen, ihren ganzen Reiz auf sich wirken zu lassen, ihn in sich zu trinken ;
sie selbst vermag das nicht". Wo steht das?
— 159 —
Wort gesprochen: „Ät veteres poetae constanter deos aeque ac mortales
amoris potentiae neganf pares esse ; ncque in verbis quidquam reperitur,
quod ad toleranüam pertineat, 7iullum öuvaiai^ vtcoliIvu^ ir^Tj^ sed
vocahula Xooq d-eolaiv altiorem quendam dignitatis et felicitatis gradum
ostendunt, in quem ille csccndisse vldeatur." Die bloße Andeutung der
Kraft , die in dem charakterisierenden Wesen des allgemeinen Pronomens
oavig liegenkann (s.Kühner-Gerth, Grammatikll, 399"f.), hätte in einem
Falle, wo sich alles gerade um die Fähigkeit oder Unfähigkeit, die
Fülle weiblichen Liebreizes zu genießen, drehen würde, der Dichterin
gewiß nicht genügt. Doch e^ bedarf dafür, daß die Worte laog &eoioiv
himmlische Seligkeit ausdrücken (Belegstellen bei Baehrens), keines
weitern Beweises mehr, nachdem der Sinn des Sätzchens t6 {uoi {.läv
■/MQÖlap h Gcr^d-eaiv htiöaa^v festgelegt ist. Damit ist zugleich der-
Grundton des Liedes gefunden, das wehmütig ausklingt in den letzten
erhaltenen Worten dlXä Ttäv TÖXuacov. Den Anstoß zur Eifersucht
gibt die Vorstellung bräutlichen Glückes, das Mädchen und Mann zu
innigem Schwätzen und Schäkern zusammenführt; unleugbar gewinnt
das Gedicht wesentlich durch die Annahme eines tragischen Konfliktes
der Liebesansprüche der bisherigen Freundin und des künftigen Gatten,
und das Pronomen oaiig hindert keineswegs, unter %rivog eine bestimmte
Persönlichkeit zu verstehen (Kühner-Gerth, II, 400). Die Anfangs-
worte aber cpalvetal /not 'Afji'og l'aog d-eoiOLv efifiev cjvriQ sind nur eine
Ankündigung jenes Hauptmotivs. In solchem Zusammenhang hat die
Stärke des Mannes, die mit ruhiger Zuversicht die Pfeile des Liebes-
gottes auf sich eindringen läßt, keinen Platz; ja eine Anspielung
darauf würde in das zart abgestimmte Tongemälde hineingellen wie
eine schneidende Dissonanz.
So allein vermag ich das entzückende Liedchen zu verstehen,
und so verstehe ich das Gedicht CatuUs, das ihm nachgebildet ist.^)
Auch hier ist natürlich mit par deo und seiner echt CatuUischen
Steigerung videtur superare divos^) nicht göttliche Stärke, sondern
göttliche Seligkeit gemeint, wie es jeder unbefangene Leser zunächst
auffassen wird; auch hier ist das, was den Dichter erschüttert und
ihm die Besinnung raubt, nicht das süße Lächeln, da dessen Eindruck
nicht damit begründet sein kann, daß der erste Anblick einen viel
tiefer aufwühlenden Eindruck hervorrief, sondern die Eifersucht quod
^) Vgl. übrigens Lucrez III, 152 ff. ubi vementi magis est commota metu mens ....
videmus sudoresque ita palloremque existere toto corpore et infrinyi linguam vocemque
ahoriri caligare oculos sonere auris succidere artus und Hei nzes Kommentar, der trotz
der weitgehenden Übereinstimmung Abhängigkeit bestreitet.
2) Vahlen , Berliner Universitäts-Programm 1896 7, S. 15 = Opuscula academica II, 229.
— 160 —
nie sedens adversus identidem te spectat et audit dulce ridentem, und
zwar wohl gleichfalls Eifersucht auf einen einzelnen bestimmten Mann,
weshalb denn auch misero (Z. 5) nicht einfach „leidenschaftlich verliebt"
heißt, ^) sondern mit der ganzen Wucht seiner Grundbedeutung dasteht;
auch hier wird die Eifersucht begründet mit jener rasenden Liebe,
die beim ersten Anblick aufloderte, seine Zunge gelähmt, seine Sinne
betäubt hat; und wie sehr Catull verzehrender Eifersucht unterworfen
war, zeigen Gedichte wie 72 und 85.
Die Hauptfrage aber, die dieses Gedicht stellt, knüpft sich an die
von Catull hinzugefügte Schlußstrophe:
Otium Catulle tibi molestum est,
Otio exsultas nimiumque gestis,
Otium et reges prius et heatas
Perdidit urbcs.
Nach dem leidenschaftlichen Gefühlsausbruch, der den Schein der
Originalität durch die namentliche Ansprache der Lesbia vortäuscht,
klingt sie mit ihrer frostigen Rhetorik, die nicht bloß in der aufdring-
lichen Anaphora, sondern auch in der Klimax '^) zur Geltung kommt,
und mit der schulmäßigen Belehrung aus der Geschichte der Könige
und Städte entsetzlich nüchtern. Man hat es längst gefühlt, daß hier
eine unüberbrückbare Lücke klafft; in der Tat wäre es eine psycho-
logische Ungeheuerlichkeit, wenn derselbe Mann, der eben noch in heißer
Liebesbrunst die einzig Eine anschmachtete, nun plötzlich, um sich zur
Selbstbesinnung zu mahnen, gerade solche Worte an sich richtete, die
den Schwung und die Innigkeit der vorausgehenden Lügen straften. ^)
^) So Baehrens und Friedrich.
") molestum = ennuijant, du langweilst dich ; exsultas nimiumque c/estis = die Muße
macht dich übermütig und begehrlich; sie ist auch im Großen eine verheerende Gewalt.
^) Goldbacher, Wiener Studien XXIX, 1907, 112: „sonderbar nimmt es sich denn
doch aus, daß der Dichter in einem und demselben Gedichte, in dem er seine Geliebte in
so zarter Weise seiner Liebe versichert, derselben zugleich erklärt, das, was ihn in diesen
Seelenzustand gebracht habe, sei nichts anderes als Mangel an ernster Arbeit, nichts anderes
als Müßiggang". Das Mißverhältnis wird nicht gebessert durch die haltlose Annahme Neues
(Sapphonis Mytilenaeae fragmenta 1827, S. 35 f.) und Lachmanns (Epistola ad C. Fran-
kium 1839 ^ Kleinere Schriften II, 79), daß Catull den Grundgedanken der Strophe von der
Sappho herübergenommen habe, oder durch Drachmanns Einfall (Catulls Dichtung beleuchtet
im Verhältnis zu der früheren griechischen und römischen Literatur 1887), daß vorher ein
krankhafter Zustand geschildert sei, für den der sich beobachtende Dichter schließlich den
Grund angebe (s. Magnus im Jahresbericht über die Portschritte der Altertumswissenschaft
LXXXXVII, 1898, 203). Unempfindlich gegen den schrofTen Zusammenstoß der zwei unver-
einbaren Stimmungen waren nur wenige, wie Westphal, Catulls Gedichte, 1867, 48f.^
Baehrens II, 259 f., \g\. EUis, A commentary on CaiuUus, 175.
— 161 —
Damit, daß man einen spöttischen Ton hinzudenkt, ist der Anstoß
nicht beseitigt. Es fehlt in der antiken Literatur und insbesondere
bei Catull nicht an Stellen, wo der Dichter zu sich spricht i); aber
die alten Dichter wußten es sehr lebenswahr darzustellen, wie man
sich selbst aus dem Luftreich der Schwärmerei auf den rauhen Boden
der Wirklichkeit zurückruft ^) ; nichts ist dazu weniger geeignet als
rhetorische Phrase und hohles Pathos. Verschiedene Versuche sind an-
gestellt worden, um jenen unerträglichen Widerspruch zu lösen. Man
hat vermutet, daß die Schlußstrophe interpoliert, daß davor ein Über-
gang ausgefallen, daß sie der karge Rest eines andern Gedichtes sei. ^)
Die letzten Jahre haben drei neuartige Vorschläge gebracht.
Goldbacher (Wiener Studien XXIX, 1907, llOflP.) hat scharf betont,
daß die ersten drei Strophen Catulls, die nur eine Übersetzung des Gedichtes
der Sappho sind, gar nicht seine eigenen Gefühle wiedergeben und daß er
mit der vierten das Ganze als dichterische Spielerei kennzeichne. Dem-
gemäß setzt er für otium die Bedeutung otium litteratum , otium studi-
osum fest, „die Beschäftigung mit der Poesie, die Hingebung an den
poetischen Flug", und gibt S. 114 f. die Erklärung: „Otium Catulle tibi
molestum est^ d. h. wohin verlierst du dich, CatuUus? Die molestiae, von
denen du sprichst, sind ja nicht deine molestiae, sie sind vielmehr ein
Ausfluß deines otium ^ deiner Beschäftigung mit dem Gedichte der
Sappho und der darin schaffenden dichterischen Phantasie, otio exsuUas
nimiumque gestis: dichterische Phantasie ist es, die dieses Übermaß
(nimium) von Liebesdrang und Leidenschaft in dir erzeugt; otium reges
prius et heatas perdidit urbes : hat doch dichterische Phantasie Könige
und Städte, die vormals glücklich waren, im Liebeswahn sich auf-
reiben lassen ... Er spielt auf die Homerische Dichtung an, welche
aus dem Raube der Helena durch Paris den trojanischen Krieg ent-
brennen ließ." Dieser Ausweg ist nicht gangbar. Nicht einmal das
griechische oxo^, geschweige otium ist in der übertragenen Bedeutung,
die Goldbacher zugrunde legt, so geläufig, daß die römischen Leser
hier auf sie verfallen Avären. Ich kenne überhaupt nur eine Stelle, wo
das nackte otium ähnlich gebraucht wird: Ovids Trist. II, 223 f.
lusibus ut possis advertere numen ineptis
excutiasque oculis otia nostra tuis,
und hier ist es der Zusammenhang, der die Bedeutung unzweifelhaft
an die Hand gibt. Überdies läßt sich die von Goldbacher geforderte
^) S. z. B. Ellis, Ä commentary on CatuUus, p. XXIXf.
2) Vgl. Theokrit XI, 72, c5 KvxXcor/j KvxXmp na zag cpgevag ixnenöiaaai, Vergil Ed.
II, 69, a Corydon Corydon quae te dementia cepit.
3) Umfassender Überblick über diese Vermutungen in der Ausgabe von Ellis.
Wiener Eranos. H
— 162 —
Bedeutung nur mit Gewalt in jener Strophe durchsetzen, besonders
in den zwei Schlußversen , und was ist das für ein Zusammenhang:
„die soeben dargestellte Liebesqual ist nur dichterische Spielerei, auf
deren Rechnung auch der angebliche Liebesdrang zu setzen ist, und
dichterische Phantasie hat schon Könige und Städte zugrunde gerichtet
oder untergehen lassen;" soll derartige Bösartigkeit der dichterischen
Phantasie etwa begründen, daß sie auch unechte Liebessehnsucht zu
suggerieren vermag? Goldbacher hat das Rätsel nicht gelöst; aber
mit Recht hat auch er mehrmals hervorgehoben, daß die letzte Strophe
selbständig den vorangehenden gegenübertritt.
Der Wahrheit sehr nahe gekommen istBirt (Philol. LXIII, 1904,
446), der die letzte Strophe dem alter ego CatuUs, seinem Genius, in
den Mund legt, dessen Eingreifen er auch in andern Gedichten ver-
mutet. Aber Birt ist auf halbem Wege stehen geblieben; denn im
Grunde ist der Genius nur die ins Göttliche erhobene Persönlichkeit
selbst, ihr daL(.i6vLov ^ und für den Eindruck des Gedichtes macht es
daher keinen wesentlichen Unterschied, ob diese Worte dem Catull
selbst oder seinem Genius zugewiesen sind.
Der jüngste Erklärer Catulls, G. Friedrich, verlegt das rätsel-
hafte „Postskriptum" in eine spätere Lebenszeit Catulls: „der Stand-
ort, von dem die Leidenschaft zu Clodia angesehen wird, ist ein völlig
anderer: es kann unmöglich von Anfang an dazu gehört haben. Unsere
Strophe hat in dem lihellus, der dem Cornelius gewidmet war, aber der
Clodia allein galt, gefehlt und ist in merkwürdiger Selbsterkenntnis
erst hinzugefügt worden, als das Verhältnis eine schlimme Wendung
nahm." Das Heilmittel ist nicht viel weniger gewaltsam als die längst
abgetane Interpolationstheorie.
Nein! Birt hat recht, daß die Worte nicht dem Dichter selbst
in den Mund zu legen sind, sondern jemand anderem, aber dieser
Andere ist nicht sein besseres Ich, sein Genius, sondern — Lesbia.
Mit feiner Schmeichelei, wie sie nur gegenüber einer literarisch ge-
bildeten Dame angebracht war, besingt der Dichter seine Göttin im
Tone der lesbischen Dichterin und wählt vielleicht mit Rücksicht dar-
auf den Namen Lesbia. i) Er bekennt ijir, wie tief der Gedanke, daß
ein andrer mit ihr scherze und kose, ihn erregt, weil er vor Liebe
seiner nicht mehr mächtig sei. Nicht bloß ein Liebesbekenntnis ist
das , sondern zugleich eine Liebeswerbung ; aber spröde weist sie ihn
zunächst mit überlegen kühlem Spotte ab: „Du suchst meine Liebe nur
^) So auch AVestphal, Catiüls Gedichte, 49: Baehrens stellte II, 27 die ansprechende
Vermutung auf, daß Clodia für Sapphos Gedichte schwärmte.
— 163 —
zum Zeitvertreib, weil die Muße dir schon lästig geworden ist und
weil dich der Haber sticht; dazu bin ich mir zu gut (nimium gestis).
Solcher Müßiggang hat sogar mächtige Könige und Städte zugrunde
gerichtet. Fang lieber was Gescheites an ;" vgl. Ovid Remedia amo7^s
139 Otia si tollas , periere Cupidinis armes und 143 f. Tani Venus otia
amat, qui finem quaeris amoris , (cedit anior rebus) res age , tutus eris,
weitere Parallelstellen in den Kommentaren von Baehrens und Fried-
rich. Von Königen 1) scheint mir hier in erster Linie Sardanapal in
Betracht zu kommen, der gerade damals durch das Werk des Tima-
genes (s. Justin I, 3) den literarisch angeregten Kreisen der griechisch-
römischen Welt näher gerückt worden war.
Ich fürchte nicht, daß jemand den pedantischen Einwurf erheben
könnte, es müßten die Namen Catulls und Lesbias vor Rede und Ge-
genrede stehen; denn es genügte ein größerer Zwischenraum vor der
letzten Strophe, um das Verhältnis klar zu machen. Aber meine Auf-
fassung des Gedichtes tritt in Gegensatz zu der Behauptung Fried-
richs (65), daß die Initiative in diesem Liebesverhältnis auf Lesbia
zurückgehe; doch er nimmt seine Beweise nur aus Gedichten, die auf
Erneuerung der Beziehungen gehen. Jetzt sehen wir es klar, sie hat
sich ihm nicht an den Hals geworfen, sondern ließ sich erst in wieder-
holtem Ansturm erobern ; 2) aus der ersten Abfertigung klang es ja
allerdings wie eine Aufforderung durch, die Echtheit der Liebe erst
zu erweisen, und das konnte dem jungen Feuergeist nicht schwer fallen.
Gerne möchte man wohl wissen, wie Lesbias erste Entgegnung
tatsächlich gelautet hat; doch wer könnte sich unterfangen, der Dich-
tung schimmernden Schleier so weit zu heben. Gleichwohl darf an der
Wirklichkeit der Situation, die den Dichter inspiriert hat, nicht ge-
zweifelt werden, wie ja selbst Tibulls Gedichten gegenüber jetzt die
ängstliche Zurückhaltung, die bis vor kurzem Mode war und in jeder
Einzelheit ein griechisches Vorbild witterte, einer gesunden Ausdeutung
zu weichen beginnt.
^) Vgl. Eilis, A commentary on Catullus, 178.
^) Baehrens II, 27, zu optimistisch; ^feminam quoque in initio certe probam
honestamque videmus per aliquod tetnpus officii erga maritum memorem(?) restitisse
precibus cupidi amatoris."
11*
Zu Properz.
Von
KARL PRINZ.
In meiner Anzeige von Rothsteins erklärender Properz- Ausgabe
(Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 1899, S. 308 — 316) war ich bemüht, ihren
Yorzügen gerecht zu werden, ohne jedoch zu verschweigen, daß des
Gelehrten Erklärung oft dem Dichter eine auffallende Gespreiztheit
und Geschraubtheit der Sprache und Gedanken zumute. Diese
Behauptung suchte ich durch eine kurze Besprechung mehrerer Stellen
zu erhärten. Im nachstehenden sei es mir gestattet, drei Stellen heraus-
zuheben und zum Teil dort bereits kurz Angedeutetes hier des weiteren
auszuführen oder zu berichtigen. Das Ziel, das ich mir setzte, ist ein
sehr bescheidenes: handelt es sich mir doch in allen drei Fällen bloß
darum, älteren Erklärungen wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen.
I, 8, 4.
Es ist eine alte Streitfrage, wie es scheint, ob man in diesem
Yerse quolihet mit vento zu verbinden oder es davon zu trennen und
als Adverbium zu ire zu ziehen habe. Denn schon Passeratius hatte
geschwankt und sich dann doch für die letztere Auffassung entschieden.
Burmann widersprach und erklärte, die Verbindung mit vento ent-
spreche viel besser dem Sinne; ihm schloß sich unter den neueren
Erklärern Herzberg an. Rothstein dagegen ist wieder zur Anschauung,
des Passeratius zurückgekehrt und bemerkt in seinem Kommentare:
„vento ire gehört zusammen (vgl. sequere Italiam ventisYirg. Aen. IV, 381)
und quolihet ist Adverbium." Es dürfte also vielleicht doch nicht ganz,
überflüssig sein, noch einmal zu prüfen, welche von beiden Auffassungen
die richtige ist.
Zunächst soll nicht bestritten werden, daß die Verbindung vento-
(ohne Attribut) ire in aliquem locum sprachlich möglich ist; freilich zu
*
— 165 —
der von Rothstein angeführten Vergilstelle bemerkte schon Servius:
„sane multi Italiam distinguunt, ut sequatur: Ventis pete regna per undas,"
wozu sie vielleicht durch die Erinnerung an eine andere Stelle ver-
leitet wurden, wo sich diese Verbindung findet: Aen. II, 25 vento pe-
frtsse Mycenas (ebenso Aen. II, 180 und Ov. met. XV, 643), so daß ihre
Ansicht auch unter den jüngsten Vergil-Erklärern Anhänger gefunden
hat. Aber wenn man sagen kann: nam modo Threicio Borea, modo
ciirrimiis Euro (Ov. ars am. II, 431) oder vento accedere oras (Verg. Aen. I,
307; schon bei Enn. Ann. 387 V. cum procul aspiciunt hostes accedere
ventis navibus velivolis) oder ventis in patriam properare (Cic. epist. XII,
25, 3), so ist gewiß gegen vento ire (in aliquem locum) nichts einzuwenden.
Naturgemäß wird freilich in solchen Wendungen häufiger ein Attribut
zu ventus hinzugefügt; man vergleiche beispielsweise: secundissimo
vento cursum tenere (Cic. nat. deor. III, 83; Plane. 94), suo vento navigare
(Ov. rem. 14), suo vento ire (Ov. trist. III, 5, 4), dubiis ventis venire
(Claudian. XXII, 255), (venire) vento molesto (Cic. Att. V, 12, 1), (venire)
saevo vento, non adverso (Cic. ibid.), flatu secundo ire (Ov. met. XIV, 226),
mediis aquilonibus ire (Verg. Aen. IV, 310). Man sieht, der Sprach-
gebrauch allein kann an unserer Stelle nicht entscheiden, welche von
beiden Erklärungen vorzuziehen ist; zum Ziele kann uns vielmehr
bloß die Erwägung führen, welche wohl dem Sinne mehr entspricht.
Der Dichter hatte gefragt: „Bist du also wirklich wahnsinnig?
Die Sorge um mich hält dich gar nicht?" Er fährt fort: ,.Ziehst du
mir selbst das kalte Illyrien vor oder gilt dir jener Mann, wer immer
er ist, bereits so viel, daß du ohne mich (d. h. wenn du mich nur los
bist) mit dem Winde, gleichviel wohin, gehen willst?" Das wäre der
Sinn der Stelle, wenn wir quoUbet als Adverbium fassen. Aber ich
denke, so würde der im letzten Vers ausgesprochene Gedanke bloß
den des zweiten wiederholen und überdies nach der bestimmten Angabe
des Reiseziels, des unwirtlichen Illyriens, das unbestimmte quolibet
keine Steigerung des Effekts, eher eine Abschwächung bringen. Auch
nimmt sich das unbestimmte vento in diesem Zusammenhange doch
etwas sonderbar aus. An einen vorschwebenden Gegensatz zu remis
ist nicht zu denken, vielmehr könnte der Sinn meines Erachtens bloß
sein: „gleichviel, wohin dich der Wind trägt"; aber das stimmte
dann wieder nicht zu Vers 2, der uns ein bestimmtes Reiseziel angibt.
Wie aber steht es, wenn wir vento quolibet verbinden? Nun ergibt sich
sichtlich eine Steigerung: V„Nach dem unwirtlichen Illyrien willst du
fort? So wenig gelte ich dir? Und jener Nebenbuhler steht bei dir
schon in solcher Gunst, daß du bereit bist, wenn nur von mir befreit,
bei jeglichem Winde, ob günstig oder widrig, die Reise zu machen?"
— 166 —
Ich gestehe, daß mir die Gedanken so dem Ethos der Stelle viel
angemessener zu laufen scheinen. An welchen Wind bei vento quolihet
gedacht ist, ergibt sich aus diesen Versen von selbst und lehrt noch
deutlicher der unmittelbar folgende: „Du bringst es über dich, tapfer
das Brausen des wütenden Meeres (vesani ponti) zu hören? Du vermagst
auf hartem Verdeck zu liegen?" und etwas später Vers 13: tales
suhsidere ventos, das heißt „hosßatos hibernos", wie Lachmann richtig
erklärte. Mit den Versen 5 — 8 scheint mir trefflich die Liebesleiden-
schaft des Weibes zu dem neuen Galan charakterisiert zu werden, sie
sei echt oder affektiert: „Das schwache, verwöhnte Geschöpfchen ist
jetzt auf einmal abgehärtet genug, um auf den Dielen des Verdecks
zu liegen und der Seekrankheit zu trotzen! Ist's möglich?" Wem fiele
hier nicht die ausgezeichnete Schilderung jener liebestollen verwöhnten
Römerin ein, die wir bei Juvenal VI, 88 ff. lesen:
„Sed quamquam in magnis opibus plumaque paterna
et segmentatis donnisset parvula cimis,
contempsit pelagus ; famani contempserat olim,
ciiius apud molles minima est iactura cathedras.
Tyrrhenos igitur fluctus lateque sonantem
pertulit lonium constanti pectore, quamvis
mutandum totiens esset mare. iusta pericli
si ratio est et honesta, timent pavidoque gelantur
pectore nee tremuUs possunt insisfere plantis :
fortem animum praestant rebus quas turpiter audent.
si iubeat coniunx, durum est conscendere navem,
tunc sentina gravis, tunc sunimus vertitur aer :
quae moechum sequitur, stomacho valet. illa maritum
convomit, haec inter natitas et prandet et errat
per puppern et duros gaudet tractare rudeyitis."
Welche Jahreszeit Properz für diese Fahrt voraussetzt, ergibt sich
klar aus den folgenden Versen, in welchen vom Schnee die Rede ist, der
Illyrien bedeckt, und von den tempora hibernae hrtimae; es ist also
W^interszeit, zum mindesten steht der Winter vor der Tür. Wenn sich
hieran gleich der Wunsch anschließt, es möge die Winterszeit doppelt
lange dauern, so ist das nur verständlich, wenn man annimmt, der
Dichter könne sich doch nicht denken, daß sich Cynthia wirklich in
dieser Jahreszeit zu einer solchen Reise entschließen werde ; offenbar
denkt er: Zeit gewonnen, alles gewonnen. So scheint sich mir alles
wohl zusammenzuschließen, wenn wir uns zu der Auffassung Bur-
manns bekennen. Ich möchte sie aber auch noch durch den Hinweis
— 167 —
darauf stützen, daß aucli zwei andere Dichter in ähnlicher Situation
den gleichen Gedanken betonen: „mir zu entfliehen, scheust du selbst
das stürmische Wetter nicht?" Ich meine die Stelle in der Äneide
(IV, 307 fF.), wo Dido klagt:
„Nee te noster amor nee te data dextera quondam
nee moHtura tenet erudeli funere Dido?
quin etiam hiberno moliris sidere elassem
et mediis proper as aquilonibus ire per altum,
crudelis? quid, si non arva aliena domosqiie
ignotas peteres et Troia antiqua maneret,
Troia per umlosum peteretur classibiis aeqiior?.
mene fiigis?"
und Ovid, epist. YII. 39 fF., wo er Dido gleichfalls sagen läßt:
„. . . mare^ quäle indes agitari nunc quoque ventis:
quo tarnen adversis fluctibus ire paras.
quo fugis? obstat hiempsf hiemis mihi gratia prosit,
aspice, ut eversas concitet eurus aquas.
quod tibi malueram, sine me debere procellis :
iustior est animo ventus et unda tuo."
Man beachte, wie auch hier die Verlassene vom Aufschub der
Fahrt infolge der stürmischen Winterszeit für sich selbst eine günstige
Wendung erhofft; noch deutlicher wird dies etwas später (Vers 51) mit
den Worten ausgesprochen: tu quoque cum ventis utinam mutabilis esses !
IV, 3, 51 ff.
Arethusa bedauert es, daß die Römermädchen nicht in den Krieg
mitziehen dürfen ; sie würde sonst gern ihren Gatten auf seinen Kriegs-
zügen begleiten; es folgen die Verse:
46 Essern miUtiae sarcina fida tuae,
nee me tardarent Scythiae iuga, cum pater alias
astricto ^) in glaciem fiigore 7iectit aquas.
omnis amor magnus, sed aperto in coniuge maior:
50 hanc venus, ut vivat, Ventilat ipsa facem.
nam mihi quo? Foenis tibi purpura fulgeat ostris
crystallusque meas ornet aquosa manus.
omnia surda tacent, rarisque adsueta kalendis
vix aperit clausos una puella lares,
^) Africus oder Affricus die Handschriften.
— 168 -•
55 GJaucidos et catulae vox est mihi grata querentis:
illa tili partem vindicat una toro.
Hier haben den Erklärern besonders Vers 51 und 52 Schwierig-
keiten gemacht. Liit Johann wunderte sich in seinen Commentationes
Propertianae (Kiel 1869), was für ein sonderbarer Beweis doch damit
für den vorausgehenden Gedanken: omnis amor magnus etc. erbracht
werde. Er sagt (S. 37): ,,htmis aiitem sententiae quäle tandeni testimonium
proferunt vv. 51 sq., quippe qiii '^nani particula incipiant? si prohamus^
ut decet, Neapoliiani in v. 52 scriptnram ^meas" (cfr. Jacohus ad h. v.)
„cur mihi,^ itiquit Arethusa „ornamenta induam? non mea causa, sed ut
tibi placeam oimare me soleo". haec tarnen eniintiatio ut praecedentis
distichi normam conßrmet, tantum ahest, ut non possit no7i causam olim
attuUsse, cur Arethusa absente marito se sordidis vestibus indutam quasi
maerere questa sit. eius igitur generis aliquot versus ante v. 51 deperditi
sunt, nisi ^nam* particula sano sensu prorsus carere existimanda est."'^)
Seiner Anschauung schloß sich Baehrens in seiner Textausgabe an,
indem er nach Vers 50 eine Lücke statuierte. Andere Herausgeber
aber, wie Müller, Haupt-Vahlen, Rothstein, Schulze, verhalten
sich dagegen ablehnend. Wie wird nun von ihnen nam mihi quo? erklärt?
Rothstein sagt (Ausg. II, S. 211), das begründende nam knüpfe
nicht an die unmittelbar vorhergehende allgemeine Bemerkung an,
sondern an den Wunsch, mit im Felde zu sein; das wäre trotz aller
Mühe und Gefahren angenehmer als das einsame Leben im Hause,
das eine rechtmäßig verheiratete Frau in der Abwesenheit ihres
Mannes führen müsse. Die Worte mihi quo"^ faßt er als einen ver-
kürzten Fragesatz auf, bei dem ein Verbum der Bewegung zu ergänzen
sei, etwa fuger e licet, „wohin soll ich, was soll ich mit mir anfangen?";
das sei anders gemeint, aber sprachlich nicht verschieden von Fällen
wie quo tu matutinus, ait, speculator amicae (II, 29 b, 31). Ferner faßt
Roth stein die folgenden Konjunktive fulgeat und ornet konzessiv und
verbindet damit als Nachsatz omnia surda tacent etc. „Vom Standpunkte
der sehnsüchtig wartenden Gattin," erklärt er, „erscheinen diese Vor-
bereitungen wie ein Mittel, das den Mann heranziehen soll, das aber
seine Wirkung verfehlt" und „Alle diese Vorkehrungen werden für
den heimkehrenden Gatten getroffen (tibi fulgeat), aber vergebens; alles
bleibt still wie zuvor."
So richtig nun Rothstein erkannt hat. daß das begründende nam
über die unmittelbar vorhergehende allgemeine Sentenz hinweg an
^) Auf Lütjohanns anderweitige Vorschläge von Yersumstellungen hier einzugehen,
verleimt sich nicht.
— 169 —
Arethusas Wunsch, ihrem Manne doch ins Feld folgen zu können,
angeknüpft werden muß — wodurch sich die Bedenken Lütjohanns
«riedigen — , so unrichtig ist alles andere, was er zur Erklärung der
Stelle vorgebracht hat. Ganz entschieden muß man vor allem die
Erklärung von nam mihi 'quo? ablehnen. Arethusa hat gar keinen
Anlaß zu einer Frage : quo mihi fugere licet ? Sie kann ruhig in ihrem
Hause die Eückkehr ihres Gatten abwarten, nichts nötigt sie, an ein
fugere zu denken. Daß vollends diese Wendung soviel bedeuten könne
me: „was soll ich mit mir anfangen?" ist eine durch nichts bewiesene
Behauptung. Aber auch der zweite Teil seiner Interpretation ist durchaus
nicht einwandfrei. Wenn man bedenkt, daß Lycotas viele tausend
Meilen weit von Rom entfernt vor Baktra weilt, so muten uns die
Worte seiner Frau: „Ich mag mich für dich schmücken, wde ich will,
es bleibt alles still, du kommst nicht", doch recht sonderbar an. Auch
darf nicht übersehen werden, daß die Worte omnia siirda tacent ja doch
noch eine Fortsetzung haben: rarisque adsueta kalendis vix aperit claiisos
una puella lares, Glaucidos et catulae vox est mihi cara querentis: illa
tut partem vindicat una toro. Kann das alles auch noch Nachsatz sein
zu einem konzessiven Vordersatz: „Mag ich mich auch für dich
schmücken?'' Mit einer solchen Interpretation würden wir dem Dichter
eine große Geschmacklosigkeit zumuten, wozu uns nichts berechtigt,
aber auch nichts zwingt.
Betrachten wir die Yerse 53 — 56 für sich! Mehrere Einzelzüge
ergänzen hier das schon früher begonnene Gemälde des einsamen
Lebens der armen, verlassenen, nach ihrem Gatten sich sehnenden Frau
in der glücklichsten Weise. Sahen wir früher Arethusa an den Winter-
abenden Wolle spinnen, Länderkunde studieren, umgeben bloß von
ihrer Schwester und der alten Amme, so hören wir jetzt, wie still es
in dem Hause ist, wie selbst die bescheidensten häuslichen Freuden,
die der Larenkult sonst an den Kaienden, Nonen und Iden mit sich
brachte, sich nun auf ein Minimum beschränken — einmal im Monat
öffnet eine einzige Sklavin den Larenschrein! Das ist alles! — wie
Arethusa selbst das Winseln ihres Hündleins Glaucis schon als Trost
in dieser Öde empfindet; sie schließt: „die Glaucis ist's allein, die
einen Teil des für dich bestimmten Platzes im Ehebett in Anspruch
nimmt." Sehr bezeichnend für die in der ganzen Elegie herrschende
Stimmung klingt auch hier wieder der gleiche Ton an, der schon
früher (Vers 11) mit haecne maHta fides et pactae in gaudia^) noctes?
und am vollsten in den Versen 29 — 32 angeschlagen worden war:
*) Diese Besserung Rothsteins (im Anschluß an Haupt und L. Müller) scheint
ipir richtig; et parce avia noctes hat der Neapolitanus.
— 170 —
Ät mihi cum noctes induxit vesper amaraSj
si qua relicta iacent, osculor arma tua.
tum queror in toto non sidere pallia lecto,
lucis et auctorcs non dare Carmen aves.
Aus jedem Worte atmet es: „Dich, dich verlange ich! Ohne
dich keine Ruhe und Rast, ohne dich keine Freude!" Wie kann
sich in diesen Zusammenhang die vorhergehende Erwähnung der
Pracht von Purpurkleidern und des Gefunkeis von Edelgestein
an der Hand logisch allein einreihen? Doch nur so: „jetzt
leuchtet kein Purpurkleid an meinem Leibe, funkelt kein Stein an
meiner Hand." Warum? Klarlich doch nur, weil aller Schmuck für
Arethusa wertlos ist, wenn er, für den allein sie sich schmückt, ferne
weilt. Und dieser Sinn läßt sich unschwer den Versen abgewinnen ; man
hat dies längst erkannt und der alten Erklärung soll hier wieder zu
ihrem Recht verholfen werden.
Was Arethusa Vers 52 — 56 schildert, das ruhige Leben zu Hause
während der Abwesenheit ihres Gatten, wird als wertlos, als bar aller
Freuden hingestellt mit den Worten: 7iam mihi quo? „Denn was hab^
ich davon?", ti töv jaoi r^S^^^'^ wie es bei Homer (S 80) heißt. Eben
hatte sie sich im Geiste wie Hippolyte in Kriegskleidung, den drückenden
Helm auf dem zarten Haupte, alle Beschwerden des Krieges im eisigen
Skythien an ihres Mannes Seite ertragen gesehen (Vers 43—48) ; o, vde
leicht würde ihr dies! Wie wenig mirde sie die Purpurkleider, den
Edelstein an ihrer Hand, das ruhige, stille Leben zu Hause vermissen,
wenn sie ihn. den Ersehnten, nur T\ieder hätte! Hat dies ja doch alles
keinen Wert für sie, wenn er ihr fehlt. Das ist der Gedankengang.
Beabsichtigt war also etwa : 7iam quo mihi fulgere ptirpura, ornare m^nus
crystalJo, cum tu^ unicus mei cultus auctor^ ahsis? Diese Bedeutung von
quo mihi ? ist gesichert durch Beispiele i) wie Ov. ars am. I, 303 quo tibi,
PasiphaCy pretiosas sumere vestes? amor. III, 8, 47 quo tibi turritis incin-
gere moenibus urhes? quo tibi discordes addere in arma tnanus? Pont. I,
5, 67 quo mihi diversum fama contendere in orbem? Hör. sat. I^ 6, 24 quo
tib% Tilliy sumere depositum clavum fierique trihuno? Ov. amor. III, 4, 41
q^uo tibi formo7isam, si non 7iisi casta placebat? 11, 19. 7 quo mihi for-
tunam, quae nunqu am /allere curetf (Hör. epist. I, 5, 12 der gleiche Vers-
anfang) III, 7, 49 quo mihi fortunae tantum? quo regna sine usu? Selbst
in Prosa: Cic. epist. VII, 23. 2 Martis vero signum quo mihi, pacis
auctori? Freilich erscheint hier überall dabei entweder ein Infinitiv
') Sie sind größtenteils gesammelt von Krüger, Gr. d. L. Spr. § 662 c (darnach
Eliwald zu Ovid met. XIII, 103) ; die übrigen gibt Heinsius zu Ovid ars am. I, 308.
— 171 —
oder ein Akkusativ; an unserer Stelle fehlt eine solche Ergänzung.
Wir müssen also eine Ausnahme konstatieren, doch erklärt sie sich
durch den Gegensatz mihi — Vibi, Indem sich Arethusa der Gedanke:
„schmücke ich mich ja doch für dich allein" aufdrängte, wurde der
mit nam mihi quo begonnene' Satz nicht zu Ende geführt, sondern ihm
der neue Gedanke in scharfer Antithese entgegengestellt: tibi purpiira
fidgeat et crystallus manus meas ornetf
Diese Erklärung, die ich im einzelnen näher zu begründen
suchte, ist, wie erwähnt, nicht neu, sondern schon in älteren Ausgaben
versucht worden. Sie läßt sich auch noch durch den Hinweis auf zwei
Parallelen stützen, die mir zu beweisen scheinen, daß der nach unserer
Erklärung in den Versen 51 — 52 enthaltene Gedanke mit Vorliebe
Frauen in den Mund gelegt wurde, die von ihrem Geliebten oder
ihrem Manne getrennt sind oder werden. Die eine finde ich in dem
Sappho-Briefe — ob er Ovid zum Verfasser hat oder nicht, kann für
uns hier gleichgültig sein — ; dort schreibt die verlassene Dichterin
(Vers 73 ff.) an ihren Geliebten:
„Ecce, iacent collo sparsi sine lege capilli^
nee premit artieulos lucida gamma meos.
veste tegor vili^ nullum est in crinihiis aurum^
non Arabum noster rore capillns ölet.
Olli colar infelix, aut cui placuisse laboremf
nie mei cultiis unicus auctor abest.''
Da haben wir dieselbe Stimmung wie in unseren Properz-Versen
und sehen, me der Dichter die gleichen Mittel verwendet, um sie zum
Ausdrucke zu bringen. Ferner möchte ich auf Stat. Theb. IV, 200 ff.
hinweisen; dort spricht Argia zu ihrem Gatten, der in den Krieg zieht,
indem sie ihm ihren Schmuck, das berühmte Halsband der Harmonia,
einhändigt, Worte, die ihr das gleiche Empfinden treuer, inniger Liebe
zum Manne eingibt; die Stelle lautet:
lila libens .... ipsa sacros gremio Polynicis amati
exuerat ciiltus haut maesta atque insuper addit:
„non haec apta mihi nitidis ornatibtis" inquity
„tempora, nee miserae placeant insignia formae
te sine: sat dubiiim coetu solante timorem
/allere et incultos aris adverrere crines.
scilicet (infandumf), cum tu claudare minanti
casside ferratusque sones^ ego divitis auriim
Harmoniae dotale geramf"
— 172 —
IV, 5, 47 ff.
Die Kupplerin Acanthis stellt als Grundsatz in ihrem Hetären-
katechismus auf:
Janitor ad dantes vigilet: si pulset inanis,
Surdiis in ohductam somniet usque seram.
Der zweite Vers ist verschieden erklärt worden ; selbst Änderungen
wurden versucht, doch ist die handschriftliche Überlieferung jetzt auch
durch eine Wandinschrift in Pompeji (CIL lY, 1894) gesichert. Ich
bespreche den jüngsten Erklärungsversuch Rothsteins (Ausgabe II,
S. 239) zunächst. Nach ihm bedeutet der Vers, der Türhüter solle,
wenn ein Armer klopfe, so tun, als ob er so fest schlafe, daß er das
IQopfen nicht höre. Die Folge dieses Verhaltens werde durch in ohduc-
tam seram bezeichnet. Und zwar gebe in mit dem Akkusativ den Zweck
oder die Wirkung der Handlungen, etwa so, wie man dormiat in meam
calamitatem sagen könne; nur werde der abstrakte Begriff hier durch
ein Substantiv mit einem Partizip vertreten. Rothstein führt zur
Stütze seiner Erklärung folgende Stellen an: 1) Prop. III, 9, 56
Äntonique graues in sua fata manus \ 2) III, 22, 38 curvatas in sua fata
trabes; 3) IV, 5, 71 eanis in nostros nimis experreda dolores; 4) IV, 6, 13
Caesaris in nomen ducuntur carmina; 5) Hör. od. II, 3, 27 nos in aeternum
exilium impositura cymhae; 6) Ov. am. I, 13, 46 commisit noctes in sua
Vota duas; 7) met. VII, 738 in mea pugno vulnera; 8) fast. III, 482 in
lacrimas cognite, Bacche^ meas; 9) Liv. XXVI, 16, 11 multitudo civium
dissipata in nullam spem reditus.
Prüft man jedoch die angeführten Stellen und versucht, die
gleiche Erklärung, die sie zulassen, auch auf unsere Stelle anzuwenden,
so ergibt sich, daß dies unmöglich ist. Man kann die Beispiele in zwei
Gruppen teilen; ^j zur ersten gehören 1, 4, 6, 7, deren Sinn ist: Die
Grausamkeit der Hände des Antonius (1) hat seinen eigenen Tod zum
Ziel, wie das Singen des Liedes (4) Cäsars Ruhm, die Vereinigung
zweier Nächte, die Jupiter vornimmt (6), die Erfüllung seiner Wünsche;
so strebt auch Cephalus (7) mit seinem Kampfe nach seinem eigenen
Leide. Zur zweiten Gruppe gehören die Beispiele 2, 3, 8, 9; ihr Sinn
ist: Das Biegen der Bäume, das Sinis beliebt (2), sollte seinen eigenen
Tod zur Folge haben, wie das Wachen des Hundes (3) die Schmerzen
des Dichters, die Bekanntschaft mit Bacchus (8) die Tränen, die Zer-
streuung der Bürger Capuas (9) den Verlust jeder Hoffnung auf Rückkehr.
Demnach könnte somniare in ohductam seram nur bedeuten, das Träumen
des Türhüters habe zur Folge, daß der Riegel vorgeschoben wird (oder
^) Beispiel 5 möchte ich lieber nicht hieher ziehen.
— 173 —
bezwecke, daß er es werde) ; ich denke, das Widersinnige einer solchen Er-
klärung liegt auf der Hand, selbst wenn man Rothsteins Ausflucht, der
abstrakte BegriiF sei hier durch ein Substantiv mit einem Partizipium
vertreten, gelten lassen wollte. Wir müssen eben annehmen, daß die
Tür auch geschlossen ist, wenn ein Reicher kommt; nur daß dann der
Türhüter wachen, das heißt, auf sein Klopfen hin den Riegel zurück-
schieben und den Besucher einlassen soll; kommt aber ein armer
Teufel, dann soll er ruhig weiter schlafen und den Riegel hübsch vor-
geschoben lassen. Letzteres kann also nicht erst als eine Folge oder
als Zweck seines Schlafens hingestellt werden. Anders liegt die Sache
in dem von Rothstein vergleichsweise beigesetzten Beispiele: ianitor
dormit in meam calamitafem; hier ist die Folge seines Schlafens wirklich
mein Unglück.
Demnach wird man diese neueste Erklärung aufgeben und sich
nach einer anderen umsehen müssen. A^on den schon vorgebrachten
verdient meines Erachtens nur eine einzige wirklich Beachtung; es ist
die Joh. Fr. Grronovs, der (Diatr. Stat. cap. 51, p. 336) die Stelle so
verstanden hatte: „somniet inclinatus in seram^ iaceat acclinis serae
ohductae ceu somniet.^' Ich hoffe diese Erklärung, für die sich u. a. auch
Hertzberg (Ausg. II, 453) ausgesprochen hat, durch einige Parallelen
stützen zu können.
WieCelsus (med. YII, 27, p. 314, 21 D.) sagt (aeger) collocari dehet . . .
in ventrcm^ so an anderer Stelle (YII, 26, 5, p. 313, 37 D.) cubare in
ventrem iucundius est (ebenso Y, 26, 10) oder II, 3, p. 32, 25 D. si
(aeger) in latus aut dextrum aut sinistrum, ut ipsi visum est, cubat; daß
auch der Poesie diese Ausdrucksweise nicht fremd ist, lehrt z. B. Juv.
III, 280 cubat in fadem, mox deinde supimis (Nachahmung von Hom.
IL XXIY 9 ällov STtl TcXevQccq '/MiaKel/Ltevog, älloze ö avte VTtnog^
älXoxe de TtQrjvrig) oder Ov. ars am. III, 788 (femina) iacct in dextrum
semisupina latus. Nur gering wäre die Abweichung von diesem Sprach-
gebrauch, wenn nach Analogie von cubare in dextram aurem gesagt
würde: dormire in dextram aurem; und daß dies wohl möglich war,
beweist Terent. Haut. 342 ademptum tibi tarn faxo omnem metum, in
aurem utramvis otiose ut dormias und Plin. epist. lY, 29, 1 nihil est, quod
in dextram aurem fiducia mei dormias. Wir wissen, daß man so sprich-
wörtlich von Sorglosen zu sagen pflegte, und zwar in Nachbildung
eines griechischen Sprichwortes icrt ducpÖTeQa (nämlich xä wta) '/.ad^evöeiv
(Corp.paroem. Gr. I, p. 409, nr. 78; II, p. 415, nr. 72a; erhalten in einem
Menander-Yers, Com. Gr. fr. coli. Meineke lY, 189 v. 1); wie gebräuchlich
die Wendung gewesen sein muß, können wir aus Plaut. Pseud. 122 ff.
ersehen, wo die scherzhafte Umbildung gewagt wird: de istac re in
— 174 —
octilum utrumvis conquiescito, worauf die Frage folgt: utriim? anne in
atirem? und die Erwiderung: at hoc pervolgatumst minus. Diese Stellen
scheinen mir zu beweisen, daß ianitor dorm'it in seram obductam eine
dem Römer ganz leicht verständliche, gar nicht auffällige Ausdrucks-
weise gewesen wäre; die Situation ist klar: der Türhüter sitzt hinter
der verschlossenen Tür, wahrscheinlich auf einem Schemel, den Rücken
ihr zugewandt; der Schlaf hat ihn übermannt, das Haupt ist nach
rückwärts auf den vorgeschobenen Türbalken gesunken und so schläft
er ruhig fort und träumt, trotz des Pochens draußen. Das einzig Auf-
fallende unserer Stelle ist also, daß Properz statt dormire sonmiare
gesagt hat; und wenn sich dafür auch, wie es scheint, kein zweiter
Beleg beibringen läßt, so denke ich doch, daß die Wendung keine so
gewagte war, daß der Dichter ein Mißverständnis seitens seiner Leser
hätte befürchten müssen.
Horatiana.
Von
HUGO JURENKA.
A. Zur Kritik. Carm. I, 23, 4 ff. nam seu mohilihus veris in-
horruit \ adventus foliis . . . ,denii seis, daß in beweglichen Blättern
erschauerte des Frühlings Nahn . . .' Es mag genug Leute geben,
die solch blühenden Unsinn auch einem lateinischen Dichter zutrauen
möchten. 1) Mit vollem Rechte hat ihn schon Bentley zurückgewiesen,
denn man kann zwar sagen arhoi^ inhorrescit foliis oder folia arboris
inhorrescunt , nimmer aber ver und schon gar nicht adventus veris in-
horrescit foliis. Bentleys Konjektur . . . vepris inhorruit \ ad ventum
foliis wurde allgemein gepriesen und von den meisten Horazkritikern
in den Text gesetzt. Indes erscheint die Nominativform vepris durch
die Appendix Probi p. 198, 16 K. ,vepres non vepris^ schwerlich zur
Genüge beglaubigt. Vielleicht läßt sich aber die Heilung durch einen
einzigen Schnitt, durch Tilgung eines einzigen Buchstabens herbeiführen:
nam seu mohilihus veris inhorruit
adventu foliis ^ seu virides ruhum
dimovere lacertae ....
Ein Vorwitziger, der nicht gleich daraufkam, daß das Subjekt von
inhorruit aus dem folgenden ruhum zu ergänzen ist, schwärzte ein
neues ein, indem er zu adventu ein s hinzufügte. Freilich kann ich
meine Konjektur nicht entgültig aufstellen; es fehlt mir das, was das
Wirksamste ist ad persuadendum, die Belegstellen für eine solche aTvö
zotroO-Ergänzung. Ich muß sie schuldig bleiben und mich vorläufig
mit einem deutschen Beispiel begnügen: Bedenk, auf ungetreuen
') Noch neuestens verteidigt von .T. W, Beck, Horazstudien pag. 22.
— 176 —
Wellen, | wie leicM kann sie der Sturm zerschellen, | schwimmt
deiner Flotte zweifelnd Glück. i)
B. Zur Erklärung. A. Kornitzer hat in der Z. f. ö. G. 1906,
876 ff. und 1907, 865 ff. A. Kießlings neuartige Erklärung von
carm. III, 5, 27 neque amissos colores lana refert medicata fuco an-
gefochten und die bisher übliche mit aller Entschiedenheit ver-
teidigt. Jedermann muß ihm recht geben. Es steht aber dieser
Fall nicht vereinzelt da! im ganzen Buche herrscht das Streben vor,
einfach -natürliche und erbgesessene Erklärungen aus dem Sattel zu
heben und an ihre Stelle überraschende Neudeutungen zu setzen.
Leider hat Richard Heinze auch in der 6. Auflage des Buches nicht
die Zeit gefunden, den Kommentar in dieser Hinsicht einer gründlichen
Revision zu unterziehen. Um daher den Leser vor Irrwegen zu be-
wahren, will ich noch einige Fingerzeige geben, mit ganz kurzer
Begründung und nur aus dem ersten Buche der Oden, um den mir
gewährten Raum nicht zu überschreiten.
2, 17 ff. Iliae dum se nimium querenti \ iactat ultorem. Nimium
soll nicht zu querenti gehören, sondern als Attribut zu ultorem. Vgl. aber
33, 1 ne doleas plus nimio und auch das deutsche Volkslied (Universal-
Liederbuch, Reutlingen, Enßlin und Laiblin, S. 293): ...Mädchen,
warum weinest du, weine nicht zu sehr. Die Stellen lehren, daß in
nimium kein Tadel zu liegen braucht. — 3, 9 Uli robur et aes triplex [
circa pectus erat. Nicht an Schild und Harnisch müße hier gedacht
werden, sondern an das homerische öidijQELOv '^voq als Bezeichnung der
Unempiindlichkeit. Man mag sich einreden lassen, daß zur Bezeichnung
der Härte an Stelle von Eisen (oder Stahl: Bind. fr. 100, oder Stein:
Tib. I, 1, 63) auch Erz und Holz treten könne und daß circa
pectus nicht ,um die Brust', sondern ,in der Brust' bedeute: daß bei
tri-plex an etwas anderes zu denken sei als an die od/.Eog TtTv^eg.
wird kein Mensch glauben. — 4, 5. iam Cytherea choros ducit Venus
inminente luna. Möglicherweise richtig ist die Erklärung, daß Cytherea
kein bloßes Beiwort ist, da die Verbindung des Namens mit einem
geographischen Attribut nicht häufig oder überhaupt prosaisch sei
(s. aber z. B. w 1 '^EQ/ufig . . . KvXlrjviog), sondern uns nach der Kult-
stätte versetzt. Die beste Parallele hiefür ist Verg. Aen. III, 162 non
haec tibi litora siiasit Delius (III, 73 ff.) aut Cretae iussit considere
Apollo. Für notwendig erachte ich sie nicht. Sicherlich abzulehnen
^) Ein lateinisches Beispiel, das ich jedoch gleichfalls nur vorläufig geltend machen
will, stellt mir A. K a p p e 1 m a c h e r zur Verfügung : Tac. ann. II 55 sed tan ta mansuetudine
agehat, ut, cum orta tempestas raperet in ahrupta (sc. inimicum) possetgue interitus
inimici ad casum referri, miserit triremes, quariim suhsidio discrimini eximeretur.
— 177 —
ist aber die Deutung von inminente Luna. Wenn der Dichter das
sagen wollte, was Kießling hineinlegt, so mußte er wenigstens e curni
oder dgl. hinzufügen, wie eben Val. Flacc. VI, 681 tut: inminet e celsis
audentius inproba muris virgo. Nichts anderes bedeutet inminente luna
als GelrivT^q e7teyovGi]g, vgl. (Diod. III, 20, 1 ävcod-ev STteyorai^g Trergag
vipY^Xiig und) Sappho frgm. Berol. 2, 4 cpäog (aeldvvag) d' eTtioyeL d^dXaooav
Itc dXfiVQav locog xal . . . aQovQag. — Ebensowenig wie hier luna ist
6, 9 pudor groß zu schreiben. Denn das folgende Miisa, dem zuliebe
es geschehen soll, ist ja kein nomen proprium, sondern, wie sehr oft
bei allen Dichtern, ein appellativum. Es bezeichnet nicht die leib-
haftige Muse der Lyrik, sondern die Dichtkunst des Horaz, die nur
des lyrischen Liedes mächtig ist. — 12, 45 f. crescit occulto velut arbor
aevo I fama Marcelli, Occulto aevo soll nicht ahl. qual.^ sondern abl. abs.
oder noch besser dat. sein: ,es wächst für verborgene Zeiten (= für
eine ferne Zukunft) der Ruhm des M. wie ein Baum'. Wenn Kieß-
ling auf II, 2, 5 vivet extento Proculeius aevo hinweist, so ist zu ent-
gegnen, daß hier der Ausdruck extento , ausgedehnt' eine Beziehung
auf die Zukunft nötig macht (Plaut. Bacch. III, 3, 26 ibi siiam aetatem
extendebanty non in latebrosis locis^ Liv. XXVII, 2, 6 ab hora tertia cum
ad noctem pugnam extenderent^ Verg. Gr. II, 405, curas venientem in annum
€xtendere)y was bei occulto ("= ignoto) nicht der Fall ist. Weiterhin
kann aber der Baum an sich doch nicht als Sinnbild der Fortdauer
in eine ferne Zukunft hingestellt sein, wohl aber ein sehr alter Baum
als das unverwüstlichen Wachstums (crescit). Wenn ferner der Ruhm
der Marzeller sich seit Clastidium herschreibt, d. i. seit 222 v. Chr., also
rund zweihundert Jahre alt, vorhannibalisch ist, so kann ihn Horaz
gewiß als sehr alt bezeichnen. An einen Gegensatz aber zwischen dem
Alter des Geschlechtes der Julier und Marzeller ist an dieser Stelle
überhaupt nicht zu denken. Endlich scheint Kießling selbst das
Mißliche des unausgeglichenen ,wie ein Baum' gefühlt zu haben, denn
er zitiert Bind. Nem. 8, 40 av^evac d' dgerä x^cogalg eegaaig chg ore
devÖQiov aöoei. Hier aber ist der sprachliche Ausdruck vollkommen
abgerundet: ,der Ruhm wächst durch das Siegeslied (das sagen die
nächsten Worte ev [= durch] oofpolg dvdQÜv [— die Dichter] . . .) wie
durch den Tau der Baum'. — 28, 15 sed omnis una manet nox \ et
calcanda semel via leti. Una nox sei nicht die alle einigende (una =
eadem) Nacht, sondern die eine Nacht, der keine zweite folgt, die nox
perpetua una dormienda CatuUs (5, 6). Bei dieser Erklärung wird aber der
vom Dichter offenbar gewollte Gegensatz Vielheit (omnes)— Einheit preis-
gegeben, weil dann una, wie das von Catull hinzugefügte perpetua lehrt,
kein Numerale sondern ein Adjektiv wäre: ,alle bedräut die ewig-
Wiener Eranos. 12
— 178 —
währende Nacht (des Todes)". Und diesen Gegensatz soll K. nicht
gefühlt haben, er, der allerorten Gegensätze wittert, auch dort, wo sie sonst
kaum jemand wahrnimmt, z. B. 1, 8 tollere honoribus und 9 si proprio
condidif hör reo, 4, 9 caput impedire myrto und 10 terrae solutae,
7, 19 fulgentia signis castra und Tiburis umbra tut, 9, 11 cupressi —
orni, 22, 12 inermem und 13 militaris Daunias usw.? Übrigens ist hier
die Erklärung vorgeschrieben durch Ovid Met. X, 32 omnia debentur
vobis paulumque niorati \ serius aut citius sedem properamus ad unam. —
Endlich zeigt der Kießlingsche Kommentar eine Vorliebe dafür, bei
Wörtern, deren ursprüngliche, aus den Etyma sich ergebende Bedeutung
längst verblaßt ist, die Bedeutungskraft der Etyma geltend zu machen,
so z.B. zu 12, 15 variis mundum temperat horis und 26, 6 apricos
necte flores. Gleich zwei solche Erklärungen gibt K. zu dem kurzen
38. Gedicht. Persicos adparatus seien nicht prächtige Zurüstungen
nach Perserart, sondern persische Zu- taten, worauf auch das V. 5
folgende ad-labores hinweise. Da fehlte also nur noch, daß für das
einfache paratus hingewiesen würde auf Ovid Met. YIII, 683 veniam . . .
nuUisque paratibus orant. V. 6 sedulus bedeute endlich nicht bloß , emsig,
geschäftig', sondern bezeichne (se dolo^:^sine dolo) die hingebende
Beflissenheit des Dieners.
Die sechzehnte Epode des Horaz.
Von
R. G. KUKULA.
In einer trefflichen i^bhandlung hat Franz Skutsch (N. Jahrbuch,
f. d. klass. Alt. 1909, S. 23ff.) das Problem der sechzehnten Epode des
Horaz abermals zur Erörterung gestellt. Mit Recht hebt er hervor,
daß das Gedicht, ,, gleich hervorragend durch seine formelle Vollendung
wie durch Schwung und Männlichkeit, Abrundung und Klarheit", ganz
besonders eine erschöpfende Interpretation verdiene. Wie weit wir
gleichwohl von der Erfüllung dieses Wunsches noch immer entfernt
zu sein scheinen, möchte ich ohne weitschweifige Polemik und ohne
Rücksicht auf das strittige Verhältnis zur vierten Ekloge Vergils an
dem Gedicht selbst darzulegen versuchen. Sein Text lautet:
I. Altera iam teritur bellis civilibus aetas,
suis et ipsa Roma viribus ruit:
quam neque finitimi valuerunt perdere Marsi,
minacis aut Etrusca Porsenae manus,
aemula nee virtus Capuae nee Spartacus acer 5
novisque rebus infidelis Allobrox
nee fera caerulea domuit Germania pube
parentibusque abominatus Hannibal,
impia perdemus devoti sanguinis aetas
ferisque rursus oceupabitur solum. 10
barbarus heu cineres insistet victor et Urbem
eques sonante verberabit ungula,
quaeque carent ventis et solibus ossa Quirini
(nefas videre) dissipabit insolens.
n. Forte, quid expediat, communiter aut melior pars 15
malis carere quaeritis laboribus?
nulla sit hac potior sententia: Phocaeorum
velut profugit exsecrata civitas
agros atque laris patrios habitandaque fana
12*
— 180 —
apris reliquit et rapacibus lupis, 20
ire, pedes quocumque ferent, quocumque per undas
Notus vocabit aut protervus Africus.
sie placet? an melius quis habet suadere? secunda
ratem oceupare quid moramur alite?
sed i Urem US in haec: sinml imis saxa renarint 25
vadis levata, ne redire sit nefas,
neu conversa domiim pigeat dare lintea, quando
Padus Matina laverit cacumina,
in mare seu celsus procurrerit Appenninus
novaque monstra iunxerit libidine 30
mirus amor, luvet ut ticjris suhsidere cervis,
adulteretur et columba miluo,
credula nee ravos iimeant armenta leones
ametque salsa levis hircus aequora.
haec et quae poterunt reditus abscindere dulcis 35
eamus omnis exsecrata civitas
aut pars indocili melior greg;e; moUis et exspes
inominata perprimat cubilia:
vos quibus est virtus, muliebrem tollite luctum,
Etrusca praeter et volate litora. 40
III. Nos manet Oceanus circum vagus: arva beata
petamus, arva, divites et insulas,
reddit ubi cererem teUus inarata quotannis
et imputata floret usque vinea,
germinat et numquam fallentis termes olivae 45
suamque pulla ficus ornat arborem,
mella cava manant ex ilice, montibus altis
levis crepante Ij-mpha desilit pede.
iUie iniussae veniunt ad mulctra capellae
refertque tenta grex amicus ubera 50
nee vespertinus circumgemit ursus ovile
neque intumeseit alta viperis humus.
pluraque feliees mirabimur: ut neque largis
aquosus Eurus arva radat imbribus,
pinguia nee siceis urantur semina glaebis, 55
utrumque rege temperante caelitum.
nulla nocent pecori contagia, nullius astri 61
gregem aestuosa torret impotentia. 62
non huc Argoo contendit remige pinus 57
neque impudica Colchis intulit pedem;
non huc Sidonii torserunt cornua nautae,
laboriosa nee cohors TJlixei, 60
IV. luppiter illa piae secrevit litora genti, 63
ut inquinavit aere tempus aureum,
aere, dehine ferro duravit saecula, quorum 65
piis secunda vate me datur fuga.
— 181 —
Bevor ich auf die Frage nach Gattung und Zweck des Gedichtes
eingehe, lohnt sich's ^yohl, ein altes Mißverständnis der Einzelerklärung
unter die Lupe zu nehmen. Man verbindet nämlich, offenbar durch
Vers 25 sed iiiremus in haec verleitet, in Vers 35 f. haec mit exsecrata und
bezieht es unbedenklich auf die in Vers 25 ff. vorgesprochene Eidesformel.
Daß dieser Auffassung sowohl die Stellung als auch der sonst bezeugte
Gebrauch von exsecratus widersprechen, lehren Grammatik und
Lexikon. Um so größere Vorsicht wäre gegenüber der Meinung am
Platze gewesen, daß gerade in Vers 18 und in Vers 36 unserer Epode
exsecratus beide Male anders gedeutet werden müsse, als in der
übrigen Literatur, aus der uns das Wort in der Bedeutung TiavaQao&elg,
verflucht^ durchaus geläufig, in der Bedeutung yMTaQaadfievog nur ganz
vereinzelt wie bei Val. Max. III, 2, 20 belegt ist. Denn just die
„gewöhnliche" Bedeutung paßt ja tadellos sowohl in Vers 18 auf die
dort genannte Phocaeorum civitas als auch in Vers 36 auf das mit Phokaia
verglichene Rom und stimmt im übrigen mit impius und devot us in
Vers 9 trefflich zusammen. Aber ein schiefer und durch nichts begrün-
deter Vergleich mit Herodot I, 165 eTtotriaavTO iaxvQag xarccQag toj
v7to?.£L7tof.ievq) kcovTcov rov otoXov hat genügt, um für das horazische
exsecrata Vers 18 die Version sich seihst verwünschend- und im Hand-
umdrehen Vers 36 mit abermaligem Bedeutungswandel die Übersetzung
unter Verwünschungen schwörend herzustellen. Daß dieses Kunststück
bis heute allgemein gebilligt wird, berührt trotz aller Langmut, mit
der wir Tradition und Autorität in unseren Kommentaren walteji und
schalten zu lassen pflegen, doch einigermaßen seltsam. Denn wie
reliquit Vers 20 nach dem Ohiekif ana, so verlangt das ihm koordinierte
proßigit Vers 18 klärlicher Weise nach dem Objekt agros, und nicht
anders, als perprimat Vers 38 und praetervolate Vers 40 ihre Akkusative
cuhilia und litora fordern, begehrt auch das ihnen gleichgestellte eamus
mit zwingender Deutlichkeit nach seinem Ziele, das offenbar in Vers 35
genannt ist: haec, i. e. salsa aequora et quae poterunt reditus
abscindere dulcis (vgl. z. B. Liv. XXIV 34, 3 submissa quaedam et quae
planis vallibus adire possent). Nicht auf den Eidschwur hätte man also haec
Vers 35 beziehen sollen, sondern auf den Raum oder Weg, über den sich
die in eamus ausgedrückte Bewegung erstreckt (Kühner, Ausf. Gramm. 11,
S. 197), d.h. auf die unmittelbar vorher genannten salsa aequora:
„Hinaus denn mit uns Unseligen auf die salzige Flut, die uns die
süße Heimkehr wehren mag!" Diese Interpretation wird geboten
durch den dargelegten Parallelismus der Satzglieder, gefestigt durch
die offenliegenden Gegensätze salsa aequora (Vers 34) oo dulcis reditus
(Vers 35) und haec (sc. aequora, Vers 35) od cuhilia (Vers 38), endlich
— 182 —
empfohlen durch die in Sache und Ausdruck gegebene Übereinstimmung
mit Verg. Aen. III, 190 sq.: hanc quoque deserimus sedem
paucisque relictis vela damus vastumque cava trabe currimus
aequor; vgl. ebendort I, 67; 524; III, 377; 385; V, 235; VI, 122; georg.
III, 260; Ov. fast. IV, 289; trist. V, 7, 36; Lucan.V, 347; IX, 1057;
auch Hom. e 100 rlg d^ ctv eKihv Toaaovde diaSgccfioi aX(.ivQÖv vScoq äoTte-
Tov u. dgl. m.
Im Zusammenhange mit dem besprochenen Interpretationsfehler
steht die in letzter Zeit wiederholt erörterte Frage nach der Tendenz:
der XVI. Epode. Theodor Plüsz ist mit seinem originellen Versuche^
das lambenbuch des Horaz „im Lichte der eigenen und unserer Zeit"
zu deuten, auf scharfe Ablehnung gestoßen. Trotzdem wäre es un-
gerecht, den Dank, den wir seinem Buche schulden, etwa in den
Ausspruch des älteren Plinius kleiden zu wollen: nuUum esse librum
tam malum, ut non aliqua parte prosit. Denn so wenig man leugnen
kann, daß Plüsz nicht selten mit phantastischer Überspannung an dem
Register zweifelhafter Möglichkeiten gezogen hat: die Genugtuung,
daß er dennoch in sehr wesentlichen Beziehungen dem richtigen Ver-
ständnis der Epodendichtung gedient habe, kann ihm schwerlich
vorenthalten werden. Seiner Anregung folgend, werden wir in bezug
auf die XVI. Epode vor allen anderen literarhistorischen Rätseln
folgende Fundamental frage untersuchen müssen:
Vernimmt man in den Worten des Dichters wirklich das „Flügel-
rauschen seiner hoffnungsvollen Sehnsucht nach den seligen Gefilden
im Westmeer", wie unsere Kommentare behaupten — oder tönt aus
ihnen vielmehr der bittere Groll des Horaz über hedonistische Utopien,,
die damals weniger denn je am Platze waren? Ist die XVI. Epode in
der Tat etwa ein Seitenstück zu der schwärmerischen Vision des euri-
pideischen Hippolytos V. 732 ff. — oder soll sie nur ein neutralisierendes
Antidoton gegen die erschlaffenden Wirkungen jener religiösen Senti-
mentalpoesie sein, die von den Hofpoeten der Epigonenzeit ausgebildet
und zu populärer Klassizität erhoben worden ist? Ist das Gedicht
ohne allen Zweifel ein inbrünstiger Appell des jugendlichen Dichters
an die wTindertätige Gottheit — oder ganz im Gegenteil ein wohl-
verständlicher Weckruf an den kritischen Verstand der Römer, die
ihre letzten Hoffnungen nicht auf Märchen und Wunder bauen sollen?
Ist's dem Dichter ernst mit seinem Vorschlag Vers 21: ire, pedes quo-
cumque ferent — oder will er vielmehr wie der Athener bei Thukydides
V, 103 nur warnen vor der „Verschwenderin" Elpis, von der sich die
Mehrzahl der Menschen betrügen läßt? Klammert sich Horaz trotz
der „verbitterten lambenstimmung" des Eingangs Vers 1 — 14 in der Tat
— 183 —
mit unverwüstlichem Optimismus (Vers 63 — 66) an das volkstümliche
elTtead-ai XQ^ Ttdvxa — oder will er vielmehr mit drastischer Verspottung
der evTtQüatOTTog 'EXyrlg moralisch -praktisch wirken und wie in der
verwandten VII. Epode nur zur Besinnung und Umkehr auf den
Boden der realen Wirklichkeit aufrufen?
Man hat gelegentlich auf den oratorischen Charakter der Epoden
VII und XVI hingewiesen. Mit Recht. Denn beide Gedichte sind, ohne
Zweifel nach archilochischem Vorbild (Friedrich Leo, Univ.-Progr.
Göttingen 1900. p. 9), als Reden vor dem Volke gedacht. Dieser
Charakter wird für Epode VII durch einen ganz auffälligen stilistischen
und gedanklichen Parallelismus mit dem. Anfange der I. Catilinaria
erhärtet und zeigt sich nicht minder deutlich in Situation und
Gliederung der Epode XVI. Horaz hat die Versammlung einberufen
und präsidiert ihr: nach seinem einleitenden Vortrag (exordium,
relatio), Vers 1 — 14, schreitet er zur Umfrage (rogatio) Vers 15 f. (vgl.
Vers 23 f.) und stellt, an der Fiktion einer parlamentarischen Behandlung
des Gegenstandes festhaltend, seinen Initiativantrag: nuUa sit hac potior
sententia (Vers 17 — 40), auf den Vers 41 — 62 die Begründung (con-
firmatio) mit der ausführlichen Beschreibung (e'jiffQaGLg) des seligen
Landes (vgl. das Lob Siziliens in der IL Verrine) und als Schluß
(Vers 63 — 66) die nachdrucks volle per oratio folgen. Aber während in
Epode VII der „grimmige" Charakter der Anklagerede und ihr
praktischer, auf Besserung der überführten Menge zielender Zweck
deutlich hervortritt, soll sich, wie man lehrt, in Epode XVI „der
zornige Eiferer in einen begeisterten Seher verwandeln, aus der
archilochischen Epode (Vers 1^14) eine regelrechte Elegie (Vers 15 — 66)
werden" (Kießling-Heinze). Horaz, qui timuit mutare modos et carminis
artem (ep. I, 19, 27), hat sich also nach dieser Lehrmeinung in
Epode XVI im Widerspruche mit sich selbst und mit der Praxis des
ganzen Altertums über die Autorität seines Vorbildes und die vor-
geschriebenen Grenzen der literarischen Gattung kühn hinweggesetzt,
indem er „in jugendlichem Feuer aus der verbitterten Stimmung des
ergrimmten Patrioten heraus" ein merkwürdiges Mittelding zwischen
lambus und Elegie geschaffen haben soll mentemqtie totam occtipari
passus est heatae vitae hlanda imogine, quae quam apta/tierit iambico
ge7ieri dubitamus (Leo a. 0.).
Wie wohlbegründet der leise Zweifel Leos an der Stichhältigkeit
seiner eigenen Auffassung sei, läßt sich leider nur mehr an dem
horazischen Gedichte selbst erkennen. Denn die erhaltenen Fragmente
des Archilochos sind auch noch heute gänzlich unzureichend, um über
Sonderinhalt und Sonderzweck jener Dichtungen, deren Echo wir aus
- 184 —
Horaz vernehmen, einigermaßen ins Reine zu kommen. Ob z. B. die
„Vorlage" der XVI. Epode auf den — vermutlichen — Ton des 51. Frag-
ments bei Bergk FLG.:
"Ea ndqov '/mI ovxa /.elva -/.al ^aldaaiov ßlov
oder des 53. gestimmt war:
Mri^ ö TavzüXov Xld-og ttjoS' l'TtfQ vt^aov XQ^judad-w^
läßt sich unmöglich entscheiden, bevor uns nicht neue, noch viel
ausgiebigere Funde zu Hilfe kommen. Die Erkenntnis übrigens, daß selbst
„wr)rtliche Entlehnungen mit vollkommener Veränderung des Sinnes,
des Gedankenzusammenhangs Hand in Hand gehen können" (Skutsch
a. 0. S. 34), sollte überhaupt in der Heranziehung und Ausnützung von
griechischen Parallelstellen für die Interpretation römischer Dichter zu
größerer Behutsamkeit als bisher veranlassen. Auf welche Irrwege man
mit dieser unablässig „vergleichenden" Methode geraten kann, läßt uns zum
Beispiel besonders deutlich Rothsteins Kommentar des Properz erfahren.
Kein stärkeres Gewicht, als derlei Versuchen auch bei Horaz aus mehr
oder weniger ähnlich lautenden „Belegstellen" immer wieder identische
Gedankengänge zu erschließen, möchte ich der Plüszschen Deutung
der epodischen Form beimessen, die allenfalls auf den daktylischen
Hexameter den iambischen Trimeter folgen läßt. Erwägt man nämlich
gleich an der XVI. Epode, daß sie ja nichts anderes als einen poetisch
stilisierten koyog Ttqog xovg '^Pwfialovg darstellt, so rückt der Zweifel nahe,
ob in solclier ausgesprochenen Deklamationspoesie für das Ohr des
Römers die Kuppelung des fallenden Rhythmus mit dem steigenden
viel mehr bedeutet haben könne, als bloße juifxriaig der Prosarede,
die an einheitlichen Rhythmus nicht gebunden ist. Wesentlich weiter
führt uns dagegen eine kritische Betrachtung des von Horaz gestellten
Antrags Vers 21 f.:
ire, pedes quocumque ferent, quocumque
Xotus vocabit aut protervus Africus,
sowie eine Analyse jener „leuchtenden" Farben, mit denen er
Vers 41 tf. das gelobte Land geschildert hat.
Für die Entdeckung, daß Horazens Vorschlag nicht etwa durch
Hom. d 561 ff., Hes. op. 167 flP., Eur. Hippol. 732 ff.. Piatos Atlantis und
andere Idealschilderungen der Griechen (vgl. den schönen Vortrag von
A. Bertholet, Die Gefilde der Seligen, Tübingen 1903), sondern durch
den bei Plutarch Sert. 8 (= Sali. hist. I, 61 f.) erwähnten Plan des
Sertorius inspiriert worden sei, vermag ich mich nicht zu erwärmen.
Denn des Sertorius selige Inseln, zu denen er von der spanischen
Küste aus die Fahrt unternehmen wollte, lagen im Westen von Afrika:
das Ziel der horazischen Fahrt liegt anderswo, in unbekannter und
- 185 —
unbestimmter Ferne (pedes quocumque ferent), aber sicherlich nicht im
Westmeer, sondern „irgendwo" (quocumque) in entgegengesetzter
Richtung, vorbei an den Gestaden Etruriens (Vers 40), im Nordost oder
im Norden, wohin der Südwind (Notus) oder der „wilde" Südwest
(protervus Africus) die Auswanderer tragen mag. Welche noch so ent-
fernte Spur des Ausdrucks weist hier auf ein bestimmtes Ziel und
auf eine spezielle Beeinflussung des Horaz durch die Idee des Sertorius
hin? Sertorius blickt unentwegt nach Westen, wo phönizische Händler
längst die seligen Inseln entdeckt haben wollten: Horaz späht irrenden
Blicks nach einem Land aus, dessen Schilderung ganz auf Nirgend-
heim-^cpdvaL paßt. Und warum sollteHoraz erst durch Sertorius an jenen
Glauben erinnert worden sein, der — aus dem Osten importiert — bei
den Griechen und Römern von Hesiod und Plato herab bis Prokop von
Caesarea seine klassische Ausbildung gefunden und seither in den
Literaturen aller Völker ein wahres „Kompendium von Geschichte des
menschlichen Heimwehs" geschaffen hat? Woher wollen wir die Be-
rechtigung ableiten, aus den parallelen „Zeugnissen" bei Horaz und
Plutarch mehr zu erschließen, als daß sich eben in der allgemeinen
Drangsal des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, an der Schwelle einer
neuen Zeit, der törichte Optimismus der Massen immer mehr und mehr
an jenen Aberglauben klammerte, durch ihn locken, trösten, betäuben,
erschlaffen ließ? Nicht bloß Sertorius ward von ihm erfaßt: ein müdes
Volk sehnt sich nach Ruhe und Frieden, und der Verarmten und Ver-
elendeten viele fanden wohl Trost in dem Glauben an das prophezeite
Land des Segens (Vers 63 — 66), an dessen geographischer Existenz sich
ihr naiver Wirklichkeitssinn berauschte. Die regna Saturni und die civitas
Dei, das „Reich Gottes" und die „seligen Inseln" sind von der Menge
nie als etwas Innerliches verstanden, sondern stets in irdischen,
politisch-eudämonistischen Hoffnungen materialisiert worden.
Daß dieser Optimismus, wie begreiflich, stark banausisch gefärbt
war, zeigt sich auch an den Einzelheiten der horazischen Schilderung:
daß aber Horaz jemals für solche Utopien „geschwärmt" oder sich in
schwacher Stunde für sie „begeistert" hätte, sollte man zum mindesten
nicht als selbstverständlich hinzustellen wagen. Denn w^as er sonst von
der Landflucht dachte, hat er uns ep. I, 11, 27 fP. gesagt:
Caelum, non animum mutant, qüi trans mare currunt.
strenua nos exercet inertia, navibus atque
quadrigis petimus bene vivere: quod petis, hie est,
est Ulubris, animus si te non deficit aequus.
Wie sich Horaz die Rettung in Wahrheit vorstellte, sagen carm. I,
35, 37 ff.; II, 16, 18 ff.:
— 186 —
quid terras alio calentes
sole mutamus? patriae quis exsul
se quoque fugit?
Daß nicht diese „Fluclit", wie unsere Epode emphatisch vorschlägt
(Vers 66, vgl. 18), sondern nur besonnene Kraft und opferfreudige Vater-
landsliebe zur Wiedergeburt führen können, sagen in zahlreichen Varia-
tionen die Römeroden und vor allem das berühmte Gegenstück der
XVI. Epode, carm. 1, 14; denn die überraschende und im Zusammenhalt mit
den eben zitierten Stellen doch recht sonderbare, nicht etwa an zer-
mürbte Schwächlinge, sondern ausschließlich an diejenigen, ,.quibus est
virtus"y gerichtete Aufforderung der Epode Vers 40: Etrusca praeter et
volate litora, wird dort mit dem Zuruf:
fortiter occupa portum
in ihr gerades Gegenteil verkehrt. Daß dieses Gegenteil: „Ans Vater-
land, ans teure schließt euch an!", die wahre Meinung des Dichters
sei, soll wohl auch seine Epode XVI dartun, in der seine Unzufriedenheit
und das ddvvazov (s. Skutsch a. 0. S. 29 ff.; vgl. die wertvolle Material-
sammlung von Theodor Birt, Elpides, Marburg 1881; Crusius, Unters, zu
Herondas, S. 72 ff.; Rothstein zu Properz I, 15b, 29; Otto, Sprich-
wörter d. Römer, Nr. 678) allenthalben so kräftig unterstrichen sind, daß
kein gebildeter Stadtrömer jener Zeit über die forcierte Torheit des
in Vers 21 f. gestellten „Antrags" in Zweifel geraten konnte. Wie vollends
in Vers 63 ff. die an das „fromme Geschlecht" gerichtete Prophezeiung
„glücklicher . . . Flucht" (secunda . . . fuga, man beachte auch die Stel-
lung) zu verstehen sei, darüber mußte der Hörer aus exordium und
conßrmaUo der Rede längst ins klare gekommen sein: nam urbana
dissimulatio est, sagt Cicero de orat. II, 67 (269 ff.), cum toto genere
orationis severe ludas, cum aliter sentias ac loquare; ... in
hoc genere Fannius in annalibus suis Africanum hunc Aemilianum
dicit fuisse egregium et Graeco eum verbo appellat eiQwva ; sed, uti
ferunt, qui melius haec norunt, Socratem opinor in hac ironia dissi-
mulantiaque longe lepore et humanitate omnibus praestitisse. Genus
est perelegans et cum gravitate salsum cumque oratoriis
dictionibus tum urbanis sermonibus accomodatum; et hercule
omnia haec, quae a me de facetiis disputantur, non maiora
forensium actionum quam omnium sermonum condimenta sunt.
Indem sich also Horaz in der XVI. Epode zum ironischen Tcqö^axog
jener utopischen Phantasien macht, folgt er einer Technik, von der
die Rhetorik unter den Schlagwörtern elQwvela, aaQxaO(.wg^ dvricpQaOLq,
TtaQOLjiila, fivxTTiQtafAÖg , illusio gehandelt und besonders auch Cicero
mannigfaltigen Gebrauch gemacht hatte; Quintilian VIII, 6, 54 sq.
— 187 —
(vgl. IX, 2, 44 sq.) hat uns darüber gesagt: aliqiiando diversa est
orationi voluntas; nam . . . cum risu quodam contraria dicuntur iis,
quae intellegi volunt, quemadmodum in Clodium integritas tua te
purgavit, mihi crede, pudor eripuit, vita anteacta servavit.
Daß sich die Schlußverse unserer Epode (63 — 66) im Ausdruck
und im Gedanken wie eine richtige Parallelstelle mit dem hier
von Quintilian gebrachten Beispiel aus der Clodiana decken, schließt
m. E. den vorgebrachten Indizienbeweis und widerlegt endgültig die
bis heute herrschende sentimental-seriöse Auslegung des Gedichtes.
Die XVI. Epode ist kein iambisch-elegischer Bastard von zweifel-
haftem künstlerischen Wert, sondern von Anfang bis zum Ende eine
ausgesprochen archilochische Invektive, ein durchaus realpolitisches
Gedicht ohne jeglichen empfindsamen Beigeschmack, mit einem Wort
ein loyog, der die Zeitgenossen des Dichters mit deren eigenen Ideen
ad absurdum führen und seinen Zweck (veXog) geradeso wie die ver-
wandte Epode YII nicht in tvqotqotvt]^ sondern in aTtoigoTti^ , nicht in
einem aneifernden „Vorwärts!", sondern in einer nachdrucksvoll sar-
kastischen Mahnung zur Umkehr auf den Boden der realen Wirklich-
keit erfüllen soll. Aus dieser apotreptischen Tendenz des Gedichtes
erklärt sich jetzt das vom Dichter gewählte Beispiel der Phokaeer, das
durch die düsteren Farben, in die seine Schilderung (Vers 17 — 20) mit
durchsichtiger Absicht getaucht wird, den Hörer keineswegs zur Nach-
ahmung zu überreden , sondern nur mit Abscheu und Grauen zu er-
füllen geeignet war. Nur um so zwingender ergibt sich mir daraus eine
Gesamtauffassung des Gedichtes, der etwa folgende Inhaltsangabe ge-
recht wird:
I. Vers 1 — 14: Roms Unglück sind die Römer (suis ipsa Roma
viribus ruit, Vers 2).
IL Vers 15 — 40 : Aber statt euch aus dieser Erkenntnis heraus zur
Selbstläuterung aufzuraffen (vgl. carm. III, 2, Iff.; 6, 1 ff.) , hofft ihr
auf ein Wunder, das euch helfen soll, „der Not zu entrinnen" (carere
laboribus, Vers 16): statt zu handeln, laßt ihr euch planlos (quocumque)
von den Stürmen treiben (Vers 21 f.): die „Helden" unter euch stimmen
für — feige Flucht ins SchlarafPenland (Vers 39 f., vgl. 18 und 66).
III. Vers 41 — 62: Natürlich, denn dort ist's wundervoll: von Arbeit
keine Rede (Vers 43 — 50), Gefahren ausgeschlossen (Vers 51 f.), Klima
vortreflplich (Vers 53 — 56), besonders für die Viehzucht (Vers 61 f.), Ehe-
bruch und Habgier und Mühsal kennt man in euerem Wunderlande
nicht (Vers 57—60) ; vgl. epod. IL
IV. Vers 63—66: Gar kein Zweifel! luppiter hat justament euch
„reinem Volke" (piae genti, Vers 63, vgl. Vers 9 impia aetas und
— 188 —
V. 36 exsecrata civitas) jene Zufluchtsstätte vorbehalten : zieht hin, ihr
Auserwählte, mit meinem priesterlichen Segen (vate me, Vers 66)!
"Was Horaz hier als Archilochus redivivus in moralisch-didaktischer
Absicht verhöhnt, gehört in das Grebiet jener religio poetica. an der seit
Scaevolas Zeiten der Unglaube nagte. Man werfe nicht ein, daß solche
Verspottung schlecht zum Bild des Odendichters passe, der an eine
göttliche Vorsehung und eine strafende Gerechtigkeit geglaubt hat.
Denn ganz abgesehen davon, daß es sich hier nur um ein Hirngespinst
des Aberglaubens, um eine superstitio prava et inmodica im Sinne von
Plin. ad Trai. 96, 8 handelt, war ja auch Cicero in seinen Reden der
Göttergläubige, in seinen Gesprächen der Skeptiker. Daß Horaz, je
nach dem Charakter des literarischen gemts, an dem er schafft, hier
den deoriim cultor, dort den superstitiomim contemptor hervorkehrt, ist
nicht auffällig. Die Epode ist kein frommes Lied: wie alle lamben-
dichtung ist sie aus des Lebens Not und Kampf erstanden; süße Visi-
onen, empfindsame Trugbilder widerstreiten ihrer Form und ihren Zielen.
Der vates, der carm. I, 2 mit dem Blick in eine bessere Zukunft zu
Apoll und Venus, Mars und Mercurius betet, ist ein anderer als der
TtQocprivrig^ der epod. VII und XVI, die wüste Gegenwart vor Augen,
sein Volk aus frevelhaftem Wahnwitz oder stumpfsinnigen Träumen
aufrütteln will. Vom Altar künstlicher Andacht mag Horaz durch diese
Erkenntnis ohne Bedauern herabgestürzt werden (vgl. dagegen Reitzen-
stein, Gott. gel. Anz. 1904, S. 947 ff.) : als Mensch und Dichter gelangt
er dadurch in eine zwar neue, aber richtigere und darum auch wür-
digere Beleuchtung. Er gewinnt. Denn die vermeintlichen „Mängel"
seiner „Jugendlieder" erweisen sich allmählich als Mißverständnisse seiner
Erklärer und als charakteristische Eigentümlichkeiten einer selbstän-
digen literarischen Gattung, deren Erforschung und Ausdeutung
zu unseren nächsten Aufgaben gehört. Das Endergebnis kann gewiß
nicht zweifelhaft sein; denn auch Vergleiche von epod. 9 mit carm.
I, 37, epod. 10 mit carm. I, 3, epod. 13 mit carm. I, 4; 7; 9, von epod. 15
mit carm. 11,8 (1,5) zeigen unmderleglich , daß die horazische Epode
in ihrem Wesen schlechterdings nichts Gemeinsames mit der Ode und
den anderen Spielarten sentimentaler Poesie aufzuweisen hat.
Die römische Tragödie
Octavia und die Elektra des Sophokles.
Ton
FRIEDRICH LADEK.
Ein oberfläcliliclier Vergleich der unter den Seneca -Tragödien
überlieferten Octavia mit dem Taciteischen Berichte (Ann. XIY) über
das Schicksal der unglücklichen Frau des Nero verleitete immer wieder
zur Behauptung, der Dichter verdanke seine historischen Kenntnisse
der Lektüre des Tacitus. Erst genauere Untersuchungen^) zeigten, daß
dies nicht der Fall sei. Da nun jene falsche Annahme allein darüber
hatte hinwegsehen lassen, daß die Überlieferung der Prätext a, die Wahl
des Stoffes, die Sprache und Metrik, das Verhältnis des Stückes zu den
übrigen Tragödien und zu den Prosaschriften Senecas, die Behandlung
und Art der Erwähnung der historischen Tatsachen, endlich die Ge-
schichte der römischen Tragödie auf das 1. Jahrhundert hinweisen,
kann heute mit voller Bestimmtheit erklärt werden: Die Octavia ist
vor Tacitus geschrieben.
„Vielleicht wird noch einmal"', sagte einst K. Meiser („Über hist.
Dramen d. Rom.", München, 1887, S. 14 f.), „wenn feststeht, daß der
Dichter der Octavia vor Tacitus geschrieben und sein Stück sich größerer
Autorität als bisher erfreut, daraus eine neue Waffe gegen Tacitus
*) Fr. Ladek, de Oct.praet., diss. Vindob. 111(1891). — G. Nordmeyer, sched.phil.
H. Usener . . ohl., Bonn, 1891, S. 94 if. — Derselbe, Jahrb. f. kl. Ph., XIX. Suppl. (1893),
S. 257 ff. Der letzte Versuch, Tacitus als Quelle zu erweisen, unternommen von A. Cima,
La trag. rom. 'Octavia' e gli 'Ännalf di Tacito, Pisa, 1904, mißlang; man vgl. Fr. Ladek,
„Zur Frage üb. d. hist. QueU. d. Oct.", Zeitschr. f. d. ö. Gymn., 1905, S. 673 ff. — Y. Ussani,
Sul' Octavia, Riv. di fil., XXXIII, S.449f. — C. Hosius, Berl. ph. Wochenschr., 1906, Nr. 30.
— Selbst A. Cima kann es nunmehr nicht für unmöglich halten, daß der Dichter zur Zeit
Neros gelebt hat (s. Riv. di fil., XXXIV , 529 ff.). Während der Korrektur ging mir zu :
J. Vürtheim, Octavia praetexta cum proleg., annotat. crit., not. exeg. ed. Lugd. Bat., 1909.
Ohne die nötige Kenntnis neuerer Literatur wird hier wieder zu beweisen gesucht, daß das
Stück nach Tacitus geschrieben sei. Doch die angeführten Gründe sind nichtig, wie ich
in Nr. 24 u. 31 (1909) der Deutschen Literaturzeitung gezeigt habe. Die Ausgabe bedeutet
überhaupt in keinem Punkte einen Fortschritt.
— 190 —
gesclimiedet und eine Rettung Poppäas unternommen." Auf die Ver-
schiedenheit der Charakteristik der Personen bei Tacitus und in der
Tragödie ist seit jeher hingewiesen worden und man hat natürlich
auch daraus geschlossen, daß der Dichter die Taciteische Darstellung
nicht gekannt habe. Wenn aber auch heute die Priorität des Dramas
feststeht, ja auch, wenn zugegeben wird, daß durch die Darstellung
des Schiffbruches und Todes der Agrippina in der Prätexta spätere
Darstellungen beeinflußt worden sein könnten, was ich in der
Zeitschr. f. d. ö. Grymn., 1905, S. 673 ff. als möglich zu erweisen
suchte, in der Charakteristik der einzelnen Personen werden wir
beim Dichter nicht ohneweiters historische Treue voraussetzen
dürfen. Denn, wie ich meine, läßt sich sogar zeigen, daß er einige
Züge in der Zeichnung seiner Charaktere der Elektra des Sophokles
verdankt.
Daß man Nero mit Orest verglich (s. Suet. Nero 39), war natürlich,
auch der Vergleich Octaviens mit Elektra mußte sich aufdrängen. In
dem Stücke läßt der Dichter die Octavia selbst an Elektra erinnern
(57 ff.) und schon 0. Ribbeck bemerkte (Gesch. d. r. D., III., S. 86),
zu den Klageanapästen am Anfange des Stückes und dem folgenden
Wechselgesang habe offenbar der Eingang der Sophokleischen Elektra
das Motiv hergegeben; es fänden sich sogar wörtliche Anklänge.
Der Dichter verdankt aber Sophokles weit mehr. Schon daß er
Octavia zur Heldin einer fabula praetexta machte, läßt sich aus der
Rücksicht auf das Sophokleische Stück wohl begreifen. Hier steht ja
im Mittelpunkte „eine völlig passive Heldin, deretwegen alles, was
geschieht, zu geschehen, alles, was gesagt wird, gesagt zu werden
scheint" (G. Kaibel). Ein römischer Dichter, der sich nach Euripides
gerichtet hätte, hätte denselben Stoff wohl in einer „Poppäa" im Sinne
des Tacitus behandelt, wenn er der historischen Wahrheit zuliebe
Octavia nicht hätte handelnd einführen wollen. Unser Dichter läßt alles
für Octavia geschehen, zeigt uns, wie die Vorgänge auf sie wirken,
vermeidet es jedoch, sie selbst irgendwie eingreifen zu lassen, obwohl
er dies leicht hätte tun können. Seneca beschleunigt im Drama gegen
seinen Willen (gerade durch sein Eintreten für Octavia) die Katastrophe,
der Volksaufruhr führt den Untergang der Heldin herbei; doch Seneca
wie das Volk handeln durchaus selbständig, Octavia wendet sich weder
selbst noch durch die Amme an Seneca oder sonst jemanden um Hilfe.
Vom Volke erwartet sie überhaupt keine Rettung, da sie dessen Ohn-
macht gegenüber dem Kaiser kennt (V. 185), ja sie warnt es geradezu,
für sie einzutreten (646 ff.), weil sie darin nur dessen Verderben sehen
kann. Auch jede Anspielung auf die Hilfe einer einzelnen Person, wie
#
— 191 —
des Seneca oder gar des Flottenpräfekten Anicetus, ist vermieden —
Octavia wurde ja tatsächlich eines verbrecherischen Einverständnisses
mit Anicetus beschuldigt (Tac. Ann. XIV, 63) — , obgleich der im
Stücke auftretende Präfekt auch vor Nero für Octavia spricht (860 ff.).
Allerdings, die Absicht des Dichters ist klar: auf den grausamen
Wollüstling Nero allein soll alle Schuld fallen.
Und doch ist, man kann fast sagen entgegen dieser Absicht, die
Heldin nicht ganz ohne Schuld, wodurch sie uns freilich nur sym-
pathischer erscheint. Tacitus sagt von Octavia (Ann. XIII, 16): „quamvis
rudibus annis dolorem, caritateni, omnes qffectus ahscondere didicerat'% -der
Dichter läßt aber die Heldin auch gerade deswegen zugrunde gehen, weil
sie äff. absc. non didicerat; stellt doch die Amme im Prolog (55 ff.)
das scelus nefandum, das ihre Angst voraussieht, eben als Folge davon
hin, daß mentis generosiis ardor (Octaviae) regt non potest (53 f.), irä
coacta vermöge sie ihre Trauer nicht zu verbergen. Octavia hat sich
zwar auch nach des Dichters Darstellung bemüht, sich zu beherrschen,
sie sagt ja (65 f.), Furcht hindere sie, die Eltern zu betrauern, aber es
gelingt ihr immer weniger (54), so daß auch Nero behaupten kann,
sie habe ihm ihren Haß deutlich merken lassen (540 ff.). Vergebens sucht
A. Cima neuerdings wieder (Riv. XXXIV, 544, A. 1) die Taciteischen
Worte mit der Haltung der Heldin im Drama in Einklang zu bringen,
indem er darauf hinweist — er meint, das hätten andere nicht be-
achtet — , daß Octavia sich doch nur vor ihrer Vertrauten in leiden-
schaftlichen Worten ergehe, aber dem Chore gegenüber viel maßvoller
und vorsichtiger ausdrücke. Der Dichter hat Octavia eben nur mit
Amme und Chor sprechen lassen; doch erfahren wir aus dem Munde
Octavias, der Amme und Neros, wie sie sich Nero und Poppäa gegen-
über benahm. Natürlich ist Octavia vor dem Chore maßvoller;
denn es wäre unwürdig für sie, sich in der Öffentlichkeit ebenso zu
benehmen wie vor ihrer Vertrauten. Dann soll auch die Vorstellung
erweckt werden, daß Octavia mit Willen die Volksbewegung, die sie
für vergeblich hält, nicht veranlaßt; riete sie nicht zur Mäßigung,
so triebe sie die Leute nutzlos ins Verderben. Doch weist Octavia vor
dem Chore auf alle ihre Leiden hin (V. 652 graviora tuli) und gibt ihrer
Freude Ausdruck, daß sie nicht mehr gezwungen sei, saevi coniiigis
ora videre und invisos thalamos famulae (der jetzigen Kaiserin) intrare.
Mag also der Dichter auch Octavia am Hochzeitstage Neros und Poppäas
in ihr Schicksal ergeben erscheinen lassen, ihren Groll, ihren Haß läßt
er sie nicht verbergen.
Und gerade die ira {oQyr]), diesen Mangel an Selbstbeherrschung,
der nach der Darstellung des Dichters eine der Ursachen des Unter-
— 192 —
ganges der Heldin ist, hat Octavia mit der Sophokleischen Elektra gemein^
einen Seelenzustand, der freilich aus der ähnlichen Lage der beiden leicht
erklärlich ist. Nach langen Jahren des Leidens ist Elektra noch immer
die mißachtete Sklavin des Mörders ihres Vaters, um ihrer Trauer
willen von der eigenen Mutter beargwöhnt und gehaßt; Octavia ist
nach dem Verluste ihrer Nächsten in der Gewalt des rohen Mörders
ihres Bruders, seine Gattin zwar, aber gehaßt, beargwöhnt, einer
Buhlerin nachgesetzt. Vergebens mahnt der Chor Elektren, sich zu
beherrschen, erinnert sie daran, daß sie sich ihre Lage durch ihr
Benehmen selbst geschaffen habe, und warnt sie, mit den Mächtigen
zu streiten ; ebenso führt die Amme die gegenwärtige Lage Octaviens
auf ihren Mangel an Selbstbeherrschung zurück, fürchtet von einer
Fortsetzung dieses Benehmens das Ärgste, sucht sie, auf ihre Ohnmacht
hinweisend, zu ruhigem Dulden, zu geliorsamem Nachgeben zu bewegen.
Elektra wie Octavia weisen diese Ratschläge durch die Darstellung
ihrer Leiden zurück. Ja, der römische Dichter ist in der Angleichung
noch weiter gegangen. In der Verzweiflung will Elektra sterben, bald
aber, als sie bei Chrysothemis Hilfe voraussetzt, faßt sie den Plan^
mit der Schwester Aigisthos zu töten, und schließlich will sie die Tat
allein vollführen. Auch der Dichter der Prätexta läßt Octavia den
Gedanken fassen, den Gatten mit eigener Hand zu töten. Er hat
es allerdings psychologisch wohl begründet, daß er seine Heldin diesen
für sie ungeheuerlichen Gedanken ernstlich aussprechen läßt. Schon
in der zusammenfassenden Schilderung ihrer Leiden (100 ff.) deutet
Octavia an, daß ihr dieser Gedanke gekommen sei: coniugi invisa, sagt
sie (104 ff.), ac meae \ subiecta famulae (Poppaeae) luce non grata fruor^
\trepidante semper corde 7ion mortis metu, \ sed sceleris — absit crimen
a fatis meis. \ mori iuvabit; poena natu gravior nece est\ videre ....
vultus tgra?ini .... Es folgt eine ausführlichere Darstellung ihres
(im V. 104 f.) angedeuteten Verhältnisses zu Nero ( — 124) und zu Poppäa
( — 133). Scehis kann an dieser Stelle nur „Mord durch meine Hand",
crimen nur „Schuld" bedeuten. Hier weist also Octavia den Mord-
gedanken, der ihr im Zusammensein mit dem Verhaßten öfter aufge-
stiegen sein muß, noch ab („Das Leben ist der Güter höchstes nicht,
der Übel größtes aber ist die Schuld"), als ihr aber die Amme die
series facinorum und besonders den Tod ihres geliebten Britanniens so
lebhaft vor Augen führt, vergißt sie sich einen Moment und bricht in
die Worte aus (174): exstinguat et me, ne manu nostra cadat. Die xlmme
aber weist nur auf die Schwäche der weiblichen Natur hin (vgl.V. 870)
mit den Worten (175): natura vires non dedit tantas tibi genau so, wie
Chrysothemis die Elektra erinnert (997) : yvvrj (.liv ovo' ävrjQ ecpvg^ \ oS-eveig
— 193 —
d'eXaaoov tcov imiTicov xeQi.^) Den späteren Worten der Chrysothemis
(1009 ff.): cDX ca'Ttd^o). TtQiv Tvavotked-Qovg xh 7täv\ ^fiäg ToXiödai zßje^r^-
^ndaai yevog, j -/Mtdoxeg OQyrjv entsprechen die folgenden Worte der
Amme (177 und 179 f.) : vince obsequendo potius immitem virum — incolumis
0 Die Rücksicht auf 0. 175 hätte A. Cima vor seiner Erklärung des Y. 174 (Riv.
XXXIV, 539 ff.) bewahren sollen. Er meint, hier sei auf das crimen reriim novarum
(Tac. Ann. XIV, 62) hingewiesen, das sich von dem crimen adulterii (mit Anieet) nicht
trennen lasse. Wozu eine derartige Interpretation führt, zeigt schon der Vergleich mit V. 107.
Dort soll Octavia nach Cima sagen: „Ich fürchte nicht den Tod, sondern eine Schurkerei
Neros (mit einer falschen Anklage wegen Ehebruches) — fern sei diese Anklage", hier
aber soll sie sagen : „Nero töte mich, sonst begehe ich einen Ehebruch mit Anieet, um mit
dessen Hilfe den Gatten zu töten. '^ Derartiges halte ich für unvereinbar. Octavia
erscheint in dem Stücke als vollkommen rein; sie leitet selbst all ihr Unglück vom Incest
ihrer Mutter her (V. 260). Amme, Chor, Seneca weisen wiederholt auf ihre völlige Reinheit
hin, Nero hat auf die die Sittsamkeit Octaviens rühmenden Worte Senecas kein Wort der
Entgegnung — V. 536 bezieht sich auf die Vaterschaft des Claudius — und beschuldigt
sie später im Monologe me vor dem Präfekten nur der Aufreizung des Volkes. Jede, auch
die leiseste Anspielung auf die abscheuliche Anklage ist sonst in dem Stücke vermieden,
selbst die Feinde der Heldin reden davon nichts. Und da soll der Dichter Octavia selbst
davon haben reden lassen? Ebenso verkehrt ist es zu glauben, die Tötung Neros könne von
Octavia nicht als scelus, sondern nur als Heldentat hingestellt werden. Nach der Art, wie
der Dichter den Charakter der Heldin darstellt, muß ihr der Gattenmord als ein Ver-
brechen erscheinen, vor dem sie zurückschaudert. Nur in höchster Erregung läßt sie darum
der Dichter den Mordgedanken aussprechen. Der Gegensatz aber: „Ich fürchte nicht, daß
er mich mordet, sondern daß ich ihn morde" ist nicht matter, sondern im Gegenteile
viel schärfer als: „Ich fürchte nicht den Tod, sondern eine Schurkerei Neros". Nicht immer
zeigt sich natürlich Octavia so entschlossen und mutvoll. Als sie am Hochzeitstage (Neros
mit Poppäa) den Palast verläßt, ist sie doch froh, vielleicht von tristes poenae und leti metus
frei zu sein (V. 659 f.) — man vermißt den Hinweis auf diese Worte bei Cima — , sie hat
sich nun mit dem neuen Lose schon abgefunden; der Stimmungswechsel ist begreiflich.
Cima behauptet merkwürdigerweise, scelus habe in der ganzen Szene eine Bedeutung wie
'scelleratezza (commessa da Nerone)', nicht 'uccisione'. Liest man die von ihm angeführten
Verse (102,113,153,159,166,178), so findet man, daß der Singular scelus überall „Mord"
(durch Nero oder Agrippina) bedeutet und der Plural diese Bedeutung einschließt. Nicht deswegen
ist scelus im V, 107 nicht als „Mord an mir" zu verstehen, weil der Gegensatz dann keinen Sinn
hätte — „ich fürchte nicht den Tod an und für sich, sondern den Tod durch ein Verbrechen"
gibt einen ganz guten Sinn — , sondern weil Octavia fortfährt poena gravior nece, ein
Argument, das Cima gar nicht erfaßt hat, obwohl ich (Zeitschr. f. d. ö. Gymn., 1905, S, 690)
nece an die Spitze des Zitates stellte. Zu jener widersinnigen Erklärung d. V, 174 sieht
sich Cima gedrängt, da er um jeden Preis die Verbindung von 0. 100 ff. und Tac. Ann.
XIV, 63 aufrecht erhalten will, die andere längst aufgegeben haben. So begreiflich dieses Streben
sein mag — wenn er zugibt, daß keine Verbindung besteht, erklärt er selbst seine beiden
Aufsätze für zwecklos — , die Verbindung läßt sich eben nicht erhalten. Deut-
lich wird das daraus, daß in V. 105 (meae subiecia famulae) von Poppäa gesprochen
wird, während sich die Taciteischen Worte, die für die Octavia-Stelle maßgebend gewesen sein
sollen (ancilla dominä validior), auf Acte beziehen. Daß famulae gleich Poppaeae ist,
ergibt sich mit vollkommener Klarheit aus dem Präsens fruor (V, 105), zusammengehalten
mit den Worten jyrima, qtusa est (Perfektum), possedit (Perfektum) im V. 193 f., wodurch
Wiener J^ranos. 13
— 194 -
üt sis ipsa, lahentem ut domum restituas. Dieser Mordplan wird
natürlich im Stücke nicht weiter berührt, es ist aber doch ganz be-
greiflich, daß der Dichter auch die edle Tochter des Claudius derartiges
denken läßt. Sie ist ist zwar wie Elektra ovre tl tov d-avelv 7tQ0(,iri&rjg
t6 t£ jWj) ßXeTtELv eTolf.ia (1078 f.), doch selbst sie hat eben Momente,
in denen die ira stärker ist als die pietas, da gelten Elektras Worte:
iv TOLOVTOLg ovre awcpQOvelv ovv euaeßelv TtaQeöiiV äXX ev rolg '/.anolg
Tzollii ^OT dväyy.T^ /MTCLTTjSeveLv %ai^a (E. 307 ff.)-
Der Schatten Agrippinas erscheint in der Prätexta als pronuha
Erinys der Hochzeit Neros mit Poppäa. Selbst in der Unterwelt kann
die Mutter die Schandtaten des Sohnes an ihr nicht vergessen. Auch
Claudius, sagt sie, verlange von ihr den Brudermörder und schon be-
reite die rächende Erinys dem Ruchlosen den verdienten Tod. Nach
der ins einzelne gehenden Beschreibung dieses Todes — die nur nach
Neros Ende geschrieben sein kann, was unbegreiflicher Weise wieder
von A. Siegmund („Zur Texteskritik d. Tr. Oct.", Wien, 1907, S. 33 f.)
verkannt wurde — ruft sie auf einmal (632 ff.) : quo te furor provexit
... I et fata, nate, cedat ut tantis maus \ genetricis ira, quae tuo scelere
occidtt? „Vor solchem Unglück schwindet auch der Groll der Mutter,
die du gemordet hast." Sie wünscht, wilde Tiere hätten ihren Leib
zerrissen, als sie mit dem Sohne schwanger ging, damit sie ihn jetzt
in der Unterwelt als unschuldiges Kind in den Armen halten könne.
Diese Worte Agrippinens hat man auffallend gefunden; Gercke meinte
(Jahrb. Suppl. XXIL, S. 196), der Geist spreche vom Kummer, den
Nero Eltern und Vorfahren dort unten bereite, kindlich einfach und
rührend, nur nicht im Geiste Agrippinens. Doch bis V. 631 redet die
Furie, erst dann bricht die Mutterliebe durch, ein trefflicher, echt
menschlicher Zug. Anregung konnten die berühmten Worte bieten, in
denen sich das elementar durchbrechende Muttergefühl Klytaimestras
äußert (7 70 f.): Setvbv to tl^telv earlv ovdi yäq naxwg TtaGxovn (.uGog^ cjv
venTj, TCQogylyveTai.
Mitbestimmend zur Einführung des Schattens — welche an-
deren Momente noch heranzuziehen w^ären, kann ich hier nicht
ausführen — war wohl die Vision des Chores in der Elektra, der
auf die Nachricht vom Traume der Klytaimestra singt (488 ff.) :
TJ^EL %al TtohüTtovg xal tzoXvx^lq ä ÖEcvolg XQVTtrofieva lö^oig xalxÖTtovg
Acte ausdrücklich als die abgelegte (jetzt maclitlose, selbst um ihr Leben besorgte) Geliebte
ÜSTeros bezeichnet wird. Übrigens muß jedem Unvoreingenommenen aus der Partie 100—133
allein klar sein, daß im V. 104 f. Nero und Poppäa gemeint sind; die V. 108 — 133 sind
eben die nähere Ausführung von 104 und 105. Auf Cimas sonstige, von mir noch nicht
berücksichtigte Bemerkungen in seinen beiden Artikeln werde ich, soweit es nötig erscheint,
anderswo zurückkommen.
— 195 —
^Egivvg.^) Dike und Agamemnon, der gleich Agrippina (0.598) ovTtov
di^vrjGveX (E. 481), sind es nach der Meinung des Chores, welche durch
den Traum die Erinys der Verbrechen des Aigisthos und der Klytai-
mestra ankündigen. Auch in der Pratexta wird auf die Erinys der Ver-
brechen Neros durch den Traum Poppäas hingewiesen, nur tritt Agrip-
pina selbst als diese auf und erscheint auch so ihrer neuen Schwieger-
tochter im Traume als Zeichen des nahen Verderbens.
V. 712 ff. erzählt nämlich Poppäa auf die Frage der Amme,
warum sie heute, am Tage nach ihrer Hochzeit, ganz verstört zur
heimlichen Unterredung mit ihr aus dem Palaste stürze, sie habe im
Traume der letzten Nacht römische Frauen jammernd ihre — Poppäens —
Hochzeit feiern sehen , Agrippina sei als Furie dabeigewesen. Ihr
habe sie folgen müssen und sei in den Tartaros gesunken. Dort habe
sie sich auf ihrem Brautbette niedergelassen, hereingekommen sei aber
ihr einstiger Gatte Crispinus mit ihrer beider Sohn, habe sie umarmt
und mit langentbehrten Küssen überschüttet, als plötzlich Nero voll
Angst hereingestürmt sei und sich das Schwert in die Kehle gestoßen
habe. Durch diesen Traum soll die Erfüllung der Prophezeiung des
Schattens als sicher hingestellt werden; man denkt: }]tol (MavTelat ßgoraiv
ouTi eiolv SV ÖEivolg dveiQOig ovo* ev d-eocpavoig^ ei i^irj rode q)ccOfA,a ev
'AaxaöyriQEi (E. 498 ff.). Der Dichter hat aber nicht bloß das Traum-
motiv, dessen sich ja schon Aischylos bedient hatte, aus Sophokles
her übergenommen. Wie Klytaimestra durch die Angst hinausgetrieben
wird, stürzt Poppäa heraus, und wie jene sich schließlich zum Gebete
wendet, so Poppäa, als ihr die Amme gezeigt hat, daß der Traum auch
«ine günstige Auslegung zulasse. Mit der Doppeldeutigkeit beruhigt
sich auch Klytaimestra (E. 644). Agamemnon erscheint im Traume
^ur SevT£Qa b^iXia (418), nicht anders Crispinus, dessen Erscheinung
allerdings nicht gerade als unbedingt nötig bezeichnet werden kann (zur
Erkl. der Stelle vgl. Zeitschr. f. d. ö. G. 1905, S. 868, A. 1). Der Dichter
wollte offenbar auf die Parallele Agamemnon — Aigisthos — Klytaimestra
und Crispinus — Nero — Poppäa nicht verzichten, für Otho war da selbst-
verständlich kein Platz. Endlich ist sogar das Gebet, das Poppäa
sprechen will, im Wesen dasselbe wie das der Klytaimestra. Man vgl.
0. 756 ff. : deliihra et aras petere constitui sacras, caesis litare victhnis
numen deum, iit expientur noctis et somni minae terrorque inhostes
redeat meos. tu .... superos adora, maneat ut praesens status mit
^) Auch daß die uUrix Erinys (0. 619) als Abgesandte der Mutter erscheint, ist
■der griechischen Tragödie entsprechend. Aus dem Fluche der Mutter entstehen die Erinyen,
4x1 ^tjTQog ^yxoTOc xxn>eg (Aisch. Cho. 923, 1052). In den Eumeniden hetzt ja der Schatten
Klytaimestrens (94 ff.) die Furien des Muttermordes auf den Sohn.
13-
— 196 —
E. 644 ff.: cc ftQogeldov vvy.tl Tf^de cfdo^ara diGGiov ovelqiov, Tavtä fioi^
Av^BL ava^^ d (-lev 7t£q)7ivev eod-Xd^ dhg TeXeocpoQa, ei ö'iyßQa^ Tolg
exS-qolöiV £f.i7ta)uv fied^eg' /.al fii] //£ tiXoutov tov TcaQÖvxog
El Tiveg doXoLGi ßovXevovoLv sxßalelv^ ^(f^^i ^^^ f^^£ /<' «fi^ ^cooav äßka-
ßel ßlq) dofxovg Mt^elÖcov oy.ri7tTqd t df-icpSTtecv rdde %t'L Doch wird
aus Sophokles allein die Haltung Poppäas in der Prätexta nicht zu
erklären sein, da Josephus Flavius, der Poppaa persönlich gekannt hat,
sie ja auch als -d-eoaeßrig (Ant. lud. XX 195) bezeichnet. In bezug auf
Poppäa also ist die Hoffnung, die K. Meiser an der erwähnten Stelle
aussprach, noch nicht aufzugeben.
Hinsichtlich der Komposition der Prätexta kann für den Ver-
gleich nur der I.Akt in Betracht kommen. Von den V. 57 — 99 hebt
Leo (Rhein. Mus. 1895, S. 513) hervor, daß wir hier das einzige Duett der
10 Seneca-Dramen haben. „Es ist offenbar," bemerkt er, „daß die Octavia
nicht einzig von Seneca abhängig ist. " Das Vorbild ist eben die komma-
tische Parodos der Elektra des Sophokles. Auffallend konnte es erscheinen,
(s. Leo, Plaut. Forsch., S. 194), daß die Amme erst nach dem 1. Liede
der Heldin „einen richtigen Prolog spricht". Ob aber der Dichter hier
Senecas Phaedra nachahmt, „deren Prolog auch auf das 1. Lied des
Hippolytus folgt, das noch nichts exponiert," ist zu bezweifeln. Daß
der Prolog nach dem Anfang häufiger war, als wir sonst wissen, zeigt
Leo selbst und man erkennt leicht, wie der Dichter dazukam, zuerst
Octavia auftreten zu lassen. Sie sollte wie Elektra in aller Frühe, ihr
Leid klagend, aus dem Hause treten, damit man den Eindruck erhalte,
wenn alle noch schliefen, fände sie keine Ruhe. Das Gespräch des Orest
und des Pädagogen, die aus der Fremde kommen, war nicht verwendbar,
der römische Dichter setzt also erst bei V. 86 der Sophokleischen Elektra
ein, nur das Motiv der im Hause klagenden Stimme (E. 77) hat er
noch benutzt (72 ff.) Hätte er die Amme zuerst auftreten lassen, so
wäre der gewünschte Eindruck verloren gegangen; hätte er Octavia
nicht wieder abtreten lassen — ^\de Elektra auf der Bühne bleibt — ,
so hätte die Amme den Prolog nicht sprechen können, auch das Motiv
der Klage im Palaste wäre unbenutzt geblieben. Sonst hat die Amme
die PoUe des Chores, der erst am Schlüsse des 1. Liedes der Elektra
einzieht. Doch erinnern die ersten Worte der Octavia an die Worte
des Pädagogen (E. 17ff.); wie die aufgehende Sonne die Stimmen der
Vögel und dann Elektrens Klage wieder erweckt, erweckt sie hier die
Klage der Octavia.
In welcher Weise der Dichter der Prätexta den ersten Klage-
gesang des Sophokleischen Stückes (86 ff.) verwendet hat, zeigt die Ver-
gleichung von 0. 6 und E. 87 ff., 103 ff., 0. 8 und E. 107 — das äg
— 197 —
Tig äriÖLüv wird mit Älcyo7ias und Pandionias übertrieben (vgl. auch
E. UT ff., 1077 f.) — , 0. 10 und E. 94 f. (auch 132 f., 241 f.), 0. 16
(inaerens foedo sparsu cruore) und E. 101 f. (aiTicog oixTQcog te d-avovTog)^
0. 18 (o lux . .) und E. 80 (co cfdog . ,). Octavia empfindet aber nicht
wie Elektra, „aus dem dumpfen Hause in die Morgenfrische heraus-
tretend, zunächst die wohltätige Wirkung" (Kaibel) des Lichtes, ihr
ist es, wie ja ihr Leiden, als hoffnungslos, größer ist, funesta, magis
invisa tenehrls. Besonders bezeichnend jedoch scheint mir folgendes: Octavia
weist (25 f.) mit rhetorischem Pathos auf die Weltherrschaft des Clau-
dius hin, dem sich selbst die Britannen unterworfen hätten. Was sie
damit meint, zeigen deutlicher im folgenden Prolog (38 ff.) die Worte
der Amme, die ausführlicher über den Zug spricht und dessen Er-
wähnung schließt : en qui Britannis imposuit iugum . . . interque gentes
harharas tutus fuit . . . coniugis scelere occidit. Nicht anders sagt
Elektra (95 f.) : (d^Qi^vio) 7caEeQ\ ov ^axa (.lev ßdqßaqav alav cpoiviog
''JäQTig ovx e^ev Loev^ (.itittiq d^riiu^x^o y,oivoleyj)g ^l'yiod^og . . . oyLLovGi xäga.
„Ares hat ihn geschont, die eigene Frau hat ihn erschlagen" (nach
Od. Ä 406), wie Kaibel bemerkt. Die von Grercke a. o. 0. ohnehin unter
starkem Zweifel geäußerte Vermutung , die Kämpfe in Britannien
könnten mit Rücksicht auf spätere Kämpfe hervorgehoben sein, ist
demnach erledigt. Man vgl. weiter 0. 31 f. und E. 124 f., außerdem
zu 0. 12 f. E. 1066 ff. und zu 0. 21 E. 597 f.
Im Prolog führt die Amme (36 f.) die Vernichtung des Claudischen
Hauses auf den Angriff der aus verborgenem i) Hinterhalte (s. E.490)
plötzlich hervorbrechenden Fortuna zurück und erinnert so an E. 1414 f.
(fioLQa xaS^aiisQLa (fd^ivei); der Geschlechtsfluch, der „Tag für Tag auf
dem Hause gelegen hat" (Kaibel), vernichtet auch Octavia (s. V. 898,
931 und bes. 962); zum Ausdruck vgl. E. 764 f. Das irä coacta
in V. 46 f. (meieret infelix soror \ eademque coniunx nee graves luctus
valet I ira coacta tegere. crudelis viri \ secreta refugit semper ... ist mit
den Handschriften zu lesen) weist auf E. 222 f.: Seivotg (malis)^vayxdG^7iv,
Seivolg^ od IdS-ei (.lÖQyd (vgl. E. 256 u. 369). Weiter vgl. man 0. 51 (75)
mit E. 130, 0. 54 mit E. 217 ff., 235 f., 0. 55 mit E. 374 f.
Aus dem Duett kann man zusammenstellen 0. 57 und E. 376 ff.,
0. 60 und E. 132 f.; 0. 62 und E. 14, 603, 811, 1156; 0. 63 und E. 12,
1132; 0.65 und E. 285f.; 0.68 und E. 809 f., 846, 949 ff.; 0.71 und
^) Immer noch wird an der Richtigkeit der Überlieferung des V. 36 gezweifelt; ich
habe die handschriftliche Lesart subito (sub uno in einer Anzahl von Handschriften ist
ein leicht begreiflicher Schreibfehler), latentis ecce Fortunae impetu schon in meiner Diss.,
p. 97f. verteidigt und jüngst gegen Siegmund (in der genannten Schrift) in d. deutsch.
Literaturz. V. 29. Februar 1908, Sp. 550 f. Für die Richtigkeit des latentis genügt jetzt
wohl der Hinweis auf Soph. El. 490: a deivoTg xQVTtxo^ieva Xöxois 'EQivvg.
— 198 —
E. 677 (1140 fF.); 0. 72 und E. 78. Der Dichter läßt nicht (wie Sophokles
von Elektra) nur ein paar Worte der Klage vernehmen, er steigert in
seiner Weise; Octavia ist ja ebenso äväQid^fwg S-qt^vwv (E. 232), ihre
Leiden sind aber auch wirklich älvTa (E. 230), wie die V. 77 f. besagen.
Zu 0. 83 f. (255 f.) kann noch E. 174 f. verglichen werden.
Zwischen 0. 99'' und 100 fehlt der Gedanke : „Kann man denn in
solch einer Lage Maß halten?" Das kommt in demselben Zusammenhange
bei Sophokles auch wirklich zum Ausdruck. E. 213 fF.— 221 ff.— 236 ff.
Zu 0. 105 kann man E. 393 stellen. Wie Elektra dem Vorwurf der Maß-
losigkeit durch eine ausführliche Schilderung ihrer Leiden begegnet,
ebenso Octavia. Und so findet sich natürlich 0. 100 ff. und E. 261 ff.
manches Entsprechende (0. 104f. u. E. 261 ff., 0. 111 ff. u. E. 267, 270).
Auch von dem, was Elektra nach dem Berichte von Orests Tod spricht,
läßt sich einzelnes heranziehen; vgl. 0.105 und E. 814f., 0.108 und
E. 821 f. Octavia ist eben wie Elektra rolg (povevoL avvxQocpog (E. 1190).
Die Bitte, die Octavia (134 ff.) ausspiricht (emergere umbris et fer
auxilium nafae . . .), soll Chrysothemis am Grabe des Vaters tun (E.453f.
yrid-Ev Ev^evri fifuv aQioybv avrbv eig ex^Qovg /nolelv), die Worte der
Amme aber (0. 137 friistra parentis invocas manes) klingen an an die
Worte des Chores (E. 137 f.): äl)^ ovtol tov y s^ 34iSa Xi/nvag TzaTsq
dvoTciGeig, vgl. den ähnlichen Gedanken 0. 178 und E. 940. Was die
Amme von Britanniens sagt (0. 168 sidus, columen domus), das sagt
und hofft Orest von sich (E. 65 f. cxgtqov cog . . . xaTaotazTiv dof^cov)^ die
Worte nunc levis tantum cinis (0. 169) erinnern an Elektra mit dem
Aschenkruge. Vom Gespräch zwischen Octavia und der Amme kommen
außer den oben besprochenen Stellen noch in Betracht: 0. 177 und
E. 396; 0. 179 und E. 1009 f.; 0. 227 und E. 175 f., 209 f.; 0. 243 und
E. 785 f.; 0. 245 und E. 824, 1063; 0. 256 und E. 919, 1065; 0. 257 f.
und E. 513; 0. 260 und E. 493 f.
Daß der römische Dichter auch durch den Schluß des 1. Stasimon
der Elektra (504 ff.), der das Verbrechen des Pelops behandelt, zur
Erwähnung der Verbrechen im römischen Königshause und der des Nero
gegen die Mutter in dem entsprechenden Chorliede (0. 273 ff.) angeregt
wurde, ist w^ohl nicht ganz ausgeschlossen.
Im folgenden finden sich außer an den erwähnten Agrippina und
Poppäa betreffenden Stellen erst wieder am Schlüsse, wo Octavia auf-
tritt. Anklänge an Sophokles, vgl. 0. 911 mit E. 249, 307 f.; 0. 915 mit
E. 146, 1077 (s. Aisch. Ag. 1140, der Gedanke von 0. 916 f. bei Aisch.
Ag. 1144); 0. 981 mit E. 391.
An der Spitze des Liedes, in dem der Chor Octavia auf die Frauen
ihres Hauses hinweist, stehen dieselben Gedanken, die der Chor in der
— 199 —
El. 860 f. und 916 f. ausspricht (Ttäai dyaTolg fyv fiOQog und rolg avTolal tol
ovx avTog del daiuövwv TtaQaoxaTEi ist zu vergleichen mit 0. 924 fF.: regitur
fatis mortale geniis \ nee sibi quisquam spondere potest \ firmum et stabile).
Der etwas sonderbare Trost in den Worten: quid saevior est Fortuna
tibi? — „die Schicksalsgöttin geht doch mit dir nicht grausamer um
als mit andern" — mit der folgenden Erinnerung an die ältere
Agrippina. die Livia Drusi, ihre Tochter Julia, die Messalina und
jüngere Agrippina findet seine Erklärung in den Worten des Chores
der El. (153 fF.): ovroi ool f.iovva^ tcxvov, äxog icpdvrj ßgorcov^ TCQog
0 TL ov Tcov evSov el TieQiGod^ olg öf-iöd-ev ei ytal yova ^vvai(.iog.
Möglicherweise hat eben die Erwähnung der Geschwister Elektrens
unseren Dichter auf den Gedanken gebracht, Octavia das Los jener
vorzuhalten. Das etwas Befremdende des Trostes wird so erklärlich.
Die Anrufung der Unterweltsgötter, mit der Octavia zu Schiffe geht,
steht in Elektrens Klagegesang V. 110 f.
Wir sehen also den Dichter, dessen Stück sich in Sprache und Kom-
positionsweise von den Seneca-Dramen nicht wesentlich unterscheidet,
in manchem auch von Sophokles abhängig; man wird aber nicht sagen
können, daß er Motive seines Vorbildes in plumper Weise verwendet
hat. Natürlich bin ich weit entfernt, behaupten zu wollen, daß der
Dichter der Prätexta sämtKche Stellen, die ich herangezogen habe
bewußt nachgeahmt hat; von Nachahmung im gewöhnlichen Sinne kann
gleichwohl eher Sophokles als Seneca^) gegenüber gesprochen werden.
Indem der Dichter im Drama selbst auf sein Vorbild hinweist, scheint
er geradezu dessen Vergegenwärtigung von seinen Lesern zu verlangen.
Daß die Prätexta vor den mit ihr überlieferten Seneca-Dramen
manches voraus hat, wird man 0. Ribbeck (Gesch. d. r. D. IIL, S. 88)
wohl ohneweiters zugeben. Dieser Vorzug hat aber zum Teil seinen
Grund auch in der geschickten Benutzung der Elektra des Sophokles.
^) über das Verhältnis der Prätexta zu den Seneca-Dramen vgl. man meine Diss.,
p. 49 ff. ; was meine Zusammenstellungen bedeuten (s. Zeitschr. f. d. ö. Gymn. 1905, S. 675),
versteht A. Cima (Riv. XXXIV, S. 530 A.) immer noch nicht. Aus den Seneca-Dramen
bringe ich ihm zu viel Stellen mit der Prätexta in Verbindung (natürlich habe ich da noch
einiges übersehen, wie ich mir verschiedentlich anmerkte), aus Tacitus zu wenig; da ist
freilich nicht zu helfen. Beziehungen zu Prosaschriften Senecas sind in meiner Diss. p. 76 ff.
besprochen. Sonderbarerweise erwähnt W. Gemoll davon nichts in der Wochenschr, f. kl. Phil.
1906, Sp. 1088 ff., wo er meine letzte Arbeit und die Ussanis „bespricht", wenn man den Aus-
druck gebrauchen darf. So hat es den Anschein, als ob mir entgangen wäre, daß die Prätexta
„unter starker BenutzungSenecas" geschrieben ist. Gerade auf Grund meiner Zusammen-
stellungen in jener Dissertation, auf die sich der von Gemoll angeführte Nordmeyer aus-
drücklich beruft, kann dies heute jedem, der sich mit dem Stücke beschäftigt, bekannt sein. Auf
die Aufstellungen Gemolls in seiner Besprechung der Arbeit Nordmeyers (Wochenschr. f.
kl. Ph. 1893, Sp. 124 ff.) einzugehen, schien mir bisher nicht nötig; da er sie nun wiederholt
hat (Wochenschr. 1906 a. a. 0.), werde ich gelegentlich auf sie zurückkommen.
Eine noch unbenutzte Sallusthandschrift.
Von
AUGUST SCHEINDLER.
Vor Jahren wurde ich von Professor Dr. Petschenig in Graz auf
eine ältere Sallusthandschrift aufmerksam gemacht ^ die sich im
Benediktiner stifte St. Paul in Kärnten befindet. Erst im verflossenen
Herbst kam ich dazu, sie einzusehen und vollständig zu vergleichen.
Sie wurde mir hiezu auf meine Bitte mit größter Bereitmlligkeit
nach Wien geschickt und ich erfülle eine angenehme Pflicht, wenn ich
auch hier dem hochwürdigen Stiftsarchivar, Herrn Professor Dr. P. Sieg-
fried Christian, für sein überaus freundliches Entgegenkommen meinen
herzlichsten Dank ausspreche.
Die Handschrift trägt die Signatur: alt XXVII c, 126, neu:
XXVI, 1, 21; sie ist ein Miszellanband aus Pergament in Kleinquart
und enthält mehrere theologische Schriften (I. Variae admonitiones ;
II. Contemplatio S. Bernardi abbatis de passione Domini, de dedicatione
ecclesiae; III. De pulchritudinibus); dann folgen die beiden bella des
Sallust. Nach dem bellum Catilinae enthält die Handschrift auf der
unteren Hälfte der Rückseite des Blattes 147 und auf Blatt 148 ein
Stück aus Boetius topica, das nachträglich, offenbar zur Füllung des
leeren Raumes, eingetragen wurde.
Der Salkisttext ist sehr schön und gleichmäßig in Minuskeln,
wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts auf
67 Blättern geschrieben. Sachverständige, die ich um ihr Urteil über
das Alter der Handschrift befragt habe, schwankten anfangs zwischen
dem XI. und XII. Jahrhundert ; doch entschieden sie sich, und zwar
unabhängig voneinander, für das XII. Jahrhundert.
Zur Charakteristik der Schrift sei erwähnt, daß sich am Schluß
meist das lange Zeichen für s findet; doch kommt auch das kleine s
i
— 201 —
vor; ferner stets ufürv^); es finden sich auch viele Unterscheidungs-
zeichen. Punkte zwischen den Wörtern etwas über der Zeile und fast
desmal das Fragezeichen; die Präposition wird stets mit dem dazu-
ehörigen Worten zusammengeschrieben; Initialen, zumeist in roter
arbe, durchziehen die ganze Handschrift.
Die vollen Seiten enthalten eine ungleiche Zeilenzahl, sie
schwankt zwischen 26 und 31, beträgt jedoch meistens, solange die
gleichmäßige Schrift anhält, 28.
Auf^ fol. 1 steht in roter Kapitale die Überschrift: INCIPIT
SALUSTI LIBRI CATILINAEII(!). Es folgt nun der Text bis c.5;
am Ende von c. 4 steht gleichfalls in roter Kapitale: EXPLICIT
PROLOGUS. Ebenso steht vor der Rede de^Cat. c. 20 : ÖR CATILINE ;
c. 35. 1 vor dem Briefe Catilinas: ORAT CATILINE, ferner c. 51
vor der Rede Caesars: ORAT GAYCESARIS und c. 52 vor der Rede
Catos: ORATIO MARCI PORCI C ATONIS. Nach dem Stück aus
Boetius folgt der Beginn des bell. Jug. mit dem Vermerk : INCIPIT
LIBER lUGURTHINUS. Auf fol. 157 Vorderseite findet sich nach
c. 17, 2 eine Weltkarte^). Von pag. c. 56 1 venturum an wird die
^) Nur in wargunteius steht meist w statt v, und hie und da findet sich am Anfange Yfür v.
-) In einem Kreise mit dem Halbmesser von ungefähr 3 — 4 c/w sind in einem x\bstande
von 1 cm zwei unterbrochene Halbkreise eingezeichnet ; in dem Zwischenraum stehen in
gleichen Abständen 9 Buchstaben, und zw^ar von oben nach der Eichtung des Uhrzeigers
a T ij) L g X O C 2" (?) e; die beiden Enden des oberen Halbkreises verbindet eine hori-
zontale Zickzacklinie, eingetragen ist in diesen Raum nur Asia oben, zava? links in der
Ecke, ihrl-m in der Mitte und ein Namen rechts, von dem nur P' ig leserlich ist. Der
untere Halbkreis ist durch eine mit der oberen parallel gehende, von der Hälfte nach unten
senkrecht abbiegenden Zickzacklinie dreifach geteilt; links steht im sonst leeren Zwischen-
raum zwischen den beiden parallelen Zickzacklinien tyr'; in dem durch den Bogen des
inneren Eo-eises, den linken Teil der unteren und die senkrecht zum inneren Kreise ab-
biegenden Zickzacklinie eingeschlossenen Stück der Kreisfläche steht in der IVIitte: europa,
in der rechten Ecke roma oben, in der rechten Ecke unten hispania; dann folgt ein Streifen
zwischen beiden Erdteilen : mediterraneum mare, der unteren Ecke zunächst stehen die Namen
calpe und cades: dann folgt das rechte Stück der Kreisfläche; das enthält die Namen:
atlas, medi, darunter libies, getuli, ethiopes; rechts oben limens (?), darunter mulucha;
unter der parallelen Zickzacklinie stehen die Namen: Cartago, ^rarabatmon, darunter
numidia, afirica. Am linken Rande neben der Zeichnung stehen die Worte : tenet ambitus
iste, am rechten DIVISÜS PER SE 3IUNDÜS; außerdem am rechten Rande noch in fünf
Zeilen 4 Verse aus Lucan (Phars. IX, 411—14 (gegen Hosius weicht der Text ab: 412 at
si celum ventosque sequeris und 413 neque enim) mit der Unterschrift Lucanus. Die
Karte zeigt also Ähnlichkeit mit den übrigen SaUustkarten, namentlich mit der zweiten
von Görlitz, 12. Jahrh. nach Wuttke, und der dritten von Leipzig, Stadtbibl. 13. Jahrh. nach
Wuttke; vgl. Dr. Konrad MiUer, die ältesten Weltkarten, m. Heft, S. llOif. Eine ganz
ähnliche, allerdings einfachere Karte mit Avenig Namen und ohne Einzeichnung der Meere
findet sich in zwei Handschriften des Lucan; siehe zur Stelle die Ausgabe von Franc ken,
n. p. 177.
— 202 —
Schrift, die bisher sehr sauber, sorgfältig, deutlich und gleichmäßig
war, flüchtiger, größer, ungleichmäßiger und weniger sorgfältig, doch
dürfte sie immerhin noch von derselben Hand herrühren. Eine andere,
jüngere Hand setzt aber zweifellos lug. c. 80, 1 von nichil an, ein;
sie ist ersichtlich ungeübt, kopiert mühsam und unvollkommen die
frühere, hält die Zeilen nicht ein und ändert häufig die Lage der Buch-
staben, die größer und ungleicher werden; auch die Tinte ist blässer
und die ganze Schrift undeutlicher. Der Text des bell. Jug. reicht bis
c. 104, 3 und endet mit dem Worte benignitatem. Von ganz junger
Hand steht am oberen Eande : in nomine domini nostri Jesu Christi.
Am Rande sind von Jug. c. 17 an mehrere Bemerkungen nachgetragen,
so zu c. 85 ÖRÖCMARIY. Mit c. 104, 3 bricht also die Hand-
schrift mit dem Worte benignitatem ab; doch stehen die Worte qui
bis benignitatem von derselben ganz jungen Hand in drei Zeilen am
unteren Rand; die letzte regelrechte Zeile endigt mit Gn. octavio
rufone.
Das letzte Fol. der Handschrift enthält meder einen Text theo-
logischen Inhaltes.
Die Sallusthandschrift ist demnach unvollständig; sie war offen-
bar einmal vollständig und sind die letzten Blätter vor dem Einbinden
verloren gegangen. Von der Jugurthalücke enthält sie jetzt nur mehr
einen kleinen Teil, nämlich von quinque c. 103, 2 bis c. 104, 3 beni-
gnitatem.
Endlich sei erwähnt, daß die Handschrift zahlreiche Glossen
interlinear und am Rande und einige längere Schollen enthält.
Die Stellung unserer Handschrift wdrd zunächst dadurch be-
stimmt, daß in ihr Cat. 6, 2 die Worte ita bis facta erat, Jug. 21, 4 :
de controversiis bis disceptare und 44, 5 die Worte muniebantur ea
neque fehlen.
Was die Orthographie betrifft, so liegt sie sehr im argen; ich
führe zur Charakterisierung der Handschrift nach dieser Richtung fol-
gendes an: die Eigennamen sind durchaus mit kleinen Anfangsbuch-
staben geschrieben, stets hat die Handschrift michi, nichil ; für ae und
oe meist e, und zwar nicht nur im Aus- sondern auch im Inlaute;
im Auslaute findet sich das Häkchen unter dem e. Als Beispiele
führe ich an ^j : que Cat. 1, 1; querere 1, 3; grecia 2, 1; lace-
demonii 2, 1; equabilius 3, 3; edifficaret 3, 7; estimo 3, 8; etas 3, 4;
celum 48, 1; sepe 51, 6; cede 18, 4; cesar 49, 1; preterea 48, 4;
edem 49, 4; ceteri 51, 2, dagegen athaenienses 2, 2; 8, 3; aliaena 51, 37.
') Ich beschränke mich der Kürze wegen in meinen Belegstellen auf das bell. Cat.
203
■
^V Ebenso ist für oe zumeist einfaches e geschrieben : obedientia
^■Cat. 1, 2; immer cepi (st. coepi), menia 6, 2; penam 46, 2; 51, 8 usw.
^V Das anlautende h fehlt öfter in Formen von homo (Cat. 3, 7), in
aveto 35, 6, actenus 20, 5; dagegen findet sich wieder habunde 21, 1.
Nach u (für v) steht immer u, z. B. uultus, uultis, nouus, uulnus
uulturcius, uulgus, uiuus; nur einmal equom Cat. 59, 1. Stets schreibt
die Handschrift: adolescentulus , adolescens, adolescentia, formidolosus
(nur Cat. 7, 5 formidulosus); für ti steht immer ci: diuicia (7,6),
auaricia (3, 3 usw.) ; arcium (3, 4), uicia (3, 4) milicieque (5, 9), flagi-
ciosissima (5, 9), iusticia, potencia (58, 11), spacio (55, 1), negociis
(54, 4), pudicicie (52, 23), moUicia (52, 18), inerciam (52, 22), opulencia
(52, 9), sentencia (51, 21), ocium (52, 5), licencia (51, 29), inicium
(51, 33), attencius (52, 18), silencio (53, 6), leticia (31, 1 usw.), tri-
sticia (31, 1), concione (43, 1), tercium (47, 2), sedicio (34, 2 usw.),
precio (50, 1), inducias (51, 6), seuicia (51, 9) usw.
Umgekehrt steht auch für ci häufig ti: sotiis (6, 5 usw.) sotie-
tatem (48, 7), tribunitia (38, 1), inditio (46, 4), fallatiis (11, 2), delitiis
(31, 3), fidutiam (35, 1), conditio (20, 6), ditionem (20, 7) , suspitione
(35, 3) ; einmal sogar amiticiam (14, 4) und inimiticias (49, 2).
Die assimilierten Formen sind die Regel, so notiere ich: immu-
tatur (2, 5), immoderata (5, 5), imminutum (37, 9), immortales (51,
10), impelli (44, 1), impunitas (30, 6), imparatam (17, 1 usw.), impo-
neret (43, 1), impurus (15, 4), impunitos (51, 5), comperata (51, 8),
impendeat (28, 2), implores (52, 4), impudicus (14, 2) , imbuta (11, 3),
corruptus (3, 4 usw.), arrexit (39, 3), assequeretur (5, 6 usw.), assistit
(59, 3), assedit (31, 7), assenciebantur (51, 1), accitum (47, 1), acce-
debat (11, 5), affluerent (36, 4), aff'erre (46, 6), aggressos (19, 5),
appetens (5, 4), attriverat (16, 3), allatus (30, 1); sogar ammonuit
(5, 9), annitente (19, 1) und approbo (51, 8); suppetebat (16, 2), ille-
cebris (14, 4), illexerat (16, 1), coUegam (26, 3), collocatis (45, 2),
collibuissent (51, 9), oppressos (40, 1); ja sogar Impromptu (7, 1) und
impraesens (16, 2).
Dissimilation begegnet in beiden bella sehr selten: im Catilina
nur: inbutus (13, 5), inprouiso (28, 1), inponatis (33, 5), inpellat
(40, 1), inpunitatem (46, 2), inmissum (48, 8), obpugnatus (49, 2),
inpiis (51, 15), adtendere (53, 2), obstinatis (36, 4).
Ebenso sind Reste alter Schreibart sehr spärlich erhalten ; in beiden
bella nur folgende : Cat. 24, 2 faciundi ; 46, 2 perdunde ; 48, 5 leniunda ; 48, 6
faciundam; Jug. 13, 6 largiundo; 13, 8 ambiundo; 31, 22 faciundi; 35, 3
gerundi; 37, 3 capiunde; 37,4 potiundi; 54, 5 gerundum ; 63.2 capiundum;
63, 3 faciundi; 89, 6 potiundi; 93, 2 legunda; 97, 1 faciundi. Nirgends
— 204 —
erscheint u für i im Superlativ, stets verto ; von vester und seinen
Formen kommt nur die Abkürzung ur, ura usw. vor ; docli weisen schon
Formen wie uultus und ähnliche den Gedanken an voster gänzlich ab.
Außerdem hat die Handschrift noch senati (Cat. 51, 1), praesidi (49,4),
consili (51, 37), pompei (19, 2), und darnach obnoxi (20, 7), insomnis
(27, 2), dis (15, 4), saucis (60, 4), colonis (28, 4); nirgends aber die
Endung des Plur. auf -is.
Trennung von Kompositionsteilen ist selten : ad eant (41, 5) trium
uiros (55, 1), qui cumque (37, 10), medius fidius (35, 2) , ante capere
(32, 1 ; 55, 1), quo usque (20, 9), enim uero (20, 10), post quam (21,
5), quam uis (23, 6), ante hac (25, 4), in erat (15, 5; 17, 2), cuius
uis (17, 7), non dum (18, 8), dagegen priusquam (44, 3).
Die Vokale e und i sind hie und da vertauscht: liniri (23, 3),
delectum (36, 3), inconsulti (42, 2), lapedeis (55, 5), uendicemus (20,
7), mauritaniam (21, 3), eines (31, 7), superiori (19, 6).
Einfache Buchstaben statt geminata notiere ich: ocultum (23, 4),
oculte (26, 4), (gleich darauf richtig occulte 26, 5), ocupauere (46, 2),
ocasionem (51, 6; 56, 4), operior (58, 4), cominus (60, 3), succurere
(60 , 4) ; umgekehrt geminata statt des einfachen Buchstabens :
peccora (1, 1), strennuum (51, 6, u. ö.j, edilFicant (20, 12 u. ö.) flam-
minium (36, 1).
Der Text selbst zeigt in mehrfacher Richtung erhebliche Ab-
weichungen.
Zumeist enthält er eine große Zahl von Zusätzen ; im b. Catilinae
an 85 Stellen.
Der längste ist 9, 1 : nach auaritia erat: per na tu r am maxime
iusticiam colebant, worauf dann folgt: ins bonum apud illos non
legibus magis quam natura ualebat : derselbe Einschub, wie ihn g ^
(bei Dietsch). eine Handschrift aus dem XIII. Jahrhundert mit vielen
Glossen, enthält; die Worte besagen nichts anderes als: ins bonumque
. . . natura valebat, sind also zweifellos eine in den Text gedrungene
Glosse.
Wichtiger ist, daß unsere Handschrift an 41 von diesen 85 Stellen
allein den Zusatz aufweist. Die korrigierende, erläuternde Tendenz
fast aller dieser Zusätze leuchtet ohneweiters ein : so ist 5, 2 ab ado-
lescentia sua; 25, 2 liberis suis satis fortunata ; 46, 3 coniirmato
animo suo das ohnehin selbstverständliche Possessiv ergänzt; an
drei Stellen: 32, 1 que in hello usui forent; 51, 25 fortuna, cuius
libido in gentibus moderatur; ib. 36 potest in alio tempore ist die
Präposition unnötigerweise eingesetzt; dazu die Wiederholung der-
selben 20, 3 perignauiam aut peruana ingenia (entgegen dem son-
m
205
M
stigen Gebrauche des Sallust; vgl. Kunze Sallustiana III, 2, S. 188).
Hieran reihe ich die Stellen, in denen die Konjunktion ergänzt ist:
2, 2 et lacedemonii; 9, 1 ius que; 16, 4 tuteque tranquilleque res;
20, 11 illos autem binas aut amplius domos continuare ; 31, 1 et
X summa leticia atque lasciuia . . . inuasit; 51, 19 de timore uero
superuacuum est; ib. 41 ego autem hanc causam . . . magnam puto;
52, 6 et non agitur; 54, 1 igitur his genus et aetas eloquentia prope
equalia fuere; ib. 5 At catoni studium modestie et decoris; 55, 6 De
cethego, statilio atque gabinio cepario . . . sumptum est. An zwei
Stellen ist das Hilfszeitwort eingesetzt: 40, 2 percontatus est pauca . . .
et; 52, 36 sumendum supplicium esse. An weiteren vier Stellen ent-
stand die Einschiebung durch Wiederholung eines Wortes aus der
nächsten Umgebung: 37, 5 postremo omnes quos flagitium aut facinus
domo expulerat, hü omnes romam . . . confluxerant ; 51, 5 Sed post-
quam de hello confecto de rodiis consultum est; 52, 35 si in me hercule
si peccato locus esset; 58, 18 cum uos considero milites et uos facta
ura estimo. An weitaus der größeren Zahl der Stellen ist aber eine
erklärende Glosse ^) in den Text gedrungen : 20, 16 in dies mihi animus
mens magis accenditur; 24, 1 Jgitur comitiis habitis consules declaran-
tur marcus tullius cicero . . . 25, 5 prorsus multe facecie sales
multusque lepos inerat; 51, 19 cum praesertim diligentia clarissimi
uiri consulis ciceronis . . . ib. 38 imitari bonos quam inuidere bonis
malebant; 52, 12 sint sane uri ciues quoniam . . .; 53, 6 quin utrius-
que naturam et mores et animum . . . aperirem ; 58, 12 Quo audacius
adgrediamini illos memores pristine virtutis; ib. 19 animus etas
uirtus ura me hortantur praeterea necessitudo hortatur. Ebenso sind
sicherlich auch folgende Einschübe zu beurteilen : 1 8, 5 Cum hoc ca-
tilina et publius autronius und 28, 2 Quintus curius (Ergänzung
des Praenomen); 25, 3 ut saepius peteret uiros quam ipsa peteretur,
31. 4 tametsi ipsi praesidia parabantur; 48, 2 incendium uero crudele
rei p. immoderatum ... 61, 4 sed catilina uero . . . Wahrscheinlich
auch noch 20, 13 At nobis domi inopia, foris grande alienum es. Es
bleibt somit eine Stelle: 13, 2 Quibus profecto michi uidentur ludi-
brio fuisse diuicie; hier liegt allerdings die Erinnerung an Cat. 2, 8
Quibus profecto contra naturam corpus uoluptati, anima oneri fuit
und ähnliche Stellen nahe, die der Lesung unserer Handschrift eine
ernstere Bedeutung verleihen.
Diesen Zusätzen stehen Auslassungen im Texte gegenüber, im
b. Cat. an 53 Stellen , von denen sich 28 nur in unserer Handschrift
*) über die Glossen in der Handschrift siehe unten.
— 206 —
finden. Von diesen sind auf den ersten Blick als zufällige Übersehen
erkenntlich: 17, 7 fehlt ea vor tempestate, das allein natürlich sinn-
los ist; 23, 6 consulatum nach et quasi pollui credebat; das folgende
eum verliert dadurch sein Beziehungswort; 27, 2 neque vor insom-
nia; 29, 3 nach earum rerum; 41, 5 ceteros ad eant. poUiceantur ;
hier ist bene unentbehrlich; 47. 2 quem sepe prodigiis auruspices
respondissent ; durch das Fehlen der Präposition ex wird der Satz sinnlos;
52, 18 tanto illis infirmior erit; animus ist unentbehrlich; ib. 27, si
arma ceperint; illi kann nicht fehlen; ib. 29 prospera cedunt; omnia
ist für den Sinn notwendig; ebenso steht die Sache 15, 3, wo das
unentbehrliche fuisse nach causa fehlt; hier ist es dem Schreiber
ergangen wie sonst öfter, z. B. 59, 1, wo animus nach periculo im
Texte fehlt und erst am Rande nachgetragen ist.
Diesen offenbaren Übersehen zunächst stehen Stellen, an denen die-
selbe Fehlerquelle wahrscheinlich ist: so fehlt que 6, 4 reges populi fini-
timi; 52, 36 conuicti confessi und 15, 4 nam (st. namque). Ernstere
Erwägung beanspruchen die Auslassungen in unserer Handschrift an
folgenden Stellen: 6, 3 sed postquam res eorum acris moribus aucta
(ciuibus fehlt 1); 11, 3 fehlt in finita vor insatiabilis ; 20, 7 Nam
postquam res p. inpaucorum ius atque ditionem concessit. Das fehlende
potentium nach paucorum wird nicht vermißt, da es eigentlich selbst-
verständlich ist, 20, 13 At nobis domi inopia usw. Das fehlende est
nach nobis scheint allerdings sehr hart; 24, 3 fehlt homines
nach plurimos cuiusque generis. 32, 1 fehlt ex curia nach se; hier
dürfte die Abkürzung exe., das nach se leicht ausfallen konnte, den
Ausfall erklären; 37,. 4 Sed urbana plebs ea praeceps erat (ohne vero
nach ea) , wodurch die Kraft des Ausdrucks verliert ; ebenso denke ich
über 44, 6 ne cunctetur propius accedere, wo ipse vor propius durch-
aus notwendig ist; dagegen vermißt man 50, 2 das selbstverständliche
cum telis nach grege facto kaum; 51, 36 cui item exercitus sit st. in
manu sit; ib. 39 eodem tempore st. eodem illo tempore; ib. fehlt sum-
mum vor supplicium, 52, 33 ullis nach hominibus und 57, 5 sed
vor postquam catilina; 6, 7 ist per licentiam nach putabant ausge-
lassen; hier spricht die ratio sogar für unsere Handschrift.
Am auffälligsten vard jedoch die Handschrift durch zahlreiche
Änderungen in der Stellung der Worte charakterisiert; in
dieser Hinsicht übertrifft sie , soweit sich dies aus dem Apparat bei
Dietsch konstatieren läßt, weitaus alle übrigen Sallusthandschriften.
^) Vgl. GrenfeU und Hunt, Oxyrh. Pap. VI, p. 196.
— 207 —
So finden sich im bell. Cat. allein an 147 Stellen Umstellungen gegen-
über der vulgata, davon 69 in unserer Handschrift allein.
Doch zeigen auch diese vielfach eine gewisse Regelmäßigkeit,
die den Zufall ausschließen und die Absicht nicht verkennen lassen;
so wird gern das Adjektiv vor das Substantiv gestellt: Cat.
11, 6 r(omano) p(opulo); 19, 3 ab hyspanis equitibus; 15, 1 cum
nobili uirgine; 23, 3 cum nobili uirgene fuluia; 20, 13 alienum es;
33. 2 alieni eris; 20. 12 suas diuicias; 31, 9 meum incendium; die
chiastische Wortstellung wird in die Parallele geändert: 15, 5 color
eins exsanguis, oculi fedi; ib. citus modo, tardus modo; 20, 11 in
extruendo mari et coequandis montibus; ib. 13 mala res, multo
asperior spes; 58, 1 neque exignauo strenuum • neque ex timido
fortent. Das Verb wird ferner von der letzten Stelle gerückt: 18, 8
Signum dare sotiis; 20, 11 cui est uirile Ingenium; 30, 4 mos erat
uendere; 34, 2 oriretur sedicio; 36, 3 praesidio sit urbi; 39, 3
animos arrexit eorum; 45, 1 rem aperit omnem; 51, 13 minima
est licentia; ib. 24 neglexeris inmaiori; ib. 34 suos expleuit diui-
ciis; 52, 32 huic obstat sceleri; ib. 36 sumendum supplicium
esse; 58, 8 in dextris portare uestris.
Das Adverb wird zum Verb gerückt: 16, 4 largius usi suo;
29, 2 plerumque solet in atroci negotio; 51, 11 non est ita; 52,
12 quoniam se mores ita haben t. Der attributive Genetiv wird vor-
angestellt: 17, 1 magna coniurationis praemia; 18, 6 cedis con-
silium; 51, 8 pro eorum factis; dann wieder nachgestellt: 30, 3
decreta senatus; 36, 5 plerosque animos ciuium; 53, 3 uiolentiam
fortunae. Vielfach wird die gewöhnliche Wortfolge hergestellt: 21, 1
postquam ea accepere homines; 25, 3 Sed ei semper omnia cari-
ora; 37, 9 quorum parentes uictoria sylle; 52, 4 nichil reliqui
uictis fit; 55, 3 Est locus incarcere.
An anderen Stellen wieder wird stärkere rhetorische Färbung
gewonnen: 20, 3 uos fortes cognoui fidosque mihi; 20, 8 nobis re-
pulsas reliquere, pericula, iudicia, egestatem; ib. 10 uerum enim
uero uictoria prodeum atque hominum fidem nobis in manu
est; 29, 2 decreuit senatus; ib. 3 Ea potestas per senatum
maxima more romano magistratui permittitur; 32, 1 domum se
proripuit; 45, 4, deinde a legatis ubi desertus est; 51, 17 uerum
sententia eins non mihi crudelis; 52, 15 ubi ad defendendum minores
opes sunt; ib. 35 intra menia alii atque in sinu urbis sunt hostes.
Doch gibt es auch Stellen, an denen weder Zufall noch Absicht zu
I erkennen ist, so: 2, 6 Ita semper Imperium; 30, 39 metellus
creticus inapuliam quintus martius rex fessulas; 31, 6 editit
I
— 208 —
vor und nach scriptum; 51, 12 aliis alia licentia; ib. 31 ciuitas
oppressa seruitute; ib. 43 ipsos habendes permunicipia in uincu-
lis; 52, 18 Si paulum uos modo; ib. 24 sed hec ego; 59, 5 exer-
citum ceterum usw.
Aber schon hier will ich hervorheben, daß unsere Handschrift
mit dem Vaticanus u. a. 35, 1 in magnis meis und 58, 11 pugnare
pro potencia paurorum^) übereinstimmt.
Ich komme nun zu den eigentlichen Yarianten selbst, deren Zahl,
wie schon aus dem bisher Gesagten zu vermuten, sehr groß ist. Im
bell. Cat. erreicht sie nahezu 250; hievon sind gegen 90 unserer
Handschrift allein eigen. Ich übergehe offenbare Schreibfehler, wie
z. B. C. 3, 2 quamquam (st. quaquam), 3, 4 intanta (st. intertanta),
17, 5 occultioris (st. occultius), 26, 5 euenerat (st. euenerant), 28, 4
cupidum (st. cupidam), 32, 2 nomine (st. numero), 36, 1 signibus (st.
insignibus), 36, 3 maturent, 39, 4 extorquet (st. extorqueret) , 40, 5
propinquum (st. propinqua), 51, 39 animaduertebat (st. animaduertebant),
52, 36 sunt (st. sint), 54, 6 innocencie (st. innocente), 57, 4 tum (st.
tamen), 58, 11 via (st. vita), 59, 6 eo (st. ea) u. a., denn derartige
Versehen finden sich ja in allen Handschriften; auch daß gelegentlich
et und que vertauscht werden (z. B. 2, 8 vitam et mortem st. mortemque,
10, 5 magis et magis st. magisque, 35, 3 videbam et me st. meque) oder
et und at wechseln (z. B. 35, 3 et alienis nominibus st. at alienis nominibus)
ist kaum zu erwähnen. Erwähnenswert ist jedenfalls, daß die Handschrift
29, 1 ; 36, 1 ; 47, 2 allein ante statt antea bietet. Doch sind das immer-
hin noch geringfügigere Dinge.
Von größerer Bedeutung, namentlich für die Beurteilung des Charak-
ters der Handschrift, sind jedoch folgende Stellen : C. 34, 1 ut nüquam ab
eo quis frustra auxilium petiuerit (st. ut nemo umquam ab eo) ; 40, 3 miseriis
suis praeter mortem nonsperare remedium (st. miseriis suis remedi-
um mortem exspectare), also derselbe Gedanke in ganz anderer Fassung ;
42, 1 paratis ut sibi uidebatur magnis copiis (st. ut videbantur);
6, 5 Post ubi pericula uirtute propulerant, sotiis atque amicis auxilia
portare (st. portabant) magisque .... parabant; 36, 5 atque uti
(st. ac ueluti); 51, 76 agitouerant (st. exagitauerant) ; 51, 26consti-
tuatis (st. statuatis); 51, 19 tuta (st. tanta); 58, 17 tenetur (st.
habetur); 60, 2 agitur (st. geritur).
An allen diesen Stellen liegt entweder eine andere Überlieferung
vor oder die bewußte Änderung eines sprachkundigen Korrektors.
*) So aucli N(azarianus).
- 209 —
Als Produkt der korrigierenden Tätigkeit nun verät sich die Schreib-
weise in unserer Handschrift an einer ganzen Reihe von Stellen dadurch,
daß eine gewisse ratio erkenntlich ist; so: Cat. 11, 4 feda crudeliaque
inciuibus (st. in ciues) facinora facere; 15, 3 uidetur causa facinoris
(st. facinus) maturandi; 25, 3 omnia . . cariora quam decus atque
pudicitia fuerunt (st. fuit); ebenso 39, 4 magna clades atque cala-
mitas rem p. oppressissent (st. oppressisset) ; an diesen beiden Stellen
scheint die Verbindung der Subjekte durch atque den Plural des
Prädikates veranlaßt zu haben; 35, 3 et me mala (st. falsa) suspitione
alienatum esse sentiebam; 42, 2 festinando, agendo (st. agitando);
42, 2 Sed ea diuisa oc modo dicebant (st. dicebantur); 45, 2 occulte
pontem obsidebant (st. obsidunt); 51, 12 multis eas (sc. iniurias)
grauius equo habent (st. habuere); 51, 40 Postquam res p. adolevit et
multitudine civium factiones ualuere, circumueniebant innocentes
(st. circumueniri) ; 52, 4 hoc nisi prouideris neaccidat, ubi eueniet
(st. euenit) frustra iudicia implores; 52, 28 qui hanc re p. . . seruare
(st. seruauere); 55, 5 laqueo galam frangere (st. fregere); 59, 1 in-
struxit (st. instruit); 52, 33 si non (st. nisi) iterum patrie bellum fecit;
60, 2 ubi (st. unde) aferentariis proelium cömitti posset.
An jeder einzelnen dieser Stellen erscheint die abweichende Lesart
unserer Handschrift als das Ergebnis grammatikaKscher, stilistischer
oder lexikalischer Überlegung.
Aber diese kommentatorische Arbeit sehen wir in unserer Hand-
schrift sogar noch mit eigenen Augen.
An einzelnen Stellen finden sich nämlich im Texte erklärende
Glossen von derselben Hand über dem betreffenden Worte geschrieben, so :
s bonus ignauo
11, 2 sedille uera uia nititur huic quia . . .
luxuriari
11, 6 amare
exspectare
13, 3 operiri
hispanos
19, 4 barbaros
s catiline
41, 2 In altera parte
mortem
51, 20 eam
post mortem
Wiener Eranos. 14
210 —
ib. ultra
ideo
52,
11 Eo
i. inmunicipiis
15 minores opes sunt
sc. cesar
16 non tinnet
utile ee
ib. refert
ut testatus est cesar
19 fecisse
catoni
54,
2 huic
consul
55,
1 iubet. ipse
hortatur
58.
19 necessitudo
planum
59,
1 in locum equom
Daß wir es mit Glossen und nicht Varianten zu tun haben, beweist
das ausdrückliche i. (id est) oder sc. (scilicet), namentlich aber die
Stelle 56, 3, wo über sparos „tremel" also eine deutsche Glosse steht.
Wie solche Glossen zu Varianten wurden, wird deutlich aus
folgenden Stellen: 4, 1 Jgitur ubi animus . . . requieuit et ubi (st. et
mii) reliquani . . .; 26, 5 quas consulibus in martio parauerat
(st. in campo fecerat); 51, 4 magis uolo (st. malo); ib. 11 neque
cuiquam hominum (st. mortalium); 52, 1 interrogatus (st. rogatus);
ib. 31 ille egregius iuuenis (st. adulescens).
Hier hat natürlich die erklärende Glosse das zu erklärende Wort
im Texte verdrängt.
Diese erklärende Tätigkeit liegt uns in der Handschrift noch in
umfänglichen Randnotizen vor, die von derselben Hand geschrieben
sind; ich führe sie zur Charakteristik der Reihe nach an: Cat. 14, 2
steht im Texte pede, darüber ein Zeichen; am Rande mit demselben
Zeichen: pene: membro uirili et idem dicitur penus oris substantiam
domus signiiicat. Penus us nui promptuarium significat. pene adverbium.
Pena ne nomen est. — 15, 1 zu ueste: Vestam deam antiqui terram et
ignem esse perhibebant quia terram ignem habere non dubium est et
idem virginem putabant. quia ignis inuiolabile est elementum nichilque
na sei potest ex eo. quippe qui omnia quae arripuerit consumit unde
— 211 —
ovidius: hec tu aliud uestam quam uiuam intellegi flammam^). Nataque
de flamma corpora nulla uides. Propterea uirgines ei seruire dicuntur
quia sicut e uirgine ita ex igne nichil nascitur. — 20, 7 Vectigal est
tributum iiscale et dicitur auehendo eo quod accipitur de vectis i. de
portatis mercibus. — 52, 12 Quia morte ,inala mortalium dissoluere per-
bibuit ultraque nee gaudio nee eure locum esse. — 55, 2 fP. Praetor a
praeeundo di. i. praeceptor inde praetorium praeceptor (?). Patres nri
hie et boc carcer dixerunt Pronomen in proprium positum et appella-
tiuum infFertur ad utrumque sed sepius ad proprium ut in K Est locus
in carcere. — 56, 2 legio sex milibus armatorum legitur; pabet autem
IX centurias, XXX manipulos, XII cotortes ducentas turmas. Centuria
habet C milites manipulus ducentos. cohors quingentos. turma XXX
equites continet. — 61, 9 gaudium est exultatio. cordis et corporis, leticia
tantum cordis.
Das sind offensichtlich Notizen aus einem Kommentar sachlichen,
grammatischen und interpretierenden Inhaltes.
Was ich nun hier im einzelnen von der Überlieferung des bell.
Cat. in unserer Handschrift vorgetragen habe, erhält seine volle Geltung
durch den im ganzen gleichen Zustand der Textesüberlieferung des bell.
Jugurthinum, auf den ich wegen Mangels an Zeit und Raum diesmal
im einzelnen nicht eingehen kann.
Ziehen wir das Ergebnis, so muß es dahin lauten, daß unsere
Handschrift einen stark korrigierten Text bietet und keineswegs zu
den lauteren Quellen zählt, sondern mit großer Vorsicht befragt werden
muß, aber immerhin befragt werden muß; denn sie ist ein eigenartiger
Eepräsentant ihrer Klasse, ergänzt unsere Kenntnis der Geschichte des
Textes, indem sie an nicht wenigen Stellen ein besonderes Stadium im
Fortschritt der Verderbnis darstellt, gleichsam also ein Mittelglied
bietet zwischen der ursprünglichen und der Fassung in anderen Hand-
schriften, in denen sich die Verderbnis noch weiter fortgeschritten
findet; endlich stimmt sie mit den besten Zeugen an vielen Stellen im
Guten und Schlechten überein, ich meine mit dem Korrektor p im
Parisinus Sorb. 500 und mit dem Vat. 3864, deren Bedeutung für die
Sallustkritik ich selbst wohl längst geahnt, Edmund Hauler aber
endgültig erwiesen hat; so verweise ich nur auf folgende Lesarten : c. 33,
1 patria (mit V); 51, 5 infida et aduersa (mit p in marg. und V); ib. 12 in
obscuro uitam agunt (mit p in marg. u. V; 52, 18 paululum (mitV);
ib. 24 accersunt (mit p in marg. und V allein); 54, 11 uobis (mit
p V); ib. 21 cauete ne inulti (mit V).
1) fast. VI, 291 f. (natürlich ist inteUege zu lesen).
14*
212
Über das Verhältnis unserer Handschrift zu den übrigen der
interpolierten Klasse läßt sich bei unserer überaus mangel- und lücken-
haften Kenntnis der Überlieferung ein genauer Nachweis nicht einmal
versuchen, geschweige denn erbringen; doch so viel glaube ich behaupten
zu können, daß sie den Münchener Handschriften ziemlich nahe steht;
vor allem stimmt sie mit dem Monacensis cod. lat. 4603 (Benedic-
toburanus 103, 312 bei Dietsch I p. 11) an auffallend vielen Stellen
allein überein.
Zum Schlüsse noch ein Wort über die Jugurthalücke. Die Über-
lieferung unserer Handschrift von Jug. c. 103, 2 an ist nicht ohne
Interesse; mit anderen bietet sie 103, 3 placeat; ib. ipsis permittit;
5 romanorum auaritie; ib. rati sunt; 7 beniuolentie ; ib. poUicitus; 104, 1
postquam; ib. fehlt et vor de aduentu; 2 in qui; ib. fit et ab consule;
3 Omnibus rebus; ib. rufone.
Neu sind folgende Varianten: 103, 4 deinde agetulis in itinere
latronibus; ib. ille vor circumuenti; 5 ut (st. uti); ib. acurate (st. accurate);
ib. fehlt ob vor munificenciam ; 104, 1 ipse vor intenderat; ib. rediit
cirtam ; ib. lucium bestiam (st. L. Billienum) ; 2 feroces (st. ferocius) ;
ib. humane res nach quae; 3 mauri fehlt; ebenso cum vor Cn. octavio;
ib. adportabat (st. portauerat) ; ib. nach regem steht bochum.
Wir sehen also: in diesen wenigen Zeilen schon wandelt unsere
Handschrift ihre eigenen Wege; man kann sich vorstellen, was die
Kritik für Arbeit bekommen hätte, wenn die ganze Lücke in unserer
Handschrift erhalten geblieben wäre.
Zum Sendschreiben des Catulus und über die
Consilia des Asinius Pollio.
Von
EDMUND HAULER.
I
Eine literargesciliciltlich wichtige Stelle ist uns in dem längeren
Schreiben Frontos an L. Verus (auf S. 126 der Naberschen Ausgabe)
erhalten. Fronto bespricht darin einen brieflichen Bericht, den Verus
über seine Erfolge (oder, besser gesagt, über die seiner Generale, besonders
des tüchtigen Statins Priscus) gegen die Parther offenbar aus dem
Feldlager an den Senat gerichtet hatte. Dieses Schriftstück gibt Fronto
Anlaß, literarische Vergleiche mit den Reden und Briefen bei Thucydides
und bei Sallust sowie mit einem Schreiben des Catulus anzustellen.
Aber der Text dieser Partie war bisher, besonders was den Anfang
und den Schluß anlangt, schlecht und lückenhaft gelesen, wie der
Wortlaut bei Naber zeigen kann:
Extant epistulae ver(his i)doneis (in) ser^ie}^) partim scribtae
historiarum, vel a (singulis} compositae: ut illa Thucydidi nobilissima
Niciae ducis epistula ex Sicilia missa : item apud G. Sallustium ad Arsacen
regem Mithridatis auxilium implorantis litterae criminosae : et Cn. Fmnpei
ad senatum de stipendio litterae graves : et Aderbalis apud Cirtam obsessi
invidiosae litterae ^) omnes postulabat: breves nee ullam rerum
gestarum expeditionem continentes. Inlatae ^) autefni, quoiniodo) scribsisti tu,
extant Catuli litterae, quibus . . a sema . . dico . . historia tarnen . .
scribenda, si ad senatum scriberetur . . sensi horum suorum si in turmam
1) Naber gibt nach Du Eieu als Überlieferung an : UCR . . | DONIS— SER— und
fügt hinzu: Supplementa Maii non satisfaciunt. Dieser liest p. 129'': Extant epistulae
[variae] (.ad fidemy partim scribtae historiarum, vel <arte> compositae.
') Im Palimpsest soll nach Du Rieu-Naber in dieser Lücke CIE . . stehen. Mai las
litterae, <quibus> omnes [patres] postulabat.
^) Hiezu bemerkt Naber : Ita codex : Maius 'latae'. Cetera rix legi possimt, nee
contulit amicus (Du RieuJ.
— 214 —
epistulae contulisset necessario . . expeditius et de . . quod [Paterculm] . .
res inomatius scribsisse. Tuae litterae et eloquentes sunt ut oratoris, strenuae
ut duciSy graves ut ad senatum, ut de re militari non redundantes.
Naber hat sich bei der Gestaltung des Anfangs an den Gedanken
Niebuhrs angeschlossen, der ohne Kenntnis vom Umfange der Lücken
folgende Fassung (S. 168) vorgeschlagen hatte: Extant epistulae (veteresy
in historicorum lihris, partim ah ipsis ducibus scriptae , partim ab
auctoribus historiarum vel interpolatae vel compositae. Die Unmöglich-
keit beider Textierungen hat bereits H. Jordan in seinem Aufsatze:
„Der Brief des Quintus Catulus D e consulatu suo" (Hermes YI 68 ff.)
gut dargetan. Indem er den Anfang offen ließ, hielt er einen Satzschluß
wie: partim scribtae historiarum vel a(nnaliumy, compositae für „sehr denk-
bar". Schon W. Studemund, der die erste auf S. 417 des Ambrosianischen
Palimpsestes stehende Spalte (bis postula\\bat , breves) verglich und
darüber in der Epistula critica p. XXVII f. berichtete, konnte die Richtig-
keit dieser Vermutung bestätigen. Er las nämlich: Extant epistulae
utraque \ lingua partim a (?) | ducibus conscribtae par\tim a scrihtorihus
histo\Harum vel annalium \ compositae. Ich kann nicht nur diese Lesung (ab-
gesehen von den mir wahrscheinlichen orthographischen Varianten Ex-
(sytant und conscriptae) bekräftigen, sondern auch seinen zweifelnd ge-
machten Ergänzungsvorschlag partim ab ipsis \ ducibus^) als gesichert
hinstellen.
Der unmittelbar folgende Text des Palimpsestes stimmt bis auf die
Sigle C. (so eher als G.) Sallustium und apud Cirtam obsessi mit dem Mai-
Naberschen Wortlaut überein ; nach Cirta aber findet sich noch vor der
Lücke, die das o von (^o^bsessi samt einem Buchstaben verschlungen hat,
sas mit einem Reste von 1 2). Es war Cirtas ast^u} geschrieben, worin
der Plural die seit Traian inschriftlich gesicherten quattuor coloniae
Cirtenses (vgl.G.Wilmanns C.J.L.VIII S.618) bezeichnet. Die Lücke des
Naberschen Textes nach litteraehai aber Jordan unrichtig durch scilicet
omnes ut res postulabat breves nee ullam rerum gestarum memoriam conti-
nentes auszufüllen versucht. Dafür hat bereits Studemund richtig
invidiosae litterae, verum omnes, uti res postulabat, breves entziffert. Ich
füge hinzu, daß sich die Worte bei Mai-Naber: nee ullam rerum gestarum
expeditionem conthientes hieran unmittelbar anschließen.
^) Unter die weniger sicheren Zeichen setze ich einen, unter die sehr unsicheren
zwei Punkte ; Ergänzungen stelle ich zwischen Spitzklammern < >.
2) Studemund bemerkt darüber a. 0. weniger genau : Tres primae huius verhi (obsessi)
litterae incertissimae sunt ; tertia utrum s an c fuerit, dici neqiiit. Ante hoc participium
duae evanidae litterae extant , quae aut ,eo' aut ,eu' aut similes aliqiiae fuerunt. Das
von obsessi ist mir ebenso wahrscheinlich wie das folgende s, dessen untere Hälfte ausgefallen ist.
— 215 —
Darin weist expeditio die seltene Bedeutung „Erläuterung, Ent-
wicklung, ausführliche Darlegung" auf; nur entfernt ähnlich ist die
Verwendung dieses Substantivs beim Auetor ad Her. IV 68: Habet
paticis comprehensa hrevitas multarum verum expeditionem, da es hier wie
a. 0. IV 40 als Xame einer rednerischen Figur „Abwicklung, Er-
ledigung" heißt. Jener Sinn ergibt sich aber ungezwungen aus der
nicht ungewöhnlichen Gebrauchsweise des- Zeitwortes expedire, z. B.
Cic. Ep. ad Brut. I 15, 1: Quibus igitur litteris tarn accurate scriptis
adsequi possum , subtilius ut explicem, quae gerantur quaeque sint in
re publica^ quam tibi is exponet^ qui et optime omnia novit et elegantissime
expedire et deferre ad te potest?; vgl. Sali. B. lug. 5,3; Tac. Hist. IV
48 u. a.
Die weiteren Zeilen hat Studemund nicht mehr gelesen, ebenso-
wenig Du Bieu. Wegen der stärkeren Dunkelheit, tiefer gehenden Ab-
schürfung und teilweisen Durchlöcherung des Pergaments bieten sie
für den Entziffernden viel größere Schwierigkeiten als das Vorher-
gehende; dazu ist gerade an den wichtigsten Stellen die Lesung durch
Korrekturen der zweiten Hand noch mehr erschwert. Nur nach oft
vriederholter Vergleichung ist mir, wie ich hoffe, ein nennenswerter
Fortschritt gelungen. Doch möchte ich meine Angaben ausdrücklich
nicht als für alle Einzelheiten völlig abschließend bezeichnen, da der
rührige und gelehrte Bibliothekar der Ambrosiana Dr. A. Batti diese
Seite inzwischen, wie ich erfahre, vorsichtig zu glätten und etwas
zu lichten versucht hat. Immerhin wird das von mir schon jetzt Gebotene
für Vermutungen eine geeignetere Grundlage, als sie bisher vorhanden
war, darbieten und daher den Mitforschern nicht unwillkommen sein*
Was zunächst Jordans Wiederher stellungs versuche betrifft, so
entfernen sie sich in diesen Zeilen ziemlich weit vom Wahren. Er liest
nämlich auf S. 79 seiner Abhandlung: Latae autem, qtw{modo} scribsisti
tu, extant Catuli litterae, quibus (de rebusy a se Ma(rioque gestis egit maley
dice ; aber schon auf der nächsten Seite macht er ohne Bücksicht auf
diese seine Gestaltung folgenden anderen Vorschlag: Latae autem quomodo
tu — , maUydicae (nimisque redmidantes :y^) historia tarnen scribenda (^fuit.
Quody si ad senatum scribere (^GaytuKjis maluisset rationemque^ consiliorum
suorum si in formam epistulae contulisset, necessario (^omnia^ expeditius
et -fde ... quod paterculus (?) , . . res inornatius scribsisset. Richtig ist
davon seine schöne Vermutung consiliorum für sensi horum, ferner
scribsisset statt scribsisse und die schon von Niebuhr vorgeschlagene
^) Offenbar ein Druckversehen ist es, wenn eine Anfangsklammer sowohl nach male
als auch nach dicae steht und hinter scribere ein Punkt gesetzt ist.
— 216 —
Verbesserung in formam epistulae für das bei Mai-Naber stehende sinn-
lose in turmam epistulae. Ebenso hat bereits Niebuhr wie Jordan an
der höchst auffallenden Erwähnung des Paterculus Anstoß genommen,
ohne aber eine Besserung zu wagen. Sachlich widerlegt Jordan zudem
richtig die von Mai, Niebuhr, Naber und selbst in neuester Zeit von
R. Büttner (Porcius Licinus und der litter. Kreis des Q. Lutatius Catu-
lus 1893, S. 178) geteilte Meinung, der hier erwähnte Brief stamme
aus Sallusts Historien und sei dem jüngeren Catulus zuzuschreiben.
Jeden Zweifel dürfte der von mir entzifferte Text beseitigen.
Ich lese statt inlatae autem, quo^modo} scribsisti tu, extant Catuli
litterae, quibu^ . . a sema . . dico vielmehr : In hunc autem modum, \ quo
scribsisti tu, extant \ Catuli litterae, quib(us) res \ a se iacturis (Von m.^
über derZ.: atq(ue) damnis sane gestas, at) lauro fr über der Z. von m. 9
meren \ das histoirici exe^mplo \ exposuit; ve^rum) turgent \ elate (^pyrolata
teneris prope \ {vyerbis. Besondere Schmerigkeiten machte die Ent-
rätselung der auf res folgenden Wörter bis einschließlich exposuit,
worüber ich das Wichtigste in der Anmerkung ^) beibringe, im übrigen
auf meine vorbereitete Ausgabe verweise.
Erklärungsbedürftig scheint in diesen Worten nur die Wendung a se
iacturis atq(ue) damnis sane gestas, at lauro merendas zu sein. Der
Ausfall der gesperrt gedruckten Worte^ die, von der zweiten Hand über-
schrieben, mir im wesentlichen wahrscheinlich sind, wird durch das Abirren
des Schreibers von atque auf at leicht erklärlich. Die Verbindung von
iactura atque damnum erscheint auch bei Cicero De leg. agr. I 21 flagi-
tium huius iacturae atque damni ; darin steht iactura zutreffend von dem
^) Auf das mir sichere a se folgt ein w?-ähnliches Zeichen, das von zweiter Hand
am ehesten in i a c verbessert erscheint. Das nächste Zeichen ist wohl t (nicht a), dann steht,
obwohl durch eine Lücke im Pergament beschädigt, doch sehr wahrscheinlich u, auch die fol-
genden Eeste weisen trotz der Durchlöcherung der Stelle am ehesten auf ris. Hier hat die
verbessernde Hand eine Eeihe von Buchstaben überschrieben, die trotz der Schattenhaftigkeit
mehrerer mir das oben Verzeichnete zu ergeben scheinen. Es folgt innerhalb der Zeile ein
ziemlich wahrscheinliches l, dann ein sicheres a von zweiter, weiter u von erster Hand;
darüber hat m.'^ schief r beigeschrieben. Der Eest dieser Zeile ist fast ganz sicher. Minder
gilt dasselbe von der nächsten, in der nur das hist zumeist erkennbar ist, während
weiter <rici exey durch eine Lücke ganz ausgefallen, von m nur schwache Reste, größere
von ylo (oder ple) erhalten sind. Vom Verbum exposuit ist der Beginn undeutlich , für
explicavit aber, an das ich auch dachte, außer einigen wenig fügsamen Überbleibseln der
Raum etwas zu klein. Hier hatte aber, wie ein Häkchen (» der verbessernden Hand
beweist, ein Satz geschlossen. Auf ve folgt eine Lücke, in der rum gut Platz findet. Nach
elate (dessen letztes e vielleicht aus a verbessert ist) steht eher <p^rolata als allata ; der
Anfangsbuchstabe der nächsten Zeile (ohne Zweifel v) ist vor erhis ausgefallen.
— 217 —
Opfer, das absichtlich gebracht wird, um dadurch größeres Unheil zu ver-
hüten, während damnum auf die Einbuße, den Verlust an Geld
und Geldeswert hinweist. Res lauro merendae aber ist eine knappe
und prägnante, vielleicht aus Catulus' Schreiben selbst entlehnte Ver-
bindung = Taten, für die der laurus (z=z Jaurea oder trimnphus) der ge-
bührende Preis sein würde, also fast synonym mit res lauro donandae.
Diese Bedeutung ergibt sich aus merere durch (guten) Kauf erwerben,
(mit Vorteil) erkaufen, erstehen, wie Plautus Most. 281 sagt : anus dmni
sunt uxores y quae vos dote meruerunt, wo vos von den viri dote
meriti gebraucht ist; ebendarauf weist die Verwendung des Substan-
tivs meritum als Preis, Lohn, Belohnung, so bei Apul. Met. VIII 28
quäle . . meritum reportaverit sowie in Donats Erklärung zu Terenz
Phormio 305 (nihil suave meritum est) suave meritum enim suavem mercedem
signißcat. Der attributive Gebrauch des Gerundivs entspricht dem aller-
dings seltenen, aber schon in der Plautinischen Zeit üblichen (wie bei
expetunduSy mirandus und pudendus); hier wird merendus durch die Ver-
bindung mit dem vorhergehenden Participium Perfecti gestützt, zugleich
durch den Gegensatz der Begriff der erst zu vollziehenden Tätigkeit
hervorgehoben.
Fronto stellt zunächst mit In hunc . . modum die Komposition des
Schreibens des Q, Lutatius Catulus auf gleiche Linie mit der des
Kriegsberichtes seines früheren Zöglings Verus. Beide gaben also nach
Art eines Geschichtschreibers eine ausführliche Darstellung der Kriegs-
taten. Die Parallele in sachlicher Beziehung ist auch darin gelegen,
daß Verus gleich Catulus anfangs eine schwere Schlappe erlitten hatte.
Dieser hatte es nämlich nicht verhindern können, daß seine Legionen
vor der über den Brenner heranbrandenden Flut der Cimbern und
ihrer Bundesgenossen zurückwichen und, obwohl er selbst die Waffen-
ehre zu retten gesucht , hatte er doch nach dem Versäumnis der
Besetzung der Alpenpässe sich auf das rechte Poufer zurückziehen
und alles Land nördlich davon den Feinden überlassen müssen. Auf
diese für den Konsul Catulus verlustreichen Ereignisse des Jahres 102
bezog sich offenbar das Schreiben. Denn bei Cicero heißt es im Brutus
§ lo2 von demselben Schriftstücke: quae (incorrupta quaedam Latini
sermonis integi'itas) perspici cum ex orationihus eius potestj tum fadllume
ex eo libro, quetn de consulatu et de rebus gestis suis conscriptum
molli et Xenopho7iteo genere sermonis misit ad A, Furtum poetam, fami-
liärem suum. Die res gestae hatte man bisher auch und vor allem auf
Catulus' Taten nach seinem Rückzuge, also auf sein Prokonsulat
und die siegreiche Kooperation mit Marius im Jahre 101 beziehen zu
müssen geglaubt, während sie, wie wir aus unserer Stelle ersehen,
— 218 —
ungezwungen auf die Ereignisse des Konsulatsjahres gehen. Cicero konnte
aber schon aus stilistischen Gründen die leicht zu ergänzende und die
Verbindung völlig erhellende Präpositionalbestimmung in consulatu oder
a se consule nicht in die Wendung de rebus gestis suis einfügen. Sicher
scheint es mir, daß nach der Fassung unserer Frontostelle die Ansicht
H.O.Simons (Vita Q.Lutatii Q. f. CattiU in d. Festschrift zur dritten
Säkularfeier des Gymnasiums zum Grauen Kloster, Weidmann 1874)
abzulehnen ist, der S. 14 ff. des Separatabdruckes annimmt, die Denk-
schrift sei unmittelbar nach der Unterdrückung des Aufstandes des Satur-
ninus und Glaucia (100) verfaßt worden. Catulus habe damit die Römer
möglichst bald über die Mißgunst und Böswilligkeit des Marius , der
ihn fortwährend verfolgt habe, aufklären und ihnen seine und der
Optimaten Politik empfehlen wollen ; diese Schrift habe Marius' Abgang
nach Kleinasien wesentlich mitveranlaßt. Auch will er (S. 7) das bei
Varro (1. L. V 150) stehende Zitat Lufatius (ohne irgendwelche nähere
Angabe) mit einer Erklärung des Namens lacus Curtius in diese Schrift
versetzen, da Catulus bei Gelegenheit der Schilderung seines Triumphes
und der Taten des Jahres 100 die beste Gelegenheit gehabt habe, diese
örtlichkeit zu nennen i). Aber die Abfassung des Schreibens durch
') M. Schanz, der übrigens auch die Abfassung der Broschüre bald nach 101 setzt,
weist in der Rom. Lit.-Gesch. I 1^, S. 290 diese Stelle den Commune^ historiae des Catulus
zu, die nach seiner Ansicht Göttermythen und Lokalsagen behandelten. Dieses Werk soll
nach dem Titel xotval iaio^lai wissenschaftliche Untersuchungen nicht über ein Volk,
sondern über mehrere Völker gemeinsam dargeboten haben. Über die zum Teil unglaub-
lichen Mutmaßungen anderer über diesen Titel vgl. Schanz a. 0. S. 289. Ich kann aber meine
Zweifel über den von ihm angenommenen Lösungsversuch nicht ganz unterdrücken. Die zwei
Stellen, an denen das Werk wirklich angeführt wird: Prob, zu Verg. Georg. III 293 (App»
Serv. p. 382 Hagen) : Apollo autem dicitur Musagetes, quia Musarum (dux) existimetiiry
ut Lutatiiis in primo Cotnmunis historiae ait, qui deorum curam egerat (Haupt wohl
richtig: quod earum chorum regat) und Schol. Dan. zu Verg. Aen. IX 707: Postumius de
adventu Aeneae et Lutatius Communium historiarum: tioiam Euximi comitis Aeneae
nutricem et ab eins nomine Boias vocatas dicunt sowie das wohl auch hieher gehörige
dritte Zitat Schol. Vat. zu Verg. Georg. IV 563 : Lutatius libro IV. dicit Cumanos incolas
a parenfibus digressos Parthenopen urbem constituisse usw. lassen sich wohl mit der
Annahme vereinigen, daß Catulus in einer größeren Geschichtsdarstellung, die auch oder vor
allem sein mit Marius gemeinsames Wirken und Ringen behandelte, seine und seiner Familie
Biographie, mit gelehrten Notizen verbrämt, gegeben habe. Nahe verwandt scheint damit eine
Vermutung A. Solaris {Riv. di fil. XXXIV 1906, S. 140), die ich nur aus Schanz (a. 0. S. 290,
wo er sie 'verfehlt' nennt) kenne. Bei dem Preis seines Geschlechts und der Erwähnung des
Furius konnte Catulus wohl auf Apollo Musagetes und auf Neapel, bei der Schilderung seiner
Kämpfe gegen die Cimbern und deren König Boiorix auf die Etymologie der Boii und
Boiae zu sprechen kommen. Man kann in der Verwertung von so wenigen , uns zufällig
überlieferten Bruchstücken für die Deutung des Titels nicht vorsichtig genug sein. Auf ein
historisches oder historisch-biographisches Werk weist wohl auch der Titel der Schrift
des Timaeus und die Verwendung der Kotval iorogiat als Quellenwerke für die den
Autoren vorangeschickten biogra])hischen Notizen (die sogenannten yh'?j) nach Dionys. Hai,
Opusc. (Usener-Radermacher I 260): dväyy.rj d'Xacog jIQÖjtov, wg jiaQsXaßov ix rd)v y.oivoiv
— 219 —
Catulus ein Jahr nach dem Triumphe , zwei Jahre nach den iacturae
atque damna ist nicht nur an und für sich unwahrscheinlich , sondern
w^rd auch durch die Wendung res . . gestas . . lauro merendas ge-
radezu ausgeschlossen. Veranlassung zu der wohl im Feldlager ver-
faßten Schrift war die erwähnte große Schlappe, welche der ehr-
geizige und von Marius und der Volkspartei angefeindete Mann mög-
lichst bald in Rom aufklären wollte. Die Widmung an den Dichter
A. Furius erfolgte aber offenbar in der Absicht, daß der künftige Herold
seines Ruhmes die bösen Vorgänge sofort in günstigerem Lichte er-
blicke und wohl auch außer den anderen Vertrauten weitere Kreise be-
einflusse. Das Schreiben könnte mit dazu beigetragen haben, daß Marius,
der nach dem Siege bei Äquae Sextiae nach Rom gerufen wurde und den
Triumph bewilligt erhielt, auf diesen verzichtete und Catulus zu Hilfe
eilte (Plut. Mar. 24).
Wollte man aber durchaus die Ereignisse des Prokonsulates mit
einbeziehen, so wird doch jedenfalls zuzugeben sein, daß die Darstellung
der Ereignisse darin nicht über den gemeinsamen Triumph nach dem
Siege bei Vercellae (101) hinausgegangen sein kann. Denn alle bei
Plutarch daraus (oder aus den Commtmes historiae ?) erwähnten Einzel-
heiten, die dieser höchst wahrscheinlich aus Sullas Denkschrift über-
nommen hat, fallen vor den Triumph; die letzte betrifft den Schiedsrichter-
spruch der im Lager anwesenden Abgeordneten von Panormus über den Sieg
(Plut. Mar. 27). Unmittelbar nach dem besonders für Catulus' Heer erfolg-
reichen Schlachttage und noch vor der Bewilligung beider Triumphe,
welche die Bürgerschaft anfangs Marius allein zuerkennen wollte (Plut.
Mar. 27), ließe sich die Absendung des Schreibens allerdings auch
denken. Aber die Stelle bei Fronto, der offenbar die Schrift gekannt
und gelesen hat, ist in Verbindung mit den Worten Ciceros m. E. dieser
Auslegung nicht günstig.
Wenn ferner H. Peter (Der Brief in der röm. Literatur, Abh. der
philol.-hist. Cl. der k. Sachs. Ges. d. Wiss. 1903 , S. 243) behauptet, daß
Q. Lutatius Catulus seine Memoiren griechisch geschrieben dem Dichter
A. Furius geschickt habe, so ist hiefür schon der Umstand wenig
günstig, daß dieser seine Taten in lateinischen Versen besingen sollte,
und daß es an unserer Stelle heißt: In hunc autem modum, quo scripsisti
iaioQicöv, a (äg Handschr.) v.areXiTiov 'f]^lv ol rovg ßCovg xG)V ävbqGiv ovvxa^aiiBvoi , jigoeiTieiv
(s. V. Wilamowitz Hermes XII 341 u. Leo. Die griech.-röm. Biogr. S. 20 f.). Die Überschrift
Communes historiae oder Communis historia könnte hienach gewählt sein, vielleicht zugleich
als kurzer Ausdruck im Sinne von Historiae(a) rerum communium oder verum commu-
niter (jestarum , \^\. Historia August a , sacra und Cic. Phil. 15 haec omnia communiter
cum collega, alio porro propria Dolabellae; Mur. 11 ut rebus communiter gestis paene
simul cum patre triumpharet.
~ 220 —
tu, da Vems natürlich lateinisch an den Senat berichtet hatte. Wider-
legt aber wird diese Meinung durch die schon angeführte Cicerostelle
Brut. 132, die klar das Gegenteil besagt: inconupta quaedam Latini
sermonis integritas , quae perspici cum ex orationibus eius jpotest, tum
facillume ex eo lihro, quem de consulatu et de rebus gestis suis conscriptum
molli et Xenopho7iteo gener e sermonis misit ad A. Furium poetam, familiärem
suum. Dies hatte übrigens Peter früher Histor. Rom. rell. I, p. CCLXXIII
selbst richtig angegeben.
Es ist eine nicht gleich sicher zu beantwortende Frage, ob dieser
zur Buchform gediehene Brief des Catulus nur für den Dichter
A. Furius zum Zwecke der Verherrlichung seiner Taten bestimmt war
oder ob das Schreiben mit Jordan (S. 78) als politische Broschüre auf-
zufassen und mit dem ausführlichen Briefe Ciceros an Pompeius (pro
Sulla 67: epistulam meam . ., quam ego ad Cn. Pompeium de meis
rebus gestis et de summa re publica misi und Schol. Bob. in Cic. or.
pro Plane. 85) auf gleiche Stufe zu stellen ist. Dies leugnet H. Peter
(Fleck eisens N. Jahrb. CXV 751 f.), indem er die Verschiedenheit der
Adressaten, von denen dieser eine politische Größe ^ jener ein Dichter
gewesen, betont und alle Folgerungen^ soweit sie sich „von den klaren und
bestimmten Worten Ciceros entfernen", ablehnt. Aber gerade der Umstand,
daß das Schreiben Eingang in die Literatur und das Lob Ciceros auch
in formeller Hinsicht fand, scheint dafür zu sprechen, daß es von
Anfang an nicht bloß als Materialsammlung für Furius' Dichtung ge-
dacht war und daß die Widmung nicht als ein wesentliches Moment
anzusehen ist. Der wahre Adressat war wohl das größere römische
Publikum. Freilich, ob die Schrift aus einer Art Rechenschaftsbe-
richt an den Senat erwachsen ist, scheint auch mir zweifelhaft, da
die folgende Wendung Frontos si ad senatum, scriberetur , etiam caute
gegen eine solche Annahme spricht.
Für den Charakter dieser Schrift des Catulus gewinnen wir ferner
aus unserer Stelle das Ergebnis, daß sie mit gehörigem Selbstbewußt-
sein (vgl. besonders elate prolatd) verfaßt war. Der hochgestimmte
Ton des Aristokraten stand aber nach Fronto mit den tenera prope
verba des Textes nicht im Einklang. Diese Wendung ist ohne Zweifel
mit dem Ausdruck molle et Xenophonteum genus sermonis bei Cicero
synonym. Der freundlichere Ton bei diesem erklärt sich aber
unschwer aus der Sympathie des Redners für den fein gebildeten
Senator.
Die nächsten Worte lauten nach meiner Lesung so: Historia
tamen \ potius^) splendide fjer \ scribenda; si ad senatum \ scriberctur, etiam
— 221 —
caute. Damit erklärt Fronto eine glänzende, d. h. geschmückte Darstellung
für die Geschichtschreibiing als wünschenswert in Übereinstimmung
mit den vorherrschenden Anschauungen der Alten; ebenso z. B. Quint.
X 1, ol: Historia — est enim proxima poetis et quodam modo Carmen
solutum — et verhis remotioribus et liberioribus figuris narrandi taedium
evitat. Dazu empfiehlt Fronto Behutsamkeit in der Fassung von Berichten
an den Senat. Vielleicht ist damit ein versteckter Tadel gegen Verus' Be-
richt ausgesprochen, obwohl dieser am Schluß unserer Stelle als nach
allen Richtungen vollendet hingestellt wird.
Wichtiger ist das sich unmittelbar Anschließende, das ich so lese :
Pollio 2) As(ini)us iubilatus ^) \ consiliorum suorum , si ein \ formam
epistulae con\tulisset, necessario bre\vius et expeditius et de(n)\sius , si quod
interdum \ respondit inornatius \ scribsisset melius. \ Tuae litterae et eloquen-\
tes sunt ut oratoris , stre\\nuae^) ut ducis, graves \ ut ad senatum , ut de
re I militari non redunda(n)\tes.
Der Name Pollio ist mir also sehr wahrscheinlich. In dem fol-
genden Asinius stammt der sichere Anfangsbuchstabe von der Hand des
Korrektors , der auch die Schlußsilbe us aus os verbessert zu haben
scheint; die Buchstaben ini sind bis auf kleine Reste ausgefallen. Die
Ursprünglichkeit dieser beiden Namen im Frontotexte, die in der gleichen
Aufeinanderfolge Pollio Asinius auch sonst begegnen (Plin. N. H. XXXVI 33;
Sen.Contr.IV praef. 2 , p.225M.; Sen. Ep. 100, 7 ; Suet. Caes. 56; Plut.
Caes. 46, 2), halte ich im ganzen für höchst glaublich.
Mit den unfeinen Äußerungen^) der (7on5^Z^a Pollios, die nach Fron-
tos Ansicht besser in Briefform abgefaßt worden wären, ist m. E. eine
eigene Schrift von der wir bisher nichts wußten, gemeint. Der Name ist,
wie ich glaube, nach der ebenso betitelten Ciceros (De -consiliis suis oder
Über consiliorum suorum) gewählt. Diese mit Theopompischer Schärfe abge-
faßte, erst nach Ciceros Tod veröffentlichte Schrift bezog sich auf Politik,
wie aus Cassius Dio XXXIX 10, 2 hervorgeht: Bißliov jusvtoltl aTtoQQriTov
ovve&rjTie %al eTteyQaipev avTi[) cog xal Tteql zcov havTov ßovlevfidTcov a/ro-
^) Statt potius ist weniger wahrscheinlich potens.
^) Po und das zweite l hat m.^ korrigiert.
'*) Das Wort ist von l ab wohl schon von m.^ verbessert: statt tus (s von m.^ hin-
zugefügt) stand früher vielleicht ta. Über der Zeile lese ich cur (eher r als l) io(^se), von
w.^ wohl zur Hervorhebung der seltenen Form gesetzt. Von derselben Hand ist um im
folgenden Consiliorum nachgetragen.
■*) Hier beginnt S. 408 des Ambrosianischen Teiles.
^) Iubilatus ist, soweit ich sehen kann, eine bisher nur als Glosse bezeugte Form
(= öXoXvyfiös, üQavyrj dyQoUoiv) für iubilum (Marc Aurel bei Fronto S. 68 , 21 N.) oder
iuhilatio (Apul. Met. VIII 17).
— 222 —
koyiGfxov Tiva e'xovuL. Ihr Titel ist wohl genau bei Boethius De inst, mus,
I 1:3/. Tullius in eo Uhro, quem De consiliis suis composuit, etwas freier
bei Asconius p. 74 (K.-Sch., 83 Clark): in expositione consiliorum suorum
(ebenso bei Augustin c. lul. Pelag. V 5, 23) und bei Charisius Gr. L. 1 146, 31 :
in ratione consiliorum suorum zitiert. Darin wird Cicero seine politischen
Vorschläge, Wünsche, Ziele oder sein Programm behandelt habend). Wir
werden danach auch von Pollio, der im Bürgerkrieg und nach der Ermor-
dung Caesars am liebsten neutral geblieben wäre, und, solange es ging, zu-
wartete und vermittelte (vgl. Cicero ad fam. X 31 — 33), ebenso zuerst im
perusinischen Kriege NeutraKtät beobachtete (ebenda 41 und Appian
B. C. V 33), später aber sich ganz von den politischen Kämpfen zurück-
zog, annehmen, daß er seine von beiden gegnerischen Parteien ungern
gesehene und angefeindete Haltung literarisch rechtfertigte und
sein politisches Glaubensbekenntnis offen darlegte. Auf das Vorhanden-
sein einer solchen Broschüre scheint übrigens auch das keiner seiner uns
bisher bekannten Schriften sicher zuweisbare Zitat bei Charisius Gr. L.
180, 2 f. hinzuweisen : Asinius contra maledicta Äntonii : Volitantque urbe
tota catilli. Selbst wenn die Stelle auf eine Rede sich bezöge, wie Grobe
in dem eingehenden Artikel in Pauly-Wissowas R.-Enc. IV. Halbband,
Sp. 1594 meint, wäre doch deren Aufnahme in unsere Schrift nicht
ausgeschlossen, da der politisch wie literarisch unabhängige und frei-
mütige Mann sich gegen Antonius' Invektiven, dem er nicht mehr hatte
folgen wollen, auf jede mögliche Weise, also mündlich wie schriftlich,
verteidigt haben wird 2). Die in dem alten Vaticanus 3864 (s. IX — X)
auf die Reden und Briefe Sallusts folgende anonyme Schrift Ad Caesarem
senem De re publica hat aber inhaltlich und sprachlich mit der PoUio-
nischen m. E. nichts gemein 3).
*) Da die ConsiUa mit Ciceros ävsadota (Att. II 6, 2) oder uvsyiöoTov (XIV 17, 6)
wahrscheinlich zusammenfallen (vgl. Ed. Schwartz, Hermes XXXII 558 f., Schanz Rom. Lit.-G. I
2^, S. 389) und zu seinen Zeiten als Geheimschrift gehütet wurden, könnte die auffällige
Stelle bei Lyd. De mag. I 30 xovacha xä ßovksvfxaxa xal f^vartTiä axefifiara Xsyezai Tiag'
ixeivoic, djco rov ^xördege', olovsi xov xgvjixeiv damit in Zusammenhang gebracht werden.
^) Vielleicht könnte auch das bei demselben Grammatiker (Charis. I 134, 3) uns
aufbewahrte und von Grobe (a. 0. Sp. 1599) zweifelnd in einen Brief versetzte Bruchstück:
Insequenti\ Asinius Pollio ad Caesarem I.: Insequenti die zu den ConsiUa gehört haben.
Man hätte sich dann diese Schrift aus mehreren Abschnitten zusammengesetzt zu
denken. Die einzelnen Teile, zu verschiedenen Zeiten entstanden {interdum unseres Fronto-
satzes ist wohl neben si quod, das stellen weises Vorkommen des respondere inomatius
bezeichnet, so zu deuten), dürften später vereinigt worden sein; die Grundidee des Ver-
fassers, die Verteidigung seiner neutralen Haltung und seines republikanischen Ideals, 'svurden
sie wohl auch innerlich zusammenhalten.
") Es sind darin eine Suasorie, die den Sieg Caesai*s zur Voraussetzung hat (4, 8), und
ein Brief vereinigt, den R. Pöhlmann „Zur Geschichte der antiken Publicistik" (Sitzungsber.
I
I
— 223 —
Unwahrscheinlicli dünkt mich die Ansicht, daß die Consüia Teile der
Historien oder Reden Pollios bezeichnen sollten. Der ganze Zusammen-
hang der Frontostelle weist auf ein Schriftstück, das nicht eigentliche Ge-
schichtsdarstellung war, sondern nur Geschichtliches behandelte und
sich in Briefform kürzer, flotter und gedrängter hätte gestalten lassen.
Die Wendung: si quod interdum respondit tnornatius bestätigt unsere
Vermutung, daß der Verfasser darin auf Angriffe zu antworten hatte.
Das Urteil über die Sprache der Schrift stimmt nicht nur mit dem,
was wir über den Stil Pollios aus den Briefen bei Cicero entnehmen
können, überein, sondern auch mit dem ihm fast , durchaus zuge-
schriebenen Mangel an Ebenmäßigkeit und Glätte, vgl. Sen. Epist. 100, 7:
Pollionis Asiyiii salebrosa et exsiliens et, uhi minime exspectes, relictura
(compositio). luhilatus und inornatius zeigen zugleich, daß die Sprache von
der seiner blumenreichen Deklamierübungen (Sen. Contr. IV praef. 3) ver-
d. Münchener Akad, d. Wiss. 1904, S. 3 if.) als durch den Staatsstreich des Konsuls C. Clau-
dius Marcellus veranlaßt ansieht, „der sich — anfangs Dezember 50 auf eigene Faust mit
Pompeius dahin verständigte, daß derselbe den Oberbefehl über die Truppen in Italien und
zugleich das Mandat übernahm, dieselben durch Aushebungen in Italien zu verstärken".
Diesem Briefe legt Pöhlmann wegen der Anspielungen auf die Zeitgeschichte und der darin
entwickelten Ideen höheren Wert bei, als es bisher der Fall war, und er glaubt (S. 71), daß
dieser Teil „vielleicht doch ein echtes Erzeugnis der publicistischen Literatur der Übergangs-
epoche von der Republik zur Kaiserzeit" sei, femer, daß vielleicht auch die im Hinblick
auf den Brief geschriebene Suasorie von demselben Verfasser herrühren könnte. Weniger
behutsam urteilt soeben M. Schanz (Rom. Lit.-Gesch. I 2^, S. 183 ff.), der beide „Pamphlete"
Sallust selbst zuschreiben will. Dagegen spricht m. E. namentlich die Erwägung, daß dieser
seinem im J. 50 fünfzig] ährigen, dazu nur etwa um vierzehn Jahre älteren Gönner nicht in
dieser Form (ad senem) Ratschläge wirtschaftlicher und staatsrechtlicher Art hätte geben
können. Die übrigen, hauptsächlich von H. Jordan (De suasoriis ad Caesarem senem de
re publica inscriptis commentatio, Berlin 1868) gegen die Echtheit vorgebrachten sachlichen
und sprachlichen Bedenken sind m. E. durch Pöhlmanns Kritik noch keineswegs völlig
entkräftet. Die aus Sallusts Schriften erborgten, oft unzutreffenden Wendungen und der
noch altertümlichere Anstrich der Sprache soll dessen „ersten Versuch darstellen, sich einen
künstlichen Stil zu bilden". Da aber Schanz auch die Invectiva Sallustii in Ciceronem, deren
Situation ins Jahr 54 fällt, von Sallust, und zwar wohl in demselben Jahre verfaßt sein läßt, ihre
Sprache aber nicht die Sallusts ist, so muß er annehmen, daß der Schriftsteller in kuraer Zeit
seinen Stil dreimal gewechselt habe , da ja der seiner Monographien weder mit dem der
Invektive noch dem der Suasorie sowie des Briefes übereinstimmt. Darauf, daß auch die Übungs-
arbeiten der Invektiven und Suasorien bestimmten Personen und Situationen galten, hat
F. Scholl, Rh. Mus. LVII 160 bei verwandter Gelegenheit mit Recht hingewiesen. Läßt sich
übrigens die Charakteristik Catos II 9, 3 ingenium versutum, loquax,callidum mit der Sallusts
Cat. 54, 6 esse quam videri honus malebat vereinigen? oder gar II 4, 2, wo Pöhlmann unrichtig
geändert hat? Auch die Überlief eiung im alten Vatic. hinter Sallusts Reden und Briefen, aber
ohne dessen Namen und nach einem freigelassenen kleinen Zwischenraum spricht nicht für
Sallustischen Ursprung (vgl. meine Bemerkung in den AViener Studien XVII, 129). Einem Jüng-
ling von 26 Jahren, der Mitglied des jungrömischen Dichterkreises gewesen war, wie Asinius
PoUio, könnte man noch eher ein solches Schriftstück zutrauen. Auch wird ihm starker Archais.-
mus von Quintilian X 1, 113 und Tacitus Dial. 21 (Asinius . . . videtur mihi infer Menenios et
Appios studuisse) zugeschrieben. Aber man erwartet von einer so selbständigen Persönlichkeit
anderes und besseres. Dazu zeigte nach der Frontostelle die Schrift PoUios nicht die Briefform.
— 224 —
schieden war; er hatte danach in den ConsiUa seinen schriftstellerischen
Charakter nicht verleugnet, den Tacitus im Dial. 21 durus et siccus nennt.
Jenes Substantiv bringt endlich das Selbstgefühl und die Ungebunden-
heit Pollios glücklich zum Ausdruck.
Vielleicht ist es nicht überflüssig, den Text, wie ich ihn entziffert
und wiederhergestellt zu haben glaube, im Zusammenhang zu wieder-
holen, ohne auf die Einzelheiten der Überlieferung nochmals einzugehen :
Ex{sytant epistulae utraque lingua partim ab ipsis ducibus conscriptae,
partim a scribtoribus historiarum vel annalium compositae^ ut illa Thucy-
didi nobilissima Niciae ducis epistula ex Sicilia missa, item apud
C. Sallustium ad Armeen regem Mithridatis auxilium inplorantis litterae
criminosae et Cn. Pompei ad senatum de stipendio litterae graves et
Ad(}i)erbalis apud Cirtas ast(u o^bsessi invidiosae litterae, verum omneSy
utires postula\\bat, breves nee ullam rerum gestarum expeditionem continentes.
In hunc autem modum, quo scrihsisti tu, extant Catuli litterae, quibus res a
se iacturis atque damnis gestas, at lauro merendas histo<^rici exe^mplo exposu-
it; ve^rum} turgent elate (^p^rolata teneris prope (v^erbis. Historia tamen
potius splendide perscribenda ; si ad senatum scriberetur, etiam caute. Pollio
Äsinius iubilatus Consiliorum suorum, si in formam epistulae contulisset,
necessario brevius et expeditius et densius, si quod interdum respondit inorna-
tius, scribsisset melius. Tuae litterae et eloquentes sunt ut oratoris, stre\\nuae
ut ducis, graves ut ad senatum, ut de re militari non redundantes.
Der vielbespöttelten, aber aus der Zeitströmung unschwer erklär-
lichen Vorliebe Frontos für die ältere Literatur verdanken wir somit
auch die Erhaltung näherer Nachrichten über das zu Ciceros Zeit fast
schon verschollene Schreiben des Catulus und über Pollios ConsiUa,
von denen uns sonst jede Kunde fehlt.
Wiener Eranos.
Masstat l!
1 1 i
Verlag von Alfred Holder, k. u. k. Hof- und Uni>
Kromajer. Heirkte, Karte
J$o)a äelU Prmmiu
Verlag von Alfred Holder, k. u. k. Hof- und Universitätsbnchhändler, Wien. — Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien,
Heirkte.
Von
JOHANNES KROMAYER.
(Mit 1 Karte.)
Der Monte Pellegrino bei Palermo gehört unstreitig zu den land-
schaftlich und historisch interessantesten Punkten des an landschaft-
lichen Schönheiten und geschichtlichen Erinnerungen so überreichen
Abbild. 1.
Telegrafo
Prozessionsstraße (Scala)
Aioi.t.- 1.1. _ Palermo aus geseluMi.
sizilianischen Eilandes : Als gewaltig imponierende kahle Felsmasse
mit vielfach fast senkrecht abstürzenden Wänden steigt der Berg aus
der umgebenden Ebene auf, vollständig isoliert von den anderen Ge-
birgen des Landes und von der Seeseite her kenntlich als weithin
sichtbare Landmarke, die dem Schiffer schon von ferne kundtut, daß
€r sich seinem Reiseziele zu nähern im Begriffe ist.
Wiener Eranos.
15
— 226 —
Historisch betrachtet beruht das Interesse an diesem bedeutsamen^
Punkte in erster Linie auf den Vorgängen des ersten Punischen
Krieges, da es nach bisher allgemein herrschender Ansicht dieser
Berg gewesen ist, welchen sich Hamilkar Parkas, der genialste kartha-
gische Kondottiere dieses Kampfes, als Operationsbasis erwählt hatte,
um von hier aus Sizilien gegen Roms Übermacht zu halten und die
Römer in ihrem eigenen Gebiete zu beunruhigen. Heirkte i), so nennt
Polybios den Berg, auf welchem Hamilkar sich festgesetzt hatte und
von wo aus er drei Jahre lang^j trotz der sinkenden Kräfte Karthagos
den Krieg mit aggressiver Tätigkeit und wachsendem Erfolg geführt hat.
Es war bei der Wichtigkeit dieser Stätte für die Geschichte der
Punischen Kriege ganz natürlich, daß eine Expedition, welche zur Er-
forschung der Schlachtfelder des zweiten Punischen Krieges ausgesandt
war, auch den Besuch dieses Punktes mit in ihr Programm einschloß,
und so benutzten wir , der Herr Hauptmann Veith und ich, den Auf-
enthalt in Sizilien vor unserer Überfahrt nach Afrika dazu , diesen
Berg zu besteigen und näher zu untersuchen.
Wir fühlten uns dazu um so mehr angeregt, als manches in den
historischen Berichten, die wir besonders dem Polybios verdanken, und
in seinen ausführlichen Beschreibungen der Örtlichkeiten nicht gut zu
dem Bilde zu passen schien , welches man nach den Karten von der
Stätte des Monte Pellegrino zu erwarten hatte. (S. d. Karte.)
Wir brachen in der Frühe zu Fuß von Palermo auf, erstiegen
auf der sogenannten Skala, der Prozessionsstraße zur heiligen Posalia,
von Süden her die Höhe und erklommen den höchsten Gipfel des ganzen
Berges, auf dem der Telegraph steht. Dann ging es teils am Rande des
Plateaus, teils mitten hindurch bis zu dessen nördlichstem Punkte 404, von
wo wir versuchten, unter großen Schwierigkeiten und Klettereien ohne
Weg in nördlicher Richtung abzusteigen. Das stellte sich indessen als
ganz unmöglich heraus, und wir wollten schon wieder umkehren , als
es dem Hauptmann Veith , der infolge seiner vielfachen Wanderungen
im Karste für solche Felsformationen ein sehr geübtes Auge hat, zum
Schlüsse noch gelang, an der Nordwestseite des Grates einen allerdings
sehr unbequemen Abstieg zu entdecken, die sogenannte Pertica^j.
^) Der Berg heißt genau genommen niclit Heirkte, sondern dieser Name kommt
einem Kastell zu, welches in der Nähe des Berges lag. So wird das Wort sowohl von Diodor
gebraucht, der es zwv 'Eq^czmv to öyvgcojua und Eqxti^v cpqovQiov nennt (XXII 10, 4 und
XXIII 20), als auch von Polybios (1 56, 3), nach welchem Hamilkar xov stzI zijg ElQHifjg
Xeyofievov rÖTiov besetzte. Ich folge indessen der eingebürgerten Gewohnheit, den Berg selber
so zu nennen. Über die wahrscheinliche Lage des Kastells siehe unten pag. 244.
2) Pol. 156, 11.
») Der Name bei Schubring S. 26 und ReveUi S. 23, s. d. folg. A.
227
(S. Abbild. 2.) Es ist ein schmaler, sehr steiler, nur für einen Einzelnen
passierbarer, zum Teil mit Stufen in den Fels gehauener Pfad. Die Be-
trachtung der Ostseite des Berges von unten her und die Besichtigung
des Hafens Mondello bildeten den Schluß dieses Tagemarsches.
Das Resultat unserer Untersuchung war, daß dieser Berg un-
möglich der Heirkte des Polybios sein kann, da eine ganze Anzahl von
militärischen Unmöglichkeiten und topographischen Widersprüchen mit
der Beschreibung des Polybios diese Grleichsetzung unhaltbar macht.
Bisher allerdings ist, soviel ich sehe, an der Identität beider Örtlich-
keiten nie gezweifelt worden, sondern seit Fazello (1558) haben alle
Darsteller des ersten Punischen Krieges und auch alle Topographen
Palermos und seiner Umgebung diese Gleichsetzung angenommen, ohne
sich jedoch über ihre Möglichkeit nähere Rechenschaft zu geben, i)
Abbild. 2
Nördlicher Auslaufgrat des Monte Pellegrino, von Norden gesehen (mit Pertica).
^) Eine Aufzählung der Vertreter dieser Ansicht ist zugleich eine Aufzählung der
Literatur über die Frage überhaupt. Ich gebe die einzelnen Werke hier mit vollem Titel,
um später kurz darauf verweisen zu können: Fazello Tomm. : de rebus Siculis decades duae,
1558 bei Graevius, thesaurus antiqu. Italiae tom. X 4 a p. 427 E. Cluver Phil. 1619 : Sicilia
antiqua, 11 3, bei Graevius, tom. X 1, wonach ich zitiere. Inveges 1649 bei Graevius, tom. XIV
S. 16. Amico, 1757: Lexicon topograph. Siculum. 3 Bde. (neu bearb. v. Gioach, di Marzo 1858,
2 Bde.), tom. 11244 f. Swinbume 1783: Travels into te two Sicilies. Deutsch v. Forster,
1785. II 210. Smyth W. H. 1824: Memoir of Sicily and his islands. Hudemann 1842:
Progr. Schleswig. Hamilkars Kampf usw. Dennis 1864 : Handbook for travellars. Amari :
Storia dei Musulmani. 1318. II 443. Schubring 1870: Die bist. Topographie v. Panormus,
Progr. Lübeck. S. 24 ff. Holm: Geschichte Siziliens 1870—1898. Italienisch von Dal Lago u.
Graziadei. Eevelli : Monte Pellegrino in Zeitschr. Sicula Juli — Okt. 1906. Gaetano Columba
15*
— 228 —
Die imponierende Gestalt des Berges, der die Ebene zu beherrschen
scheint und Palermo aus nächster Nähe bedroht, die steilen, unersteig-
lichen Felswände, von denen er begrenzt ist, das ebene Plateau auf
der Oberfläche, das sich für eine Armee als Lagerplatz vorzüglich eignet,
alles das mußte dem Laien die Vorstellung erwecken, daß es sich hier
um eine Position ersten Ranges handle, die den für Hamilkar erforder-
lichen Bedingungen und der von Polybios geschilderten Natur des Berges
vortrefflich entspreche.
So hat man die Schwierigkeiten , die dabei vorliegen, meist ganz
übersehen oder sich leicht über sie hinwegzusetzen gesucht.
Nur Adolf Holm geht in seiner Geschichte Siziliens Bd. III, S. 29
auf eine derselben näher ein, ohne sie jedoch in ihrer vollen Bedeutung
zu erfassen und ohne die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Er
sagt nach Erzählung der Besetzung des Berges durch Hamilkar und
seiner dreijährigen Kämpfe gegen die Römer hierselbst: „Übrigens ist
doch manches wunderbar bei dieser Geschichte. Es ist besonders seltsam,
daß die Römer, wenn sie nun einmal die Heirkte selbst nicht nehmen
konnten, den Hafen derselben nicht nahmen. Denn man kann nicht
eigentlich sagen, daß die Bucht von Mondello vom Monte Pellegrino,
der gerade dort recht niedrig ist, beherrscht werde. Oder sollten wir
annehmen, daß der Hafen mehr nach Palermo zu, unter dem Gipfel
des Pellegrino lag, wo es ja auch kleine Buchten gibt?''i)
Hier ist also die ganz richtige Erkenntnis vorhanden , daß der
nördlich vom Pellegrino gelegene Hafen von Mondello, der gewöhnlich
für Hamilkars Schiffsstation angesehen wird, für diesen Zweck nicht
geeignet sei. (S. Abbild. 3.) Aber diese Erkenntnis hat Holm auf den
unmöglichen Ausweg verfallen lassen, diese Schiffs- und Flottenstation, die
allein seinen Verkehr mit der See aufrecht erhielt und der Ankerplatz der
bedeutenden Kriegs- und Verproviantierungsflotten für seine Armee war.
bei Mirabello: Monografia storica dei porti dell' antichitä nel Italia insolare, Roma 1906.
S. 272 ff. Ebenso die Historiker Niebuhr r. G. III 719 (1832), Mommsen, Ihne . Meltzer 11
341 usw. Nur Mannert S. 388 erklärt den Heirkte für den Berg Baido am Kap S. Tito,
was niclit möglich ist, weil der Berg nach Pol. I 56, 3 u, 11 im Gebiete von Panormus,
und zwar nicht allzufern von der Stadt selbst gelegen haben muß. Dei Grund, den Holm
I 344 gegen Mannert anführt, daß die Römer ihr Lager Hamilkar gegenüber 5 Stadien
vor der Stadt gehabt hätten, ist allerdings nicht stichhältig. S. unten S.233.
^) Diese Ansicht ist von Holm in der italienischen Übersetzung seiner Geschichte
Siziliens zwar wieder aufgegeben, scheint aber von Amari festgehalten zu werden, der I 319 A
den früheren Namen von Vergine ]\[aria, der „Barca" lautete, mit Hamilkar Barkas in Be-
ziehung bringen möchte. Nach anderen hieß Barca der ganze Küstenstrich von Palermo bis
zum Pellegrino hin. Amari, Bibliotheca arabo-sicula I 120. Inveges p. 358 f. La Lumia,
Palermo e il suo passato, Palermo 1875, p. 10.
229
an den Ostfuß des Pelle^rino zu verlegen. Ein Blick auf die Karte
genügt aber, um zu erkennen, daß die Küste an dem felsigen Absturz
des Pellegrino fast geradlinig verläuft und die winzigen Biegungen
bei S. Antimo, Vergine Maria und Arenella vielleicht gut als Landungs-
plätze einzelner Fischerbarken sind, aber niemals als dauernde Station für
eine größere Flotte dienen konnten, die an dieser ganzen felsigen Steilküste
vielmehr schutzlos den Stürmen von Nord, Ost und Süd preisgegeben
wäre. Auch das beliebte Auskunftsmittel, für frühere Zeiten eine andere
Geländegestaltung anzunehmen , „weil das Ufer dieser Gregend — wie
Abbild. 3.
Montagna del Gallo Bucht von Mondello
Ansiaufgrat des Pellegrino
Hafen von Mondello und nördlicher Auslaufgrat des Monte Pellegrino, von Süden gesehen.
Holm meint (S. 354) — sich sehr geändert haben kann durch Hebung
des Landes'' verfängt hier nicht. Ein Blick auf die Karte belehrt uns
nämKch, daß die Höhenlinien an der ganzen Ostseite des Pellegrino
alle ebenso geradlinig verlaufen, wie heute die Küste. Wenn das Wasser
selbst bis zur» Höhe des Plateaus stiege, ein Hafen käme hier doch nie
zustande. Auch hätte die Flotte hier unten mit dem Heere oben auf
dem Pellegrino absolut keine Verbindung gehabt. Die Felsen fallen an
der ganzen Ostseite fast senkrecht ab, und Herr Themistokles Sona hat
von dieser Seite her vergeblich den Berg zu ersteigen versucht.^) Es
1) ßeveUi, S. 24.
— 230 —
muß also dabei bleiben, daß der einzige Hafen, der beim Monte Pelle-
grino in Betracht kommen könnte, der Hafen von Mondello wäre, i)
Hier hat nun aber Holm ganz richtig gesehen, daß derselbe gar
nicht im Schutze des Pellegrino liegt, sondern nach der Ebene zu ganz
offen ist , weil der Berg mit seinen Ausläufern kaum an das südliche
Ende heranreicht. Daß der Pellegrino hier nicht mehr so hoch ist, tut
allerdings nichts zur Sache, desto mehr aber, daß er zu steil ist und
deshalb keine Verbindung mit dem Hafen hat.
Denn die eben erwähnte Pertica, die wir heruntergegangen sind,
kommt nicht in Betracht, da sie zu weit landeinwärts den Fuß des
Berges erreicht, wegen ihrer Steilheit und Enge nur einzelnen Fußgängern
Platz gewährt und daher überhaupt nicht als militärisch brauchbare
Verbindung angesehen werden kann.
Auch sonst ist eine solche hier nicht vorhanden.
Allerdings soll auch noch an der Ostseite des Grates bei AUauro
ein Pfad auf den Berg hinaufführen. Wir haben ihn nicht gefunden,
und auf der italienischen Generalstabskarte ist er nicht verzeichnet;
auch wußten die Eingeborenen, die wir an Ort und Stelle befragt haben,
nichts davon. Trotzdem will ich nicht in Abrede stellen, daß hier irgend-
wo ein Ziegenpfad, ähnlich wie die Pertica, in irgend einem Felsspalt
oder über eine Schutthalde hinaufführen mag. Denn es wird von Italienern,
die den Berg untersucht zu haben scheinen, behauptet. 2) Aber eine
^) Columba bei llkßrabello hat allerdings noch einen anderen Ausweg versucht.
Er meint S. 280, daß die Ankerplätze Hamilkars bei Acquasanta und südlich davon bei
Lazaretto, Consolazione und Santa Lucia, also bis in den heutigen Hafen von Palermo hinein
gelegen hätten. "Wäre das richtig, so hätte Polybios weder von einem Hafen sprechen
können , noch davon , daß Hamilkars Lager oben auf dem Berge gewesen sei. Denn ein
Hafen ist diese über 2 km lange, mehrfach gewundene Küstenlinie überhaupt nicht, noch hätte
sie bei ihrer unmittelbaren Nähe von Palermo gedeckt werden können durch eine Stellung des
Heeres auf dem Pellegrino.
'^) Ich fasse hier gleich zusammen, was ich in der Literatur über die Zugänge zum
Pellegrino überhaupt gefunden habe: Fazello S. 186 B und Cluver 113, S. 341 D sprechen
nur von dem Südaufgange , der sog. Scala , von Palermo aus. Amico kennt zwei , nämlich
außer dem genannten noch den von Westen her von dem Lustschlosse La Favorita durch
das valle del porco : aditus alter — sagt er II 245 — circa occasum per vallem porci, ut
appellant, aperitur, sed nee equis valentibus fit pervius. Einen dritten gangbaren Pfad leugnet
er ausdrücklich: a mari denique citra vitae periculum tertium tentare audet nullus. Ähnlich
äußert siöh Amari I 318: il Pellegrino ha una salita aspra ma praticabile in faccia di
Palermo, un altra piu malagevole assai verso libeccio (also durch das valle del porco), poi
due o tre sentieri arrisicatissimi. Ton drei Zugängen sprechen Inveges S. 358 f.,
der als dritten den Pfad supra Addaumm nennt, und Schubring, der S. 26 sagt: „der dritte
vom Meere her , genannt AUauro, kommt von Norden, vom Hafen Mondello ; hier war es,
wo Hamilkar auf Maultieren den . . . Proviant heraufbringen ließ, da an Wagen ja nicht
zu denken ist." Inveges und Schubring schreiben von dem Gedanken aus, die Identität von
— 231 —
militärische Kommunikation ist ein solcher Pfad natürlich so wenig
wie die Pertica.
Ziehen wir nun aus dieser Sachlage die militärischen Konsequenzen,
so sehen wir , daß die ganze Pellegrinoposition dadurch zu einer Un-
möglichkeit wird.
Schon die Besitznahme des Berges mit einer Armee von 15.000 bis
20.000 Mann — denn so hoch müssen wir nach allem, was wdr davon
wissen , Hamilkars Armee mindestens schätzen i) — macht die größte
Schwierigkeit, da Palermo in den Händen der Römer war und die Be-
setzung auf der Scala allein erfolgen konnte. 2)
Aber nehmen wir an, es wäre wirklich gelungen, und Hamilkar
hätte seine Truppen hinaufgebracht, wie wollte er dann seine Verbindung
mit dem Meere, auf die alles ankam, aufrecht erhalten und seine Flotten-
station schützen, wenn dieselbe plötzlich von den Römern angegriffen
wurde.
Ein Nachtmarsch von 7 — 8 km konnte die Römer von Palermo
aus durch die Ebene unbemerkt dahin führen, und Hamilkar war dann
gar nicht in der Lage, auf einer so schwierigen und nur von einzelnen
Leuten passierbaren Verbindung seiner Station unten schnell genug
Hilfe zu bringen.
Wollte Hamilkar diese Gefahr vermeiden, so mußte er einen sehr
beträchtlichen Teil seiner Armee zum Schutze unten lassen. Die Rhede
von Mondello ist jetzt etwa 2 km lang. Alte Karten und Nachrichten
aus dem Mittelalter lassen aber keinen Zweifel darüber, daß der Hafen
früher sehr viel tiefer ins Land eingedrungen ist. Noch heute ist das
Heirkte und Pellegrino beweisen zu wollen. Schubring nennt dann auch noch die Pertica.
Die vier Pfade erwähnt auch Eevelli und nennt Pertica und Addauro sogar verhältnismäßig
leichte Aufstiege — nämlich vom Standpunkte des Alpinisten aus — was nicht bestritten
werden soll.
*) Das ergibt sich aus den allgemeinen Verhältnissen und den Schilderungen der
Kämpfe am Heirkte und Eryx (Pol. 157, 6 : ai dvväjueig d/utporsQcov ^oav iq)d/LidXoL), wenn
auch hier nirgends eine bestimmte Zahl genannt Avird. Die Söldner, welche sich nach Be-
endigung des Krieges empörten und vor Karthago zogen, waren allein über 20.000 Mann
stark (Pol. I 67, 13). Das waren noch nicht einmal alle. Denn ein Teil hatte bei Hamilkar
ausgehalten (Pol. I 75, 2). Andrerseits kann man aber diese Zahl wieder nicht im ganzen
Umfange für die Armee am Heirkte in Anschlag bringen, weil ja zur Zeit der Heirktekämpfe
zugleich noch anderswo Besatzungen lagen, besonders in Drepana und Lilybaeon. An gallischen
Söldnern hatte die Armee allein 3000 Mann (Pol. II 7, 7; vgl. auch I 77, 4.). Sie bestand
aber außerdem noch aus Iberern, Ligurem, Balearen, nicht wenigen griechischen Mischlingen
(f^c^sXh]veg) und größtenteils (to fteyiarov /^SQog) aus Libyern (Pol. I 67, 7).
0 Vgl. S. 230, A. 2. — Hamilkar hatte natürlich auch Reiterei (Diod. XXIV 9, 1200 Reiter,
erwähnt bei den Kämpfen am Eryx). Wie mag die hinaufgekommen sein und was sollte
sie oben?
— 232 —
Gebiet um den Hafen künstlich durch Gräben entwässert, vor 200 Jahren
waren hier noch Lagunen, i)
Wenn wir annehmen, daß die Küstenlinie im Altertum auch nur
der heutigen Niveaulinie von 10 m entsprochen hat , so erhalten wir
schon eine Ausdehnung von über 3 km für die Strand linie. ^j Diese mit
Verschanzungen in verteidigungsfähigen Zustand zu setzen, würde eine
Länge von etwa 4 km erfordert haben, d. h. die Verschanzung hätte den
Umfang einer Stadt, wie Carthago Nova in Spanien gehabt. ^) Bei dem
3Iangel jedes natürlichen Schutzes hätte diese Linie bedeutender künst-
licher Befestigungen und einer sehr starken Besatzung bedurft.
Dadurch wäre Hamilkars Armee in zwei Teile geteilt worden,
die ohne Verbindung miteinander gewesen wären, die ungünstigste Auf-
stellung, die man sich denken kann, während die Feinde durch die
Ebene hin ihre ganze Macht ungehindert bald gegen Mondello, bald
gegen den Pellegrino gebrauchen konnten. Es wäre kaum zu verstehen,
daß Hamilkar sich eine so nachteilige Position ausgesucht und der
Gegner diesen Vorteil in den drei Jahre lang dauernden Kämpfen gar
nicht ausgenutzt hätte.
Man könnte bei einer solchen Verteilung der Kräfte auch eigent-
lich nicht mehr davon reden, daß Hamilkar sein I^ager auf dem Berge
gehabt hätte , da ja dann der Schwerpunkt der ganzen Kämpfe bei
Mondello in der Ebene gelegen hätte.
Aber es kommen zu dieser ersten Schwierigkeit noch andere Be-
denken von nicht geringerer Bedeutung hinzu.
Die Anhänger der Pellegrinotheorie , welche sich ernstlich mit
der Lok alisierungs frage im einzelnen befaßt haben, haben sich natür-
^) Die alte und für die damalige Zeit vorzügliche Karte von Sizilien von Schmettau 1720
gibt hinter der jetzigen Strandlinie drei Lagunen, und im 12. Jahrhundert nennt der arabische
Schriftsteller Ediisi den Hafen Marsa-t-tin, was nach Amari I 318, dem das Zitat ent-
nommen ist, „porto fangoso" bedeutet. Amari meint, die Ebene beim Hafen sei im 8. Jahr-
hundert mezzo tra pantono e lago gewesen und habe zu Hamilkars Zeit ausgereicht, dessen
ganze Flotte zu fassen ; die Trockenlegung sei durch Hebung der Küste entstanden. Auch
ein gewisser Johannes Yincentius in seinem AVerke Panormus restaurata, über den ich nichts
Näheres finden kann, wird bei Inveges (1649) p. 358 zitiert und spricht von einem „lacus
Mondelli, cuius aqua utebatur" (Hamilkar). Daß also hier früher eine weit tiefer einschneidende
Bucht gewesen ist, die ebenso wie der Hafen von Palermo selber im Laufe der Zeiten ge-
schwunden ist, soll nicht geleugnet werden. Aber die Schwierigkeit, welche uns beschäftigt,
wird dadurch nicht berührt. Man kann über die allgemeine Frage der Hebung der Küste
hier noch Philippson , Das Mittelmeergebiet, 1908 und Holm, Gesch. Sizil. I S. 331, ver-
gleichen; Über Mondello speziell äußern sich auch noch Freeman, bist, of Sic. I 256. Schubring
S. 6 u. a.
^) Soviel rechnet sogar schon Joh. A'incentius a. a. 0. : ambitus fere duorum miliarium.
'■) Polyb.X 11, 4.
— 233 —
lieh auch die Frage vorgelegt, wo denn eigentlich bei dieser Ansicht
der Schauplatz der drei Jahre lang dauernden Kämpfe anzusetzen sei,
in denen sich Hamilkars Heer und die ihm entgegenstehende konsu-
larische Armee miteinander gemessen haben. Unzählige kleine und größere
Kämpfe — so berichtet uns ja Polybios (I 56 — 57) — lieferten sich
die beiden Armeen. Aber sie alle verliefen, ohne eine große Entscheidung
zu bringen. Denn die beiden Lager waren nur 5 Stadien, d. h. 900 m
voneinander entfernt, und wenn die eine Partei zu unterliegen drohte,
zog sie sich in den Schutz ihres Lagers zurück, das bei beiden Teilen
wegen der Steilheit des Geländes ganz unzugänglich war. i)
Die Beantwortung dieser Frage ist nun von den Vertretern der
Pellegrinotheorie durchgehends dahin gegeben worden, daß man sich
das römische Lager unmittelbar nördlich von dem alten Palermo zu
denken habe, und zwar noch innerhab der heutigen Stadt, in der
Gegend der via Amari und Stabile oder nach dem Lazaretto zu. Es
müßte dann also in der völlig flachen Ebene zwischen der Stadt und
dem Südfuße des Pellegrino der Schauplatz des dreijährigen von Polybios
beschriebenen Positionskrieges gesucht werden. ^) Und in der Tat kann
man bei Identifizierung des Pellegrino mit dem Heirkte des Polybios
überhaupt nicht anders. Der einzige einigermaßen praktikable Ausgang,
den der Pellegrino hat, ist ja eben die alte Scala auf der Südseite,
^) Pol. I 56, 11 : ^azä yrjv naQaaxqazojieöevadvTOiv adroj (dem Hamilkar) 'Pcoftaicov
TTQo Tijs IlavoQftiTOjv 7iÖAE0)g Ev IG (o £ TcevTS OTttötoig TioXkovg xal TioixiXovg uyMvag
aweairjuaro xaxa yfjv ayeöov iitl tgsTg eviavrovg. Folgt langer Vergleich mit zwei Faust-
kämpfem. Dann 57, 6 : y.olaiv ye fxrjv öXogx^QV yevead-ai . . ov'i olöv r'rjv . al' ze yäo övvä/neig
uLicpoxEQCOv Tjoav icpäfidXoi, xä ze xaza xovg yjxQaxag 6 ij,oicog äjiQO aixa ö la xr]v oyv qö-
zr)z<x, zö ZE öidaz7]fia zatv oxQaxojzE8o)v ßgayv Tzavxslöjg. Die Angabe von 5 Stadien hat
man auf die Entfernung des römischen Lagers von Panormus beziehen wollen (Cluver II,
3 p. 341, Holm I, 344 u. a.) Das hat, wenn es auch grammatisch möglich ist, im Zusammen-
hang der Stelle gar keinen Sinn. Es kommt dem Polybios für seine militärische Schilderung
darauf an anzugeben, wie nahe die beiden Gegner aneinander sind. Er greift diesen Umstand
deshalb auch nachher noch einmal auf mit den Worten : z6 didoxrjfia xcöv axgaxoTzsdffiv
ßgayv TzavxElcijg. Schon Schweighäuser und Meltzer , Gesch. d. Karth. , II, 343 haben die
Stelle richtig verstanden. — Den Ausdi'uck xä xaxä xovg yäoaxag ojuoiojg djroöaixa öid xt]v
oyvoöztjxa auf künstliche Befestigung zu beziehen, geht nicht an, weil Polybios kurz
vorher (156, 5) von der durch die dnoömxa x^rjfivä natürlichen Festigkeit des karthagischen
Lagers gesprochen hat.
■^) Mirabello S. 280 : press' a poco su di una linea che dal Samuzzo (— Castella-
mare) correrebbe verso ponente nello spacio tra l'attuale via Stabile e la via Emerico Amari.
Inveges p, 858: planum illum agrum, qui urbi Panormitanae et monti Peregrino interjacet,
ubi ipse (Hamilkar) castra metatus est . . . (Inveges verlegt auch Hamilkars Lager in die
Ebene „ad radices M, Pergrini") .. castra Eomanorum tenuerunt ad locum , cui nomen alla
Consolazione, seque extenderunt versus radices illas montis , qui hodie dicitur „la Castel-
lana" (?); wohl gleich Castellamare.
— 234 —
dort, wo jetzt die Prozessionsstraße hinaufführt. An anderen Stellen
ist eine Berührung zwischen einer Armee oben und einer unten über-
haupt nicht möglich.
Wo bleibt aber bei dieser Ansetzung die Entfernung von 900 Metern
zwischen den beiden Lagern? Und wo bleibt das unzugängliche Gelände
vor dem römischen? Für Hamilkar könnte man es ja allenfalls in dem
Aufstieg zum Pellegrino erblicken, für die Römer aber ist es überhaupt
nicht da. Wo bleibt ferner bei diesen Kämpfen in der ganz flachen
Ebene die Möglichkeit für die täglichen gegenseitigen Hinterhalte und
Gegenhinterhalte, Angriffe und Überfälle, von denen Polybios spricht? i)
Das Terrain paßt einfach nicht zu dieser Beschreibung.
Oder sollte man gar annehmen, daß die Römer auf den Pellegrino
hinaufgestiegen wären und dort eine von den Felsenkuppen besetzt
gehabt hätten, die links von der Prozessionsstraße liegen, etwa den
Punkt 344 oder die Teile unmittelbar nördlich davon?
Es hat bisher kein Vertreter der Pellegrinotheorie diese Annahme
zu machen gewagt, und sie ist auch in der Tat unmöglich. Der Platz
ist hier für ein konsularisches Lager oder auch nur für ein größeres
Detachement zu klein und viel zu zerrissen.
Wenn wir nun nach diesen Erörterungen den Berg als militärische
Position überhaupt noch einmal ins Auge fassen, so schwinden, je
genauer wir ihn betrachten , die vorher aufgezählten Vorteile, die er
zu gewähren schien, immer mehr zusammen. Seine imponierende Höhe,
seine unersteiglichen Felsen machen ihn wohl uneinnehmbar und zu
einer guten Position für ein kleines Häuflein von Soldaten, das sich
gegen eine große Übermacht in starrer Defensive halten will und muß.
Aber eine Armee von ansehnlicher Größe verurteilt gerade diese Un-
zugänglichkeit zu völliger Untätigkeit. Wie der Gegner nicht hinauf,
so kann sie nicht hinunter. Der einzige allenfalls für Truppenabteilungen
praktikable Weg, den der Pellegrino besitzt, eben jene erwähnte Scala,
erlaubt überhaupt keine überraschende Entwicklung größerer Kräfte,
und daß er noch dazu von unten und aus der Stadt Palermo in seiner
ganzen Länge einsehbar ist, läßt ihn noch weniger brauchbar erscheinen. 2)
Ausfälle auf diesem Wege, Streifzüge ins Land sind fast ausgeschlossen.
Man muß auf dem Hinwege und — was noch schlimmer ist — auf
dem Rückwege mit Beute beschwert unmittelbar am römischen Lager
^) Pol. 157, 3: dv' sxdaztjv r^fisgav ejioiovvro xax' dXX/ßcov eveö gag, avx eviÖQag,
emd-saeig, Jtgog ßoXäg ... 5; ovxe yo-Q xojv s^ laxogCag axgax?]'/?] /iidx oiv ovxe xcov
F.>c ZGV xaiQOv y.al xfjg vjioxeiiisvrjg TieQiaxdascog sTiivor} udx oiv ovxe xcov elg Jia^dßa/.ov
xal ßiaiov dvtjHovxcov xöliiav odösv :iaQelei(pd'r}.
2) Photographie 1, S. 225.
— 235 —
vorbei , und wird das nicht ungestraft versuchen dürfen. Das einzige
Ausgangsloch, das der Pellegrino besitzt, ist eben gar zu leicht zu
verstopfen. Dazu ist die Verbindung mit dem Meere, wie wir sehen,
nicht einmal gesichert. Hamilkar schwebte, wenn er sich hier festsetzte,
jeden Augenblick in der Gefahr, von der See abgeschnitten zu werden
und damit den einzigen Rückzug zu verlieren , den er hatte. Diese
Stellung war eine Falle und ein Kerker. Hamilkars offensiver Geist,
seine Initiative und lebhafte Tätigkeit wären hier fast völlig lahmgelegt
gewesen.
Und wie steht es nun nach alledem mit der sonstigen Beschreibung,
die Polybios von dem Heirkte gibt? Ist sie wirklich so speziell, daß
sie nur auf den Pellegrino paßt, und paßt sie auf ihn wirklich in allen
Punkten ?
Wir wollen das im einzelnen nachprüfen.
Eine Reihe von Merkmalen stimmt ja, wie ohne weiteres zuzugeben
ist: die Höhe und isolierte Lage in der Ebene, die steilen Felswände
nach Land und Meerseite hin, der Hügel, welcher sich wie eine Akropolis
aus seiner oberen Fläche erhebt und einen guten Überblick über das
Land gewährt 1). Aber das sind doch alles mehr allgemeine Eigenschaften,
die der Pellegrino mit manchen anderen Bergen Siziliens gemein hat
und also auch mit dem Heirkte des Polybios geteilt haben kann.
Sobald man dagegen ins spezielle geht, hört die Übereinstimmung
auf, und darauf kommt es an.
Schon die Lagebestimmung überrascht. Der Heirkte liegt nach
Polybios zwischen Palermo und dem Berge Eryx bei Trapani^). Das
trifft für den Pellegrino genau genommen nicht zu. Der Eryx liegt
westlich, der Pellegrino nördlich von Palermo. Nicht einmal die Straße
von Palermo nach dem Eryx geht am Pellegrino vorbei.
Vom Heirkte heißt es dann weiter, daß der obere Umfang des
Berges 100 Stadien, über 17 km, betrage. 3) Die Hauptvertreter
^) Pol. I 56, 4 : BOTL yao ÖQOg jisqItojliov i^aveazyxog sx xfjg jisQixeif^ievrjg x^^Qag elg
vxpog Ixavöv . . 5 : :^€qi€xstcci, 6k XQtjfxvolg anooaixoig ex xe xov xaxa d-a/.axxav fisQOvg xal
xov Tiaga trjv [xsaöyaiav 7iaQi]xovxog. 6 : exsi d'iv avxcp xai fiaoxov, dg ä^ua fxhv dxQOJiöXeoig
df-ia ÖE axojiijg ev(pvovg Xafzßdvei xd^tv xaxa xfjg vTioxsi^uivijg ;if<üoa?.
■^) ib § 3 : xsTxai ^ikv "E^vxog xai UavÖQfiov fiexa^v jiQog d-aXdxxj]. Man hat an
dieser Bestimmung auch schon deshalb Anstoß nehmen wollen, weil der Berg ja viel näher
an Panormos als an dem Eryx liege. Ich glaube mit Büttner- Wobst (Klio Y 97) ohne Grund.
Polybios orientiert griechische Leser über die Örtlichkeit nach solchen Punkten, die er
bei ihnen als bekannt voraussetzen kann. Der Versuch von Inveges (p. 359), Polybios' Be-
stimmung dadurch verständlicher zu machen, daß er den Namen Eryx auf das ganze Gebirge
von Trapani bis zum Castellaccio ausdehnt, ist ebenso unnötig wie unberechtigt.
^) Ib. § 4 : xovxov ö't] jieQif-iEXQOg xfjg ävco aiEcpdvrjg od Xeitiec xcöv ixaxov axadicov.
— 236 —
der Pellegrinotheorie, Holm und Schubring, geben selber zu, daß das
auf ihren Berg nicht paßt. Holm (I 15) hält die Angabe für um ein Drittel
zu groß. Schubring glaubt, ,.15, höchstens 16 km oder 84 Stadien"
herausbringen zu können. In Wirklichkeit ist der obere Umfang des
Berges bedeutend kleiner. Bei objektiver Messung hat das obere Plateau^
im weitesten Sinne gemessen, nur etwa 11 V2 km Umfang. 1)
Das Plateau des Heirkte hat nach Polybios weiter guten Weide-
und Ackerboden.-) Weide ist auf dem Pellegrino vorhanden, Acker-
boden heutzutage nicht, sondern Fels. An eine Abspülung in größerem
Umfange ist bei der geringen Neigung der oberen Fläche und ihrer
zum großen Teil muldenförmigen Gestalt wohl nicht zu denken 3), es
müßte denn sein, daß wie beim Karste die Bora, so hier die Nordstürme
das Erdreich fortgetragen hätten.
Der Heirkte des Polybios lag ferner günstig gegen die Winde
von der See.*) Man hat das so interpretieren wollen, als ob er gegen
die Seewinde offen gewesen sei, die gesunde und frische Luft gebracht
hätten und Fieber nicht aufkommen ließen. ^) Und so hätte diese Eigen-
schaft des Heirkte auf den Pellegrino gepaßt, der bekanntlich nach
Norden zu vollkommen offen ist. Aber für eine Armee, die Sommer und
Winter drei Jahre lang auf einem hohen Bergplateau an der Nordküste
Siziliens kampiert, ist es offenbar viel wichtiger, gegen die im Sommer und
noch mehr im Winter äußerst lästigen und heftigen Nordstürme geschützt
zu sein. Ganz abgesehen davon, daß in Palermo überhaupt keine Malaria
vorkommt. Die Worte des Polybios bedeuten also, daß das Bergplateau
^) An der ganzen Ostseite ist der Plateaurand deutlich ausgeprägt, so daß man nicht
zweifeln kann, ebenso im nördlichen Teile der Westseite, wo er von Punkt 404 nach Punkt 475
geht. Von hier an könnte man schwanken. Ich habe am oberen Hange der Steilabstürze
entlang gemessen, so daß Punkt 344 und 300 mit eingeschlossen sind.
^) Ib. § 4 : o üiSQiexö^ievog töjioq (das von den Felsabstürzen eingeschlossene Plateau)
ei'ßoTog vjiUQX^i y-ai- yeco^yi^atuog,
^) Nur nördlich von der Grotte der heiligen Rosalie bei einem kleinen See ist eine
Stelle, die vielleicht pflügbar ist. Sonst sind nur kärgliche Weiden und Fels vorhanden.
Man vergleiche auch Amico II, 244 f. über den Zustand zu seiner Zeit im 18. Jahrb.:
soli fertilitas — sagt er — tanta re vera non est, qualem historicus (Polybius) describit;
frugum enim feraces quam vis radices sint, juga tamen lapidosa pascuis tan tum abundant
uberrimis, sed magna ex parte sterilitate squallescunt. So auch Schubring S. 25. Übrigens
war der Pellegrino nach Amari II, 443 noch im 15. Jahrh. bewaldet: Pellegrino fu terreno
boschivo fino al secolo XV. Auch das stimmt nicht zu Polybios' Beschreibung, die von Wald
ganz schweigt.
'*) Ib. § 4 : JiQog fisv zag jis/.ayiovg Jivoiäg ev(pviog ^iei/uevog.
^) So Schubring S. 25 u. Schweighäuser zur Stelle V, 291 , wo auch noch weitere
Literatur.
— 237 —
gegen Norden geschützt war und das paßt wiederum nicht auf den
Pellegrino.i)
Der Heirkte des Polybios bedarf auf kurze Strecken der Be-
festigungen zwischen den Felsabstürzen nach dem Meere und denen
nach der Landseite zu. 2) Am Pellegrino sind solche überhaupt nicht
nötig, weil die Felsen überall zu steil sind: Schubring sagt selber S. 25:
j.Von diesen letzteren (Strecken) wüßte ich außer den Aufgängen in
der Tat keine.*'
Der Heirkte beherrschte fernerhin einen guten Hafen mit reich-
lichem Wasser. Der Pellegrino beherrscht den Hafen von Mondello
nicht, und dieser hat wenigstens heutzutage kein Trinkwasser, sondern
die Bewohner des Fleckens beziehen — wie wir an Ort und Stelle
erfuhren — ihr Wasser durch Wasserleitung aus Palermo vom Scilato. ^)
*) Herr Geheimrat Th. Fischer in Marburg, der beste Kenner des Mittelmeerklimas,
hatte die Güte, mir auf meine Anfrage folgendes mitzuteilen : „Bei der Stelle bei Poh'bios
Ev(pv(ji)g xeifxevog Jigög zag neXayiovg Jivoiäg könnte man im ersten Augenblicke an die
Malaria verhindernden Seewinde denken, die in dieser Eigenschaft im Mittelmeer eine große
EoUe spielen. Aber bei Palermo gibt es keine Malaria und hat es erst recht im Altertume
keine gegeben. Nach meiner Ansicht ist für diese Stelle nur eine Deutung möglich, und
zAvar die, welche Sie geben. Es kann sich nur um Schutz gegen die Nord-Nordost- und
Nord Westwinde handeln, deren Heftigkeit im Winter und im Sommer ich nur zu oft an
der Nordküste Siziliens und Nordafrikas kennen gelernt habe. Nördliche Winde herrschen
hier im Sommer vor und sind auch dann noch äußerst lästig, noch mehr freilich im AVinter.
Die sommerlichen Winde um die Nordrichtung haben hier dieselben Ursachen, wie die Ihnen
aus Griechenland bekannten Etesien, Meltemien, die in der Tat geradezu scheußlich werden
können. So schlimm sind sie in Sizilien nicht." Man vergleiche dazu noch die Windtabellen
für Palermo in Fischers Studien über das Klima der Mittelmeerländer, S. 61 (Petermann,
Ergänzungsheft 58) und die hübsche Schilderung bei ^V. H. Smyth a. a. 0. S. 4. 7. 8 über
Siziliens gelegentlich sehr ungemütliches Winterklima. Auch Philippson, Das Mttelmeergebiet,
1908, gibt S. 94 ff. 110, 115 einige hierher gehörige Bemerkungen.
'^) Pol. ib. § 5 : TU de /neta^v tovzcdv eaxlv oUyrig xal ßgaxeiag deö[.ieva y.aiaaxevrjg.
") Schubring sagt S. 26 im Anschlüsse an die Bemerkung des Polybios I 56, 7, daß
der Hafen des Heirkte Trlrj^og vdaiog äcp^ovov habe, „in der Tat sind (bei Mondello) auch
süße Quellen da, die das Austrocknen verhindern". Wir haben nur einen Entwässerungs-
graben konstatiert, der in einer Entfernung von 50— 200 w hinter der Strandlinie läuft,
aber nach den Angaben der Einwohner kein trinkbares Wasser enthält. Auch Joh. Vincentius
bei Inveges, s. oben, S. 232, A. 1, weiß nichts von Quellen, sondern nur von einer Lagune,
deren Wasser Hamilkar nach seiner Ansicht benutzt hat ; die Worte des Polybios bezieht er
daher auf das tiefe Fahrwasser des Hafens: varias habet aquarum profunditates, quoniam
alibi profundus est XXVIII alibi XXX alibi XL passuum. Eine ganz, unbedeutende kleine
Quelle , die nur tropfenweise aus dem Fels hervorsickerte , fanden wir bei der Villa des
Marchese Spartano etwa 600 m südlich vom Südende der Bucht von Mondello am Ostabstura
des Pellegrino. Nach starkem Regen soll sie kräftiger fließen, und es kann natürlich auch
nicht in Abrede gestellt werden, daß sie vielleicht in früheren Zeiten, wenn der Pellegrino
bewaldet war, weit stärker gewesen sein mas:.
— 238 —
Der Heirkte hat endlich drei schwierige Zugänge, zwei vom Lande
und einen von der See.^) Der Pellegrino hat entweder zwei, die Skala
von Palermo und den Weg durch das valle del porco , beide von der
Landseite, oder aber vier, wenn man die Kletterpfade der Pertica
und von Allauro mitrechnen will.
So ergibt sich also auch hier eine ganze Anzahl von Wider-
sprüchen zwischen der Beschreibung des Polybios und dem tatsäch-
lichen Befund auf dem Pellegrino. Bei dieser Sachlage bestehen für
die Kritik zwei Möglichkeiten: sie kann sich erstens auf den heut-
zutage vielfach beliebten Standpunkt stellen, der Bericht des Poly-
bios leide an so vielen militärischen und topographischen Un Wahr-
scheinlichkeiten und Verkehrtheiten, daß er überhaupt nicht zu
brauchen sei; die Vorgänge hätten sich in Wirklichkeit ganz anders
abspielen müssen. Oder sie kann sagen , der Bericht paßt nicht auf
die Örtlichkeit, auf welche er bisher bezogen worden ist; suchen wir
eine andere.
Den letzteren Weg einzuschlagen, zogen wir vor und begaben uns
am nächsten Tage zu Wagen nach der Isola delle Femmine. (Vgl.
die Karte.)
Dieser Platz liegt etwa 12 km in der Luftlinie nordwestlich von
Palermo. Den dortigen Hafen und die ganze südlich davon ausgebreitete
Berggruppe hatten wdr als möglichen Standort Hamilkars ins Auge
gefaßt. Die Berggruppe erstreckt sich nach Süden bis zu dem tiefen
Einschnitte, über den jetzt die Chaussee von Palermo nach Torretta und
Carini führt, und ist somit von der übrigen Gebirgsmasse abgeschnitten.
Sie fällt im Westen nach der Bucht von Carini, im Osten nach der Ebene
von Palermo hin, zum Teil auch nach Süden mit steilen Felswänden ab,
und steigt in ihrem höchsten Punkte, dem Monte Castellaccio, bis zu
959 m auf. Sie ist also , wie Polybios verlangt , ein OQog jrEQLxouov
i^av£GTri'A,bg ey, Tijg 7t£Qr/,€Lf.ievYig x^^Q^S ^iS vipog iTiavov und TtEQieyeTai
%QT^y.vdig ccTt^oGLTOLg ex xe tov Y,ava MlazTav /,ieQOvg xal zov Tzaqä
Tijv /LiEOoyatav Ttaqrf/.ovxog. Die Südseite zwischen beiden, die nicht
so schroff ist, bedarf künstlicher Nachhilfe und hierauf würden sich
dann die Worte des Polybios beziehen: tu. Je f^ieva^v tovtcov Igtlv
oXiyrß y.al (^gayeiag de6fj.eva v.aTaG'/xvfß. Der umfang der plateauartig
welligen oberen Fläche beträgt oberhalb der schroffen Felsabstürze
gemessen etwa 1 7 hm , entspricht also genau der von Polybios erfor-
^) Pol. ib. § 8 : TiQogödovg de tag ndaag eyet xQixxa? ovo ye geig, Svo ^itev cbio xfjg yjoQag,
f^iCav ö'aTTO xfjg d^akdxxrjg.
— 239 —
derten Größe ^) und hat in sich neben anderen Punkten in dem er-
wähnten Castellaccio jenen Akropolishügel . den inaoTog^ dg äfja ^ev
d'A,Q07r6Aecog a^ua Si oy.OTtTjg ev(pvovg kaußdveL tcc^lv VMzh Tr^g VTCoxeiuivrig
XCüQag.
Zu gleicher Zeit beherrscht diese Bergmasse sowohl die Straße,
welche von Palermo am Meere hin nach Carini und weiter nach dem
Eryx und Trapani führt, als auch die südlichere über Torretta. Man
kann also, da der antike Weg eine dieser Richtungen — wahrscheinlich
die am Meere hin — genommen haben muß ^), von ihr mit ganz anderem
Rechte als von dem abseitigen Pellegrino sagen, daß sie zwischen
Palermo und Eryx gelegen habe.
Das war ungefähr, was man von der Karte ablesen konnte, und
was unsere Hoffnung erregte, hier den Heirkte des Polybios gefunden
zu haben.
Die Rekognoszierung an Ort und Stelle mußte zeigen, ob diese
Hoffnung nicht trügerisch war. Von der vielfach gewundenen Küste
aus, die wir zuerst betrachteten, geht eine Landzunge in nordwestlicher
■Richtung etwa 1 km weit ins Meer hinein. Vor ihr liegt in Entfernung
von etwa Y2 ^*^^ die ebenfalls V2 ^^^^ lange Insel Isola delle Femmine,
die auch dem Dorfe auf dem Festlande den Namen gegeben hat.
Eine solche Küstenbildung, ein Kap mit vorliegender Insel, war
bei den Alten als Anker- und Hafenplatz sehr beliebt, weil sie Schutz
gegen fast alle Winde gewährte, ^j Blies hier der Wind aus West oder
Südwest, wie das an der Xordküste Siziliens vorwiegend im Winter der
^) Am deutlichsten ist hier die Grenze der oberen Bergfläche im Westen, wo un-
mittelbar südöstlich vom Dorfe Isola delle Femine eine Felsenmauer 5 km weit in der Luft-
linie mit mehrfachen Windungen fast direkt südlich läuft bis Casa Zurcate. Von hier geht sie
4 k7n Luftlinie in östlicher Eichtung wiederum mit mehrfachen Windungen über eine zweite
Casa Zurcate nach Cuzzo Biddiemi. Von da zieht sie nördlich 2 km weit nach Cuzzo di Paola
und läuft endlich 4 km Luftlinie in nordwestlicher Richtung zu ihren Ausgangspunkt zurück.
Diese 15 km Luftlinien ergeben mit den Windungen gerade die erforderte Zahl von 17 — 18 km.
Man vergleiche die Karte.
2) Die Tabula Peutingeriana gibt für die Straße Lilybaeum-Drepanum-Panormus die
Station Hyccara, welche in der Ebene von Carini gelegen hat, mit 16 MiUien Entfernung von
Panormus an. Das Itinerarium rechnet einmal 16, einmal 13 Millien (Wessel. 91 u, 97). Diese
Entfernungen passen besser auf die Seestraße. Auch zu arabischer Zeit lief die Verbindung
zwischen Cap Gallo und dem Heirkte an der See entlang. Schubring S. 5.
^) Vgl. Philippson a. a. 0. S. 68 : „Beliebt waren (im Altei*tuni) vor allem Stellen,
wo eine Insel vor einem Kap lag und so einen Doppelhafen bildete". Über das Fahrwasser
und die Küsten sagt W. H. Smyth in seinem ausgezeichneten, S. 227, Anm. 1 angeführten Werke
Appendix III : There is a passage between Femina Island and the coast, throug which small
boats may pass, and the other parts aie bold to. Die Angabe, daß hier eine der Schiffahrt
gefährliche, unterseeische Klippe sei, erweist sich ihm bei näherer Untersuchung als irrig.
240
Fall ist, so gewährte die Ost- und Nordostseite von Insel und Halbinsel
Schutz. Kam er von der entgegengesetzten Seite, wie vorwiegend im
Sommer, so bot das südliche und südwestliche Ufer Deckung. Auch
die kleinen Buchten bei Sferracavallo und Punta di Barcarello konnten
noch ausgenutzt werden. Auch im Mittelalter, wo die SchifFahrtsverhaltnisse
ja denen des Altertums nahe standen, wird in den Portolanen Isola
delle Femmine als Landeplatz erwähnt, während es von Mondello heißt,
daß hier kein Ankerplatz sei. i) (S. Abbild. 4.)
Abbild. 4.
Montaprna del Gallo Sforrarnvallr
Fnß des TToirkte
Die Blicht bei Isola delle femmine, von Westen gesehen.
^) Uzzano, Verfasser eines Portolano vom Jahre 1440 (gedruckt bei Pagnini, della
decinia et diverse altre gravezze di Firenze, Lissabon 1765 Bd. IV) sagt S. 264: 5 miglia
lungi (vom Golf v. Castellamare) est una Isola. onde ä buone parago, ch'ä nome l'Isola
del Fim. Portolano A foglio 30 und Gioeni foglio 25 geben für Isola einen „piccolo riparo",
während es für Mondello in A 30 heißt : non gli e stanzia, in B : senza stanza. Nach Mra-
bello S. 273 A. 2. Die den Sommer\\dnden aus Nord und Ost ausgesetzte und auch sonst
keineswegs günstige Lage der Bucht von Mondello bestätigen auch andere Nachrichten.
AV. H. Smyth sagt a. a. 0. in seiner sorgfältigen Segelan Weisung Appendix III : on sailing in
(den Golf von Palermo von Westen her) a ship may proceed boldly towarts the anchorage,
only observing to be guarded on passing the little sandy bay of Mondello,
on account of the v i o 1 a n t and sqally gusts of wind, that rush between Mount PeUe-
grino and Cape di GaUo, espacialh' in winter; it is therefore advisable on standing along
the west side of the bay during a fresh breeze, to Station hands b}- the shuts and haulyards
and be ready to keep large. ]\Ian vergleiche über diese Stoßwinde an Steilküsten des Mittel-
meeres im allgemeinen auch Philippson a. a. 0. S. 98. Auf diese Erscheinung bezieht sich
vielleicht auch die merkwürdige Äußerung von Inveges p. 358 : portus Gallus (Mondello)
subjacet septentrionali montis (Perlgrino) lateri et infestatur a ventis occidentalibus (sie).
— 241 —
Dazu kommt aber weiter, daß dieses lange und daher einer be-
deutenden Anzahl von Schiffen Raum gebende Gestade von der Landseite
her leicht zu verteidigen war. Den größten Teil deckte der von den
Karthagern besetzte Heirkte selber. Nur in Südost und Südwest waren
Zugänge. Der Zugang von Südost her führt über die tief zwischen dem
Heirkte und dem Monte Gallo eingeschnittene Senke von Sferracavallo,
die schnell und leicht zu sperren ist, weil die beiden Berge hier sofort
mit unersteiglich steilen Felsen aufsteigen. So war der Hafen gegen
jeden Angriff von Palermo her geschützt. Auf der anderen Seite zieht
sich die schmale Küstenebene von Carini zwischen dem Meer und
den Felswänden des Heirkte hin. Auch sie ist nur ^j^ km breit und
daher leicht zu sperren. Wasser ist heutzutage allerdings in Isola so
wenig zu finden wiq in Mondello. Der laufende Brunnen in Sferracavallo
wird, wie man uns sagte, von dem nahen Xatale aus gespeist, und der
laufende Brunnen in Isola selber erhält sein Wasser durch eine Leitung
aus dem 3 hn entfernten Capaci. Aber am Ausgang des Tales, das einen
starken Kilometer östlich von dem Dorfe Isola die Küste erreicht, fanden
wir eine große Muhre, und es ist wohl sehr wahrscheinlich, daß dieses
tief in die Berggruppe einschneidende Tal in früheren Zeiten, als das
Gebirge noch bewaldet war, ständig Wasser geführt hat.
Wir stiegen an der Westseite dieses Tales dem Wege folgend
aufwärts. Ein leidlich bequemer Pfad führte über zum Teil verkarstetes,
zum Teil von spärlichen Matten bedecktes Gelände bergan, der Pfad,
welcher die Kommunikation vom Heirkte zum Hafen gebildet haben
mußte. Was ihn von den Pellegrino aufstiegen unterschied, war der aus-
schlaggebende Umstand, daß er über ein Terrain hinführte, welches auch
rechts und links vom Wege selbst überall begehbar ist und also Be-
wegungen von größeren Truppenmassen gestattete, eine militärische
Verbindung, \^ie sie zwischen Heer und Hafen durchaus erforderlich war.
Nachdem wir den Sattel zwischen Pizzo Immenso und Monte
Monolfi überstiegen hatten, tat sich vor uns eine breite, flache, nach
Osten hin geöffnete Talmulde auf, die besonders in ihrem unteren,
dolinenartig geformten und geschützten Teile in der Nähe der Casa Isca
eine üppige Vegetation trug. Wir durchquerten den oberen Teil der
Talmulde, immer den Monte Castellaccio zur rechten, und gelangten
über einen zweiten flachen Sattel zwischen dem Monte Castellaccio und
dem Cuzzo S. R-occo auf die Südseite des Berges, eine langsam nach
Süd und Südost sich senkende Matte, welche dann plötzlich mit einem
steilen Rideauabsturze nach Süden zu in das kleine Tälchen abbrach,
welches sich zwischen Cuzzo S. Croce und Cuzzo Gibelliforni in süd-
östlicher Richtung zur Ebene hinabsenkt. Auch hier waren große Teile
Wiener Eranos. Iß
- ^*2 - .^
der Fläche, besonders in der Nähe der Casa Trippatore, mit Korn und
Opuntienkaktus gartenähnlich bepflanzt.
Von diesem flachen Südhange und schon von der Mitte des Berges
ab südlich des Pizzo Immenso gilt also die Beschreibung des Polybios,
daß der Berg gegen die kalten Nordstürme wohl gedeckt sei; hier sind
auch die ausgedehnten Weiden und das anbaufähige Land vorhanden,
welches das obere Plateau des Heirkte bedeckte. Hier an der zugleich
von Natur schwächsten Stelle des Berges werden wir uns daher auch
das Hauptlager des Hamilkar konzentriert denken müssen, nach Süden
hin geschützt durch den oben erwähnten Rideauabsturz, der die Süd-
grenze des Hauptlagers und der ganzen Befestigung des Berges über-
haupt gebildet haben wird.
In der Tat bedarf diese Seite des Berges, um völlig unangreifbar
zu sein, einiger Nachhilfe durch die Kunst, wie das ja Polybios aus-
drücklich verlangt; besonders der westliche Teil am Südhange des
Monte Castellaccio selber.
Daß die übrige Oberfläche des Berges nur, wo es nötig war, mit
Posten und Detachements besetzt war, die für Beobachtung und besonders
für ungestörte Verbindung mit dem Meere zu sorgen hatten, versteht
sich von selber.
So stimmt die Polybianische Beschreibung Punkt für Punkt mit
dem vorliegenden Gelände. Eine Schwierigkeit machen nur die drei Wege
des Polybios, von denen einer von der See, zwei von der Landseite
her auf den Berg hinaufgeführt haben sollen. Zwar der von der See-
seite her ist, wie wir gesehen haben, bestimmt vorgezeichnet und durch-
aus zweckentsprechend. Aber von der Landseite gibt es heutzutage eine
ganz beträchtliche Anzahl, die von der Ost- und Südseite her die Gebirgs-
gruppe erklimmen. Indessen erkennt man bald, daß diese scheinbar so
zahlreichen Zugänge die Höhe doch nur an drei Punkten erreichen,
weil sie sich nämlich zum größten Teile vor Beendigung des Aufstieges
vereinigen. So laufen die Wege von Natale und Sferracavallo nordöstlich
von Monte Monolfi zusammen und bilden hier den ersten Zugang; die
Wege von Villa Bonocore, Colleggio Romano und Casa Ferrerri treffen
sich bei Casa Isca, und endlich die Wege von Südost und Südwest
erreichen alle in der unmittelbaren Nähe von Casa Trippatore die Hoch-
fläche. So kommen in der Tat für den Zugang zum Plateau selber nur
drei Eingänge in Betracht. Immerhin ist das einer mehr, als Polybios
angibt. Aber man muß bedenken, daß es sich ja hier, wie wir schon beim
Pellegrino betont haben, nicht um Jägerpfade, sondern um militärisch
brauchbare Kommunikationen handelt, und diese Wege sind dazu wohl
zum größeren Teile überhaupt nicht geeignet. Der Weg wenigstens,
— 243 —
den wir zum Abstiege wählten , durch das oben erwähnte Tal nach
Südosten hin zum Cuzzo S. Rosalia, ist als solche überhaupt nicht zu
bezeichnen. Es mag also sehr wohl sein, daß der eine der von Osten
herkommenden Wege als unpraktikabel nicht mitgezählt ist, oder daß im
Altertum, wo wir uns den Berg doch wohl noch zum großen Teile mit
Urwald bedeckt denken müssen, hier überhaupt noch kein Zugang be-
standen hat.
Südlich von jenem Rideauabsturz , den wir oben als Grenze von
Hamilkars Befestigungen betrachtet haben , zieht sich nun ein breiter
und flacher Talboden in westöstlicher Richtung hin in einer liänge von
etwa 2V2 ^''^^ allmählich nach Osten zu sich senkend. Im Süden dieser
Abbild. 5.
Hügel des Bömerlagers
K()iner];i"er von Nordwesten tresetieii.
Senkung erhebt sich das Gebirge noch einmal wieder zu einer flachen
Doppelkuppe von etwa IV2 ^^* Länge und in einer Formation, die für ein
Lager sehr passend ist. (S. Abbild. 5.)
Die Entfernung dieser Kuppe von dem Lager des Hamilkar beträgt
genau 900 m, also den von Polybios für den Raum zwischen den beiden
Lagern geforderten Platz. (S. S. 233, A. 1.)
Hier auf der Kuppe hätten wir demnach das römische Lager und
nördlich von ihm in erster Linie den Schauplatz der dreijährigen Kämpfe
zwischen Karthagern und Römern anzusetzen : er besteht in einem flachen
Talboden, dessen Ränder nach Norden und Süden ansteigen zu den
16*
— 244 —
Lagern der beiden Gegner. Von diesem Terrain also gilt die soeben
besprochene Schilderung des Polybios, daß, so oft die Heere oder Teile
von ihnen sich hier auch maßen, eine Entscheidung doch nicht erfolgen
konnte , weil die unterliegende Partei sich sofort in den Schutz ihres
Lagers zurückziehen konnte, das wegen seiner erhöhten Lage — und
auch von dem römischen wird das hier mit vollem Rechte gesagt —
für den Gegner unangreifbar war. (S. S. 233, A. 1.)
Jetzt erkennen wir auch, was die Erwähnung der Hinterhalte
und Gegenhinterhalte und Überfälle während dieser langen Kampfe
zu bedeuten hat. Denn hier in diesem coupierten und welligen Terrain
war zu solchen Dingen Gelegenheit in Fülle gegeben.
Natürlich haben wir nicht anzunehmen, daß immer nur zwischen
den Lagern selber gekämpft wurde.
Hamilkar war hier nicht zu so starrer Defensive verurteilt, wie
er es auf dem Pellegrino gewesen wäre. Außer dem Ausgange nach
Süd mit seinen verschiedenen Verzweigungen nach Ost und West hatte
er noch den Ausgang über Casa Isca oder nach Natale in die Ebene
von Palermo. Er hatte ferner von seinem Schiffslager aus nach Süd-
osten hin die erwähnte Senke zwischen dem Heirkte und dem Monte
del Gallo zu seiner Verfügung, die ihm Plünderungszüge in die
reiche Ebene von Palermo gestattete i), und nach Südwesten hin konnte
er von derselben Stelle aus ebenso leicht in die fruchtbare Ebene von
Carini und Partinico vorstoßen. Ja, es war sogar möglich, auf diesem
Wege von der Landseite her mit den einzigen Punkten, die Karthago
damals in Sizilien noch hielt, mit Drepanum und Lilybaeum in Ver-
bindung zu treten.
So sehen vdr, wie die ganzen, drei Jahre langen Kämpfe, die wir
sonst kaum recht verstehen können , durch diese neue Lokalisierung
^) Möglicherweise hat hier das Kastell Heirkte (s. S. 226, A. 1) gelegen, welches schon
Pyrrhos eroberte und das die Eömer im Jahre 252 mit angeblich 40.000 Mann und 1000 Eeitem
vergeblich belagerten. (Diodor XXII 10, 4. XXIII 20.) Man übersetzt EIqxx'^ gewöhnlich
mit „carcer'' (Schweighäuser z. Stelle u. a.). Da es ein ^qovqiov war, könnte das Wort hier
aber wahrscheinlicher die Bedeutung „Sperrfort" haben. Auf dem Berge kann es nach dem
Ausdruck des Polybios (I 56, 3.), daß Hamilkar den ml zfjg EiQHrfjg keyöfievov xöjiov besetzt
habe, nicht gelegen haben, sondern am Fuße, und da würde die Lage an dem Passe von Sferra-
cavaUo sehr gut passen, weil hier die Hauptstraße von Panormos nach Lilybaeum hindurch-
führte (S. 239, A. 2). Dem entspräche dann auch die Bedeutung, die das Kastell im Kriege
des Pyrrhos gehabt hat, und der Wert, den die Eömer seinem Besitze schon vor Hamilkars
Auftreten beilegten. Wo man sich das Kastell denken soUte, Avenn der Pellegrino Hamilkars
Lager gewesen wäre, ist nicht abzusehen. Einen isolierten • und strategisch wertlosen Berg
und noch dazu unten zu schützen, das hat doch keinen Sinn,
— 245 —
einen ganz anderen Charakter erhalten, einen Charakter, der der ge-
rühmten Aktivität und Beweglichkeit des großen Puniers und seinem
Geiste der Initiative in viel besserer Weise gerecht wird, als es bei
der alten Anschauung vom Schauplatze dieser Kämpfe am Pellegrino
der Fall gewesen wäre. —
Als wir nach getaner Arbeit an Ort und Stelle die Sachlage
überlegten, hatten wir das lebhafte Gefühl, daß durch diese Lösung
des Problems unsere Kenntnis der antiken Kriegsgeschichte um die
lebendige Anschauung eines nicht unwichtigen kriegsgeschichtlichen
Vorganges reicher geworden sei. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist,
dasselbe Gefühl auch in dem Leser dieser Zeilen erweckt zu haben.
Der mauretanische Feldzug* unter Antoninus Pius.
Von
JOSEF MESK.
Die Kämpfe gegen die Mauren setzten unter Antoninus Pius er-
folgreich ein, endeten aber erst viel später mit der endgültigen Unter-
werfung des leicht beweglichen und schwer zu fassenden Reitervolkes.
Der Feldzug unter dem ersten Antoninen wird mehrfach erwähnt;
allein die Unbestimmtheit der Überlieferung erschwert ebensosehr die
zeitliche Umgrenzung der Ereignisse wie den Einblick in ihren
Verlauf.
Nachstehend unsere Quellen. Die vita Pii 5, 4 meldet kurz:
jper legatos suos plurima hella gessit . . . Mauros ad imcem postu-
landain coegit. Ausführlicher ist Pausanias VIII 43, 3 : ö de ^Avtio-
vlvog . . . Ttoke^ov . . . aQ^avzag MavQOVQj ^ißvwv twv avTovofnwv
Tr)v fi^yiörr(v juolQav, vofidöag te ovrag vmI ToactiSe e'xi öva^axwxeQOvg
Tov ^iiv&L%ov ysvovg ool() jurj stiI d^a^cov^ stcI %7tTci.ov de avToi te xal ai
yvvaiiiEg ^Xcjvto^ xovvovg ^ev e§ äTzccGTjg iXavvcov Tijg xcogag ig ra EGyara
rjväy'/,aOEv äva(pvyelv ^Lßvrjg, etzL te ^.AxXavTa ib oQog '/,al ig Tovg Ttqbg
Ti^ ^AtIccvtl dvd-QcoTtovg. Nur beiläufig gedenkt des Geschehnisses der
Rhetor Aristides (XXVI 70 Keil); doch ist der Zusammenhang, in
dem er die Notiz bringt, nicht ohne Bedeutung: 7ti')XEuoi de ovo* et
TtdfTtoTE iyevovTO in (zur Zeit des Pius) TtLOTEvovvaLy äX)^ iv aXXcog f,iv-
S-cüv zd^EL TÖig TtoXXoig dycovovuaiy eI de ttov %al GCjurcXa/.ElEv in io^a-
xiaigy oia Eiytög iv dQyfj fiEydXr^ v.ai diÄErqrjTii) Ttagavola Fetcov ^ övotv-
xLcf ^ißvwv 5J '/.ay.odaLf.iovia tmv TtEQL rrjv iQvd-Qav d^dXazTav, dyad-olg
TtaqovGL XQi^GaGd^ai (Afj öwauivcov , dzExvcog ügtteq juvd^ot Tayecog auTol
TE Ttagr^Xd-ov vmI ol tzeqI avrcüv Xoyoi. Wichtig sind die Inschriften
CIL III 5211 — 5215; wir erfahren aus ihnen, daß zur Zeit des Feld-
— 247 —
zuges Hilfstruppen unter T. Varius Clemens aus Spanien nach Maure-
tania Tingitana geschickt wurden: 5211 praef(ecto) auxiliariorum
(5212 auxiliorum) tempore expeditionis in Tingitanam (5212,
5214, 5215 in Mauretaniam Tingitanam) ex Hispania misso-
orum. Derselbe Clemens war nach Bekleidung dreier weiterer Ämter
i. J. 152 oder 153 Prokurator von Mauretania Caesariensis (CIL VIII
2728). In Verbindung mit diesen Kämpfen bringt man i) in der Regel
vermutungsweise den Umstand, daß i. J. 145 eine Vexillatio der legio
VI Ferrata aus Syrien eine Militärstraße über den mons Aurasius
in Numidien anlegte (CU^ VHI 10230 cf. 2490), ebenso die gleich-
zeitige Anwesenheit einer Abteilung der in Bostra stationierten leg. III
Cyrenaica (Henzen, Annal. 1860, p. 54, der auch das Distichon CIL
VI 1208 auf diesen Feldzug bezieht). Endlich wies man ^) zur Kenn-
zeichnung der Unsicherheit im numidisch-mauretanischen Grenzgebiete
während der Jahre 147—149 darauf hin, daß nach CIL VIII 2728
um diese Zeit ein Militäringenieur, der dienstlich von Lambaesis
nach dem mauretanischen Saldae reiste, unterwegs samt seiner Es-
korte überfallen und ausgeplündert wurde und nur das nackte Leben
rettete.
Auf Grund dieses Materials gelangt Cagnat ^) , der über diese
Kämpfe ausführlicher handelt, zu folgender Darstellung. Der Feldzug
habe vor 145 begonnen ; die Vexillatio der leg. VI Ferrata habe mög-
licherweise einen Teil der in Lambaesis garnisonierenden, damals gegen
die Mauren geschickten leg. III Augusta ersetzt. Varius Clemens habe
die Aufgabe gehabt, dem Feinde mit den spanischen Truppen in die
Flanke zu fallen; die beiden Truppenkörper in Mauretanien und Tin-
gitanien hätten einander ergänzt und in die Hände gearbeitet. Den
Erfolg dieser gemeinsamen Operation lehre Pausanias. Einen weiteren
chronologischen Anhaltspunkt biete die Laufbahn des Varius Clemens.
Zwischen seiner Entsendung nach Tingitanien und seiner Ernennung
zum Prokurator von Mauretanien (152) sei er Präfekt einer Eeiterala
und Prokurator von Cilicien und Lusitanien gewesen (CIL III 5211 if.);
darnach falle die Sendung der Hilfstruppen aus Spanien nach Afrika
unter der Voraussetzung, daß die drei Ämter unmittelbar aufeinander
folgten, spätestens 148 und vielleicht 146 oder 147, wenn zwischen
den einzelnen Ämtern eine Unterbrechung lag. Man könne demnach
^) SchiUer, Gesch. d. röm. Kaiserzeit, I, 2. Abt, S. 631 , Anm. 6. Cagnat, L'armee
romaine d'Afrique (Paris 1892), S. 42. v. Rohden in Pauly-Wiss. n 2503.
2) Schiller a. a. 0.
«) Cagnat a. a. 0. S. 42 f.
— 248 —
(auch im Hinblick auf CIL YIII 2728) den Krieg gegen die Mauren
unter Antoninus Pius zwischen 144 und 149 ansetzen. Schiller i) gibt
keinen festumgrenzten Zeitansatz, scheint aber auch anzunehmen . daß
die Kämpfe von 145 — 149 währten, v. Rohden -) läßt den Feldzug gegen
die Mauren „um das Jahr 145" stattfinden. »)
Bei der Untersuchung empfiehlt es sich, zunächst die Stellen aus-
zuscheiden , die auf den Kampf mit den Mauren nicht ausdrücklich
Bezug nehmen; sie kommen erst in zweiter Linie in Betracht. Wenn
Schiller (a. 0.) bemerkt, daß die verschiedenen Yexillationen zu be-
weisen scheinen, daß in Afrika Unruhen häufig waren, so ist das zu-
zugeben ; einen sicheren Schluß kann man aber beispielsweise in unserem
Falle auf die Anwesenheit einer Abteilung der leg. YI Ferrata nicht
bauen, da dieselbe ganz wohl auch einen anderen Grund gehabt haben
kann. Auch der Überfall auf den Militäringenieur auf seiner Reise nach
Saldae zeigt nicht mehr, als daß das Häuberunwesen an der numidisch-
mauretanischen Grenze in Blüte stand. Der librator erzählt kurz und
drastisch: profectus sum et inter vias latrones sum passus;
nudus saucius evasi cum meis. Daß Räuber in Nordafrika etwas
ganz Gewöhnliches waren, erhellt schon aus den griechischen Romanen
oder aus Apuleius. Die Grundlage für die Erörterung bilden die In-
schriften auf Yarius Clemens : sie bieten nebst der ausdrücklichen Er-
wähnung des Zuges gegen die Mauren auch die Möglichkeit einer
Datierung desselben. Fürs erste ist zu betonen, daß nicht von einem
Kriege die Rede ist, sondern von einem Feldzuge. Die Inschrift 5211
besagt deutlich tempore expeditionis; hier ist allem Anschein nach
kein langwieriger Krieg , sondern ein einzelner Feldzug gemeint.
Wenn ferner Yarius Clemens 152 oder 153 Prokurator von Maure-
tanien war, so läßt sich auch bei der Annahme, daß er die drei Ämter,
die er nach dem mauretanischen Feldzug bis zur Erlangung dieser
Stellung innehatte, nicht unmittelbar nacheinander bekleidete, doch nur
schwer bis aufs Jahr 145 kommen, in dem die kombinierte Aktion der
spanischen Truppen und der durch die syrische Yexillatio teilweise
ersetzten leg. III Augusta stattgefunden haben soll. Allerdings könnte
diese Legion vor dem Eintreff'en des Hilfskorps schon längere Zeit im
Felde gestanden sein; aber die Annahme eines mehrjährigen Krieges
^) A. a. 0.
2) A. a. 0.
^) Die Argumentation Müllers, der (in Büdingers Untersuchungen z. röm. Kaiser-
geseh. II 309) den Aufstand ins Jahr 139 setzt, wurde schon von Schiller und Cagnat
a. a. 0. zurückgewiesen.
— 249 —
ist eben nicht wahrscheinlich. Eine Stütze erhalt diese Auffassung auch
durch die Aristidesstelle, bei der freilich der epideiktische Charakter der
Rede in Betracht zu ziehen ist. Der Rhetor sagt von den Kämpfen
(er spricht allerdings von ^rtoXejiwi) , die er erwähnt ; raxswg adrol ts
TtaQTil&ov xtA. Xun mag ja xaxecog nicht allzusehr zu pressen sein;
aber an langjährige Kriege A\^rd man auch nicht gern denken wollen.
Wenn andrerseits Aristides von diesen Ereignissen wie von längst-
vergangenen spricht, so liegt die Vermutung nahe, daß er sie in epi-
deiktischer Perspektive schaut und gerade deshalb nennt, weil sie nicht
gar so ferne lagen, daß er sie, me es im Sinne seiner Darstellung ge-
wesen wäre, hätte übergehen dürfen. Da nun der Sieg über die Mauren
in einem Atem mit zwei anderen Ereignissen genannt wird, so wäre
es von Bedeutung, wenn sich beide oder doch eines davon sicher da-
tieren ließe ; das ist leider nicht der Fall. Der Kampf mit den Geten
oder Daciern wird von Schiller i) mit Bezug auf CIL III 1416 zwei-
felnd ins Jahr 157 gesetzt; da Aristides seine Rede wahrscheinlich
156 2) hielt, läßt sich das Datum nicht halten , wenn man nicht nach-
trägliche Einschaltung des Passus annehmen will. Der Aufstand am
roten Meer wird von Rhoden '^) vom ägyptischen Krieg unter Antoninus
getrennt, von Müller *j mit demselben identifiziert und nach Letronne
148 — 149 gesetzt. Jedenfalls dürften beide von dem Zeitpunkt, in dem
die Rede gehalten wurde, nicht gar zu weit abzurücken sein ; sie waren
wohl noch allen erinnerlich und mußten darum mit einem Worte be-
rührt werden. Ein indirekter Beweis dafür liegt darin, daß Aristides
von früheren Kriegen schweigt, so namentlich von dem wichtigen bri-
tannischen (von 142 an).
Die Aristidesstelle und die Inschriften auf Varius Clemens stützen
sich somit gegenseitig und scheinen mir zu ergeben, daß der Feldzug
gegen die Mauren einerseits nicht von langer Dauer war, andrerseits
gegen Ende der vierziger Jahre des 2. Jahrhunderts unternommen
wurde. Unter Verwertung des feststehenden Datums in der Ämterlauf-
bahn des Clemens (Prokurator von M. 152 oder 153) und unter der
jetzt empfehlenswerteren Annahme, daß er die drei oben erwähnten
Ämter unmittelbar nacheinander bekleidete, lassen sich als Zeit der
Unternehmung mit Wahrscheinlichkeit die Jahre 148 oder 149 nennen,
wobei ich voraussetze, daß der Feldzug etwa ein Jahr lang währte
*) A. a. 0. S. 631, Anm. 7.
0 W. Schmid, Rh. Mus. XL VIII (1893), S. 80 f.
3) A. a. 0. 2507.
^) A. a. 0. S. 314.
— 250 —
oder doch nicht viel darüber. Über Verlauf und Erfolg desselben lehren
die Quellen nur das Folgende: die Mauren begannen mit den Feind-
seligkeiten, Hilfstriippen wurden aus Spanien nach Tingitana geschickt^
der Gegner wurde bis an die äußersten Grenzen Libyens und bis ans
Atlasgebiet zurückgeworfen. Der Angriff der römischen Hauptmacht
kam natürlich zunächst von Osten; aber die Entscheidung dürfte, nach
der Richtung zu schließen, die der fliehende Feind nahm, mit Hilfe
der spanischen Truppen in Tingitana gefallen sein. Der Sieg der Römer
war ein vollständiger, seine Wirkung eine nachhaltige : erst ein Viertel-
jahrhundert später wagten die Mauren einen neuen Einfall in römisches
Gebiet.
1
Alexander
in einer Inschrift des 3. Jahrhunderts n. Ch,
Von
EDMUND GROAG.
In der Xähe des Ortes Blace bei Uesküb schrieb Noe Morien im
Jahre 1872 die Inschrift eines Marmor steines ab, der damals in der
Türschwelle einer Kirche verbaut war, seither aber verschollen ist.
Der Text wurde nach Mortens Aufzeichnungen und einem Abklatsche
in der Eph. epigr. II n. 493 =' Corpus III 8238, dann nach seinem
Skizzenbuch in etwas abweichender Form von Premerstein und Vulic
in den Jahresheften VI, 1903, Beibl. S. 38 publiziert:
Jovi et Juno|ni [e]t dracco|ni et dracce|na[e] ^) et Ale|xandro
Ep[i|t]ynchanus2) s(ervus) | [F]uri Octavi^) | c(larissimi) v(iri) posu[it].
Die Inschrift erregte Interesse wegen der darin genannten Gott-
heiten. Es war zuerst Mommsen (Eph. epigr. II, 493, wiederholt CIL);
der den Alexander des obermösischen Denkmals mit dem Pseudo-
propheten Alexander von Abonuteichos identifizierte, dessen Wirken
Lucians Satire mit boshafter Übertreibung schildert.*) Mommsens
Deutung hat allgemeinen Beifall gefunden, auch Cumont hält an ihr
fest; ^) sie unterliegt jedoch gewissen Bedenken.
Während die draccena der mösi sehen Inschrift in dem von
Alexander begründeten Kulte kaum unterzubringen ist,^) wird die
*) dracce|nae Eph. u. CIL.
2) Epi|tynchanus Eph. u. CIL.
3) Octavi[aiii], CIL; posuit Eph. u. CIL.
*) Vgl. Gruppe, Griech. Myth. u. Rel. Gesch. II, 1487.
^) Alexandre d' Abonotichos. Un Episode de l'hist. du paganisme. Mem. cour. publ. par
r Acad.de Belg. XL, 1887, 7, 38; ebenso in Pauly-Wissowas RE V, 1635.
^) „dracaenae alibi mentio non fit", Mommsen Eph. u. CIL. Cumonts Erklärung
(Mem. 25), daß es in Abonuteichos schon vor Alexander einen — weiblichen? — Schlangen-
gott gegeben habe, dem der Prophet den seinen zugesellte, dürfte wohl nicht befriedigen.
— 252 —
männliclie Schlange gemeinhin für Glykon erklärt, den Schlangen-
gott, in dem sich nach Alexanders Verkündigung Asklepios mani-
festierte. Wir besitzen in der Tat Votivgaben für diesen Gott^),
aber er wird in ihnen mit dem ihm zukommenden Namen Glykon
genannt. Es ist nicht zu verstehen, warum gerade Epitynchanus von
dieser Übung abgesehen und den Namen des Gottes durch das farb-
lose dracco ersetzt hätte.
Den Herrn des Epitynchanus, den die Inschrift nennt, hat man
früher dem Furius Octavianus gleichgesetzt, einem mehrfach be-
zeugten Zeitgenossen der Severischen Dynastie. 2) Ulpian schrieb von
ihm in seinem Buche de officio praetoris tutelaris:^) Memini itaque
me suadfente] Alcimum libertum maternum Furi Octav[iani]
clarissimi viri p[raetorem in cura retinuisse], cum tutelam eius ad-
ministrasset necessariusque ad [res gerendas videretur]. Wie nicht
eben häufig, besitzen ^\dr für diese Juristenstelle einen epigraphischen
Beleg in einer Bauinschrift aus Ulpianum*): Amphilochii^). | Fortunae
aeter[n]ae domus Furianae | proc(uratores) ^j Furi Octaviani c(larissimi)
v(iri) Furius A[l]cimus, Pon|tius Uranius pecunia Octavianin[a] faci-
endum curaverunt. Eine dritte Inschrift, in der derselbe Mann schon
als Consular und Pontifex genannt wird, ist stadtrömischer Provenienz
(CIL VI 1423, vgl. p. 3141): Furiae L. f. Caeciliae matri piissimae
Furius Octavianus co(n)s(ul) pontif(exj fil(ius).
Ulpians Schrift de officio praetoris tutelaris ist unter Caracalla
(211 — 217) herausgegeben.^) Furius Octavianus ist demnach der Mann
gleichen Namens, den das Album von Canusium im Jahre 223 unter
den senatorischen Patronen registriert (CIL IX 338), und zwar ziemlich
vorne in der Reihe, woraus zu schließen, daß er schon in konsularischem
E-ange stand.
Da uns, wie gesagt, nur ein Senator Furius Octavianus bekannt
ist, lag es nahe, den vir clarissimus der Inschrift von BlaÖe eben für
diesen zu halten. Dem widersprechen v. Premerstein und Vulic.^) Ihr
Hauptargument ist die chronologische Ansetzung der Votivgabe.
Alexander von Abonuteichos mrkte zur Zeit des Kaisers Marc Aurel;
') CIL m 1021, 1022 ; vgl. Cumont Mem. 37 f., Drexler in Roschers Lexikon I, 1692.
-) Vgl. Dessau, Prosop. imp. Rom, II,. 100 u. 403.
^) Frgm. Vat. ed. Mommsen 220. Die Ausfüllung der Lücken rührt von Mommsen
her, das Cognomen Octav[ianus] hat schon Borghesi, Oeuvr. III, 121, ergänzt.
^) CIL in 8169 ; besser, nach einer Kopie Mortens, Jahresh. Beibl. VI, 1903, 28.
^) Das Signum des Octavianus.
^) procc. ist wahrscheinlicher als proc. C. Furi cet.
^) Jörs in Pauly-Wissowas RE V, 1453. 1508.
^) Jahresh. a. a. 0.
<
— 253 —
sein Tod erfolgte in den siebziger Jahren des zweiten Jahrhunderts i).
Daher kann der Senator aus der gens Furia, dessen Sklave Epi-
tynchanus war, nicht der um mindestens eine Generation jüngere
Konsular Furius .Octavianus sein, sondern dessen Vater. Nachdem
dieses Ergebnis gewonnen war, gelangten die beiden Gelehrten zu dem
Schlüsse, daß die Kopie Mortens, die nur die Form Octavi enthält, den
richtigen Namen gebe.
Dagegen läßt sich zunächst einwenden, daß der untere Teil des
Steines anscheinend am Rande lädiert war und daher von Morten
nicht vollständig kopiert werden konnte; in seinem Skizzenbuch fehlen
Buchstaben vom Namen des Ep[it]ynchanus wie von posu[it]. Es
wird daher auch bei [F]uri Octavi ein Ausfall am Schlüsse anzunehmen
sein, wobei am ehesten die Ligatur ^^ in Betracht käme. Denn es
ist mißlich, bloß auf Grund einer unvollständigen Abschrift einen sonst
unbekannten Senator Furius Octavius zu proponieren, während uns
Furius Octavianus mehrfach, und zwar gerade als Großgrundbesitzer
in der Gegend, in der Epitynchanus den Votivstein setzte, bezeugt ist.
Endlich nötigt die Aufstellung der beiden Forscher zur Annahme,
daß Furia Caecilia, die Mutter des Furius Octavianus, einen nahen
Verwandten und Gutsnachbarn geheiratet habe. Der Name Furius
Octavianus beweist jedoch keineswegs, daß der Vater dieses Mannes
gleichfalls der gens Furia angehörte, sondern gibt nur die abgekürzte ,
im täglichen Leben gebrauchte Nomenklatur, in welcher, wie viele
Beispiele aus der Kaiserzeit beweisen, nur das Gentile der Mutter,
beziehungsweise des mütterlichen Großvaters geführt werden konnte 2)
— zumal wenn die Mutter, wie dies bei Furia Caecilia wohl der Fall
war. den größeren Besitz in die Ehe mitgebracht hatte.
Nach alledem wird man ohne Bedenken in dem Herrn des
Sklaven Epitynchanus den reichen Senator Furius Octavianus erkennen
dürfen — vorausgesetzt, daß sich für den in der Inschrift neben
Göttern und halbgöttlichen Wesen genannten Alexander eine mögliche
Deutung ergibt^). Dies ist in der Tat der Fall.
Dio Cassius (LXXIX 10, 1 — 3) berichtet unter den Vorzeichen,
die in der Regierungszeit Elagabals die Nachfolge des Severus
^) Nach Cumont Mem. 52 um 171, nach Premerstein und Yuliö im J. 177.
2) Vgl. z. B. Hist. Aug. Marc. 1,9: Marcus Antoninus principio aevi sui nomen habuit
Catili Severi, materni proavi, ferner die Namen des späteren Kaisers Antoninus Pius, der
auf den Ziegeln nur Arrius Antoninus genannt wird, der Domitia Lucilla minor, der
jüngeren Faustina, des Q. Sosius Priscus cos. 169, des Terentius Gentianus cos. 211 u.v.a.
^) Es braucht kaum gesagt zu werden, daß an Severus Alexander nicht gedacht
werden kann. '
— 254 —
Alexander verkündigten, auch eines, das sich „in Obermösien und
Thrazien begeben habe": daljucov Tig, ^Ale^avÖQÖg xe ö MazeSiov ixelvog
Eivai Xiy(x>v y.al xh eiSog aurov rrjv xe oy^evrjv ärraoav (peQcov^ wQ/urjO-rj xe
i/C rmv TteQi rbv ^'Igtqov /w^/wv, o/;>t oiS^ o^cwg i-iielvrj sKcpaveig, xal ölo,
TE TTjg Mvalag^) y,al xr^g OQaycrjg dLe^Tjld-E ßaxxevojv /uex dvÖQcov xexqa-
y^oGLWv, S-vQGovg xe yial veßQidag sveaÄevaatnevcov, 'Aa/Jbv ovdev Sqcovxcov.
w/uoX6yrixo Se Ttaqh Tzdvxcov xcov Iv xf] Qq^atj xoxe yevof^ievwv on xal
7,axaycüyal xal xä tTtixrjdeLa auTtp rcdvxa Sifjf^oala TzaQea'Aevdad-ri' '/.al
ovöelg exoXjLiTjaev ovx^ dweiTtelv ol ovx^ dvxäQai^ ova d^yMv, ov oxqaxuo-
xrig ovyc STtlxQOTtog oux ol xcov ed-vüv fjyovf-ievoL^ dXl^ ioOTceq iv TzofXTzfj
XLVi (xed^ fj^eQav e/. TXQOQQtpEcog iyioinlad'ri jusxql xov BtXavvlov. svtev&ev
yaQ i^avax^elg TZQoaeoxß /^£v xfj Xak-Kv^dovia yfj ^ e'/.el de örj vuxTÖg le^d
TLva TTotrjöag '/,al Iltttcov S,vIlvov VMxaxcooag dcpavrjg syivexo. xavxa juiv
€v xfj ]AoLq i'xi^ (hg eiTcov^ cov, tvqIv ymI öxiovv TteQi xbv BaooLavbv iv xfj
"^PioiiTj yeviad-ai, i'^ad-ov.
Nichts nötigt uns, in diesen Bericht des zwar abergläubischen,
aber wahrheitsliebenden und korrekten Dio Zweifel zu setzen. Viel-
mehr liegt hier wohl einer jener in der Geschichte nicht allzu seltenen
Fälle vor, daß sich ein ekstatischer Schwärmer für die Inkarnation
einer früheren, mythisch gewordenen Persönlichkeit hält, deren Wieder-
kehr erwartet wird, und daß er durch seinen Glauben an sich selbst
auch die Massen mit fortreißt. Am wenigsten nimmt der Glaube an
das Wiedererscheinen des Großen Alexander Wunder. Franz Kampers
hat in seiner, auf ausgedehnter Literaturkenntnis beruhenden Schrift
„Alexander der Große und die Idee des Weltimperiums in Prophetie
und Sage "2) nachgewiesen, daß der uralte Glaube an die messianische
Erscheinung des königlichen Gottesmannes sich im Orient an Alexanders
Gestalt geheftet 3) und Jahrhunderte lang fascinierende Kraft bewahrt
hat. Ist doch sogar noch Napoleon von den Beduinen für den wieder-
erschienenen Iskender gehalten worden.*)
Ein neuerstandener Alexander, und zwar wie die Art des Auf-
tretens beweist, ein Alexander als Hypostase des Dionysos^), wird der
daifitov gewesen sein, der unter Elagabal, in einer politisch aufgeregten,
religiös erhitzten Zeit, die wenige Jahre vorher den ins Absurde ge-
steigerten Alexanderkult Caracallas erlebt hatte, auf mösischem und
thrazischem Boden erschien. Sein plötzliches Entrücktwerden erklärt
^) 'AoCag Hs., Mvoiag schon Bekker, ebenso ßoissevain.
^) Studien u. Darst. aus d. Gebiete der Geschichte hg, v. Grauert I, 2/3. 1901.
^) Vgl. auch Schrader-Zimmern-Winckler, Keilinschr. u. das Alte Testament, 121 f.,
380, Lehmann-Haupt, Klio III, 157, IV 111, 2.
*) Kampers 42.
^) Vgl. Kornemann, Klio I, 58. 70; Kern in Pauly-Wissowas RE V, 1039 f.
— 255 —
sich ohne Schwierigkeit. Die römischen Behörden, denen der Spuk
unbequem zu werden begann, mögen für das geräuschlose Verschwinden
Sorge getragen haben.
Die Gegend, in der „Alexander" sein Unwesen trieb, ist eben
jene, in der die Inschrift des Epitynchanus gefunden wurde; in Ober-
mösien lagen die großen Besitzungen der domus Furiana. Desgleichen
fällt die Stiftung der Votivgabe in dieselbe Zeit, der das Auftreten
des SaUaov angehört; im Jahre nach der Ermordung Elagabals (223)
ist Furius Octavianus als Senator bezeugt. Es läßt sich auch begreifen,
daß der Sklave, der für den abw^esenden Herrn in Scupi die Geschäfte
führte, vor dem rätselhaften Alexander und seinem Gefolge Besorg-
nisse hegte und ihn durch die Weihung eines Altars günstig zu
stimmen suchte, in dem der Name des Gottkönigs i) neben olympischen
Göttern und Wesen dämonischer Art genannt war.
Man könnte geneigt sein, diese letzteren gleichfalls mit Alexander
dem Großen in Beziehung zu setzen. Juppiter und dracco bieten
keine Schwierigkeit, da Juppiter als Zeus Ammon, dracco als die
Schlange gedeutet werden könnte, in deren Gestalt der Gott Olympias
beiwohnte^). Doch bezüglich der Juno ließe sich höchstens daran er-
innern, daß Kampers in dem „Religionsgespräch am Hofe der Sassa-
niden" Spuren einer Tradition erkennen will, derzufolge Hera oder
eine dieser gleichgesetzte orientalische Göttin als Mutter Alexanders
erscheint^). Endlich die weibliche Schlange ist in der Alexander-
prophetie meines Wissens ebensowenig unterzubringen, wie im Kult des
Asklepios Glykon. Ich möchte daher die Annahme vorziehen, daß die Zu-
sammenstellung der Gottheiten in unserem Yotivstein des einheitlichen
Charakters entbehrt und den vielen, in Inschriften der Kaiserzeit be-
gegnenden Götterreihen *) an die Seite zu stellen ist, in denen die Auswahl
entweder aus lokalen Rücksichten oder aus persönlichen Verhältnissen ab-
geleitet werden muß. Demnach wird man in dracco und draccena am wahr-
scheinlichsten Gestalten des mösischen Volksglaubens erblicken dürfen. &)
^) Daß sich der Kult Alexanders an gewissen Stätten bis in die nachantoninische Zeit er-
hielt, zeigt Le Bas -Waddington 57 (Erythrae), vgi.Kaerst, Gesch. d. hellenist. Zeitalters II, 388.
2j Ausfeld, Der griech. Alexanderroman, 1907, 127. Drexler bei Röscher III, 837 f.
Christensen N. Jb. f. d. kl. Alt. XII, 1909, 108. Mazedonische Provinzialmünzen aus der Zeit
des Severus Alexander stellen Olympias und die Schlange dar (Dressel, Abh. d. Berl. Akad. 1906,
S. 31 des Sep. Abdrucks).
») A.a.O. S 134.
^) Vgl. Wissowa, Eel. U.Kultus d. Römer, 77.
^) Vgl. Drexler in Roschers Lexikon I, 1692 f. Cumont bei Pauly- Wissowa V, 1634 f.
An die Schlangen, die den Genius des Hausherren und die Juno der Hausfrau symbolisieren
(Wissowa, Rel. u. Kult. 155), ist wohl nicht zu denken.
Die Dreiteilung der Provinz Dada.
Von
ANTON V. PREMERSTEIN.
Xach der Eroberung durch Trajan wird uns zum erstenmal unter
Hadrian in einem Militärdiplom vom J. 129 (unten S. 265, A. 3)
eine Teilung Daciens in zwei Verwaltungsgebiete, Dacia superior und
Dacia inferior, bezeugt i). An der Spitze des nördlichen Distrikts,
der Dacia superior, welche in der Hauptsache das heutige Siebenbürgen
umfaßte und die Hauptstadt der Provinz, Sarmizegetusa, sowie ihren
bedeutendsten Waffenplatz, das Lager der legio XIII gemina zu Apulum,
in sich schloß, stand der prätorische Legat von Dacia, der in den
Militärdiplomen aus den J. 157 und 158 (unten S. 263 , A. 1) als
Kommandierender der in Dacia superior liegenden Auxilien erscheint;
dem Legaten war, wie anderwärts, ein kaiserlicher Prokurator als
oberster Finanzbeamter beigegeben (unten S. 263, A. 1). Dagegen
wurde Dacia inferior, welches annähernd mit der sog. kleinen Walachei
zusammenfiel und nur mit Auxilien besetzt war, von einem präsidialen
Prokurator geleitet, der uns in dem Diplom vom J. 129 und in mehreren
Inschriften (unten S. 265, A. 28) als der Chef der Truppen von Dacia
inferior entgegentritt. Über sein Verhältnis zum Legaten liegt keine
ausdrückliche ÜberKeferung vor; indessen dürfte der Umstand, daß
zum Titel des legatiis Äugusti pro praetore provinciae Daciae niemals
der Beisatz superioris beschränkend hinzutritt, im Verein mit anderen
Erwägungen zugunsten der A^nnahme sprechen, daß der Prokurator
^) Tgl. dazu und zum folgenden Marquardt, St.-Yerw. I^, 308 ft'. ; A. v. Domaszewski,
Rhein. Mus. XL VIII (1893) 243 f.; Bonner Jahrb. CXVII (1908) 156; 164; J. Jung,
Fasten der Provinz Dacien (Innsbruck 1894) S. VI ; S. 1 ; 40 f. ; C. G. Brandis in Pauly-
Wissowas RE IV, 1970 f.; dazu Sp. 1972; 0. Hirschfeld, Verw.-Beamte - 377 mit A. 4;
N. Feliciani in E. de Ruggieros Diz. epigr. II, 1443. S. auch H. Kiepert, Formae orbis
antiqui XVII (dazu Text S. 3).
— 257 —
von Dacia inferior nicht vollkommen selbständig, sondern der Ober-
aufsicht des Legaten unterworfen war, der somit als Statthalter der
Gesamtprovinz zu gelten hat.
Das bereits erwähnte Militärdiplom vom 8. Juli 158 ist das
späteste datierte Zeugnis für ein zweigeteiltes Dacien. In der Folgezeit
trat eine einschneidende administrative Änderung ein, infolge deren
die Provinz in drei nach den Hauptorten genannte Sprengel zerfiel;
es waren dies Dacia Apulensis und Porolissensis, welche durch Teilung
der bisherigen Dacia superior in einen südlichen und nördlichen Distrikt
entstanden, sowie Dacia Malvensis, die bisherige Dacia inferior. Es ist
bisher nicht gelungen, dieses wichtige Ereignis, welches die herrschende
Meinung den ersten Regierungsjahren des Marcus zuweist (unten S. 261
mit A. 3) , mit Sicherheit zeitKch festzulegen und damit auch sein
Verhältnis zu anderen um die nämliche Zeit getroffenen Maßregeln,
der Verlegung einer zweiten Legion nach Dacien und der dadurch
bedingten Rangerhöhung des Gesamtstatthalters, der seit Marcus ein
Konsular war, ausreichend klarzustellen. Dies soll im folgenden ver-
sucht werden durch erneute Betrachtung des seit B. Borghesi^
wiederholt behandelten Bruchstückes eines von Antoninus Pius erteilten
Militärdiploms, welches auf dacischem Boden zu Damasna oberhalb
Mehadia gefunden ist und in der Antikensammlung des Wiener Hof-
museums aufbewahrt wird. Unter freundlicher Beihilfe des Beamten
am Hofmuseum, Herrn Dr. Julius Banko, habe ich im September 1908
Mommsens Kopie des Fragments (CIL III p. 886 n. XLIV) und dessen
Berichtigung einiger Lesarten (ebd. Suppl. p. 1990 n. LXX) am Original
nachprüfen können und beinahe in allen Einzelheiten (zu Innenseite Z. 13
Anf. s. unten S. 260 u. 263) bestätigt gefunden, so daß ich als Grundlage
für das folgende auf den Abdruck im Corpus und die dort (p. 886)
gegebene Umschrift hinweisen kann. 2)
Um das Militärdiplom für die oben gestellte Frage zu verwerten,
ist es vor allem nötig, seine Zeit zu bestimmen. Die Reste der Kaiser-
titulatur auf der Innenseite Z. 1 — 4, verbunden mit dem Datum a(nte)
d(iem) V k(alendas) Oct(ohres) (Außenseite Z. 7), zeigen sofort, daß das
Diplom von Antoninus Pius (138 — 7. März 161) am 27. September eines
der Jahre von 145 bis 160 erteilt wurde. Dagegen glückte es bisher
nicht, die nach Z. 7. 8 damals im Amte befindlichen Suffektkonsuln
{Sex. Calpurnio Ägricola Ti. Claudio luliano cos.) und damit das Diplom
^) Oeuvres III, 370 ff. Vgl. auch L. Eenier, Recueil de dipl. milit. 195 ff. n. 42.
.2) S. auch das Faksimile bei J. Arneth, Zwölf röm. Militärdiplome Tf. XXII n. IX;
Schriftprobe bei E. Hübner, Exempla scripturae epigr. p. 295 n. 845.
Wiener Eranos. 17
— 258 —
selbst einem bestimmten Jahre zuzuweisen i), was im folgenden unter-
nommen werden soll. Vorausgeschickt sei noch, daß nach der damaligen
Ordnung der Amtsfristen 2) das Konsulat des Agricola und lulianus
mindestens die beiden Monate September und Oktober umfaßt haben muß.
Für Sex. Calpurnius Agricola 3) ergibt sich der gesuchte Termin
ohne weiteres daraus, daß er dem Consul ord. des J. 159, M. Statins Priscus
Licinius Italiens*), in der Legation Britanniens, welche dieser im J. 161/2
bekleidete , nachgefolgt ist. Die Vita Marci 8, 8 berichtet : et ad-
versus Brittanos quidem Calpurnius Agricola missus est. Dies geschah,
wie die Stellung der Notiz in dem trefflichen sachlich-historischen
Exzerpt der Vita erkennen läßt, im J. 162, kurz vor oder gleichzeitig
mit der Abreise des Verus nach dem Osten, also zu derselben Zeit,
als M. Statins Priscus an Stelle des im J. 161 oder anfangs 162 im
Partherkriege umgekommenen M. Sedatius Severianus ^) das Kommando in
Kappadokien übernahm. Da Agricola demnach als Konsular rangjünger
war als der Consul ord. des J. 159, kann sein eigenes Suffektkonsulat,
welches nach dem Diplom noch unter Pius fällt, nur auf den Septem-
ber und Oktober entweder des J. 159 oder 160 angesetzt werden.
Dazu stimmt nun auch sein um das J. 168/9 zu datierendes Kommando
über die drei Legionen am Unterlauf der Donau, welches aus der In-
schrift CIL III S. 7505 (Dessau n. 2311) zu erschließen sein wird (unten
S. 268 , A. 4) ; Agricola war in dieser Stellung der (unmittelbare ?)
Nachfolger des M. Servilius Fabianus Maximus (Legat von Moesia in-
ferior im J. 162), dessen Konsulat in den Juli 158 fällt.
Die so gewonnene Datierung wird bestätigt und ergänzt durch
das, was über die Laufbahn des zweiten Konsuls, Ti. Claudius luli-
anus, überliefert ist. Dabei stellt sich zunächst heraus, daß mehrere
1
^) Nur vermutungsweise hat B. Borghesi in seinen Fasten das J. 158 angenommen;
vgl. L. Renier zu Oeuvres III, 379, 3; 472, 8.
'') Vgl. Mommsen, StR II'', 85 f.; B. Kubier in Pauly-Wissowas RE IV, 1128 f.
^) Über ihn E. Klebs, Prosopogr. I, p. 274 n. 196'; E. Groag in Pauly-Wissowas RE III,
1366 n. 18. Zur Legation Britanniens s. auch E, Napp, De rebus imp. M. Aurelio Antonino
in Oriente gestis (Bonn 1879) 55 mit A. 5; W. Liebenam, Forschungen zur Verw.-Gesch.
I, ICO, 2; 101.
^) Seine Laufbahn gibt die stadtrömische Ehreninschrift CIL VI 1523 (Dessau
n. 1092). Dazu E. Napp, a. a. 0. p. 55 f. ; 116 n. 41 ; J. Jung, a. a. 0. S. 11 If. n. 15 ; Dessau-
V. Rohden, Prosopogr. III, p. 269 n. 637. Zum Jlgianog vjiooxQärrjyog eines Exzerptes aus
Cassius Dio, der mit ihm nicht identisch sein kann, vgl. U. Ph. Boissevain zu Dio III, p. 290;
J.M.Heer, Philologus Suppl.-Bd. IX, 93; E.Ritterling, Rhein. Mus. LIX, 189, 4.
5) E. Ritterling, a. a. 0. S. 186 f. ; A. Stein in Pauly-Wissowas RE III, 1842 f. Eine
unedierte Ehreninschrift des Mannes wird erwähnt BGH XXXIII (1909) 26 f.
— 259 —
in der Prosopog-raphia imperii Romani i) getrennt angeführte Zeugnisse
für senatorische Träger des Namens Claudius lulianus, wie übrigens
schon seit langem vermutet wurde, mit Sicherheit auf eine und dieselbe
Persönlichkeit zu beziehen sind. Ti. Claudius lulianus war demnach
unter Antoninus Pius, wahrscheinlich nicht nach dem J. 146, Legat der
legio XI Claudia in Untermoesien (CIL III Suppl. 7474), sodann als Kon-
sular leg(atus) Aug(usti) pro prae(tore) von Germania inferior, als welcher
er auf einer Inschrift aus Bonna (CIL XIII 8036; Dessau n. 2907)
vom J. 160 und wohl auch noch unter Marcus und Verus in der Korre-
spondenz des Fronto (ad amicos I 5. 18, vgl. p. 187, 7 N.) erscheint.
Wegen der Inschrift von Bonna werden wir sein zugleich mit Agricola
bekleidetes Suifektkonsulat wohl auf den September und Oktober
159, nicht 160, ansetzen müssen; denn sonst hätte Claudianus noch im
Winter des J. 160 die Legation von üntergermanien antreten und die
in CIL XIII 8036 erwähnten Steinbrucharbeiten durchführen lassen
müssen, was wenig wahrscheinlich ist.
Das Diplom, welches wir nach dem Vorstehenden dem 27. Septem-
ber 159 zuweisen dürfen, führte drei Alen (Innenseite Z. 5 if.) und
zwölf Kohorten (ebd. Z. 7 ff.) namentlich an. Davon sind zwei Namen
von Alen, sieben von Kohorten teils vollständig, teils soweit erhalten, daß
sie mit Sicherheit ergänzt werden können. Nach dem von C. Cichorius
gesammelten MateriaP), welches seither meines Wissens nicht wesent-
lich vermehrt worden ist^), sind die meisten dieser Auxilien im zweiten
Jahrhundert n. Chr. als Kastellbesatzungen in Dacien, und zwar durch-
aus im äußersten Norden und Nordwesten der Provinz am dortigen
Limes (so in Alsö-Ilosva, Sebesvaralja, Magyar Egregy) nachweisbar,
also in jenem Distrikte, der nach der Dreiteilung der Provinz Dacia
1) I, p. 382 f. n. 718. 719. 726 ; E. Groag in Pauly-Wissowas RE III, 2726 f. n. 187.
188. 194. Vgl. auch J. lOein, Bonner Jahrb. LXXX (1885) 154 f. ; A. v. Domaszewskis
Note zu CIL III Suppl. 7474.
'') In Pauly-WissoAvas EE I (Artikel „Ala") 1245 f. ; 1268 (zu Z. 7, avo Cichorius
[et I Ttmgror(um) Fr]ont(oniana) ergänzt; anderer Meinung ist Jung, a. a. 0. S. 108);
ebenda IV (Artikel „Cohors", hier nach der Folge des Diploms zitiert) 295 f. ; 286 (zuZ. 9:
[I AeJ(ia)] gaesa(torum) (milliaria)\ 318; 263; 296 f. ; 299 f. ; 341.
^) Die cohors I Flavia Ulpia Hisjpanorum mill. {7a. 8) erscheint als ch(ors) I Hi-
sp(anorum) (milliaria) auch auf der in Ostgalizien gefundenen bronzenen Votivhand (Österr.
Jahreshefte VII [1904] Beibl. 149 ; dazu J. Zingerle, ebd. Sp. 155 f.). Dagegen möchte ich
die Ziegel aus Magyar Egregy CIL III Suppl. 8074, 18 mit Cichorius (IV, 296 f.) und gegen
E. Ritterling (Jahreshefte a. a. 0. Sp. 156, 22) auf die andere cohors I Hispatwrum des
vorliegenden Diploms (Z. 10) beziehen. Der nachmalige Gardepräfekt T. Furius Victorinus
ist nach seiner stadtromischen Ehreninschrift (Ch. Huelsen, Ausonia II "[1907] lOi.) prae-
fe(ctus) it/ae Frontcnianae (vgl. Diplom Z. 1) gewes^en.
17:::
— 260 —
Porolissensis hieß ^). Von den angeführten Truppenkörpern gehören
drei {cohors I Flavia ülpia Hispanorum mill. Z. 8 ; cohors I Hispanorum
Z. 10; cohors II Hispanorum scutata Cy[renaica] Z. 11) erweislich zum
alten Bestände der Okkupationstruppen Daciens, wo sie uns bereits auf
Denkmälern aus den J. 108 — 110 begegnen. Unter den übrigen war
die ala I Gallorum et Pannoniorum (catafractaria) (Z. 6) offenbar erst
kürzlich aus Moesia inferior, wo sie noch ein Diplom vom J. 134
erwähnt, herangezogen worden; desgleichen die im J. 114 in Pannonia
inferior stehende ala [I Tungrorum Fr] ont(oniana) (7a. 1) und die cohors 1
Augusta Nerv. (Z. 9), die jedenfalls mit der cohors 1 Augusta Nerviana velox
des Heeres von Mauretania Caesarensis (Diplom vom J. 107) 2) identisch
ist und wahrscheinlich mit den vexil(larii) Afri[c(ae)] et Mauretan(iae)
Caes(arensis)^ welche das oberdacische Diplom von J. 158 (unten S. 263,
A. 1) nennt, nach der Provinz gekommen war. Auch die oben erwähnte
cohors II Hisp. scutata Cyren. hatte früher (J. 108) zu Werschetz im
Banat im Süden Daciens gestanden, bevor sie nach dem Norden (Sebes-
varalja) verlegt wurde. Man gewinnt aus diesen Daten den Eindruck,
daß um die Mitte des zweiten Jahrhunderts die Besatzungen gerade
im Norden der Provinz durch neue Zuschübe verstärkt wurden.
Aus der Beobachtung, daß die in dem Diplom aufgezählten Auxi-
lien im Norden und Nordwesten der Provinz Dacien stationiert waren^
ergibt sich nun auch die Antwort auf die Frage, welcher Provinz-
name auf der Innenseite Z. 13 zu ergänzen ist. Erhalten sind von
ihm nur die Peste EN. Mommsen (CIL III, p. 1990) bemerkt dazu
allerdings: „ante EN, quod certum est, potest fuisse D" ; doch ver-
mochte ich bei meiner Nachvergleichung keine irgendwie sicheren Spuren
dieses letzteren Buchstaben wahrzunehmen.
Nach dem Vorgang des ersten Herausgebers, Gazzera, schlug
B. Borghesi^) als Ergänzung von Z. 12 f. vor: et sunt [in et
') Vgl. auch die Zusammenstellung der in Dacien stehenden Auxilia und ihrer Stationen
bei J. Jung, a. a. 0. S. 104 if., der S. 134 if. ausführlich über die Kohortenlager im nördlichen
Dacien handelt; dazu E. Sehmsdorf, Die Germanen in den Balkanländern (Leipzig 1899)
69 ff. ; N. Feliciani in E. de Euggieros Diz. epigr. II, 1450 f. Unbekannt sind bisher die
dacischen Garnisonen der ala I Gallorum et Pannoniorum (Z. 6) und der Kohorten
/ Augusta Nerviana (Z. 9; s. unten) und / Ulpia Brittonum mill. (Z. 10; vgl. Außen-
seite Z. 9).
2) Cichorius, a. a. 0. IV, 318.
^) Oeuvres III, 370 ff., bes. p. 373 ff. ; VIII, 201 ; X, 60 mit A. 5 ; vgl. auch zu CIL
X 4860, 61. Dagegen W. Henzen, Annali dell' Inst. 1855, p. 31 Anm. ; derselbe zu Borghesi,
Oeuvres III , 373, 1. 3; Heron de Villefosse zu Borghesi X, 60, 5; Paul Meyer, Hermes
XXXII (1897) 225; W. Liebenam, Forschungen zur Verw.-Gesch. I, 137 f., 4. Borghesi selbst
hat seine Ansicht später zugunsten der Henzenschen aufgegeben, Oeuvres VIII, 472; 483.
— 261 —
Cyrjen. siih Macrinio [Vmdice] und sah in Macrinius, welchen er mit
dem im J. 172 als Praefectus praetorio gegen die Markomannen ge-
fallenen M. Macrinius Yindex identifizierte, den damaligen Praefectus
Aegypti, der in der Nachbarprovinz Kyrene Krieg zu führen hatte.
Abgesehen von zwei noch unten zu erörternden Einwänden, wird diese
Vermutung jetzt schon dadurch hinfällig, daß im Herbst des J. 159,
in welchen unser Diplom gehört, nicht ein Macrinius, sondern höchst
w^ahr scheinlich T. Furius Victorinus Präfekt von Ägypten gewesen ist^).
Im Gegensatze zu Borghesi hat W. Henzen 2) auf Grund der
Erkenntnis, daß einige von den Truppenkörpern nach dem Diplom vom
J. 157 in Dacien standen, mit Recht an diese Provinz gedacht; nur
stimmt seine Ergänzung et sunt [in Dada Apnljen(si) oder Malvjen(si)
nicht zu den anderweitig bekannten Garnisonsorten, welche vielmehr
auf die Dacia Porolissensis hinweisen.
Henzens Annahme, nach welcher die Dreiteilung Daciens bereits
unter Pius durchgeführt war, vermochte nicht durchzudringen, zumal
ein neugefundenes Militärdiplom aus dem Ende dieser Regierung, vom
8. Juli 158, ein unumstößliches Zeugnis dafür bot, daß wenigstens
damals die Einteilung in Dacia superior und inferior noch bestand.
Man glaubte daher die neue Organisation, welche man im Cursus
honorum des M. Claudius Fronto (s. unten S. 268, A. 4) zum erstenmal
etwa für die J. 168/170 ausdrücklich bezeugt fand, in die Zeit des
Marcus verlegen zu sollen und brachte sie in ursächliche und zeitliche
Beziehung zu der sicher erst nach dem Partherkriege, also nicht vor
J. 166, erfolgten Verlegung einer zweiten Legion, der V Macedonica,
aus Troesmis (Moesia inferior) nach Dacien und der dadurch bedingten
Rangerhöhung des dacischen Legaten. ^j
*) Vgl. L. Cantarelli, La serie dei prefetti d'Egitto I (Memorie dell' Accad. dei Lincei
ser. 5, scienze morali XII, 1906), 95 f. n. 49 ; Ch. Huelsen, Ausonia II (1907) 73.
2) Annali dell' Inst. 1855, p. 31 f. , 2: vgl. auch oben S. 260, A. 3. Ihm stimmen
außer Borghesi (oben S. 260, A. 3) bei L. Eenier, Recueil de dipl. mil. p. 195 ff. n. 42;
Heron de Villefosse, a. a. 0. ; H. Dessau, Prosopogr. II, p. 313 n. 15. Auch C. Cichorius hat
an den oben (S. 259, A. 2) angeführten Stellen der Artikel „Ala" und „Cohors" in Pauly-
Wissowas RE das Diplom für Dacien verwertet. E. Keil, De Thracum auxiliis (Berlin 1885)
13 f. hält den hier genannten Macrinius für identisch mit dem M. Macrinius Avitus Catonius
Vindex jproc(urator) prov(inciae) Daciae Malv(ensis) (CIL VI 1449 = Dessau n. 1107);
dagegen J. Jung, a. a. 0. S. 11 zu n. 14; S. 42 zu n. 4. Avitus hat indessen Dacia
Malvensis erst im germanisch-sarmatischen Kriege des Marcus (.T. 169 — 175) verwaltet; vgl.
über ihn A. v. Domaszewski, Neue Heidelberger Jahrb. VI (1896) 128 ; Marcus-Säule, Text-
band 114; E. Ritterling, Arch.-epigr. Mitt. XX (1897) 30 zu n. X; A. Stein in Pauly-Wissowas
RE III, 1850 f.
^) Vgl. Marquardt, St.-Verw. I'^ 309 f.; Mommsen, CIL III, p. 160; A. v. Domaszewski,
Rhein. Mus. XLVIII (1893) 244; Neue Heidelb. Jahrb. V (1895) 110 (vgl. S. 117 mit A.3);
— 262 —
Von dieser neueren Kombination ausgehend, verwarf J. Jung i) die
Annahme, daß in Z. 13 einer der auf -en(sis) ausgehenden dacischen
Distrikte genannt war. Wie er vermutet , könnte man nach Analogie
des Militärdiploms vom 1. August löO^), demzufolge Auxilien aus Pannonia
superior und inferior zum Maurenkriege nach Mauretania Caesarensis
abkommandiert waren , an eine zeitweilige Abordnung von dacischen
Hilfstruppen oder Teilen derselben ebendorthin denken, so daß zu er-
gänzen wäre: et sunt [in Mauretania Caesar] en(si). Dieser Annahme,
wie der früher angeführten Borghesi's, steht jedoch zunächst entgegen,
daß eine derartige umfangreiche Abkommandierung, von welcher drei
Alen und zwölf Kohorten betroffen gewesen wären, noch dazu aus einem
und demselben enger begrenzten Gebiete des nördlichen Daciens und
gerade im J. 159, wo dieser Teil der Provinz selbst von Feinden bedroht
war (s. unten S. 264), sehr geringe Wahrscheinlichkeit hat. Geradezu
das Umgekehrte ergibt sich aus dem Diplom vom 8. Juli 158 (s. unten
S. 263, A. 1), wonach damals Vexillationen aus Afrika und Mauretania
Caesarensis in Dacia superior standen (unten S. 264, A. 1). Dazu kommt
aber noch ein formales Bedenken. Der Passus der Militär diplome
et sunt in (illa provincia) suh (illo) gibt, soweit unser Material reicht,
stets den Bereich der ständigen Garnison und dessen Höchstkomman-
dierenden an. Dies gilt insbesondere auch von dem soeben er-
wähnten, der gleichen Zeit angehörigen Diplom aus dem J. 150; der
Umstand, daß die Angehörigen der darin genannten Truppenkörper
nach einer anderen Provinz entsendet waren und nicht von ihrem
ordentlichen Kommandanten entlassen wurden, kommt korrekterweise
durch einen besonderen Beisatz zum Ausdruck: d[i]m[iss(is)] hfojnesta
miss(ione) per Porcium Vetiis [tin] um proc(uratorcm) ^ cum essent in ex-
pedition(e) Mauretanßae) Caesarens(is) ^). Eine ähnliche Formulierung
J. Jung, a. a. 0. 17 f. ; C. G. Brandis in Pauly-Wissowas RE IV, 1971 ; B. Filow, Die Legionen
der Provinz Moesia, Klio, Beiheft VI (1906) 56 mit A. 5 (dazu S. 77 f.) ; N. Feliciani in
E. de Ruggieros Diz. epigr. II, 1443 f. S. auch H. van de Weerd, Etüde historique sur trois
legions rom. du Bas-Danube (Löwen 1907) 38 ff.; 87; 89.
*) In seinem für die römische Verwaltungsgeschichte wichtigen Buche : Fasten der
Provinz Dacien 10 f. n. 14 ; vgl. auch S. 42 zu n. 4.
2) CIL III Suppl. p. 2213 n. C; dazu E. Bormann, Arch.-epigr. Mitt. XVI (1893) 229 ff.
^) Vgl. auch das Diplom Trajans vom J. 113 oder 114 (CIL III Suppl. p. 1975 n.
XXXIX). Keine Instanz gegen die oben vorgetragene Deutung des Passus et sunt usw. bildet
das Diplom CIL III Suppl. p. 1960 n. XIV (Dessau n. 1995) vom J. 82. Die hier im Anschluß
an obergermanische Auxilien aufgeführten Truppenkörper, quae sunt in Moesia suh C. Vettu-
leno Civica Ceriale , waren nämlich icht etwa bloß zeitweilig vom obergermanischen
Exercitus detachiert, sondern übergingen dauernd in den moesischen Heeresverband; vgl.
C. Cichorius in Pauly-Wissowas RE I, 1238; IV, 289 f. ; 302. Ihre entlassenen Angehörigen
erscheinen hier offenbar nur deshalb zusammen mit Auxiliaren ihres früheren Exercitus,
— 263 —
wäre, wenn wirklich eine Abordnung dacischer Auxilien nach auswärts
vorläge, auch in unserem Diplom zu erwarten.
Xach alledem bleibt nichts anderes übrig, als in der Lücke Z. 13
Dacien, und zwar seinen nördlichen Distrikt als ständigen Garnisons-
bereich, d. h. also, da der abgekürzte Provinzname auf en auslauten muß,
die Porolissensis einzusetzen. Die mit Notwendigkeit sich ergebende
Ergänzung von Z. 12 f. et sunt [in Dada Poroliss] en(si) sub Macrinio
[Cognomen] füllt genau den zur Verfügung stehenden Raum; eine Yer-
gleichung des Originals lehrt, daß das S vor dem erhaltenen EN zwar
keine Spur zurücklassen hat, wohl aber nach der Beschaffenheit der
schmalen leeren Stelle zu Anfang von Z. 13 durchaus möglich erscheint.
Damit haben wir das früheste datierte Zeugnis für die Dreiteilung
Daciens gewonnen.
Das Militärdiplom vom 8. Juli 158^) setzt, wie schon erwähnt,
noch ein zweiteiliges Dacien voraus, indem es den Legaten Statins Priscus
als Kommandierenden in Dacia superior nennt. Demnach ist die Neu-
organisation der Provinz zwischen dem 8. Juli 158 und dem
27. September 159 offiziell ins Leben getreten. Damit entfällt jede
Möglichkeit, diese Dreiteilung mit der erst nach dem Partherkriege
erfolgten Verlegung einer zweiten Legion nach dem nördlichen Dacien
und der damit verbundenen Rangerhöhung des Statthalters in unmittel-
baren Zusammenhang zu bringen.
Die Abtrennung eines neuen Distriktes im Norden, der Dacia
Porolissensis, hängt jedenfalls, wie schon oben (S. 260) angedeutet ^\Tirde,
mit einer Verstärkung der Besatzungsarmee in diesem Gebiete zusammen,
welche offenbar durch die Erfahrungen veranlaßt war , die man un-
mittelbar zuvor unter der Statthalterschaft des Statins Priscus, etwa
in den J. 157 und 158, in Kämpfen gegen die nördlich von der Provinz
weü sie sich vor ihrer Versetzung nach Moesien zugleich mit diesen bei kriegerischen Er-
eignissen bewährt hatten , wofür eben die Bürgerrechts Verleihung durch Eintragung auf
ehernen Tafeln die Belohnung ist (vgl. A. v. Domaszewski, Bonner Jahrb. CXVII [1908] 75, 2).
^) CIL III Suppl. p. 1989 n. LXVII (Dessau n. 2006): qui sunt . . . in Dacia
super(iore) et sunt sub Statio Prisco leg(ato). Danach ist auch der Provinzname in dem
Diplom vom 43. Dezember 157 (CIL III Suppl. p. 1989 n. LXVI) Z. 12 ergänzt. — In die
allerletzte Zeit des zweigeteilten Daciens fällt die Wirksamkeit des T. Desticius Severus als
proc(urator) Aug(usti) jprov(inciae) Daciae superior(is), der darauf zunächst Prokurator
Kappadokiens, dann Eaetiens wurde (CIL V, 8660 = Dessau n. 1364) und in letzterer SteUung
für das J. 166 bezeugt ist; vgl. H. Dessau, Prosopogr. II, p. 8 n. 50; Jung, a. a. 0. S. 40f.n.3;
80 ; A. Stein in Pauly-Wissowas RE V, 254 n. 5 ; A. v. Domaszewski, Bonner Jahrb. CXVII (1908)
217. — In die spätere Zeit des Pius gehört jedenfalls auch die Erwähnung der Kolonie
Traiana Sarmizr-getusensium ex Dacia superiore in der Ehreninschrift des Zollpächters
Julius Capito (CIL III 753 = Suppl. 7429; Dessau n. 1465), welcher in dieser Eigenschaft
noch unter den dici fraires erscheint (CIL III 751 = Suppl. 7434; Dessau n. 1855).
— 264 —
sitzenden sogenannten freien Daker gemacht hatte, i) Doch wurden
in den nengebildeten Sprengel nur Auxilien gelegt. Die legio V Mace-
donica, welche späterhin (seit etwa 166; s. unten S. 268) nach Dacia
Porolissensis versetzt ^^nirde. stand in den J. 158 — 162, bis zu ihrem
Auszug in den Partherkrieg, nachweislich unter dem Legaten von
Moesia inferior in ihrem bisherigen Lager zu Troesmis^). An eine
Veränderung ihrer Garnison war vorderhand mit Rücksicht auf die
Lage im Orient, wo in den letzten Jahren des Pius beständig Kriegs-
gefahr drohte ^) , kaum zu denken ; sicherlich war schon damals in
Aussicht genommen, daß sie als die unter den Donaulegionen dem
Kriegsschauplatz nächste im Bedarfsfalle sofort nach dem Osten auf-
brechen sollte.*) So erklärt sich denn auch, daß der Norddistrikt Daciens
^) Kämpfe gegen die nicht unterworfenen Dakerstämme (über sie C. G. Brandis in
Pauly-Wissowas RE IV, 1975) unter Antoninus Pius erwähnen ohne nähere Zeitbestimmung
die Vita Pii 5, 4 : et Germanos et Dacos et midtas gentes . . . contudit jper praesides ac
legatos ; Polyainos strateg. VI praef . (p. 277 ed. Woelfflin ^) : reziöv jieTixoixÖToyv ; Oracula
Sibyll. XII 180 f. {f^eydXovg Adxag). Sie fallen zum Teil, wie es scheint, bereits in seine
ersten Regierungsjahre; in der Rede sig ^Poi^irjv, welche der smymäische Sophist Aelius
Aristides anläßlich seines römischen Aufenthaltes im ersten Krankheitsjahre», d. h. (nach
den Darlegungen R. Eggers, Österr. Jahreshefte IX, Beibl. 71 if.) im .1.143, gehalten haben
dürfte , spricht dieser von gelegentlichen Zusammenstößen an den äußersten Grenzen des
Reiches, herbeigeführt u.a. dfisxQrjxco naqavoia Ferojv (or. XXVI §70, II p. 111, 9 ff.
ed. B. Keil ; dazu Keils Zusatz p. 471). Sicher aber sind unter dem Legaten Statins Priscus
Kriege an der Nordgrenze Daciens geführt worden; vgl. CIL III 1416 (angeführt von
P. V. Rohden in Pauly-Wissowas RE II, 2507); CIL III 1061 (Dessau n. 4006, vom
J. 158). Auf kriegerische Verwicklungen deutet auch die Anwesenheit der vexil(larn)
Afn[c(ae)] et Mauret(aniae) Caes(arensis) , qui sunt cum Mauris gentilih(us) in
Dada super(iore) nach dem Diplom vom 8. Juli 158 (oben S. 263, A. 1). Wenn A. v. Do-
maszewskis (Bonner Jahrb. CXVII, 1908, S. 75, 2) Annahme zutrifft, daß die in den Militär-
diplomen vorliegende Form der Bürgerrechtsverleihung an ausgediente Auxiliare durch Ein-
tragung auf bronzene Tafeln eine Auszeichnung oh virtutem bedeutet und immer die Folge
kriegerischer Ereignisse ist (vgl. oben S. 263, A. 20), so sind die drei dacischen Diplome
aus den J. 157 — 159 für Angehörige von Tiuppen ausgestellt, die sich in den eben er-
wähnten Kämpfen hervorgetan hatten.
^) CIL III 6169 (Troesmis) : [p]ro sal(ute) imp(eratorum) Ant(onini) et Verl
Aug(ustorum), leg(ionis) VMac(edonicae), lalli Bassi leg(ati) Äug(usti) pr(a) pr(aetore),
Marti Verl le[g(ati)] Äug(usti) P. Atl(ius) Quintianus Magni fil(ius) (centurio) leg(ionis)
V M(acedonicae). M. lallius Bassus Fabius Valerianus war Legat von Moesia inferior im
J. 161 und Anfang 162, wo er als Comes des Verus zum Partherkrieg berufen Avurde ;
vgl. H. Dessau, Prosopogr. II, p. 150n. 2; A.Stein in Pauly-Wissowas RE III , 1844. S. auch
H. van de Weerd, a. ä. 0. p. 39 ff.
^) Vita Marci 8, 6 : Parthicum bellum . . . paratum suh Pio ; CIL IX 2457 ; dazu
A. Stein in Pauly-Wissowas RE III, 1840 f.
*) Zur Teilnahme der gesamten legio V Macedonica am Partherkriege s. A. Stein,
a. a. 0. Sp. 1845 ; E. Ritterling, Rhein. Mus. LIX, 193 ff.
— 265 —
nicht von dem späteren Hauptquartier der legio V Macedonica, Potaissa,
sondern von dem vorgeschobenen Auxilienlager Porolissum im äußersten
Norden, welches damals offenbar der Hauptwaffenplatz war, seinen
Namen erhielt.
In Übereinstimmung damit, daß auch im dreigeteilten Dacien
anfänglich nur eine Legion, die XIII gemina zu Apulum, vorhanden
war, ist zunächst keine Rangerhöhung des Statthalters der Gesamt-
provinz erfolgt. P. Furius Saturninus, der noch nach dem Regierungs-
antritt des Marcus und Verus (7. März 161) hier als legatus Äugustorum
pro praetore fungierte, hat die Provinz als Prätorier erhalten und
wurde erst während seiner Legation zum Konsul designiert. ^j
Für die Dacia Porolissensis im besonderen ist während der ersten
Jahre ihres Bestandes (bis etwa 166, s. unten S. 268), solange nur
Auxilien dort lagen, die nämliche Form der Verwaltung durch einen
präsidialen, aber dem Gesamtstatthalter untergeordneten Prokurator
anzunehmen, welche uns in der gleichfalls nur von Nichtbürgertruppen
besetzten Dacia inferior, nunmehr Dacia Malvensis, entgegentritt. 2)
Ähnlich wie in dem Diplom für die dortigen Truppen vom J. 129 ^j,
wird auch in der vorliegenden Urkunde unter den Worten suh Macrinio
[Cognomen] nicht der Legat des gesamten Daciens, sondern dieser dem
Ritterstande angehörige Unterstatthalter zu verstehen sein. Nichts steht
der Vermutung im Wege, daß der hier Genannte identisch ist mit dem
M. Macrinius Vindex, der etwa in den Jahren 168/9—172 als Kollege
des M. Bassaeus Rufus Gardepräfekt war.*) Zu letzterem Datum würde,
da um die Mitte des zweiten Jahrhunderts in den ritterlichen Karrieren
der zeitliche Abstand von den untersten Offiziersstellen bis zur Garde-
1) Napp, a. a. 0. p. 73 f.; Jung, a. a. 0. S. 14 f. n. 16; Prosopogr. II, p. 101 f. n. 407.
Die auf ihn bezügliche Inschrift CIL III 1412 = Suppl. 7902 jetzt auch bei Dessau n. 7155.
2) Vgl. A. V. Domaszewski, Rhein. Mus. XLVm (1893) 243 f. ; C. G. Brandis in Pauly-
Wissowas RE IV, 1970 f. S. auch oben S. 256.
^) CIL III p. 876 n. XXXIII = Suppl. p. 1977 n. XL VI: sunt in Dada imferiore
(so) suh Plautio Caesiano; letzterer ist wohl identisch mit dem gleichnamigen Prokurator
von Noricum (CIL III 5177). Vgl. Jung, a. a. 0. S. 6 n. 5 ; Prosopogr. III, p. 45 n. 349. 350.
Aus den J. 137 und 138 stammen mehrere Dedikationen von Truppenkörpern der Dacia
inferior sub T. Fl(avio) Constanie 2>roc(uratore) AugCusti) , CIL III, Suppl. 12601 a
und b (dazu 13793; 13794); 13795; vgl. Gr. G. Tocilescu, Arch.-epigr. Äütt. XVII
(1894) 224 ff.
'*) Zu diesem Prosopogr. II, p. 313 f. n. 19; dazu A. v. Domaszewski, Neue Heidelb.
Jahrb. V (1895) 117; 124, 5; VI (1896) 128; E.Ritterling, Arch.-epigr. Mitt. XX (1897)
30 zu n. X mit A. 71. Eine Gleichsetzung mit dem P. Macrinius Macer proc(urator) Augg.
(CIL III 1310 = Suppl. 12563 aus Zalatna in Dacia Apulensis) hätte wenig Wahrscheinlichkeit.
— 266 —
präfektur in der Regel etwa zwanzig Jahre betrug i), die zehn Jahre
vorher bekleidete Prokuratur der Dacia Porolissensis, die dem Range
nach wohl eine centenaria gewesen sein wird, sehr gut passen. Die
Ergänzung von Z. 13 f. suh Macrinio [ Vindice proc(uratore) , qui]nq(iie)
et vigint(i) stip(endis) usw. füllt gerade den verfügbaren Raum.
Eine Änderung in diesen Verwaltungsverhältnissen ist erst in
den Anfängen des germanisch-sarmatischen Krieges unter Marcus ein-
getreten. Bisher hat man wohl allgemein den M. Claudius Fronto
(s. unten S. 268, A.4) für den ersten uns bekannten konsularischen Statt-
halter der tres Daciae gehalten. Indessen läßt sich ein noch früherer
Träger dieser Funktion nachweisen in der Person des L. Aemilius
L. f. Cam. Carus^). Nach dem Zeugnis seiner stadtrömischen Ehren-
inschrift CIL VI 1333 (Dessau n. 1077), welche vor seiner dacischen
Legation gesetzt ist, war dieser in den xVnfängen seiner Laufbahn
trih(unus) militum leg(ionis) Villi Hispanae gewesen, einer Truppe, die
aller Wahrscheinlichkeit nach bereits unter Hadrian im britannischen
Feldzuge des J. 119/120 untergegangen ist 2). Nach Eintritt in den
Senat und nach erreichter Prätur wurde er Legat der untergermanischen
Legion XXX ülpia victrix (dazu CIL XIII 8197), sodann nacheinander
curafor viae Flaminiae, leg(atus) Äug(usti) i)r(o) pr(aetore) provinciae
Ärahiac, als welcher er nach einem seit der zweiten Hälfte des ersten
Jahrhunderts bei den prätorischen Legaten kaiserlicher Provinzen
allgemein zu beobachtenden Brauche*) zum Konsul (suffectus) designiert
ward. Als Konsular war er zuerst legatus Aug. pr(o) pr(aetore) censitor
provinciae Lugdunensis, dann leg(atus) Äug(usti) pr(o) pr(aetore) provinciae
Cappadociae.
Die schon von Borghesi^) vorgeschlagene Ansetzung der prä-
torischen liCgation des Aemilius Carus in Arabia, aus welcher auch
die von ihm errichtete Dedikation CIL III Suppl. 14149 ^ (Dessau
n. 3013) stammt, unter Antoninus Pius wdrd jetzt durch eine Inschrift
^) Vgl. die Tabelle bei Ch. Hiielsen, Ausonia II (1907) 75 und dazu p. 74.
^) Über seine Ämterlaufbahn s. Jung, a. a. 0. S. 20 f. n. 22, wo die ältere Literatur
zitiert wird; ebd. S. 101 n. 2; R. Heberdey, Arch.-epigr. Mitt. XIII (1890) 188, 3; E. Klebs,
Prosopogr. I, p. 27 n. 219; P. v.Rohden in Pauly-AVissowas RE I, 548 f. n. 38; dazu E. Groag,
ebd. Suppl. I, 17 n. 38.
^) E. Hübner zu CIL VII 241; Hermes XVI, 537; Mommsen, Rom. Gesch. V, 171, 2;
P. Trommsdorff, Quaest. duae ad hist. legionum Rom. spectantes (Diss. Leipzig 1896) 86;
R. Cagnat in Daremberg-Saglios Dict. des ant. III, 2, p. 1084 mit A. 52; AV. Weber, Lnters.
zur Gesch. des Kaisers Hadrianus 110 f.
') E. Ritterling, Arch.-epigr. Mitt. XX, 12 f.
5) Oeuvres IV, 159.
— 267 —
aus Gerasa^) gesichert. Als äußerster Terminus ante quem für sie
und die Designation zum Konsulat muß das J. 162 gelten, in welchem
P. lulius Geminius Marcianus Arabia verwaltete 2). Die konsularische
Statthalterschaft von Cappadocia kann Aemilius Carus entweder als
(unmittelbarer) Vorgänger des M. Sedatius Severianus lulius Rufinus,
der die Provinz zu Ende der Regierung des Pius innehatte und im
J. 161 oder Anfang 162 im Partherkriege umkam 3), versehen haben,
oder, was mich freilich minder w^ahrscheinlich dünkt, als nächster
Nachfolger des M. Statins Priscus Licinius Italiens (cos. ord. J. 159;
in Kappadokien für 162/3 bezeugt; s. oben S. 258), so daß er in die
Lücke ■^) zwischen diesem und dem im J. 166 zum Konsulat gelangten,
als Legat von Cappadocia erst seit etwa 172 nachweisbaren^) P. Martins
Verus eintreten würde.
Erst nach der Statthalterschaft Kappadokiens, welche die stadt-
römische Inschrift als spätestes Amt aufführt, ist L. Aemilius Carus
legatus Aug(usti) 111 Daciarum gewesen, als welcher er in drei von
ihm selbst gesetzten Inschriften 0) erscheint. Diese Funktion liegt
zwischen dem J. 161, in welchem Dacien noch einem prätorischen
Legaten (P. Furius Saturninus; oben S. 265) unterstand, und dem
J. 177; letzterer Termin ergibt sich daraus, daß Carus spätestens im
J. 162 Consul suffectus war und die normale konsularische Ämterlauf-
bahn damals nach längstens fünfzehn Jahren — mit dem Termin
für das Prokonsulat von Asia oder Africa — abzuschließen pflegte.
Da nun Carus spätestens im J. 162, dagegen M. Claudius Fronto erst
gegen Ende des Partherkrieges, etwa J. 164/6, zum Konsulat gelangte,
muß die Verwaltung der tres Daciae durch den ersteren unbedingt
früher fallen "') als die Legation Frontos, der nach seiner stadtrömischen
Ehren Inschrift (s. u.) zur Zeit des germanisch-sarmatischen Krieges als
^) Inscr, Graecae ad res Rom. pert, III, n. 1364; dazu die Anm. zu CIL III, Suppl.
14149 ^
'') CIL III, Suppl. 14177; dazu E. Ritterling, Rhein. Mus. LIX, 194. Vgl. Prosopogr. II,
p. 194 f. n. 227.
3) E. Ritterling, a. a. 0. S. 186 f. S. oben S. 258, A. 5.
*) Vgl. A. Stein in Pauly-Wissowas RE III, 1843 ; E. Ritterling, a. a. 0. S. 193.
Unrichtig Prosopogr. III, p. 270 zu n. 637.
^) Cassius Dio LXXI 14, 2; dazu Prosopogr. II, p. 351 zu n. 261 ; III, p. 325 n. 178.
«) CIL III 1153; 1415; Suppl. 7771 (= Dessau n. 4398).
^) Gegen ihre Ansetzung unter die Samtherrschaft des Marcus und Verus kann
keinesfalls eingewendet werden, daß Aemilius Carus sich in seinen drei dacischen Inschriften
(oben Anm. 6) als legatus Aug. , nicht Augg. bezeichnet; vgl. z. B. CIL III 6169
(oben S. 264, A. 2) und die Zusammenstellung bei E. Ritterling, Arch.-epigr. Mitt. XX
(1897) 25, 61.
— 268 —
Legat von Obermoesien im J. 168/9 zugleich in einem Teile Daciens,
der Dacia Apnlensis, sodann in den Jahren 169 — 170 in den tres Daciae
(zuletzt wieder in Verbindung mit Moesia superior) kommandiert hat.
Die Voraussetzung für die Rangerhöhung der Legation Daciens
war, wie allgemein zugestanden wird, die Verlegung einer zweiten
Legion in diese Provinz. Die im J. 162 von Troesmis aus (s. oben S. 264)
in den Partherkrieg ausgezogene legio V Macedonica kann kaum vor
dem Friedensschluß im J. 166 nach dem Westen zurückgekehrt sein,
wo sie dann sofort ihr neues Lager zu Potaissa in der Dacia Poro-
lissensis bezogen haben wird^). Diese Maßregel war durch die damalige
kritische Lage der Provinz gefordert, welche die Barbaren bereits
im Frühsommer des J. 167 bedrohten 2). Fortan führte ein Konsular,
als erster wohl L. Aemilius Carus in den Jahren 166/7, mit dem Sitze
in Apulum das Kommando über Dacien und seine zwei Legionen, die
XIII gemina und die V Macedonica. Ihm unterstanden der prätorische
Legat der V Macedonica zu Potaissa, der vermutlich an Stelle des
präsidialen Prokurators, welchen wir für die Jahre 158/9 — 166 annehmen
mußten, die Verwaltung der Dacia Porolissensis übernahm, und der
Prokurator von Dacia Malvensis, beide wohl mit den Befugnissen von
Unterstatthaltern ausgestattet ^j, während die Prokuratoren der Apulensis
und Porolissensis bloße Finanzbeamte waren. Auf die schon oben
kurz berührten , ausnahmsweisen administrativen Maßnahmen , welche
sich aus der stadtrömischen Ehreninschrift des M. Claudius Fronto*)
für die Jahre 168 — 170 erschließen lassen und durch die Not des
^) Das früheste Zeuj^nis für ihre Anwesenheit in Dacien ist CIL III, Suppl. 7505
(Dessau n. 2311), errichtet von einem Veteranen der legio V Macedonica, der nach dem
Partherkriege an der expeiUtio Gerntanica zuerst unter Calpurnius Agricola (wahrscheinlich
J. 168/9; s. unten A. 4), dann unter M. Claudius Fronte (Legat der drei Dacien im
J. 169 — 170; unten A. 4) teilgenommen hatte und im J. 170 von Frontos Nachfolger
in Dacia entlassen wurde. Dazu A. v. Domaszewski , Ehein. Mus. XLVIII, 244, 3;
Neue Heidelb. Jahrb. V, 109; B. Filow, a. a. 0. S. 74 ff.; E. Kornemann, Klio I, 131, 1;
VII, 94, 3 ; H. van de Weerd, a. a. 0. p. 40 ff.
'^) Mommsen , CIL III, p. 161 ; 921 ; F. E. Conrad, Mark Aureis Markomanenkrieg
(Programm des Gymn. in Neu-Euppin 1889; auch als Eostocker Diss. erschienen) 9 mit
A. 2; 11 • A. V. Domaszewski, Neue Heidelb. Jahrb. V, 113 mit A. 3.
''^) Nach A. V. Domaszewski, Westdeutsche Zeitschr. XIV, 110 f., 452 (vgl. Österr.
•Jahreshefte IV, Beibl. 6 mit A. 8 ; Bonner Jahrb. CXVII (1908) 156 mit A. 4) hätte auch
der Legat der legio XIII gemina als Unterstatthalter in der Apulensis fungiert.
^) CIL VI, 1377 (= 31640); Dessau n. 1098. Dazu Jung, a. a. 0. S. 18 f. n. 20;
E. Klebs, Prosopogr. I, p. 373 f. n. 699; A. v. Domaszewski, Neue Heidelberger Jahrb. V
(1895) 107 ff., besonders S.llO; 113; ferner Bonner Jahrb. CXVII (1908) 156 mit A. 7 ;
E. Groag in Pauly-Wissov.'as EE III, 2722 n. 157. Abweichend von den bisherigen Ergänzungs-
versuchen, welche von der Voraussetzung ausgehen, daß die bloß von Ligorio überlieferte
— 269 —
germanisch-sarmatischen Krieges hervorgerufen waren, hier näher ein-
zugehen, liegt kein Anlaß vor.
Inschrift in Z. 3 — 7 durch willkürliche Interpolationen entstellt ist, möchte ich diesen
Passus der absteigend geordneten Ämterfolge in engem Anschluß an die Kopie folgender-
maßen herstellen : leg. Aug. jpr. pr. provinciarum Daciarum et [Moesiae] super(ioris)
simul (J. 170); leg. Aug. pr. pr. provincia[rum] Daciar(um) (J. 169/70); leg. Augg. pr.
pr. Moesiae super(ioris) [et] Daciae Apulesis simul (J. 168/9); leg. Augg. pr. pr.
provinciae Moesiae super(ioris) (J. 166—168); comiti divi Veri usw. Im J. 168/9, als
Fronto Obermoesien und Dacia Apulensis unter seinem Kommando vereinigte, wird Dacia
Malvensis und die wahrscheinlich aus der Porolissensis zeitweilig zurückgezogene legio V
Macedonica, was hier nur angedeutet werden kann, zugleich mit Moesia inferior dem Calpur-
nius Agricola (s. o.), der schon zuvor in Britannien (um J. 162) drei Legionen unter sich gehabt
hatte, unterstellt gewesen sein, vgl. CIL III, Suppl. 7505 (Dessau n. 2311); die Uacia
Porolissensis, deren Erwähnung zugleich mit der Apulensis man in Frontos Inschrift
erwarten würde, fehlt vielleicht deswegen, weil sie damals von den Barbaren okkupiert
war. In den J. 169 — 170 gebot Fronto in ganz Dacien, somit auch über die legio V
Macedonica (CIL III, Suppl. 7505).
Zu den neuen Oxyrhynchus-Papyri,
Von
LEOPOLD WENGER.
Der Oxyrhynchus-Band, der den klassischen Philologen als köst-
lichste Gabe des Euripides Hypsipyle gebracht, der ihnen daneben den
neuen Thukydides-Kommentar und noch 19 andere mehr oder weniger
vollständige new classical texts beschert hat, ließ auch die Juristen
nicht leer ausgehen. Freilich neben jener stolzen Hypsipyle stehen
unsere Urkunden bescheiden zurück, aber der Rechtshistoriker setzt
doch dankbarst die Steinchen zum Mosaikbilde des hellenistischen Rechts
zusammen, dessen Umrisse jetzt schon allenthalben viel deutlicher
hervortreten, seit immer mehr Hände an der Rekonstruktion arbeiten.
Möge es mir heute, da die Stadt, der meine Lern- und ersten Lehr-
jahre gehörten, gastlich in ihren Mauern Deutschlands und Österreichs
Philologen vereint, gestattet sein, an einigen Papyri aus Oxyrhynchus VI
zu zeigen, was der Jurist aus ihnen lernen kann. Der Raum ist zu klein
für monographische Erörterung eines papyrologischen Problems der
antiken Rechtsgeschichte, aber eine Nachlese zu bisher gewonnenen
Ergebnissen mag wohl am Platze sein, und wenn einiges Neue dazu-
kommt, so wird dessen Einreihung keine systematische Schwierigkeit
bereiten.
Daß Frauen in Ägypten zur Vormundschaftsführung zugelassen
wurden, habe ich schon gelegentlich erörtert. Für die Vormundschaft
der Mutter sind die damals vorhandenen Belege in der Ztschr. d.
Savigny-Stift. Roman. Abt. (Z. S. St.) XXVI, 449 ff. zusammengestellt.
Da ist denn mancherlei hinzugekommen, was aber alles das dort Aus-
geführte nur bestätigt hat. Auf BGU IV, 1070 (a» 218) und Lips. 9
(a^ 23^>), worin die Mutter als eTvaxoXovd'/jTQia auftritt, hat bereits
Mitteis (Z. S. St. XXVIII, 387) verwiesen. Aber selten schön zeigt sich
das Zusammenwirken von Vormund und Mutter im Kaufkontrakte
— 271 —
Oxy. VI, 909 (a« 225). Da geben in direkter Stellvertretung der Kinder
die Yerkaufserklärung ab: AvQrjkLog IIuoXUwv — iTtLTQOTzog dcfri/J/,ajv
xh.vMv ATtokkuiVLOv — xoft }\ Twv ä(pr[Xiy.u)v j^rivriQ ymI iTca'Aokovd-i^T gia
AvQvl^da Evöaii.iovlg — XcoQig livglou XQr^uaTiCovGa zcrra 'PwiiiaUüv ed-iq
T£iiv(ji)v ÖL-KaLO). Korrekt heißt es von den Vormündern weiter: ouokoyovfiev
TtBTtQaxevai vfielv (sc. emptoribus) — rag ovaag — tmv dipr^lrMov —
dycdvd^ag, und so fort bis ytal iTtriQwxri^evreg w/uoloyT^aai-iev. Erst in der
Subskription tritt die Mutter gegenüber dem Vormund zurück : Avqiq'kLog
IJTokXi\(.ov — (.lET^ STtajiolov^^r^TQLag Tfi[g fir^zQÖg Bezeugten uns
zunächst keine römischen Namen das Institut der Muttervormundschaft
auch fürs römische Bürgerrecht, so sind wir nunmehr auch dieses
Zweifels (a. a. 0. XXVI, 455) durch die Aurelier und Aurelierinnen
der neuen Papyri enthoben. Ganz entsprechend dem eben zitierten Falle
ordnet im römischen (p. 248) Testamente Nr. 907 (a» 276) der Erblasser
AvQTilLog '^EQj.ioyevrig die Vormundschaft über seine drei unmündigen
Kinder, indem er einen eTziiQOTzog einsetzt (Z. 18: STtiTQOTtov de tzolio
Tcdv — dcpriXUcov fiov tsxvwv — AvqtiXlov J7iij.riiQLov) und dann fortfährt
(Z. 20 f.): eTray.oXovd-ovaiqg Ttäoi xdlg Tf] eTtiXQOTreta dLa(p6Q\ovoi xf^g
7tQoyeyQa(Ä(.dvrig f-iov ywaiyög ztA. Bemerkt sei noch, daß die Vormund-
schaft über die Tochter mit der Ehe enden soll, die über die Söhne
mit der ^Atz/or, dann auch, daß der Testator sich mit starkem Willen
behördliche Einmischung in seine getroffenen Anordnungen verbietet:
'Aal ÖLa TOVTO [od ßo~\vlo/Liai aQ/ovra rj dvrdQyovxa ^ ereQOv Tiva Ttagewid^evat
havT[bv (Z. 21). Das Zusammenhandeln von Vormund und Mutter
ist die Regel. Aber wer heutige Verhältnisse in Ländern, wo, wie in
Österreich, dasselbe System üblich ist, kennt, weiß auch, wie leicht
sich dabei selbständiges Handeln der Mutter entwickeln kann, während
die Gefahr ihrer Zurückdrängung viel geringer ist. So mag sich im
Papyrusrecht vielfach wider- oder doch außergesetzlich die AUeinvormund-
schaft der Mutter gebildet haben. Allein begegnet die ungetreue Vor-
münderin des P. Nr. 898 (a» 123). Da klagt Didymos, der Sohn des
Dionysios, gegen seine Mutter Matrina (Z. 6 f. o]vad (.lov e7T[iTQo\7tog)j
daß sie die Vormundschaft zu eigener Bereicherung mißbrauchte und
durch Erpressung Decharge {dTtoxrjv zfig eTtixQOTiTig Z. 23 f.) erlangen
wolle, oioiisvrj e/, tovtwv dvvaai>aL excpvyelv a öuTiQa^ev (Z. 24 ff.).
Didymos hat also nur seine Mutter zum ercizQOTcog. Wie kommt aber dann
der junge Mann selbständig zur Klage? Am nächsten läge die Annahme,
daß er eben mündig geworden und selbst die Rechenschaft von der
Mutter in die Hand genommen. Aber es fiele bei dieser Annahme auf, daß
er seine eigene Handlungsfähigkeit nicht betonte ; dann hat ihn auch die
Mutter wenigstens noch faktisch in ihrer Gewalt, denn durch Alimenten-
— 272 —
entziehung und allerhand andere Mittelchen versuchte sie ein Vorgehen
des Sohnes gegen sie zu vereiteln. Vielleicht gibt den richtigen Schlüssel
die Bemerkung des Klägers (Z. 26 if.) : xaiToi 0ilovUov rov OTQa(Triyov) i)
TLad^ v7zof.ivrii.iaTLOf.iovg ytQelvavTog tteQov fiov eTtiTQOTtov 'AaraOTaS^rivaij
ov TTLOTETJOVTOS ovte avvfj ovdi xrii fikiY^La fiov. Das sieht so aus, als ob
Philonikos es nun für gut befunden habe, wegen zu großer Jugend dem
Dionysios, dessen Mutter des Vertrauenspostens nicht würdig war,
einen Vormund zu bestellen. Und es wäre dann vielleicht die Deutung
zulässig, daß die Behörde auch nach erreichter Mündigkeit von Fall
zu Fall für jugendKche Personen einen Vormund bestellen konnte. Der
Vergleich mit der römischen Tutel und Kuratel liegt zu nahe. In
unserem Falle wäre es dann etwa infolge einer Geschäftsstockung beim
Wechsel in der Strategie Verwaltung nicht zur Kreierung dieser neuen
Epitropie gekommen und so erklärte es sich, daß der junge Mann noch
einmal selber mit der Klage auftrat. Denn ein zweiter eTTiTQOTcog
scheint nie bestellt worden zu sein, und jetzt wenigstens hat der
Petent an der Zulässigkeit seiner persönlichen Klage keinen Zweifel.
Auch terminologische Bedenken würden gerade fürs griechische Papyrus-
recht nicht schwer ins Gewicht fallen (vgl. den nächsten Papyrus).
Neben der mütterlichen Vormundschaft wird auch die anderer
Frauen im P. Nr. 888 aufs neue bestätigt. Zu den von mir im Aufsatze
Curatrix (Z. S. St. XXVIII, 305 fP. und XXIX, 474) gesammelten
Stellen, wo uns Schwester und Tante als Vormünderinnen begegneten,
hat Mitteis noch auf die (fQOVTiaTQia tov vIcüvov im verstümmelten
Londoner Texte, Lond. III, 1164 a, 6 (212 n. C.) hingewiesen (Z. S. St.
XXVIII, 383). Oxy. VI, 888 (3./4. Jhd.) ist der Beginn einer Eingabe
an den Exegetes erhalten, die von zwei Geschwistern, entweder Bruder
und Schwester oder zwei Schwestern, als den Vormündern der Kinder
ihrer verstorbenen Schwester ausgeht. Z. 11 f.: TvyJ)VTEg Trig %]ride fiov lag
Tc5v d(priXh/.wv ddeXfpidcov fifiwVy tsxvcov TTjg fiET7iklaxv\iag — das Weitere
ist zerstört. Wissen wir darum auch nicht, welchen Zweck das Ein-
schreiten der Vormünder verfolgte, so ist doch der Papyrus auch
noch in anderer Hinsicht sehr bemerkenswert. Dem Eingabenfragmente
vorgestellt ist nämlich die Abschrift eines Statthalteredikts vom J. 287,
das der Präfekt Flavius Valerius Pompeianus über die Notwendigkeit
der Vormundsbestellung erlassen hat. Über die Kompetenz zur Vor-
mundsbestellung sei hier nur auf den jüngst erschienenen Aufsatz von
^) Oder aTQa(Tr}yrioavzos), je nachdem wir Philonikos als vorübergehend verhinderten
oder bereits dauernd von seinem Posten geschiedenen" Strategen ansehen wollen, jedenfalls
ist der königliche Schreiber Hermodoros, an den sich die Klage richtet, zur Zeit sein Ver-
treter. Grenfell-Hunt p. 222, lin. 1 und 26.
HWi.
— 273 —
Mitteis (Z. S. St. XXIX, 390 fF., 396) verwiesen. Ich will micli hier
auf eine terminologisch interessante Beobachtung beschränken, die
indes schon in gewohnt feiner Weise Grenfell-Hunt (p. 205 zu lin. 3)
angedeutet haben. An dieser Stelle des mitgeteilten Edikts ist die
römische Unterscheidung des tutor impuberis und curator puberis minoris
zwar vorhanden, aber keineswegs scharf ausgeprägt. Es begegnet bereits
der für das gemeine Recht so fruchtbare Gedanke, daß doch beide
Institute Vormundschaft bedeuten: jenen oQcpavols, die keine yiridefwveg
haben, sollen die kompetenten Behörden rovg %a^ riXixlav xrjSefwvag
bestellen, denn schwere Schäden haben sich daraus ergeben diä t6 fir)
Ttagelvai rolg OQcpavolg eTtiTQOTCovg tjtol -/.ovQaTOQag. Die synonyme An-
wendung von ol xad^ fiXimav Tcridefiöveg^^zsTtlTQOTtot rjTOt xovQocTOQeg ist
nicht besser wiederzugeben, als es die Engländer tun: 'tutores or
curatores as the case may be'. Die theoretische Trennung und doch
praktische Zusammengehörigkeit beider Institute könnte aber auch nicht
besser ins Licht gerückt sein.
Im Vormundschaftsrecht muß auch der merkwürdige VTtoyQa-
cpevg Aurelius Dionysios Erwähnung finden, der im Mietvertrage Nr. 911
(a^ 233 oder 265) dem schwachsichtigen (dad-evl rag oifiig) Mieter
Aurelius Theogenes zur Seite steht. Zwar handelt Dionysios nicht als
Stellvertreter, sondern Theogenes selbst i^ier v7toyQaq)6wg, aber der
Papyrus bemerkt dazu tov ovvxcoQrj&svTog avTto e/. t[ijöv] v7tO(.ivri^dTa)v
Tr^g OTQaTYiyiag. Ein solcher amtlich bestellter vTcoyqacpevg ist uns bisher
noch nicht begegnet. Auch wird sonst der hlo^Q' mcoyqaipevg eines Schreib-
unkundigen nicht schon im Texte genannt, sondern erst in der Sub-
skription erwähnt, die hier leider nicht erhalten ist. Auch der vTtoyqacpEvg
eines Schreibunkundigen bekleidet gewiß nicht minder einen Vertrauens-
posten als der eines Schwachsichtigen ; es wäre auffällig, wenn dort private
Bestellung genügte, hier aber amtliche Bestellung einträte. Ich möchte
darum einen Schritt weiter gehen als die Herausgeber, die (p. 263) an
eine Stellung zwischen der eines curator mente captus und eines
gewöhnlichen Unterschreibers denken, und möchte hier im VTtoyQacpevg
den curator eines infirmus sehen. Ich erinnere dazu an Dig. Just. III,
1, 4, wo es im Anschluß an die vorbesprochenen Fälle der Kuratel für
den mutus, surdus, prodigus und adulescens allgemein heißt: item quibus
propter infirmitatem curatorem praetor dare solet. Blinde bekommen
allerdings nach Eeichsrecht keinen Kurator, da sie sich selbst einen
Prokurator ernennen können (Paul. Sent. IV, 2, 9), aber nach der ent-
gegengesetzten Anschauung deutscher Rechtsbücher ist im gemeinen
Recht die Zulässigkeit der Bestellung eines Kurators oder doch Beistands
und Ratgebers für gewisse Geschäfte auf Verlangen des Blinden ent-
Wiener Eranos. 18
— 274 —
standen (vgl. RudorfF, Eecht der Vormundscliaft I, 143). Einen solchen
Fall scheint das im Vormundschaftsrechte überhaupt selbständige Wege
wandelnde Volksrecht hier ausgebildet zu haben. Im //era-Handeln kann
ein Hinweis darauf gelegen sein, daß der Kurator nicht als direkter
Stellvertreter, sondern mit dem Iniirmus zusammen handelt, aber aus-
geschlossen ist direkte Vertretung durch diese Terminologie so wenig
als etwa Fir. 81, wo ein sechsjähriges Kind (.lETtt TtaxQog handelt.
Der schon oben genannte Kaufvertrag Nr. 909 ist noch in anderer
Hinsicht als für das Vormundschaftsrecht von Interesse. Er bietet
zunächst ein hübsches Beispiel der Abnahmepflicht des Käufers. Kauf-
objekt sind Akazienbäume. Die Käufer verpflichten sich nun, die Bäume
auszuheben und bis längstens zu einem festgesetzten Termine, wenn
sie wollen auch früher, fortzuschaff'en. Die Planierung des Bodens
sollen dann beide Parteien gemeinsam vornehmen. Zwar ist hier die
Abnahmepflicht ausdrücklich in den Kaufvertrag aufgenommen, aber
wir dürfen in unserem Falle darin wohl ein naturale negotii sehen und
an Pomponius Dig. Just. XIX, 1, 9 erinnern: Si is qui lapides ex fundo
emerit, tollere eos nolit, ex vendito agi cum eo potest, ut eos toUat.
Allgemeines naturale negotii war ja bekanntlich im römischen Kauf-
recht die Abnahmepflicht des Käufers noch nicht, aber in Fällen wie
Oxy. 909 oder der zitierten Digestenstelle galt wohl das schon als
Ausnahme des Falls, was später zur Regel (BGB § 433) wurde.
Schwieriger ist die Erklärung der im Papyrus namhaft gemachten
Verwendung des Kaufpreises. Da heißt es von den 1200 Drachmen
nicht, daß sie den Verkäufern bar ausgezahlt oder etwa auf ihr Bank-
konto eingetragen wurden, sondern (Z. 200".): ai TtQooexcoQr^av dg Guvcovrjv
TtvQOv /w^/j(j[a]vro5 VTceQ fieTQrjf^drcjv zfig :n:QO'/,[£L]f.avrig äiiTcslov xqovwv
Koi.iööo[v^ also wohl, daß das Geld zum Ankauf von Weizen verwendet
wurde, der Gegenstand einer noch aus den Zeiten des Commodus
schuldigen Abgabe des nunmehrigen Weinlandes war. Es sollte also
mit dem Kaufpreise ein Naturalsteuerrückstand angeschaflt und beglichen
werden. Da von Weingartenland in Geld, von Weizenäckern in natura
gesteuert wurde (Wilcken, Ostraka 199), so müssen wir eine Kultur-
änderung des früheren Weizenlandes in den jetzigen Weingarten an-
nehmen, wozu auch das ä^iTcehxoi) y,Tj^f.iaTog veocpvvov der Urkunde gut
paßt. Eine Adaeration der schon seit mindestens 32 Jahren (Commodus
regiert bis 193, wir stehen im 4. Jahre des Alexander, also 225) rück-
ständigen Steuer hat nicht stattgefunden. Die Beitreibung der Steuer
ist aber auch nicht vergessen worden. Daß das Geld nicht in die Hände
der Verkäufer gekommen, darf wohl daraus mit ziemlicher Sicherheit
erschlossen werden, weil es sonst unverständlich wäre, warum die nach-
— 275 —
trägliche Verwendung des Geldes zur Begleichung von Steuerrlick-
ständen in den Kaufvertrag aufgenommen würde. Aber auch, die
Eventualität, daß die Käufer auf Wunsch der Verkäufer für diese die
Anschaffung der dem Staate geschuldeten Kornsteuern übernommen
hätten, ist ganz unwahrscheinlich. Warum sollte sich der Verkäufer
in so komplizierter Form seiner Verbindlichkeit entledigen wollen?
Viel eher möchte ich die Vermutung äußern, daß die Steuerbehörde
die Kaufsumme in Beschlag genommen habe und folglich dem Käufer als
Drittschuldner die Zahlung an den Verkäufer untersagt und etwa Zahlung
an die Kornhändler aufgetragen worden sei, die dann ihrerseits das Korn
dem Staate lieferten. Über die Kompetenzen für diese Beschlagnahme
und deren Durchführung will ich mangels irgend welcher Anhalts-
punkte keine müßigen Kombinationen aufstellen, aber daß die Beschlag-
nahme einer. Forderung zulässig war, die dann zu einem der vertrags-
mäßigen Zession verwandten Ergebnis (ZPO § 835 f. BGB § 408 Abs. 2,
vgl. Dernburg, Bürgerl. Recht II, 1, 373) führte, unterliegt um so weniger
einem Zweifel, als der Zessionsgedanke dem Papyrusrechte keineswegs
fremd war (Studi giuridici in onore di Carlo Fadda vol. IV, p. 79 ss.).
Nr. 914 (a^ 486) enthält ein formloses Versprechen, rückständige
Kaufpreisforderungen im Betrage von zwei Goldsolidi im zweitnächsten
Monate begleichen zu woUen. Man wird es trotz des abschließenden
y,al STteQcoTT^d^Etg couoloyriaa nicht als novatorische Stipulation, Um-
wandlung des kausalen Verpflichtungsgeschäftes in eine abstrakte
Obligation betrachten, sondern in Anbetracht der rein fioskelhaften
Beifügung der sogenannten Stipulationsklausel das Versprechen als
constitutum debiti proprii, und zwar ohne novatorische Wirkung behandeln
dürfen. Alle Erfordernisse eines solchen Konstitutes sind vorhanden: das
bereits bestehende Schuldverhältnis, Geld als Objekt des Versprechens
und Verpflichtung zur Zahlung bis zu einem bestimmten Termine (vgl.-
Girard-Mayr, Geschichte und System des röm. R. 653 — 7).
Auf den Eid, mit dem der Schuldner dem Bürgen Rückendeckung
verspricht, Nr. 904 (5. Jhd.) (Z. 3: ovrog yaq hr/ov ivw^ikcog ^loi Se-
Scüxcog) sei als auf ein Zeichen niedergehenden Kredits verwiesen und
schwindender normaler Sicherheit der Erfüllung rechtlicher Verbind-
lichkeiten. Der Eid soll da eine Garantie ersetzen, die bei gesunden
Rechtszuständen das Versprechen als solches bietet.
Von mehr als gewöhnlichem Interesse ist das Dokument Kr. 903
(4. Jhd.), worin die Frau in langer und eindringlicher Klage alle
Unbill aufzählt, die ihr von ihrem Manne geschehen — und dieser
war, wenn nur ein Teil des Erzählten wahr gewesen, wirklich kein
angenehmer Eheherr. Alle Hausangehörigen leiden unter seiner
18*
— 276 —
Grewalttätigkeit. Neben Einschränkung der persönlichen Freiheit und
Körperverletzung nehmen die Injurien einen breiten Raum in der
Klage ein, die darin lagen, daß er der Frau die Schlüssel versteckte,
daß er den Dienstboten mehr traute als ihr, daß er sie, als sie vom
Kirchgang heimkam, hinaussperrte und sie mit der höhnischen Frage
begrüßte: ölo. tL aTcriXd^aq eig rb ytvQiaKÖv^ was sie denn in der Kirche
zu suchen habe? Schließlich hat er sie mit ehelicher Untreue bedroht.
Er kündigt ihr einen nahen Termin an, bis zu welchem er sich eine
TtohrLyir] nehmen werde. Die merkwürdige Bedeutung des Wortes, das
hier im Sinne von tcoqvt] steht, haben die Herausgeber hervorgehoben
(p, 241 zu lin. 37). Die Klage schließt mit den Worten: Gott ist mein
Zeuge (ravza di olöev 6 d-(£Ögj). Die Frau erzählt, daß schon einmal
ein Versöhnungsversuch gemacht worden war, und es ist für den
Hechtshistoriker von besonderem Interesse, daß dieser Versuch ,,vor
den Bischöfen und den Brüdern des Manns" stattgefunden hat und mit
dem eidlichen Versprechen des Mannes zu künftigem besseren Betragen
endete — einem Versprechen allerdings, dessen Wirkung nicht lange
vorhielt (Z. 15: xort wfxoGev eitl TtaQovali^ tmv STCiaytuTtcov xal zcov äSeX(p6)v
avTov). Nicht sicher ist es darum zwar, aber doch sehr naheliegend,
daß auch dieser Notschrei der Frau sich an ein geistliches Gericht
wendet. Die Injurie ob des Kirchgangs und der angedrohte Bruch
der ehelichen Treue müssen vor diesem in besonderem Maße wirken.
Auf jeden Fall, auch wenn wir nur den Versöhnungs versuch vor dem
bischöflichen Forum — daß mehr als ein Bischof fVcDr sTttayiOTrojv)
gegenwärtig ist, mag besonders bemerkt sein — in Betracht ziehen^
ist dieses Dokument kirchlicher Ehegerichtsbarkeit von besonderem
Werte. Einen anderen Fall bischöflicher Gerichtsbarkeit hat uns
Lips. 43 (ebenfalls 4. Jhd.) kennen gelehrt. S. Mitteis zum Papyrus
und meine Besprechung Gott. Gel. Anz. 1907, 309 f.
Es sind nur einige Miszellen, die ich anführte. Aber würden
uns die Urkunden nicht jetzt in so verschwenderischem Maße in den
Schoß geworfen, wir würden jedes einzelne Dokument mehr beachten
und höher einschätzen als jetzt, da uns die Fülle verschwenderisch
auch in der Verwertung macht. Aber wir müssen uns darum das
undankbar scheinende Geschäft nicht verdrießen lassen, alle, auch die
kleinsten Splitter zu sammeln und mit philologischer Akribie an-
einander zu passen. Und zu solcher Detailarbeit geben die Tage neuen
Mut, an denen alle Arbeiter beisammen stehen und die Blicke aufs
große und fertige Werk der Zukunft gerichtet sind.
Der Amtstitel der städtischen Quaestoren.
Von
STEPHAN BRASSLOFF.
Die städtischen Quästoren führen seit der Einsetzung der Provinzial-
quästur den Amtstitel quaestor urbanus. Die Determination urhanus,
die der ursprünglichen Amtsbezeichnung hinzugefügt wird, enthält
einen Hinweis auf die rechtliche Verpflichtung dieses Magistrats, die
Stadt während der Amtsdauer nicht zu verlassen, i) Inwiefern nun der
Inschriftenstil die neuere Titulatur akzeptiert hat, ist bisher von den
Epigraphikern nicht erwogen worden. Allgemein wird, wie die Ergän-
zungen fragmentierter Inschriften zeigen 2) , angenommen, daß seit der
Einsetzung von Provinzialquästoren die Amtsbezeichnungen quaestor
und quaestor urbanus in allen Gattungen von Inschriften promiscue
gebraucht wurden. Diese Annahme ist aber, wie im folgenden nach-
gewiesen werden soll, grundfalsch. Es muß unterschieden werden
zwischen Urkunden (Gesetzen) und Inschriften, welche den cursus
honorum nicht enthalten, einerseits und Inschriften mit vollständiger
Wiedergabe der Ämterlaufbahn anderseits.
I. In den Gesetzesurkunden begegnet der vollere Amtstitel nach-
weislich schon im zweiten Jahrhundert v. Chr.; in der lex Bantia^
welche dieser Zeit zuzuweisen ist, wechseln die Bezeichnungen q(uaestor)
und q(uaestor) urb(anus)^). Beispiele aus dem ersten vorchristlichen
^) Mommsen, Eöm. Staatsrecht, II, p. 535.
^) Vgl. z. B. die dem späteren Kaiser Nerva gesetzte Ehreninschrift CIL XI 5743,
wo gewöhnlich [quaestor] urb (anus) ergänzt wird. Diese Lesung ist, wie ich anderwärts
(Hermes XXXIX, p. 641) gezeigt habe, verfehlt, da Nerva als Patrizier quaestor principis
gewesen sein muß. Es ist statt [quaestor] urb. vielmehr [praef] urb. zu ergänzen.
^) cap. 2 u. 3 (CIL I n. 197 = Bruns, fontes p. 48).
— 278 —
Jahrhundert bieten die lex Cornelia de viginti quaestoribus^) und die
sog. lex Julia iminicipalis^).
II. Es ist meines Erachtens auch nicht zu bestreiten, daß der Amts-
titel quaestor urhanus schon im ersten Jahrhundert v. Chr. in Dedika-
tionen, die den cursus honorum nicht enthalten, angewendet mrd. Ein
Zeugnis dafür ist in einer Inschrift aus Tibur erhalten (CIL I 636):
M. Acilio Canino \ q. urb. \ 7iegotiatores ex area Saturni \ . Die Dedikanten
sind Kaufleute, welche ihre Buden auf dem zum aerarium Saturni
gehörigen Grundstück aufgestellt haben; daß die Widmung gerade an
den quaestor urbanus erfolgt, erklärt sich daraus, daß er der Ressort-
beamie ist, welchem die Lokation der Verkaufsplätze obliegt. Diese
Inschrift muß vor dem Jahre 28 v. Chr. gesetzt sein, weil damals den
städtischen Quästoren die Kassaverwaltung entzogen ^oirde. Zu demselben
zeitlichen Ansatz führt auch die Betrachtung des Schriftcharakters ^j.
IIL Ganz anders verhält es sich dagegen mit den Ehreninschriften,
w^elche den vollen cursus honorum von Männern aus dem Senatoren-
stande bieten. Hier wird in der Republik und in der Kaiserzeit
bis auf Hadrian der städtische Quästor niemals als q(uaestor)
urb(anus) , sondern immer nur einfach als q(uaestor) bezeichnet.
Erst unter diesem Kaiser kommt die erwähnte Determination
bei Wiedergabe der vollständigen Ämterlaufbahn auf. Daneben
erhält sich die ältere Bezeichnung; neben q(uaestor) urb(anus) wird auch
jetzt vielfach q(uaestor) ohne Distinktiv gebraucht. Den Beweis für diese
Behauptung ergeben die nachfolgenden chronologischen Übersichten.*)
^) CIL I n 202 = Bruns 1. c. p. 91.
2) In dem Abschnitt über die Instandhaltung der Straßen CIL I 206 ; Z. 35 ; 46,
48. = Bruns 1. c. p. 104.)
^) In der Kaiserzeit gehören gewisse Lokationen allerdings zur Kompetenz der städtischen
Quästoren. Eine Notiz über die Verdingung der Instandhaltung der Tempel durch die städtischen
Quästoren weist darauf hin , daß die letzteren noch später in Verwaltungsgeschäften tätig
waren; ob diese Befugnis den Quästoren einfach verblieben oder ihre Kompetenz später
erweitert worden ist, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Übrigens kommt noch in Betracht,
daß, wenn auch den städtischen Quästoren die Vorstandschaft des aerarium Saturni gleich
bei Beginn des Prinzipates entzogen wurde, dieses Amt nicht zu einem rein titularen herab-
gesunken ist. Im Jahre 11 v. Chr. ist den quaestores urbani die Aufbewahrung der senatus
consulta, welche ihnen bis dahin gemeinsam mit den plebeischen Ädilen zustand, mit Ausschluß
der letzteren übertragen worden. „Demnach muß" , wie Mommsen mit Eecht betont, „bei
Einsetzung der neuen Vorsteher der Gemeindekasse derjenige Teil des Archivs, der sich
nicht auf das Eechnungswesen der Gemeinde bezog, als selbständige Kompetenz den bis-
herigen VerAvaltem des aerarium überlassen worden sein" (vgl. Eöm. Staatsrecht II, p. 427
n. 2 und p. 560) ; der Schriftcharakter der obigen Inschrift (vgl. Eitschel, prisc. lat. mon.)
weist aber unbedingt auf die republikanische Periode als ihre Entstehungszeit hin.
^) Berücksichtigt sind nur die datierbaren Inschriften; über die Folgerung für die
nicht datierbaren s. unten.
— 279 —
A, Der Amtstitel quaestor findet sich in Ehreninschriften:
1. der Republik (Ende der Republik) : CIL VI 1460 ±= CIL XIV 2264;
CIL X 6082;
2. der augusteischen Zeit: CU. I 640 = CIL VI 1323; CIL V 862;
VI 1364b; add. 31705; IX 2845; X 3851, 3852, 5060;
3. der Zeit des Tiberius: CIL V 4348; VI 91; 1376; IX 5645;
XIV 3598; 3602; Xotizie degli scavi 1896 p. 468;
4. der Zeit nach Tiberius: CIL V 2823;
5. der Zeit des Claudius: CIL VI 31661; CIL XI 1835;
6. der Zeit des Claudius oder seines Nachfolgers: CIL VI 1440;
7. der Zeit Neros: CIL V 531;
8. der Zeit vor Vespasian: CII^ VI 31706;
9. der Zeit Domitians : CIL XII 670;
10. der Zeit Trajans: CIL III 1463; X 6321; V 7153;
11. der Zeit Trajans oder seiner Vorgänger: CIL VI 1466;
12. der Zeit des Antoninus Pius: CIL VII 270 = 11451; VIII 7044;
IX 2457;
13. der Zeit Marc Aureis: CIL XI 1433; XIV 4244; Ephem. epigr.
IV 823 = CIL VI 31717;
14. der Zeit des Marc Aurel und L. Verus: Revue crit. 1893, p. 156;
15. der Zeit des Commodus: CIL VI 1343;
16. aus dem Ende des 2. oder Anfang des 3. Jahrhunderts : CIL 11 5506 ;
in 52; add. p. 908;
17. dem Anfang des 3. Jahrhunderts: Cn. III 10471—73; XIV 3586;
18. der Zeit nach Aurelian: CIL X 1706.
B. Der Amtstitel quaestor urbanus ist aufgenommen in Inschriften :
1. der Zeit Hadrians: CIL III 10336: V 5813 (dazu XI 14); VI
1550 = XIV 155; VIII 6706; XII 4345; XIV 2925;
2. der Zeit Hadrians oder seiner Nachfolger: CIL II 4110;
3. der Zeit nach Hadrian: CIL III 1458;
4. der Zeit des Antoninus Pius: CIL VI 31746 ; XI 3364;
5. der Zeit nach Antoninus Pius: CIL X 4750;
6. der Zeit vor M. Aurel (Hadrian oder Antoninus Pius): CIL II
1929; in 1455 = 7972;
7. der Zeit M. Aureis: CIL III 1457;
8. derzeit des M. Aurel und L. Verus: CIL X 3722;
9. der Zeit M. Aureis oder seiner Nachfolger: CIL VI 1431; 1455
(dazu 1456); VHI 18907 (dazu 18908); IX 3667;
10. der Zeit Commodus: CIL VI 1450; VIII 2582; 2744; 2745;
— 280 —
11. der Zeit Caracallas und Elagabals: CIL IX 2213;
12. der Zeit nach Caracalla : CIL XII 3163;
13. aus dem Ende des dritten Jahrhunderts: CIL YI 1338.
IV. Zweifel können über den bei den Elogien (mit cursus honorum)
aus republikanischer Zeit resp. den Anfängen der Kaiserzeit herrschen-
den Brauch bestehen. Die in ihnen Geehrten werden gewöhnlich in
vollem Einklang mit der für die Ehreninschriften nachgewiesenen
Regel einfach q(uaestor) genannt. Eine Ausnahme bildet das Elogium
des Ahnherrn der gens Claudia^ Ap. Claudius Sahinus , des bekannten
Volksfeindes aus der Zeit der ersten secessio plebis (CIL I, p. 281),
welches uns inschriftlich im Codex Redianus f. 26 erhalten ist^). Hier
wird der Geehrte , dessen cursus honorum angegeben wird , als q. urh.
bezeichnet. Es ist nun gewiß nicht als ausgeschlossen zu betrachten,
daß das Denkmal erst nachhadrianischer Zeit angehört; wissen wir
doch, daß noch im dritten Jahrhundert das Praenomen Appius in der
gens Claudia festgehalten wurde, das vom Namen des Ahnherrn abge-
leitete Cognomen Sahinella bei den Angehörigen der claudischen Familie
in Brauch war und auf die fiktive Abstammung von Appius Claudius
großes Gewicht gelegt wurde 2). Darum wäre es ja immerhin möglich,
daß in späterer Zeit ein Kaiser oder ein Privatmann in einem von
ihm gestifteten Tempel oder in einem Privathause ein Elogium des
Ahnherrn des claudischen Geschlechtes anbringen ließ. Aber es würde
^) Äp. Claudius \ q. urb. \ cos. cum P. \ Servilio Prisco. Das dem Stammvater der
gens Claudia gesetzte Elogium enthält also lediglich die Angabe des cursus honorum; es
entspricht ganz der Form, welche die Elogien in ihren Anfängen aufweisen, wo sie den
im atrium des Hauses aufgestellten imagines beigesetzt wurden. Der Taten des Mannes,
über welche die Historiker der Kaiserzeit so viel zu berichten wissen, wird hier kaum
Erwähnung getan. — Der Name besteht hier nur aus Pränomen und Gentilnamen, Die
Filiation ist nicht angegeben, und zwar aus dem Grunde, weil Appius Claudius erst im
Jahre 504 v. Chr. aus Eegillum nach Rom einwanderte und dort das Bürgerrecht erwarb,
also einen Nichtbürger zum Vater hatte. Von den Ämtern, die er bekleidet hat, werden das
Konsulat und die Quästur erwähnt; daß er das Konsulat im Jahre 495 v. Chr. gemeinsam
mit P. Servilius Priscus bekleidete, stimmt mit den übrigen Nachrichten über ihn überein;
dagegen wird sonst nirgends berichtet, daß er Quästor war. Durch diese Angabe, durch die
das Elogium von der literarischen Überlieferung abweicht, ist uns keineswegs eine wirklich
historische Nachricht gegeben. Die Quästur ist offenbar nur deswegen aufgenommen worden,
weü der Verfasser einen cursus honorum nach den der alten Zeit entsprechenden Verhält-
nissen geben wollte, damals aber neben Konsulat nur die Quästur als ordentliche Magistratur
bestanden hat. Indes entspricht die Fassung der Inschrift nicht ganz den zur Zeit des
Claudius geltenden Ämterbezeichnungen. Im dritten Jahrhundert d. St. gab es ja nur einen
Quästor. Die Determination urbanus hatte erst Sinn, als später die Provinzialqästoren ein-
gesetzt wurden. Das Elogium ist also von einem Halbgebildeten verfaßt worden, eine Tat-
sache, die auch sonst in der Stilisierung anderer Denkmäler dieser Gattung zutage tritt.
(Siehe die Erläuterung im C. I. L.
2) cf/Groagin Pauly-Wissowas RE III 2900 n. 438.
— 281 —
auch gar nicht, wie besonders betont werden soll, gegen die von uns
aufgestellte Regel verstoßen , wenn das Denkmal mit Sicherheit der
augusteischen Periode zuzuweisen wäre. Die Elogien sind eben nicht
in jeder Hinsicht den Ehreninschriften gleichzustellen, sondern nehmen
eine Mittelstellung zwischen diesen und den literarisch-historischen
Dokumenten ein; sie beziehen sich nämlich nicht auf die Gegenwart
und jüngste Vergangenheit, sondern auf Personen der Vorzeit, und
auch in ihrer einfachsten Form, wo sie lediglich die Ämterlaufbahn
enthalten, unterscheiden sie sich stilistisch von den übrigen Inschriften,
indem sie den Namen des Geehrten im Nominativ, nicht im Dativ
angeben 1). Wenn ich nun auch, soweit der Amtstitel der städtischen
Quästoren in Betracht kommt, der Ansicht bin, daß die Elogien sich
nicht durchgehends der Regel der Ehreninschriften angeschlossen haben
dürften, so geschieht es hauptsächlich mit Rücksicht auf meine Beob-
achtungen über die Amtsbezeichnung des Stadtprätors in den römischen
Inschriften.
Für den Stadtprätor besteht seit Errichtung des Amtes , ebenso
wie für den städtischen Quästor, die Verpflichtung, die Stadt Rom
während des Amtsjahres nicht zu verlassen; die Bindung an den
Amtssitz kommt in dem Determinativ urbanus zum Ausdruck 2). Was
nun die Verwendung dieses Beisatzes in den Inschriften anlangt, so
muß auch hier ein Unterschied zwischen Urkunden und Ehreninschriften
mit cursus honorum gemacht werden. Während er, soweit die Urkunden
(Gesetze, Senatuskonsulte) in Betracht kommen, bereits in republikanischer
Zeit begegnet 3), läJßt er sich in Ehreninschriften, welche einen cursus
honorum enthalten, erst seit Hadrian nachweisen •^). Die Elogien folgen,
wie die berühmte Inschrift vom Grabmal der Plautier ^) zeigt , dem
Brauche der Urkunden.
Durch den hier konstatierten Gegensatz von Urkunde und Ehren-
inschrift gewinnen wir ein neues Hilfsmittel für die (annähernde)
chronologische Fixierung bisher undatierbarer Inschriften ^). Zu seiner
^) S. Hirschfeld in Philolog. XXXIV, p. 85ff; Peter, GeschichÜiche Literatur
über die römische Kaiserzeit, I, p. 263. Premerstein in Pauly-Wissowas EE
V 2440 ff.
'') Mommsen a. a. 0. II, p. 194 ff.
') sog. lex Jul. munic. Z. 8, 11; SC de Bacch. (ex 176 v. Chr.) CIL I 196
(= CIL X 104 = Bruns 1. c. p. 160), Z. 8. Ebenso in den Arvalakten.
1^) Vgl.z.B. CIL V4341; VI 313, 314a, 314c, 316, 317, 318, 319, 332, 760,
1408, 1409, 3146; 31740; VIII 7059; X 3723, 4950, 7581, 8291; XIV 3586; Kev. arch.
1898 p. 442 n. 111.
5) CIL XIV 3608. S. auch das elogium in Eev. arch. 1907 p. 351 n. 18.
«) CIL II 3661, 3838, 4120; VI 1361, 1463; Vm 5179; IX 973; XI 5670.
• — 282 —
Erklärung möchte ich noch auf eine bekannte Analogie in der Ver-
wendung der Ehrenbezeichnung vir clarissimus hinweisen. Diese ist be-
kanntlich unter den Kaisern M. Aurel und L. Verus dem Senator
titular beigelegt worden und wird fortan von den Angehörigen sena-
torischer Familien hinter dem Eigennamen in fester Abkürzung geführt.
Während nun die Hervorhebung des Clarissimates in den eigentlichen
Urkunden bereits im ersten Jahrhundert n. Chr. nachweisbar ist, hat
sie sich in den Ehreninschriften erst in der zweiten Hälfte des zweiten
Jahrhunderts eingebürgert^).
Der oben fixierte Zeitpunkt, in welchem der Beisatz urbanus zam
Amtstitel des städtischen Quästors und Stadtprätors allgemeine An-
wendung findet, fällt ungefähr mit jenem zusammen, in welchem der
Beisatz candidatus (ohne Cacsaris) einen Teil des Amtstitels zu bilden
beginnt 2) und auch sonst, wie z. B. bei den curatores ab actis, Änderungen
in der Amtsbezeichnung eingeführt werden 3).
^) Mommsen, a. a. 0. III, p. 471.
2) Brassloff, Wiener Studien XXII, p. 149.
") Auch der Beisatz ,j>eregrinus' im Amtstitel des Fremdenprätors kommt, soweit
ich sehe, in Inschriften mit cursus honorum erst in der zweiten Periode vor. (CIL II 1283 j
1371; Vm 270; XIV 2509.) Anders die Arvalakten.
Ein Beitrag zu den Münzen von Grimenothyrae-
Phrygiae.
Von
JOSEF SCHOLZ.
Grimenothyrae war eine kleine Stadt zmschen Themenothyrae
(Ushak) und Keramon Agora am oberen Sindrus bei Akmonea. Ptolemaeus
erwähnt dieselbe im Text als Trimenothyrae. B. Y. Head hält noch
dafür, daß sie auch Trajanopolis genannt wurde, doch F. Imhoof-
Blumer hat nachgewiesen, daß es zwei verschiedene Städte waren (Fest-
schrift für 0. Benndorf, S. 204), letztere vier Meilen südlich von ersterer.
Die Münzung Grimenothyraes setzt spät ein, seit Domitian, und reicht
bis Gordianus, es erscheinen autonome und kaiserliche Münzen, in der
Regel mit rPIMENOQYPEÜ.N im Eeverse. Die autonomen Münzen
haben an der Vorderseite öfter die Legende JHMOC, lEFA CYN-
KAHTOC, selten lEPA BOY^II, letztere nur von J. N. Svoronos
erwähnt in B. V. Head y^ hToqia tcov vofxiGfxaTtov" Tofi, B' S. 216,
doch nicht beschrieben, und in meiner Sammlung. Von Magistraten
kommen vor : ^PXQN undi rEAMM^TEY^, Magistratsnamen werden ver-
zeichnet: Eni: A. TYAAl, M. TYAAI, A. TYAAIOY, A. TYAA.HE
ACKAIiniAJ(OY)An., ACKAHniAJOYAnO, und ACKAHIIIA-
JOYAJJOAA. Von Typen erscheinen: Men, Pallas, Hermes, Kybele,
Zeus Laodikeos, Asklepios und Hygieia, Amazone reitend, und andere.
Es wird nur Bronze geprägt. In der Numismatik tritt der Name
spät auf, Eckhel kennt ihn noch nicht, Mionnet führt ihn schon an,
dann folgt Waddington , das britische Museum , Imhoof-Blumer usw.,
doch ist die Zahl der beschriebenen Münzen sehr gering. Babelon,
Inventaire sommaire de la coUection Waddington No 6047 — 6058,
bringt 11 Stück, der Kat. des brit. Museums 12 Stück, die bis auf zwei
die Stücke Waddingtons wiederholen, dann einzelne bei anderen, so
F. Imhoof-Blumer „Kleinasiatische Münzen*', I, S. 232, ein neues Stück,
das dann auch im Kat. des brit. Mus. S. 223, Nr. 10 erscheint.
— 284 —
Ich bin nun in der Lage, aus meiner Sammlung vier Stücke bei-
zutragen, \Yelche in den genannten Verzeichnissen nicht beschrieben
sind. Sie sind einer größeren Arbeit entnommen , welche demnächst in
der numismatischen Zeitschrift erscheinen soll.
1. Br. 20 mm, ö'OO ^, Av. E. oben: EIII-S-TYyl. Zeuskopf
r., vor demselben Adler. Rev.R. oben: FPIMENO- eYPEQN, Pallas
stehend r., in der E,. Lanze, die L. auf den Schild zu Füßen gestützt.
Die kürzeste Avers-Legende, bisher nicht angeführt.
2. Br. 26 mm. 10' 10 6^. Av.R. unten: lEEA BOYAH. Jugend-
liches Brustbild r. Rev. R. unten: ^CEHO (litteris fugientibus),
^noC^PH^-TPIMENOQYPOY, Zeus mit bloßem Oberkörper sitzend 1.,
in der R. Patera, in der L. Stab.
Zu bemerken ist die Vorderseite ; auf der Rückseite, von der undeut-
lichen ersten Hälfte der Legende abgesehen, die deutliche Bezeichnung
X PIMENOQYP und die Endung: OY. Das T am Beginne und der
Genetiv am Ende nicht bekannt.
3. Br. 19 mm. 3-50 g. Av. R. unten: . . . (^VTJ C^IC^P
lOY .OYH . MAXIMOC, Brustbild mit Lorbeer und Panzer r. Rev. R.
oben: EPIMENO- QYPE[0^ , Pallas stehend 1., in der R. Patera,
in der L. Lanze. Maximus caesar? nicht erwähnt, barbarische Prägung.
4. Br. 33 mm. 17'50 g. Av. R. unten: AVTKAIM — AVP
^NTQNEINO-C, Kopf mit Lorbeer r., Rev. R. unten : TP^IANO-
nOAEITQN ... ME im Felde 1. NOQY, im Felde r. PECIN. Men
stehend 1., in der R. Pinienzapfen, in der L.Lanze. Im Felde r.oben : Kopf 1.
Von Caracalla ist eine Münze nicht beschrieben. Zu bemerken ist
die Legende des Reverses, welche die Namen beider Städte bringt,
was also wohl die Verschiedenheit beider und damit die Ausführungen
Imhoof-Blumers in der Festschrift für 0. Benndorf bestätigen dürfte.
Der Knäuel Ariadnes.
Von
LUDWIG RADERMACHER.
Vinzenz Zingerle hat in Wolfs Zeitschrift für deutsche Mythologie
und Sittenkunde, 2. Bd., S. 59 unter Nr. 16, folgende Tiroler Sage mit-
geteilt: ,.Den Namen Salgfräulein hatten mehrere wilde Fräulein von
ihrem Aufenthaltsorte. Sie wurden nämlich so genannt, weil sie in der
„gross gond" auf der Salg, einem erhöhten Platze zwischen Gnaun und
Alund, der teils mit Bäumen besetzt, teils öde ist, hausen. Diese Fräulein
waren gar schön und führten ein heiteres, emsiges Leben. Sie konnten
so schön singen, daß noch heutzutage das Sprichwort lebt: Du singst
so schön wie ein Salgfräulein. Ein Bauer aus Gnaun hörte sie einmal
singen und war von ihrem schönen Gesänge so berückt, daß er jeden
Abend sich vom Hause wegstahl und dem Salg zuwanderte. Da faßte
sein Weib Mißtrauen und wollte seinen Schlichen auf die Spur kommen.
Deshalb schob sie ihm eines Abends einen Zwirnknäuel in die Jacken-
tasche und behielt davon das Ende zurück. Dann folgte sie dem leitenden
Faden und fand ihren Mann auf der Salg, wo sie ihm die bittersten
Vorwürfe machte und den Fräulein fluchte. Seitdem ließen sich die
Fräulein nicht mehr hören."
Es ist vielleicht der Mühe wert zu untersuchen, in welchem Ver-
hältnis diese Erzählung zu der bekannten altgriechischen vom Knäuel
der Ariadne steht, mit dessen Hilfe Theseus den Weg aus dem La-
byrinth zurückfand, nachdem er den Minotaurus erschlagen hatte. Ohne
weiteres springt in die Augen, daß beide Geschichten völlig voneinander
verschieden sind bis auf den einen Punkt, daß ein Garnknäuel dazu
dienen muß, einen Weg zu kennzeichnen. Trotzdem ist die Möglichkeit
einer Reminiszenz nicht ausgeschlossen. Aber wenn dem auch so sein
sollte, so erkennen wir doch schon jetzt, daß der Faden als Wegweiser
innerhalb volkstümlicher Erzählung durchaus ein natürliches Element
— 286 —
sein kann; sonst würde die Tiroler Sage ihn wohl verschmäht haben.
Denn daß ihr noch andere Möglichkeiten zur Verfügung standen, werden
wir gleich sehen. Es bedarf also unseres Erachtens keiner künstlichen
Erklärung für die Ariadnelegende. Miß Jane Ellen Harrisoni) nämlich
hat die Vermutung geäußert, der Knäuel sei ursprünglich eine dekorative
Spirale auf Kunstdarstellungen gewesen. Sehr viel plausibler als dieser
seltsame Einfall ist eine Bemerkung von Hermann Diels^). Er verweist
auf deji Strick, mittelst dessen Tanzende nach antiken Nachrichten viel-
fach die Verbindung des Reigens unterhalten haben, und weiter auf
eine Überlieferung der Iliasscholien^) , wonach Theseus und seine Ge-
nossen nach ihrem Entkommen aus dem Labyrinth das Abenteuer noch
einmal in mimischem Tanz dargestellt haben sollen; ferner soll nach
Plutarch*) ein Rundtanz auf Delos, der in seinen Verschlingungen
die Labyrinthfahrt imitierte, von Theseus begründet worden sein. Wenn
wir bestimmt wüßten, daß bei diesen Tänzen Stricke zur Verbindung
der Reihe verwendet wurden, würde die Vermutung wohl manchen be-
stechen; wir erfahren freilich durch ein uraltes Zeugnis^), daß wenigstens
bei dem kretischen Tanz, „wie ihn einst zu Knosos Daidalos der lockigen
Ariadne darbrachte*', die Aufführenden sich vielmehr bei den Händen
hielten. In jedem Falle würde auch hier eine mißverständliche Über-
tragung vorliegen, da der Strick^) für den Tänzer etwas anderes be-
deutet als der Faden für den Heros, der aus dem Labyrinth zu ent-
kommen trachtet. Von einem Strick bis zum Begriff des Knäuels ist
erst recht ein weiter Weg. Wir wollen der Andeutung, die wir anfangs
erhalten haben, weiter folgen und sehen, zu welchem Ziele sie uns führt.
Ich hole dabei etwas weiter aus und verweise zunächst auf ein
Märchen aus Malta bei Stumme, Maltesische Märchen, Nr. I; es trägt
Züge, die uns wohl vertraut sind. Ein Holzhacker, der sehr arm ist,
beschließt, sich seiner zehn Kinder zu entledigen, zumal eine große
Hungersnot ausgebrochen war, und so kommt er mit seiner Frau überein,
die Jungen in den Wald zu schaffen, damit sie dort verloren gingen.
Aber der Jüngste, Kugelchen genannt, hatte bei der Verabredung ge-
*) Mythologj'^ and Monuments of ancient Athens CXXV.
'^) Bei Pallat, De fabula Aiiadnaea, S. 5.
^) PaUat a. 0. S. 4.
*) Vita Thesei 16.
'") llias 2 590 if.
^) Der technisclie Ausdruck ist QVfAÖg und lateinisch restis. Vgl. die Zeugnisse bei
Pallat S. 5 f. Übrigens bedeutet QVfiög , wie mich Kollege Wilhelm belehrt, wahrscheinlich
nicht Strick, . sondern ein Holz; s. Bull, de corr. hell. 1907, S. 55 und Crönert, Jahresh. des
österr. Inst. XI (1908), Beiblatt S. 189.
#
— 287 —
lauscht, begab sich früh' am Tage an das Gestade des Meeres, füllte
seine Taschen mit kleinen Kieselsteinen und kehrte meder heim. Beim
Wege durch den Wald laßt er einen Kiesel nach dem andern fallen
und führt dann auf der so bezeichneten Straße die Brüder glücklich
nach Hause zurück ; dort werden sie von den Eltern, denen der Arbeit-
geber inzwischen eine größere Geldsumme als Lohn ausgezahlt hatte,
mit Freuden empfangen. Als das Geld später ausgegeben war und die
Not A^ieder kam, machen die Eltern einen zweiten Versuch, sich ihrer
Kinder zu entledigen ; Kugelchen, der verhindert wird, sich Steinchen
zu verschaffen, steckt Brot Stückchen ein und streut sie unterwegs aus,
aber Vögel kommen und verzehren die Krümchen ; so wissen die Kinder
den Rückweg nicht zu finden, irren im Walde umher und kommen zum
Hause eines Zauberers und Menschenfressers. Ich brauche den Inhalt
der Erzählung nicht weiter anzugeben ; es ist klar, daß wir eine nah
verwandte Fassung unseres Märchens von Hansel und Gretel vor uns
haben und uns im Fahrwasser des weitverbreiteten Däumlingmärchens
befinden. Für unsere Zwecke kommt nur der erste i^bschnitt, der von
der glücklichen Rettung der Kinder aus dem Walde handelt, in Betracht ;
er weist Züge auf, die immerhin einen Vergleich mit der Theseuslegende
gestatten. Es würde meines Erachtens nicht den Kern der Sache treffen,
wollte man sich darauf versteifen, daß statt des Labyrinthes ein Wald,
statt des Fadens eine durch Kieselsteine hergestellte Verbindung er-
scheint; im Gegenteil halten wir diese Abweichungen für wichtig,
weil sie die Unabhängigkeit der beiden Geschichten verbürgen. Eine
Übereinstimmung aber besteht tatsächlich in der Idee, insofern als
jemand sich frühzeitig eines Mittels versichert, um aus einer Gegend,
in der er sich sonst verirren müßte, durch geschickte Bezeichnung des
Weges \\"ieder zu entkommen. Auch ein Gegenstück zum Minotaurus
fehlt zuletzt nicht, da ja in dem Walde, aus dem die 10 Jungen keinen
Ausweg finden, ein Menschenfresser wohnt. Man wird freilich nicht
vergessen dürfen, daß der Minosstier gegenüber einem „Menschenfresser"
ebensosehr reale Persönlichkeit ist, wie Theseus gegenüber einem namen-
losen Däumling. Immerhin^ läßt sich aus den bisher gemachten Fest-
stellungen ein Schluß ziehen, so wäre es der, daß die Theseussage
echte und charakteristische Züge volkstümlicher Erzählungskunst trägt.
Die Zahl der Parallelen ist indessen noch nicht erschöpft. Ich will
die mir bekannten zunächst vorlegen, indem ich die wichtigsten bis
zum Schluß aufspare. Eine Sage bei Bartsch, Sagen, Märchen und
Gebräuche aus Meklenburg I, N. 344, berichtet von einem Räuber, der
auf dem Kellerberge bei Wismar hauste. Er hatte viele Höhlen in
diesem Berge, die alle miteinander in Verbindung standen und viele,
— 288 —
so geschickt angelegte Ein- und Ausgänge hatten, daß der Räuber
allen Verfolgungen stets glücklich entging. Eines Tages verschwindet
ein Bauernmädchen aus der Gegend und schon sind einige Jahre ver-
flossen, da taucht die Verlorene plötzlich zu Grevesmühlen auf dem
Jahrmarkt wieder auf. Man bestürmt sie mit Fragen, endlich versteht
sich das Mädchen, das geschworen hatte, sein Geschick keinem Menschen
zu enthüllen, auf den Rat eines Verwandten dazu, dem Ofen zu er-
zählen, der Räuber habe sie in dem Berge am Tressower See gefangen
gehalten. Man gibt der Gefangenen Erbsen und heißt sie, dieselben auf
ihrem Rückwege ausstreuen. Eine Anzahl Bewaifneter folgt der
Spur und dringt so in den Berg ein. Wesentlich verschieden ist
das Märchen vom Räuberbräutigam (Grimm, Nr. 40), von dem ich eine
Variante verzeichne, die Schulenburg, Wendische Volkssagen, S.5, Anm. 1,
mitteilt. Danach verlockt ein Räuberhauptmann Ragazki als Freier
eine junge Gräfin in den Wald. Hingestreuten Erbsen folgend, gelangt
sie durch eine Eiche in die Räuber wohnung, findet dort den Finger
eines anderen Opfers und entkommt glücklich in das Schloß ihres Vaters.
Es ist wichtig festzustellen ^ daß eine Gruppe von nächst verwandten
Märchen das Motiv des Erbsenstreuens nicht kennt ^) ; ähnlich liegt die
Sache in einem zweiten Falle, den ich zu behandeln habe. Von dem
Zauberer Virgilius erzählt eine mittelalterliche Sage, wie er eine schöne
Sultanstochter, um ihre Liebe zu genießen, nachts heimlich durch die
Luft entführte, bis ihr Vater ihn durch eine List fing; dem Gericht
entgeht er wiederum, indem er den König und seine Leute durch seine
Zauberkunst bindet und über eine Luftbrücke mit der Prinzessin ent-
flieht 2). Einen eigenartigen Reflex dieser Geschichte hat Simon Grünau
in seiner Chronik verzeichnet (XVIII, bei Tettau und Temme, Die Volks-
sagen Ostpreußens, Litthauens und Westpreußens Nr. 122, S. 127 fl".).
Unter dem Regimente des neunundzwangzigsten Hochmeisters Heinrich
Reuß von Plauen, so heißt es dort, lebte in einem Städtchen Preußens
ein Schulmeister, welcher der schwarzen Kunst kundig war. Durch
diese bewirkt er, daß des Bürgermeisters Tochter, für die er in Liebe
entbrannt war, ihm von Geistern jede Nacht zugeführt wurde. Die
Eltern, die das Verschwinden des Mägdleins bemerkten, verfallen zuletzt
auf den Gedanken, der Tochter einen Knäuel mitzugeben; den läßt
*) Gesammelt und besprochen hat sie Cosquin , Contes populaires de Lorraine I,
S. 180 ff.
2) Ich beziehe mich auf die Übertragung des englischen Volksbuches bei R. 0. Spazier,
Altenglische Sagen und Märchen nach alten Volksbüchern, Braunschweig 1830, S. 124 ff.
Vgl. dazu Comparetti, Virgilio nel medio evo, Bd. II, S. 164. S. 167 ff.
m
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sie bei ihrer Heimführiing an dem Orte zurück, an dem sie die Nacht
zugebracht hat, und behält den Faden in der Hand. Der Vater folgt
dann der bezeichneten Spur und läßt den Schulmeister verhaften. Auf
dem Scheiterhaufen bittet dieser die Bürgermeisterstochter um ein Pfand
der Vergebung. Sie reicht ihm, da sie gerade nichts anderes zur Hand
hat, aus ihrem Täschchen einen seidenen Faden ; da wirft er ihn in die
Luft, schwingt sich, indem er das Mädchen umfaßt, an ihm empor
und verschwindet.
Hier findet sich wieder der Knäuel, der abgehaspelt zum Weg-
weiser A\ird, und nachher noch einmal ein Seidenfaden in eigentümlicher
Verwendung. Auch in diesem Falle möchte ich an der Meinung fest-
halten, daß eine unmittelbare Beeinflussung durch die Ariadnelegende
nicht als unm()glich gelten darf, und wichtiger als die Übereinstimmung
des Motivs dünkt mir die nunmehr klar hervortretende Tatsache, daß
der Gedanke, einen eingeschlagenen Weg listig zu bezeichnen, der Volks-
erzählung an sich durchaus vertraut erscheint ; ob man sich dabei der
Kieselsteine oder der Erbsen oder eines Knäuels bedient, steht erst in
zweiter Linie. Wer aber vor allem Wert legt auf volle Übereinstimmung
der Motive, sei noch auf eine wendische Erzählung (Schulenburg, Wen-
dische Volkssagen, S. 20) hingewiesen. Da heißt es von einem Jäger,
der das alte Schloß bei Lübbenau entdeckt hatte, lange habe er es
nachher nicht wiederfinden können und gesucht, bis er es nach sieben
Jahren wiederfand. „Und hatte einen Faden bei sich, zum Knaul gewickelt.
Den Faden hat er an einer Stelle angebunden und abgewickelt und
gezogen, bis er wieder an das Schloß kam. Dann sind mehrere Jäger
und andere Leute mitgegangen und haben das Schloß aufgesucht." An
Reminiszenz ist hier kaum noch zu denken. Jedenfalls lehren die bei-
gebrachten Parallelen, wie ich meine, zur Genüge, daß wir einer künst-
lichen Erklärung des Ariadnefadens nicht bedürfen, aber sie wecken
auch den Verdacht, daß die Dichtung vom Entkommen des Theseus
aus dem Labyrinth kein in diesem Falle ursprüngliches und originales
Motiv verwendet. Könnte der Knäuel nicht in die Geschichte des Theseus
ähnlich hineingebracht worden sein wie in die des Zauberers Virgilius?
Aber vielleicht darf man noch einen Schritt weiter gehen, darf noch
einmal auf unser Däumlingsmärchen verweisen und die Möglichkeit
betonen, daß ein Märchen vom Däumlingstypus in die Theseussage
verwebt ist. Mehr als eine Möglichkeit kann uns freilich die ver-
gleichende Methode in dem vorliegenden Falle nicht zeigen. Entscheidend
kann nur die Analyse der antiken Berichte über das Theseusabenteuer
sein. Ehe ich dazu übergehe, möchte ich noch ein Wort über das
Labyrinth sagen. Daß bei der Bildung dieses BegrifPs historische
Wiener Erano?. ^*^
— 290 —
Erinnerungen wirksam waren i), wäre heute verkehrter als je zu leugnen,
nachdem die Ausgrabungen auf Kreta die Überbleibsel jener uralten
Paläste zutage gefördert haben, deren Weitläufigkeit in Erstaunen setzt.
Es ist durchaus wahrscheinlich, daß diese Ruinen, in alter Zeit noch
sichtbar, dem Beschauer die Annahme von Bauten nahegelegt haben,
in deren Gängen man sich verirren mußte. Lehrreich für das Zustande-
kommen der Vorstellung scheint mir eine Sage der heutigen Provinz
Preußen zu sein. Die Erinnerung an die ausgedehnten Befestigungs-
anlagen, mit denen einst die Ritter vom deutschen Orden ihre Burgen
stark und wehrhaft machten, hat nämlich in der Gegend von Riesen-
berg Anlaß gegeben, von einem Irrgarten zu erzählen, in dessen Gängen
die Ordensritter einst allerhand Unwesen trieben und heute noch als
Verdammte treiben müssen 2). Geben wir nun auch das historische
Moment zu, so darf doch der Anteil der Phantasie nicht unterschätzt
werden. Auch die antike Anschauung vom Labyrinth auf Kreta ist
schwerlich ohne deren Mitwirkung 3) zustande gekommen; wir dürfen
es mit um so größerer Zuversicht vermuten, weil die Sage verwandter
Völker ähnliches kennt, ohne daß man dort einen anderen Hintergrund
wahrnähme als den rein phantastischer Erfindung. So heißt es in der
Legende Südtirols, daß der Teufel einen Garten mit unzähligen Wegen
besitze*) ; ich möchte daneben ein litauisches Märchen stellen, in der
Sammlung Leskiens und Brugmans Nr. 21. Ein Schloß liegt unter der
Erde ; es ist verzaubert mitsamt seinem Besitzer, dem König Blaubart.
Eine Prinzessin soll den Fluch lösen, indem sie drei Nächte in dem
Schlosse zubringt und dort Besuch von einem Unhold empfängt, der
sich ihr in Ketten naht, ihr Lager teilt und nachher mit klirrenden
Ketten wieder verschwindet. In der dritten Nacht zündet das Mädchen
ein Licht an, um zu sehen, wer der Besucher ist. Alsbald schrie alles
im Schloß : Weh , die Unglückselige hat uns ins Unglück gebracht.
Sie wartete bis es Tag würde, aber es wurde nicht Tag. In immer-
währender Nacht wandelte sie in allen Zimmern umher und fand keinen
Ausgang und bekam keinen Menschen zu Gesicht; so wandelte sie ein
^) Man hat damit operiert, daß das Labyrinth zuerst bei Diodor als Bauwerk bestimmt
charakterisiert wird; ich fürchte, nach den Funden der letzten Jahre wird diese Tatsache
wenig Eindruck machen ; auch findet sich meines Wissens bei keinem Früheren Gelegenheit
zu einer ausführlichen Beschreibung. Über das Zeugnis des Philochoros siehe unten.
'^) Tettau und Temme, Die Volkssagen Ostpreußens, Litthauens und Westpreußens
Nr. 221, S. 213. .
^) Man darf vielleicht sogar sagen : nicht ohne Mitwirkung von mythologischen Ele-
menten; vgl. die Nachweise über die Vorstellung des Irrweges in antiken Eiten, die Diels
bei Pallat a. 0. S. 3 if. gegeben hat.
*) Bacher, Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1901, S. 172.
ß
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ganzes Jahr lang. In dieser Erztählung, die, nebenbei gesagt, eine
interessante Parallele zu dem antiken Märchen von Amor und Psyche
Kefert, ist das Umherirren in dem Schlosse ein rein phantastischer
Vorgang. Ich möchte glauben, daß die antike Vorstellung vom Labyrinth
dementsprechend nicht erst durch die kretischen Ruinen wachgerufen
wurde, sondern daß sich Vorstellungen, die in der Phantasie schon
vorhanden waren, hier mit WirkKchem verschmolzen haben.
Wenden wir uns nunmehr den antiken Berichten über das La-
byrinthabenteuer zu, so ergibt sich ohne weiteres, daß die ÜberKeferung
keine einheitliche und geschlossene ist. Sehr alte Sage (denn sie war
schon auf dem Kypseloskasten ^) gemalt) berichtete , daß Ariadne dem
Theseus beim Antritt seines Abenteuers einen Strahlenkranz reichte.
Dazu kommt eine Nachricht des Suidas, wonach Minotaurus sich vor
Theseus in einer Höhle verbargt). Die Angabe 3), daß die Greisein im
Labyrinth verhungert seien, wird man hiemit schwerlich verbinden
dürfen ; denn in diesem Falle scheint die Ausschaltung des Minotaurus
durch die Absicht begründet, den Mythus zu historisieren ; aus demselben
Grunde ist ja das Labyrinth bei Philo choros *) zu einem normalen Ge-
fängnis geworden. Die Nachricht des Suidas muß als jung gelten, solange
wir ihre Quelle nicht kennen, aber eine Erwägung drängt sich auf.
Konnte der Strahlenkranz einem Verirrten entscheidenden Nutzen
bringen? Man nehme die moderne Großstadt als Beispiel; wer nicht
die Kunst der Orientierung versteht, wird als Fremdling auch am
hellen Tage in heillose Bedrängnis geraten. So schließe ich : der Strahlen-
kranz gehört ursprünglich zu der Höhle, der Knäuel zum Labyrinth.
Daß dies ein unterirdisches Bauwerk war, scheint mir erst spätere
Ausgestaltung: sie hätte rechtmäßig dazu führen müssen, dem Theseus
sowohl einen Knäuel als auch den Strahlenkranz in die Hand ?u geben.
Dann kann freilich auch kein Zweifel sein, wo wir die ältere Sage
haben. Ist Ariadne eine alte Göttin, so sind der strahlende Kranz und
die Bestreitung des Unholdes in der Höhle sogar ein Stück echter
Mythos. Die Vorstellung vom Labyrinth auf Kreta hat dann, so ver-
muten wir weiter, Veranlassung gegeben, Züge, wie sie uns ähnlich aus
dem Däumlingmärchen vertraut sind, einzumischen : nachdem Minotaurus
ins Labyrinth versetzt worden war. hat man Theseus den Knäuel
^) Pausanias V 19, 1. Siehe dazu die Zeu;2:nisse bei Gruppe Gr. Mythologie 603^.
-) Suidas V. AlyaXov Jislayng.
") Plutarch vita Thesei 15.
*) Plutarcli V. Thesei 1(5.
19*
t
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gegeben, der ihm den Rückweg sicherte^). Danach wäre eine Frage, ob
nicht auch die Geiseln, die der Held befreit, zum jüngeren Bestand
der Sage gehören ; denn sie entsprechen scheinbar den vom Däumling
geretteten Brüdern. Es ist schwer und ohne Rücksichtnahme auf die
Vorgeschichte jedenfalls unmöglich, auf diese Frage eine einigermaßen
befriedigende Antwort zu geben, aber daß in der Erzählung vom
kretischen Abenteuer verschiedene Fäden durcheinander geschlungen
sind, ergibt sich noch aus einer ganz allgemeinen Erwägung. Theseus
löst in Kreta eine doppelte Aufgabe, indem er nicht allein die Geiseln
befreit, sondern auch eine Braut gewinnt. Haben wir schon oben Er-
zählungen von einfacherem Typus kennen gelernt, so ist noch weiter
hervorzuheben, daß auch das Motiv der Brautfahrt für sich in Sage
und Märchen einen überaus beliebten Vorwurf bildet.
1
*) Hiezu stimmt; daß niemand vor Pherekydes diesen Zug berichtet hat, wie Eobert
(Ber. der arehäol. Gesellschaft, Berlin, März 1889) feststellte. Schon er erklärte danach
diese Sage für jünger.
Zu den Friesen der delphischen Schatzhäuser
Von
EMIL REISGH.
1. Die Zweikampfdarstellung des „Ostfrieses*'.
Dem Ostfriese des sogenannten Knidier-Schatzhauses hatHomolle be-
kanntlich zwei Plattenbruchstücke mit Darstellungen einer Götterver-
sammlung (als linke Hälfte) und eine fast vollständig erhaltene, über
3 Meter lange Platte mit einer reich ausgeführten Zweikampfdarstellung
(als rechte Hälfte) zugewiesen. R. Heberdey hat aber soeben in einer
ergebnisreichen Untersuchung über das Schatzhaus der Knidier in Delphi
(Athen. Mitteilungen XXXIV 1909) gezeigt^), daß die „Götterversamm-
lung" von dem „Zweikampf" getrennt und dem Friese einer Langseite
zugewiesen werden muß, während die Zweikampfdarstellung, die links
(auf einem anschließenden Eckblocke) noch durch eine rechtshin stehende
Figur vervollständigt war, den Fries einer Schmalseite desselben Ge-
bäudes bildete. Diese Zweikampfdarstellung, die lange nur durch un-
genügende Photographien und Zeichnungen bekannt war 2), jetzt aber
in einer schönen farbigen Reproduktion nach di Fonsecas Aquarell
vorliegt (Fouilles de Delphes IV T. XXL IL III), wird bisher nach
Homolies Vorgang allgemein als Meveldov ^^LOTeia^ als eine Darstellung
der im XVIL Buch der Ilias erzählten Ereignisse aufgefaßt. Ich glaube
zeigen zu können, daß ihre Erklärung vielmehr in einem anderen Sagen-
kreise zu suchen ist.
*) Durch die Freundlichkeit des Verfassers ist mir der Aufsatz schon im Aushänge-
bogen Juli 1909 bekannt geworden.
'^) Vgl. Perrot-Chipiez, Histoire de l'art VIII, 371 f. Auf den photographischen Re-
produktionen ist der auf dem Grunde unter den Pferden links aufgemalte Wagen nicht
sichtbar; ein gleicher Wagen war einst auch rechts aufgemalt, wie zur Zeit der xVuf findung
der Reliefs noch deutlich war; vgl. BuU. de corr. hell. XVIII (1894), S. 1^1 ; XXV (1901),
S. 477. Die über den Pferderücken beiderseits sichtbaren Männer standen also auf dem Wagen.
— 294 —
HomoUe ist bei seiner Deutung von den Resten der Namens-
inschriften ausgegangen, die auf dem Reliefgrunde, zum Teil auch auf
der unten vortretenden Leiste aufgemalt waren. Als er sich zum ersten-
mal um ihre Entzifferung bemühte i), vermeinte er noch folgende Namen
(in der Reihenfolge von rechts nach links) erkennen zu können: .... estor,
Helisomenos und Xanthos (als Namen der Pferde), Automedon (?),
^XLlleog (auf dem Schilde des in zweiter Linie rechts kämpfenden
Griechen), Menelaos, Hektor, Aineas, Kebriones (?). Durch die Inschrift
Z±xLXliog glaubte HomoUe den Genossen des „Menelaos" als „Träger der
Waifen des Achilleus", d.h. also als Patroklos gekennzeichnet, woraus
er dann den weiteren Schluß zog, daß in dem Friese in Anlehnung
an Ilias XVI der Kampf um die Leiche des Sarpedon dargestellt ge-
wesen sei (Bull, de corr. hell. XIX 1895, S. 535). Homolle hat später
freimütig einbekannt (Bull, de corr. hell. 1896,586 2), daß er bei den
angestrengten Versuchen , verblaßte Buchstaben zu entdecken , durch
eine Art „d'hallucination de la vue" getäuscht worden sei, und hat nach
erneuter Prüfung der Reliefplatten anerkannt, daß eine Anzahl der
vermeintlichen Beischriften, darunter auch jenes MxLXkeog^ tatsächlich
nicht vorhanden sei. Wieviel er von den übrigen Lesungen (außer dem
völlig deutlichen Namen des Aineas) noch aufrecht erhalten wissen
wolle, hat er leider nicht genauer gesagt ; an der Lesung des Namens
Menelaos hat er aber auch späterhin mit Bestimmtheit festgehalten
und zugleich, wenn auch zweifelnd, als Namen des zweiten griechischen
Kämpfers: „Meriones" entziffern zu können geglaubt (Bull. hell. 1896, 586).
Daraus schien sich dann weiter zu ergeben, daß der Künstler des
Frieses seinen Stoff aus dem XVII. Buche der Ilias genommen habe,
der Gefallene also, um den der Kampf tobt, Patroklos oder Euphorbos
sei. Während Homolle zuletzt der Deutung auf Euphorbos den Vorzug
gab, glaubte kürzlich Poulsen (Bull, de corr. hell. 1908, S. 187) sich
für Patroklos entscheiden zu sollen. Auf die Schwierigkeiten, die diese
Deutungen bieten, wenn wir die Darstellung im einzelnen mit den
Schilderungen der Ilias vergleichen, will ich nicht weiter eingehen.
Wie gegen Euphorbos die Anwesenheit des Aineas, so spricht gegen
Patroklos die Tatsache, daß der Gefallene im Friese noch seine volle
Rüstung besitzt. Auch wäre es erstaunlich, wenn ein in seinen unmittel-
baren Resultaten wenig bedeutsamer Kampf zum Gegenstand eines
Friesbildes gemacht worden wäre, zumal in der sonstigen bildlichen
Überlieferung Parallelen zu einer solchen Darstellung nicht vorhanden sind.
^) Comptes lendus de racademie dc^ inscriptions 1894, S. 357. Vgl. auch den Bericht
Hartwigs, Berl. phil. Wochenschr. 1895, S. 573.
— 295 —
In Wahrheit führen aber die Inschriften zu einer ganz anderen
Deutung. Wir werden uns dabei freilich, da Homolle seiner ersten
Lesungen selbst nicht sicher war, auf jene Inschriften beschränken
müssen, die heute noch erkennbar sind oder wenigstens als bis vor
kurzem noch lesbar durch einwandfreie Beobachter bezeugt sind. Ich
habe im Spätherbst 1903 durch mehrere Tage unter verschiedenen
Beleuchtungsverhältnissen mich bemüht, die Inschriften der delphischen
Friese festzustellen und Sicheres, Unsicheres und Irriges in den bis-
herigen Lesungen zu scheiden. Die Inschriften auf dem Reliefgrunde,
die ursprünglich wohl mit roter Farbe aufgemalt waren, heben sich
jetzt nur durch die hellere Tönung des Marmors von der Grundfläche
ab. Wie schon mehrfach beklagt worden ist^), sind — vermutlich an-
läßlich der Herstellung der Aquarellkopien — die meisten Buchstaben-
spuren mit Bleistift nachgezogen worden, wodurch die Nachprüfung
sehr erschwert ist ; aber wenn auch in einigen Fällen durch den Bleistift
falsch gedeutete Spuren festgelegt worden sind, so daß die alte Schrift
darunter nicht mehr erkennbar ist, so läßt sich doch bei den meisten
Beischriften das ursprünglich Vorhandene noch mit Sicherheit ermitteln 2).
Auf dem Blocke nun, der uns hier beschäftigt, vermochte ich
nur noch folgende Beischriften festzustellen ^j : links hinter dem Rücken
des zweiten Kämpfers der linken Seite steht klar lesbar die rückläufige
Inschrift S^JfM; rechts vor dem Vorkämpfer der Troer-Partei, etwas
höher als sein Kopf, sind die Buchstaben ME deutlich. Beste zweier
weiterer Buchstaben in verschmiertem Bruche undeutlich zu erkennen.
Unter dem rechten Arm des zweiten Kriegers der rechten Seite ist
noch die Buchstabenreihe NOJRM erkennbar, die, rückläufig geschrieben,
ihren Anfang etwa bei dem Halse des Wagenlenkers genommen haben
muß, also zweifellos zu ^vro/neSojv zu ergänzen ist. Unter dem gehobenen
rechten Arm des rechts stehenden Mannes endlich vermochte ich noch
die Buchstaben ^10 als Best eines rückläufig geschriebenen Namens
zu lesen.*)
Ist durch die Namen von Aineas und Automedon gesichert, daß
links die Troer, rechts die Griechen stehen, so hängt die genauere Inter-
*) Vgl. Pomtow, Berliner philol. Wochenschr. 1909, Delphika, S. 74 des Sonderabdruckes.
^) Gegenüber den Ausführungen von Lechat, Rev. des etudes anc. XI (1909) S. 3 ff.,
bemerke ich, daß auf dem „Nordfriese " der Krieger mit dem Kantharos-Helm neben Apollon
und Artemis durch die Inschrift auf der Leiste als Dionysos sichergestellt ist.
^) Auf einen Versuch, die Formen der Buchstaben im Drucke wiederzugeben, muß
ich hier verzichten. Ich kann hiefür jetzt auf die sorgfältige Wiedergabe der Zeichen auf
dem Aquarelle di Fonsecas (Fouilles T. XXI f.) verweisen.
^) Von den Buchstabenresten auf der JMitte der unten vorspringenden Leiste konnte
ich kein deutliches Bild gewinnen.
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pretation der Darstellung von der Auffassung der Buchstabenspuren
ab, die neben dem Haupte des troiscben Vorkämpfers erhalten sind.
Homolle hat sie zu ,.Menelaos" ergänzt und auf den Vorkämpfer der
Griechen bezogen. Aber die Beischriften sind auf den delphischen
Friesen durchwegs so gesetzt, daß sie bei den Figuren, zu denen sie
gehören, ihren Anfang nehmen : der erste Buchstabe erhält seinen Platz
unmittelbar neben Kopf, Brust oder Rücken der zugehörigen Figur,
und die folgenden Buchstaben schließen dann, je nachdem der Platz
es erlaubt, nach rechts oder links (also rückläufig) oder nach unten
hin an. Es erscheint also durch die gleichmäßige Gewohnheit des Fries-
malers geradezu ausgeschlossen, daß die von dem Kopfe des troischen
Vorkämpfers rechtshin ausgehende Beischrift sich auf den gegenüber-
stehenden Kämpfer beziehe; vielmehr kann kein Zweifel sein, daß die
Buchstaben ME zu dem links stehenden Vorkämpfer der Troer gehören.
Dann ist aber die Ergänzung des Namens zvl Me^nvDv von selbst gegeben^).
Der Gegner des Memnon auf griechischer Seite ist dann natürlich
Achilleus, und damit findet zugleich die Anwesenheit des Wagenlenkers
Automedon ihre beste Erklärung.
Soweit war ich gekommen, als mir vor etwa zwei Jahren Fonsecas
farbige Aufnahme des Frieses (Fouilles IV T. XXI. 11. III) vor Augen
kam, die in der Wiedergabe der Inschriften mit meinen Aufzeichnungen
völlig übereinstimmte, in einem Punkte aber eine willkommene Ver-
vollständigung bot. Hatte ich von dem Namen des rechtsstehenden
Mannes, den man bisher als einen „Knappen"' angesehen hatte, nur
mehr die Endbuchstaben ermittelt, die die Ergänzung NeövwQ erlaubten,
aber nicht erwiesen, so ließ Fonsecas Zeichnung in schwachen, aber
deutlichen Spuren die Beischrift S\Ö7^J<f erkennen. Da diese Lesung
des Zeichners gewiß nicht durch eine vorgefaßte Meinung beeinflußt ist,
— mit Homolies Deutung ließe die Anwesenheit Nestors sich nur schwer
vereinigen — so wird man nicht bezweifeln dürfen, daß Fonseca, der
die Reliefs früher als ich und unter günstigeren Lichtverhältnissen
studieren konnte, richtig Gesehenes wiedergegeben hat'^). Dadurch, daß
die Deutung des rechts stehenden „teilnehmenden Zuschauers" als „Nestor"
gesichert ist, — dem auf der anderen Seite vielleicht ein „Priamos"
^) Nacliträglich hat mir Pomtow, der im Herbste 1908 die Freundlichkeit hatte, auf
meine Bitte hin die Inschrift nachzuprüfen, bestätigt, daß die auf ME folgenden Spuren
die Homolle auf iVE" gedeutet hatte, unter Vergleich der sonst im Friese verwendeten Buch-
stabenformen vielmehr auf die Lesung MN, also auf die Ergänzung MEMNON führen.
^) Ich bemerke noch, daß die Buchstabenspuren an dieser Stelle nicht durch Blei-
stiftstriche entstellt sind. Homolle hatte im Jahre 1894 (Comptes rendus S. 357) . . . EZTOP
gelesen, ohne eine Ergänzung des Namens zu geben.
m
— 297 —
entsprach, — erhält die oben vorgetragene Deutung des Reliefs nicht
nur eine Bestätigung, sondern auch eine bedeutsame Ergänzung. Denn
es kann jetzt keinem Zweifel mehr unterliegen, daß in dem Gefallenen
zwischen Achilleus und Memnon der Sohn des Nestor, Antilochos, zu
erkennen ist. Als Antilochos ist der Gefallene zwischen Achilleus und
Memnon inschriftlich auch auf der gleich zu besprechenden Yasen-
scherbe in Florenz (vgl. S. 298) und auf der schwarzfigurigen Vase bei
Gerhard, A. V. B. III T. 205, 3 u. 4 bezeichneti).
Daß diese Deutung des delphischen Frieses bisher noch nicht
ausgesprochen worden ist, mag darin seinen Grund haben, daß wir von
den Vasenbildern her gewöhnt sind, bei dem Zweikampf von Achilleus
und Memnon die göttlichen M^itter Eos und Thetis mitdargestellt zu
sehen, wie dies auch für den Kypseloskasten bezeugt ist (Pausan.V 19, 1).
Aber von der Naivität, mit der die Vasenmaler in ihrem Streben nach
vielsagender Deutlichkeit die Göttinnen hart neben die menschlichen
Kämpfer stellen, hat der mit sorgfältigerer Überlegung schaffende
Künstler des Marmorfrieses sich ferngehalten; er hat dafür durch
Hinzufügung von Kampfeshelfern, Gespannen und nächstbeteiligten
Zuschauern die Situation des Kampfes seinen Wirklichkeitsvorstellungen
entsprechend reicher ausgeführt. Daß er bei dieser Ausgestaltung der
Szene durchaus in Übereinstimmung steht mit der sonstigen dichterischen
und bildlichen Überlieferung des Memnonkampfes, läßt sich trotz der
Dürftigkeit der erhaltenen Zeugnisse noch ausreichend zeigen.
Die überraschendste Parallele zu dem Friesrelief bietet die — leider
nur in Bruchstücken erhaltene — chalkidische Amphora in Florenz
n. 17842) , die jetzt bei Milani, Monumenti scelti del r. museo archeoL
di Firenze (1905) T. I, 1 veröffentlicht ist (danach die Abbildung auf
S. 298.) Hier stehen sich links Memnon , rechts Achilleus über der
Leiche des Antilochos gegenüber, neben Memnon steht Eos, neben
Achilleus Thetis ; alle Figuren sind durch Beischriften benannt. Rechts
von Thetis sind noch Brust, Schulter und Arm eines Mannes sichtbar,
auf den sich die Inschrift . . TOME^OV bezieht; sein Körper erscheint
im Bildfeld höher hin aufgerückt, er war also reitend oder auf dem
Wagen stehend dargestellt. Die Entscheidung bringt ein Detail der
Zeichnung, dessen in den bisherigen Beschreibungen der Vase keine
^) Im Anschlüsse an diese Erklärung des „Zweikampfes" hatte ich früher geglaubt,
daß inmitten der „Götter Versammlung", die nach Homolle ihren Platz links von dem „Zwei-
kampf" hatte, die Seelenwägung (durch Hermes V) dargestellt gewesen sei. Nach Heberdeys
Darlegungen muß aber nunmehr diese „Götterversammlung" einem anderen Friese und dem-
nach auch einem anderen mythologischen Zusammenhange zugewiesen werden.
-) Vgl. Bull. d. Inst. 1870, p. 187 (Heydemann) ; Archaeol. Jahrb. I 89'''* (Studniczka).
— 298 —
Erwähnung geschehen ist. Wir sehen (knapp ober dem Rande des Bruch-
stückes) den Körper der Thetis von einem horizontalen Kontur über-
schnitten, der nach rechts sich weiter fortsetzte ; ich zweifle nicht, daß
wir darin die obere Begrenzungslinie von Hinterleib und Schweif eines
rechtshin stehenden Pferdes zu erkennen haben. Allem Anschein nach
war also auf der Vase das Viergespann in ganz ähnlicher Verschiebung
und Automedon in fast gleicher Haltung wie auf dem Relieffriese dar-
gestellt; das Kompositionsschema des Vasenbildes weicht von dem des
Vasenscherbe in Florenz.
^~"~Onfc^
«
Frieses nur insofern ab, als hier Eos und Thetis an Stelle der Kampfes-
helfer erscheinen. So ist es gewiß auch mehr als zufällige Überein-
stimmung, daß auch auf dem Vasenbilde Achilleus rechts steht und als
Schildzeichen ein mächtiges Gorgoneion führt. Ja, man wird den Ver-
such, in solcher Weise Achilleus zu charakterisieren, auch schon auf
der bekannten melischen Vase (Conze, Melische Tongefäße T. III)
erkennen dürfen, wo bei der Darstellung des Memnonkampfes der rechts-
stehende Krieger mit dem Gorgoneionschilde ausgerüstet ist, und
L
— 299 —
gleiches mag auch noch für die schwarzfigurige Vase München 328
gelten 1).
Als ein weiteres Zeugnis für die Rolle, die in der älteren Typik
des Meinnonkampfes den Gespannen und ihren Lenkern zugewiesen war,
kann noch der schwarzfigurige „Deinos" im Wiener Österreich. Museum
(n. 235 Masner) angeführt werden, auf dessen Mündungsrande — neben
Memnon und Achilleus, Eos und Thetis — beiderseits die Gespanne
mitdargestellt sind. Daß aber auch die Figuren des Nestor und seines
vorauszusetzenden Gegenstückes nicht erst eine eigenwillige Zutat des
Reliefkünstlers sind, dafür scheint der Umstand zu sprechen, daß auch
bei dem Memnonkampfe auf der schwarzfigurigen Vase des Museo
Gregoriano II 28 (= A II 32, 1; Helbig-Reisch n^ 1195) rechts und
links von Eos und Thetis noch je eine bärtige Gestalt mit lebhaft
erhobenem Arme dargestellt ist, die ich nun nicht mehr als bloße Füll-
figuren, sondern mit P. J. Meier, Rhein. Mus. XXXVII (1882), S. 352 als
Nestor und Priamos(?) deuten möchte.
Die charakteristischen Züge dieser Komposition des Friesreliefs
wurzeln also schon in einer älteren bildlichen Tradition, die ihrerseits
gewiß bestimmt war durch die Erzählung des Epos, d. h. doch wohl
der iiithiopis -). Daß Antilochos seinen Tod durch Memnon gefunden
habe , als er seinen Vater Nestor aus schwerer Bedrängnis errettete,
berichtet ausführlich Pindar Pyth. VI, 29 (vgl. Odyssee IV, 187), und
bei demselben Dichter (Nem. VI, 50) wird bei der Erwähnung von Memnons
Tod erzählt, wie Achilleus xaraßäg äcp ägiidtojv auf den Gegner eindringt.
Und auch das Roßegespann des Memnon scheint im Epos besonders
gefeiert worden zu sein, vgl. Aristoph. Ran. 963 und dazu Luckenbach,
Jahrb. f. klass. Philol. Supplem. XI (1880), 616. Aus der gewiß nicht
geringen Zahl von Helden, denen im Epos ein Anteil bei den Kämpfen
gegen Memnon zugewiesen war, waren im delphischen Friese Aineas
und ein Grieche hervorgehoben, dessen Name leider nicht mehr erhalten
ist; vielleicht war hier, me in der figurenreichen Gruppe des Memnon-
kampfes , die Lykios für Olympia gearbeitet hat (Paus. V 22 , 2),
1) Dagegen ist auf der rotligurigen Yase Tyskiewicz (Robert, Szenen der Ilias und
Aethiopis, XV. Hallisches Winckelmannsprogr. 1891), die nicht mehr derselben Linie bild-
licher Tradition angehört; wie die vorerwähnten Vasen, der rechtsstehende Krieger, der das
Gorgoneion als Sehüdzeichen führt, als Memnon bezeichnet. Der Gefallene wird in der Bei-
schrift Melanippos genannt.
■^) Wenn wirklich Pindar Nem. VI, 53 in einer Einzelheit auf die .,kleine Ilias'*
zurückgeht (Schol. Nem. VI, 85 , vgl. 0. Schröder, Hermes 1885, 494), so dürfen wir doch
annehmen, daß alle Hauptmomente der Eraählung durch die Aithiopis festgelegt
worden sind.
— 300 —
Diomedes dem Aineas entgegengestellt i). Inwieweit freilich auch im
Epos die Personen und Ereignisse so nahe aneinandergerückt waren, wie
das Bild sie zeigt, das ist eine Frage, die ich hier nicht erörtern kann.
2. Der ..Lenkippidenranb" des „Südfrieses".
Der von Heberdey in der vorher erwähnten Studie unternommene
Versuch, die von Homolle dem „Knidier-Schatzhause" zugewiesenen
Skulpturen auf verschiedene Schatzhäuser aufzuteilen , scheint mir
in den Hauptsachen überzeugend begründet. Mit seiner Rekonstruktion
der dem „Südfries" zugerechneten Platten (Fouilles IV T. IX/X) vermag
ich mich aber nicht einverstanden zu erklären. Mir ist immer die Meinung
unhaltbar erschienen, daß die beiden Fragmente mit den „Frauenräubern''
(d. h. offenbar den Dioskuren) — ich bezeichne das größere Bruchstück
mit c, das kleinere mit d — , das Stück mit dem Viergespann links
vom Altar (a) und die Platte mit den Reitern und dem Gespann (b)
zu einer Komposition zu vereinigen seien. Zunächst fällt auf, daß die
Pferdeschweife auf c (Fouilles T. IX/X unten links) anders stilisiert
sind, als auf a und b ; es fällt schwer, diesen Unterschied mit Heberdey
S. 153^ bloß aus künstlerischer Lust an der Abwechslung oder aus
verschiedenartiger „Haartracht" der Pferde zu erklären. Von ent-
scheidender Bedeutung aber ist, daß sich die verschiedenen Bewegungs-
momente, in denen die Gespanne auf o^ b, c dargestellt sind, nicht zu
einem einheitlichen Vorgang von Flucht und Verfolgung zusammen-
schließen lassen. Die Dioskuren sind, wie c zeigt, eben erst im Begriff,
die geraubten Mädchen auf die ruhig stehenden Wagen zn heben. Dazu
paßt es wenig, daß auf a schon einer der „Verfolger" den Wagen
besteigt 2), auf b (T. IX/X oben rechts) die „verfolgenden" Reiter und
Gespanne gar schon in lebhafter Bewegung dargestellt sind. Die „Ver-
folgung" wäre also schon im Gang, bevor noch die „Verfolgten" ihre
Fahrt begonnen hätten. Zudem macht die Gruppe der berittenen
Knappen und des Viergespannes auf b mehr den Eindruck eines wohl-
geordneten hippischen Zuges, als den einer hastigen Schar von Ver-
folgern.
Alle diese Erwägungen scheinen zu dem Schlüsse zu drängen,
daß die Stücke a b nicht mit der Darstellung der Dioskuren auf c d
^) Wie vorhin S. 294 erwähnt wurde, glaubte HomoUe (Bull, de corr. hell. 1896, S. 586)
Buchstabenspuren neben dem zweiten griechischen Krieger auf den Namen „Meriones" —
was von „Diomedes" nicht weit abliegen würde — deuten zu können. Ich habe keine Reste
einer Beischrift mehr feststellen können.
^) Der Wagenbesteigende auf a kann nicht der zweite der Dioskuren sein, da seine
Haltung unvereinbar ist mit dem „Frauenräuber" auf d, er kann aber auch nicht ein Wagen-
lenker dieses Dioskuren sein, da, Avie c zeigt, die Dioskuren keine Lenker neben sich hatten.
— 301 —
zusammengehören, sondern einem anderen Friese zuzuweisen sind. Ob
diese Gruppen von Reitern und Wagen der Darstellung einer mythischen
Handlung zuzurechnen sind, oder ob sie, wie ich lieber glauben möchte,
zur Darstellung eines festlichen Aufzuges gehörten (so daß wir hier
schon einen Vorläufer des Parthenonfrieses vor uns hätten), mag dahin-
gestellt bleiben. Gewiß wird man aber auf Grund der stilistischen Gleich-
artigkeit (vgl. Heberdey S. 153) diese Platten (a, h) dem.selben Bau,
wie die Platten des sogenannten „Westfrieses", und zwar einer Lang-
seite dieses Baues, zuweisen dürfen.
Für die Ergänzung des Dioskurenfrieses bieten leider die Fragmente
c d keine ausreichenden Anhaltspunkte. Beachtet man aber , daß auf
d der Frauenkopf rechts, auf c links von dem Dioskurenkopf angeordnet
ist und daß die Köpfe der beiden Paare nach verschiedenen Richtungen
gedreht scheinen, so wird man der Annahme zuneigen, daß die beiden
Gruppen im Gegensinne komponiert und die beiden Gespanne nicht
nach derselben Richtung bewegt, sondern auseinanderstrebend dargestellt
waren. Das würde eine symmetrische Komposition ergeben, die für den
Fries an der Schmalseite eines kleinen Gebäudes wohl passen würde.
Die Frage aber, ob die uns erhaltenen Bruchstücke dieses Frieses mit
der Nebenseite der „Götterversammlungs" -Platte, auf der ein Knappe
mit Handpferd dargestellt ist, zusammengebracht werden können, also
dem gleichen Bau, wie „Götter Versammlung", ,,Zweikampf" und „Giganto-
machie" angehören, oder ob sie einem anderen Gebäude zuzuweisen
sind, wage ich ohne nochmalige Prüfung der Reliefs nicht mit Ent-
schiedenheit zu beantworten.
De ephebi Attici capite Gracoyiensi.
Scripsit
PETRUS BIENKOWSKI
(cum 1 tabula).
In museis provincialibus haud exigua artis statuariae monumenta,
inprimis capita antiqua exstant, quae licet summam operis perfectionem
non exhibeant, nullo modo tamen pro vilioribus exemplis accipi possunt.
Quae opera, quamquam parum in vulgus nota sunt, nihilominus ad
artem antiquam cognoscendam multum proficere in propatulo est. Itaque
quam vim capita supra dicta habeant, quo tempore et quo genere efficta
nee non quomodo cum praecipuis sculpendi scholis et rationibus conexa
sint, diligenter harum rerum periti definiant atque demonstrent necesse est.
Quae cum ita sint, ingenuarum artium studiosis ephebi Attici formosum
capitis simulacrum paucis verbis proponere ac illustrare animum induxi.
Quod Caput in tabula adnexa (I a et b) duabus ex diversis partibus
repraesentatum, nunc in Cracoviensi museo principum Czartoryski asser-
vatum, a. 1884 Marianus Sokolowski Athenis apud negotiatorem quendam
Sicyoni repertum esse existimantem acquisiviti). Factum est ex candido
marmore, opinor, Pario, pusillis spissisque hie illic micantibus granis
insigni. Est autem iusta mensura paulo minus, una cum collo 0*24 m.
altum; facies ab extremo mento usque ad primos capillos 0'15 m. efficit,
genarum vero ossa 0*12 m. intervallo distant. Quod caput pro fragmento
statuae aut hermae, non anaglyphi accipiendum esse, facile ex collo
undique tornato et dextri humeri frustulo conieceris. Atque faciem
tantum crinesque, qui ipsam frontem quasi corolla cingunt, artifex
Omnibus numeris effinxit, capillos autem in vertice aversaque parte
semirotundae parvae calvae convolutos in transitu strictimque confor-
mavit ipsasque auriculas a reliquo capite non seiunxit.
Jacturas quoque nonnullas fragmentum passum est, id quod ex
adiecta imagine patet. Inprimis moneo musculum -sinistri supercilii
^) Conf. Stromata in honorem Casimiri Morawski (Cracoviae 1908), p. 49sfj[.
1?
— 303 —
decussum quasi contritum fuisse, quam ob rem laevus oculus vim sane
insolentem, quodammodo affectatam prae se ferat. x4.1iquot locis reliquiae
fusci vel russei coloris deprehenduntur, ex quibus probabiliter conieceris
singulas partes capillaturae pigmento distinctas fuisse.
Jam si reputaveris, quam moUi subtilique modo marmor sit
tractatum , quot praeter ea res quasi casu fortuito minus accurate
expressae restent, opus hoc non timidi cuiusdam imitatoris, sed veri
sibique artis suae conscii artificis esse sine dubio statueris. Crines
etiam partim duri, non plene perfecti, diligenter vero genae expolitae
Fig. 1.
et frontis luculenta formatio demonstrant monumentum primigenium
auctori tribuendum esse, qui rationem fingendi naturamque materiae
affatim cognitas habuerit. Umbrae deinde et luminis discrimina exquisita
cum cura per faciem ac crines distributa aetatem indicant, qua ipsius
formae venustate non sufficiente optica adhiberi coepta sunt adiumenta,
ut animus efticacius commoveretur. Saeculum quartum etiam artificium
prodit , quo caput eifictum est. Oculi enim eodem modo exprimuntur
neque secus ad nasum collocantur atque in musei Britannici capite
barbato (A. H. Smith, Catal. of sculpt. n. 1054, pl. XX, üg. 1), quod
— 304 —
cum prope Mausoleum Halicarnassi effossum esset , procul dubio orna-
mento erat huic aediiicio circa a. 350 exstructo.
Quaerentibus autem^ ex quanam artis officina fragmentum Craco-
viense provenerit, res ipsa optime absolvi poterit, si capita eandem
speciem gerentia comparaveris. Simillimum, fere idem et par atque
adeo melius conservatum huc spectat caput Musei Dorpatensis, cuius
quidem accuratiorem notitiam non habeo, exemplum tamen eius ex
imagine gypso expressa lucis ope factum hie ante oculos nunc primum
ponere contigit (fig. 1). Haud alienum est alterum caput multum, quod
Fig. 2.
Fig. 3.
dolendum est, laesum, nunc in Museo Britannico collocatum (Catal. of
sculpt. n. 1001, tab. III). Omnia lineamenta iuvenis; quem describimus,
quasi incrassata facies Herculis in Museo Louvre exstans exhibet
(S. Reinach, Tetes pl. 148, 149). Quae quamquam nonnulla signa Her-
mae Praxitelii propria ostendit, indicia tamen vetustioris aetatis, for-
tasse principia Cephisodoti maioris prae se fert. Minima vero similitudo
inter Cracoviense fragmentum et illud Herculis Aequini caput inter-
cedit, quod Reinachius Parisino proximum putat (v. Schneider, Archäol.-
cpigraph. Mitteil. 1885, tab. I). At eadem signa praecipua caput athletae
— 305 —
continet, quod Romae in aedibus Caetani constitutum (Matz-Duhn
n. 1673) aeque ac caput Musei „Barracco" dicti (Collection Barracco
pl. LV) , ut ex adiuncta imagine phototypica nunc primum divulgata
(flg. 2 et 3) elucet, ad exemplum graeci archetypi medii quarti saeculi
a nescio quo romano opiiice languidius expressum esse persuasum habeo!
Cranium quidem athletae formam longiorem, quadratam magis efficit^
crines eins prolixioribus cincinnis compositi et in genis prima lanugo
apparet, sed ovata faciei species oblongior nee non forma frontis babi-
tusque oculorum et labrorum epbebum Cracoviensem plene in memo-
riam revocant. Hunc autem typum iuvenis prius ortum esse caput pan-
cratiastae Musei Berolinensis (Beschreibung der Skulpturen Nr. 481) et
prorsus par herma olim Gottingensis (Wieseler, Göttingische Antiken,
1858, Nr. la_,b) demonstrant. Quamquam vero B»olinense caput ex-
politum exstat, coniciendo tamen facile definiri potest typum illum
circa a. 400 ante Chr. in lucem prolatum esse. Medium autem quartum
saeculum imagines designant, quae dicuntur Alcibiadis vel — id quod
Arndtio auctore veri est similius — Macedonis Philippi II (cf. Strena
Helbigiana p. 10—18).
Omnia adhuc enumerata capita mea quidem opinione artis Atticae
aetatis Praxiteliae rationem referunt. Unicuique sciiicet enormem fron-
tis et nasi figuram^ penitius oculos collocatos respicienti simulque habi-
tum faciei et animum quietum dulci cogitationi intentum consideranti'
ultro se Hermes et Hercules Praxitelis (ßeinach, Tetes pl. 270) otferre
debent. Sicut enim in utriusque dei efFigie^ ita etiam in hoc capite in-
ferior pars frontis longa directa ruga a cetera fronte secernitur et
supra nasi dorsum maxime prominet, superior vero eiusdem frontis pars
multum depressa et retracta in conspectum venit. Supra arcus super-
ciliorum recessus cavi comparent, musculi autem temporum manifesto
intumuerunt (cf. I^echat, Melanges Perrot, p. 207; Graef, Strena Hel-
bigiana p. 109). Radix nasi ubique praeter modum lata et praeceps ad
oculorum orbes fertur. Oculi (si collatione aliorum aestimemus) parum
aperti, tamquam madidi; inferior palpebra quasi consulto imminuta.
Nares tenerae et nonnihil, ut videtur, coartatae, os leniter reclusum
quasi semihians. Quae attuli, signa sunt peculiaria artis Praxiteliae.
Non me fugit vestigia artis a Scopa excultae Helbigium in capite Bar-
racco (Collection B. p. 43) , S. Reinachium in supra laudato Herculis
capite Parisino observasse. Verumtamen illi Scopae adamati magnifici
oculi prorsus desunt et frustra quadratum mentum brevemque faciem
cum validis maxillis quaesiveris. Quod enim capitum Barracco et Cae-
tani proprium est cranium iusta forma paulo minus rotundatum, hoc
haud sufficere credo, ut et illa capita et fragmentum Cracoviense ullo
Wiener Eranos. 20
— 306 —
vinculo cum operibus Scopae conecti probetur. Ne longius abeam, con-
ferantur velim illa capita cum Scopae Meleagro aut cum eiusdem
temporis stela sepulcrali Ilissea (Conze, Attische Grabreliefs tab. 211),
cuius effigies manifeste Ingenium artemque Scopae redolent. Immo vero
breves capillos supra frontem erectos parvisque cincinnis in calva re-
cumbentes iuvenes Atticos saec. V et IV in deliciis habuisse Ludovicus
Sybel docuit (Rom. Mitteil. VI, 241), idemque genus comae compo-
nendae huius aetatis operibus Atticis divulgatum est. Itaque — ut
meam proferam opinionem — omnia modo enumerata capita Craco-
viensi non excepto conatus progressusque Atticae artis statuariae,
quales medio IV saec. a. Chr. viguerunt, manifestos faciunt. Licet multa
iis insint, quae a consuetudine Praxitelis minime abhorrent, non sunt
tamen opera ex Praxitelis schola profecta neque ullam vim auctoritas
huius artificis ad e» coniicienda habuit, sed quasi praecipuum funda-
mentum summasque condiciones artis Atticae repraesentant, ex quibus
demum nata est Praxitelis illa singularis indoles egregiumque Ingenium.
Atque aegre ferendum nos omnibus destitui subsidiis , quibus horum
monumentorum opifex vel opifices monstrari possint.
Quod tradunt caput Cracoviense Sicyone provenisse, quamquam
pro certo affirmari nequit, coniectura tamen haec iis , quae supra de
genere fingendi statuimus, non repugnat neque digna est, quae a prin-
cipio reiciatur. Etenim, ut Hauser (Jahreshefte V, 216) recte animad-
vertit, officinae statuariae adhuc arctissimis finibus civitatum circum-
scriptae circa medium quartum saeculum singulae suam cuique pro-
priam indolem exuunt sive abiciunt, atque inter se iuvant itaque per-
manant; ut opera vere Atticum Ingenium spirantia fora templaque
Peloponnesi et versa vice implere coeperint.
Zur Niobide der Banca Commerciale.
Von
HEINRICH SITTE.
Als im Sommer 1906 dieses griechische Marmororiginal wohler-
halten dem einstigen Boden der sallustianischen Grärten in Rom ent-
stieg, als es dann rasch in Abbildungen überallhin verbreitet wurde,
da staunten viele über die doch schon zu wiederholten Malen an Werken
dieser Epoche der griechischen Kunst festgestellte Mischung von Nach-
klängen des strengen Stiles mit freier ISTaturbeobachtung , viele auch
über die für ein originales Werk der großen Rundplastik dieser Zeit
weitgehende Entblößung, denn so starke oder völlige Entkleidung des
weiblichen Körpers war bis dahin allerdings nur durch die Kleinkunst,
Terrakotten und Spiegelstützen, durch die Vasenmalerei und das Relief
nachweislich gewagt worden. Bald aber lenkten die schwankenden
Urteile über das Kunstwerk in festere Bahnen: man erkannte seine
Zusammengehörigkeit mit anderen früher an der gleichen Stelle ge-
fundenen Statuen, man schloß^ daß sie Alle Reste einer kurz nach der
Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. geschaffenen Griebelgruppe seien.
Von den vielen und teilweise wohl recht schwierigen Fragen , welche
die Forschung angesichts dieser Gruppe von Skulpturen bedrängen,
soll hier nur flüchtig jene berührt werden, welche die Entstehungs-
zeit der neu hinzugekommenen Figur betrifft.
Della Seta datiert in seinem Aufsatze in der Ausonia II p. 8 die
Niobide in das dritte Viertel des fünften Jahrhunderts; Furtwängler,
der dem Werke seinen letzten Münchner Sitzungsbericht vom Juni 1907
widmete, zog die Grenzen enger auf das Jahrzehnt von 450 — 440. In
beiden Arbeiten und auch in allen anderen Besprechungen der Niobide
ist nun zur Begründung dieses frühen Ansatzes eine wichtige Stelle
der Dichtung nicht mit verwertet worden, welche von einem der gr()ßteii
Zeitgenossen des Schöpfers dieser Giebelgruppe stammt, von einem
— 308 —
Tragiker, der einer allerdings nicht völlig sicheren Kunde zufolge sich
in seiner Jugend auch als Maler betätigt haben soll , von Euripides.
Als ich zum erstenmal archäologisch geschult den Bericht des Talthy-
bios vom Tode der Polyxena in seiner Hekabe las, da ergriff mich bei
den Versen (557 ff.)
za/ret tod' elöri%ovoe Öeötcotlov eWog,
Xaßovoa TteTzXovg l§ äy,Qag STtiof-iidog
eggr^^e Xayovog elg (.leaov 7t aQ df-Kpakov,
(xaöTOvg T* t'dei^e OTtqva iP tog äyäXfxaTog
xcckkiGTa, '/Mi YMi^eioa Tiqbg yaiav yövv
ele^e ndvTtov rXriJUovtaTaTov köyov
dasselbe Staunen , das vielen der Anblick der neuen Niobide erregte,
denn vor 423 war ja dieses Drama aufgeführt worden und ayalf^a be-
deutet doch im fünften Jahrhundert schon hauptsächlich das Götter-
bild im Gegensatz von dvdqiäg, also ein Werk der Rundplastik. Euri-
pides konnte doch wohl diesen direkten Hinweis auf die Bildhauerei
nur anwenden, wenn er tatsächlich solche dyäkf-iaTa oder wenigstens
ein ähnliches bedeutendes Werk der Eundskulptur als seinen Zuhörern
bekannt voraussetzen durfte; ich notierte mir die Stelle als kunstge-
schichtlich von höchstem Interesse und wartete eigentlich seitdem auf
das Bekanntwerden mit irgendeinem zu dieser Schilderung passenden
Werke der zeitgenössischen Plastik, da mich Kinkels Heranziehung
der Hippodameia des Phigaliafrieses in seinem „Euripides und die
bildende Kunst" S. 44 als Relief nicht ganz befriedigen konnte.
Als nun die Niobide gefunden und der Kampf um ihre richtige
Datierung geführt vnirde, da sollte doch auch die Stimme des größten
damaligen Dichters lebendig miteingreifen; ich wollte dem Forscher^
der die glühendste Begeisterung für das neue Denkmal bezeugt hatte,
die oben angeführten Verse in einem Briefe mitteilen; bevor ich ihn
absenden konnte, traf aus Athen die Nachricht von dem Ableben Furt-
wänglers ein ; damals schien es mir nicht recht, das einem eben Heim-
gegangenen Bestimmte anderweitig zu veröffentlichen. So blieb die
Stelle für diesen speziellen Fall weitere zwei Jahre unbeachtet und
wendet sich erst jetzt als Festgruß an Alle , welchen es gegönnt ist,
sich aufzuerbauen an der hohen Schönheit einer von euripideischer
Tragik durchströmten Statue , sich aufzuerbauen an dem Bericht des
Talthybios, der aus dem dunklen Hintergrunde schauerlichen Schweigens
seine Gestalten in plastischer Klarheit hervortreten läßt.
Aus Pompeji,
Von
E. BORMANN.
Im vorigen Winter ließ ich in der epigraphischen Abteilung
unseres archäologiscli - epigraphisclien Seminars römische Munizipal-
inschriften behandeln und mit Pompeji beginnen. Einzelne Vermutungen
oder Bedenken gegenüber den gewöhnlichen Erklärungen, die uns,
den Studierenden oder mir, sich dabei aufgedrängt hatten, gedachte
ich auf meiner nächsten Frühjahrsreise nach Rom August Mau zur
Prüfung vorzulegen. Aber das Geschick, das so plötzlich den aus-
dauerndsten, vielseitigsten, besonnensten und erfolgreichsten Erforscher
Pompejis der Wissenschaft des klassischen Altertums entrissen hat,
versagte mir die Erfüllung dieses Wunsches. Indem ich daher bei
dem jetzigen Anlasse die folgenden Bemerkungen ohne Maus Prüfung
di'ucken lasse, habe ich doch überall an seine Ausführungen anzuknüpfen.
Ja in einem Punkte (1) hat er noch selbst mir das Erforderliche
mitgeteilt, da es in dem nach seinem Tode ausgegebenen Supplement-
bande zu CIL IV mit den Dipinti ui^d Graffiti von Pompeji enthalten ist.
1. In dem im Jahre 1902 in Pompeji aufgedeckten Teile des
Hauses 4 in der Regio V, insula III hatte Paribeni ein Graffito so
gelesen :
VIINIMVSHOCCVPIDIMVLTOMALO
IRIICVIETVS
und verstanden:
venimus hoc cupidi niulto malo i(n)requietus(?).
Franz Bücheier, der auch dadurch die vielen Zweige der Alter-
tumswissenschaft zu einer Einheit verbinden half, daß er rasch neue
epigraphische Funde für die Erforschung der Sprache und Metrik ver-
wertete, hat diesen Vers am Schlüsse des Aufsatzes „Grammatica et
— 310 —
epigraphica*' behandelt, mit dem er die neue Zeitschrift „Glotta" eröffnete,
die auch Philologen und Sprachforscher auf dem Gebiete der klassischen
Altertumskunde vereinigen will (I, 1909, S. 1 — 9). Er schrieb (S. 9),
die Worte seien anders zu trennen:
venimus hoc cupidi: multo malo | ire cuietus
und zu verstehen tzoIv ixäXXov ßovlofiaL. Und er schloß mit den Worten :
„causam carminis si quaeris, ecce ego qui haec conscripsi, ad Glottam
veni cupidus, iam malo ire quietus". Und in der Tat ist er kurz darauf
zur ewigen Euhe hingegangen.
Bücheier hatte nicht bemerkt, daß derselbe Vers bereits in einem
Graffito vorkommt, allerdings etwas verstümmelt und bisher nicht
völlig richtig gelesen, aber auch um den Pentameter vermehrt, C. IV
1227, abgebildet Tafel XIII 6, danach ergänzt bei Bücheier selbst
carmina Lat. epigr. 928, und daß der Hexameter sich auch im großen
Theater findet, mit Kohle auf die weiße Tünche aufgeschrieben, aber
im ersten Worte unvollständig, C. IV 2995, Tafel XLVIII 23.
Jetzt ist die Lesung aller drei Exemplare von Mau sichergestellt,
im Supplementband p. 704 zu den Nummern 1227 und 2995 und p. 705
n. 6697. Danach lautet das Distichon:
venimus hoc cupidi, multo magis ire cupimus, ut liceat nostros visere,
Roma, lares.
Nur hat der Schreiber des ganzen Distichons (IV 1227) hire statt
ire geschrieben und danach aus Versehen das Wort cupimus ausgelassen.
Demnach stammt das Distichon von einem Dichter, der die Haupt-
stadt Rom zur Heimat hatte, und wenigstens derjenige, der das ganze
Distichon wiederholt hat, wird wohl auch aus Rom sein. Dagegen
mag in dem neuen Graffito IV 6997 und in dem Dipinto IV 2995 der
Pentameter weggelassen sein, weil die Heimat ihrer Schreiber oder
ihres Schreibers nicht Rom war.
2. In der Festschrift zu Otto Hirschfelds sechzigstem Geburtstage
(1903) hat der russische Gelehrte Krascheninikov die Wahlempfehlungen
des M. Cerrinius Vatia durch die seribibi universi, dormientes universi
und furunculi — C, IV 581 M. Cerrunium | Vatiam aed(ilem) ovf. seri-
bibi universi rogant. | Scr(ipsit) Florus cum Fructo ... | . . . .; 575:
Vatiam aed(ilem) rogant | Macerio, dormientes universi cum | . . . . | ;
576 Vatiam aed(ilem) | furunculi rog(ant) — in Verbindung gebracht
niit einem zur Zeit der Parlamentswahlen 1893 an den Straßen von
Rom angeschlagenen Plakat: Regina Coeli, cella No. 61. | Costanzo
Chauvet | raccomanda agli elettori | Enrico Galluppi | suo intimo ed
ottimo amico. Chauvet, der einflußreiche Begründer und Herausgeber
— 311 —
der Zeitung ,.I1 popolo Romano" saß damals im Gefängnis regina coeK,
wohl wegen ehrenrühriger Dinge, und das Plakat wurde von den
Gegnern des Kandidaten Galluppi verbreitet, um diesem zu schaden.
Krascheninikov nimmt an. daß die Empfehlungen zum Aedilen durch
„sämtliche Spättrinker", „sämtliche Schläfer" und die „Spitzbuben"
denselben Zweck hatten, wie jenes Plakat mit dem Namen Chauvets.
Er hat damit auch bei Mau Glauben gefunden . C. IV Sp. 696 zu
n. 575 und „Pompeji in Leben und Kunst", S.476i=5062: „Es lag nahe,
die Form der Empfehlung auch als drastisches Kampfmittel gegen
einen Kandidaten zu verwenden. Dies begegnete dem M. Cerrinius Yatia".
Es wäre ja sehr interessant, wenn solche Mittel, wie sie die
leidenschaftlichen Parteikämpfe der modernen parlamentarisch regierten
Großstaaten in den Hauptstädten gezeitigt haben, schon im Frieden
des ersten Jahrhunderts der römischen Kaiserzeit in einer kleinen
Munizipalstadt bei den Gemeindewahlen vorgekommen wären. Aber
man muß doch sagen, daß dies äußerst unwahrscheinlich ist; wissen
wir doch, daß es in jener Zeit in den Gemeinden Italiens eigentliche
Wahlkämpfe kaum gegeben hat und es eher schwer fiel, Kandidaten
für die Gemeindeämter zu finden, deren Bekleidung mit großen Ausgaben
verbunden war. Ferner muß man sagen, daß zur Erlangung des voraus-
gesetzten Zweckes das vorausgesetzte Mittel wenig wirksam gewesen wäre :
Empfehlungen mit scherzhaften Namen, alle drei nur in einem Exemplar
und an derselben Stelle. Gerade dieser Umstand gibt, glaube ich, die Er-
klärung. Schon Zangemeister hat hervorgehoben, daß in dem Zimmer, einem
Laden, an dessen Außenwand die Empfehlung der seribibi miiversi steht, an
der linken Wand das Graffit C. IV 1679 sich befindet: Invicte castresi(s) !
habeas propiteos deos tuos tres, ite(m) et qui leges : Calos Edone (wohl :
Heil Dir Hedone) Valeat, qui legerit. —
Edone dicit:
assibus hie bibitur; dipundium si dederis meliora bibes.
quattus si dederis, vina Falerna bib(es).
Und deshalb ist draußen, wie ich mich am vorigen Sonntag selbst
überzeugt habe, unmittelbar neben der Empfehlung der seribibi von der
Leitung der Grabungen die Aufschrift angebracht worden: „taberna
Edones". Durchaus angemessen oder ebenso angemessen ist doch wohl
die Folgerung von Zangemeister „In earundem aedium muro seribiborum
programma (n. 581) extat, ut hoc illa factio conventiculo usa esse
videatur". Hier verkehrten und ließen sich von der Schenkdame
(H)edone Wein verschiedener Güte kredenzen diejenigen, die draußen
sich scherzhaft die Spättrinker nennen und zu denen ein invictus
— :-^i2 —
castre(n)sis, wohl ein besonders angesehener Kämpfer aus den nicht weit
entfernten eastra (oder ludus) gladiatoria gehörte. Die beiden anderen
Dipinti aber der dormientes und der furunculiy die ich nicht gesehen
habe, befinden sich nach Zangemeisters Zeugnis in unmittelbarer
^ähe: auch in der via degli Augustali, das der dormientes n. 575
„inter 13 et 14, ostium a via Stabiana", der furunculi n. 576 „inter
12 et 13 ostium a via Stabiana", während das der seribibi n. 581 „inter
10 et 11 ostium a via Stabiana" ist. Die Folgerung ist wohl nicht
zu kühn, daß mit den dormientes und furunculi in scherzhafter Weise
dieselben Kumpane bezeichnet sind. Für die erstere Bezeichnung ist
eine besondere Erklärung wohl nicht erforderlich. Die spat trinken,
schlafen leicht ein und , wie ich am Sonntag mich überzeugt habe,
führte in der Kneipe der Hedone nach den Spuren an der Wand eine
Treppe in ein höheres Stockwerk, wo man also sich vom Rausche
ausschlafen konnte. Für die Bezeichnung furunculi gestatte ich mir
einen Einfall vorzubringen. Zur Zeit unserer Dipinti war wohl das
gewöhnlichste Spiel, mit dem man sich in gedeckten Räumen die Zeit ver-
trieb, das der latrunculi, so genannt, wie es scheint, nach den geringeren,
etwa den Bauern unseres Schachspiels entsprechenden Figuren. Könnten
nicht die Leute, die dort regelmäßig zusammenkamen und zum Wein
mit den latrimculi spielten, insgesamt oder zum Teil scherzweise einen
Namen erhalten oder sich selbst gegeben haben, der mit dem der
Figuren des Spieles gleichbedeutend war?
3. In einer der von dem Bankier L. Caecilius Jucundus verwahrten
Quittungen, die nach unserer Zeitrechnung am 8. Mai 60 n. Chr. aus-
gestellt ist (C. IV S p. 392 f. n. CXLIV), ist in der Bezeichnung des
Jahres mit den Namen der höchsten Gemeindebeamten von Pompeji
zu den Namen der beiden duoviri iure dicundo der eines praefectus iure
dicundo hinzugefügt worden, so (zweite Seite): N. Sande[lio] Messio
Balbo P. Yedio Sirico | duomviris iure die. | Sex. Pompeio Proculo
[p]raef. i. d. | V[III i]dus Maias.
In einer anderen Quittung aus demselben Amtsjahr von Pompeji,
das vom 1. Juli 59 bis zum 30. Juni 60 lief, nämlich vom 10. Juli 59
(C. IV S p. 389—891 n. CXLIII) ist mit den Namen zweier anderer
Duovirn datiert worden (Seite II:) Cn. Pompeio Grospho, Grospho |
Pompeio Gaviano Ilvir. iur. die. | VI idus Julias. Dafür steht auf
den Seiten V und VI: duobus Grosphis (Grospis VI) d. (v.) i. d. Es
hatte also zwischen dem 10. Juli 59 und dem 8. Mai 60 ein Wechsel
der Oberbeamten stattgefunden. Schon der erste Herausgeber Giulio
de Petra und Fiorelli hatten dies einleuchtend richtig mit den Unruhen
— 313 —
in Pompeji im Jahre 59 in Verbindung gebracht, die wir auch etwas
durch die Denkmäler, hauptsächlich aber durch den Bericht von
Tacitus ann. 14, 17 kennen:
Sub idem tempus levi initio atrox caedes orta inter colonos
Nucerinos Pompeianosque ; gladiatorio spectaculo, quod Livineius
Regulus, quem motum senatu rettuli. edebat. Quippe oppidana lascivia
in vicem incessentes probra, dein saxa, postremo ferrum sumpsere,
validiere Pompeianorum plebe. apud quos spectaculum edebatur. Ergo
deportati sunt in urbem multi e Nucerinis trunco per vulnera corpore,
ac plerique liberorum aut parentum mortes deflebant. Cuius rei iudi-
cium princeps senatui, senatus consulibus permisit. Et rursus re ad
patres relata, prohibiti publice in decem annos eiusmodi coetu Pom-
peiani collegiaque, quae contra leges instituerant, dissoluta; Livineius
et qui alii seditionem conciverant, exilio multati sunt.
Mommsen hatte in der Behandlung der neugefundenen Quittungen
(Hermes 12, 1877, S. 88 ff., wiederholt: Gesammelte Schriften III, S. 221 f.)
sich der Erklärung der italienischen Gelehrten angeschlossen, S. 125
= 259: „daß dieser Vorfall den Rücktritt der zur Zeit desselben in
Pompeji fungierenden Duovirn herbeiführte, ist begreiflich". Aber
daraus, daß in der Quittung vom 8. Mai 60 neben den neu eingetretenen
Duovirn ein praefectus iure dicundo erscheint, hatte er in dem Abschnitt
„Die Präfektur als munizipale Diktatur", S. 125 = 258 ff. abgeleitet,
daß in gewissen Fällen „neben zwei Duovirn iure dicundo ein praefectus
iure dicundo fungieren kann*' und daß man berechtigt sei, „zumal da
der dritte Beamte ein gewesener Duovir ist, . . . hier eine ungleiche
Kollegialität zu erkennen und den Praefectus von Pompeji und die
beiden Duovirn von 59/60 gleichzustellen dem römischen Diktator und
den zwei ihm zur Seite gestellten, zur Zeit machtlosen Konsuln. Daß
auch die Diktatur wie alle ältesten Ordnungen der römischen Republik
ein integrierender Bestandteil der von Rom aus geordneten Munizipal-
verfassung gewesen ist, erfahren wir hier zum ersten Mal." Mommsens
Aufstellungen scheinen allgemeine Billigung gefunden zu haben, auch
bei Mau, Pompeji, S. 12: „Ein solcher (Präfekt) wurde auch ernannt,
wenn einmal besondere Verhältnisse eine außerordentliche Behörde,
eine Art Diktatur nötig machten." Indessen erklärt sich das Vorkommen
des Praefectus auf die einfachste Weise, wie bei unseren Verhandlungen
sogleich ein Teilnehmer, stud. Fritz Blumenthal, sah. Mommsen selbst
erwähnt a. a. 0. (S. 125 = 259) die längst bekannte Verwendung des
Präfekten, „wonach für den aus dem Amtsgebiet abwesenden Ober-
beamten auf die Dauer der Abwesenheit ein praefectus eintritt". Das
Stadtrecht von Salpensa bestimmt im Kapitel 25, daß, wenn auch der
— 314 —
zweite Duovir iure dicundo die Stadt auf länger als einen Tag verläßt,
er einen ans den über 35 Jahre alten Dekurionen genommenen Präfekten
zurücklassen muß, und dieselbe Bestimmung bat sich teilweise mit den-
selben Worten in dem im Jahre 1906 im Legionslager von Lauriacum ge-
fundenen und von mir in den Jahresheften des österr. archäol. Institutes
9, 1906, S. 315 ff., veröffentlichten Bruchstücke eines Stadtrechtes aus
der Zeit Caracallas, also des Anfanges des dritten Jahrhunderts n. Chr.,
gezeigt. Nach dem Berichte von Tacitus haben die Unruhen in Pompeji
zu langwierigen Untersuchungen und Verhandlungen in Rom vor dem
Kaiser , dem Senat , den Konsuln , dann wieder vor dem Senat und
schließlich zu empfindlichen Strafen für die Gemeinde geführt. Es ist
fast undenkbar, daß die beiden obersten Beamten nicht längere Zeit
in Rom hätten sein müssen, und unterdessen mußte verfassungsmäßig
in Pompeji selbst ein Präfekt eintreten. Daß aber die Duovirn durch
ihre Abwesenheit nicht das Recht einbüßten, daß das Jahr mit ihrem
Namen bezeichnet wurde, ist wohl selbstverständlich. So werden denn
auch, wenn ein Duovir, der Kaiser oder ein Prinz das ganze Jahr
hindurch abwesend ist und durch einen Präfekt vertreten wird, beide
Duovirn und der Präfekt zusammen genannt; zur Bezeichnung des
Jahres: C. X 904 aus dem Jahre 40/1 n.Chr. mit [C. Caesare] M. Epidio
Flacco I quinq(uennaUbus) M. Holconio Macro j>raef(ecto) i(ure) d(icundo);
sogar bei der Angabe einer Amtshandlung: C. X 901 aus dem Jahre 34
mit iussu [C. Caesaris] M. Vesoni Marcelli IIvir(um) i. d., M. Lucreti
Epidi Flacci praefecti.
4. Die eben angeführten zwei Inschriften gehören zu der ziemlich
viel Nummern aus der Zeit vor 729 der Stadt = 25 v. Chr. bis 40 n. Chr.
umfassenden Gruppe pompejanischer Inschriften, die vielfach als Haupt-
quelle für die Entwicklung des Kaiserkultus zu Anfang der Kaiser-
zeit verwendet wird. Es sind Weihungen ex d(ecreto) d(ecurionum)^
auf Beschluß des Gemeinderats, und iussu zweier Beamtenkollegien,
nämlich der beiden d(uo) v(iri) i(ure) dßcundo) und der gewöhnlich mit
den Siglen d. v. v. a. s. (einmal, allerdings in einer Inschrift einer anderen
Gruppe der Wahlempfehlung C. IV S 3684, steht dafür sacr.) p.p. (einmal
proc.J bezeichneten. Nach den Darlegungen von Willems, dem sich Mau an-
geschlossen hat, ist wohl zu lesen d(uo) v(iri) v(iis) a(edihus) sacr(is) p(ublicis)
proc(urandis) und sind diese Beamten von den Aedilen nicht ver-
schieden. Die Weihenden gehören wohl alle dem Stande der Sklaven
oder der Freigelassenen an und ihre Normal- und zugleich höchste
Zahl ist vier. In der späteren Zeit, sicher seit dem Jahre 752 der
Stadt = 2 V. Chr. nennen die Weihenden sich gewöhnlich min.
•— 315 —
(ministri) Aug. (einmal C. X 892 Augusti). Aber die, so viel ich sehe,
noch, nie bezweifelte Annahme, die Weihenden hätten früher ministri
Mercuri Maiae und dann ministri Augusti geheißen, erscheint mir
keineswegs sicher. Mommsen sagt allerdings in den Bemerkungen vor
der Sammlung dieser Inschriften C. X 884 — 923: Ministri dicuntur
nude in titulo omnium antiquissimo n. 884, deinde ministri Mercurii
Maiae in tituKs a. 740 (n. 885 et 886) et anni incerti n. 887, item ministri
Augusti Mercurii Maiae in titulo anni incerti n. 888, deinceps certe
ab a. 752 ministri Augusti.
Aber die Angabe ist nicht völlig genau. Die größtenteils identischen
zwei Inschriften des Jahres 740/14 C. X 885 . 886 lauten im ersten
Teil: M. Sittius M. 1. Papia (so 885; 886 Serapa) Merc. Maiae sacrum
ex d. d. Die Bezeichnung ministri fehlt also und das Merc. Maiae ist
der Dativ der Gottheiten, denen die Weihung gilt. So steht denn auch
in der im Jahre 1895 in der Nähe von Boscoreale gefundenen und
von Sogliano Not. d. scavi 1895 p. 215 herausgegebenen, unten unvoll-
ständigen Inschrift nach den Namen von drei ser(vi) und einem l(ihertus):
MERCMAIAE-SACR
EX-D-DIVSSV
daher wird wohl in der links und unten abgebrochenen Inschrift
X 887, die durch ihre Form auf ältere Zeit hinweist, in den nach den
Namen dreier Sklaven stehenden Zeilen 4 und 5:
ri-merc-mai
\acr-ivssv
zwar vielleicht zu Anfang [minisi\riy dann aber Merc{urio) Mai(ae)
\s\acr(um) zu lesen sein
Also ist für ministri Mercurii Maiae kein einziger Beleg vor-
handen. In C. X 888, die ich vorgestern sehen konnte, steht allerdings
nach den vier ersten Zeilen mit den Namen zweier Sklaven und eines
Messius Arrius luventus, wohl eines Freigelassenen, als Zeile 5
^■^^^AVG- MERC -MAI
und es wird zu Anfang MIN = [minßstri)] zu ergänzen sein. Aber
die Formen der Buchstaben scheinen mir entschieden auf spätere Zeit
als das Jahr 752 hinzuweisen, in welchem die Weihenden sich schon
min. Aug. nennen. Ich möchte daher auch hier nur das [min.] AYG.
als Bezeichnung der Weihenden ansehen und demnach Merc(urlo)
Mai(ae) lesen.
Es ist ja auch aus demselben ersten Halbjahr, aus dem wir
bisher die Weihung seitens zweier ministri hatten, C. X 892: Messius
— 316 —
Arrius | Helenus | M. Devidius M. M. 1. | [FJaustus ung(uentarius), |
min. Augusti | M. Numistrio Frontone | Q. Cotrio Q. f. d. v. i. d. |
M. Servilio L. Aelio | Lamia cos., neuerdings die Weihung seitens eines
dritten minister an eine bisher nicht mit Sicherheit zu benennende
Gottheit zum Vorschein gekommen, Not. d. scavi 1890 p. 44 = Ephem.
epigr. YIII p. 87 n. 316 (hier nach eigener Kopie und Durchreibung):
I : AA.P.R.DD. I GRATYS • CAESAE | L • MINIST • IVSSV |
Q.COTßlDVI.D I C.ANNIMAEYLI | D • ALFIDI ■ HYPSAI |
DY-YAS-PP I M-SERYILIO-L. AELIO | COS
Danach ist die Frage noch nicht beantwortet, welcher Körper-
schaft diese anscheinend jährlich in der Yierzahl ernannten ministri
zuzuweisen sind. Wir sehen nur, daß einzelne von ihnen im Jahre 740/14
und anscheinend in ein paar anderen Jahren dem Mercur und der
Maja und einer im Jahre 3 n. Chr. der Gottheit oder den Gottheiten
A • A • P • R • etwas geweiht haben, und daß sie mindestens vom
Jahre 752/2 an sich min. Aug. nennen. Ob dies Aug(usti) zu lesen ist, ist
vielleicht trotz des Zeugnisses von X 892 zweifelhaft. Die ministri
stehen gewöhnlich den magistri zur Seite und wenigstens einmal hat
sich in Pompeji ein mag. Aug. gefunden, in der Grabschrift C. X 1055
C. Novellius Natalis mag. Aug. Wie hier sicher mag(ister) Aug(ustalis)
zu lesen ist, so käme für unsere Inschriften auch die Lesung mm(ister)
Aug(ustalis) in Frage und das vereinzelte AYGYSTI in X 892 könnte
ein Fehler sein, der vielleicht auf dem Steine selbst verbessert war.
Am glaublichsten erscheint mir bis jetzt, daß unsere Ministri
einem Stadtteil Pompejis, etwa einem Pagus angehören, me nach dem
Zeugnis der Denkmäler der pompejanische Pagus Augustus Felix
suburbanus außer magistri auch jährlich wechselnde ministri^ und zwar
ungefähr in derselben Zeit, nämlich im Jahre 747 der Stadt = 7 n. Chr.,
und gleichfalls in der Yierzahl erhielt; das beweist die Weihung dieses
Jahres C. X 924 : Dama Pup(i) Agrippae, | Manlianus Lucreti, | Anteros
Stai Rufi, I Princeps Mescini, | ministri pagi | Aug. Fei. sub[urb]an. |
primi posie[run]t | Ti. Claudio Nerone iter(um) | Cn. Calpurnio Pisone
cos. Es ist dasselbe Jahr 747/7, in welchem die Yici der Hauptstadt
Rom einen aus jährlichen vier Magistri und vier Ministri bestehenden
Yorstand erhielten, dessen Tätigkeit wie die der entsprechenden Organi-
sation in Pompeji wesentlich mit dem Kaiserhaus in Yerbindung gebrachte
Kulthandlungen betraf.
Rom, 2. September 1909.
REGISTER
(Die fetten Zahlen bezeichnen die Seiten.)
A. Autoren.
(* hinter einem Autornamen verweist auf den
Sachindex.)
Anth. Pal. VII 154 113; Quellenepigramme
111
Antiphanes Malthake 77
Apollodor Bibl. II 1, 3 if. 26; IH 15, 7 35
Archilochus* Frg. 51 u. 53 B 184
Aristides Aelius XXVI 70 216
Aristophanes* Ran. 1357 30
Aristoteles* Poet. c. 5 fin. 2; 1462 a 15,
c. 5, 1449 b 10 u. a. 3 ff.
Asinius Pollio Consilia 221 Bruchstücke
b. Charisius 227
Athenaeus II 43 ff. (Phylarchus) 108
Callimacbus Frg. 5 Sehn. 28
CatuU Passer 150; c. LI 157
Charisius Gr. L. I 80, 2 f. 222
Cicero Brutus 132, Erklärung 217; De
consiliis suis 221; 'Ävexöoza 222
Die Cassius LXXIX 10, 1-3 253
Diodor IV 60 36; IV 77 28; XIX 106, 2
132
Diogenes La. VI 55 135
Eudoxusvon Knidus s. Steph. Byz. und
Plinius
Euripides Andromache 490 ff. 33; Hekabe
557 ff. 308; Hypsipyle 33; Kreter 26
Fronto S. 126 Nab. Schreiben an L. Verus
213
Geogr. Gr. min. I 97 129
Heraklides Städtebilder 129
Herodot IV 110 120
Fragm. Histor. Graec. II 254 129
Homer IL II 145 Schol. Ven. A 28 ; II 585
121
Horaz Carm. II, 8 f. 178; I 2, 17 ff., 13,
9, I 4, 5 176; I 4, 9 f. 178; I 6, 9 177;
I 7, 19, I 9, 11, I 12, 15 178; I 12,
45 f. 177; I 22, 12 f. 178; I 28, 4 ff 175;
I 26, 6 178; I 28, 15 177; I 38 178;
m 5, 27 176; Epod. XVI 179
Hygin Fab. 40 27
Hymn. Orph. XLIX p. 84 Abel 102
Johannes v. Damaskus, Auszüge aus Ne-
mesius 89
Isigonus Nie. (Westermann Paradoxogr.
186) 108
Luc an Phars. IX 411—414 201
Lucian* Fugitivi 19 78; lupp. trag. 53
78 ; Dial. mer. 79 ff. ; ticqI jraQaauov 78 ;
Pseudolog. 4 78; Bhetor. praecept. 12 77
318 —
Q. Lutatius Catulus, Sendschreiben 213;
communes historiae 218
Lydus De mag. I 30 222
Menauder* Elench. 78; Epitrep. 78; 251ff.
80; 497 87; Kol. 81 f.; Mis. 82; Perik.
78 ff.; 111 85; Ehapiz. 81; Thais 77
Nemesius s. Johannes
„Octavia", die röm. Tragödie 189
Ovi d Am. I 289—326 37 ; Metam. XV 321 ff.
108, 110
Tansanias V 19, 1 291; VIII43,3 246
Phoinikides Frg. 4 K 83
Phylarchus s. Athenaeus
Pin dar Päan für die Abderiten 8; Xem. VI
53 299; Pyth. IV 12
Pia ton* Charm. 51; Euthyd. 277 e ff. 47,
49; Gorg. 40, 53; Laches 51; Menon 96 d
4G, 50; Protag. 38; Theät. 151 b 47, 50
Plautus* Capt. 85 ff. 135
Plinius N. h. XXXI 16 (Eudoxus) 108
Plutarch* Thes. 15 291; Sert. 8 184; Moral.
547 e 85
Pollio s. Asinius
Polybius IV 52, 4 131
Proclus Comm. z. Tim. II p. 124 C, D, III
p. 171 C 103
Properz 18,4164; IV 3, 51ff. 167;IV5,
47 ff, 172
Salin st unbenutzte Handschrift 200
Salin st pseud. Ad Caesarem senem De re pu-
blica 222; Invectiva in Ciceronem 223
Sappha (Syr. Gr. 2 Bergk) 157
Seneca pseud. Oct. 36 197^; 46 f. 197;
104 ff. 192 ff: 924 ff. 199
Sophokles* Polyidos 366 N. 35
Steph. Byz. 'A^avia (Eudoxos) 108
Sueton Tib. 70 36
Suidas Alyatov nelayog 291
Tacitus* Ann. XIV Bericht über Octavia
189; XIV 17 313
Terenz* Andr. 685 148; Eun. 267 148;
737-782 81; Haut. 321 148; 846, 1066
147; Phorm. 73 146; Handschriften 149
Theophrast 7; über Lusoi 109
Ulpian Frgm. A^at. 220 252
Varro L. L. V 150 218
Vergil* Aen. IV 381 165; Georg. III 293,
Prob, zu — 218 ; Georg. IV 563, Schol.
Vat. 218; Georg. VI 46—60 37; Hand-
schriften 149
Vita Pii 5,4 246
Vitruv VIII 3, 21 108
„X e n 0 p h on" pseud. 'Adrjv. noXix. 55
Zenob. IV92 27
Pap yri : Berl. Samml. 9588 135; pap. Eainer,
Festschr. f. Th. Gomperz 67 135; index
stoiconim Herculanensis 133 ; Metiochos
u.Parthenope 134; skurrile Iphigenie 20;
Moicheutria 22 f. ; Pindars Päan f. d. Ab-
deriten 8 ; Eechtsurkunden a. Oxyrh. 270
B. Inschriften.
I. Griechische.
IG 11 5, 314; 444; 446 129; II 971 128
VII 2383 126
OGI 90 131
GD I 5349 123
I. V. Priene 313, 67 123
Prag er IGM 215 (aus Lusoi) 104
Ath. Mitth. IX 28 133; XXII 126 f. 123;
XXX 213 129
Bull. corr. hell. XXIX, 210 f. 123
Journ. of hell. stud. XXIII 89 133
Berl. Sitz ber. 1904, 917 125
C. E. de l'acad. des inscr. et beUes lettres
1905, 565 115
Mova. X. ßißX. T. evayy. ayoX. iv ZfivQVf]
1878/80 S. 169 dQ.tftß' (aus Gjölde, Mae-
onien) 102
Delphische Schatzhausfriese, In-
schriften 295
Unveröffentlichte I. a. Menje (Maeonien)
103
II. Lateinische.
CIL I 636 278; I p. 281 280 — III 4416
249; ni 5211-5215 246; III 6179 264;
III 8169 252; III 8238 251; III 13734
116; III p. 886 n. XLIV 257 ; III p. 1960
319 —
n. XIV 2ß2: III p. 2213 202 n. C; III
7505 268 ; cf. III 7505 269 ; IV 575, 576,
581 310; IV 1227 310; IV 1679 311;
IV 2995 (cf. IV S p. 704) 310: IV S
3687 316; IV S 6697 310; IV S n.
CXLIII, CXLIV 312; VI 1208 247; VI
1333 266; VI 1377=31640268; VI 1423
252; VIII 2490, 2728, 10230 247; VIII
747 2154; X 885-888 315; X 892 316
XI 5743 277
Ephem. epigr. VIII p. 87 n. 316 316
Jahreshefte VI 1930 Beibl. S. 38 251
unveröffentlicht: Erlaß des Licinius, Do-
bradscha 117
C. Sachliches.
Abdera Apollon Derainos 8; — n. Athen 1.0;
— u. Päoner 16; — u. Perser 8ö". 12;
Abderos, fj^cog y.xLaxrjg v. Abdera 9
Abnahmepflicht d. Käufers 274
Achilleus a. Schatzhausfrij[^s in Delphi 296
Adamklissi Brunneninschrit't 114
L. Aemilius Carus, Legat v. Dacia 266, 268
äyoiviäv Bedeutung 87
Ägypten Krieg d. Antoninus Pius 249;
Vormundschaft d. Mutter 270
Aineas a. Schatzhausfries in Delphi 295
Aithiopis 304
Alen d. Heeres v. Dacia 259
Alexander d. Gr. 254; — v. Abonuteichos 251
„Alcibiades" -Köpfe 305; a. Halikarnaß in
London 304
Allauro 230
Amor u. Psyche, Märchen 291
Anaia 125
dvameafia im griech. Theater 24
Antilochosa. Schatzhausfries in Delphi 297
Antiphanes Malthake 77
Antisthenes b. Piaton 49
Antoninus Pius Dakerkänipfe 264; maure-
tanischer Feldzug 246
Apollon V. Delphi 18; — Derainos v. Ab-
dera 8
Apostel Einbandbild 141
Archilochos u. Aristophanes 6; — u.
Horaz 183, 187
Ariadne- Knäuel 285
Aristophanes u. Lucian 77
Aristoteles Kunstlehre 5
Asehenurne mit Pasiphae 36
A s i n i u s PoUio, neue politische Schrift 213,
Stil 224
Asklepios-Glykon 252
Athen Zerstörung durch Xerxes 10 ; 'Äd^rj-
vaTot M. 'Arnzoi 131; 'A&rjvdiot Boicoioi
129
Athletenköpfe, attische, in Eoni 305
avog Bedeutung 87
Aurasius mons 247
Aurelius Antoninus, Marcus, Germanisch-
sarmatischer Krieg 266
A u 1 0 m e d 0 n a. Schatzhausfries in Delphi 295
Bay-ivd-Log, favJvdiog, 'Yay.iv&cog 118
Ballett d. röni. Kaiserzeit 34
Bauernschaft, leibeigene, in Byzanz u,
Zeleia 131
Belgien, griech. Codex a. — 139
Blace (Mösien), Inschrift 251
Blaubart Sage 290
Bostra 247
Brankovan Handschriften, Wappen 141
Brautfahrt Sagenmotiv 288, 292
Brunnen -Inschrift a. Adamklissi 114; a.
Lusoi 104
Byzanz Krieg mit Prusias 131; leibeigene
Bauernschaft 131
Sex. Calpurnius Agricola, cos. suff. 258,
268 f.
Carini 238
Castellaccio 238
Chalkidische Vase in Florenz 297
Charitinnen, Opfer d. Minos an d. — 36
X^e(vjaafiög 133
choregische Inschriften 128
XOQÖg ausgelassen 128
Chorsiai (Boeotien) 126
Christus Einbandbild 141
Cimbernkämpfe 217
Cirtae = quattuor coloniae Cirtenses
214
M. Claudius Fronto, Legat v. Dacia 266 f.;
Ti. lulianus, cos. sutl. 258; Ap. — Sabinus
280
communes historiae (Communis historia)
d. Catulus 218
— 320
consilia Ciceros, Pollios 221
constitutum debiti proprii 275
cubare, dormire u. ä, mit in c. acc. 173
curator infirmi 273; — puberis minoris 273
cursus bonorum 277
Dacia, Provinz, Zwei- u. Dreiteilung 256;
Besatzungstruppen 259 if. ; Legaten, Pro-
kuratoren 256, 265 f., 268; Römerkriege
249, 264
Daedalus u. Pasiphae 27
Däumlings-Märchen 287, 289, 291
David Einbandbild 141
Dedikationen, römische 278
Delphi Schatzhausfriese 293
Demeter-Priesterinnen in Athen 80
Aieivvaog, Atsa?<ovQi6t]g 123
Diogenes, Kyniker, Ausspruch 135
Diomedes im Memnonkampf 300
Dionysos a. Schatzhausfries in Delphi 295
Dioskuren das. 300
Dobrudscha Geographisches 114
draccena, dracco 251
Dramen, hellenistische 29, 32, 37
övofioQog Bedeutung 86
sa st. eva 133
Ehegerichtsbarkeit, kirchliche 276
Ehreninschriften m. cursus bonorum 278,
281
E i d des Schuldners gegenüber d. Bürgen 275
Einbände von Hss. m. bibl. Mittelbildem 141
EX(pd'EiQead-ai, ujio-, sig-, Bedeutung 87
Elegien 230
Eos a.Vase 298
ETiayysXXeo^ai Bedeutung u. Gebrauch 130
Ephebenköpfe, attische in Krakau 302,
in Dorpat u. in London 304
kjiCxQonoi i'iTOi xovQäTogeg 273
Epos u. Tragödie 2
Erb senstreuen Märchenmotiv 288
Eros u. Charitinnen 36
Eryx 235
Ethnika z. Bezeichnung d. engeren u. wei-
teren Heimat 130
Eugen von Savoyen, Prinz, griech. Hss.
d. Wr. Hofbibl. 137
vTiaQVfpog 85
I ..Europe" (Pasiphae) a. Sarkophag 34, 36
Evangelisten Einbandbild 141
expeditio Erläuterung 215
F Wiedergabe 118
Fabula Prätexta Octavia 189
Favorita 230
Frauen, Vormundschaft 270
A. Furius, Widmung v. Catulus' Sendschrei-
ben an — 219 f.
Furius Octavianus 252
furunculi = latrunculi 312
Genetiv b. vixäv 128
Gerichtsbarkeit, kirchliche Ehe— 276
Gerundiv attributiv 217
Geten-Krieg 249
Getreideversorgung 125
Gjölde Inschrift 102
Glykon Schlan^ngott 252
Gorgoneion Schildzeichen Achills 2;)8
Goten Einfälle in die Dobrudscha 117
Grab Stele, attische 306
Grimenothyrae Münzen 283
Handschriften Sallusts200; d. Terenz u.
d. Vergil 149; d. griech. — d. Prinzen
Eugen V. Savoyen d. Wiener Hofbibl. 137 ;
— Einbände m. bibl. Mittelbildern 141
Hansel u. Gretel, Märchen 287
Heirkte 225, 235
Hekate ^otvtxöJieCa 18
Hera Baatltoar], .Weihnng 116
Herakleides Städtebilder 129
Heraklesköpfe im Louvre u. in Aequum
304 f.
Hermannstadt, Hss. a. — 143
Hippodameia im Phigaliafribs 308
Hipta (Hippa), Meter 102 1
Hunderassen 135
Hypsipyle d. Euripides 33
Ixd-voyievtavQoi in Tempelgiebel 35
in c. acc, Zweck o. Folge 172; bei cubare u. ä.
173
Inkarnation Alexanders 254
Inschriften, lateinische, Stilisierung 280
iocari Bedeutung 154
321
Johannes Einbandbild 141
Ionischer Dialekt, w-Laut 120
Jordan, H. über Catulus' Brief 214
Isola delle Femmine 238
Inno (Hera) u. Alexander d. Gr. 255
lubilatus, US = iubilum 221
luppiter u. Alexander d. G. 255
Kaiserkult 314
Kantakuzen Konstantin, Hss. des — 140
Karte, Welt— in Sallusthandschrift 201^
xdoTO)Qy KäaxoiQ 121
xad'iaTO.vat xbv oItov 125
Kaufpreis f. Steuerrückstände beschlag-
nahmt 274
Kaufrecht, römisches 274
xrjöe^öveg, ol aad-' tjXtHtav — 273
xey.TTjfiivrj „Herrin" 86
Kephisodot d. Ä., Herakles 304
Kirchliche Ehegerichtsbarkeit 276
Knidier Schatzhaus in Delphi, Friese 293
Kohorten d. Heeres v. Dacia 259
Komödie, Neue, u. Lucian 77
Konjunktiv, Optativer, d. Impf. u. Plqupf.
ohne utinam 152
>covQOTQÖq)0£ Wortgebrauch 86
Kreter d. Euripides 26
Kypseloskasten Ariadne 291
Labyrinth 289
Lambaesis 247
Xaoi ßaaiXiyiOi, Xewg aihoixog 131 f.
lata (Neutr. plur.) substantiviert 221
latrunculi Spiel 312
Legaten v. Dacia, prätorische 256, 265,
268; consularische 266, 268
Legionen: Y Macedonica in Moesia inferior
264, nach Dacia verlegt 261, 268; VIII
Gemina in Dacia 265
Leukippiden-Raub im Schatzhausfries v.
Delphi 300
Licinius Erlaß 117
Xi&eia 133
Lucian u. d. Neue Komödie 77: — u.
Flautus-Terenz, Personennamen 83 ; — u.
Piaton 88
Lusoi Brunneninschrift 104
Q. Lutatius Catulus, Cimbemkämpfe 217;
Sendschreiben 213; Communes historiae
218
Wiener Eranos.
Lycaon äthiopischer Wolf 122
Lysimachus Koraödiendichter 78
Macrinius [Vindex?], Statthalter (Proku-
rator?) v. Dacia Porolissensis 261, 265
Maeonien Inschriften 102
Malta Märchen 286
Maria Einbandbild 141
Mari US u. Catulus 218
Matthias v. Myra, Werke 143
Mauretanischer Feldzug d. Antoninus
Pius 246
Maurokordato Nikolaus, Hss. d. — 142
M e i s t e r h a n s-Schw3^zer, Grammatik d. att.
Inschr. 128
Meklenburg Märchen 287
Melamphyllon Teierschlacht 16
Meletius u. Nemesius 89
Memnon in Schatzhausfries v. Delphi 296
Menander b. Lucian 77
Menschenfresser u. Minotaurus 287
mereri, meritum, sjTionym m. donari, donum
(merces) 217
M i 1 i t ä r d i p 1 0 m e , dakische 257 ff. ; Formular
262, 264
ministri in Pompeji 314
Minos und Pasiphae 26; Opfer d. — auf d.
Pasiphae-Sarkophag 34
Minotaurus 26; — u. Menschenfresser 287
Mithras Verehrung befohlen 117
Mondello 226
Mösien Volksglaube 251
Münzen v. Grimenothyrae 283
Munizipalinschriften a. Pompeji 309
Musen yXvxvfiäxcivoi 18
Namen b. Lucian u. in d. Komödie 83; Per-
sonen- u. Tier — 122 ; römische — gebung
253, 280
naturale negotii 274
veofxrjvia günstige Vorbedeutung 17
Nestor im Schatzhausfries v. Delphi 296
vixäv c. gen. 128
Niobide d. Banca Commerciale 307
"Oa^og, ViTvXog, 'Odevg 120
Octavia fabula praetexta 189
'OiXevg, 'OiXidörjg : 'IXet'fg, IXiddrjg 1 21
OiTvXog , Behvlog 121
wfiog, ömsos 124
21
322
övva, divt'i, wvog 124
Oropos 129
Orden, Deutscher, Volkssage 290
otium Bedeutung: 161
Pankrati astenköpfe in Berlin und
Güttingen 305
Panormus 226
Päoner u. Abderiten 16
Parasiten b. Lucian 78
naQ ai)iö 127
naQeniyQacpai 20
Paros Tempel d. Charitinnen 36
Pasiphae 26: Darstellungen 33
St. Paul (Kärnten), Sallusthandschrift 200
Pauson Rhyparograph 7
Pellegrino monte 225, 234
TT SQivo avelv rrjv olxovf.iEvr}v 135
Pompeji Municipalinschriften 309 ; ministri
316
praefectus iure dicundo neben duoviri
iure dicundo 313
Perser in Thrakien 12
Pertica 226
Phigaliafries Hippodameia 308
Philodem, Epikureer 1
Philostephanos Quelle Diodors 29
(piXöd-eog 134
Phrygische Münzen 283
Piaton u. Prodikos 38; — Vorbild d.
Lucian 88
Plautus u. Lucian 83
Plutarch u. Horaz 184
noXiri-aa öw/uara, nicht TroXe^uau 132
Pollio s. Asinius
Prätoren, städtische, Amtstitel 281: pere-
grine 282
Praxitelische Köpfe 305
Preußen Volkssagen 288, 290
Priamos(?) im Schatzhausfries v. Delphi
296 ; a. schwfg. Vase 299
Prodi kos b. Piaton 38
Prokuratoren in Dacia, Finanzbeamte 256,
268; präsidiale 256, 265, 268
TiQoXafxßdveiv Bedeutung 127
Prusias Krieg m. Byzanz 131
Puppenspiel, griechisches 23
Uuaestoren, städtische, Amtstitel; 277
Kompetenz 278
Quellenepigramme 111
Quo mihi? 170
Ragazaki -Märchen 288
Räubersagen 287
Rom, sallustianische Gärten, Niobide 307
Rotes Meer, Aufstand am — 249
QVfxög Bedeutung 286
Sabazios 102
Sage V. Ai-iadne-Knäuel u. ä. 285
S a 1 d a e Räuberunwesen 247
Salgfräulein Sage 285
Sallust-Handschrift, unbenutzte 200
S also via Inschrift 117
Samos Gesetz ü. Brotkorn-Beschaffung 125
Sardanapal 163
Sarkophag, Pasiphae — 34
Satyrspiel 7
Scala des M. Pellegrino 226
Schildzeichen Achills 298
Schlangengötter 251
Seneca pseud. Octavia 189
Serban II. Handschrift 142
Sferracavallo 240
Sklaven in d. Komödie 80
Skopasische Köpfe (Meleager) 306
Sokrates u. Prodikos 42 ff',
solaciolum Bedeutung 154
Soldatenliebe in d. Komödie 81
Söldner in d. Neuen Komödie 80
Sophokles Satyrspiel 7; — Elektra und
(Senecas) Octavia 189
Steuereintreibung in Rom 274
süus statt eins 153
Tacitus und (Senecas) Octavia 189
zäXav Bedeutung 86
TaQavTtvidiov 85
Teier Schlacht b. Melamphyllon 16
Terenz Handschriften 149; Konstruktions-
hilfen 148; — u. Lucian 83
Theaterexemplare, griechische 21
Theseus u. Ariadne 285
Thetis a. Vase 298
Thrakien, d. Perser in — 12
Tirol Sagen 285, 290
^2;\
ToTg st. oU 129
Torretta 238
Tragödie u. Epos 2
Trajanopolis 283 f.
Trapani 235
Tri tone in Tempelgiebel 34
Tropaeum, Municipium — 115
tutor impuberis 273
Tympanismoi a. griech. Bühne 20
Urkunden (Gesetze), römische 277, 281
utinam fehlt b. coni. opt. impf. u. Plqpf. 152
vaccinium, växivd-og 118
T. Varius Clemens, Prokurator 247
Vase, chalkidische in Florenz n" 1784 297;
schwarzlig. im Mus. Gregor. II 28 299:
— n m. Darstellung des Memnonkampfes
297
vento ire 1G5
Vergil Handschriftliches 149; Virgilius,
Zauberer 288
L. Verus, Schreiben Frontos an — 213
vir clarissimus 281
Virgilius s. Vergil
Vladulas Grammaticus, Handschrift d. —
141
Vormundschaft d. Mutter in Ägypten 270
Walach ai, Handschriften a. d. — 139
Wappen Brankovans 141
Wendische Sagen 288 f.
AVien, Hofbibliothek, griech. Handschriften
des Prinzen Eugen v. Savoyen 137
Wortschatz b. Lucian u. d. Komikern 85
"^Y^äxivd-og, fäytivd-og 118
deoi, vsaiäna: feat, featäxa 120
vTioy Qa(pevg eines Schwachsichtigen 273
vjionQcveaß^ac Bedeutung u. Gebrauch 130
V QEiyaXsov, fgrjyaXsov 120
Zeleia, leibeigene Baueraschaft 132
Zenon, Stoiker 133
Druckfehler-Berichtigung.
S. 256, Z. 6 V. u.: (S. 2G5, A. 3 st. A. 28).
, 264, Anm. 1, Z. 3 v. u. : (vgl. oben S. 262, A. 3 st. 263, A. 20).
„ 281, Anmerkungen: 4 st. 14.
„ 283, Z. 12 V. o. : ^lazoQCa st. 'leiogia.
„ 310, Z. 8 V. u. : Cen-inium st. Cerrunium.
- 311, Z. 6 V. u. : angemessen; aber st. angemessen oder.
. 314, Z. 15 V. u. : von 729 st. vor 729.
„ 314, Z. 8 V. u. : Gruppe, der.
„ 315, Z. 10 V. u. : Inventus st, luventus.
,. 316, Z. 1 V. o. : Decidius st. Devidius.
.. 318, Sp. 2: XpTKtphmi st. ..Xenophon".
21*
Die Heliogravüre des Titelblattes gibt eines der reizvollsten Werke römischer Klein-
kunst wieder, das der Boden Camuntums spendete. Es ist ein bronzenes Köpfchen der
Athena Parthenos, das bei Feldarbeiten auf der Burgbreite unweit des Pälffyschen Gartens
im Frühlinge 1903 zutage kam. Nach seinem regelmäßig begrenzten Halsrande rührt es
nicht von einer Statuette her, sondern war für sich gearbeitet und bestimmt in einen
Hermenschaft aus Marmor, Holz oder Elfenbein eingelassen zu werden.
Dünn und rein im Gusse, sorgfältig geglättet und ziseliert und mit Silb3r maßvoll
inkrustiert, hat das nur 007 hohe Köpfchen die Reize eines kleinen Kabinettstückes. Aus
Silber sind die Rankenomamente des Stirnstulpes , die Augenbrauen und die Augen , doch
löste sich ihr einstiger Belag aus seinen vertieften, scharfumrissenen Betten. Die fehlenden
Helmbüsche waren gesondert gegossen und mit Hilfe von Zäpfchen in die Rücken der den
Helm bekrönenden Tiere eingesetzt. Wie der mittlere die seitlichen Büsche an Größe über-
ragt, so ist auch das für seine Aufnahme bestimmte Loch im Rücken der Sphinx nicht
unbeträchtlich größer und tiefer als die Stiftlöcher im Rücken der Flügelpferde.
Gleichwie bei anderen Darstellungen der Athena Parthenos beschränkt sich das
Gemeinsame der Camuntiner Bronze und des berühmten Tempelbildes auf diese drei
Fabeltiere, den Trägem ebensovieler Helmbüsche. Aus der Fülle des übrigen Zierrates, den
Phidias' Statue bot, hat der Bildner des Köpfchens mit Takt und feinem Bedacht gewählt,
was für sein kleines Werk dienlich war und sich gehütet, es mit Details zu überladen. Auch
folgt er in der Modellierung des Antlitzes nicht dem Stile des großen Meisters, obgleich er
über dem mehr schmächtigen als vollen Gesichte mit der schlanken Nase, den mandelfcirmigen
Augen, dem zarten Munde und dem kräftig runden Kinne einen Hauch herber altattischer
Anmut zu breiten wußte. Man wird dem Bronzeköpfchen die Eigenart nicht bestreiten. Dim
kommt ein selbständiger Kunstwert zu, für den wir Kopistentreue nicht eintauschen wollten.
Vgl. Robert v. Schneider Jahreshefte YII, 151, Taf. I, dessen Ausführungen die obige
Beschreibung im Wortlaute entnommen ist.
Druck von GottUeb Gistel & Cie., Wien.
PA
26
V33
Wiener Eranos
PLEASE DO NOT REMOVE
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